The Chances We Take - Maya Hughes - E-Book

The Chances We Take E-Book

Maya Hughes

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Beschreibung

Wenn du merkst, dass das Mädchen von nebenan deine große Liebe ist ...

Jules ist in ihren Nachbarn Berk verliebt. Doch sie ist sicher, dass der attraktive und erfolgreiche College-Footballspieler ihre Gefühle niemals erwidern würde. Trotzdem nimmt sie all ihren Mut zusammen, schreibt ihm einen anonymen Brief - und bekommt tatsächlich eine Antwort, aus der sich ein heißer Briefwechsel entwickelt. Doch als die beiden sich dann auch im echten Leben langsam anfreunden, verpasst Jules den richtigen Moment, sich als "Die Brieffreundin" zu erkennen zu geben. Auf der Verlobungsfeier ihrer Schwester beginnen die Grenzen zwischen Freundschaft und Liebe plötzlich zu verwischen. Aber wie wird Berk reagieren, wenn er herausfindet, dass Jules ihn so lange belogen hat?

"Eine der besten Friends-to-Lovers Geschichten, die ich je in einem New-Adult-Buch gelesen habe. Ich bin süchtig nach dieser Reihe. Einfach nur süchtig." DIRTY GIRL ROMANCE

Band 3 der FULTON-UNIVERSITY-Reihe

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Seitenzahl: 556

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INHALT

Titel

Zu diesem Buch

Leser:innenhinweis

Widmung

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

Epilog – Frühlingsfest

Die Briefe

Zeit für Ehrlichkeit

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von Maya Hughes bei LYX

Impressum

Maya Hughes

The Chances We Take

Roman

Ins Deutsche übertragen von Silva Gleißner

ZU DIESEM BUCH

Jules ist in ihren Nachbarn Berk verliebt. Doch die von Selbstzweifeln geplagte Studentin ist sicher, dass sich der attraktive und erfolgreiche College-Footballspieler niemals in jemanden wie sie verlieben würde. Um ihre Gefühle trotzdem endlich ausdrücken zu können, schreibt Jules ihm einen anonymen Brief – und bekommt tatsächlich eine Antwort. Zwischen den beiden entwickelt sich ein heißer Briefwechsel, ohne dass Jules sich als »Die Brieffreundin« zu erkennen gibt. Schließlich hätte sie auch nicht erwartet, dass sich die beiden im echten Leben langsam anfreunden könnten und Berk sie sogar bittet, ihm bei der Suche nach der Frau zu helfen, die ihm so den Kopf verdreht hat. Als Gegenleistung will er Jules auf die Verlobungsfeier ihrer Schwester begleiten. Doch sobald die beiden an diesem Wochenende mehr Zeit miteinander verbringen, beginnen die Grenzen zwischen Freundschaft und Liebe plötzlich zu verwischen. Aber wie wird Berk reagieren, wenn er herausfindet, dass Jules ihn so lange belogen hat?

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält Elemente, die potenziell triggern können. Diese sind:

Body-Shaming, negative Gedanken über den eigenen Körper, Erinnerungen an Binge-Eating, toxische Beziehungen im Familienkreis.

Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.

Euer LYX-Verlag

Für Nicole: Unsere Spaziergänge bringen mehr Lachen in mein Leben und bereichern meine Fantasie mit mehr Geschichten.

1. KAPITEL

Jules

Ich zog die Kordeln meiner Kapuze fester zu und schlich über die Straße. Mein Atem hing in kleinen Wölkchen vor meinem Gesicht und ich hoffte inständig, dass mich niemand sehen würde. Der Brief in meiner Tasche knisterte bei jedem Schritt, so laut, dass ich wie erstarrt mitten auf der Straße stehen blieb, als könnte mich auf diese Weise niemand bemerken, während ich ganz in Schwarz über die Straße schlich.

Ein paar Häuser weiter ging eine Tür auf und Angst durchfuhr mich. Ein paar Leute kamen heraus auf die Veranda. Sie lachten, und der Bass ihrer Musik drang durch die Stille. Nicht alle waren über die Ferien nach Hause gefahren. Mein Herz schlug auf Hochtouren.

Mein Blick huschte zu dem Haus, das vor mir aufragte. Das zweistöckige Stadthaus war das bei Weitem hübscheste in der Straße. Es war ein ehemaliges Verbindungshaus, das die Starspieler der Fulton U Trojans irgendwann früher dieses Jahr übernommen hatten, nachdem die Studentenverbindung vom Campus verbannt worden war.

Tu es. Mach einfach, niemand muss davon erfahren. Sei schnell, Jules. Rein und wieder raus. Ich warf einen kurzen Blick über die Schulter und hastete auf die andere Straßenseite. Bei all dem flüssigen Mut, der durch meine Adern rauschte, konnte mir die Kälte kaum etwas anhaben.

Ein Auto bog um die Ecke und fuhr die Straße entlang. Ich warf mich in die Büsche und hoffte, dass ich in meinem schwarzen Kapuzenpulli und der schwarzen Jeans unbemerkt bleiben würde. Nicht dass es nicht auch so schon verdächtig war, in bemüht unauffälliger Aufmachung in der Gegend herumzuschleichen.

Nach einer Flasche Wein und viel zu vielen Schoko-Cookies stand ich nun hier am Fuße der Stufen, die zur Veranda hinaufführten, mit einem schmutzigen Brief in der Tasche und flüssigem Mut, der mit jeder Sekunde schwand. Was machte ich hier bloß? Was würde ich tun, falls man mich erwischte? Falls einer der Footballspieler herauskam und mich vor der Veranda hocken sah? Würde ich die Dumme spielen? Um mein Leben rennen? Die Uni schmeißen und aus der Stadt fliehen?

Das Haus war schon die letzten paar Tage lang dunkel gewesen. Ich hatte es nur bis zum Weihnachtsmorgen zu Hause ausgehalten, bevor ich mich zurück auf den Campus geflüchtet hatte. Nach einer Woche voller Sticheleien und abfälliger Bemerkungen hatte mein Geschenk in Form von Socken und einem Kochbuch mit kalorienarmen Rezepten das Fass zum Überlaufen gebracht. Mom hatte gemeint, es sei schwierig, etwas für mich zu kaufen, aber sie wisse ja, was ich brauche. Na vielen Dank auch, Mom.

Meine Schwester hatte einen neuen Audi bekommen. Schien vergleichbar. Ich hatte den Rückzug angetreten und war in der Küche untergetaucht – ich hatte gebacken, bis ich Angst bekam, dass das Haus abbrennen könnte, nachdem der Ofen fast zwei Tage lang ununterbrochen gelaufen war.

Ich ertappte mich dabei, dass ich Zeit schindete. Je länger ich hier draußen stand, umso größer die Gefahr, dass mich noch jemand erwischte. Jemand wie Berk. Elle würde ausflippen, wenn sie auf den Campus zurückkehrte und ich ihr erzählte, was ich getan hatte. Wollte ich ihr überhaupt davon erzählen?

Jetzt oder nie. Meine Hände umklammerten den Umschlag in meiner Tasche fester.

Ich hatte acht Anläufe gebraucht, um endlich alles niederzuschreiben, was ich ihm sagen wollte. Zum Stift zu greifen und ihn in aller Tintenpracht jedes schmutzige, unanständige Detail wissen zu lassen, was ich mit ihm tun wollte und was er mit mir tun sollte. Dr. Schuller hatte gesagt, ich solle meine Sexualität akzeptieren und Risiken eingehen. Ich glaube nicht, dass er dachte, sich zu betrinken und anzügliche Briefe zu schreiben, sei das beste Ventil, aber hey, ich war hier am Improvisieren.

Ich rannte die Stufen hinauf, warf einen Blick über die Schulter und schob den Brief in den Briefkasten. Gut möglich, dass ich kalte Füße bekam und ihn mir morgen früh wieder zurückholte, sobald der Alkohol und der Kater wieder weg waren. Meine Angst schwand ein wenig. Vielleicht erlebte ich ja gerade meine Nacht des Heldenmuts und Adrenalins, aber ich konnte alles wieder rückgängig machen. Die Messingklappe schlug mit einem lauten Klappern zurück auf den Briefkasten. Das hier ließ sich auf jeden Fall wieder ungeschehen machen.

Das Licht auf der Veranda ging an und ich schlug mir die Hände vor den Mund, um ein Quieken zu unterdrücken. Ich hastete die Stufen hinunter, schlug mich wieder in die Büsche und machte dabei Bekanntschaft mit den Blättern und Zweigen.

»Hey, heute Nacht steigt hier keine Party.« Der durchdringende Klang seiner Stimme hallte durch die Nacht und jagte mir ein Prickeln über den Rücken. Oh Gott, es war Berk.

Ich vergrub den Kopf in den Händen. Warum war er hier? Nicht dass er nicht in seinem eigenen Haus sein sollte, aber wieso zur Hölle war er da? War er zurückgekommen, während ich mit Trinken und Backen beschäftigt gewesen war? Warum brannte bei ihm kein Licht? Um ein Haar wäre ich aufgesprungen, um ihm all diese Fragen an den Kopf zu werfen.

Das Knarren des Briefkastens ließ mein Herz ganz tief in die Erde bis zu ihrem geschmolzenen Kern rutschen.

