The Second We Met - Maya Hughes - E-Book

The Second We Met E-Book

Maya Hughes

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Beschreibung

Es war Abneigung auf den ersten Blick — doch erste Eindrücke können trügen

Phoenix Russo ist der erfolgreiche Quarterback der College-Mannschaft und sieht auch noch verdammt gut aus. Diese Kombination hat Nix bisher aus jeder brenzligen Situation gerettet - bis er auf die eine Person an der Fulton University trifft, bei der sein charmantes Lächeln nicht zu wirken scheint: seine Nachbarin Elle Masterson, die ihm mit ihrer überkorrekten Art regelmäßig das Leben schwer macht. Doch als die beiden gezwungenermaßen mehr Zeit miteinander verbringen müssen, stellen sie fest, dass erste Eindrücke trügen können. Denn wie sonst lässt sich das Knistern erklären, das sie plötzlich zwischen sich spüren?

"Eine der besten Enemies-to-Lovers-Geschichten, die ich seit sehr langer Zeit gelesen habe!" BIBLIOPHILE CHLOE

Zweiter Band der FULTON-UNIVERSITY-Reihe

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Seitenzahl: 509

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INHALT

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

Epilog

Anmerkung der Autorin

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von Maya Hughes bei LYX

Impressum

Maya Hughes

The Second We Met

Roman

Ins Deutsche übertragen von Katrin Reichardt

ZU DIESEM BUCH

Phoenix Russo ist ein Star an der Fulton University. Er ist der Sohn einer Football-Legende, selbst erfolgreicher Quarterback der College-Mannschaft und sieht auch noch verdammt gut aus. Diese Kombination hat Nix bisher aus jeder brenzligen Situation gerettet – bis er auf die eine Person an der Fulton University trifft, bei der sein charmantes Lächeln nicht zu wirken scheint: seine Nachbarin Elle Masterson. Die gewissenhafte Studentin bringt ihn ständig aus der Fassung und macht ihm das Leben schwer. Als sie wegen einer seiner Partys die Polizei ruft, sitzt Nix ernsthaft in der Klemme. Um seinen Ruf und seine professionelle Football-Karriere nicht zu gefährden, muss er bei einer Wohltätigkeitsorganisation aushelfen. Womit Nix nicht gerechnet hat: Auch Elle arbeitet dort und wird nun für ihn zuständig sein. Aber obwohl die beiden nicht begeistert sind, dass sie dadurch mehr Zeit miteinander verbringen, fühlen sie doch auch das Knistern, das jedes Mal stärker wird, wenn sie aneinandergeraten, und gegen das sie sich nicht lange wehren können …

Für Nicole, die Hunderte von Meilen mit mir gegangen ist und die bei jedem Schritt einen Funken ihrer Genialität teilt.

1. KAPITEL

Elle

Junior year – August

»Lieber lasse ich mir von Edward mit den Scherenhänden eine Maniküre verpassen.« Meine Augenlider waren schwer wie Blei. Ich hielt den Wagen an, heilfroh, endlich angekommen zu sein. An der Hausfront draußen neben meinem Seitenfenster blitzte eine glänzende Sechsundsechzig aus Messing in der Nachmittagssonne.

»Jetzt übertreibst du aber. Ihr beide standet euch doch früher so nah.«

»Wer kommt überhaupt auf die Idee, schon nach zwei Jahren ein Klassentreffen zu veranstalten?« Ich klaubte die Snacks, die ich mir für die Fahrt mitgenommen hatte, vom Beifahrersitz auf und stopfte sie in meinen ausgefransten und ziemlich ramponierten Besser-als-nichts-Stoffbeutel. Meine Mom hatte mich den ganzen Sommer über dazu zu überreden versucht, mir eine richtige Handtasche für Erwachsene zu kaufen, aber wozu sollte man sich eine Handtasche kaufen, wenn man danach kein Geld mehr übrig hatte, um irgendwas hineinzutun?

»Sie war siebzehn Jahre lang deine beste Freundin.«

»Die Dinge ändern sich, Mom, und Alyssa hat schon immer das getan, was am besten für Alyssa ist.« Beispielsweise sich meinen Ex-Freund zu krallen. »Deswegen bin ich ehrlich gesagt froh, wenn ich da nicht hingehen muss. Je nachdem, wie die Sache mit dem Huffington Award läuft, bin ich, wenn es so weit ist, sowieso längst nicht mehr im Land.«

Sie stieß einen langen, gequälten Seufzer aus, von der Sorte, die offenbar nur Müttern mit schwierigen Kindern vorbehalten ist. »Ich weiß, wie hart du gearbeitet hast, aber ich möchte nicht, dass du den Kontakt zu den Menschen verlierst, die in deinem Leben einmal eine wichtige Rolle gespielt haben.«

»Manche Menschen sind es nicht wert, dass man sich mit ihnen abgibt, Mom. Nicht alle sind so toll wie du.«

Sie schnaubte leise, und ich musste grinsen. »Übrigens, das Geld für deine Studiengebühren bekommst du von uns am Monatsersten. Du weißt ja, wie schwierig alles in letzter Zeit war.«

»Ich bin froh, dass ich helfen konnte.« Das Geld, das ich im vergangenen Jahr eigentlich für meine Studiengebühren zusammengespart hatte, hatten wir benutzt, um die überfälligen Raten der Hypothekenrückzahlung zu begleichen und die drohende Zwangsversteigerung des Hauses abzuwenden.

»Danke, mein Schatz.« Es hatte Wochen gedauert, meinen Vater dazu zu überreden, das Geld anzunehmen. Wenn wir das Haus damit retten konnten, war es mir das wert. Aber das bedeutete auch, dass es für mich finanziell eng werden würde – sehr eng.

Der Studienkredit war ein heikles Thema. Schlechte beziehungsweise nicht vorhandene Bonität war offenbar die beste Voraussetzung dafür, dass man bei der College-Finanzierung kaum eine Wahl hatte. Die ersten beiden Jahre hatte ich mich mit Stipendien über Wasser gehalten, fürs letzte Semester hatte ich meinen Studienkredit – der meinen Schuldenhaufen durch die Zinsen von Tag zu Tag vergrößerte – bis zum Maximum ausgereizt, und von nun an musste ich improvisieren.

»Was machen die Haare?«

Ich strich über meine gelockten Haare, die wie das Federkleid eines Flamingos leuchteten. »Sie sind sehr pink.«

»Die Farbe hieß ja schließlich nicht umsonst Neonpink. Bestimmt hält sie so lange, dass selbst deine Enkel noch rosa Haare haben werden«, meinte sie lachend.

»Super. Ich muss jetzt auspacken und anschließend ins Nachhilfezentrum.«

»Schätzchen, du machst das alles ganz toll, aber achte darauf, dass du dir auch Zeit für dich selbst nimmst. Du hast nur noch zwei Jahre, und die werden in Windeseile vergehen. Versuche wenigstens, sie ein bisschen zu genießen.«

Diesmal war ich diejenige, die amüsiert schnaubte. »Verbindungspartys, mieses Bier und begrapscht zu werden finde ich persönlich nicht unbedingt unterhaltsam.« In den vergangenen beiden Jahren hatte ich auf dem Campus mehr als genug von diesem Blödsinn erlebt, den »man mal gemacht haben sollte«, und alles Gute, was ich getan hatte, war mir anschließend um die Ohren geflogen. Vielleicht musste ich mich einfach mehr anstrengen, möglicherweise lag es aber auch an mir. Vielleicht schwebte über meinem Kopf ein leuchtendes Neonschild, das nur Schwindler und Fremdgänger sehen konnten. Ich fuhr mir mit beiden Händen übers Gesicht. Jedes Mal, wenn ich blinzelte, hatte ich das Gefühl, Zehn-Kilo-Gewichte mit den Augenlidern stemmen zu müssen.

»Na, wenn du das so siehst … Dann ruh dich aus, leg dich beim Lernen ins Zeug, und wir sehen uns bald mal zum Abendessen.«

»Nächsten Monat habe ich einen freien Abend.«

Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie sie gerade am anderen Ende der Leitung die Augen verdrehte.

»Ich hab dich lieb.«

Nachdem ich das Telefonat mit meiner Mom beendet hatte, befreite ich das Telefon aus dem improvisierten Handyhalter am Armaturenbrett, den ich notdürftig mithilfe eines Gummibands konstruiert hatte. Jules würde erst in ein paar Stunden eintreffen, und meine Augen hatten auf diese ganze Wach-bleiben-Sache anscheinend keine Lust mehr.

Ich warf einen Blick auf die Häuser, die die Straße säumten, bevor ich die Haustür meines neuen Zuhauses näher betrachtete, die sich praktischerweise genau neben meiner Autotür befand. Ich Glückspilz – was für ein erstklassiger Parkplatz.

Ich schnappte mir einen der Kartons, die auf dem Rücksitz standen. Die Treppe und die Veranda, auf der mehrere Blumentöpfe thronten, waren frisch gestrichen und sahen nicht gerade nach Miete zum Schnäppchenpreis aus, aber, hey, damit konnte ich leben. Vielleicht meinten die Götter der guten Taten es ja endlich mal gut mit mir. Nachdem ich Mitchell vor zwei Tagen mit seinem »Sie ist absolut keine Konkurrenz für dich«-Ehrenamtsgroupie im Bett erwischt hatte, hatte ich mich Hals über Kopf auf die Suche nach einer neuen Bleibe machen müssen. Die meisten guten Apartments und Häuser in meiner Preisklasse waren natürlich schon längst weg, aber in dem Haus, das Jules auf den letzten Drücker gefunden hatte, war noch ein Platz frei – zu Konditionen, die ich mir leisten konnte. Habe ich schon erwähnt, dass sie eigentlich viel zu toll ist, um meine Freundin sein zu können?

Das Haus sah mit seinen marineblauen Fensterläden und der weiß getünchten Veranda genauso aus wie alle anderen Häuser in dieser Gegend. Na ja, abgesehen von dem Haus gegenüber, dessen Veranda zu achtzig Prozent aus Splittern zu bestehen schien.

Da die Tür nicht abgeschlossen war, ging ich gleich hinein. Die Parkettböden und die weiß gestrichenen Wände ließen das Innere luftiger wirken, als ich es erwartet hatte. Ein leichter, hopfiger Biergeruch hing in der Luft, aber roch es so nicht in jedem Wohnheimzimmer?

Im Obergeschoss hörte ich Wasser plätschern. Anscheinend war Jules doch früher gekommen. Ich stieg die glänzende Holztreppe hinauf und warf einen Blick in die verschiedenen Zimmer. Im Raum ganz vorne gab es eine Metallstange, wie man sie aus Stripklubs kannte. Jap, hier war ich definitiv richtig. Sie hatte es offenbar gar nicht erwarten können, das Ding anzubringen.

Nachdem mein Körper nach der einzigen Pole-Dance-Stunde, die wir mitgemacht hatten, zu siebenundsiebzig Prozent mit blauen Flecken bedeckt gewesen war, hatte ich allem, was mit harten Stangen zu tun hatte, endgültig abgeschworen (na ja, fast allem …), aber Jules hatte sofort Blut geleckt. Zwar hatte sie den Kurs auch nicht fortgesetzt, sich aber trotzdem gleich am nächsten Tag eine eigene Tanzstange zugelegt.

Allerdings schien diese hier fest am Boden verschraubt zu sein. Wann um alles in der Welt hatte sie denn Zeit gehabt, das Ding anzubringen? Ich würde sie später danach fragen. Jetzt wollte ich erst mal meine Bettwäsche auspacken und die nächsten sieben Stunden im Tiefschlaf verbringen.

»Jules, sollte ich, wenn du rauskommst, schon aufs Kissen sabbern, dann stups mich bitte so gegen acht mit einem Stock an, damit ich rechtzeitig ins Nachhilfezentrum komme.«

Ich hörte, wie die Dusche abgedreht wurde, während ich meine Sachen in eines der hinteren Zimmer schleppte. Ich öffnete den Karton. Verflixt. Ich hätte doch dem Ratschlag meiner Mom folgen und die Kisten beschriften sollen. Als Bibliothekarin hatte sie immer Tipps parat, wie man Ordnung halten konnte. Stattdessen musste ich jetzt eine Runde »Wo zum Teufel hat eine todmüde Elle wohl ihre Bettlaken eingepackt?« spielen. Bei meinem Glück steckten sie wahrscheinlich im letzten Karton, den ich ins Haus schleppen würde.

Ich verließ das Zimmer, um mehr von meinen Sachen zu holen. In diesem Moment schwang eine der anderen Zimmertüren zu, schloss sich allerdings nicht ganz. Ich klopfte kurz an und trat sofort ein. »Lässt du mich heute Abend mal an deine Stange …« Die Worte blieben mir im Hals stecken, als hätte ich einen Schneeball mitten ins Gesicht bekommen. Vor mir stand nicht Jules in Langarmshirt und Jeans. Stattdessen fiel mein Blick auf die gebräunte, schimmernde Haut eines Mannes, der wie eine aus Marmor gemeißelte griechische Statue aussah. Wasser tropfte von seinen nassen Haarspitzen.

Das war eindeutig nicht Jules. Ein splitternackter Kerl stand mitten im Raum und rubbelte sich mit einem Handtuch die Haare trocken.

Mir stand der Mund offen. Meine Augen wanderten abwärts, als würden sie von einem Traktorstrahl gezogen. Ich hatte nicht gewusst, dass es in Sachen Bauchmuskeln jenseits des Sixpacks noch weiterging. Wow, da waren so viele Muskeln. Und das war nicht das Einzige, was er zu bieten hatte.

»Was zum Teufel?« Hektisch riss er sich das Handtuch vom Kopf und wickelte es sich um die Taille.

Verdammt, ich hatte ihn dermaßen schamlos begafft, als wollte ich auf der Stelle über ihn herfallen. Hastig riss ich mich zusammen und machte mir den Ernst der Lage bewusst: Da war ein nackter Irrer in meinem Haus. Ich wich zur Tür zurück. »Was hast du in meinem Haus zu suchen?«

»In deinem Haus? Das ist mein Haus.« Er steckte den Handtuchzipfel fest.

Ich erwachte langsam wieder aus meiner Genitalhypnose und schüttelte den Kopf. »Nein, ist es nicht. Ich habe Anfang der Woche den Mietvertrag unterschrieben – Aspen Drive 66.«

Als er die Arme vor der Brust verschränkte, konnte ich das beeindruckende Spiel seiner Muskeln mitverfolgen. Oh Mann, das musste eine optische Täuschung sein. Niemand war so gebaut. Allerdings verpuffte jeder Anflug von Begeisterung für seinen Körper sofort wieder, als ich seinen selbstgefälligen Gesichtsausdruck bemerkte. »Das hier ist Aspen Drive 69.«

»Nein, ich habe die Hausnummer draußen gesehen.«

»Sind dir zufällig auch die Nummern der Häuser rechts und links daneben aufgefallen? Normalerweise ist die Reihenfolge nicht 67, 66, 71. Nachdem sie das Haus neu gestrichen haben, fehlte hinterher bei der Neun eine Schraube.«

Er musterte mich von oben bis unten.

Ein Schauer lief mir über den Rücken, kroch über meine Haut. Vielleicht lag es daran, dass ich in Sachen Dates gerade eine Durststrecke durchlebte, oder vielleicht herrschte bei mir, nachdem ich den ganzen Sommer über im Nachhilfezentrum gearbeitet und benachteiligten Highschool-Schülern geholfen hatte, einfach erotischer Notstand – jedenfalls fand ich ihn so unfassbar gut aussehend, dass ich mich fragte, ob er womöglich eine zum Leben erwachte Computeranimation war.

»Aber du bist mehr als herzlich eingeladen zu bleiben. Insbesondere, wenn du Interesse an Übungen mit einer Stange hast.«

Er hätte die neu erwachte Glut in mir nicht schneller zum Erlöschen bringen können, wenn er mir einen Eimer mit eiskaltem Wasser über den Kopf geschüttet hätte. Als ich dann noch sein Ich-bin-so-aufgeblasen-dass-ich-gleich-davonfliege-Grinsen sah, gab es kein Halten mehr. Ich wurde stinkwütend – was deutlich besser war, als sich in Grund und Boden zu schämen.

Ich funkelte ihn aufgebracht an, und endlich fiel mir wieder ein, woher ich sein Gesicht kannte. Phoenix »Nix« Russo, seines Zeichens Quarterback und wichtigtuerischer Vollidiot. »Vergiss es.«

Entrüstet stürmte ich die Treppe hinunter, riss die Haustür auf und überprüfte die glänzenden Zahlen neben der Tür. Tatsache, bei der zweiten Zahl fehlte eine verdammte Schraube. Damit war meine abgrundtiefe Demütigung perfekt. Sie manifestierte sich in Form einer intensiven Röte, die sich vom Rücken aus über meinen ganzen Körper ausbreitete. Wahrscheinlich leuchteten meine Ohren gerade so knallrot wie Rudolphs Nase.

Nix kam ebenfalls heraus. Er trug jetzt eine Jeans, hatte aber anscheinend Schwierigkeiten gehabt, die Hosenknöpfe zu schließen. Ich konnte nicht nur seinen nackten Oberkörper bestaunen, sondern hatte auch sonst einen tiefen Einblick in … Einen sehr tiefen. Hätte ich nicht sowieso schon alles gesehen, was er zu bieten hatte, wäre spätestens jetzt nicht mehr viel meiner Fantasie überlassen gewesen. Sein selbstzufriedenes Grinsen weckte in mir den Wunsch, laut zu schreien oder auf irgendwas einzudreschen. Ich hasste Football-Spieler, ich hasste Vollidioten, die sich selbst für ein Geschenk des Himmels hielten, und ich hasste es, dass ich ihn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde angeschmachtet hatte. Aufgebracht stürmte ich zurück ins Haus, stampfte die Treppe hoch und erreichte das Zimmer, in dem ich meine Kiste abgestellt hatte.

»Brauchst du Hilfe?« Er lehnte im Türrahmen und schaute mir dabei zu, wie ich die Sachen, die ich auf der Suche nach der Bettwäsche auf den Boden gekippt hatte, wieder in den Karton hineinstopfte.

Ich klappte ihn voller Empörung zu und bedachte ihn mit einem finsteren Blick. »Nein.«

Er stand da wie Gottes Geschenk an die Frauen und musterte mich mit einem Grinsen auf den Lippen, bei dem sich mir gleichzeitig der Magen umdrehte und es mich in den Fingern juckte, ihm eine runterzuhauen. Hatte ich einen Fehler gemacht? Ja. Musste er sich deswegen so arrogant aufführen, als hätte ich ihm damit, dass ich mich zum Trottel gemacht hatte, den Tag versüßt? Nein. Vor allem aber war ich sauer, weil diese verfluchten Schmetterlinge in meinem Bauch keine Ruhe geben wollten. Ich hatte schon öfter sexy Männer gesehen. Es gab sie in zwei Varianten: absolutes Arschloch oder sehr gut getarntes absolutes Arschloch. Keine Frage, unter welche Kategorie Phoenix Ich-bin-so-cool-dass-ich-meinen-Namen-zu-Nix-abkürze fiel.

Ich versuchte, mit dem Karton im Arm an ihm vorbeizurauschen, doch er blieb, wo er war, und dachte offenbar nicht daran, mir Platz zu machen. Statt ihn mit meiner rechtschaffenen Wut beiseitezuschieben, blieb ich stecken, was dazu führte, dass ich nun plötzlich nicht nur vollen Körperkontakt zu ihm hatte, sondern zu allem Überfluss auch noch mit dem Handrücken dem Teil seiner Anatomie viel zu nahe kam, den ich vor weniger als fünf Minuten noch fasziniert angestiert hatte. »Wenn du mal anfassen möchtest, hättest du doch bloß fragen müssen.«

»Lieber würde ich mir die Hand abhacken«, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und quetschte mich an ihm vorbei durch den Türrahmen.

»Mach, was du willst«, sagte er hinter mir und folgte mir aus dem Haus.

Kaum, dass wir draußen waren, stürzte sich einer seiner kriecherischen Fans auf ihn. »Nix, ich liebe dich! Schaffst du es dieses Jahr bis zur Meisterschaft?«

»Ich werde mein Bestes geben. Wir sind dieses Jahr ein gutes Team und bereit, uns den Titel zu holen.«

Seine oberflächlichen, einstudierten Antworten widerten mich an. Diese falsche Bescheidenheit und die Unverbindlichkeit in seiner Stimme – er redete jetzt schon wie ein Profi, obwohl er noch gar keiner war. Mein aufflammender Zorn kam mir gerade recht. Ich klammerte mich daran, denn sich aufzuregen war wesentlich besser als sich zu schämen. Nix war ein Riesenarschloch und die Schmetterlinge in meinem Bauch nichts anderes als ein durch Schlafmangel ausgelöstes Delirium.

Ich pustete mir die Haare aus dem Gesicht und spähte nach den Nummern der Häuser gegenüber. Na klar – auf den Bordstein vor der Bruchbude, die aussah wie eine Mischung aus Spukhaus und Killer-Versteck und anscheinend nur noch von Klebeband und Kaugummis zusammengehalten wurde, war eine hübsche Sechsundsechzig gesprüht worden.

»Fantastisch«, grummelte ich leise, während ich die Straße überquerte. Plötzlich hupte jemand laut, und ich sprang zurück. Leider hatte ich mich so sehr darauf konzentriert, mich nicht noch einmal nach Nix umzudrehen, dass ich glatt vergessen hatte, dass ich eigentlich schon im Kindergarten gelernt hatte, vor dem Überqueren der Straße nach links und rechts zu schauen.

Drüben angekommen rannte ich die morsche Treppe zu meinem neuen Zuhause hoch, blieb prompt mit dem Zeh an einem losen Brett hängen und stolperte gegen die Haustür.

»Bis bald, Frau Nachbarin«, rief mir Nix von der anderen Straßenseite zu.

Nachdem ich mich nach drinnen geflüchtet hatte, stellte ich erst einmal erleichtert den Karton ab. Prompt musste ich husten, weil eine Staubwolke vom Boden aufstieg. »Großartig, einfach großartig.« Ich schloss die Augen und legte die Stirn gegen die Tür. Dieses Jahr begann wirklich mit einem Paukenschlag. Als ich mich umschaute, wurde mir klar, warum Jules das Haus so günstig bekommen hatte. Bei jedem Schritt rechnete ich damit, in den Boden einzubrechen. Wenigstens habe ich ein Dach über dem Kopf. Kaum hatte ich den Gedanken zu Ende gedacht, rieselte etwas Putz von der Decke auf mich herab, als wollte das Haus diesem beschissenen Tag die Krone aufsetzen. Ich schüttelte meine Haare und wischte mir den hellbraunen Staub von der Nase. Das dritte Jahr auf dem College fing wirklich toll an.

Ich wappnete mich noch einmal innerlich, bevor ich wieder nach draußen ging, um den nächsten Karton aus dem Auto zu holen, das vor seinem Haus stand.

»Brauchst du Hilfe, Fräulein Einbrecherin?«, rief Nix mir zu, der mit einem Bier in der Hand am Verandageländer lehnte.

»Von dir bestimmt nicht.« Ich stapelte einen weiteren Karton auf den, den ich schon auf dem Arm trug, und schob beide mit dem Knie noch etwas höher. Die Vorstellung, wie er in fünfzehn Jahren mit einem Bierbauch aussehen würde, hob meine Laune zumindest ein wenig.

»Sei nicht albern.« Er schwang sich über das Geländer und landete mit einem dumpfen Aufprall hinter mir. Angeber. »Lass mich einen Karton tragen. Die sehen schwer aus.«

Ich riss die Kartons zur Seite. »Fass sie an, und du bist tot.« Wahrscheinlich hätte meine Drohung etwas einschüchternder gewirkt, wenn mir dabei nicht der obere Karton heruntergerutscht und auf die Straße gefallen wäre, wo sich ein Teil des Inhalts auf dem Asphalt verteilte. Darunter waren Sachen, die ich öfter bei meinem ehrenamtlichen Engagement verteilte – inklusive einer Jumbopackung Kondome.

Die ganzen Leute, die um Nix herumlungerten und um seine Aufmerksamkeit buhlten, verfolgten unseren kleinen Schlagabtausch aufmerksam – was bedeutete, dass sie natürlich auch alle die ungefähr zweihundert blauen Folienpäckchen sahen, die nun auf der Straße lagen.

»Du hast dieses Semester ja einiges vor«, hörte ich jemanden rufen, und sofort stellte sich wieder das verzweifelte Verlangen danach ein, auf der Stelle im Boden zu versinken. Ich ließ die Kondome, wo sie waren, eilte über die Straße und floh zurück ins Haus. Den Rest meiner Sachen würde ich später nach dem Ende meiner Schicht holen. Vielleicht würde mir der Schutz der Dunkelheit weitere Blamagen ersparen.

Selbst wenn meine Bettwäsche nicht in dem Karton sein sollte, den ich mit hereingebracht hatte, war ich inzwischen so fertig, dass ich auch ohne Laken auf der Couch mit den undefinierbaren Flecken geschlafen hätte. Bis zum Semesterbeginn würde ich nur noch nach draußen gehen, wenn es sich absolut nicht vermeiden ließ.

War es zu spät, um sich noch eine andere Bleibe zu suchen? Ja, war es. Wir konnten uns glücklich schätzen, dass wir diese Bruchbude hier gefunden hatten.

Ein lautes Klopfen an der Tür riss mich aus meinen Gedanken, die in einer unendlichen Spirale um sämtliche peinlichen Situationen meines bisherigen Lebens kreisten. Gerade hatte mich die Erinnerung wieder eingeholt, wie ich mich an Becky Smiths neuntem Geburtstag aus Angst vor einem Clown vollkommen zum Narren gemacht hatte. Ich öffnete die Haustür.

Nix stand draußen, beide Hände voller Kondome. »Die hast du vergessen.« Er ließ seinen gesamten Charme spielen, zeigte seine entzückenden Grübchen und wirkte auf meiner heruntergekommenen Veranda vollkommen deplatziert.

»Sie hat noch mehr davon liegen lassen«, rief jemand von der Straße herüber, wo die Folienpäckchen im Licht der Spätsommersonne glänzten. Na toll, nun würde ich bei allen als die Prostituierte vom Aspen Drive bekannt sein.

Nachdem ich zuerst die Leute auf der Straße und dann Nix mit einem bösen Blick bedacht hatte, hob ich die halb leere Schachtel vom Boden auf und ließ Nix die Kondome hineinkippen.

»Wir feiern eine Party …«

Ich schnitt ihm das Wort ab, indem ich ihm die Tür vor der Nase zuknallte. Ernsthaft? Damit ich mich endgültig blamieren konnte – à la »Hey, Leute, das ist das Mädel, das so dämlich war, ins falsche Haus hineinzuspazieren, mich nackt überrascht und schamlos angestiert hat und am Ende eine halbe Tonne Kondome auf der Straße verstreut hat«? Nein danke.

Bestimmt hatte er gemerkt, dass ich die Augen nicht von ihm lassen konnte, und dachte jetzt, dass ich total angetan von ihm war. Ich schlug mir die Hand vor die Stirn. Mit Männern wie ihm kannte ich mich aus. Arrogant. Darauf versessen, die Aufmerksamkeit aller auf sich zu ziehen. Gierig danach, von den Fans angehimmelt zu werden, in der festen Überzeugung, dass jede Frau, die noch nicht das Rentenalter erreicht hatte, ihm zu Füßen liegen musste. Das konnte er vergessen!

Ach, wie überraschend – meine Laken waren natürlich nicht in der Kiste, die ich mit hereingebracht hatte. Dann musste ich eben auf den undefinierbaren Flecken und einem zusammengerollten Sweatshirt schlafen.

Die Haustür ging auf und knallte gleich darauf wieder zu. Jules schob sich mit dem Handrücken die Brille auf der Nase hoch. Über ihrem Arm hing die Transporttasche ihrer Tanzstange, und auf dem Rücken trug sie einen Rucksack.

»Oh Mann, du siehst ja schrecklich aus. Ich mache Brownies.«

Ihre Patentlösung für alle Probleme war genau das, was ich jetzt brauchte.

Sie spähte durchs Fenster auf die Straße hinaus. »Da draußen wimmelt es von Leuten, die Kondome aufblasen, als wären es Luftballons. Hab ich was verpasst?«

2. KAPITEL

Nix

Anderthalb Jahre später

Ich konnte nichts anderes hören als das Blut, das in meinen Ohren rauschte. Die Fans auf der Tribüne waren aufgesprungen, grölten und schrien mit aufgerissenem Mund, doch ich nahm den Lärm nicht wahr. Während ich den nächsten Spielzug ausrief, schien mein Herzrhythmus sich zu verlangsamen, jeder Schlag sekundenlang zu dauern.

Fulton-U-Flaggen, -Banner und -Trikots überzogen die Reihen im Stadion wie ein lebendiger Teppich. Die Blaskapelle hatte ihren Platz auf den Rängen für die Studierenden eingenommen, spielte jedoch keinen Ton, sondern reckte die Trompeten und anderen Instrumente begeistert in die Höhe.

Schweiß lief mir den Nacken hinunter. Dann kam der Snap, und das genarbte Leder landete in meiner Hand. Ausatmen. Die Line of Scrimmage brach auf. Die Linemen des gegnerischen Teams hielten wild entschlossen auf mich zu, die Augen fest auf mich gerichtet, auf der Suche nach der winzigsten Möglichkeit durchzubrechen. Die großen, leuchtenden Zahlen auf der Anzeigentafel liefen auf null herunter. Nur noch ein letzter Spielzug. Noch eine letzte Chance.

Die Verteidigungslinie der Fulton U hielt dicht, und ich erspähte zwanzig Yards entfernt unseren Wide Receiver. Er raste übers Spielfeld – so entschlossen, sich freizulaufen, hatte ich ihn in der ganzen bisherigen Saison noch nicht erlebt. Monatelang hatte Keyton das Fangen von Pässen geübt, bis er schließlich die Bälle mit geschlossenen Augen erwischte.

Reece, der zu den besten Spielern unseres Teams gehörte, hingen mindestens drei Gegner an den Hacken. In jedem anderen Spiel hätte ich den Pass trotzdem zu ihm gespielt. Egal wer sich ihm entgegenstellte, er kam immer durch. Doch diesmal war Keyton an der Reihe.

Ich packte den Ball fester. Die vertraute Struktur des Leders, die ich nach all den Jahren in- und auswendig kannte, grub sich in meine Haut. Zeit, alles auf eine Karte zu setzen. Ein. Letztes. Mal. Ich riss den Arm zurück, schwang ihn wieder nach vorn und ließ den Ball los. Ein stechender Schmerz schoss durch meine Schulter.

Kaum hatte der Ball meine Hand verlassen, erfüllte der Lärm im Stadion meinen Kopf. Solange ich mich voll konzentrierte, um das Team nicht zu enttäuschen, fiel es mir leicht, alles andere auszublenden. Doch während ich dem Ball nachblickte, der durch die Luft trudelte, kam es mir so vor, als hätte jemand die Fernbedienung zwischen den Couchkissen herausgefischt und die Lautstärke auf ohrenbetäubend hochgedreht.

Wahrscheinlich war das auch der Grund, warum ich den Treffer nicht kommen sah. Obwohl der Ball schon längst fort war, warf sich jemand auf mich. Ich flog durch die Luft, genau wie der Ball, den ich gerade weggeschleudert hatte. Doch ich landete nicht in den Händen unseres zweitbesten Receivers. Nein, ich überschlug mich in der Luft und landete auf meiner Schulter, die sich in den Boden grub. Mein Brustkorb wurde zusammengequetscht. Als ich nach Luft schnappte, fühlte es sich an, als müsse ich das Atmen neu lernen. Ein brennender Schmerz erfüllte meine Brust, und meine Schulter pochte.

»Bleib unten, Russo.« Johannsens hämische Worte änderten auch nichts mehr daran, dass dies der letzte Spielzug war.

Obwohl ich die Augen geschlossen hatte, wusste ich, dass er über mir aufragte wie ein mordlüsterner Riese. Das Spiel zu verlieren war genau das, was dieser Idiot verdiente. Die meisten anderen Jungs, gegen die wir spielten, waren in Ordnung, doch das Team von der St. Francis U war unser größter Rivale, und bei den Spielen benahmen sich unsere Gegner – insbesondere Johannsen – oft wie Oberarschlöcher.

Mit einiger Anstrengung öffnete ich die Augen. Berk, der mich auf dem Spielfeld noch nie im Stich gelassen hatte, versuchte gerade, sich von drei gegnerischen Spielern, die auf seinem Rücken lagen, zu befreien und sich aufzurappeln.

Er starrte mich an, und sein Zorn über Johannsens fiesen Spielzug stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.

Ich brachte ihm zuliebe ein gequältes Lächeln zustande. Alles halb so wild. Dann zuckte mein Blick zum Ball.

Es herrschte Stille. Der Ball segelte durch die Luft, und außer den Spielern auf dem Feld bewegte sich im Stadion niemand. Ich hielt die Augen wie hypnotisiert auf ihn gerichtet, unfähig wegzuschauen. Eine Gruppe Spieler versperrte mir kurz die Sicht. Dann prallte der Ball gegen Keytons Brust. Er schlang die Arme fest darum, drehte sich um und raste in Richtung Endzone. In diesem Moment erwachten die Fans auf den Tribünen wieder zum Leben.

Er presste den Ball gegen seinen Oberkörper und legte halsbrecherische Ausweichmanöver hin, wie wir sie in der gesamten bisherigen Saison von ihm noch nicht zu sehen bekommen hatten. Dann erreichte er die Endzone. Das komplette Stadion flippte aus. Wahrscheinlich war der Lärm des Publikums noch bis nach Jersey zu hören.

Berk, der als Offensive Tackle spielte, reichte mir seine Hand und half mir vom Boden hoch. Meine Schulter pochte, doch über den frenetischen Jubel, der das Stadion erfüllte, merkte ich es kaum. Unsere Ersatzbank war leer. Wasserflaschen, Handtücher, Helme und Trikots lagen an der Seitenlinie verstreut. Alle rannten aufs Feld, um zu feiern. Ich stand inmitten des Chaos und starrte gebannt zu den Tribünen hinauf, genoss den Augenblick. Ein Stück weit entfernt warfen sich meine Mannschaftskameraden auf dem Spielfeld aufeinander. Ich öffnete den Verschluss meines Helms, zog ihn vom Kopf und versuchte, mir jedes Detail einzuprägen.

Dieses Team hinter mir zu lassen würde nicht einfach werden, aber nichts im Leben war für die Ewigkeit. Wir müssen im Augenblick leben und ihn genießen, solange er anhält.

Konnte man sich beim Lächeln eigentlich einen Muskel zerren? Das Grinsen, mit dem ich Johannsen und seine Teamkameraden bedachte, reichte jedenfalls von einem Ohr zum anderen, während wir uns im Konfettiregen, der aus den Kanonen am Spielfeldrand abgefeuert worden war, gegenüberstanden und die Hand schüttelten.

»Nächstes Jahr hätte ich es dir gezeigt«, knurrte er und drückte so fest zu, dass er mir beinahe die Finger zerquetschte. Doch ich spürte keinen Schmerz. Nichts und niemand konnte mir in diesem Moment etwas anhaben.

»Du wirst keine Gelegenheit dazu bekommen.« Ich war mit dem College fertig, er dagegen hatte noch ein Jahr Spießrutenlauf vor sich. Hoffentlich würden Berk, LJ und der Rest des Fulton-U-Teams ihm in der nächsten Saison ordentlich in den Hintern treten.

Wir blieben noch für die Interviews und die Übergabe der Siegestrophäe auf dem Platz.

Mit sieben Jahren hatte ich angefangen und jetzt, nach Hunderten von Spielen, zwei Operationen und unzähligen Stunden Physiotherapie hatte ich es geschafft: ein Meisterschaftstitel. Den letzten hatte die Fulton U vor fast zwanzig Jahren errungen. Mein Dad kam aufs Spielfeld gestürzt, setzte gnadenlos die Ellenbogen ein, um zu mir durchzudringen, zog mich schließlich an sich und drückte mich fest.

»Gut gemacht, mein Sohn.«

»Danke, Dad.« Mein Grinsen konnte man wahrscheinlich sogar aus dem Weltall sehen.

»Hervorragend gespielt, Phoenix.« Mein Großvater schob sich durch eine Lücke in der feiernden Menge.

»Gramps! Du bist auch da!«

Er nahm mich in die Arme und klopfte mir auf den Rücken. »Das hätte ich mir um nichts in der Welt entgehen lassen.«

Dad grummelte leise etwas in sich hinein und warf ihm einen missbilligenden Blick zu.

Gramps hielt sich an meiner Schulter fest und drückte sie. »Du hast so gut gespielt, wie ich es noch nie erlebt habe.«

»Weil es das erste Mal war, dass du ihn spielen gesehen hast.«

»Ich habe ihn auch vorher schon spielen gesehen«, entgegnete Gramps und bedachte meinen Dad mit einem tadelnden Seitenblick, bevor er sich wieder mir zuwandte. »Du hast wirklich eine tolle Vorstellung abgeliefert, und jetzt, da die Saison vorbei ist, kannst du vielleicht öfter im Restaurant vorbeikommen.«

»Er hat Besseres zu tun, als in deiner brütend heißen Küche herumzusitzen.«

Gramps verdrehte genervt die Augen. »Wir sehen uns bald. Jetzt muss ich aber wieder zurück, bevor der abendliche Ansturm vorbei ist.«

Dad verschränkte die Arme vor der Brust. »Du gehst schon wieder.« Es war eine Feststellung, keine Frage.

»Die Küche ruft.« Gramps drückte mich noch einmal. »Auf dich wartet auf jeden Fall eine Schoko-Salzkaramell-Überraschung.« Er ließ mich los und grinste mir noch einmal zu, bevor er in der johlenden Menge aus Mannschaftsmitgliedern und Fans verschwand.

»Er bleibt nie«, sagte Dad und starrte ihm nach.

»Er hat viel zu tun.«

Dad schnaubte höhnisch und schüttelte den Kopf. »Großartiges Spiel, wenn es auch etwas sauberer hätte sein können. Darüber können wir uns heute Abend noch unterhalten.«

Selbstverständlich würden wir das. In dieser Hinsicht hatte ich kaum eine andere Wahl. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass seine Spielkritik nach einem Sieg noch krasser und länger ausfiel als nach einer Niederlage.

»Die anderen wissen, dass das ganze Team eingeladen ist, oder?«

»Sie werden kommen.« Als ob sie jemals eine seiner Einladungen ausgeschlagen hätten. So war das bei Phil Russo … Stets fand er lobende Worte für alle im Team – außer für mich –, und meine Kameraden nahmen seine Ratschläge immer gerne an, als würden sie ihnen, begleitet von einem gleißenden Lichtstrahl, direkt vom Himmel gesandt. Keiner von ihnen wusste, wie es war, wenn man sich seine Ratschläge andauernd anhören musste, weil man es nie schaffte, seinen Erwartungen gerecht zu werden.

Als einer der Reporter ihn erkannte, begann er sofort, mitten auf dem Feld seine eigene kleine Pressekonferenz abzuhalten. Inzwischen war ich das gewohnt.

In der Umkleidekabine herrschte Chaos, gepaart mit Euphorie. Obwohl der Coach jeden, den er beim Trinken erwischte, höchstwahrscheinlich kastrieren würde, roch es penetrant nach Bier, Icy-Hot-Creme und Tapeverbänden. Der Meisterschaftspokal, an dessen hölzernem Sockel noch Konfetti klebte, stand mitten im Raum. Wir Seniors beendeten unsere College-Laufbahn wirklich mit einem Paukenschlag.

»Will dein Dad uns heute Abend wirklich alle dabeihaben? Wir sind ja nicht gerade eine vornehme Truppe.« Mein Mitbewohner LJ, der als Safety spielte und mir auf dem Spielfeld unzählige Male den Rücken freigehalten hatte, rubbelte sich mit einem Handtuch die braunen, lockigen Haare trocken.

Ich schlüpfte in meine Anzugjacke. »Du vergisst, wer er war, bevor er Phillip Russo wurde. Ich muss noch einen Anruf erledigen, dann können wir los.« Rasch holte ich meine Tasche aus dem Spind und schlang mir den Träger über den Kopf. Als er meine Schulter berührte, zuckte ich zusammen. Anscheinend wollte sich meine Schulter ein Beispiel an meinem Knie nehmen. War ja klar. Ich rieb mit der Hand darüber und drückte ein wenig, um den Schmerz zu lindern.

»Und warum siehst du dann so aus, als würdest du dich überhaupt nicht freuen?« Reece, ebenfalls Senior und mein bester Freund, musterte mich so eingehend, als wollte er ergründen, ob ich möglicherweise eine Hirnblutung erlitten hätte.

»Ich bin müde, mehr nicht. Ist nur der Adrenalin-Crash, aber keine Sorge, dauert nicht lange, dann bin ich wieder auf dem Damm.«

»Und ob du das sein wirst. Willst du wissen, warum?« Berk sprang auf die Bank und stimmte zum inzwischen siebten Mal seine ganz eigene schiefe und viel zu schnelle Version von »We Are The Champions« an.

Ich bahnte mir einen Weg durch den Trubel und verließ die Umkleide. Draußen drehte ich mich noch einmal um und betrachtete die Jungs durch den immer kleiner werdenden Spalt der sich schließenden Tür. Überall strahlende Gesichter, Handtuchgefechte und die Art von Kameradschaftsgefühl, die man nur empfand, wenn man gemeinsam auf dem Feld Blut vergossen hatte. Verdammt, sie würden mir fehlen.

Eine Weile später strömten die Jungs aus dem Stadion, und wir quetschten uns in mein Auto. Berk drückte auf den Knöpfen des Radios herum, wechselte andauernd den Sender, bis er endlich einen Song fand, der ihm gefiel, wobei LJ sofort sein Veto einlegte und das ganze Theater von Neuem begann.

»Schluss jetzt«, ging ich lautstark dazwischen und rammte den Finger auf den Ausschaltknopf. Nun herrschte wieder Stille im Wagen.

»Mann, das Stück hat mir gefallen«, schmollte LJ auf dem Rücksitz.

Ich packte das Lenkrad fester. Die Frage »Wollt ihr aussteigen und zu Fuß gehen?« lag mir bereits auf der Zunge, doch ganz allein auf diese Party gehen zu müssen, wäre für mich eine größere Strafe gewesen als für die anderen.

Am Restaurant angekommen stiegen wir aus, überließen den Wagen dem Parkservice und gingen hinein, um meinen Vater zu treffen. Natürlich hatte er sich für die Feier nicht Gramps’ Restaurant ausgesucht. Soweit ich wusste, hatte mein Vater seit dem Tod meiner Mutter keinen Fuß mehr dort hineingesetzt.

Ich öffnete die Tür und trat mit den Jungs im Schlepptau ein – und wurde sofort von einem wahrhaften Blitzlichtgewitter geblendet.

Während ich noch angestrengt blinzelte, um die bunten Flecken, die in meinem Sichtfeld tanzten, wieder loszuwerden, zog mich jemand an sich und drückte mich.

»Da ist er ja, unser Meisterschafts-Quarterback und erste Wahl beim Draft, genau wie seine Freunde hier«, sagte Dad und deutete wie eine Glücksrad-Präsentatorin mit einer weit ausholenden Armbewegung auf mich und den Rest der Trojans. »Und jetzt besorgen wir diesen Jungs erst mal was zu trinken.« Er klopfte einem der Jungs anerkennend auf den Rücken, und wie von Zauberhand hielten plötzlich alle übergroße Biergläser in der Hand. »Es sind außerdem mehr als genug Damen anwesend, damit ihr euch heute Abend nicht langweilt.«

Ich warf einen Blick hinter mich. Als die Frauen sich uns näherten, wirkten meine Teamkameraden, als wollten sie am liebsten Reißaus nehmen. LJ wich einen Schritt zurück, und selbst Berk starrte angestrengt sein Glas an.

Die Party begann, aber sie kam mir anders vor als die üblichen Festivitäten, die mein Dad veranstaltete, um sich bei den Gästen einzuschleimen. Neben den Frauen waren nicht nur ehemalige Spieler und Geldgeber anwesend, sondern auch eine ganze Reihe Typen in Anzügen, die verdächtig nach Agenten aussahen – was im Grunde den Rekrutierungsregeln widersprach.

»Hey, Dad. Was ist hier eigentlich los?«

Er drückte mich wieder an sich. »Ich sorge nur dafür, dass die Jungs in Sachen Rekrutierung einen kleinen Vorsprung haben. Schließlich muss man immer das Beste herausholen.«

Ich knirschte mit den Zähnen. »Das könnte ihnen Probleme mit der NCAA einbringen.« Und ich war der Mannschaftskapitän. Ich durfte auf keinen Fall zulassen, dass die Jungs so kurz vor dem Ziel noch über den Tisch gezogen wurden.

»Wer, glaubst du, wird tauschen, um den ersten Pick zu kriegen, damit er dich auswählen kann? Ich weiß, dass du in Philly bleiben willst, aber nach New England zu wechseln könnte deine Karriere richtig in Fahrt bringen«, hörte ich jemanden rufen.

Gelächter erfüllte den Raum. Ein Meer von Anzugträgern – Agenten, wo man nur hinschaute. Als hätte er sämtliche Talentsucher des Landes angerufen. Jedes Mal, wenn ich jemandem die Hand schüttelte, wurde mir eine Visitenkarte zugeschoben.

»Ich komme mir vor wie bei einer Fleischbeschau.« Berk kam auf mich zu und hielt sich dabei schützend die Hände vor den Oberkörper, als wolle er seine imaginären Brüste verbergen. »Fühlen sich so etwa Frauen, wenn sie ausgehen?« Sein Blick huschte nervös durch den Raum.

LJ lehnte sich über unsere Schultern. »Nur dass du bei diesen Kerlen hier am nächsten Morgen aufwachst, dich fragst, was um alles in der Welt du getan hast, und feststellst, dass sich vierzig Prozent deiner potenziellen zukünftigen Einnahmen mal eben in Luft aufgelöst haben.«

Dad winkte mich von der anderen Seite des Raumes aus zu sich herüber. Nach einer weiteren Vorstellungsrunde mit den Gästen holte er sich einen neuen Drink. Ich war mein Bier losgeworden und klammerte mich nun stattdessen an einen Teller mit Kanapees, ohne eins davon anzurühren.

»Ich will morgen ins Tavola«, bemerkte ich. »Du solltest auch vorbeikommen.« Früher hatte ich praktisch dort gewohnt, aber dank der anstrengenden Saison und dadurch dass ich mich auch noch ums Lernen hatte kümmern müssen, lag mein letzter Besuch dort schon viel zu lange zurück.

Dad schnaubte abfällig, wie immer, wenn ich dieses Thema zur Sprache brachte. »Weißt du, wen ich hier heute Abend nicht sehe, um dir zu deinem Sieg zu gratulieren? Deinen Großvater. Den alten Kerl bekommt man nicht aus seinem Laden raus, ganz egal, was auch passiert.« Er trank einen Schluck aus seinem Whiskyglas. Die bernsteinfarbene Flüssigkeit wirbelte im Glas herum.

»Der Laden ist Gramps’ Lebenswerk.«

Dad schnaubte erneut. »Glaubst du, das wüsste ich nicht? Ich weiß es wahrscheinlich besser als jeder andere.«

»Fang nicht schon wieder damit an. Es ist toll, dass du zu all meinen Spielen gekommen bist, aber er schafft es eben nicht jedes Mal.« Ich packte das kalte Porzellan meines Tellers fester.

»Nie trifft es wohl besser«, sagte er, und seine Miene verfinsterte sich. Erst nachdem er sein Glas in einem Zug geleert hatte, verzog sich seine schlechte Laune wieder. »Aber das ist nicht der richtige Abend, um über so etwas zu diskutieren. Heute feiern wir. Football liegt dir im Blut. Du hast dir diesen Sport zur Lebensaufgabe gemacht. Du spielst so gut wie eh und je, und nächstes Jahr wirst du es bestimmt schaffen, noch in deinem ersten Jahr als Rookie in der Profiliga als wertvollster Spieler ausgezeichnet zu werden. Und dann hast du deine Zukunft in der Hand und kannst tun, was immer du willst.« Dad schob sich ein Horsd’œuvre in den Mund, legte mir den Arm um die Schulter und posierte grinsend für ein Foto. »So, und jetzt lass uns besprechen, was falsch gelaufen ist und wie du dafür sorgen kannst, dass du diese Fehler nicht noch einmal machst.«

Auf seinem iPad, das er sich hatte vorbeibringen lassen, war ein ausführlicher Spielbericht abgespeichert, anhand dessen er mir nun bis ins kleinste, qualvollste Detail schilderte, was ich beim Gewinn der Meisterschaft alles hätte besser machen können. Die Adern an meinem Hals schwollen an, und das Blut pochte mir unangenehm in den Ohren. Ich zerrte an meiner Krawatte, um sie zu lockern. Jedes verdammte Mal. Bevor ich den Gedanken überhaupt zu Ende gedacht hatte, hatten sich meine Beine ganz wie von selbst in Bewegung gesetzt.

»Nix«, hörte ich meinen Dad hinter mir rufen.

Ich blieb nicht stehen – das konnte ich gar nicht. Männer in Anzügen klopften mir auf den Rücken und versuchten, mich in ein Gespräch zu verwickeln, doch als sie meinen Gesichtsausdruck bemerkten, blieben ihnen die Worte im Hals stecken. Ich hatte draußen auf dem Spielfeld mit meinem Blut und meinem Schweiß für ihn Buße getan. Ich hatte mich bis zum Umfallen abgerackert, war wieder aufgestanden und hatte weitergemacht. Wenn ihm das nicht genügte, gab es dann überhaupt irgendetwas, das ihn zufriedenstellen würde?

Ich marschierte durch die Tür des Restaurants nach draußen, ohne meinen Mantel mitzunehmen. Augenblicklich drang die eisige Januarluft durch meinen Pullover und meinen Blazer. Keine Ahnung, ob jemand den Parkservice vorgewarnt hatte oder ob sie einfach nur blitzschnell reagierten, aber in der Sekunde, als meine Sohlen den Gehweg berührten, fuhr mein Wagen schon vor.

Den schicken schwarzen Mercedes hatte mein Vater mir gekauft, als ich die Highschool-Staatsmeisterschaft gewonnen hatte. Wäre es nicht so verflixt kalt gewesen, hätte ich ihn einfach stehen gelassen und erst am nächsten Morgen abgeholt. Stattdessen stieg ich ein und fuhr zurück zu unserem Haus. Die anderen Jungs waren so schlau gewesen, sich schon vor über einer Stunde zu verdrücken und zur richtigen Party weiterzuziehen, die Taschen voll mit den Visitenkarten sämtlicher Agenten, die es auf der Welt gab.

Bestimmt tobte im Haus schon eine riesige, wilde Party. So war es immer, auch wenn wir selbst eigentlich gar nicht so viel feiern wollten.

Manchmal war es einfacher, mit dem Strom zu schwimmen, als dagegen anzukämpfen. Das hatte mir die Begegnung mit meinem Vater am heutigen Abend aufs Neue gezeigt. Wenn man gegen den Strom anschwamm, ging man manchmal unter. Und genau so fühlte ich mich gerade – als würde ich vergeblich um mich schlagen und mich nur mit Mühe und Not über Wasser halten. Irgendwie musste ich einen Weg finden, ihm zu zeigen, dass das, was er für mich wollte, und das, was ich wollte, niemals dasselbe sein würden.

Seine Hoffnungen und Träume hatte ich heute alle da draußen auf dem Spielfeld zurückgelassen.

Der Boden unter mir bebte, und die Vibrationen setzten sich in meiner Matratze fort. Die brütende Hitze der Party hing in meinem Zimmer, und trotz des offenen Fensters war die Luft so drückend, dass ich kaum atmen konnte. Als ich den Ball hochwarf, knallte er fast an die Decke. Sie hatte bereits einige Macken. Meine Mietkaution kann ich wohl vergessen. Der Party zu entkommen war nicht so einfach gewesen wie gehofft. Sonst hatte ich nie Probleme damit gehabt, bei den Feiern, die plötzlich in unserem Haus losbrachen, einfach mitzumachen, ungeachtet dessen, ob ich nun Lust darauf hatte oder nicht. Aber heute Abend brauchte ich eine Pause.

Ich wollte niemandem den Spaß verderben, aber in diesem Moment mischten sich der Lärm und die Stimmen der Gäste mit den Worten meines Vaters in meinem Kopf zu einer brodelnden Masse. Gut gemacht, mein Sohn. Nach so langer Zeit und allem, was ich erreicht hatte, brachte er allen Ernstes nicht mehr zustande als das. Selbst bei einem klaren Sieg schwang immer noch unterschwellige Kritik in seiner Stimme mit.

Ich zog den Arm nach hinten und packte den Ball fester. Die genarbte Oberfläche grub sich in meine Fingerspitzen, und das Blut rauschte in meinen Ohren. Vielleicht lag es daran, dass ich zu viel getrunken hatte. Oder daran, dass ich gerne mal ein Gut gemacht, mein Sohn ohne die Andeutung eines Abers gehört hätte. Ich schleuderte den Ball, als befände ich mich noch im Stadion. Anstatt eine hübsche, die Mietkaution reduzierende Delle in der Wand zu hinterlassen, durchbrach er das Fliegengitter an meinem Fenster wie ein Showgirl, das seinen großen Auftritt hinlegte. Das metallene Netz schimmerte im Mondlicht, und das Scheppern übertönte sogar den dumpfen Radau der Partygäste.

Dann hörte man es unten krachen, und gleich darauf klirrte es. Ich sprang zum kaputten Fenstergitter und spähte hinaus. Das kurze Aufheulen einer Sirene, das das Ende der Party signalisierte, wurde vom Aufblitzen der Blaulichter auf dem Dach des Polizeiautos untermalt, das an der Bordsteinkante stand. Auf dem Boden lagen die Überreste der Autoscheibe in einem glitzernden Mosaik aus Scherben. Die Bruchstücke hopsten noch über den Asphalt, als der Polizist bereits den Kopf hochriss und zu meinem Fenster schaute. Bitte nicht die städtische Polizei. Bitte nicht die städtische Polizei.

Ich spähte zum Haus auf der anderen Straßenseite hinüber. Keine Spur von ihr, trotzdem meinte ich, ihr fieses Kichern zu hören. Der Polizist stieg aus dem Auto und starrte zu mir hoch. Seine Dienstmarke, die ihn als städtischen Polizisten auszeichnete, glänzte im Mondlicht, als er ausstieg und auf die Haustür zuging, ohne seinen eindringlichen Blick auch nur eine Sekunde von mir zu lösen.

Die Musik im Untergeschoss verstummte abrupt. Gleich darauf begannen die Leute aus dem Haus und über die Straße zu strömen, wie Ameisen, die vor Insektenvernichtungsmittel Reißaus nahmen.

Meine ganz persönliche Nervensäge zog die Vorhänge zurück und musterte die Vorbeiziehenden, als wären sie Landstreicher, die von ihrem Grundstück verschwinden sollten. Das war inzwischen das achte Mal in vier Monaten, dass sie uns die Polizei auf den Hals gehetzt hatte. Nach dem, was letztes Jahr passiert war, hatte ich eigentlich damit gerechnet, dass sie aus ihrer Bruchbude ausziehen würde, doch als wir aus dem Trainingscamp zurückgekehrt waren, war sie noch da gewesen und hatte uns mit finsterer Miene empfangen. Sie ließ den Vorhang im selben Moment wieder fallen, als jemand an meine Tür klopfte.

Durch das offene Fenster drangen erhobene Stimmen von unten zu mir herauf, kündigten das Unvermeidliche an. Der schroffe Tonfall des Polizisten duldete keinen Widerspruch. Ich fuhr mir mit den Händen übers Gesicht. Das perfekte Ende für einen perfekten Abend.

Berk steckte den Kopf ins Zimmer. Sein zotteliges Haar fiel ihm in die Augen, und er hatte sein Shirt nur halb an. Auf seiner Haut prangten die hingekritzelten Unterschriften diverser Partygäste sowie eine stattliche Anzahl Telefonnummern.

»Du hast Besuch«, sagte er und stützte sich dabei am Türpfosten ab.

»Bitte sag mir, dass ich betrunken bin, und das da nur ein Campus-Polizist ist und keiner von der Stadt.«

Er sog mit zusammengebissenen Zähnen die Luft ein und bedachte mich mit einem mitleidigen Blick.

»Scheiße.«

»Wir haben gerade die Meisterschaft gewonnen – da müssten die doch eigentlich mal ein Auge zudrücken.« Einige Nachzügler kamen aus dem Badezimmer. Die Frauen eilten kichernd an uns vorbei. Berk ließ die Arme sinken und zuckte zusammen, als ihm eine von ihnen im Vorbeigehen an den Hintern packte.

»Du bist nicht derjenige, der damals auf der Highschool bei der Staatsmeisterschaft den Sohn des städtischen Polizeichefs mit einer Dreißig-zu-null-Niederlage vorgeführt hat – unter anderem.«

Berk nickte ernst. »Stimmt. Soll ich dir Geleit zum Galgen geben?« Er trat von der Tür zurück und folgte mir nach unten.

»Sind die Bullen etwa deinetwegen da? Wissen die denn nicht, wer du bist?«, rief irgendein Typ lallend.

Über das leise Murmeln der Anwesenden hörte man plötzlich, wie jemand betont langsam in die Hände klatschte. Ich spähte über das Meer aus Menschen hinweg, aus dem eine gewisse Person hervorragte.

»Was zum Teufel hat Johannsen hier zu suchen?«, zischte ich Berk zu. Allein bei seinem Anblick tat mir die Schulter wieder weh.

»Keine Ahnung. Er ist hier hereinmarschiert, als würde er jemanden suchen, und dann ist die Polizei aufgetaucht.«

So was konnte ich heute Abend nun wirklich nicht gebrauchen.

Angesichts seines selbstzufriedenen Grinsens fiel es mir schwer, ruhig zu bleiben, aber ich hatte gerade Wichtigeres zu klären.

»Ich halte den Kopf für dich hin.« Ein anderer Typ in einem Trojans-Trikot drängte sich mit entschlossenem Blick durch die Anwesenden nach vorne, um sich für mich zu opfern. Verdammt, ich war tatsächlich kurz versucht, zustimmend zu nicken und ihm ein signiertes Trikot als Gegenleistung anzubieten. Die Polizei hatte mich sowieso schon geraume Zeit auf dem Kieker. Aber nein, das brachte ich einfach nicht über mich, selbst wenn es mir das Leben in diesem Moment sehr viel leichter gemacht hätte.

Der Polizist stand mitten im Wohnzimmer, umgeben von roten Plastikbechern, alkoholgetränkten Luftschlangen, Teamflaggen und wesentlich mehr zurückgelassenen Kleidungsstücken mit FU-Logo, als ich es für möglich gehalten hätte.

»Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu sagen?« Sein Gesichtsausdruck verriet mehr als deutlich, dass ich keine Chance hatte, mich aus dieser Sache herauszureden.

»Officer.« Ich streckte ihm meine Hand entgegen. Er starrte sie an, als hätte ich ihm einen toten, mit Reißzwecken gefüllten Fisch angeboten, bevor er die silbernen Handschellen um meine Handgelenke schnappen ließ und mich über meine Rechte belehrte. Die anderen Anwesenden fanden, dass dies der richtige Moment wäre, um kollektiv zu buhen.

Damit war mein Abend gelaufen. Ich würde ganz sicher nicht die »Wissen Sie eigentlich, wer mein Vater ist?«-Karte spielen. So etwas taten nur Arschlöcher, und ganz egal, was unsere einbrecherische und mit Kondomen um sich werfende Nachbarin auch von mir halten mochte, ich war keines.

LJ kam ins Wohnzimmer geschlittert und riss die Augen so weit auf, dass sie ihm fast aus dem Kopf fielen. Hektisch begann er, nach seinem Handy zu kramen. »Soll ich deinen Dad anrufen?«

Als der Polizist mir die Arme hinter dem Rücken nach oben drückte, spürte ich ein Stechen in der Schulter. »Nein! Ruf ihn nicht an. Mein Portemonnaie liegt oben. Ich rufe dich an, wenn ich Geld für die Kaution brauche. Holt das Geld einfach von meinem Konto.«

Der Polizist führte mich zu seinem Wagen, öffnete die Tür und drückte mich mit der Hand auf meinem Kopf ins Innere. Sofort schlug mir ein penetranter Geruch nach Desinfektionsmittel und Plastik entgegen. Immer noch besser als Bier und diverse Körpergerüche.

Berk und LJ standen oben auf der Treppe unseres Hauses, das auch als Puff bekannt war. Dieser Spitzname, der ein Überbleibsel aus der Zeit war, als eine Studentenverbindung darin gehaust hatte, hatte uns kein Glück gebracht, insbesondere nachdem eines Tages plötzlich die Tochter des Polizeichefs so sturzbetrunken vor unserer Tür gestanden hatte, dass sie beinahe ohnmächtig geworden war. Leider war es ihrem Vater vollkommen egal gewesen, dass wir sofort einen Krankenwagen gerufen hatten, und auch, dass wir ihr keinen Tropfen Alkohol gegeben hatten. Aber dafür hatten wir seit jenem Zwischenfall vor fast sechs Monaten eine Art unsichtbare Zielscheibe auf unserem Rücken. Dass wir die Football-Meisterschaft gewonnen hatten, war dabei offenbar völlig egal.

Während das Polizeiauto die Straße entlangfuhr, konnte ich sehen, wie alle neugierig den Hals reckten, um herauszufinden, wer gerade verhaftet worden war.

Wir kamen an dem Haus vorbei, dessen Bewohnerin diese ganze Sache angezettelt hatte. Sie steckte den Kopf aus dem Fenster ihres Zimmers im Obergeschoss. Als ich einen letzten Blick auf ihr Gesicht erhaschte, bevor wir um die Ecke bogen und sie aus meinem Sichtfeld verschwand, hätte ich schwören können, dass sie fast ein wenig reumütig aussah. Doch wahrscheinlich lag das nur am Mondlicht und ich hatte in Wirklichkeit den ersten Anflug eines triumphierenden Grinsens gesehen, an das sich gleich, wie schon einige Male zuvor, ein Freudentänzchen anschließen würde.

Doch sie ahnte nicht, dass das hier nicht der schlimmste Teil meines Abends war. Bei Weitem nicht.

3. KAPITEL

Elle

Auf dem Nachhauseweg war auf den Straßen so viel los, dass ich für die normalerweise halbstündige Fahrt über neunzig Minuten brauchte. Das hatte ich nun davon, dass ich nicht, wie anscheinend alle anderen in der Stadt, den Spielplan des College-Football-Teams auf der Brust tätowiert trug.

Nachdem ich mir inmitten des stockenden Verkehrs zum zehnten Mal die volltrunkene Version der Hymne unseres Football-Teams hatte anhören müssen, war ich bereit gewesen, meinen Kopf gegen das Lenkrad zu rammen und allem ein Ende zu setzen. Gab es Karma tatsächlich? Vor meinem inneren Auge tauchten Erinnerungsfetzen an mein bisheriges Leben auf, und was ich da sah, stank zum Himmel.

In meiner Straße war es kein bisschen besser. Überall liefen Leute herum, und der einzige freie Parkplatz, den ich fand, war ganze fünf Blocks von unserem Haus entfernt.

Nachdem ich aus dem Auto gestiegen war, musste ich die Tür dreimal zuschlagen, bis der Schließmechanismus endlich einrastete. Das Letzte, was ich jetzt gebrauchen konnte, war, dass meine Batterie leer wurde, weil die Tür nicht richtig geschlossen war – schon wieder. Da die Innenbeleuchtung im Auto nicht mehr funktionierte, fragte ich mich allerdings, wie es überhaupt sein konnte, dass irgendetwas ständig meine Batterie leer saugte.

Je näher ich meinem Haus kam, desto lauter hörte ich die Bässe wummern. Und am lautesten dröhnte es natürlich aus dem verdammten Puff. Wer kam überhaupt auf die Idee, sein Haus so zu nennen? Genau: dämliche Football-Spieler, die keinen Respekt vor ihren Nachbarn hatten.

Mit der Mercedes S-Klasse, die ich damals zu Highschool-Zeiten gefahren hatte, hatte ich nie derartige Probleme gehabt, aber dafür gehörte dieser Schrotthaufen auf vier Rädern hier ganz allein mir – obwohl es eigentlich eine Beleidigung für alle Schrotthaufen der Welt war, sie mit dieser Mühle zu vergleichen.

Meine Schultern schmerzten. Meine Füße schmerzten. Himmel, sogar meine Augäpfel schmerzten.

Die ständige Müdigkeit, mit der ich schon seit vier Jahren kämpfte, steckte mir inzwischen tief in den Knochen. Ich stand so kurz davor, meinen Abschluss zu machen. Die viele harte Arbeit würde sich endlich auszahlen. Und dann? Du hast keine Zeit, um darüber nachzugrübeln. Sieh einfach zu, dass du dich beschäftigst. Mach weiter und tu Gutes. Gewinn den Huffington Award, und danach fällt dir schon ein, wie es weitergehen soll. Das Stipendium, das mit der Auszeichnung einherging, würde mir endlich helfen, die finanziellen Probleme loszuwerden, die mich, seitdem unser Mittelklasseleben den Bach heruntergegangen war, permanent verfolgten wie eine schwarze Regenwolke.

Wenn ich es gleich noch bis unter die Dusche schaffte, würde das schon an ein Wunder grenzen. Meine Kleider stanken. Wenn ich das Duschen nicht mehr hinbekam, wäre es bestimmt klüger, auf dem Fußboden zu schlafen, damit ich hinterher zumindest nicht auch noch meine Bettwäsche waschen musste. Wie es dazu gekommen war, dass ich zum Hähnchen-Frittier-Dienst abkommandiert worden war, wusste ich selbst nicht – die Küchen-Götter meinten es offenbar nicht gut mit mir.

Ich knirschte mit den Zähnen, und das Pochen in meinem Kopf kam nicht nur von den sich anbahnenden Kopfschmerzen, die zu so später Stunde noch auf ein Ründchen vorbeischauen wollten. Es war ein Uhr morgens, dennoch deutete nichts darauf hin, dass die Party im Haus gegenüber bald enden würde. Ich wollte einfach nur schlafen – und das ausnahmsweise mal in Ruhe und Frieden.

Auf der Veranda vor unserem Haus stolperte ich über eines der gesplitterten Bretter. Hätte ich davon ausgehen können, dass unser Vermieter es richten würde, hätte ich mir eine Notiz gemacht, ihn am nächsten Morgen anzurufen, und das Brett außerdem zu der Liste mit den dreihundert anderen Dingen hinzugefügt, die am Haus repariert werden mussten. Doch er ließ sich nie blicken, und hätte er nicht Monat für Monat unsere Schecks eingelöst, hätte ich glatt glauben können, er wäre inzwischen gestorben.

Jemand brannte ein Feuerwerk ab, und ich rutschte vor Schreck mit der Hand vom Riemen meiner Tasche ab und schlug mir selbst ins Gesicht. Verdammt noch mal! Jetzt war Schluss. Mir reichte es. Diesen Mist würde ich mir nicht länger bieten lassen. Schon hielt ich das Telefon in der Hand und drückte ohne Zögern die Wahlwiederholung. Und ich schickte keine Nachricht an meinen idiotischen Nachbarn, auf die ich nur wieder falsche Versprechungen bekommen würde, dass er dem Tumult, der sich auf der anderen Straßenseite abspielte, ein Ende setzen würde. Die Polizei traf in Rekordzeit ein, als hätten sie nur auf einen Vorwand gewartet, dem Puff einen Besuch abzustatten.

Ich knallte die Haustür zu. Oh, buhu, jetzt war ihre schöne Party schon um ein Uhr morgens zu Ende. Sie würden es bestimmt überleben.

Nachdem ich die Treppe hochgestapft war, war die Versuchung groß, mich direkt aufs Bett zu legen, aber ich wusste, dass ich dann nicht mehr aufstehen würde – das hatte ich in den vergangenen drei Jahren aus leidvoller Erfahrung gelernt. Ich band mir die Haare hoch, klaubte meinen Schlafanzug vom Boden auf und schnupperte daran. Na ja, der würde noch mal gehen. Ein bequemer Flanellpyjama gegen die Kälte und dazu noch dicke Socken, mehr brauchte ich gerade nicht.

»Elle, bist du zu Hause?«, rief Jules unten am Treppenabsatz.

»Nein, ich bin nicht Elle, sondern nur ein höflicher Einbrecher, der sich einen Pyjama und eine kochend heiße Dusche ergaunern will.«

»Okay, aber vielleicht sollten Sie den Schlafanzug vorher waschen. Elle trägt ihn schon seit einer Woche. Oh, und bitte auch wieder waschen, bevor Sie ihn zurückbringen.«

Ich hatte ihn nicht schon eine Woche an. »Ich benutze ihn doch erst seit …« Ich zählte die Tage, seitdem ich den Schlafanzug gewechselt hatte, an den Fingern ab. Igitt.

»Genau. Komm runter, wenn du fertig bist. Ich habe eine Überraschung für dich.« Mit ihrer rauchigen Stimme hätte sie glatt Telefonsex anbieten können. Wenn man sie so hörte, hätte man schwören können, dass sie Kettenraucherin war, doch ich wusste, dass sie schon von Limonade einen Schluckauf bekam.

Ich schälte mich schmunzelnd aus meinen Klamotten. Alles roch nach frittiertem Essen. Wahrscheinlich musste ich sie zweimal waschen. Nie wieder würde ich mich an die Fritteuse stellen.

»Elle, schau mal zum Fenster raus«, klang Jules’ Stimme wie eine heulende Sirene zu mir herauf.

Ich rannte ins vordere Zimmer und lehnte mich auf die Fensterbank. Plötzlich zog sich mein Magen zusammen. Im Licht der Straßenlaternen blitzten die silbrigen Handschellen an Nix’ Handgelenken auf. Er wurde gerade aus seinem eigenen Haus abgeführt. Verdammt!

Ich hatte doch nur gewollt, dass sie die Musik leiser drehten, und nicht, dass er verhaftet wurde. Nachdem das Polizeiauto davongefahren war, sank ich gegen das Fenster. Im Moment konnte ich sowieso nichts unternehmen. Diesmal war es nicht mal allein ihre Schuld – okay, sie waren meistens nicht alleine schuld. Ihre Partygäste belegten ständig alle Parkplätze in der Straße, sodass ich oft lange Strecken bis nach Hause laufen musste, erschöpft, ganz allein und mitten in der Nacht. Dazu kamen noch das fast allnächtliche Feuerwerk, das, seit die Trojans in die Play-offs gekommen waren, bei jedem Sieg vom Dach ihres Hauses aus abgefeuert wurde, und die Tatsache, dass mich nach anderthalb Jahren die halbe Straße nach wie vor »Kondom-Queen« nannte, sowie die permanenten Hupkonzerte, die nach jedem Teamsieg die Fensterscheiben unseres Hauses in ihren Rahmen klirren ließen.

Klar, der Meisterschaftstitel war beeindruckend, aber mussten sie deshalb solch einen Lärm veranstalten?

Es war mitten in der Woche. Da die Polizei Nix mitgenommen hatte, musste drüben irgendwas Illegales gelaufen sein. Die Vorstellung beruhigte mein schlechtes Gewissen ein wenig. Was mochte unser Goldjunge wohl angestellt haben? Hatte er bei der Party Alkohol an Minderjährige verteilt? Waren Drogen im Spiel? Ich hatte ihn ja schon immer für ein arrogantes Allerweltsarschloch gehalten, doch womöglich war er sogar ein noch schlimmerer Finger und ich hatte der Welt gerade einen riesigen Gefallen getan.

Ich betrachtete mein Spiegelbild in der glänzenden, brandneuen (im Gegensatz zu allem anderen im Haus) Fensterscheibe. Es hatte eine Stange hart verdientes Geld – mein Geld – gekostet, sie austauschen zu lassen, nachdem ein FU-Trojans-Streetfootball-Spiel damit geendet hatte, dass ich, nachdem ich um ein Uhr morgens von der Arbeit nach Hause gekommen war, Glasscherben in meinem Zimmer hatte aufkehren müssen. Die Erinnerung an diesen Zwischenfall ließ mein Mitgefühl und meine Reue endgültig verpuffen. Pfeif auf ihn und alles, worin er womöglich verwickelt ist.

Ich schleppte mich unter die Dusche und führte den üblichen Tanz auf, bei dem ich zwischen der eiskalten Raumluft und dem flüssigen Feuer, das aus dem Duschkopf strömte, hin und her wechselte. Nachdem meine Haare gewaschen waren und ich mich eingemummelt hatte, als würde ich die Besteigung des Mount Everest planen, tapste ich wieder nach unten. Obwohl mein Bett nach mir rief, animierte mich Jules’ angekündigte Überraschung noch einmal dazu, wie ein Zombie die Treppe nach unten zu schlurfen.

Sie steckte den Kopf aus der Küchentür und schob sich die Hornbrille mit dem Handrücken zurück auf die Nase.

»Was klebt denn da an deinen Händen?«, fragte ich gähnend und hielt mich rasch am Treppengeländer fest. Es wackelte bedrohlich, und ich ließ hastig wieder los.

»Komm und schau selbst. Ich habe das Rezept aus einem dieser Zeitraffervideos und musste es unbedingt ausprobieren. Das ist inzwischen die vierte Fuhre, und ich glaube, jetzt habe ich den Dreh raus.«