Jules Vernes Kapitän Nemo - Neue Abenteuer 09: Landgang - Thomas Tippner - E-Book

Jules Vernes Kapitän Nemo - Neue Abenteuer 09: Landgang E-Book

Thomas Tippner

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Beschreibung

Nemo gerät mit seiner Mannschaft und der Nautilus in bedrohliche Turbulenzen. Als der Kapitän begreift, dass es einen Verräter an Bord gibt, ist es bereits zu spät. Und eine rettende Insel im Meer birgt ein grausames Geheimnis.

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Thomas TippnerLANDGANG

In dieser Reihe bisher erschienen

1701 Tötet Nemo!

1702 Das Vermächtnis der Eissphinx

1703 Der Gott von Amazonien

1704 Krakatau stirbt

1705 Kurs auf die Kokos-Inseln

1706 Die Station unter dem Eis

1707 Der Tiger von Batavia

1708 Tödliches Hongkong

1709 Landgang

Thomas Tippner

Landgang

Neue Abenteuer der NautilusBand 9

Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt.Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.© 2023 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Mario Heyer/123RFUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-966-9

Kapitel 1 – Streit

8. Oktober 1883

Auf der Nautilus, auf dem Weg zum Atlantischen Ozean

Gegen 10:00 Uhr

„Ich wusste nicht, dass ich Sie hereingebeten habe, Doktor“, meinte Nemo, ohne den Kopf zu heben, während er sich weiterhin auf die vor ihm aus­gebreiteten Karten konzentrierte.

„Ich habe auch nicht um Einlass gebeten“, erwiderte Vandersteen, der an den Tisch herangetreten war, an dem Nemo saß, und es nicht für nötig hielt, auch nur ein Wort der Begrüßung zu verlieren.

Was Vandersteen maßlos ärgerte.

Am liebsten wäre er damit herausgeplatzt, was ihm auf dem Herzen lag. Er wollte ohne Umschweife anfangen, mit Nemo zu reden und ihm knallhart auf den Kopf zuzusagen, was ihn störte und wie er sich zurzeit fühlte.

Nur um dann den in sich aufsteigenden Gedanken zu unterdrücken, der ihn anheizte, endlich aus der Haut zu fahren. Er musste sich zurückhalten und musste versuchen, weiterhin besonnen und überlegt zu handeln.

Tat er es nicht, da war er sich sicher, würde die Situation auf der Nautilus unweigerlich eskalieren.

Aus diesem Grund kämpfte er all seine in ihm aufwallenden und wie wild durcheinanderwirbelnden Gedanken nieder. Er ließ es nicht zu, dass seine von Zorn getriebenen Emotionen ihm zuschrien: Sag ihm, dass er euch hängen lässt. Sag ihm, dass er zu streng ist. Sag ihm, dass er dich in Situationen bringt, in denen du dich nicht wohlfühlst. Sag ihm endlich, dass du der Meinung bist, dass die Nautilus dabei ist, gute Männer zu verlieren.

So gern er genau das getan hätte und sich, ohne einen Gedanken zu verschwenden, in ein verbales Duell mit Nemo gestürzt hätte, gab er seiner Vernunft Vorzug. Die, die ihm zuflüsterte, leise, einfühlsam und all seine Arztwürde stimulierend: Nur mit einer ausgewogenen und sicheren Diagnostik kann man eine bestimmende Aussage treffen. Spekulierst du nur, verlierst du dich im Nirgendwo der Krankheiten und Symptome.

„Unhöflich“, kommentierte Nemo und riss Vandersteen aus seinen Gedanken. Alle eben noch mühsam zurückgehaltenen Empfindungen lösten sich, als wäre ein innerer Knoten in ihm geplatzt.

