Jules Vernes Kapitän Nemo - Neue Abenteuer 08: Tödliches Hongkong - Thomas Tippner - E-Book

Jules Vernes Kapitän Nemo - Neue Abenteuer 08: Tödliches Hongkong E-Book

Thomas Tippner

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Beschreibung

Der Tiger von Batavia ist besiegt. In der Hoffnung, ein altes Netzwerk wiederbeleben zu können, flüchtet er nach Hongkong. Kapitän Nemo folgt ihm mit der Nautilus.In Hongkong angekommen, steht Nemo plötzlich einem Feind gegenüber, mit dem er nicht gerechnet hat. Er wird selbst zum Gejagten.

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Seitenzahl: 148

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Thomas TippnerTÖDLICHES HONGKONG

In dieser Reihe bisher erschienen

1701 Tötet Nemo!

1702 Das Vermächtnis der Eissphinx

1703 Der Gott von Amazonien

1704 Krakatau stirbt

1705 Kurs auf die Kokos-Inseln

1706 Die Station unter dem Eis

1707 Der Tiger von Batavia

1708 Tödliches Hongkong

1709 Landgang

Thomas Tippner

Tödliches Hongkong

Neue Abenteuer der NautilusBand 8

Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt.Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.© 2023 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Mario Heyer/123RFUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-965-2

Kapitel 1 – Der Tiger ist gezähmt

4. Oktober 1883

Im Hafenviertel von Hongkong

Gegen 16:00 Uhr

Wang Hu hasste es, wie ein Hund gehalten zu werden.

Als er gestern Abend mit der HONGKONG QUEEN im Hafen eingelaufen war, hatte er nicht damit gerechnet, so behandelt zu werden. Natürlich, er wusste, dass er eine empfindliche Niederlage eingesteckt hatte. Der Verlust seiner Zuckerrohrplantage, der damit einhergehende Aufstand, seine halsbrecherische Flucht und seine Ankunft hier in Hongkong waren für seinen Ruf nicht erträglich gewesen. Jetzt aber hier zu sitzen, in diesem kleinen, verstaubten Zimmer, den Geruch der Straße in der Nase und nichts weiter als lieblos in heißem Wasser aufgequollenen Reis vor sich, zeigte ihm die Ausweglosigkeit seines Tuns.

Am liebsten hätte er gekämpft.

Noch einmal all seine Kräfte mobilisiert, seine Kontakte spielen lassen und mit aller ihm zur Verfügung stehenden Macht versucht, dem Unabwendbaren doch noch einmal eine neue Wendung zu geben.

Was mir nicht gegeben ist, dachte er, und verfluchte seine eigene Gier nach dem Geheimnis der Nautilus.

Er hatte alles auf eine Karte gesetzt, als er einen Teil der Mannschaft des geheimnisvollen Schiffs in seine Gewalt brachte und sich sicher gewesen war, endlich seinem innersten Traum ein Stückchen näher zu kommen.

Wang Hu seufzte.

Er schob die kleine hölzerne Schale bis zum Rand des Tisches und schaute missmutig hin zu der noch immer geschlossenen Tür. Dabei war er überzeugt gewesen, als er Li Hao aussandte, um zu berichten, dass Wang Hu, der Tiger von Batavia, in Hongkong eingetroffen war, alles schneller geschehen und passieren würde.

Er hatte felsenfest damit gerechnet, dass seine Kontakte schneller reagieren würden.

Li Hao hatte ihm nur, als er zum Hafen zurückkehrte, gesagt, dass Wang Hu sich in der schäbigen, heruntergekommenen Hafenspelunke Beim ­Tintenfisch einfinden solle.

„Jemand wird kommen und Euch besuchen, wurde mir gesagt. Nur wenige Stunden Geduld, Gebieter.“

Die er aufbrachte.

Jetzt aber, fast vierundzwanzig Stunden später, saß er noch immer hier fest und wünschte sich, dass seine eigenen Agenten zuverlässiger gewesen wären. Er hatte gewusst, dass sein gesponnenes Netz angefangen hatte, Löcher zu bekommen. Aber niemals im Leben hatte er damit gerechnet, dass die Männer, denen er Monat für Monat ihren Lohn zahlte, ihn so hängen lassen würden.

Ich habe mich von meiner Macht in Batavia blenden lassen, dachte er, und klopfte mit den Fingerspitzen auf der Tischkante einen unrhythmischen Takt. Ich habe viel erreicht, ja. Aber meine Augen waren zu sehr auf meine Sklaven, den Hafen und die Plantage gerichtet. Dabei hätte ich weiter ­Hongkong im Auge behalten sollen.

