Sherlock Holmes - Neue Fälle 35: Ein Fall aus der Vergangenheit - Thomas Tippner - E-Book

Sherlock Holmes - Neue Fälle 35: Ein Fall aus der Vergangenheit E-Book

Thomas Tippner

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Beschreibung

Die Vergangenheit holt Sherlock Holmes ein. Als er vor Jahren seinen Freund Samuel Groney und dessen Vater vor dem Cowboy beschützte, glaubte der Meisterdetektiv, der Fall sei abgeschlossen. Doch nun werden Samuels Kinder und dessen Frau entführt.Mary Watson bittet Sherlock Holmes um Hilfe. Eine Mitarbeiterin ihrer Stiftung verhält sich merkwürdig. War sie einst eifrig und zielstrebig, so hat sich deren Verhalten sehr verändert. Sie wirkt nervös und vernachlässigt immer öfter ihre Aufgaben. Holmes beginnt zu recherchieren und erfährt Unglaubliches.Sherlock Holmes beherbergt einen Gast, der über Leichen geht. Der Meisterdetektiv steht vor einer schier unlösbaren Aufgabe.Drei neue Fälle des größten Meisterdetektivs aller Zeiten.

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DIE NEUEN FÄLLE DES MEISTERDETEKTIVSSHERLOCK HOLMES

In dieser Reihe bisher erschienen:

3001 – Sherlock Holmes und die Zeitmaschine von Ralph E. Vaughan

3002 – Sherlock Holmes und die Moriarty-Lüge von J. J. Preyer

3003 – Sherlock Holmes und die geheimnisvolle Wand von Ronald M. Hahn

3004 – Sherlock Holmes und der Werwolf von Klaus-Peter Walter

3005 – Sherlock Holmes und der Teufel von St. James von J. J. Preyer

3006 – Dr. Watson von Michael Hardwick

3007 – Sherlock Holmes und die Drachenlady von Klaus-Peter Walter (Hrsg.)

3008 – Sherlock Holmes jagt Hieronymus Bosch von Martin Barkawitz

3009 – Sherlock Holmes und sein schwierigster Fall von Gary Lovisi

3010 – Sherlock Holmes und der Hund der Rache von Michael Hardwick

3011 – Sherlock Holmes und die indische Kette von Michael Buttler

3012 – Sherlock Holmes und der Fluch der Titanic von J. J. Preyer

3013 – Sherlock Holmes und das Freimaurerkomplott von J. J. Preyer

3014 – Sherlock Holmes im Auftrag der Krone von G. G. Grandt

3015 – Sherlock Holmes und die Diamanten der Prinzessin von E. C. Watson

3016 – Sherlock Holmes und die Geheimnisse von Blackwood Castle von E. C. Watson

3017 – Sherlock Holmes und die Kaiserattentate von G. G. Grandt

3018 – Sherlock Holmes und der Wiedergänger von William Meikle

3019 – Sherlock Holmes und die Farben des Verbrechens von Rolf Krohn

3020 – Sherlock Holmes und das Geheimnis von Rosie‘s Hall von Michael Buttler

3021 – Sherlock Holmes und der stumme Klavierspieler von Klaus-Peter Walter

3022 – Sherlock Holmes und die Geheimwaffe von Andreas Zwengel

3023 – Sherlock Holmes und die Kombinationsmaschine von Klaus-Peter Walter (Hrsg.)

3024 – Sherlock Holmes und der Sohn des Falschmünzers von Michael Buttler

3025 – Sherlock Holmes und das Urumi-Schwert von Klaus-Peter Walter (Hrsg.)

