Sherlock Holmes - Neue Fälle 40: Der unheimliche Mönch - Thomas Tippner - E-Book

Sherlock Holmes - Neue Fälle 40: Der unheimliche Mönch E-Book

Thomas Tippner

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Beschreibung

Dr. Watson in Angst. Zurück aus dem Urlaub berichtet er von einem Mönch, der vermutlich Morde begangen hat. Holmes geht der Spekulation seines Freundes nach und nimmt eine unglaubliche Spur auf.Ein weiterer Fall reißt den Meisterdetektiv in die eigene Vergangenheit zurück. Jemand trachtet ihm nach dem Leben. Und das bereits seit vielen Jahren.

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DIE NEUEN FÄLLE DES MEISTERDETEKTIVSSHERLOCK HOLMES

In dieser Reihe bisher erschienen:

3001 – Sherlock Holmes und die Zeitmaschine von Ralph E. Vaughan

3002 – Sherlock Holmes und die Moriarty-Lüge von J. J. Preyer

3003 – Sherlock Holmes und die geheimnisvolle Wand von Ronald M. Hahn

3004 – Sherlock Holmes und der Werwolf von Klaus-Peter Walter

3005 – Sherlock Holmes und der Teufel von St. James von J. J. Preyer

3006 – Dr. Watson von Michael Hardwick

3007 – Sherlock Holmes und die Drachenlady von Klaus-Peter Walter (Hrsg.)

3008 – Sherlock Holmes jagt Hieronymus Bosch von Martin Barkawitz

3009 – Sherlock Holmes und sein schwierigster Fall von Gary Lovisi

3010 – Sherlock Holmes und der Hund der Rache von Michael Hardwick

3011 – Sherlock Holmes und die indische Kette von Michael Buttler

3012 – Sherlock Holmes und der Fluch der Titanic von J. J. Preyer

3013 – Sherlock Holmes und das Freimaurerkomplott von J. J. Preyer

3014 – Sherlock Holmes im Auftrag der Krone von G. G. Grandt

3015 – Sherlock Holmes und die Diamanten der Prinzessin von E. C. Watson

3016 – Sherlock Holmes und die Geheimnisse von Blackwood Castle von E. C. Watson

3017 – Sherlock Holmes und die Kaiserattentate von G. G. Grandt

3018 – Sherlock Holmes und der Wiedergänger von William Meikle

3019 – Sherlock Holmes und die Farben des Verbrechens von Rolf Krohn

3020 – Sherlock Holmes und das Geheimnis von Rosie‘s Hall von Michael Buttler

3021 – Sherlock Holmes und der stumme Klavierspieler von Klaus-Peter Walter

3022 – Sherlock Holmes und die Geheimwaffe von Andreas Zwengel

3023 – Sherlock Holmes und die Kombinationsmaschine von Klaus-Peter Walter (Hrsg.)

3024 – Sherlock Holmes und der Sohn des Falschmünzers von Michael Buttler

3025 – Sherlock Holmes und das Urumi-Schwert von Klaus-Peter Walter (Hrsg.)

3026 – Sherlock Holmes und der gefallene Kamerad von Thomas Tippner

3027 – Sherlock Holmes und der Bengalische Tiger von Michael Buttler

3028 – Der Träumer von William Meikle

3029 – Die Dolche der Kali von Marc Freund

3030 – Das Rätsel des Diskos von Phaistos von Wolfgang Schüler

3031 – Die Leiche des Meisterdetektivs von Andreas Zwengel

3032 – Der Fall des Doktor Watson von Thomas Tippner

3033 – Der Fluch der Mandragora von Ian Carrington

3034 – Der stille Tod von Ian Carrington

3035 – Ein Fall aus der Vergangenheit von Thomas Tippner

3036 – Das Ungeheuer von Michael & Molly Hardwick

3037 – Winnetous Geist von Ian Carrington

3038 – Blutsbruder Sherlock Holmes von Ian Carrington

3039 – Der verschwundene Seemann von Michael Buttler

3040 – Der unheimliche Mönch von Thomas Tippner

3041 – Die Bande der Maskenfrösche von Ian Carrington

3042 – Auf falscher Fährte von James Crawford

Thomas Tippner

SHERLOCK HOLMESDer unheimliche Mönch

Basierend auf den Charakteren vonSir Arthur Conan Doyle

Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt.Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.© 2023 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Mario HeyerLogo: Mark FreierVignette: iStock.com/neyro2008Satz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-239-4