Hongkong und Bik Xingshi.

Ich ...

„Gebieter?“, riss ihn Li Hao aus den Gedanken.

Wang schaute auf, blinzelte, und fragte ungeduldig: „Was? Gibt es Nachrichten?“

„Nicht von Xingshi.“

„Sondern?“

„Ein Mädchen hat mir diesen Zettel hier gegeben, mit der ausdrücklichen Anweisung, dass Ihr ihn lesen sollt.“

Wang nahm das dargereichte Stück Papier entgegen, das er, ohne Li Hao aus den Augen zu lassen, auseinanderfaltete und mit in Falten gelegter Stirn las: Europäer sind in der Stadt. Unterschiedlichster Kulturen. Sie haben in Erfahrung gebracht, dass Beim Tintenfisch Männer abgestiegen sind, auf die Eure Beschreibungen passen.

„Und, Herr?“

„Mehr gab es nicht?“

Li Hao schüttelte den Kopf, machte einen verwunderten Gesichtsausdruck und schien nicht verstehen zu wollen, was sein Herr von ihm wollte.

„Keine mündliche Nachricht? Keinen Hinweis, dass wir einen anderen Ort aufsuchen sollten?“

„Nein, Herr. Das Mädchen gab mir nur den Zettel und verschwand wieder. Ist es nicht gut, was dort geschrieben steht?“

„Da steht geschrieben, dass wir auf uns allein gestellt sind, Li. Gib mir die Waffen, die wir von Bord mitgenommen haben. Besorg dir auch was zur Verteidigung. Unser Weg zu Xingshi kann blutig werden.“

*

O’Leary leckte sich nervös über die Lippen. Er hatte sich an den Rand der Häuserwand geschoben und einen kurzen Blick in die enge, vor ihm liegende Gasse geworfen. Fremdartige Gerüche lagen ihm ebenso in der Nase, wie ihm merkwürdig klingende Laute entgegenwehten, die ihm noch immer schwerfielen, als Worte zu identifizieren. Natürlich wusste er, seitdem er sich der Nautilus angeschlossen hatte, wie viele farbenprächtige, wunderschöne und zum Träumen einladende Plätze es auf der Erde gab. Dazu bevölkert von den faszinierendsten Menschen und Kulturen, wie er sie noch nie in seinem Leben vorher kennengelernt hatte.

Jetzt aber, wo er hier stand, im abendlichen ­Hongkong, klangen die ihm entgegenwehenden Worte bedrohlich.

Er zuckte mit den Schultern, als er den Kopf drehte und in das Gesicht seines Mannschaftskameraden Vasquez schaute. Der klein gewachsene Mexikaner mit den dunklen, beinahe schon schwarzen Augen formte lautlos mit den Lippen: „Und?“, und zog die buschigen Augenbrauen kraus, als er wie O’Leary mit den Schultern zuckte.

„Frauen und Kinder halten sich in der Gasse auf“, murmelte er, glitt an der Wand seinem Kameraden entgegen, und spürte die erneute, nach ihm greifende Unsicherheit in sich aufsteigen.

„Aber das Gasthaus ist zu sehen?“

O’Leary nickte.

„Keine Aktivitäten?“

„Ich kann keine ausmachen. Nachdem der kleine Chinese ins Haus gegangen ist, ist keiner mehr heraus­gekommen. Gib Bescheid, dass an der Vorder­front keinerlei Auffälligkeiten zu beobachten sind.“

„Lass dich nicht entführen, wenn ich weg bin, klar?“

O’Leary machte ein verkniffenes Gesicht. Er wusste, worauf der Mexikaner anspielte. In seinem letzten Abenteuer hatte O’Leary es nur mit Müh und Not geschafft, den Häschern des Tigers von Batavia zu entkommen. Wäre es ihm nicht geglückt, wären womöglich die Geheimnisse der Nautilus in die falschen Hände gefallen, und ihre Hoffnung auf ein friedliches Leben wäre abrupt zum Stoppen gekommen.

„Ich weiß mich zu wehren.“

„Bin gleich wieder da“, nickte Vasquez und huschte davon, die Gasse hinunter.

O’Leary blieb zurück ...

... mit einem unguten Gefühl im Magen.

Hier stimmte etwas nicht.

