The Memories We Make - Maya Hughes - E-Book
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The Memories We Make E-Book

Maya Hughes

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Beschreibung

Sich in ihn zu verlieben stand nicht auf ihrer To-Do-Liste

Persephone Alexander ist ein Mathegenie, liebt Organisation - und hat das "normale" Collegeleben irgendwie verpasst. Daher hat sie sich vorgenommen, bis zum Ende des Semesters eine Liste mit Erfahrungen abzuarbeiten und dabei unvergessliche Erinnerungen zu sammeln. Seph will feiern gehen, Freunde finden, sich verlieben - ihr erstes Mal erleben. Doch dafür braucht sie den richtigen Partner. Kurzerhand veranstaltet sie ein Casting und ist überrascht, als ausgerechnet College-Football-Star Reece Michaels sich dazu bereit erklärt, ihr beim Abhaken ihrer To-do-Liste zu helfen - ausgenommen beim Verlieben und dem Sex ...

"Ein Football-Hottie mit einer süßen Seite? Nichts wie her damit!" KERI LOVES BOOKS

Erster Band der FULTON-UNIVERSITY-Reihe

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Seitenzahl: 484

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INHALT

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

Epilog

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von Maya Hughes bei LYX

Impressum

Maya Hughes

The Memories We Make

Roman

Ins Deutsche übertragen von Katrin Reichardt

ZU DIESEM BUCH

Persephone Alexander ist ein Mathe-genie und liebt Organisation. Doch in sozialen Situationen fühlt sie sich unwohl und das »normale« Collegeleben kennt sie nur aus Filmen. Aber nun bleibt ihr nur noch ein Semester Zeit, bevor ihr kontrollsüchtiger Vater sie in das Doktorandenprogramm einer Elite-Universität stecken will. Daher hat sie sich vorgenommen, die letzten unbeschwerten Tage an der Fulton University voll auszukosten und eine Liste von College-Erfahrungen abzuarbeiten. Sie will: auf einer Party feiern, Freunde finden, sich verlieben – ihr erstes Mal erleben. Da ihr für all dies jedoch der richtige Partner fehlt, hängt sie am Schwarzen Brett eine Casting-Anzeige aus. Als zu diesem Termin ausgerechnet der attraktive College-Football-Star Reece Michaels erscheint, ist Seph positiv überrascht. Doch schnell stellt sich heraus, dass Reece im falschen Meeting sitzt und Seph für seine neue Medienberaterin hält. Als er allerdings von ihrem Vorhaben erfährt, setzt sein Beschützerinstinkt ein. Bevor jemand Seph ausnutzen kann, will er ihr selbst dabei helfen, all diese Erinnerungen zu sammeln – alle bis auf das Verlieben und den Sex …

Für alle, die sich schon einmal gewünscht haben, stark genug zu sein, um ihre Zukunft verändern zu können. Ihr seid stark genug.

1. KAPITEL

Reece

Ein eisiger Schwall Gatorade ergoss sich über mich. Ich warf den Kopf in den Nacken und spritzte alle voll, die mit mir an der Seitenlinie standen. Wenn ich dieses klebrige Zeug später wieder abwaschen musste, dann sollten es die anderen gefälligst auch tun. Es lief mir in Strömen den Rücken hinunter und durchweichte mein Trikot und meinen Schulterschutz. Man bekam das Zeug leider nur schwer wieder aus der Ausrüstung raus, aber – verdammt noch mal – es fühlte sich großartig an zu gewinnen.

Ich packte LJ am Schulterschutz, legte ihm die Arme um den Hals und schüttelte ihn. Seine schweißnassen, braunen Haare klebten ihm halb am Kopf, halb standen sie ab. Es war unser Tight End, mein Mitbewohner und einer der entspanntesten Jungs im Football-Team. Nur Keyton war womöglich noch entspannter, und das war wahrscheinlich auch der Grund dafür, warum ich es vorhin geschafft hatte, ihm den Touchdown-Pass direkt vor der Nase wegzuschnappen. In einem so intensiven Sport durfte man eben nicht zu entspannt sein.

»Eines Tages wird eines deiner riskanten Manöver gehörig schiefgehen – aber solange sie funktionieren, sind sie verdammt noch mal der Hammer!« LJ schlug mir mit der Faust gegen die Brust, doch er lächelte dabei und hob eine seiner Augenbrauen, durch die eine Narbe verlief.

Ich schüttelte grinsend den Kopf und bespritzte ihn von oben bis unten mit einer Mischung aus Regenwasser, Schweiß und Gatorade. Er stieß mich weg und trabte davon, um mit dem Rest des Teams zu feiern. Schulterpanzer und Helme krachten gegeneinander und die Jungs warfen jubelnd die Arme in die Höhe. Die Fulton-U-Fans sprangen auf der Tribüne auf und ab, sodass der Boden unter meinen Füßen vibrierte. Voller Stolz genoss ich den Jubel und die Gesänge. Ich drehte mich um, blickte zu ihnen hinauf und winkte all den Menschen zu, die trotz des Regens dageblieben waren, um sich das Spiel anzusehen. Das Grölen wurde sogar noch lauter und hallte durchs Stadion. Nach allem, was während der Saisonpause gelaufen war, hatte ich angenommen, dass sich die Atmosphäre auch bei den Spielen gewandelt hätte, aber ein Sieg ließ die Fans offenbar den ganzen Mist, der abseits des Spielfelds passiert war, vergessen.

Ich fühlte mich wie elektrisiert. Die Begeisterung des Publikums und die Freude über den Sieg versetzten mich in einen Adrenalinrausch. Obwohl die Saison noch nicht mal zur Hälfte vorbei war, sprachen manche bereits vom Meistertitel.

Ich fragte mich, wie mein Vater hatte aufhören können. Ich fühlte mich durch meinen Sport lebendig und hätte ihn um nichts in der Welt aufgegeben. Für Momente wie diesen lebte ich.

»Nummer 6, Baby!«, brüllte mir Nix alias Phoenix Russo alias mein zweiter Mitbewohner, Quarterback unseres Teams und mein bester Freund ins Ohr und hätte mich um ein Haar über den Haufen gerannt. Seine strahlend blauen Augen, nach denen die Mädels ganz verrückt waren, leuchteten regelrecht. Oben auf der Tribüne riefen einige Mädchen unsere Namen. Sofort lief er rot an, wie immer, wenn ihm abseits des Spielfelds derartige Aufmerksamkeit zuteilwurde.

»Versprich mir, dass du dieses Jahr wenigstens einmal jemand anderen einen Pass fangen lassen wirst.« Er schlug mir auf die Polster auf meinem Rücken.

»Wenn du auf so abwegige Ideen kommst, wie jemand anderem den Ball zuzuspielen, dann passiert so etwas eben. Es ist doch nicht meine Schuld, dass die anderen zu langsam sind«, entgegnete ich schulterzuckend. Ich schloss die Finger fester um das Gesichtsgitter meines Helms und griff mir mit der anderen Hand in den Nacken, um den klebrigen Halsausschnitt meines Trikots von meiner Haut wegzuziehen. Höchste Zeit für eine Dusche und eine Party.

Wir liefen auf den Gang zu, der zu den Umkleidekabinen führte, und wurden sofort von einer Traube aus anderen Mitspielern, Trainern, Reportern und Offiziellen umschwärmt. Schulterpanzer, Helme und andere Ausrüstungsgegenstände knallten gegen die Betonwände und der Lärm hallte durch den engen Tunnel. Der Radau nach einem Sieg war immer ohrenbetäubend.

Als Nix die Tür des Umkleideraums öffnete, sprang LJ uns von hinten an und legte uns die Arme um die Schultern.

»Zuerst die Pressekonferenz.« Coach Saunders schubste LJ beiseite und packte Nix und mich an unseren Trikots. Mit seinen grau melierten Haaren sah der Coach fast aus wie ein Politiker. Allerdings würde er ein Baby, das man ihm reichte, wahrscheinlich nicht küssen, sondern eher wie einen Football wegkicken. Viele ehemalige Profis ließen sich irgendwann gehen – doch er tat das nicht. Beim Sprint-Training lief er immer mit uns mit, hauptsächlich damit sich unser Gemecker auf ein Minimum beschränkte. Wenn er das Trainingspensum locker schaffte, konnten wir uns schlecht davor drücken. Abgesehen von den Spielen und dem Training schien er alles und jeden zu hassen und er machte immer ein Gesicht, als müsse er gleich vors Erschießungskommando treten. In diesem Moment galt seine finstere Miene allerdings ausschließlich LJ. Ich hatte keine Ahnung, womit LJ den Unmut des Coachs erregt hatte, aber ich war heilfroh, dass ich nicht selbst das Ziel seiner bösen Blicke war.

»Ab unter die Dusche, Lewis.«

Das ließ sich LJ nicht zweimal sagen und flitzte in die Umkleide. Keiner wusste, was er ausgefressen hatte, dass der Coach so sauer auf ihn war, aber was immer er auch angestellt hatte, war anscheinend eine ganze Leistung gewesen. Wenn Blicke töten könnten, hätte LJ schon seit Monaten unter der Erde gelegen. Seit Saisonbeginn gab es Spannungen zwischen ihm und dem Coach, aber LJ wollte partout nicht verraten weshalb.