3026 – Sherlock Holmes und der gefallene Kamerad von Thomas Tippner

3027 – Sherlock Holmes und der Bengalische Tiger von Michael Buttler

3028 – Der Träumer von William Meikle

3029 – Die Dolche der Kali von Marc Freund

3030 – Das Rätsel des Diskos von Phaistos von Wolfgang Schüler

3031 – Die Leiche des Meisterdetektivs von Andreas Zwengel

3032 – Der Fall des Doktor Watson von Thomas Tippner

3033 – Der Fluch der Mandragora von Ian Carrington

3034 – Der stille Tod von Ian Carrington

3035 – Ein Fall aus der Vergangenheit von Thomas Tippner

3036 – Das Ungeheuer von Michael & Molly Hardwick

Thomas Tippner

SHERLOCK HOLMESEin Fall aus der Vergangenheit

Basierend auf den Charakteren vonSir Arthur Conan Doyle

Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt.Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.© 2022 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Mario HeyerLogo: Mark FreierVignette: iStock.com/neyro2008Satz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-234-9

Das zweite Gesicht

Es hatte mich einige Überredungskünste gekostet, meine Mary hierher in die Baker Street 221 b zu lotsen. Immer wieder hatte sie energisch den Kopf geschüttelt und mir vehement gesagt, dass sie nicht zu dieser Person gehen würde.

„Niemals!“, waren ihre Worte gewesen.

Dass sie nun doch mit mir, wutschnaubend und meinen ihr mehrmals angebotenen Arm verweigernd, vor der Tür stand, war der Tatsache geschuldet, dass ich an ihr Gewissen appellierte. Dass ich ihr gesagt hatte, dass nur Holmes Licht ins Dunkel bringen konnte.

Nach einer abfälligen Bemerkung und einem flucht­artigen Rückzug ihrerseits, war sie dann, gut zwei Stunden später, doch zu mir ins Wohnzimmer gekommen, wo ich es mir vor dem Kamin gemütlich gemacht hatte. Erleichtert darüber, dass Mary zu mir kam und mich zögerlich fragte: „Glaubst du wirklich, dass der Fall so bedeutend ist?“

„Jemand wird vermisst“, war meine Antwort. „Was glaubst du, wie viel Bedeutung der Fall noch bekommen soll?“

Sie hatte dann vor mir gestanden. Nicht in der Lage, das von mir vorgebrachte Argument bissig, angriffs­lustig oder weinerlich zurückzuweisen. Schließlich, nach einem längeren Zögern und einem angedeuteten ­Kopfschütteln, hatte sie gesagt: „Dann müssen wir wohl. Ob wir wollen oder nicht.“

Erleichtert war ich von meinem anheimelnden Platz aufgesprungen. Ich umarmte Mary, gab ihr ein Küsschen auf die Wange und bat sie, sich so schnell wie möglich anzuziehen.

Sie, meine Freude noch immer nicht teilend, hielt mich zurück und hob warnend den Zeigefinger, als sie meinte: „Macht er nur eine Bemerkung über unsere Ehe, gehe ich!“

„Ich werde mein Bestes geben, ihn davon abzuhalten!“

Nun, wo wir vor der Tür standen, ich den Türklopfer gerade betätigen wollte, wurde die Tür aufgezogen und Mrs Hudson lächelte uns an.

„Mrs und Mister Watson, was für eine Freude, Sie zu sehen. Dachte ich eben noch, mich getäuscht zu haben, als ich einen Blick aus dem Küchenfenster geworfen habe. Dachte mir so: Nein, das können die beiden doch nicht sein. Nicht zu dieser Stunde und nicht um diese Zeit. Dann aber kamen Sie beide näher und ich bin darauf­hin gleich zur Tür, um sie zu öffnen!“

„Was sehr freundlich von Ihnen ist“, sagte ich, legte meiner Frau die Hand in den Rücken und schob sie ein wenig vor, damit sie Mrs Hudson begrüßen konnte.

Was sie mit einem knappen Sehr erfreut tat und meiner ehemaligen Haushälterin die Hand reichte.

Die ergriff sie zart, hielt sie kurz in der Hand und lächelte zu mir: „Dass Sie beide sich hier getroffen und gefunden haben, macht mich noch immer sehr ­glücklich.“

„Mich ebenfalls“, lächelte ich.