*

Li Hao huschte durch das im Abendlicht daliegende Hongkong. Das ungute Gefühl, das ihn beschlichen hatte, als das kleine, dunkelhaarige Mädchen auf ihn zugekommen war und ihm schweigsam ein abgerissenes Stück Papier in die Hand drückte, verstärkte sich, nachdem er die Worte seines Meisters gehört hatte. Li Hao hatte gewusst, dass es nicht gut für sie ausgehen würde, als sie Batavia verließen. Es war ihm bewusst gewesen, dass sie nicht auf einer kurzen Reise waren, um die Güter und Reichtümer seines Herrn zu bewundern. Als Wang Hu beinahe fluchtartig aufs Schiff gestürmt war, er sein Ziel nannte, waren die ersten Zweifel in Li aufgestiegen.

Jetzt spürte er etwas anderes neben dem Adrenalin durch seinen Körper pumpen.

Panik!

Sie hatte sich in ihm festgesetzt; festgeklammert, wenn man so wollte, und ließ seine Gedanken rasend schnell durch seinen Kopf schießen. Sie waren hastig, kaum noch voneinander zu trennen und einen wirklichen Sinn in ihnen erkannte er auch nicht mehr. Das, was ihm eindrucksvoll im Gedächtnis blieb, war, dass sich einzelne Worte wieder und wieder wiederholten.

Retten! Dich! Verloren!

In welchem Zusammenhang sie standen, warum sie in ihm aufflammten wie loderndes Feuer bei Nacht, erschloss sich ihm nicht.

Er begriff nur, dass er sich bei jedem Schritt, den er tat, umschaute.

Li atmete erst erleichtert aus, als er aus dem Wirrwarr der engen Gassen heraus auf den sich in der Bucht von Hongkong ausbreitenden Hafen trat. Dorthin, wo er sein Schiff selbst gelenkt und dem Rest der Mannschaft befohlen hatte, ihre Posten nicht zu verlassen.

Landgang, das hatte er ihnen gesagt, sei verboten. Übertrat jemand den Befehl, hatte er mit mehr zu rechnen, als auf seinen Rücken knallende, die Haut von den Knochen fetzende Peitschenhiebe.

Gestern noch, als er diese Warnung ausstieß, er seine Männer einen nach dem anderen fest ins Auge nahm, war da nur ein kurzer Moment der inneren Überzeugung in ihm aufgestiegen, Herr der Lage zu sein. Schon als er sich von seinen Männern wegdrehte, er sich seinem Meister zuwandte, hatte er den unangenehmen Druck im Magen verspürt, der ihn glauben ließ, gleich auf die Toilette gehen zu müssen.

Jetzt an Bord zurückzukehren, dabei einen Blick in den Augen, der an ein verfolgtes Tier erinnerte, schmeckte ihm nicht.

Aber je länger er durch Hongkong lief, er sich sicher war, das unausweichliche Tickticktick von schnell auf die Straße gesetzten Schritte möglicher Verfolger zu hören, war es ihm beinahe egal, wie er auf die HONGKONG zurückkehrte.

Hauptsache, er war wieder an Bord.

Als er die Hand nach dem Strick ausstreckte, die die Planke flankierte, atmete er erleichtert aus.

Auch in dem Moment, als er seinem ersten Offizier begegnete, meinte er, so etwas wie sichere Heimat in sich zu fühlen. Er legte dem untersetzten, schmallippigen Mann die Hand auf die Schulter und raunte ihm zu: „Bring die Mannschaft zusammen“, und nickte sich dann selbst zu.

Er eilte schnellen Schritts zu seiner Kabine, zog die Tür auf, und war verwundert darüber, dass die Öllampe brannte, die er immer auf seinem kleinen Sekretär platzierte, wenn er die Logbucheinträge notierte.

Auch verwirrte ihn, als er sich seinem Bett zuwandte und zu der von malerischer Hand verzierten Kiste starrte, dass der Deckel sperrangelweit offen stand.

Er hatte sie verschlossen.

Li wusste das.

Er verriegelte sie immer, weil er nicht nur private Korrespondenzen in ihr aufbewahrte, sondern auch seinen vor gut vier Jahren erworbenen, sechs­schüssigen Revolver Marke Smith & Wesson. Li hatte ihn von einem fahrenden, abgebrannten und dem Alkohol zugeneigten Weißen abgekauft, der damals aus den Staaten versucht hatte, in Batavia auf die Beine zu kommen.

Dass er außer Schulden, Verpflichtungen und Unheil nichts Weiteres zustande gebracht hatte, war Lis Glück gewesen.

Schon immer hatte er mit einem Auge gen Westen geschielt. Dorthin, wo der Goldrausch ausgebrochen war, in das Land, wo man mit schierer Willenskraft von Ost nach West eine Bahntrasse verlegte und, ohne mit der Wimper zu zucken, Patente und Ideen zuließ und verwirklichte, dass man meinen konnte, die traumhaft geschilderten Verhältnisse von der Möglichkeit der persönlichen Unabhängigkeit gäbe es wirklich.