„Wie der Kapitän, so die Crew.“

„Wie meinen Sie das?“

„So, wie ich es gesagt habe“, polterte Vandersteen, der seinen Blick nicht von dem noch immer wie regungslos dasitzenden, seine Augen auf die vor ihm ausgebreiteten Karten gerichteten Nemo abwenden konnte. „Wir müssen dringend miteinander reden. Jetzt“, schob er hinterher, weil er sich nur zu gut daran erinnerte, wie er bei höflichen Versuchen, mit dem Kapitän zu sprechen, jedes Mal brüsk abgewiesen worden war. „Tun wir es nicht, werde ich meine Autorität und Befugnis als Schiffsarzt zur Geltung bringen und ...“

„... und was, Doktor?“, fragte Nemo, der seinen Finger auf einen Punkt auf der Karte setzte, und sich das erste Mal dazu bequemte, aufzuschauen. In seinen dunklen Augen, die Vandersteen bisher immer als faszinierend, interessant und tiefgründig angesehen hatte, lag jetzt ein Blitzen ehrlich empfundenen Unverständnisses. Die Lippen, von einem feinsäuberlich gestutzten Bart umrahmt, zeigten weder ein Lächeln noch eine andere Emotion. Das, was Vandersteen aus dem ihn regungslos anstarrenden Gesicht erkennen konnte, war nichts anderes als die Ungeduld eines getriebenen Mannes, der sich nur mit Mühe zurückhalten konnte, nicht aus der Haut zu fahren.

So wie ich, dachte er und holte tief Luft, als er seinen Mut suchte, um zu sagen: „Ich würde Ihnen befehlen, alle Maschinen zu stoppen.“

Nemo zog die Augenbrauen kraus.

Vandersteen nickte und sagte: „Sie haben richtig gehört. Ich würde von meinem Recht Gebrauch machen und ...“

„Sie überschreiten Ihre Kompetenzen“, meinte Nemo.

„Das tue ich nicht.“

„Die Nautilus steht unter meinem Befehl.“

„Droht der Mannschaft aber gesundheitliche Gefahr, oder können Schäden von den Männern nicht mehr abgewehrt werden, obliegt mir sehr wohl das Recht, den Schiffsbetrieb einzustellen.“

„Warum sollten Sie das tun wollen?“

„Um die Mannschaft zu schützen.“

„Wovor?“

„Sich zu verausgaben!“

Nemo zog erneut die Augenbrauen kraus zusammen. Er musterte den vor ihm stehenden Vander­steen und versuchte, wie es schien, all seine in ihm aufkommenden Gefühle so weit zu unterdrücken, dass er nicht wie ein Vulkan explodierte. Vander­steen hingegen, der merkte, wie ihn die uneinsichtige Art seines Kapitäns mehr und mehr auf die Palme zu bringen begann, schaffte es nicht, sein Gesicht darin zu hindern, zu sagen, was ihm gerade durch seinen Kopf ging.

Er schüttelte diesen, schnaubte und fügte dann, weil Nemo offenbar nichts zu sagen hatte, wie es schien, hinzu: „Wir haben schwer verletzte Männer an Bord. Ob O’Leary es schafft, steht noch immer in den Sternen.“

„Sie haben die besten medizinischen Apparaturen zur Verfügung. Wissen, das unermesslich ist, finden Sie in meinen Bibliotheken. Sie sollten alle Möglichkeiten besitzen, um den Matrosen ...“

„Unser Abenteuer in Hongkong war körperlich, geistig und seelisch überaus anstrengend. Einige Mitglieder der Crew kommen nicht dazu, sich ausreichend zu regenerieren“, platzte es aus Vander­steen hervor. Dabei nahm er keinerlei Rücksicht darauf, dass er Nemo einfach ins Wort fiel.