»Kann ich vorher noch schnell duschen?« Meine Fingerspitzen berührten schon den metallenen Türgriff. Mit singenden Fans hatte ich kein Problem. Aber penetrante Reporter, die mir ihre Mikros vor die Nase hielten? Das war wirklich nicht mein Ding. Nachdem die Medien jahrelang nur lobende Worte für uns gefunden hatten, war es verdammt unangenehm gewesen, sich im letzten Frühling plötzlich ihren aufdringlichen Fragen und abwertenden Blicken stellen zu müssen. Es hatte sich angefühlt wie ein Tritt in die Eier.

Der Coach ignorierte meine Frage und schob uns in den Korridor. »Bringen wir es hinter uns.«

Ich zog an der Brustpartie meines langsam trocknenden Trikots, das noch immer klamm und klebrig an meiner Haut pappte.

»Keine Sorge – sie finden dich bestimmt trotzdem niedlich«, flüsterte mir Nix ins Ohr und zerzauste mir mit seinen Riesenhänden die klebrigen Haare. Sofort verzog er angeekelt das Gesicht und wischte sie sich an der Hose ab. »Mann, das ist ja widerlich.«

»Das hast du jetzt davon.«

Der Coach öffnete die Tür. Blendendes Blitzlichtgewitter setzte ein, als wir an dem klapprigen Tisch Platz nahmen, der auf einer kleinen Bühne vor den Reportern stand. Daran musste ich mich wohl gewöhnen. Flecken tanzten vor meinen Augen. Ich biss mir auf die Innenseiten meiner Wangen, um einen möglichst neutralen Gesichtsausdruck zu wahren. Der Coach knallte sein Spielbuch auf den Tisch und deutete mit seinem Wurstfinger auf den ersten Reporter.

Die Frau stand auf und sah mich direkt an. »Reece, wie fühlt es sich an, einen weiteren spielentscheidenden Touchdown zu Ihrer Statistik hinzufügen zu können, der Ihnen zum Sieg verholfen hat?« Sie starrte mich weiter unablässig an und hielt den Stift einsatzbereit über ihr Notizbuch. Alle im Raum Anwesenden hingen an meinen Lippen. Die Anspannung in meinen Schultern löste sich und ich legte los, genoss es, im Mittelpunkt zu stehen.

Ich beugte mich zum Mikro vor. »Es fühlt sich verdammt gut an und ich werde es mit Freuden bei jedem weiteren Spiel bis zur Meisterschaft wieder tun.«

»Was sagen Sie dazu, dass Sie Ihrem eigenen Mannschaftskameraden den Pass abgejagt haben?«, rief ein Mann, der ganz hinten an die Wand gelehnt stand, in den Raum.

Alle drehten sich zu ihm um.

»Keyton stand perfekt für die Interception. Doch Sie sind übers ganze Feld gerannt und haben ihm den Ball quasi aus den Händen gerissen.«

»Wer sind Sie? Sein Vater?« Meine Mundwinkel gingen schlagartig nach unten. »Wäre er schneller gewesen, hätte er den Pass auch bekommen. Ende der Geschichte.« Keyton kam mit Druck nicht unbedingt gut klar. Mit meiner Aktion hatte ich uns allen einen Gefallen getan.

»Was denken Ihre Mannschaftskameraden über das Drama, das sich am Ende der letzten Saison um Sie herum abgespielt hat?«

Ich funkelte den arroganten Reporter böse an. Wir hatten in dieser Saison schon vier Spiele gespielt und bisher hatte niemand ein Wort über die Saisonpause verloren. Wahrscheinlich hatte ich mich deswegen fälschlicherweise in Sicherheit gewiegt. »Ich habe nichts falsch gemacht und wenn jemand etwas dazu sagen möchte, dann kann er mich mal am A…« Das Mikrofon wurde vom Tisch geschlagen, der Coach wirbelte zu mir um und packte mich am Arm.

»Phoenix, mach du hier den Rest«, knurrte er ihm über die Schulter hinweg zu.

Das Blitzlichtgewitter brach erneut mit noch größerer Heftigkeit los. Selbst draußen auf dem Gang, als die Tür schon wieder hinter mir zugeschlagen war, konnte ich die Rufe der Reporter noch immer hören.

»In mein Büro, sofort«, brüllte der Coach, bevor er davonmarschierte.

Ich folgte ihm wie ein kleines Kind, das zum Schuldirektor zitiert worden war. Dabei ballte und öffnete ich unablässig die Fäuste. Am Büro angekommen riss er die Tür auf und trat beiseite, um mich vorbeizulassen. Kommen Sie mal wieder runter, hätte ich am liebsten zu ihm gesagt, aber da ich meine Eier behalten wollte, hielt ich lieber die Klappe.