Der unheimliche Mönch

„Ah, Watson“, begrüßte Holmes mich, während ich nach meinem Anklopfen in das unaufgeräumte und im Chaos versinkende Zimmer meines Freundes trat. Er saß wie meistens in seinem Sessel. Er schaute mich geradewegs an, ohne dabei die Stradivari herunterzunehmen, auf der er eben noch zu meinem Vergnügen lieblich weich gespielt hatte. Meine Aufregung, die mich eben noch befallen hatte, war kurzzeitig von mir abgefallen. Nur um jetzt, wo ich seine Blicke auf mir ruhen spürte, sie wieder allzu deutlich zu spüren.

Sie war wie ein heranstürmendes Gewitter.

Obwohl ich die auf mich zukommenden, dunklen Wolken sah und den peitschenden Wind schon spürte, konnte ich doch nichts gegen das auf mich zurasende Unheil ausrichten.

Meine Hände begangen zu zittern, meine Stimme war nur ein Krächzen, als ich Holmes mit einem Sei gegrüßt bedachte.

„Was ist auf Ihrem Ausflug geschehen, dass Sie so zerfahren aussehen?“, wollte Holmes wissen, als ich einen Schritt hinein in sein Zimmer tat.

Ich versuchte zu lächeln.

Vergebens.

Ebenso konnte ich meine Überraschung darüber, woher er wusste, dass ich beim Wandern gewesen war, nicht zum Ausdruck bringen.

Das, wonach mir verlangte, war nichts anderes, als mich auf den Holmes gegenüberstehenden Sessel fallen zu lassen, um meiner inneren Unruhe ein wenig die Möglichkeit zu geben, abzuflauen.

Was mir nicht gelang.

Ich spürte nur, als ich mich mit einem Seufzer in die ausgesessene Polsterung des Sessels fallen ließ, dass meine Gedanken sich wieder zu überschlagen begannen. Meine Erinnerungen blitzten unentwegt, einer Kanonade von abgefeuerten Schüssen gleich, immer wieder vor meinem geistigen Auge auf. Ich wollte mich weder an die Landschaft, den Wald, das Kloster oder das kleine Dorf in einer solch schnellen, mir schwindelig werdenden Abfolge erinnern. Was ich wollte, war, hier zu sitzen, die Augen zu schließen und mir der Stille meines Atems bewusst zu werden.

„Watson? Ich mache mir ernsthafte Sorgen um Sie, wenn ich ehrlich bin“, riss Holmes mich aus meinen Gedanken.

Ich starrte ihn aus weitaufgerissenen Augen an, ohne ihn aber zu sehen.

Die zurückliegenden Ereignisse ließen mich die Hand vor den Mund nehmen, und für einen kurzen Augenblick ernsthaft annehmen, ich wäre nicht dazu in der Lage, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Obwohl ich blinzelte, zu Holmes schaute, mir bewusst war, dass er da war, schaffte ich es nicht, den Mund zu öffnen und ihm zu sagen, was so tonnenschwer auf meiner Seele lastete.

„Ich vermute, Sie haben ein Abenteuer erlebt, dessen Ausgang Sie sich selbst nicht erklären können“, redete Holmes in seiner monotonen, analytischen Stimmlage und klang dabei, als wäre ich ein Klient, der noch mehr Informationen für ihn bereithalten musste, damit er sich für dessen Fall interessierte. „Oder sagen wir es so: Ein Abenteuer, dessen Ausgang für Sie unübersehbar ist.

Woher ich das weiß?

Ganz einfach, Watson, Sie sind in mein Zimmer gestürmt, als wäre der Leibhaftige selbst hinter Ihnen her. Dazu die ungewöhnliche Urzeit Ihres Besuchs. Kurz nach zehn Uhr am Morgen. Was nicht zu Ihnen passt. Wenn Sie mich besuchen, dann zur Mittagsstunde oder am frühen Abend. Dann, wenn Sie Ihre Praxis zuschließen oder wenn Sie Ihren letzten Patienten verabschiedet haben.