„Auch wenn die Ehe Ihnen ein wenig mehr auf die Rippen gebracht hat, wie ich feststellen muss!“

Mein Lächeln verschwand.

„Das ist nur das ungünstig fallende Licht“, räusperte ich mich und fragte, bevor Mrs Hudson noch eine mich in Verlegenheit bringende Frage stellen konnte: „Ist er da?“

„Gewiss. Seit Tagen, ach was, seit mehr als einer Woche schon“, erzählte sie kummervoll. „Er hat das Zimmer nicht einmal verlassen. Sitzt immer nur in seinem Sessel und starrt an die Tür. Das ist richtig gespenstisch, wenn man ihn nicht besser kennen würde.“

„Dann hoffen wir mal, dass ihn unser Besuch ein wenig aufheitert.“

„Das wird er bestimmt, Doktor. Gewiss wird er das. Jeder hier weiß doch, wie sehr er sie mochte und wie sehr es ihm zusetzte, dass sie ausgezogen sind.“

Ich schmunzelte, als ich mich an Mrs Hudson vorbeizwängte und die steil in den ersten Stock führende Treppe erblickte, auf der wir so oft die uns neue Fälle zutragenden Schritte hörten.

Jetzt, wo ich meinen Fuß hob und das vertraute Knarren der Stufe hörte, durchflutete mich ein angenehmes Gefühl der Vertrautheit. Es war, als kehrte ich nach Hause zurück.

Was nicht falsch verstanden werden sollte.

Ganz und gar nicht.

Ich liebte es, abends meine Praxis abzuschließen und hinauf in die mit Mary bewohnte, geräumige Wohnung zu kommen und mich von meiner Frau begrüßen zu lassen. Mit ihr zu reden, mit ihr die zurückliegenden Ereignisse des Tages zu besprechen.

Hierher aber, in die Baker Street zurückzukommen, war immer mit einem mir innewohnenden Zauber verbunden.

Der Ort hier war der Platz, der mich im wahrsten Sinne des Wortes rettete. Der mich auffing, als ich glaubte, mit mir würde es nur noch bergab gehen.

Allein das Wissen, dass Holmes ohne zu zögern mich damals als seinen Zimmerpartner akzeptierte, war Geschenk genug. Wäre es damals, bei unserem Fall Eine Studie in Scharlachrot, nicht so gekommen, wüsste ich nicht, wo ich heute stände.

In den wenigen Momenten, in denen ich mir darüber Gedanken machte, überfiel mich eine düstere Zukunftsphantasie.

Ich sah mich zerlumpt und abgebrannt in einer Gosse mit anderen ebenso armseligen Gestalten würfeln. Immer in der Hoffnung, dass die in meiner Hand liegenden Würfel endlich die Zahlen zeigten, die mich zum Sieg führten und mich mein mir immer selbst gegebenes Versprechen, nach einem großen Geldgewinn aufzuhören, einlösen ließen.

Meinem Freund hatte ich viel zu verdanken.

Sehr viel.

Deshalb sprang ich die Treppe mehr hinauf, als dass ich sie ging; dicht gefolgt von meiner nicht ganz so euphorisierten Frau.

Sie hielt genügend Abstand zu mir und blieb drei Stufen unter mir stehen, als ich die Tür erreichte.

„Mach nur“, sagte sie, als ich zögernd zu ihr schaute und ihr anbot, dass sie klopfe, da es ihr Fall war.

So hob ich die Hand, pochte mit den gekrümmten Fingerknöchelchen gegen die Tür und warte auf das kommende: „Herein!“

Als es erklang, öffnete ich schwungvoll die Tür.

Ich war wieder zurück.

Und auf seinem Sessel sitzend, ein freundliches Lächeln auf den Lippen, saß mein Freund Sherlock Holmes.