Sein Anliegen, die Mannschaft zu schützen, den Männern Ruhe zu gönnen und ihnen die Erholung zu verschaffen, die ihnen zustand, hatte für ihn oberste Priorität. Jetzt hier zu stehen und mit einem verbohrten, wie verwandelt wirkenden Nemo über das Für und Wider seiner Kompetenzen zu streiten, setzte ihm enorm zu. Er wollte am liebsten mit der geballten Faust auf den Tisch hauen, Nemo ins Gesicht brüllen, dass er aus seinen eigenen, düsteren Gedankenwelten zurückkehren sollte, um wieder der Kapitän zu sein, der er gewesen war, bevor er in Hongkong angelegt hatte, um den Tiger von Batavia zu erlegen.

Nun aber, seit das Abenteuer überstanden war, Nemo vom Rest der Crew getrennt gewesen war und auf seinen eigenen Wegen wandelte, war etwas mit ihm geschehen. Er hatte merkwürdig abwesend gewirkt, in seinen Gedankenwelten verstrickt und gefangen, und nicht mehr dazu in der Lage, einen klaren, geschweige denn logischen Gedanken zu fassen. Er war wie besessen von einem Thema gewesen: Das Chinesische Meer hinter sich zu lassen, um den Atlantischen Ozean zu erreichen.

Aber warum?

Was war in Hongkong vorgefallen, dass Nemo keinerlei Rücksicht mehr auf seine Männer nahm?

Vandersteen wusste es nicht. In den wenigen, kurzen Unterhaltungen, die sie miteinander geführt hatten, war weder das eine noch das andere zur Sprache gekommen. Nemo hatte sich nur mit einem gleichgültigen Nicken alles berichten lassen, was mit seiner Crew los war. Nach den Berichten war er sofort wieder dazu übergegangen, sich um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern.

Und jetzt diese abstruse, hitzige Diskussion.

Es war absolut verrückt.

Vandersteen rechnete damit, dass Nemo sein eben angeführtes Argument wie üblich mit einer unwirschen, barsch wirkenden Handbewegung beiseite wischen würde. Nur um den Arzt zu über­raschen, indem er fragte: „Wie kommen Sie zu dieser Annahme, Doktor?“

„Weil ich mir meine Patienten anschaue, deshalb!“ Vandersteen wollte am liebsten hinterher schieben: Weil genau das meine Arbeit ist. Doch er ließ es, nicht, weil er sich unwohl fühlte oder der Situation nicht gewachsen. Ganz bestimmt nicht. Er tat es nicht, weil er sah, dass er dabei war, Nemo zu ­provozieren.

Der ansonsten so sachliche, in sich gekehrte und auf Logik ausgerichtete Mann hatte einen Grad der emotionalen Instabilität erreicht, der sich in seinen Augen ebenso widerspiegelte wie in dessen Gesicht. Vandersteen sah, wie Nemos Kiefer mahlte und wie die Muskeln an den Wangen­knochen zuckten.

Sein noch immer auf den einen Punkt auf der Karte liegender Finger beugte sich unter der auf ihn einwirkenden Kraft der Hand.

„Für mich sehen die Männer gut aus.“

„Sie sind erschöpft. Würde es Maherault nicht geben, oder den jungen Job, wären unsere Männer längst wütend und erschöpft zusammengebrochen. Die beiden übernehmen ganz allein die Aufgaben der Verletzten.“

„Also können wir weiter volle Fahrt geben.“

Vandersteen starrte Nemo fassungslos an.

Sein: „Was?“, das ihm über die Lippen sprang, klang selbst in seinen Ohren hektisch, laut und nicht begreifend.

„Sie haben mich sehr wohl verstanden“, sagte Nemo. „Geben Sie Maherault und Job zu verstehen, dass ich über ihre Arbeit sehr erfreut bin und mich bei Gelegenheit persönlich bei ihnen bedanken werde. Guten Tag.“

„Ist das alles?“, wollte Vandersteen fassungslos wissen.