Dazu kommt Ihre sonderbare Kluft, die Sie tragen. Wanderweste, Pluderhose, schwere, leder­beschlagene Schuhe, an denen noch der Schlamm und Dreck Ihrer Wanderung klebt. Dazu Karten, die unordentlich zusammen­gefaltet aus Ihrer Brusttasche ragen. Ein ordnungs­liebender Mensch, der Sie sind, Watson, wäre in solch einem Aufzug niemals zu mir gekommen, wenn ihm nicht etwas auf der Seele brennen würde.

Also?

Was ist es, was Sie zu mir treibt?“

Ich schluckte. Der bittere Geschmack, der mich den ganzen Weg vom Bahnhof hierher in die Baker Street 221b begleitet hatte, verstärkte sich, als ich versuchte, meine noch immer rasenden Gedanken unter Kontrolle zu bekommen. Es war mir beinahe unmöglich, die Hand zu heben und sie mir auf den Mund zu legen, um mein noch immer in mir wogendes Entsetzen kontrollieren zu können.

„Watson?“, setzte Holmes wieder an. Zu meiner Überraschung, daran erinnere ich mich genau, klang er besorgt.

All seine Analysen, all seine Distanz, jeder einzelne auf das Problem gerichtete und Emotionen ausschließende Gedanke schien beiseitegeschoben. „Was haben Sie?“

„Angst“, flüsterte ich, als ich es schaffte, meinem trockenen Hals erste, rau klingende Laute zu entlocken. „Todesangst ...“

„Ganz ehrlich, John“, rief mein Freund Robert Ferguson mir zu, während ich gut sieben Meter über ihm auf einem Plateau stand und mich nicht sattsehen konnte an der sich vor mir ausbreitenden, malerischen Landschaft. „So kommen wir nie zurück nach Aston. Wir sind so schon zu weit gewandert, als dass wir unsere Pension vor dem Einbruch der Dunkelheit erreichen würden. Machen wir hier jetzt noch eine Pause und wandern wir weiter, kommen wir erst morgen Früh heim.“

„Keine Sorge“, sagte ich, während ich die Hand beschwichtigend hob und glaubte, bis zum Horizont nichts anderes zu sehen als Nadelbäume, die sich auf die durch die Landschaft erstreckenden Berghänge verteilten. „Wir werden es rechtzeitig schaffen. Ich verspreche es dir.“

„So wie du mir versprochen hast, dass ich auch einmal Ruhe finde und mein Buch lesen kann?“

„Ich halte mein Versprechen“, schmunzelte ich.

„Wann gedenkst du es einzulösen?“

„Morgen“, sagte ich mit einem breiten Lächeln.

Ich konnte den in meinem Freund Robert Ferguson aufsteigenden Ärger verstehen.

Auch wenn ich ihn nicht nachvollziehen konnte.

Allein hier zu stehen, den weichen, angenehm riechenden, unbelasteten Duft des mich umschmiegenden Windes wahrzunehmen, war für mich Ruhe und Entspannung genug. Die letzten Tage und Wochen waren ereignisreich für mich gewesen. Nicht nur, dass meine Praxis durch eine London plötzlich befallende Erkältungswelle aus allen Nähten zu platzen schien, auch die Abenteuer mit Sherlock Holmes hatten mich kaum einen klaren Gedanken fassen lassen.

Alles war zum Erliegen gekommen, wie es schien.

Ich hatte nur noch funktioniert.

Jetzt hier zu sein, so viele Kilometer von London, den Erklärungen meines besten Freundes entfernt, ließ mich glauben, zu spüren, wie all meine verloren gegangenen Kräfte zu mir zurückzukehren begannen.

Robert hielt, wie ich schweren Herzens feststellen musste, nicht viel von meinem Drang, die Welt zu sehen.

Er stand nur da unten am Hang, stemmte die Hände in die Hüften und sagte missmutig klingend: „Das Buch ist wirklich spannend. Mal was anderes als die einheimischen Autoren. Henry James schafft es, mich mit den ersten Worten seiner Geschichte zu fesseln. Ich bin ehrlich, ich würde gerne wissen, was dem armen Kindermädchen noch widerfährt und wer hinter dem Spuk steckt, der sie und die Kinder ihres Dienstherrn andauernd einzuholen scheint.“

„Ich finde, du hast genug Spuk und Gruseliges erlebt.“

Roberts Gesicht verfinsterte sich.

„Es sollte nicht so klingen, wie es geklungen hat“, stieß ich hervor, beschwichtigend die Hände hebend.