Kapitel 1

„Watson“, begrüßte er mich, während ich einen Schritt in die Wohnung tat, und meinerseits: „Holmes“, sagte.

„Was ist der Grund Ihres so späten Besuchs? Ein Fall, wie ich annehme!“

„Da nehmen Sie richtig an“, lächelte ich und machte den Weg frei für Mary.

„Um was geht es?“, wollte Holmes gleich wissen.

„Das wird sie Ihnen selbst erzählen“, sagte ich und war erstaunt, dass Holmes anerkennend nickte, als Mary eintrat, und gleich darauf in eisiger zur Schau getragener Kälte anfing, ihre Handschuhe von den Fingern zu zupfen.

„Sherlock“, begrüßte sie Holmes und schaute sich naserümpfend im Zimmer um.

„Das ist mal eine Überraschung“, meinte Holmes, der sich nun, seinen Anstand wiedergefunden, von seinem Platz erhob, und meiner Frau die Hand reichte, welche sie nur kurz berührte, und sich dann suchend nach der Couch umschaute, auf die sie sich setzen konnte. „Damit hätte ich nicht einen Augenblick gerechnet. Watson, sagen Sie mir, was ist der Grund Ihres Besuches?“

„Können Sie das denn nicht erraten, Holmes?“, wollte ich wissen und spielte damit auf die Gabe seiner messer­scharfen Beobachtung an. „Ich meine, Sie können in allem und in jedem lesen und sich herleiten, weshalb wir hier sind.“

„Das, was ich ableiten kann, Watson, ist, dass es Ihrer Frau hier nicht gefällt. Meinetwegen, wie ich annehme. Und wegen der Unordnung, die einer Frau wie der Ihren nicht zusagt. Es ist ein Kreuz ...“

Ich hob die mahnend die Hand und sagte ernst: „Machen Sie jetzt keine abfälligen Bemerkungen über die Ehe oder andere Anspielungen, was eine Frau nach der Heirat mit einem Mann macht. Möchten Sie hören, was Mary zu sagen hat, so bleiben Sie neutral und freundlich!“

Holmes lächelte schmal. „Es wird mir eine Freude sein, zu schweigen und das zu tun, was Ihre Frau will. Erfahrungen, die andere machen, oder schon gemacht haben, erzeugen ja im späteren Verlauf einer Bekanntschaft Vertrauen, wie ich mir habe sagen lassen!“

„Das wars“, sagte Mary und drehte sich auf dem Absatz herum. „Ich suche mir jemand anderen, der mir hilft. Gregory soll ein tüchtiger und fähiger Beamter bei Scotland Yard sein!“

„Pff“, machte Holmes. „Engagiert, ja. Talentiert, nein.“

„Mary, ich bitte dich“, ging ich auf sie ein und nahm ihren Unterarm in die Hand. „Eine unbedachte Bemerkung von Holmes. Mehr nicht. Wie du weißt, kennt er sich nicht aus mit Gefühlen anderer und ihren Verletzbarkeiten.“

„Dann soll er es lernen. Ganz schnell. Ich bin nicht hierhergekommen, um mich beleidigen zu lassen.“

„Warum sind Sie dann hierhergekommen?“, wollte Holmes wissen, der mit einer fließenden Handbewegung auf das vor uns stehende Sofa zeigte, das über und über mit Zeitungspapier bedeckt war.

„Da hin?“

Holmes nickte. „Es ist ein Sofa. Diese sind, wie ich weiß, zum Sitzen da.“

„Es ist unordentlich.“

„Dennoch kann man darauf sitzen!“

„Ich mache das“, sagte ich hastig und strich die einzelnen Zeitungsblätter zusammen und bemerkte, dass es unterschiedliche Herausgeber waren, die Holmes gelesen hatte. Verwundert schaute ich ihn an, als ich begriff, dass alle Aufmachungen nur ein Thema hatten.