Nemo senkte den Blick und betrachtete wieder die Karte. „Gibt es denn noch etwas?“

„Die Erholung der Crew.“

„Wir haben Australien zu erreichen.“

„Haben wir nicht“, beharrte Vandersteen und schüttelte den Kopf, als er seinen Blick an Nemo vorbei in das Dunkel des Ozeans richtete. Er konnte sehen, wie die schwarze Unterwasserwelt in absoluter Stille an ihnen vorbeizog. Ein plötzliches Gefühl ehrlich empfundener Ohnmacht breitete sich in seinem Kopf aus.

All die Hoffnung, all die ganzen Wünsche, die er in sich hatte aufsteigen spüren, als er ein Mitglied der Nautilus geworden war, verwandelten sich nun zu einem dumpfen, ihn selbst anekelnden Brei aus Abneigung und Enttäuschung.

„Ich werde den Männern freigeben“, versicherte Vandersteen, nachdem er geschluckt hatte und sich überlegte, was er als Nächstes sagen sollte. „Und Sie werden mich nicht daran hindern können.“

„Meuterei“, murmelte Nemo. „Der könnte ich Sie anklagen.“

„Sie ...?“

„Was ich zu gedenken tue, wenn Sie nicht endlich alles in Ihrer Macht Stehende tun werden, um meine Männer wieder auf Vordermann zu bringen. Doktor Vandersteen“, setzte er fort, während er weiterhin die vor ihm liegende Karte studierte, „ich weiß Sie zu schätzen und zweifle weder Ihre Kompetenzen noch Ihr Fachwissen an. Aber versuchen Sie noch einmal, die Nautilus unter Ihre Kontrolle zu bekommen, werde ich mich gezwungen sehen, Saiten aufzuziehen, die ich selbst nicht leiden kann. Haben Sie mich verstanden?“

Vandersteen schwieg.

„Ich habe zu tun“, waren Nemos abschließende Worte und Vandersteen wusste, dass er diese Diskussions­runde verloren hatte.

*

„Hey!“ O’Leary, blass, müde und immer so aussehend, als würde er jeden Augenblick den Kampf mit dem Tod verlieren, erzeugte in Job immer das beklemmende Gefühl von Unsicherheit. Obwohl er bisher mit dem Iren immer gut ausgekommen war und fand, dass dieser ein ausgesprochen guter Kamerad war, kam es ihm jetzt, als er ihn hier so liegen sah, so vor, als schaute er in das Antlitz eines Fremden. Job, der sich erst seit Kurzem auf der Nautilus befand und noch immer nicht genau wusste, wo er seinen Platz hatte, fand, dass er sich irgendwie, bei all dem Stress, dennoch um den schwer verletzten O’Leary kümmern musste. Dieser lag nun schon seit mehreren Tagen hier auf der Krankenstation, in dem hintersten Zimmer, von mehreren schweren Messerstichen verletzt, ohne dass jemand wusste, ob er jemals wieder das Bewusstsein erlangen würde.

Job, der mit seinem leisen, beinahe schon versteckt klingenden: „Hey“, für sich selbst versuchte, die innere Barriere und das Unwohlsein irgendwie zu mildern, schluckte schwer, als er in den Raum trat.

Er hörte das leise Rascheln der mitgeführten Zeitung und dachte in diesem Moment, dass es eine der blödesten Ideen war, die er jemals in seinem Leben gehabt hatte.

Eben noch, als er durch das kleine Archiv gewandert war, den Finger über die einzelnen Buch- und Mappen-Rücken gleitend, auf der Suche nach etwas, das O’Leary gefallen könnte, hatte er den kurzen, aufglimmenden Funken der ihn durchströmenden Motivation gefühlt. Sein Gedanke: Das ist eine gute Idee. Das solltest du machen, hatte ihn angespornt und ihn nach der richtigen und der besten Lektüre suchen lassen, die man einem Mann wie O’Leary vorlesen konnte.