„Hat es aber.“

„Wofür ich mich entschuldige!“

In einem unbedachten, freien Moment hatte ich etwas von mir gegeben, das die noch immer nicht verheilten Narben meines Freundes in Sekundenschnelle wieder aufgerissen hatte. Auch wenn der zurückliegende Fall, den Holmes in seiner Genialität gelöst und zu einem für meinen Freund unbefriedigenden, ja, sogar verstörenden Abschluss gebracht hatte, Jahre zurücklag, setzte er Robert noch immer zu. Ich hatte schon gemerkt, als wir uns am Bahnhof trafen, dass er das Thema Familie und Sohn lieber ausschweigen wollte. Natürlich hatte er von seiner bezaubernden, peruanischen Frau geschwärmt, hatte von seinem kleinen Sohn gesprochen, aber dennoch seinen älteren Sprössling mit keiner Silbe erwähnt.

Ich hatte auch nicht weiter versucht, das Thema zu vertiefen.

Es wäre mir vorgekommen, als wäre ich meinem Freund einen Schritt zu nahe getreten.

Jetzt aber, wo mir unbedacht der Roberts Gesicht verdüsternde Satz entwichen war, konnte ich mich nicht dagegen wehren, die Ereignisse von damals gedanklich erneut zu durchleben. Ich sah uns wieder in Sussex in dem gewaltigen Haus meines Freundes stehen. Ich sah seine Frau da im Bett liegen, ausgemergelt und bleich, dem Tode nahe, und von der ganzen Dienerschaft als Vampir verschrien.

Und ich sah Holmes die Waffen und Trophäen Roberts betrachten, die allesamt aus Südamerika stammten und bis zu jenem Moment, wo wir ihm zur Hilfe eilten, noch immer mit den Giften der Urvölker getränkt waren.

„Ich entschuldige mich noch einmal dafür, was ich gesagt habe“, meinte ich und ging in die Knie, um meinem Freund die Hand zu reichen. „Ich wollte nicht in Erinnerungen wühlen.“

Robert winkte ab und schnaubte dabei.

„Dann ist es nicht besser geworden?“

„Jack spricht noch immer nicht mit mir – nach all den Monaten. Er sieht in meiner Frau das Böse und in seinem Bruder einen Nestverdränger. Ich glaube nicht, dass es jemals wieder zu einem guten Verhältnis zwischen uns kommen wird.“

„Das tut mir leid“, gab ich ehrlich zu und griff nach Roberts Hand, der sich von mir helfen ließ, aufs Plateau zu klettern.

„Ich hatte ja gewusst, dass es nicht leicht werden würde, als ich meine Frau mit nach England brachte“, sagte er, während ich mich auf einen vorspringenden Fels setzte und meine Blicke erneut über das vor uns liegende Tal schweifen ließ. „Aber Jack fehlt mir. Er ist im Internat nicht gut aufgehoben. Er ist zu ...“ Robert suchte nach den richtigen Worten.

„... anders?“, versuchte ich zu helfen.

„Speziell“, lächelte er matt. „Seine Behinderung, sein mangelndes Selbstvertrauen, dazu der unumstößliche Wunsch, mehr zu sein, als er ist.“ Robert seufzte. „Es ist alles nicht leicht. Aber sag, wollen wir nicht umdrehen, um zur Wirtschaft zurückkehren zu können?“

Ich schaute hinauf zum Himmel, kniff dann die Augen zusammen, als ich im Tal eine kleine Ansammlung von Häusern ausmachte. „Ich würde gerne noch den Ort da besuchen.“

„Ein weiter Weg“, ließ Ferguson verlauten.

„Der gerade ist und keinerlei verschlungene Pfade bereithält, wie ich es sehe. Wir sind schnell dort und schnell wieder zurück.“

„Was hast du nur davon, dir unbedeutende kleine Orte anzusehen?“, seufzte Robert kopfschüttelnd.