Er brummte vor sich hin: »Was ist das denn?« Wahrscheinlich versuchte er daraufzukommen, wer denn heutzutage noch Briefe schrieb. Die Antwort war: betrunkene College-Neulinge, die kaum die Eier hatten, jemanden persönlich anzusprechen. »Wer ist da draußen?« Er lehnte sich ans Geländer – genau über meinem Kopf.

Mein Herzschlag dröhnte in meinen Ohren und ich rechnete damit, dass er sich in Edgar Allen Poe verwandeln und mich unter seiner Veranda entdecken würde. Ich spähte nach oben, den Rücken gegen die Ziegelmauer gepresst, als wäre ich dort festgewachsen.

Er blickte suchend links und rechts die Straße entlang, den Brief aus dem Umschlag in der Hand.

Jede Zelle meines Körper schrie, dass ich abhauen solle, und alle prickelten und feuerten gleichzeitig. Wenn er jetzt nach unten schaute, war ich tot. Dann konnten sie mich gleich hier begraben. Meine Mom und meine Schwester würden mein Grab besuchen – vielleicht.

»Nimm mich.« Das Papier raschelte und er drehte es um. »Ich will jeden Zentimeter von dir in mir spüren.« Oh Gott, er las es.

Das hieß, dass er den Teil schon gelesen hatte, in dem ich detailliert beschrieb, was ich ihm alles von der Haut lecken wollte. Wäre ich nicht zur absoluten Reglosigkeit erstarrt, hätte ich mir die Hände vors Gesicht geschlagen, das vor Scham rot leuchtete.

»Ist das ein Scherz?« Er stieg zwei Stufen nach unten. »Ich habe an meiner Flexibilität gearbeitet. Willst du mich auf die Probe stellen? Wer zur Hölle …?«

Meine Finger krallten sich in die Ziegelwand hinter mir.

Mehr Papierrascheln, dann entfernten sich seine schweren Schritte, bevor die Haustür zuging. Die Minuten zogen sich derart zäh dahin, dass meine Oberschenkel von der kauernden Position wehtaten. Ich hockte fast bis Sonnenaufgang da, bevor ich wieder über die Straße rannte und für den Rest meines Lebens dem Alkohol abschwor. Aber ich hatte es getan. Wahrscheinlich würde er herzhaft darüber lachen, den Brief wegwerfen und sich wieder der Parade von Frauen widmen, die bei jeder Gelegenheit wie Pfauen vor ihm herumstolzierten.

Aber zwei Tage später, als ich in meiner Küche stand und den Teig für die letzte Ladung Schoko-Cookies mit brauner Butter und Toffee auf das Blech löffelte, bemerkte ich eine Bewegung auf der Straßenseite gegenüber.

Berk stand auf seiner Veranda und starrte den Briefkasten an.

Ich hechtete über den Küchenstuhl und klebte mit dem Gesicht an der Scheibe. Was machte er da draußen? Nahm er Fingerabdrücke? Oh Gott, er würde herausfinden, dass ich es war, und dann würde er geradewegs über die Straße marschieren und mir verbieten, je wieder in die Nähe seines Hauses zu kommen. Fühlte sich so eine Panikattacke an? So als würde mein Herz explodieren?

Er winkte jemandem, der gerade vorbeikam. Eine Minute verging, bevor er etwas in den Briefkasten schob. Noch eine Minute und er nahm es wieder heraus, klopfte damit gegen sein Bein und blickte über seine Schulter.

Ich wich hastig vom Fenster zurück und versteckte mich hinter dem Vorhang. Sauerstoff zu atmen wurde zu einer fernen Erinnerung.

Dann ließ er das weiße Blatt Papier wieder in den Briefkasten fallen.

War das ein Brief an mich? Wollte er mir antworten? Hatte er mir zurückgeschrieben? Ich kreischte auf und machte ganze zehn Sekunden lang einen Freudentanz, bevor ich mit dem von Teig bedeckten Portionierer in der Hand zur Salzsäule erstarrte.

Ich konnte es nicht erwarten zu lesen, was er mir geschrieben hatte. Schrieb er mir, dass ich ihn in Ruhe lassen solle, oder war es eine Antwort? War es seine Antwort auf alles, was ich ihm beschrieben hatte?

Ich musste mir die Nachricht holen.

Oh shit.

2. KAPITEL

Jules – Drei Monate später

Ich fixierte die Stange vor mir mit einem strengen Blick und forderte das schimmernde Messingding heraus, nicht zu kooperieren. Der Bass aus den Lautsprechern ließ den Boden unter meinen nackten Zehen vibrieren. Es war immer besser, wenn ich nichts als die Musik hören konnte, nicht einmal meine eigenen Gedanken. »Versuchen wir, diesmal nicht meine Shorts zu zerreißen.«

Ich packte die Stange, atmete scharf aus, schwang mich herum und ließ mich von meinem Körpergewicht in einen kompletten Kreis drehen. Schwung holen war nicht schwer. Je schwerer etwas ist, umso schneller lässt es sich um acht Zentimeter dickes Messing schwingen.

Du schaffst das, Jules. Ich starrte die Stange an und forderte sie heraus, mich auf den Hintern plumpsen zu lassen, während ich sie fester packte. Vielleicht war ja Versuch Nummer siebenunddreißig die magische Zahl. Die Muskeln in meinem Arm spannten sich an, klar zum Gefecht. Ich wiegte mich und tauchte ein zur Musik, machte eine Übung, die ich im Kopf durchgegangen war. Die kleineren Tricks halfen mir, mich von dem abzulenken, was ich tun wollte.

Ich stützte die Arme ab und packte das warme Metall im Todesgriff. Das Blut stieg mir ins Gesicht, als ich die Beine über den Kopf hob. Wahrscheinlich sah ich aus wie eine reife Tomate. Ich wickelte die Oberschenkel um die Stange und nutzte meinen nicht vorhandenen Thigh-Gap zu meinem Vorteil.

Die Musik wurde intensiver und näherte sich dem Bass Drop. Ich verlagerte meinen Griff, packte das Metall und kletterte so hoch, dass ich mir beinahe den Kopf an der Decke stieß. Wahrscheinlich war es nicht die schlaueste Idee der Welt, so hoch zu steigen, wenn ich das hier versuchen wollte, aber wann hatte mir je irgendwer vorgeworfen, dass ich Dinge durchdenken würde? Der Stapel handgeschriebener Briefe unter meinem Bett war ein Zeugnis davon.

Ich tauschte die Hände, hielt mich hinter dem Knie fest und streckte das andere Bein gerade aus. Mein Herz hämmerte doppelt so schnell wie der wilde Beat der Musik. Liebe Rumpfmuskeln, bitte lasst mich jetzt nicht im Stich. Ich ließ mit den Händen los, schwang den Oberkörper von der Stange weg und hielt mich nur mit den Beinen fest. Ich drehte mich wie eine Figur in einer Spieldose – wenn auch wie eine irgendwie verkorkste. Ich streckte den Oberkörper im rechten Winkel zur Stange aus und nahm eine entschlossene Pose ein. Zumindest hoffte ich, dass sie entschlossen war. Die Website hatte diese Haltung als »Göttliche Diva« bezeichnet. Offenbar besaß ich eine masochistische Ader.

Ein verstohlener Blick in den Spiegel zeigte mir, dass ich eher wie ein Klammeraffe aussah, der sich an einem Baum festhielt, um nicht aus dem Kronendach des Regenwaldes in die Reißzähne eines Raubtieres zu stürzen, komplett mit reichlich Schweiß und zitternden Muskeln. Keuchen und Schwitzen fühlte sich nicht besonders divenhaft an. Ich holte tief Luft, entspannte mich in die Pose hinein, richtete die Zehen gerade zur Decke hoch und streckte den Arm wie einen Flügel aus.

Ein aufgedrehtes Lachen stieg in mir hoch und ich riskierte noch einen kurzen Blick in den Spiegel. Ich war eine pummelige Diva, aber Himmel noch mal, ich war auch krass drauf. Und ich war dabei, langsam in Richtung Fußboden zu rutschen, dank des Schweißes, der sich in meiner Kniekehle sammelte.

Jeder Move, den ich schaffte, ließ mich ein wenig mehr wertschätzen, wie weit ich bisher gekommen war: Von den ersten Tagen, an denen ich abgerutscht war bei dem Versuch, mit den Füßen fest auf dem Boden eine einfache Drehung zu machen, bis hin zu der Pole-Dance-Diva, in die ich mich langsam verwandelte. Dies war mein Körper und ich liebte ihn und das, was er leisten konnte, total.

Und wenn ich es mir immer wieder sagte, würde ich es irgendwann auch an den Zweifel-Tagen glauben.

Mit einer schwungvollen Bewegung ließ ich mich auf den Boden meines Zimmers sinken und fügte noch eine Drehung für mein imaginäres Publikum hinzu.

Das Lied endete und ich stemmte die Hände in die Hüften, keuchte und schwitzte, als wäre ich fünf Kilometer gelaufen, und hatte ein Grinsen im Gesicht, das so breit war, dass ich es bis in die Zehen spüren konnte. Ich hüpfte auf und ab und gab mir selbst ein High Five und ein paar »Juuhuu«-Rufe. Auch wenn es schwerer war zu sehen, ob ich die Bewegungen zu einhundert Prozent richtig machte, wollte ich mich auf keinen Fall dabei filmen, um es mir später anzusehen, oder in ein Pole-Dancing-Studio mit Spiegelwänden gehen. Dieses Level Selbstsicherheit hatte ich bisher nicht erreicht – noch nicht.

Ich ließ mich aufs Bett fallen und starrte hoch an die Decke. Meine engen kurzen Shorts und der Sport-BH bedeckten mich nur dürftig, aber beim Pole-Dancing ging es auch nicht gerade um Sittsamkeit. Ich hatte den Sport in meinem ersten Studienjahr auf Drängen meines Therapeuten hin ausprobiert, und Hölle, es hatte tatsächlich geholfen – ein wenig. Es war eine Möglichkeit für mich, Kraft aufzubauen, Vertrauen in meinen Körper zu gewinnen und vielleicht sogar den Versuch zu wagen, mich ein klein wenig sexy zu fühlen.

Unten schlug die Tür zu und ich schoss vom Bett hoch.

»Jules!« Berks unverkennbare Stimme versetzte mich sofort in den Panikmodus. Ich sprang auf, fiel vom Bett und brachte dabei die Parfümflaschen auf meiner Kommode zum Klirren. Hastig rappelte ich mich auf, schnappte mir meine Jogginghose, zog sie an und hüpfte dabei von einem Fuß auf den anderen. Dann schnappte ich mir meine Brille vom Schreibtisch und schob sie mir ins Gesicht.

Berk fragte sich wahrscheinlich, ob ich oben in meinem Zimmer ein wildes Tier gefangen hielt. Ich nahm mein langärmliges T-Shirt und meine Kapuzenjacke von der Stuhllehne, obwohl es August war. Der Stoff klebte an meiner schweißnassen Haut und wahrscheinlich hatte ich ein vor Anstrengung und Aufregung feuerrot leuchtendes Gesicht, aber das war besser, als wenn er hier heraufkam und mich halb nackt vorfand. Eine neue Welle der Panik jagte mir durch den Leib und ich zog mich noch schneller an und riss die Tür auf.

Meine Füße berührten kaum die Stufen, als ich nach unten raste.

»Berk.« Ich stürmte in die Küche und stützte den Arm am Türrahmen ab. Die Schmetterlinge in meinem Bauch wurden zu einer ganzen verdammten Safari. Ich verzog die Lippen zu etwas, das, wie ich hoffte, kein Serienkillerlächeln war. Mein Herz leuchtete wie ein Scheinwerfer, also schlang ich die Arme fester um mich. Prickelnde Schauer liefen mir den Rücken rauf und runter, als ich sein unordentliches Haar und die Jeans sah, die seinen Hintern und die wohlgeformte Taille besser umfing, als meine mir je passten.

Er hob ruckartig den Kopf und der halbe Keks, der aus seinem Mund ragte, brach ab und fiel auf den Tresen. »Da bist du ja.« Seine Worte klangen gedämpft durch die zwei gullydeckelgroßen Cookies, auf denen er herumkaute.

»Dachtest du, ich verstecke mich in meiner Keksdose?«

»So nennst du das in letzter Zeit?« Killerlächeln und direkter Treffer. »Die alte Keksdose.« Er hatte Lachfältchen in den Augenwinkeln, sein Wuschelkopf war unordentlich und immer noch ein wenig feucht. Wahrscheinlich vom Duschen drüben im Stadion. Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, nach dem Football-Training vorbeizuschauen.

Kichere nicht wie eine Idiotin. Sei cool, Jules.

»Unter anderem.«

Er legte den Kopf schief und sein Blick glitt über meinen Körper. Okay, das war vielleicht Wunschdenken, aber es war zu gleichen Teilen beängstigend und berauschend. »Wieso bist du so verschwitzt?«

Oh. Natürlich hatte er nicht wirklich ein Auge auf mich geworfen. »Weil …« Mein Gehirn setzte aus und Funken schossen aus sechs verschiedenen Winkeln heraus wie bei einem schlecht geölten Motor. Rette sich wer kann! Rette sich wer kann! »Weil ich die Treppe runtergelaufen bin.« Ich ballte die Finger fest zu einer Faust, um mich davon abzuhalten, mir die Hand an die Stirn zu schlagen. Ganz toll, Jules. Jetzt denkt er, du bist derart aus der Form, dass du nicht mal eine Treppe nach unten laufen kannst, ohne ins Schwitzen zu kommen.

Er nickte, als hätte ein Typ, der regelmäßig über ein Football-Feld rannte, ohne dabei außer Puste zu kommen, das gleiche Problem.

»Bist du nur eingebrochen, um Cookies zu mopsen, oder war sonst noch was?«

In seinen toffeebraunen Augen stand ein verlegenes Glitzern. Er wischte sich die Krümel von der Hand, hielt sie sich an den Mund und räusperte sich. »Hast du etwas Milch?«

Ich lachte, holte Milch aus dem Kühlschrank und schenkte ihm ein Glas ein. Dann schob ich es über den Tresen, wobei ich darauf achtete, dass sich meine Finger auf der anderen Seite des vom Kondenswasser feuchten Glases befanden, weit weg von seinen.

Ich verschränkte die Arme und lehnte mich an den Tresen. »Hast du je dieses Buch gelesen: Wenn man einer Maus einen Cookie gibt? Obwohl, in deinem Fall ist es wohl eher: Wenn eine Maus in dein Haus einbricht und einen Cookie stiehlt.« Ich zog den Mundwinkel hoch.

»Es war nicht abgeschlossen.« Er trank das Glas aus und stellte es wieder hin. »Ist nicht die beste Idee, wenn du in einer Straße voller Degenerierter deine Tür nicht abschließt.«

»Genau. Wer weiß schon, welcher Verrückte hier auftaucht und anfängt, meine Nahrungsvorräte zu plündern.«

»Genau.« Er tippte mir mit einem der Cookies, den er aus der Dose gemopst hatte, als ich ihm den Rücken zugedreht hatte, an die Nase. »Ich bin nicht aus Spaß hier. Es ist Zeit für eine ernste Angelegenheit.«

»Sind wir dieses Jahr wieder im selben Philosophiekurs?« Letztes Jahr hatte ich in Staatsphilosophie den Platz hinter Berk gehabt.

Er zuckte mit den Schultern. »Nein, Ethik, aber darum geht es nicht.« Sein Blick wurde absolut ernst. »Es geht um meine Brieffreundin.«

Ich stand so stocksteif da, als sei gerade ein T-Rex in die Küche gekommen. Atmen, Jules. Atmen wäre jetzt ganz gut. Die Brieffreundin.

Das Mädchen, das aufzuspüren ich mich angeboten hatte.

Das Mädchen, das ihm letztes Semester schmutzige, sexy Briefe geschrieben hatte – und zwar monatelang, angefangen mit einem Brief nach einem Anfall von Irrsinn im Suff in den Winterferien.

Das Mädchen, auf das er nie wirklich stehen würde, sobald er wusste, wie es aussah.

Das Mädchen, das vor ihm stand, in der zu warmen Küche in zu warmen Klamotten, die mit jeder Sekunde noch wärmer wurden.

»Was ist mit ihr?« Ich hoffte auf jeden Fall, dass ihm meine Imitation von Minnie Maus gefiel.

»Ist dir noch etwas anderes eingefallen, wie wir sie finden können, wenn das Semester anfängt?«

»Vielleicht will sie ja nicht gefunden werden.«

Seine Augen wurden groß und er schüttelte mit einem stahlharten, entschlossenen Blick den Kopf. »Das kommt gar nicht infrage. Die Dinge, über die wir geredet haben …«

Er wollte die Frau finden, die ihm beschrieben hatte, wie sie völlig selbstsicher alle möglichen sexy Dinge mit ihm anstellen wollte. Dinge, die ich mit ihm anstellen wollte – doch hier stand ich, eingemummelt, als würde ich gegen Frostbeulen ankämpfen. »Das Sexzeug?«

Seine Mundwinkel bogen sich nach unten. »Nicht nur das.«

Der Briefwechel hatte als Übung angefangen, um meine Sexualität in einer sicheren Umgebung auszudrücken, so wie Dr. Schuller empfohlen hatte. Wem wollte ich etwas vormachen? Er hatte seinen Anfang genommen, weil ich ein betrunkener Feigling gewesen war. Es bestand keine Chance, dass ich zu Berk hingehen und ihm die Dinge sagen konnte, die ich anonym geschrieben hatte, aber im Laufe der Monate hatten sich die Dinge verändert, und wir hatten begonnen, mehr von uns in den Briefen preiszugeben, über das hinaus, was wir mit dem Körper des jeweils anderen anstellen wollten – nicht dass davon nicht auch noch eine gehörige Portion dabei war.

»Sie war – ist jemand, den ich persönlich kennenlernen muss.«

Ich machte den Mund auf, um ihm neunhundert Gründe zu liefern, warum das eine ganz furchtbare Idee war. Doch da klopfte es und die Haustür ging krächzend auf.

»Habe dir doch gesagt, dass du abschließen musst.« Berk ging in Position, als sei er bereit, den Eindringling zu Boden zu werfen, falls tatsächlich irgendwer von der Straße beschlossen hatte, hier aufzutauchen und Probleme zu machen. Bisher hatte sich nur ein einziger betrunkener Partygänger ins Haus verirrt und sogar das war einigermaßen enttäuschend gewesen. Wir waren aufgewacht und hatten ihn schlafend auf dem Fußboden im Wohnzimmer gefunden. Okay, es war drei Mal vorgekommen, aber wer zählt schon mit?

»Julia?« Die leise und liebliche Stimme drang von der Eingangstür herüber.

Oh ja, in diesem Moment hätte ich mich viel lieber ein paar postapokalyptischen Kannibalen auf Motorrädern gegenübergestellt, als an die Tür zu gehen. Da stand ein knallharter Angriff bevor, aber in Gefahr waren nur meine Gefühle.

»Beruhige dich.« Ich legte ihm die Hand auf die Schulter. »Das ist meine Schwester.« Ich warf ihm ein kaum sichtbares Lächeln zu und verließ die Küche. Ich hoffte insgeheim, dass ich mich nach all den Jahren vielleicht nicht richtig an ihre Stimme erinnerte und sie es gar nicht war, aber es gab nur eine Handvoll Menschen auf der Welt, die mich Julia nannten.

Ich betrat den Flur und wurde von ihrem Glanz beinahe geblendet.

Ein blassrosa Blazer mit bis zu den Ellbogen hochgeschobenen Ärmeln.

Ein makelloses weißes T-Shirt – das wahrscheinlich mehr gekostet hatte als meine Miete – und perfekte Designerjeans im Used Look, die ihre Beine eng umschlangen: Sie sah aus, als sei sie gerade der neuesten Influencerkampagne entsprungen.

Dazu blassrosa High Heels, in denen ich nicht einmal Pole-Dancing geschafft hätte, ihre Handtasche von Hermès sowie geschmackvoll schlichte Schmuckstücke, die hier und da Akzente setzten, und Laura war die Bilderbuchkopie unserer Mutter, verjüngt auf achtundzwanzig Jahre – obwohl Mom jedem erzählte, dass zwischen ihnen nur einundzwanzig Jahre lägen.

»Hi, Laura.« Ich verschränkte die Arme und mein vorgetäuschter Mut von vorhin schlich sich langsam zur offenen Tür hinaus.

»Ist das eine Art, deine Schwester zu begrüßen?« Sie streckte die Arme aus, als sie in mein Haus trat, nicht für eine Umarmung, sondern als erwarte sie, dass Kakerlaken an ihr vorbeihuschen und sie mit sich reißen würden.

Ich umarmte sie und brachte so tatsächlich echten Kontakt in ihre Luftumarmung.

»Wieso bist du so verschwitzt?« In ihren Worten lag ein deutlich kritischer Unterton.

Ich ließ die Arme sinken und trat einen Schritt zurück. »Fitnesstraining.«

Ihre Augen wurden groß und der Anflug eines Lächelns huschte über ihre Lippen. Die Art, die zu einer Horde gemeiner Mädchen passte, die sich darüber lustig machten, wenn jemand wie ich endlich den Mut fand, ins Fitnessstudio zu gehen, um ein gesünderes Leben zu beginnen und vielleicht ein paar Pfunde zu verlieren. »Das ist großartig, Julia.«

»Wieso bist du hier?« Ich verschränkte wieder die Arme, als könnten sie mich vor jeglichen Angriffen schützen, die sie geplant haben mochte.

»Kann ich denn nicht mal einfach so zu Besuch kommen?« Sie ließ den Blick durch mein Haus schweifen. Es machte immer noch nicht viel her, aber wenigstens hatte sie die Bude nicht letztes Jahr gesehen, bevor sie die Kurve von »kaum bewohnbar« zu »wahrscheinlich-holst-du-dir-hier-keine-Staphylokokkeninfektion« gekriegt hatte.

»Hast du in den letzten drei Jahren auch nicht gemacht.«

»Es gibt für alles ein erstes Mal. Und Mom wollte, dass ich dafür sorge, dass du zur Verlobungsparty am Wochenende kommst. Du hast nicht auf ihre Nachrichten geantwortet.«

Ich hatte vielmehr beschlossen, sie zu ignorieren und zu hoffen, dass vielleicht ein Meteor auf dem Planeten einschlagen oder ich mir die Beulenpest einfangen würde und so eine Ausrede hätte, um nicht zu kommen.

»Ich habe eine Menge um die Ohren und drei volle Tage ist zu dieser Zeit im Jahr ziemlich hart. Die Kurse fangen an und ich muss mit der Jobsuche beginnen.« Ich strich mir durchs Haar und war mir dabei nur allzu bewusst, welchen Kontrast mein unordentlicher Haarknoten zu ihrer perfekten Frisur bildete, bei der jede Strähne an ihrem Platz lag.

»Aber es ist meine Hochzeit.«

»Es ist deine Verlobungsparty. Die meisten Menschen machen keine dreitägige Verlobungsparty.«

»Aber das muss etwas Besonderes werden. Eine wundervolle Reise, die niemand vergessen wird, um die Liebe zwischen Chet und mir zu feiern.«

Ich musste echt alles in mir aufbieten, um nicht loszukotzen. Ich presste die Lippen fest aufeinander.

Sie rauschte auf mich zu und ergriff meine Hände. Ihre Finger waren eiskalt, obwohl es draußen über dreißig Grad heiß war. »Du bist meine einzige Schwester, Julia, und wir sprechen hier von meiner Hochzeit.«

»Nein, von der Verlobungsparty.«

»Was würden alle anderen sagen, wenn du nicht dabei wärst?«

»Ich bin sicher, sie kämen darüber hinweg.«

»Dad würde wollen, dass wir zusammen sind und diese besondere Zeit miteinander teilen.«

Ich kämpfte gegen den Drang an, gequält die Miene zu verziehen. Verdammter Volltreffer. So geübt und routiniert. Nach all der Zeit sollte ich doch in der Lage sein, nicht mehr auf diese Art von Manipulation hereinzufallen. Dad würde wollen, dass wir zusammen sind, aber als er noch da war, hatte es sich nicht angefühlt, als würde jemand mit einem Liter Zitronensaft über mir stehen, um den Saft in meine immer noch nicht verheilten emotionalen Verletzungen zu reiben.

»Mom will dich dabeihaben. Ich will dich dabeihaben.« Laura tätschelte meine Hand, als wolle sie mich beruhigen. »Und Chet will dich dabeihaben.« Sie hatte ihr strahlendstes Lächeln voll aufgedreht.

Chet. Ich hätte schon bei unserer ersten Begegnung wissen müssen, dass er Probleme bedeutete – allein wegen seines Namens. Mein Quasi-Ex und jetzt Verlobter meiner Schwester. Ich hatte die beharrliche Forderung von Mom und Laura, den Jungen, mit dem ich mich traf, mitzubringen, mit allen Tricks abgewehrt, die mir einfielen, bis er sie schließlich doch kennenlernte und das Unausweichliche passierte.

In der neunten Klasse hatte ich ein einziges Geschenk zum Valentinstag bekommen. Laura hatte über zwanzig bekommen und darauf geachtet, sie überall mit sich herumzutragen, damit sie auch jeder sehen konnte. In der zehnten Klasse war sie beim jährlichen Treffen der Absolventen die Homecoming Queen – etwas noch nie Dagewesenes für ein Mädchen in ihrem Alter an unserer Schule – und Prom Queen auf einem Abschlussball, zu dem sie von einem Zwölftklässler eingeladen worden war. Die Erfolgs-Messlatte der Familie war immer einfach ein paar Zentimeter zu hoch für mich gewesen. Nachdem sie ihren Abschluss gemacht hatte, hatte ich ein wenig leichter atmen können und gedacht, nun würde man mich nicht mehr ständig mit ihr vergleichen. Und dann zog Chet in die Stadt, frei von dem Ballast, zwölf Jahre mit denselben Leuten in die Schule gegangen zu sein. Für die Dauer eines Schuljahres durfte ich einen kurzen Blick darauf erhaschen, wie es war, nicht in ihrem Schatten zu leben – und dann kam die lebenslange Finsternis postwendend wieder.

Jules wurde abgeschoben wie eine alte mürrische Kuh und Laura wurde die Sonne am Firmament dieses nichtsnutzigen Dreckstücks, Sohn eines verdammten … Und jetzt wollten sie heiraten, nachdem sie bequemerweise vergessen hatten, wo ihr Happy End überhaupt angefangen hatte.

Wir haben uns über eine gemeinsame Freundin kennengelernt.

So wie sie es beschrieben, klang es weit weniger skandalös.

Also hüpfte ich nicht gerade vor Freude bei der Aussicht, auf dem Landgut festzusitzen, wo die gesellschaftlich aufstrebenden Mitglieder der Kelland-Familie ihre Verlobungsparty abhalten würden, ganz ohne Ironie mit dem Motto Der große Gatsby. Und als wäre es noch nicht genug, mir den Freund auszuspannen, verlegte Laura den Tatort auch noch an den Ort, an dem ich immer meine Gelübde hatte austauschen wollen, mit einem Mann, der mich ansah wie sonst kein anderer. Im Sommer war sie früher immer zu beschäftigt gewesen, um mit Dad dorthin zu gehen.

Man möge mir verzeihen, dass ich nicht geantwortet hatte.

»Jules, macht es dir was aus, wenn ich ein paar mitnehme?« Mit seinem gewinnenden Lächeln im Gesicht, das jeder Frau die Knie weich werden ließ, und einer riesigen Dose Kekse in der Hand kam Berk aus der Küche.

»Na, Hallöchen.« Laura warf mich beinahe um, als sie wie ein Model an mir vorbeiglitt und direkt auf Berk zuschwebte.

»Hey.« Er blickte sich um wie ein Reh im Scheinwerferlicht.

»Ich bin Laura Kelland.« Sie warf mir einen Blick über die Schulter zu. »Ein Freund von dir?«

Berks Blick zuckte zwischen mir und Laura hin und her. Ich zog die Schultern hoch und spannte die verschränkten Arme an. In meiner Magengrube spross ein regelrechter Baumstamm mit ein paar Ästen, als ich mich auf die Frage gefasst machte, die mir schon so oft gestellt worden war.

Neben meiner Mom und meiner Schwester sah ich immer wie die komische Cousine aus, die in jeder Sitcom eingeführt wurde, um das Ganze ein wenig aufzulockern, wenn es langweilig wurde. Als Dad noch am Leben war, hatte alles Sinn ergeben. Laura sah aus wie die Miniaturausgabe von Mom, ich kam eher nach ihm, und unser Bild war komplett. Doch seit er nicht mehr da war, war ich die, die nicht dazugehörte – immer.

»Laura, das ist Berk. Berk, meine Schwester Laura.«

Und hier kommen die üblichen vergleichenden Blicke mit großen Augen von einer Schwester zur anderen, hin und her. Ich war ziemlich groß, ein Meter zweiundsiebzig, um genau zu sein, wie mein Vater, während sie kleine, aber gertenschlanke ein Meter zweiundsechzig maß. Neben mir wirkte sie beinahe wie jemand im Taschenformat.

Sie besaß leuchtend blaue Augen, meine dagegen hatten einen schlammig-moosigen Farbmischmasch, versteckt hinter Brillengläsern.

Und dann waren da noch die zweiundzwanzig Kilo, die ich mehr hatte als sie. Neben meiner zierlichen Schwester kam ich mir immer plump und überdimensioniert vor.

Aber in Berks Augen standen nicht die gleichen Fragen oder kritischen Vergleiche wie bei den meisten anderen Menschen. Er schüttelte ihr die Hand, als ergäbe es absolut Sinn, dass wir Geschwister waren, obwohl selbst ich es manchmal nicht begreifen konnte.

»Ich wusste gar nicht, dass Jules sich mit jemandem trifft. Du musst unbedingt zur Verlobungsparty kommen. Es wäre so wundervoll, wenn du dabei wärst.«

Ich ballte die Fäuste und mein Herzschlag raste. Das machte sie mit Absicht: Sie lud jemanden ein, von dem sie genau wusste, dass er niemals mein Freund sein konnte, damit sie über ihren vermeintlichen Irrtum lachen, ihm die Hand auf die Brust legen und schamlos mit ihm flirten konnte, noch dazu mit dem Bonus, dass sie betonen konnte, wie dumm sie doch gewesen wäre, so etwas auch nur anzunehmen.

»Berk ist nicht …«

»Klar, für eine Party bin ich immer zu haben.« Er nickte schulterzuckend.

Laura legte den Kopf in den Nacken, aber ihr Lachen brach mittendrin ab. Mit einem Ruck senkte sie den Kopf wieder und starrte ihn an. »Was?«

»Jules hat es mal erwähnt. Die Hochzeit ist im Frühling, richtig? Klar komme ich.«

»Aber …« Ihr Blick glitt zur Seite und begegnete meinem. »Du bist tatsächlich …«

Ich setzte ein Lächeln auf. »Du hast ihn gehört. Er würde sehr gern kommen. Ihr habt doch noch Platz für ihn, oder?« Ich packte sie an den Schultern. »Wir sehen uns am Wochenende.«

Laura nickte, zutiefst geschockt und immer noch mit einem Blick, als könne sie nicht glauben, was gerade passiert war.

»Perfekt.« Ich schob sie zur Tür. »Wir sind um fünf da, wir sehen uns, freue mich für euch beide, liebe dich, bye.«

Sie drehte sich auf der Veranda um.

Ich schlug die Tür zu, lehnte den Kopf gegen das stabile Holz und schloss die Augen.

»Soll ich am Freitag oder Samstag um fünf bereit sein?« Berk wedelte mit den Salted-Caramel-Cookies mit Schokostückchen und Espressosplittern, die ich immer für ihn bereithielt.

Oh Gott, dachte er, ich hätte meiner Schwester erzählt, dass wir miteinander ausgingen? »Ich habe das nur gesagt, um sie loszuwerden. Du musst nicht hingehen.« Ich hatte die heutige Demütigung fürs Erste verschoben, würde sie aber in drei Tagen über mich ergehen lassen müssen, wenn ich ohne Berk auftauchte. »Ich habe sie nur glauben lassen, wir würden miteinander ausgehen, um sie loszuwerden.«

»Willst du nicht, dass ich mitkomme?« Ein Anflug von Verletztheit huschte über sein Gesicht.

Wollte er wirklich mit mir hingehen? Als ob – er wollte nur höflich sein. »Natürlich will ich das, aber das kann ich nicht von dir verlangen. Du hast Training. Das Semester fängt ja schon nächste Woche an.« Na bitte, damit hatte ich ihm einen Ausweg geliefert, wie er sich elegant aus der Affäre ziehen konnte.

»Es würde mir nichts ausmachen, ein paar Tage hier rauszukommen. Du hast das Ganze doch schon mal erwähnt, richtig?«

»Als Scherz. Ich will nicht, dass du denkst, du musst kommen.«

»Ich hätte es nicht angeboten, wenn es für mich nicht okay wäre. Die Saison wird intensiv. Eine Party mit gutem Essen und erstklassigem Alkohol, nach der ich nicht sauber machen muss, klingt für mich verdammt gut. Wenn es für dich okay ist.«

Ich klappte den Mund auf und wieder zu wie ein Fisch an Land. »Klar, ich fänd’s toll, wenn du mitkommst.« Ich sollte ein Sternchen dafür bekommen, dass ich nicht auf der Stelle ein Loch in den Boden buddelte, um darin zu verschwinden, nachdem ich das gesagt hatte.

»Wir werden Spaß haben. Ich werde dich nicht blamieren, keine Sorge.« Er ging zurück in die Küche.

»Das würde ich auch nie annehmen.«

Nachdem sich die Wurzeln, die meine Füße festgehalten hatten, aufgelöst hatten, folgte ich.

Er kippte gerade noch ein Glas Milch hinunter. »Jetzt, da wir das geklärt haben, lass uns herausfinden, wie wir DBF aufspüren wollen.«

»DBF?«

Er erwiderte meinen Blick mit Entschlossenheit in den Augen. »Ich werde nicht aufhören, bis ich Die Brieffreundin gefunden habe.«

3. KAPITEL

Berk

Der Duft nach braunem Zucker, Zimt, Schokolade und Vanille machte es zu einer neuen Lieblingsbeschäftigung von mir, in Jules’ Küche zu marschieren. Jedes Mal, wenn ich durch ihre Tür kam, lief mir das Wasser im Mund zusammen und ich wollte direkt in den Tresen beißen. Es war, als befände man sich in der Filmsetversion eines perfekten Hauses. Nicht dass ihr Haus perfekt war. Der Vermieter hatte es seit letztem Jahr einigermaßen reparieren lassen, nachdem Jules’ alte Mitbewohnerin ihn vor Gericht auseinandergenommen hatte, weil er das Haus nicht den Bauvorschriften entsprechend instand gehalten und nötige Reparaturen vorgenommen hatte, aber eigentlich hatte es nichts damit zu tun, wie es hier aussah.

In Jules’ Haus zu kommen war, wie ein richtiges Zuhause zu betreten, komplett mit einer hübschen Schürze, die neben der Tür hing, stapelweise sauber verpackten Leckereien und Tupperdosen voll mit noch mehr guten Sachen. Ich hätte stundenlang hier sitzen und das alles in mich einsaugen können – und bergeweise das leckere Zeug futtern, das immer griffbereit war.

»Ich könnte Flugblätter auf dem ganzen Campus verteilen mit einem Foto von einem der Briefe.« Einer extrem zensierten Version der Briefe. Vielleicht einem kleinen Ausschnitt.

»Aber wer kennt denn heutzutage noch die Handschrift anderer Leute? Die meisten nutzen doch für alles ihre Computer oder Handys.« Jules rieb sich mit dem Daumen über die Unterlippe. Ob sie wohl nach Zucker schmeckte? Ich riss den Blick von ihren Lippen los. Lass das, Mann. Jules war toll, aber ich hatte nicht vor, mich von meiner Suche ablenken zu lassen.

»Da hast du recht.«

Wie kann man jemanden verlieren, dem man nie begegnet war? Die Brieffreundin war in mein Leben geschlittert wie ein Profieinbrecher und hatte sich in mein Herz geschlängelt, noch bevor ich wusste, was geschah.

Sie war alles, was ich je von einem Mädchen wollte. Heiß wie die Hölle. Klug und einfühlsam. Der langsame Übergang der Briefe von nicht jugendfrei zu einem Mehr hatte mich eiskalt erwischt, aber sie war zu jemandem geworden, mit dem ich reden konnte. Zu jemandem, dem ich Dinge von mir anvertrauen konnte, die ich mit anderen nicht teilte. Sie wusste nicht alles über meine Vergangenheit, aber sie wusste mehr als die meisten.

Niemand wollte die sexy Brieffreundin eines ehemaligen Pflegekinds sein, das auf der ganzen Welt beinahe niemanden hatte. Nein, das war etwas für den Typen im letzten Collegejahr, den angehenden Profisportler.

Lass nie jemanden sehen, wenn dir etwas zu schaffen macht. Das hatte ich in Pflegefamilie Nummer vier gelernt. Wenn alles ein Witz ist, gibt es nichts, womit irgendwer dir wehtun kann, aber DBF zu verlieren, als ich dachte, ich hätte endlich jemanden gefunden, der mein wahres Ich kannte und sich tatsächlich etwas aus mir machte? Das tat verdammt weh. Es war, als würde man mir immer mal wieder das Herz zusammenquetschen, bis mir das Atmen schwerfiel.

Jules schob ihre Hand näher – die Bewegung wirkte irgendwie abgehackt wie in einem Animationsfilm, der immer wieder stehen blieb, bevor sie schließlich mit einem leichten Tätscheln auf meiner landete. »Ist es dir wirklich so wichtig, sie zu finden?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Vielleicht nicht. Wahrscheinlich hatte sie es irgendwann satt, meine verdammte Sauklaue entziffern zu müssen.« Ich zwang ein Lachen durch meine zugeschnürte Kehle.

»Wenn die Saison anfängt, wird es ziemlich verrückt für dich, oder?«

»Da hast du recht. Ich schätze, ich hab mich so darauf fixiert, weil momentan sonst nicht viel los ist.« Nein, das würde immer eine Frage bleiben, auf die ich eine Antwort brauchte: Wer ist DBF und haben ihr all die Dinge, über die wir geschrieben hatten, ebenso viel bedeutet wie mir?

Ich schob die Plastikdose näher an den Rand des Tresens. »Ist es okay für dich, wenn ich die mitnehme?«

Ihre Augen spiegelten ihr Lächeln wider. »Was glaubst du denn, für wen ich sie gemacht habe?« Sie drehte sich um und stellte den jetzt leeren Teller ins Spülbecken.

Hitze breitete sich plötzlich in meiner Brust aus und ließ mich erstarren. »Du hast die extra für mich gebacken?«

»Der einzige Weg, um den Rest meiner Cookies vor deinem Bauch zu bewahren. Manchmal kommt es mir vor, als würde ein Bär hier auf Futtersuche gehen.«

»Du könntest jederzeit die Tür abschließen.«

Sie warf mir einen Blick von der Seite zu und zog einen Mundwinkel hoch. »Könnte ich.«

Ich trat einen Schritt zurück, obwohl ich eigentlich einen Schritt vorwärts wollte. Immer langsam, Berk. Das hier ist Jules. Spiel nicht mit ihr, wenn du doch voll darauf fixiert bist, DBF zu finden. »Danke für die hier. Dann lasse ich dich jetzt in Frieden. Und ich bin am Freitag da für das Ding.«

Sie nickte und trocknete den Teller in ihrer Hand ab.

Draußen joggte ich über die Straße, ging direkt zum Briefkasten und hob die Messingklappe hoch. Ein Krater aus Enttäuschung schlug in mein Herz ein.

Wir hatten das Haus ein wenig aufgepeppt, nun da wir es geschafft hatten, die umherziehenden Partymonster fernzuhalten. Zwei Jahre lang hatten wir Partys in unserem Haus gefeiert. Es war wie Magie: Einmal blinzeln, und schon waren da fünf Bierfässchen, ein DJ und überall rote Plastikbecher.

In der Küche schaute ich kurz über die Schulter, ob auch keiner in der Nähe war, und öffnete einen der oberen Schränke neben der Hintertür. Ich schob die Schachtel mit den Grünkohlchips zur Seite, stellte die Tupperdose hinein und schob die Chips wieder an ihren Platz. Nach dem Mäusefiasko in meinem ersten Studienjahr hatte ich meine Lektion gelernt, was das Horten von Nahrungsmitteln in meinem Zimmer anging, aber das hieß nicht, dass Jules’ Cookies für alle zu haben waren. Vor allem nicht, nachdem sie sie extra für mich gemacht hatte.

Die Haustür ging auf und ich schlug den Küchenschrank zu, drehte mich hastig um und verschränkte die Arme.

Keyton kam mit einem Rucksack und einem Gitarrenkoffer in der Hand herein. Als er mich sah, blieb er wie angewurzelt stehen.

»Ich wusste gar nicht, dass du spielst.«

Ein Muskel an seinem Hals spannte sich an. »Tue ich auch nicht.«

LJ und Marisa kamen die Treppe heruntergestürmt und diskutierten über etwas. Irgendwas. Wahrscheinlich darüber, ob eine Ameise ein ameisengroßes Auto hochheben konnte oder nicht oder wer am längsten die Luft anhalten konnte. Sie hatten nie die hohe Kunst erlernt, sich nicht anzuhören, als würden sie gerade ein Wrestlingmatch abhalten, wann immer sie gemeinsam irgendwo hingingen.

»Oh, eine Gitarre. Wusste gar nicht, dass du spielst.« Marisa hüpfte von der letzten Stufe.

Keyton zog den Kopf ein. »Tue ich auch nicht.«

»Wozu die Gitarre, wenn du gar nicht spielst?«, fragte LJ, bevor Marisa den Mund aufmachen konnte.

Keyton verlagerte den Koffer und hielt ihn mit beiden Händen fest. »Ich … ich passe für einen Freund darauf auf.«

Marisa lachte. »Das ist so süß von dir. Nett und fürsorglich, etwas für einen Freund zu tun. So etwas in deinem Zimmer unterzubringen, das so viel Platz braucht. Das ist etwas Großes, nicht so etwas Kleines, wie jemandem zu zeigen, wie man Ramen-Nudeln oder Arme Ritter macht.«

Und einfach so hatte die Unterhaltung plötzlich gar nichts mehr mit Keyton zu tun. Er nutzte die Gelegenheit und eilte die Treppe hoch.

»Ris, als du das letzte Mal versucht hast, Pasta zu machen, mussten wir den Topf wegwerfen.«

Ich schauderte. Der verbrannte Geruch hatte sich eine Woche lang im ganzen Haus gehalten.

»Deshalb musst du es mir ja auch zeigen. Wir können einen Schlachtplan machen.«

»Ich bräuchte eine gute Rüstung, so viel ist mal sicher«, brummte LJ.

Ich nahm mir einen Twizzler von meinem Stapel auf dem Tresen. Essen bot mir immer Trost. Wenn ich meinen Magen füllen konnte, war alles gut. So war das eben, wenn man mit nicht viel zu essen aufwuchs.

Aber ich hatte meine Chance. Dies würde mein Jahr werden, aber trotzdem war da immer noch diese Angst, so grässlich wie Fingernägel, die über eine Tafel kratzen, dass sich die Dinge nicht so entwickeln würden, wie ich es zu hoffen wagte.

DBF, meine letzte Saison als Fulton U Trojan, der Draft und ein Plan, den ich in Gang gesetzt hatte, das alles konnte krachend in sich zusammenbrechen – mit einem verletzten Knie. Einer schlechten Note. Einem einzigen Ausrutscher.

Dieses Jahr stand viel auf dem Spiel. Ich biss ein Stück von der Fruchtgummistange ab und folgte LJ und Marisa ins Wohnzimmer.

Keyton kam wieder herunter, ohne Gitarre, und sah jetzt weit weniger so aus, als würde er jeden Moment die Flucht ergreifen. »Will jemand was zu trinken? Ich besorge was.«

»Wir sollten unseren Fernseher für diese Saison aufmotzen. Reece’ erstes Spiel ist in einer Woche.«

»Für einen größeren Fernseher bin ich immer zu haben.« LJ setzte sich neben Marisa auf die Couch.

»Hast du denn Geld zum ›Fernseher aufmotzen‹?« Marisa verschränkte die Arme.

»Puh, danke dass du fragst, Mom.«

»Könnt ihr zwei das Vorspiel mal für fünf Minuten unterbrechen?« Ich nahm noch einen Bissen von der Erdbeerstange und quetschte mich zwischen die beiden wie ein Vater, der seine zankenden Kinder trennt. Nur dass die beiden weder Geschwister noch Kinder waren und außerdem miteinander in die Kiste wollten. Sie waren noch nicht so weit gekommen, aber es war nur eine Frage der Zeit.

Beide drehten den Kopf und die geballte Ladung ihrer finsteren Blicke brachte mich noch mehr zum Grinsen, als ich den Gamecontroller vom Tisch nahm. »Ich nehme ein Bier – und für die beiden zwei Gläser von egal was sie zum Schweigen bringt.«

Keyton verschwand mit unseren Bestellungen in der Küche und kam zurück mit drei Bier und einem Shirley Temple mit Cocktailkirschen für Marisa.

»Welcher Collegestudent hat eigentlich einen Wohnzimmertisch? Sollten hier nicht ein paar Milchkisten mit einer wackeligen Pressspahnplatte obendrauf stehen?« Marisa nahm ihren Drink entgegen. »Ich hätte schwören können, dass du letztes Jahr schon im Abschlussjahr warst. Du bist der einzige Erwachsene hier im Haus.«

»Ich hatte davor ein Apartment abseits vom Campus. Da haben sich einige Möbel bei mir angesammelt.« Er schob Untersetzer über den Tisch, auf die wir unsere Bierflaschen stellen konnten.

»Wenn sich alle beteiligen würden, wäre es nicht so schlimm.« Ich hatte meine Arbeitsbücher vom letzten Jahr noch nicht verkauft. Mit etwas Glück würde ich dabei auf ganze vierzig Dollar kommen.

»Nicht alle von uns werden in weniger als einem Jahr Schecks als Profi-Footballer kassieren, Leute.« Marisa wedelte mit den Händen, als hätten wir vergessen, dass sie da war.

»Stimmt, nicht alle von uns«, brummelte LJ neben mir und zupfte am Etikett seiner Flasche.

Marisa seufzte. »Ich kann fünfunddreißig Cent und einen handgeschriebenen Gutschein für eine Rückenmassage beisteuern.«

»Kein Grund, die Bank zu sprengen, Ris. Ich bin sicher, dass Reece gerührt sein wird, dass du so tief für ihn in die Tasche greifst. Und für den Fall, dass Marisa unsere freudige Unterstützung für den ehemaligen Bewohner des Puffs zunichte machen will, indem sie den Fernseherkauf ablehnt, hat Nix angeboten, dass wir alle Spiele bei ihm sehen und dazu freie Mahlzeiten als Bonus bekommen könnten.«

Mein schon voller Magen knurrte bei dem Gedanken an die Nudelgerichte mit Soße, die er immer gezaubert hatte, als er noch hier gewohnt hatte. »Glaubt ihr, er bereut es, dass er nicht Profi geworden ist?« Er war besser gewesen als jeder von uns – verdammt, wahrscheinlich besser als wir alle zusammen – und dann hatte er dem Spiel kurz vor dem Draft letztes Jahr den Rücken gekehrt.

»Nein, er hat doch Elle und das Restaurant. Er denkt darüber nach, seine Schulter operieren zu lassen, um die Schmerzen loszuwerden, jetzt da er weiß, dass er nicht mehr auf dem Spielfeld umgerannt wird.« LJ nahm einen tiefen Zug von seinem Bier.

Profi-Football war meine Zukunft. Ich würde tun, was auch immer ich tun musste, um das wahr zu machen. Es war bestenfalls eine kurze Karriere, aber ich würde mein Geld klug investieren und mir nie Sorgen machen müssen, dass ich je wieder auf der Straße enden könnte. Diese Angst lauerte immer in meinem Hinterkopf. Nagender Hunger, der das Denken schwer machte, und Klamotten, deren Löcher darin nicht von Designern stammten. Dass ich wieder in irgendeiner Obdachlosenunterkunft landen oder aufwachen und feststellen würde, dass das hier alles der Traum eines dreizehnjährigen Jungen war, der in einem Heim lebte und auf seinen wenigen Habseligkeiten schlief, damit die anderen Kinder sie ihm nicht stahlen.

Ich brauchte keine Werbeverträge für Sneakers oder ein Auto. Ich würde dieses Geld nehmen und endlich ein Zuhause haben. Mir jemanden suchen, mit dem ich es teilen konnte. Eine Familie gründen. Eine große, mit Kindern, die sich nie Sorgen machen mussten, dass man sie rauswerfen könnte. Ich würde alles richtig machen, zumindest so richtig, wie ich es machen konnte ohne eine Ahnung, wie eine echte Familie funktionierte.

Mein Handy in der Tasche summte. Ich holte es heraus und das Display leuchtete auf.

Alexis: Berk, ich brauche dich.

Meine Muskeln spannten sich an, die uralte Kampf-oder-Flucht-Reaktion, die die Jahre als Kind in Heimen und Pflegefamilien mir einprogrammiert hatten. Ich musste sie suchen und aus der Situation retten, die sie dazu veranlasst hatte, mir diese Nachricht zu schicken. Das war fast immer so was wie: »Um mich herum tobt ein Inferno aus Wahnsinn, bitte hilf mir, es zu löschen.«

LJ legte den Kopf schief, als er den Namen auf dem Display sah, und gab einen scharfen Laut der Missbilligung von sich. »Tu es nicht.«

»Alexis braucht mich.« Ich presste die Lippen zusammen, schüttelte den Kopf und sprang von der Couch auf. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend jagte ich hoch in mein Zimmer und schnappte mir meine Schlüssel.

»Was ist das für ein Ding mit Alexis?«, fragte Keyton, als ich oben an der Treppe angelangt war.

Ich konnte spüren, wie LJ derart die Augen verdrehte, dass das Fundament des Hauses davon praktisch ins Wanken geriet. »Lange Geschichte.«

Ich hastete die Stufen hinab, ohne die anderen anzusehen. Wenigstens waren Nix und Reece nicht hier, um das Level an Genervtheit noch zu steigern. »Bis später.«

»Bring sie nicht hierher.« LJ stand hinter mir, als würde er über das Haus wachen.

Ich schlug die Tür hinter mir zu. Sie kapierten es nicht. Sie konnten nicht mal annähernd verstehen, wie es war, wenn man der einzige Mensch war, auf den jemand zählen konnte.

4. KAPITEL

Jules

»Er war da, als Laura auftauchte. Und er so: ›Klar, ich komme mit‹«, erzählte ich mit meiner besten Superheld-kommt-rein-und-rettet-den-Tag-Stimme.

»Ich hätte liebend gern ihr Gesicht gesehen.« Elle lachte, kritzelte etwas auf ihr Tablet und wackelte dabei mit den pink lackierten Zehennägeln.

Elle war im Sommer in ein Apartment gezogen, sodass ich nun ganz allein im Haus war. Es war so still dort ohne sie und unsere Geistermitbewohnerin Zoe. Jedes Mal, wenn die bei uns hereingeschneit war, dann nur aus einem Grund: Weil es mal wieder eine Ablösung in Sachen Freund gab. Aber es dauerte immer höchstens ein paar Tage, bis der nächste Typ ankam. Der tauchte dann auf unserer Veranda auf und sie rauschte wieder mal mit gepackten Koffern aus dem Haus.

Ein Haus mit drei Schlafzimmern nur für mich allein schrie jetzt nicht gerade nach wildem und verrücktem Abschlussjahr, aber es fühlte sich komisch an, eine neue Mitbewohnerin zu suchen, und Zoes Schecks deckten immer noch ihren Teil der Kosten, sogar nachdem ich ihr eine Mail geschickt hatte, dass die Miete sich erhöht hatte, weil wir sie nur noch durch zwei teilen konnten. Meine Mail, in der ich sie gefragt hatte, ob sie nach dem Abschluss ausziehen wolle, war bis jetzt unbeantwortet geblieben.

Überall an den Wänden in Elles und Nix’ Apartment, frisch gestrichen in hellem Grau, hingen Fotos. Tolle Schnappschüsse von mir und Elle und von Nix mit den anderen Leuten aus dem Puff, inklusive Berk. Das Restaurant unten gehörte Nix’ Großvater, und der hatte das Apartment als Lagerraum benutzt, bis sie es renoviert hatten.

Es war gemütlich und ich hatte Elle nie glücklicher erlebt. Wahrscheinlich half es enorm, wenn man irgendwo wohnte, wo man keine Angst haben musste, dass jeden Moment ein Teil der Decke einstürzen könnte, und wenn man einen stattlichen Freund hatte, an den man sich jederzeit kuscheln und von dem man sich mit köstlichen Sachen bekochen lassen konnte.

Ich schnaubte. »Ich wünschte, ich hätte eine Kamera gehabt, aber ich bin sicher, dass ich genauso geschockt aussah.«

»Eigentlich sollte das kein Schock für dich sein. Wer würde denn nicht gern mit dir das ganze Wochenende auf einem Landgut festsitzen?« Sie wackelte mit den Augenbrauen.

»Dieses Wochenende ist nicht mal annähernd so wie das, was du dir da gerade vorstellst.«

»Vielleicht ist es der perfekte Zeitpunkt, um ihm zu sagen, wie gut ihr beiden euch tatsächlich kennt.« Sie hielt den Blick dabei auf den Bildschirm fixiert.

»Nein, absolut nicht.«

Sie legte das Tablet neben sich. »Er verdient es zu erfahren, dass du Die Brieffreundin bist. Und ihr zwei seid jetzt Freunde. Sag es ihm. Er wird total froh sein.«

»Wohl eher total enttäuscht.«

Sie packte mich an den Schultern und starrte mir in die Augen. »Jules, du musst damit aufhören. Niemand wäre je enttäuscht, eine extrem sexy Pole-Dancerin mit Backtalent als geheime Sexbrieffreundin zu haben.«

»Hast du die Mädchen auf den Partys im Puff und bei den Spielen der FU gesehen?«

»Weißt du noch, wie ich diesen Starquarterback gedatet habe, der ein todsicherer Kandidat für die erste Rekrutierungsrunde im Draft war und gerade die Meisterschaft gewonnen hatte?«

Ich tippte mir ans Kinn. »Da klingelt nichts, tut mir leid.«

Ein pastellblaues Kissen klatschte mir seitlich ins Gesicht. »Nervensäge.«

»Vielleicht hast du gerade was losgetreten, da kommt eine Erinnerung zurück. Trotzdem ist es anders … Du bist ganz objektiv gesehen umwerfend.«

»Bis ich kam, war er so was von genervt von dieser Szene. Es geht nicht ums Aussehen. Glaubst du, ich bin mit ihm zusammen, weil er einen prachtvollen Hintern und drahtige Arme hat mit Adern, die ein wenig hervortreten, wenn er kocht, und dazu voll den Waschbrettbauch?« Ihr Blick wurde versonnen und sie biss sich auf die Unterlippe.

»Du bist nicht hilfreich.« Ich warf das Kissen umgehend zurück an ihren Kopf.

Die Tür zu Elles Apartment ging auf und Schlüssel klimperten.

»Honey, bin zu Hause.« Nix kam herein, ein breites Grinsen im Gesicht und die Arme voll mit Behältern. Eine Duftmischung aus Knoblauch, Butter und Käse waberte herein und mein Magen wollte förmlich aus meinem Mund hüpfen, um über den Inhalt herzufallen.

Elle sprang von der Couch auf und klatschte in die Hände. »Du bist ein Heiliger. Ich habe richtig Hunger.«

Er küsste sie, klemmte sie zwischen sich und dem Tresen ein und stellte das Essen in jeder Hand ab, ohne hinzusehen. »Ich habe dir schon vor einer Stunde gesagt, dass du runterkommen sollst.« Seine Finger streichelten über ihre Wange.

»Ich habe die Zeit vergessen. Jules ist hier, außerdem arbeiten wir in den nächsten vier Monaten bei fünf Veranstaltungen mit August Niles zusammen. Ich bin drauf und dran, ihm an die Kehle zu gehen. Er hat in neun Monaten acht Assistenten verschlissen. Gerade arbeite ich mit seiner Neusten und sie ist echt lieb. Ich hoffe, er frisst sie nicht mit Haut und Haar und spuckt sie wieder aus. Alles muss perfekt sein, sonst steckt er mich wahrscheinlich mit seinem Drachenfeuer in Brand.«

»Falls dir irgendwer Schwierigkeiten macht, gib mir Bescheid und ich kümmere mich darum.« Sein Gesicht war eine Maske aus Ernsthaftigkeit. Wenn es um Elle ging, würde er praktisch jedem in den Hintern treten.

Nach allem, was die zwei getrennt gehalten hatte – vor allem Elles Sturheit –, lebten sie nun ihr Märchen in einem Zwei-Zimmer-Apartment über dem Tavola, dem Restaurant von Nix’ Großvater. Ich freute mich uneingeschränkt für sie, aber darin mischte sich die Trauer, dass ich so etwas wahrscheinlich nie kennenlernen würde. Das, was dem für mich am nächsten kam, waren dreißig unanständige Briefe an einen Typen, der mich so tief in die Kumpelzone gedrängt hatte, dass ich schon das frisch gemähte Gras riechen konnte.

»Oh nein.« Sie duckte sich unter seinem Arm durch. »Du hältst dich raus.«

»Hilf mir doch mal, Jules.« Nix bedachte mich mit einem Blick, der sagte: Rede ihr ein bisschen Vernunft ein.

Ich zuckte ein wenig zusammen. Er war so auf Elle konzentriert gewesen, dass mir gar nicht klar gewesen war, dass er meine Anwesenheit registriert hatte.

»Bei der Frage, ob man einen Typen, mit dem sie arbeitet, vermöbeln sollte oder nicht, bin ich auf Elles Seite. Tut mir leid, Nix.«

Er schüttelte den Kopf und öffnete die Behälter mit unserem Essen. »Hat Elle dir schon erzählt, dass sie deine Cookies und Brownies an Avery Cunning von Bread & Butter weitergegeben hat?«

Ich fiel fast über den Wohnzimmertisch und stützte die Hände auf der glatten Tischplatte ab. »Du hast was?« Es war das Kreischen allen Kreischens und ließ etwas von der frisch getrockneten Farbe an der Wand abblättern.

Nix verzog vor Schmerz das Gesicht und steckte sich einen Finger ins Ohr.

»Ich kann nicht glauben, dass ich das vergessen habe.« Elle schlug sich an die Stirn. »Ich war so abgelenkt von deinen anderen Neuigkeiten, da ist es mir entfallen.«

»Was für Neuigkeiten?« Nix blickte zwischen uns hin und her.

Sie winkte ab. »Nix hat sich nach neuen Lieferanten für Desserts umgesehen, nachdem der Konditor gegangen ist und sie sich mehr auf die deftigen Gerichte konzentrieren. Und Averys Name ist ganz oben auf die Liste gerückt, nachdem du mein Angebot abgelehnt hast, deine eigene kleine Dessertfabrik in deinem Haus aufzumachen. Sie wollen sich mit Kollaborationen vergrößern und probieren neue Sachen aus. Und bei allem, was die kreieren, will ich nur noch sterben, damit es das Letzte ist, was ich je gekostet habe.«

Ich platzte heraus: »Das weiß ich besser als jeder andere.« Dann barg ich das Gesicht in den Händen und sank auf die Couch. »Du hast ihr tatsächlich etwas gegeben, das ich gemacht habe?« Es war, als würde ich mit meinem Malen-nach-Zahlen-Malbuch in einen Kunstkurs für Profis gehen.

»Das Salted Caramel, das du in letzter Zeit so oft gemacht hast, die Brownies mit Erdnussbutter und die Cookies mit Espressotoffee. Ich habe ihr die Dose gegeben, die du vor zwei Wochen vorbeigebracht hast. Die herzugeben war wahrscheinlich das Drittschwerste, was ich je getan habe.«

Ich warf den Arm über die Couchlehne und starrte sie an, während sie das Ganze beschrieb, als wäre es keine große Sache, dass ausgerechnet Avery Cunning, Eigentümerin einer der besten Bäckereien der Stadt, meine Cookies in ihrem Besitz hatte.

»Na ja, nicht alle.« Nix stupste mit seiner Schulter gegen ihre.

»Ich habe nur ein paar rausgenommen. Und ich habe keine Beschwerden gehört, als du alle in dich hineingestopft hast, bis auf einen halben, den ich vor deiner unaufhaltsamen Fressmaschine, die du Mund nennst, gerettet habe.«

Er zog den Kopf ein und tat so, als hätte er die letzten Worte nicht gehört.

»Wahrscheinlich hat sie sie bei der ersten Gelegenheit weggeworfen.« Ich ließ den Kopf gegen die Couchlehne sinken, kniff fest die Augen zu und versuchte, an dem winzigen Terrier vorbeizuatmen, der in meinem Bauch herumraste.

»Von wegen.« Elle lehnte sich neben meinem Kopf an die Couch. »Sie hat einen Bissen genommen, und dann sind ihre Augen flatternd zugegangen und sie hat sogar leise gestöhnt.«

Mein Kopf kam ruckartig hoch. »Ach, hör doch auf!« Ich stupste gegen ihre Schulter und sie wäre um ein Haar rücklings von der Couch gefallen.

»Doch, wirklich. Mache ich je Witze, wenn es um deine Backsachen geht? Lass das! Alle lieben alles, was du machst.« Sie sah mir in die Augen. »Alle. Aber ich wollte dir nichts sagen, bis ich es ganz sicher weiß.«

»Bis du was ganz sicher weißt?«

»Ich habe ja schon erwähnt, dass sie sich erweitern wollen und mit der Idee spielen, mit anderen zusammenzuarbeiten, und, nun ja, sie hat von dieser neuen Sache gesprochen, über die sie gerade nachdenkt. Und sie meinte, dass du zu einem Vorstellungsgespräch kommen sollst.«

Ich richtete mich ruckartig auf. »Vorstellungsgespräch?«

»So in der Art. Sie weiß, dass du noch zur Schule gehst und Kurse hast und so, also geht es nicht um einen Vollzeitjob oder so. Aber sie dachte, du wärst vielleicht an einer Art Praktikum interessiert.«

Das Schwindelgefühl zu unterdrücken bei dem Gedanken, neben Avery Cunning in der Küche zu arbeiten, klappte nicht im Geringsten. Ich hüpfte auf der Couch auf und ab und brachte das ganze Ding zum Wackeln, aber das war mir egal. »Ich schrubbe die Öfen, wenn sie will.« Lobende Artikel über Bread & Butter waren im Laufe der letzten paar Jahre in jedem Stadtmagazin erschienen. Wenn ich mit ihr arbeitete und von ihr lernte, dann hätte ich eine Eintrittskarte in die meisten Bäckereien und Restaurants in der Stadt. Ich hatte keine offizielle gastronomische Ausbildung, daher hatte ich immer überlegt, wie ich mit meinem Abschluss in Philosophie einen Fuß in die Branche bekommen konnte.