Bei der kurzen Suche und dem plötzlichen Verharren, als er über die Geschichte gestolpert war, die er nun bei sich trug, hatte er gemeint, auf Wolken schweben zu können. Sein Wunsch, sich irgendwie nützlich zu machen – abgesehen von seinem unermüdlichen Dienst am Ruder oder der Navigation – war ins Unermessliche gewachsen.

Er redete zwar mit den anderen Crewmitgliedern, unterhielt sich zwanglos über dieses und jenes, aber die unermüdliche Arbeit, der immerwährende Drang der Leute, die Nautilus ihrem neuen, der Crew unbekannten Ziel entgegenzusteuern, ließ keine wirk­liche Bindung zwischen den Leuten aufkommen. Natürlich war da Vasquez, der treue, lustige Mexikaner, der Job als Erstes in die Mitte der Nautilus aufgenommen hatte. Aber seit ihrem Abenteuer in Hongkong war mit Pablo eine merkwürdige Ver­änderung geschehen. Er hatte sich mit Job einen Trick ausgedacht, wie sie dem englischen Gefängnis entkommen konnten. Aber nach ihrer Flucht und dem Kampf gegen die Soldaten der Krone hatte er sich auf merkwürdige Art und Weise zurück­gezogen. Als Job ihn darauf angesprochen hatte, ob alles in Ordnung sei, hatte dieser nur gemurmelt: „Feigheit ist niemals ein guter Ratgeber!“

Was auch immer das bedeuten sollte.

„Ich hoffe, ich störe dich nicht“, murmelte er, als er an das Bett herantrat und seinen Blick über das blasse Gesicht von O’Leary schweifen ließ. „Aber ich dachte mir, dir könnte langweilig sein. Ich habe da etwas gefunden, dass ich dir gern vorlesen würde. Ist das okay für dich?“

Er grinste, als er das regungslose Gesicht des Iren betrachtete. „Bist heute aber mundfaul, mein Freund.“ Er räusperte sich, nachdem er sich auf die Bettkante gesetzt und das gelblich knisternde Zeitungs­papier aufgeschlagen und erklärt hatte: „Ich habe hier eine selten interessante Geschichte gefunden. Ich hoffe, sie bringt dir genauso viel Spaß beim Zuhören, wie mir eben beim Lesen. Ist wirklich spannend.

Das Ding heißt Die Schatzinsel. Ist von irgend so einem Schotten, glaube ich. Ich hoffe, das ist in Ordnung für dich. Schotten und Iren mögen sich doch, oder?“

Keinerlei Regung.

„Dann ist ja gut. Fängt schon unheimlich spannend an. Hör mal: Gutsherr Trelawney, Dr. Livesey und die übrigen Herren haben mich gebeten, unsere Fahrt zur Schatzinsel von Anfang bis zum Ende zu beschreiben und dabei nichts zu verschweigen, bis auf die genaue Lage der Insel, und zwar auch nur deshalb, weil noch ungehobene Schätze dort vorhanden sind.“

Job grinste und nickte sich selbst zu. „Klingt doch schon äußerst gut, oder? Ich mag es ja, wenn es mit einem Geheimnis anfängt. Du auch? Aber warte, ich will ja nicht nur quatschen, sondern dir weiter vorlesen: So ergreife ich die Feder in diesem Jahre des Herrn siebzehnhundert und versetze mich zurück in die Zeit, als mein Vater den Gasthof zum Admiral Benbow hielt, und als der braun gebrannte alte Seemann mit der Säbelnarbe im Gesicht zuerst unter unserem Dach Zuflucht nahm.“

Job hob den Blick, schaute zu dem weiter regungslos daliegenden O’Leary und kniff dabei die Augenbrauen zusammen. Als der sanfte Ruck durch die Nautilus ging, hatte er zuerst gedacht, dass es sich um eine Bewegung seines vor ihm liegenden Kameraden handelte. Nur, um dann zu merken, dass es das Unterseeboot gewesen war, das plötzlich in seiner ansonsten ruhigen und stoßfreien Fahrt kurz gestockt hatte.