„Ich hoffe noch immer, eine kleine handgefertigte Spezialität für meine Mary zu finden“, erklärte ich. „Etwas ganz Besonderes. Etwas, das man nicht überall findet. In solchen kleinen Dörfern findet man oft genau das, was die Großstädte einem nicht geben.“

„Für Mary“, sagte Robert kopfschüttelnd, „tue ich es gerne. Wenn du beim ersten Blick nichts findest, ­kehren wir augenblicklich um und ich kann endlich Das ­Durchdrehen der Schraube zu Ende lesen.“

„Sie sind natürlich nicht zurückgekehrt, damit unser guter Ferguson seine triviale Literatur beenden konnte“, bemerkte Holmes, der – zu meiner Verwunderung – ernsthaft von seinem Platz aufgestanden war und aus der bereitstehenden Karaffe etwas Wasser in einen Becher goss und ihn mir reichte.

Ich trank mit hastigen Schlucken und schaute ihn verwundert an.

„Aus Ihren Blicken, Watson, schließe ich, dass Sie nicht verstehen, warum ich weiß, dass Sie den Ort verlassen haben, den Sie aufsuchten.“

Ich nickte.

„Ganz einfach. Hätte die Ortschaft auch nur eine Sekunde keinerlei Bedeutung für Ihre Erzählung gehabt, hätten Sie nicht davon berichtet. Ich bin mir auch sicher, dass Ferguson Ihren Beobachtungen keinerlei Beachtung geschenkt hat.“

„Wieso das?“, wollte ich wissen, noch immer überrascht davon, dass Holmes in mir und meinen Geschichten lesen konnte wie in einem Buch.

„Weil er keinerlei Sinn für die Schönheit der Natur gehabt hat. Ihm fehlt die Liebe zum Detail. Wenn sie aus Zahlen, Fracht, Gewinnen und Verlusten besteht, ja, da ist unser Freund ausgesprochen findig und aufmerksam. Aber in Ihrem Bericht haben Sie nicht einmal erwähnt, dass Ferguson stehen blieb und die Landschaft ebenso lieb gewonnen hat, wie Sie es taten. Darum gehe ich davon aus, dass ihm ebenso Details entgangen sind, die Ihnen sofort ins Auge sprangen.“

„Anfangs dachte ich auch noch, dass ich es mir einbilden würde.“

„Was einbilden?“

„Die Sache mit dem Mönch.“

„Mönch?“

„Ja, der Mönch, der in den Ort kam ...“

Ich hatte niemals im Leben damit gerechnet, überhaupt etwas Aufregendes in diesem verschlafenen, kleinen Ort zu finden, außer vielleicht ein Ale oder einen Schluck Wasser. Schon von Weitem hatte ich gesehen, oder besser gesagt geahnt, dass ich hier nichts von Bedeutung finden würde.

Fergusons Laune war noch schlechter geworden, als sich meine Annahme, wir würden schnell ins Dorf hinabkommen, in Luft auflöste. Der von mir geradewegs aus den Bergen hinabführende Weg ins Tal war doch verschlungener und weitläufiger geworden, als ­angenommen. So hatte ich gedacht, dass ein Pfad, der um die Ortschaft herumführte, der wäre, den wir nehmen sollten.

Schließlich aber, als die Mittagssonne sich dem Nachmittag entgegenneigte, und ich zähneknirschend zugeben musste, dass wir unseren Rückweg niemals vor Einbruch der Dunkelheit schaffen würden, erreichten wir den kleinen Ort, der auf den Namen Arlet hörte.

Die trostlos anzusehenden Häuser, die nur notdürftig gepflasterten, schmalen Wege, die einzelne Häuser miteinander verbanden, ließen Robert säuerlich bemerken: „Wenig bis gar nichts bleibt wenig bis gar nichts.“

„Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben“, entgegnete ich schmallippig, in der verzweifelten Hoffnung, hier wenigstens einen Hufschmied oder einen Schneider zu finden, dem ich fachkundige Fragen stellen konnte, wo ich denn einen Meister seiner Zunft finden und bei ihm etwas für meine Mary fertigen lassen konnte.

Aber all meine Hoffnungen brachen in sich zusammen, als ich das erste Haus passierte und feststellen musste, dass hier Köhler und Holzfäller lebten, jedoch keine Handwerker, Schneider oder Töpfer.

„Ich lobe mir wohl ein kleines, unbehagliches Zimmer in der kleinen Gastwirtschaft da drüben“, bemerkte Ferguson, während er den Finger ausstreckte und auf ein gedrungenes Haus deutete, dessen dunkle Fassade eher abstoßend als einladend wirkte. Hätte über dem Eingang nicht ein Schild gehangen, das trostlos langweilig in dem auffrischenden Wind quietschend hin und her baumelte, wäre ich nie im Leben darauf gekommen, es hier mit einer Wirtschaft zu tun zu haben.