Er stürmte auf die Truhe zu.

Mit Entsetzen stellte er fest, dass der Revolver mit dem elfenbeinernen Griff und den in den Lauf ­eingelassenen Gravuren ebenso verschwunden war wie das dort gehortete Geld und seine eigenhändig verfassten Briefe.

Als er auf die Knie sank, er mit den Händen auf dem Boden der Kiste herumtastete, er sich über­zeugen musste, dass seine Augen ihm keinen Streich spielten, klang hinter ihm ein Geräusch auf.

„Kapitän“, sagte eine ihm vertraute und doch jetzt fremd im Ohr klingende Stimme.

Li drehte den Kopf.

Er schaute über die Schulter hinweg zu seinem ersten Offizier. Der stand da, das Gesicht zu einer starren Maske verkommen, in der Li nicht eine Sekunde auch nur ein kurzes Zucken einer Emotion erkennen konnte.

Li richtete sich nicht auf.

Obwohl ihm sein Herz bis zum Hals schlug, er das Gefühl hatte, als würde ihm mehrmals schnell hinter­einander in den Magen geschlagen, versuchte er, sich seine Angst nicht anmerken zu lassen. Was ihn störte – nein, was ihn ärgerte – war, dass er spürte, wie auf seiner Stirn ebenso Schweißperlen zu sehen waren wie auf seinen Wangen und dem Hals.

„Meuterei“, flüsterte er.

Sein erster Offizier schüttelte den Kopf.

„Nein, keine Meuterei.“

„Sondern?“

„Ein neuer Eigner“, sagte jemand hinter dem ersten Offizier, trat in die Kapitänskajüte und lächelte kalt.

Li schluckte.

Vor ihm stand der Schatten von Hongkong.

*

Opiumhöhlen waren die Hölle.

Nemo wusste das.

Auch wenn er selbst noch nicht mit dem berauschenden Mittel in Berührung gekommen war, hatte er dennoch die Auswirkungen der Droge mit­erleben müssen. Auch wenn er sich nur ungern daran erinnerte, wie ein damaliger Freund von ihm erst nur ein-, zweimal die Woche ein Pfeifchen rauchte, um dann täglich mehrere zu konsumieren, waren die Bilder jetzt doch wieder da. Auch wenn er sich dagegen wehrte, dass die Szenen von einst wieder in seinem Verstand auftauchten, konnte er das eingefallene, bleiche Gesicht seines Freunds deutlich wieder sehen, während er auf den vor ihm liegenden Mann starrte. Ein kleiner, abgemagerter Mann, dessen Augen leer wirkten. Keinerlei Leben schien mehr in ihnen zu herrschen. Der Nemo immer faszinierende und manchmal verwirrende Schimmer des Lebens war dem da auf der Liege liegenden Mann völlig abhandengekommen. Ebenso sein Gefühl für Zeit und Raum. Immer wieder hob er die Hand, betrachtete seine gespreizten Finger und schien das durchfallende, spärliche Licht zu bewundern.

Der neben Nemo sitzende Job rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Er schaute sich jedes Mal wieder unbeholfen um, wenn er von irgendwo her den Ruf: „Noch eine Pfeife“, oder: „Mehr, ich brauche mehr“, hörte.

Nemo, der dem Eingang der Opiumhöhle genau gegenübersaß, versuchte, in dem angespannten Gesicht seines neuesten Crewmitglieds zu lesen. Er wusste, dass er ein Risiko eingegangen war, als er Job und seinem ehemaligen Kapitän, Simons, angeboten hatte, der Crew der Nautilus beizutreten.

Aber in dem Moment, als er den abgekämpften Job gesehen hatte, als dieser vor dem Tiger von ­Batavia floh, und es geschafft hatte, sich gegen mehrere Häscher durchzusetzen, war in ihm die Überzeugung gereift, dass der Mann da vor ihm eine Bereicherung sein konnte.

Darum hatte er ihn mit auf die Mission genommen.

Nemo wollte sich von Job überzeugen.

Der junge, blonde Mann, in dessen Augen immer wieder, wenn er sich unbeobachtet fühlte, ein dumpfer, trauriger Ausdruck ehrlich empfundenen Leids trat, erinnerte Nemo an sich selbst. Auch er hatte in der Vergangenheit viele schwere Erfahrungen machen müssen.

Erfahrungen, auf die er am liebsten verzichtet hätte.