Der Verdacht, dass ein Lord des Repräsentantenhauses Gelder unterschlagen und veruntreut hatte.

„Sie beschäftigen sich mit dem Fall?“

„Oberflächlich“, winkte Holmes ab. „Zwei Morde habe ich schon geklärt und die ersten Knoten in den Fäden gelöst. Muss meine Meinung und meine Beweise nur noch Scotland Yard mitteilen. Nun aber zu Ihnen, Mrs Watson. Was ist mit Ihrer Freundin geschehen und warum meinen Sie, dass mich das interessieren könnte?“

Kapitel 2

Mary hielt die Luft an.

Sie legte die Hand auf ihre Brust, riss die Augen auf und schaute verwundert zu Holmes, der mit einem zufriedenen Lächeln die Fingerspitzen aneinandergelegt hatte und mit diesen seine gespitzten Lippen tickend berührte.

„Woher?“

Mahnend schaute ich zu Holmes. Der aber, ganz wie es seine Art war, lächelte nur knapp und sonnte sich in der sichtlich zur Schau getragenen Überraschung meiner Frau. Mary, die blinzelnd dasaß, aussah, als wäre sie für einen kurzen Augenblick all ihrer Würde beraubt, strich sich plötzlich das Kleid glatt; so, wie sie es damals schon getan hatte, als sie uns das erste Mal aufsuchte, um Hilfe zu erbitten.

Und wie damals war es auch jetzt wieder das warme, das wohlige Gefühl der inneren Zuneigung, nein, der Liebe, die mich durchströmte, während ich sie hilflos da sitzen sah. Ich setzte mich zu ihr, nahm ihre Hand und drückte sie ganz sanft. Eine Geste, wie ich feststellte, die ihr guttat. Die ihr Sicherheit verlieh und die sie ihre eben verloren gegangene Stimme wiederfinden ließ. Weshalb sie Holmes fragte: „Wieso glauben Sie, dass es sich um eine meiner Freundinnen handelt?“

„Nun, ich schließe erst einmal alles aus, was mit dem Fall nichts zu tun haben kann. Bei Ihnen, Mrs Watson, ist es ohne Zweifel entweder eine Dame aus ärmlichen Verhältnissen, der Ihre Sorge gilt. In diesem Fall aber, und da seien Sie mir nicht böse, wären Sie anders aufgetreten. Es wäre Ihnen nicht so schwergefallen, hierher zu kommen. Denn es geht, wie immer bei uns Menschen, auch um unseren Ruf. Eine arme Frau hätte den Gang hierher zu mir leichter gemacht.

Eine Freundin aber, und dazu eine, die bei Ihnen arbeitet, lässt einen schon eher hadern und zweifeln, ob man wirklich mit einem Mann meines Formats zusammenarbeiten will. Löse ich den Fall, kann es sein, dass viele unangenehme Details für eine bei Ihnen angestellte Person ans Tageslicht befördert werden. Und eine Stiftung, wie die Ihre, ist auf eine gute, auf eine angenehme Presse­stimme angewiesen!“

Mary lächelte schmal.

Dann ließ sie sich, nach einer kleinen Phase der unangenehmen Stille, dazu herab, zu sagen: „So sehen Sie mich?“

„So sehe ich jeden Menschen“, bemerkte Holmes.

„Sie meinen also, dass mir die Menschen weniger am Herzen liegen, um die ich mich kümmere, als die, die bei mir angestellt sind?“

„Wie gesagt, es geht um den Ruf. Und der Ruf Ihrer Stiftung ist ausgezeichnet, wie ich den Zeitungen entnehme. Engel der Armen, oder Patron derer, die nichts haben, werden Sie genannt. Und solch einen Namen will man nicht beschmutzen, wenn ich mich nicht irre!“

„Ich würde ihn opfern“, entfuhr es meiner Frau. „Ohne mit der Wimper zu zucken.“

Holmes machte ein anerkennendes Gesicht, als er das hörte, und lehnte sich in seinem Sessel zurück.

„Was Sie ehrenwert macht“, nickte er und ließ sich nicht davon beeindrucken, dass Mary ihn weiterhin funkelnd anschaute. „Aber dennoch geht es hier nicht um eine Ihrer armen Leute. Es geht um jemanden, den Sie mögen, der Ihnen nahesteht ...“ Er hob abwehrend die Hand, um Mary daran zu hindern, ihm ins Wort zu fallen. „Und Sie haben gezaudert und gehadert, dass Ihr Weg Sie zu mir bringt. Woher ich das weiß?“

Holmes lächelte wieder und deutete auf mich: „Wenn mein Freund und Weggefährte mir, seitdem er in meine Räumlichkeiten eingekehrt ist, wieder und wieder mahnende Blicke zuwirft, mit der stillen Bitte, ich solle zuvorkommend zu Ihnen sein, Mrs Watson, dann sind Sie nicht wegen meiner Person hier, sondern wegen meines Könnens.“

Mary gestattete sich wieder ein schmales, ein abfällig aussehendes Lächeln: „Also sagen Sie mir, warum Sie meinen, dass es sich um eine meiner Freundinnen und nicht um jemanden aus meiner Familie handelt?“

„Weil Sie keine Familie haben, Mrs Watson“, entgegnete Holmes, „abgesehen von meinem Freund hier. Ich habe unseren Fall Im Zeichen der Vier ganz bestimmt nicht vergessen. Und damals erzählten Sie mir, dass Sie niemanden haben. Nicht einen Menschen. Das wird sich in den letzten Jahren nicht geändert haben. Hätte es das, hätte Watson darüber berichtet, nicht wahr?“

Ich hielt die Luft an.

Das Donnerwetter, auf das ich mich gefasst machen konnte, wenn ich nach Hause kam, ließ mich jetzt schon den Kopf zwischen die Schultern nehmen. Ich hörte schon die Vorwürfe, hörte schon das verletzte Gezeter meiner heiß und innig geliebten Frau und konnte sie sogar verstehen.

In all den Jahren unserer Ehe war sie es immer gewesen, die sich familiär allein gelassen fühlte. Auch wenn sie in meiner Familie mit offenen Armen empfangen wurde, sie herzlichst aufgenommen worden war, hatte es immer diesen einen, diesen unangenehmen Beigeschmack des Verlassenseins bei ihr gegeben.

Oft saßen wir beisammen und bei ihr machte sich eine bedrückte, eine unangenehme Stille breit, die mich ahnen ließ, in was für düsteren Gedanken sie schwebte. Gedanken, die anschließend zu einem leisen Klagen wurden, dass sie sich in manchen Situationen verlassen fühlte.

Dass sie niemanden hatte, an dessen Schulter sie ihren Kopf legen und ihren Kummer preisgeben oder sich mit jemandem über persönlich errungene Erfolge freuen konnte.

Jetzt von Holmes zu hören, dass ich mit ihm darüber gesprochen hatte, musste für sie ein Schlag ins Gesicht gewesen sein.

Auch wenn sie sich jetzt tapfer gab und mich keines Blickes würdigte, sah ich, wie ihre Lippen fest aufeinandergepresst lagen und völlig blutleer waren. Ihr Kinn zuckte und in ihren Augen schwammen für einen kurzen Augenblick Tränen.

„Wie also kommen Sie auf eine Freundin?“

„Auch darüber haben Watson und ich gesprochen, nicht wahr?“, fragte Holmes mich.

Ich räusperte mich und flüsterte heiser: „So ist es.“

„Drüber gesprochen?“, wollte Mary wissen.