„Zum schwarzen Eber“, las ich murmelnd, zuckte mit den Schultern und lächelte vergnügt. „Vielleicht finden wir da ja die Informationen, die ich gerne hätte.“

„Ich melde Zweifel an.“

„Zur Kenntnis genommen“, sagte ich, in mir Missmut aufsteigen spürend, weil Robert in allem nur Schlechtes sah.

„Jetzt bin ich es wohl, der sich entschuldigen muss“, meinte er, schüttelte den Kopf und fügte hinzu: „Ich bin zu eingefahren. Reisen waren für mich bisher immer mit Arbeit verbunden. Wenn es doch einmal einen Tag gab, an dem ich auf meinen Geschäftsausflügen nichts zu tun hatte, zog ich es vor, in meiner Unterkunft zu bleiben und dort zu lesen. Das kulinarische Leben oder gar die Kultur anderer Länder waren bis heute für mich weder interessant, noch machten sie mich neugierig.“

„Nur deine Frau ...“

„... lernte ich bei einem Treffen mit einem Handels­partner kennen. John, bitte, verzeih mir, dass ich versuche, dir deinen Spaß zu verderben.“

Ich winkte ab. „Wir machen das Beste draus. Morgen nehme ich Rücksicht auf dich.“

Robert nickte. „Zu gütig.“

Ich zwinkerte ihm freundschaftlich zu, während ich die Hand nach der Türklinke des kleinen Gasthauses ausstreckte. „So bin ich.“

Als ich Robert vor mir eintreten ließ, ließ ich meinen Blick noch einmal über den kleinen Dorfplatz schweifen. Ebenso trostlos wie die Straßen war auch dieser ein klein angelegter, mit Bänken gesäumter Flecken Erde, der keinerlei Charme besaß. Nur mit viel Vorstellungskraft und der ausgeprägten Phantasie eines hoffnungslosen Romantikers konnte man sich die Dorfgemeinschaft dort am Abend sitzen und miteinander zwanglos reden sehen.

Selbst mir, einem Mann, der versuchte, in allem etwas Gutes zu sehen, fiel es schwer, sich an diesem Ort hier auch nur einen Moment der Heiterkeit, geschweige denn der Zufriedenheit vorstellen zu können.

Als ich kopfschüttelnd mich der offenstehenden Tür zuwandte, fiel mein Blick auf einen in der Ferne sich abzeichnenden, kaum sichtbaren Schemen. Erst dachte ich, mich getäuscht zu haben. Dass das in dem dort hinten beginnenden Wald einfallende Licht meinen Sinnen einen Streich gespielt hatte.

Aber in dem Moment, als ich blinzelte, die Augen zusammengekniffen hielt, konnte ich die wankende und schwankende Gestalt dennoch erkennen. Unsicher wirkte sie. Die Hand nach vorne ausgestreckt, damit sie nicht fiel.

Der Arzt in mir meldete sich sofort.

Ich sagte über die Schulter hinweg zu Robert: „Besetz doch schon mal einen Platz. Ich komme gleich ...“

Holmes beugte sich vor und schmunzelte, während ich einen weiteren Schluck Wasser zu mir nahm.

„Sie wissen, dass ich nicht einer Ihrer Leser bin, ­Watson. Unnötig Spannung aufbauen ist nicht nötig.“

„Natürlich nicht“, sagte ich, während ich die Augen schloss und versuchte, die zurückliegenden Ereignisse irgendwie wieder in einen Zusammenhang zu bringen. In einen Zusammenhang, wie ich feststellte, der die Ereignisse nicht wild durcheinanderwürfelte. Der nicht all meine Ängste, Beklemmungen und all meine wie wild galoppierenden Phantasien wieder neu befeuerte.

„Sachlich. Informativ, immer der Reihe nach“, murmelte ich mehr zu mir als zu Holmes. Der aber fühlte sich bestärkt zu sagen: „So und nicht anderes. Jedes Detail ist wichtig.“

„Ist es.“

„Sie sind also dem Mann begegnet, der aus dem Wald getreten kam?“

„Beinahe, ja.“

„Beinahe?“