„Es gibt ein Hinterzimmer“, murmelte Job leise, als er sich in seinem alten, schiefen Stuhl zurücklehnte, und dabei das Holz ächzen und knarren ließ. „Eben sind zwei Damen durch einen Seiteneingang eingetreten und sind hinter den Tresen gehuscht.“

„Das Mädchen?“

„Habe ich nicht gesehen.“

„Sie muss hier sein“, murmelte Nemo, der mit eigenen Augen gesehen hatte, wie das Mädchen Li die Nachricht in die Hände gedrückt hatte und dann in dem dichten Gewirr auf den Straßen Hongkongs zu verschwinden drohte. Aus einem Zufall heraus hatte er sie wiederentdeckt, als sie sich hinter einem mit Lauge gefüllten Fass aufrichtete, und dann eiligen Schritts hierher in die Opiumhöhle Tigerträume getreten war.

Nemo war, in die Aufmachung eines einfachen Landgängers gehüllt, ihr dann mit Job hinterher.

Im Inneren der Tigerträume war ihm die Spur dann abgerissen.

Dabei hatte er wissen wollen, für wen das Mädchen arbeitete.

Sein erster Verdacht, sie würde mit Wang Hu oder einem seiner Vertrauten hier in Hongkong arbeiten, hatte sich schnell zerschlagen. Denn in dem Moment, als sie Li den Zettel reichte, hatte der sich suchend umgeschaut, und war dann, sichtlich erschrocken, zurück in die Absteige Beim Tintenfisch gegangen.

Hätte jemand Wang oder gar Li Schutz bieten wollen, wäre ihm jemand nachgegangen oder hätte dafür gesorgt, dass es irgendwo einen Posten gab, der genau beobachtete, ob die beiden aus Batavia geflohenen Männer verfolgt wurden.

„Das Haus hat mehr als ein Stockwerk“, erinnerte Job.

„Die wir nicht ohne Weiteres betreten können“, erwiderte Nemo, der fieberhaft überlegte, ob er sich als Fassadenkletterer betätigen sollte. Kam er zu einem der hier agierenden Hintermänner, würde er herausfinden, zu wem Wang Hu wollte. Hatte er den Mann oder die Frau erst einmal gestellt, konnte er alles in seiner Macht Stehende unternehmen, um ein weiteres Syndikat zu sprengen.

„Ich kann Unruhe stiften“, bot Job an. „Ich gerate mit Ihnen in Streit, weil Sie mir keine Pfeife ausgeben wollen.“

„Ein Ablenkungsmanöver?“

„Schläge von groben Kerlen kann ich einstecken“, erinnerte Job Nemo grimmig daran, dass er für wenige Tage auf einer Sklavenplantage Zuckerrohr geschlagen hatte und vor seiner Entführung der Folter der einzelnen Wassertropfen ausgesetzt gewesen war. „Ich würde es für die Mission tun. Für Sie.“

„Wir haben nur einen Versuch“, mahnte Nemo.

„Dann sollten wir ihn nutzen!“

Ohne Vorwarnung räumte Job die vor ihm auf dem Tisch liegende Opiumpfeife und die ebenso mit Sake gefüllten Becher ab. Er sprang schwungvoll auf, zeigte mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf Nemo und schrie: „Wenn du mir meinen Sold nicht auszahlen solltest, schmieriger Halunke, werde ich dir mein Messer in die Rippen jagen. Darauf kannst du Gift nehmen!“

„Deinen Sold hast du längst bekommen und in das Opium hier investiert!“

„Eine Anzahlung war das, mehr nicht!“

Mit diesen Worten warf Job sich nach vorne, packte Nemo am Kragen seines schmuddeligen Hemdes und zog ihn erst halb über den Tisch, um ihn dann mit einer nie für möglich gehaltenen Kraft Richtung Tresen zu schleudern.

Nemo stolperte, als er gegen das aus der Liege ragende Bein des Mannes stieß. Er keuchte, als er beim Taumeln gegen eine junge Frau stieß, die auf einem schmutzig wirkenden Tablett drei weitere Opiumpfeifen an irgendwelche Kunden bringen wollte. Sie schrie ebenso, wie Nemo keuchte.

Als sie die Arme in die Luft riss, das Tablett ihr aus den Händen rutschte, ging Nemo in die Knie und sah den wütend stampfenden Job auf sie zukommen. Der schubste beim Vorbeigehen zwei schwankende, völlig berauschte Männer schwungvoll beiseite und schleuderte sie gegen einen Wache stehenden Mann sowie in eine Nische, in der ein Europäer lag und sich seinem Rausch hingab.