Er schaute auf, blickte zu dem Bullauge hinüber, und erkannte die das Schiff umschließende Dunkelheit der See.

Ein kurzer Gedanke, der ihm zuraunte: Ein Krake, ließ ihn an die Geschichte von Pablo denken, der ihm berichtet hatte, dass er, als sie auf der Suche nach der Festung im Eis gewesen waren, genau von solch einem gigantischen Meerestier angegriffen worden waren. In dem Moment aber, wo ihn der Gedanke an einen achtarmigen Giganten durchzuckte, setzte die Nautilus ihre Fahrt wieder fort. Er räusperte sich, strich die Zeitung noch einmal glatt und las murmelnd: „Ich erinnere mich, als wenn es gestern gewesen wäre, des Mannes, wie er durch die Tür unseres Hauses hereinkam, während seine Schifferkiste ihm auf einem Schiebekarren hinterhergefahren wurde – ein großer, starker, schwerer, nussbrauner Mann; sein teeriger Zopf hing ihm im Nacken über seinen fleckigen blauen Rock herunter; seine Hände waren schwielig und rissig mit abgebrochenen, schwarzen Fingernägeln, und die Säbelnarbe, die sich über die eine Wange zog, war von einer schmutzig-weißen Farbe. Lustig“, sagte er und hörte wieder auf, zu lesen, „wie sich die Leute Piraten und andere Gesellen vorstellen. Aber irgendwie passt es, oder? Ich meine, die Piraten, denen ich bisher begegnet bin, sahen alle etwas skelettiert oder enthauptet aus. Bist du denn schon einmal einem kapernden Kapitän begegnet?“

Job unterdrückte den Impuls, den unter dem weißen Laken bedeckten Körper freundschaftlich zu tätscheln. Er wollte O’Leary nicht noch, aus einer aus Dummheit geborenen Aktion, Schmerzen, geschweige denn weitere Verletzungen zufügen. Also senkte er den Blick wieder und sagte, mit vor Begeisterung beinahe singender Stimme. „Jetzt wird es richtig gut. Du wirst mich gleich einmal in meiner Paradedisziplin kennenlernen. Ich werde trällern, wie eine Bardame in Amsterdam.“ Er räusperte sich, spürte das erneute, kurze Halten der Nautilus und kniff verwundert die Augen zusammen. Wie eben schon, als die Fahrt kurz darauf von ganz allein wieder begann, setzte sie sich auch jetzt wieder in Bewegung. Schwerfälliger und unter Mühen allerdings, wie es schien.

Job schaute zum Eingang der Krankenstation und schüttelte den Kopf, als er weder aufgeregtes Geschrei noch durch ein durch die ganze Nautilus verlaufendes Rohrsystem aufgeregt klingende Stimmen zu sich dringen hörte.

„Also gut“, sagte er. „Machen wir weiter. Er sah sich im Schankzimmer um und pfiff dabei vor sich hin, dann stimmte er das alte Schifferlied an, das er später so oft sang. Jetzt wirst du Zeuge meiner vogelgleichen Stimme.

Fünfzehn Mann auf des toten Manns Kiste

jo-ho-ho, und ’ne Buddel voll Rum!“

Job lachte und sagte: „War eine Erfahrung, oder?“ Dann las er weiter. „Mit einer zitterigen, hohen Stimme, die so klang, als wenn eine Ankerwinde gedreht würde. Dann schlug er mit einem Knüppel, so dick wie eine Handspeiche, gegen die Tür, und als mein Vater erschien, verlangte er barsch ein Glas Rum. Als ihm dieses gebracht worden war, trank er es langsam aus, wie ein Kenner, mit der Zunge den Geschmack nachprüfend, und sah dabei durch das Fenster die Strandklippen und unser Wirtsschild an. Schließlich sagte er: