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Zurück in der Baker Street, nach einem Besuch auf dem Land, bringt Watson eine merkwürdige Geschichte über einen alten Armeekameraden mit, der seit Tagen spurlos verschwunden ist. Nur dessen Schwester und ein alter Knecht führen den Hof.Irgendetwas stimmt nicht. Was haben die seltsamen Zeichen zu bedeuten, die Watson an der Scheune entdeckt hat? Wer sind die Beobachter, die immer wieder um den Hof herumschleichen? Holmes ist besorgt, nachdem Watson ihm die Geschichte erzählt hat. Er spürt, dass auf dem Hof alle in tödlicher Gefahr schweben.Die Printausgabe umfasst 154 Buchseiten.
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Seitenzahl: 157
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DIE NEUEN FÄLLE DES MEISTERDETEKTIVSSHERLOCK HOLMES
In dieser Reihe bisher erschienen:
3001 – Sherlock Holmes und die Zeitmaschine von Ralph E. Vaughan
3002 – Sherlock Holmes und die Moriarty-Lüge von J. J. Preyer
3003 – Sherlock Holmes und die geheimnisvolle Wand von Ronald M. Hahn
3004 – Sherlock Holmes und der Werwolf von Klaus-Peter Walter
3005 – Sherlock Holmes und der Teufel von St. James von J. J. Preyer
3006 – Dr. Watson von Michael Hardwick
3007 – Sherlock Holmes und die Drachenlady von Klaus-Peter Walter (Hrsg.)
3008 – Sherlock Holmes jagt Hieronymus Bosch von Martin Barkawitz
3009 – Sherlock Holmes und sein schwierigster Fall von Gary Lovisi
3010 – Sherlock Holmes und der Hund der Rache von Michael Hardwick
3011 – Sherlock Holmes und die indische Kette von Michael Buttler
3012 – Sherlock Holmes und der Fluch der Titanic von J. J. Preyer
3013 – Sherlock Holmes und das Freimaurerkomplott von J. J. Preyer
3014 – Sherlock Holmes im Auftrag der Krone von G. G. Grandt
3015 – Sherlock Holmes und die Diamanten der Prinzessin von E. C. Watson
3016 – Sherlock Holmes und die Geheimnisse von Blackwood Castle von E. C. Watson
3017 – Sherlock Holmes und die Kaiserattentate von G. G. Grandt
3018 – Sherlock Holmes und der Wiedergänger von William Meikle
3019 – Sherlock Holmes und die Farben des Verbrechens von Rolf Krohn
3020 – Sherlock Holmes und das Geheimnis von Rosie‘s Hall von Michael Buttler
3021 – Sherlock Holmes und der stumme Klavierspieler von Klaus-Peter Walter
3022 – Sherlock Holmes und die Geheimwaffe von Andreas Zwengel
3023 – Sherlock Holmes und die Kombinationsmaschine von Klaus-Peter Walter (Hrsg.)
3024 – Sherlock Holmes und der Sohn des Falschmünzers von Michael Buttler
3025 – Sherlock Holmes und das Urumi-Schwert von Klaus-Peter Walter (Hrsg.)
3026 – Sherlock Holmes und der gefallene Kamerad von Thomas Tippner
Thomas Tippner
SHERLOCK HOLMESund der gefallene Kamerad
Basierend auf den Charakteren vonSir Arthur Conan Doyle
Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2020 BLITZ-VerlagRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Mario HeyerLogo: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-225-7Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!
Die Einschläge der Artillerie ließen die Erde erzittern. Immer wieder nahm ich den Kopf zwischen die Schultern, während um uns herum die Kanonenkugeln einschlugen, Schmutz und Dreck aufwirbelten und einen glauben ließen, das letzte Stündlein hätte einem geschlagen.
Obwohl ich am ganzen Leib zitterte und ich mich immer wieder selbst dazu überreden musste, meiner Aufgabe gewissenhaft und treu nachzukommen, fiel es mir von Minute zu Minute schwerer.
Auch wenn ich das Kampfgetümmel kaum übersehen konnte, so waren es doch die Gerüchte, die uns entgegenwehten, wie Papierschnipsel, die vom Wind getragen wurden, die uns beunruhigten. So hieß es, dass die afghanischen irregulären Truppen – Stammeskrieger – unsere rechte äußerste Flanke angegriffen hätten.
„Sie werden unter großen Verlusten zurückgeschlagen“, erzählte mir einer, während jemand anderes meinte: „Sie rollen genau uns auf!“
Ich hingegen, in meiner Funktion als Militärarzt, versuchte mich, denen zu widmen, die von der ersten Frontlinie nach hinten zu uns gebracht wurden, um sie zu versorgen. Einem jungen Mann, dem ein Granatsplitter in die Hüfte gedrungen war, lächelte ich aufmunternd zu und sagte ihm: „Alles wird gut. Vertrauen Sie mir.“
Blass, wie der Junge war, nickte er nur, und schloss dann die Augen, ohne auf meine Frage zu antworten: „Wie sieht es denn vorne aus?“
Erst als um die Mittagszeit herum die Schüsse immer näherkamen, die Boten hastig an uns vorbeigaloppierten, und die Befehle der Offiziere und Generäle immer lauter, heiserer und eindringlicher wurden, wurde auch mir bewusst, dass wir unsere Stellung hinter der Schlucht von Mahmudabad kaum noch halten konnten.
Was eigentlich von vorneherein klar gewesen war, denn die Aufklärer und Späher hatten schon länger davon berichtet, dass die Armee von Mohammed Ayub Khan keine zwei Stunden vor uns lagerte. Das Krux an der Sache war, dass wir, zahlenmäßig weit unterlegen waren, uns aber dennoch nicht mehr zurückziehen konnten. Denn hätten wir das getan, hätten wir kampflos unsere Hauptversorgungslinie um Kandahar preisgegeben müssen.
Deshalb waren wir schweren Herzens in diese unsägliche, in einem Desaster endende Schlacht gezogen, in der wir drei zu eins unterlegen waren.
Dennoch keimte in mir kurz Hoffnung auf, als ich einen Offizier sagen hörte: „Die rechte Seite steht.“ Ich dachte, dass wir doch noch einen Sieg davontragen könnten. Meine Hoffnung, so leichtsinnig und naiv sie auch war, bestand darin, dass die zurückgeworfenen Stammeskrieger in der regulären Truppe unseres Gegners so viel Unruhe stifteten, dass diese sich ungeordnet zurückziehen und neu sortieren musste.
Doch nur wenige Minuten nachdem unsere Armee ihren ersten Sieg in dieser Schlacht errungen hatte, nahm das Artilleriefeuer erneut mehr und mehr zu. Der Boden erzitterte unter den heftigen Einschlägen und die Männer begannen ihre Angst nun offen zur Schau zu stellen. Immer wieder schnappte ich unter den Ärzten und den Pflegern Worte wie: „Flucht“, „Rückzug“, oder „Davonmachen“, auf.
Wörter, die mir, wie ich zugeben musste, widerstrebten. Deshalb sagte ich zu einem jungen Offizier, namens Camming, der mir direkt unterstellt war: „Flieht man, lässt man nicht nur seinen König im Stich, sondern auch seine Kameraden.“
„Doktor Watson“, entgegnete der rothaarige, blasse Mann und wand sich sichtlich. „Ich will nicht sterben.“
„Das werden wir auch nicht!“
In dem Moment, als ich weitersprechen und Camming ins Gewissen reden wollte, wurden wir abkommandiert, um uns um die Verwundeten am vordersten Frontabschnitt zu kümmern.
„Um dort zu retten, was noch zu retten ist“, sagte mir der Bote, der mir einen Befehl in die Hand drückte, mir viel Glück wünschte und dann davongaloppierte.
Ich schaute Camming an, der nickte und mir dann widerstrebend folgte.
Bis heute kann ich mich an das Schlachtengetümmel kaum noch erinnern. Es schien so, als legte mein Verstand, gnädig wie er war, ein schwarzes Tuch über meine Erinnerungen, um die schrecklichen Bilder vergessen zu machen, die ich dort hatte sehen müssen.
Ich weiß nur noch, dass der dichte Kanonenstaub ebenso über die Ebene wehte, wie der aufgewirbelte Dreck, den die einschlagenden Kugeln verursacht hatten. Immer wieder hörten wir verletzte Männer nach einem Arzt oder nach deren Müttern schreien.
Das pfeifende Geräusch einer auf unsere Linien zufliegenden Kanonenkugel, war wie das Brüllen eines Orkans in meinen Ohren. Man konnte hören, wie die Eisenkugeln die Luft durchschnitten und wie sie auf einen zugeflogen kamen … wie ihr bedrohliches Wirken einen innerlich zu lähmen begann, und wie sie schließlich über einen hinwegsauste, hinter einem explodierte, und die Erde so sehr erbeben ließ, dass man sich kaum noch auf den Beinen halten konnte.
Ich erschauderte und arbeitete fieberhaft und mit zitternden Händen an einem verletzten Soldaten, als ich folgende Befehle hörte: „Stellung halten! Nicht zurückweichen. Stellung halten. Feuer!“
Wie oft die Gewehre knallten und Kugeln aus ihren Läufen feuerten, konnte ich gar nicht mehr sagen. Ich wusste nur, dass mich plötzlich etwas von den Beinen riss. Eben noch hatte ich an einer Trage gestanden und mit blutigen Fingern in der Wunde eines Mannes gesteckt, um einen Eisensplitter aus seinem Oberschenkel zu entfernen, dann lag ich plötzlich am Boden und konnte mich vor Verwunderung und Schmerz kaum noch bewegen. Ich stöhnte leise. Der Schmerz war, seltsamerweise, gar nicht das Schlimmste, was mir in diesem Augenblick widerfuhr. Auch wenn er mich später immer wieder quälte und mich auf diese Weise an jenen schicksalhaften Tag erinnerte. Es war der plötzliche Druck im Magen, die aufkommende Übelkeit und der qualvolle Gedanke: Du stirbst. Du wirst sterben. Hier und jetzt, die mir bis heute lebhaft in Erinnerung geblieben waren und der sich mir immer dann offenbarte, wenn ich von meinen Alltagssorgen befreit war und in Ruhe nachdenken konnte.
Es war ein merkwürdiges Gefühl, sich seiner Sterblichkeit so bewusst zu werden.
Ein Gefühl, das sich erst diffus und kaum wahrnehmbar, in meinem Verstand festsetzte, um mich dann stärker und stärker erahnen zu lassen, was es wirklich war.
Es war Angst!
Durch die Eingeweide wühlende, einen in Unruhe bringende, den Verstand lähmende Angst.
Sie ergriff mich und ließ alles um mich herum verlangsamt ablaufen.
Da waren die dichten Schwaden, das Brüllen der Männer, das Vibrieren des Bodens, der heranpreschende Angreifer. Und der unfassbare Moment der Verwunderung, als ich begriff, dass unsere Linien gerade dabei waren, zusammenzubrechen und dass die Afghanen es wirklich geschafft hatten, die als unbesiegbar geltende, am besten ausgebildete und trainierte Armee des britischen Empires, aufzureiben.
In meiner Verwirrung versuchte ich, aufzustehen, allerdings ohne, dass es mir gelang.
Ich wollte hoch, damit ich mich ebenso in Sicherheit bringen konnte, wie die anderen Männer es jetzt taten.
Allein der Gedanke daran, in Gefangenschaft geraten zu können, ließ mich alle noch in mir verbliebenen Kräfte mobilisieren.
In dem Moment, als ich vorwärts kroch und eine Kanonenkugel keine zwanzig Schritte von mir entfernt einschlug und ihren tödlichen Regen über uns alle spie, sah ich, wie sich der junge Camming an die Brust griff, rückwärtsfiel und auf dem Rücken landete. Dann lag er da, mit merkwürdig und fremdartig von seinem Körper abstehenden Gliedmaßen. Das Gesicht zum Himmel gerichtet, den Mund geöffnet, die Augen leer und weit aufgerissen, so als wolle er noch einmal seinen ganzen Frust und Ärger herausschreien, weil er sich von den Worten eines Doktor Watson an der Ehre hatte packen lassen. Und eben jener Doktor Watson war jetzt dafür verantwortlich, dass er von einer auseinandergesprengten Kanonenkugel buchstäblich zerrissen und in den Tod befördert worden war.
Dieser Gedanke war es, der sich bis heute in meinem Kopf festgesetzt hatte, und der mich materte und quälte, wenn ich zur Ruhe kam, und der mich immer wieder fragen ließ: Wäre Camming jetzt noch am Leben, wenn er mir nicht begegnet wäre? Hätte er jetzt Frau und Kinder? Ein Haus, irgendwo?
Ein Leben, das ich ihm genommen hatte?
All das raste mir auch damals durch den Kopf, während sich unsere Truppen – keinerlei Ordnung mehr besitzend – zurückzogen. Nur für einen kurzen Augenblick, sehnte ich mich ernsthaft nach dem Tod. Beinahe so, als könne ich Camming auf diese Weise folgen, ihm tröstend auf die Schulter klopfen und ihm sagen: „Siehst du … jetzt hat es uns beide erwischt. Komm, machen wir das Beste draus.“
Doch so tröstend dieser Gedanke auch war, so sehr entfachte er die Angst in mir, dass ich hier an diesem Ort sterben könnte.
Im fernen Afghanistan, die Heimat so weit entfernt, dass es wehtat, nur an sie zu denken.
Ich wäre in Afghanistan bestimmt gefallen, wäre nicht plötzlich mein Mitstreiter Birmingham auf seinem Rappen bei mir gewesen, seinen Säbel schwingend, durch die Reihen der Angreifer galoppierend. Er kämpfte gleich gegen zwei Mann, schlug sie nieder, und brachte sein Pferd dann neben mir zum Stehen.
Ob er abstieg, weiß ich gar nicht mehr.
Was ich noch weiß, war, dass ich lächelte und glücklich war, meinen Freund und Gefährten noch einmal sehen zu können. Einen Freund, der mir mehr bedeutete, als ich es jemals hätte zugeben wollen, wie mir jetzt bewusst wurde.
Der Trost, der mich durchfuhr, als ich ihn sah, ließ mich für einen kurzen Augenblick vergessen, was für Gedanken ich zuvor gehabt hatte und welche Trauer in mir emporgestiegen war, als mir bewusst wurde, dass ich ernsthaft am Bein verletzt worden war.
Ich war ihm so unfassbar dankbar.
Für alles.
Dafür, dass er mir die schweren Stunden voller Heimweh verkürzte, dass er sich meiner annahm, als ich dachte, in meiner Kompanie und sogar im gesamten Militär, niemals wieder glücklich werden zu können. Und ich schätzte ihn zudem noch als angenehmen Gesprächspartner, der meiner Seele etwas Freiraum gab, wenn ich mich mit ihm über die angenehmen Dinge des Lebens unterhalten konnte.
Er war das Letzte, was ich auf unserem Feldzug sah, und er war das Erste, was ich erblickte, als ich im Lazarett aus meinen Fieberträumen erwachte …
„Es ist eine Freude, Sie zu sehen, Doktor Watson“, begrüßte mich Mrs. Hudson, nachdem ich zaghaft an die Tür geklopft und gefragt hatte: „Ist er da?“
„Seit Tagen hat er das Haus schon nicht mehr verlassen“, klagte meine ehemalige Haushälterin mir ihr Leid, und warf einen besorgten Blick die Treppe hinauf, die zu unserer ehemals gemeinsamen Wohnung führte. „Ich fürchte, er hat mal wieder einen seiner vielen Anfälle von Melancholie.“
„Es ist schon schwer, das bedeutendste Genie des englischen Empires zu sein“, konnte ich mir meinen bissigen Spott nicht verkneifen.
„Er wird sich aber freuen, Sie zu sehen, da bin ich mir sicher. Ich mache Ihnen gleich ein paar Sandwiches, wenn Sie möchten und Tee brühe ich auch noch frisch auf.“
„Sie sind ein Engel Mrs. Hudson! So, wie immer.“
Die alte, resolute Dame, die uns vor so vielen Jahren Räume in der Bakerstreet 221b zur Verfügung gestellt hatte, lächelte mich freundschaftlich an und versprach mir, mit den Stärkungen so schnell wie möglich bei uns zu sein.
In der Zwischenzeit stieg ich die Treppe empor, klopfte kurz an und wurde sofort von einer knarrenden, vom vielen Tabak ganz trocken gewordenen Stimme begrüßt: „Ah, Watson, eine Ehre, Sie mal wieder hier begrüßen zu dürfen. Wie ich sehe, waren Sie auf Reisen. In Sussex, um genau zu sein!“
„Holmes“, meinte ich lachend, während ich den Mantel, den ich getragen hatte, abstreifte und an den davor vorgesehenen Haken hängte. „Wie immer überraschen Sie mich. Aber woher …?“
„Zur Auflösung meiner kleinen Beobachtung kommen wir gleich. Watson. Setzen Sie sich doch.“
„Wenn ich einen Platz finde“, gab ich missmutig von mir, während ich mich in dem unaufgeräumten, von unzähligen Büchern, Folianten und angefangenen und beendeten Experimenten vollgestellten Zimmer umsah.
Unordnung, das wusste ich, hatte Holmes noch nie gekümmert. Immer hatte er etwas nachzulesen, auszuprobieren oder schlicht und ergreifend keine Lust, das von ihm angerichtete Chaos zu beseitigen.
„In Sussex herrschte wohl Disziplin und Ordnung“, ließ Holmes sich nicht nehmen zu sagen, und zog wieder an seiner Pfeife, um den würzigen Geruch des Tabaks dann im Raum zu verteilen. „Wie es sich für ein Landgut gehört, auf dem das Militär das Regime führt.“
„Holmes!“
Mein Freund lächelte wieder.
Er schlug die knöchernen Beine übereinander, während er mich aus seinen zusammengekniffenen Augen weiter musterte und betrachtete. Als ich mich schon unwohl in meiner Haut zu fühlen begann – ich hatte mittlerweile einen Platz auf meinem angestammten Sessel gefunden, nachdem ich die darauf liegenden Bücher und Briefe einfach auf den vor mir stehenden Tisch platziert hatte – meinte er: „Was hat Sie denn in die Vergangenheit getrieben, Watson?“
„Können Sie mir jetzt endlich sagen, wie Sie darauf kommen, dass ich in Sussex gewesen bin und dass ich dort jemanden besucht habe, der beim Militär gedient hat und dass ich mich mit meiner Vergangenheit beschäftigt habe?“
„Es ist ganz einfach“, erklärte Holmes, der sich vorbeugte und seinem scharf geschnittenen Profil dadurch das Aussehen eines sich auf Beute herabstürzenden Adlers verlieh. „Fangen wir mit Sussex an.“ Er lachte, als er meine zusammengekniffenen Augen sah, die einen kritischen Blick auf mein Schuhwerk warfen. „Nein, nein, weder an dem Straßenstaub noch an den Lehmspritzern an ihren Sohlen oder auf dem Leder ist mir gewahr geworden, wo Sie gewesen sind. Es ist viel banaler und einfacher. Ich habe die Zeitung gesehen, die Sie mit sich führen. Es handelt sich dabei um ein Blatt, das man überwiegend in West Sussex liest. Daher meine Schlussfolgerung, dass Sie in Sussex waren. Außerdem, und das war nun wirklich nicht schwer zu erraten, haben Sie sich mit Ihrer Vergangenheit beschäftigt … das konnte ich ganz klar an Ihren Handschuhen sehen.“
„An meinen Handschuhen?“
„An Ihren Handschuhen, ja.“
Holmes, der sich nun in seinen Sessel zurückfallen ließ, lächelte mir aufmunternd zu, so als wolle er mir die Chance geben, selbst auf die Lösung des Rätsels zu kommen. Ich aber, ganz nach alter Gewohnheit, schlug nur die Beine übereinander, strich die Falten aus meinem Hemd, und schaute auffordernd zu meinem Freund.
Dieser nickte schließlich, als er verstand, dass ich mich von ihm überraschen lassen wollte.
„Na gut“, sagte er daraufhin. „Ihre Handschuhe stammen noch aus ihrer Zeit vom Militär. Handschuhe, die Sie immer nur dann tragen, wenn Sie sich mit alten Kameraden treffen, oder es irgendwo eine Militärparade zu bestaunen gibt. Zurzeit findet aber keine Parade, eine Gedenkfeier oder sonstiges statt, worauf Sie Ihre militärische Aufmerksamkeit lenken könnten. Also nehme ich mal an, dass Sie sich mit Ihrer Vergangenheit beschäftigt haben. Eine Vergangenheit, die Sie wieder nach Afghanistan zurückgebracht hat. Und damit zu einem Freund, der mit Ihnen gemeinsam gedient hat. Mehr steckt nicht dahinter, Watson.“
„Für Sie nicht, nein“, entgegnete ich und schüttelte den Kopf, da Holmes mit allem, was er gesagt hatte, mitten ins Schwarze getroffen hatte.
„Sie machen sich Sorgen um Ihren Freund“, holte er weiter aus. „Schwere Sorgen.“
„Auch das stimmt. Aber woher wissen Sie das? Liegt meine Stirn in Falten oder habe ich mich auffällig geräuspert?“
„Weder das eine noch das andere. Sie haben offenkundig Sorgen, weil Ihr Weg Sie geradewegs vom Bahnhof hierher zu mir geführt hat. Sie waren noch gar nicht zu Hause. Denn wären Sie es gewesen, wäre Ihre Kleidung jetzt in einem tadellosen Zustand. Ihre Frau legt immer sehr viel Wert darauf“, erinnerte mich Holmes.
Er konnte es nicht unterlassen, mich mit seinem tadelnden Blick, den ich nur zu gut kannte, zu streifen.
„Nein, Holmes“, sagte ich. „Ich werde nicht zurechtgestutzt oder irgendwelcher Privilegien beschnitten. Ich mag es, dass Mary aus mir einen eleganten und vornehmen Mann macht. Ich sehe gern gut für meine Frau aus.“
„Sie sind wie ein kastrierter Hund, der gern möchte, aber einfach nicht mehr kann“, antwortete Holmes, wedelte mit der Hand durch die Luft und kam dann, ohne dass er meinen Protest zur Kenntnis nahm, auf mein eigentliches Anliegen zurück. „Also, Watson, was ist es, was Sie zu mir treibt? Was ist in Sussex geschehen?“
Gerade als ich sagte: „Es geht um meinen Freund Birmingham“, öffnete Mrs. Hudson die Tür und brachte ein silbern glänzendes Tablett herein, auf dem Gurken-Sandwiches und Marmeladen-Brote lagen. Dazu servierte sie uns schwarzen Tee. Sie warf Holmes einen tadelnden Blick zu und sagte: „Hier sieht es, gelinde gesagt, sehr wüst aus, Mister Holmes.“
„Ich weiß“, entgegnete dieser knapp und griff nach einem Sandwich.
„Aber Sie gedenken nicht, aufzuräumen?“
„Nicht jetzt“, antwortete er, zeigte mit dem angebissenen Sandwich auf mich und sagte, während er herunterschluckte: „Sie wollten mir doch gerade etwas über Birmingham erzählen.“