„Er sagte mir, dass Sie in zwei oder drei bei Ihnen arbeitenden Frauen Gesellschaft gefunden haben. Worüber er sich sehr freue, da Ihre Einsamkeit so ein wenig abnehme und Sie dadurch sehr viel offener und lebhafter geworden sind.“

„Mary, ich ...“

Sie ignorierte mich und nickte Holmes zu. „Ich bin beeindruckt. Können Sie mir denn auch sagen, um wen es sich dabei handelt, um den ich mich Sorge?“

„Nein“, sagte er lächelnd. „Dazu habe ich zu wenig Einblick in Ihre Verhältnisse. Aber ich glaube, dass es sich um eine neu bei Ihnen eingestellte Person handelt, weil Sie sich mit ihr eher verbunden fühlen. Vielleicht, weil sie neu in der Stadt ist. Oder aus schweren Verhältnissen stammt und jetzt erst angefangen hat, Fuß zu fassen. Jemanden, dem Sie unter die Arme gegriffen haben und nun befürchten, dass diese Person wieder in dem Sumpf versinken kann, aus dem sie sich gerade gekämpft hat.“

„Sie scheinen mich doch besser zu kennen, als ich es für möglich gehalten habe“, gestand sie.

„Ich schließe nur aus, was es auszuschließen gilt“, gestand Holmes ihr und lehnte sich in seinem Sessel zurück und fragte sie: „Worum geht es nun? Was ist vorgefallen und wieso glauben Sie, dass Sie mich brauchen?“

„Es geht um Amanda O’Mally“, erklärte Mary und atmete tief durch, bevor sie weitersprach. „Und um eben den Ruf meiner Stiftung, ganz so, wie Sie es gesagt haben. Ich bin auf die Spenden und die öffentlichen Gelder angewiesen. Sollten diese wegfallen, ist meine Aufgabe gescheitert und ich werde mich, wie viele andere vor mir, in einer Liste der guten Absichten, aber an der Realität gescheiterten Missionen eintragen müssen. ­Holmes ...“ Sie schaute meinen Freund fest an, fixierte ihn mit ihren Blicken und fügte dann hinzu: „Das werde ich nicht zulassen. Es geht hier um Menschen. Um gute Menschen.“

Kapitel 3

„Amanda?“

Mary hatte im ersten Moment gemeint, sich geirrt zu haben, als sie aus dem in einer Seitenstraße liegenden Haus getreten war, in dem die alte Mrs Goldwind lebte. Es war ein Zufall gewesen, dass sie ihre Wege heute in das berüchtigte East End führten. Eigentlich war sie für eine andere Route vorgesehen gewesen. Aber am frühen Morgen, als sie noch vor ihrem Frisiertisch saß, sich die Haare hochsteckte und ihr Mann in der Küche saß und seinen morgendlichen Tee trank, war ein Junge an ihre Haustür getreten. Mit erstickt klingender Stimme, weil er die letzten drei Straßenzüge heruntergelaufen war, hatte er ihr gesagt, dass seine Mutter heute nicht zur Arbeit kommen konnte. Es war ihr schrecklich in den Rücken gefahren, erzählte er, und es fiel ihr schwer, sich aus dem Bett zu erheben.

Dadurch hatte Mary ihre im Büro anfallenden Arbeiten ruhen gelassen und hatte die Tour ihrer Mitarbeiterin übernommen.

Jetzt, wo sie aus dem Hausflur trat, die Tür vorsichtig – wie sie es Mrs Goldwind versprochen hatte – zuzog, war sie der festen Überzeugung gewesen, aus dem Augenwinkel heraus den feuerroten Haarschopf von Amanda gesehen zu haben. Als Mary sich dann ganz herumdrehte und den engen Straßenzug hinunterschaute, an dem mehrere geschäftig wirkende Männer entlangzogen, sah sie sich nicht getäuscht.

Da war Amanda auf der anderen Straßenseite, während sie von einem kleinen untersetzten, vollbärtigen, mit ebenso blasser Haut und roten Haaren versehenen Mann am Unterarm gehalten wurde.