Er knallte die Tür so kraftvoll hinter sich zu, dass das Glas klirrte. »Ich habe von deinem großmäuligen Getue die Nase gestrichen voll. Man sollte doch meinen, dass du nach der letzten Saison ein bisschen Bescheidenheit entwickelt hättest.«

Nach der letzten Saison hatte ich vor allem eine gesunde Abneigung gegen das andere Geschlecht entwickelt und war noch fester entschlossen, mich einzig und allein auf meine Profikarriere zu konzentrieren. »Wir gewinnen doch, oder?« Ich ließ mich auf einen der Stühle vor seinem Schreibtisch fallen. Viel Spaß dabei, die klebrige Sauerei, die ich hier hinterlasse, nachher wieder wegzuputzen. Sie hätten mich eben doch vorher duschen lassen sollen.

»Gewinnen ist nicht alles.« Er warf das Spielbuch auf den Schreibtisch. Die Papiere, die auf der Arbeitsfläche lagen, stoben in alle Richtungen und ein gerahmtes Foto von einem Mädchen mit Zöpfen fiel klappernd zu Boden. Ich hob es auf. Die Kleine kam mir bekannt vor, aber er hatte nie etwas davon erwähnt, dass er eine Tochter hatte. Ich stellte das Bild zurück auf den Schreibtisch.

»Da sprechen Ihr Gehalt und meine Chancen beim Draft aber eine ganz andere Sprache.« Ich lehnte mich auf dem Stuhl zurück und schlug die Beine übereinander.

Er drehte mir den Rücken zu, legte die Hände in den Nacken und verschränkte die Finger. Der große goldene Meisterschaftsring an seiner rechten Hand glänzte im Licht.

»Ich bin mir sicher, dass Sie auch ein bisschen auf den Putz hauen mussten, um diesen Ring zu bekommen«, fügte ich mit trotziger Miene hinzu.

Er drehte sich um und sah mich wütend an. »Ich stand aber nicht allein auf dem Spielfeld, genauso wenig wie du. Keyton war für den Pass bereit. Er hatte ihn schon fast und du hättest uns beinahe den Sieg versaut.«

»Aber das habe ich nicht.« Wie auch in allen anderen bisherigen Spielen der Saison.

»Wenn du es in die Profiliga schaffen willst …«

Ich presste die Lippen fest aufeinander und starrte zur Decke.

Er trat direkt vor mich, sodass ich ihn ansehen musste.

»Wenn du es in die Profiliga schaffen und tatsächlich Karriere machen willst, dann gewöhn dir dieses Benehmen ab. Keiner will mit einem Angeber zusammenarbeiten, und wenn du dich nicht zusammenreißt, wird sich kein Team mit dir herumschlagen wollen. Ich schlage mich mit dir herum, weil du Spiele gewinnst, aber in der NFL gibt es größere Primadonnas, die dich locker in die Tasche stecken können.«

Die Muskeln in meinem Hals spannten sich und ich kniff die Augen zusammen. Sollten sie doch versuchen, es mit mir aufzunehmen.

»Versteh mich nicht falsch, du bist ein großartiger Spieler, aber auf lange Sicht reicht das nicht aus. Keyton hätte das Spiel heute machen können, und das weißt du auch.«

Ich verschränkte die Arme vor der Brust und starrte ihn so durchdringend an, als wollte ich ihm mit meinem Blick ein Loch in den Schädel bohren. Vielleicht hätte Keyton das Spiel gewonnen – oder er hätte den Ball fallen gelassen. Unter Druck schaffte er es in vier von zehn Fällen, einen Pass erfolgreich anzunehmen. Ich würde nicht zulassen, dass dem Team seinetwegen der Meistertitel durch die Lappen ging.

»Ich möchte, dass du mit jemandem redest.«

»Ich gehe nicht zu einem Seelenklempner.«

Er drehte den Kopf und hob eine Augenbraue. »Ich meinte keinen Therapeuten, obwohl du vielleicht wirklich einen brauchen könntest. Ich meinte jemanden, der dir beibringt, mit den Medien umzugehen, und dir dabei hilft zu lernen, wie man vor einem Raum voller Reporter zumindest einigermaßen liebenswürdig wirkt.«

Der Coach nahm an seinem Schreibtisch Platz, setzte sich die Brille auf und begann, an seinem Computer zu tippen und hin und wieder mit der Maus zu klicken. Mit jeder Sekunde, die verstrich, schien die Uhr in seinem Büro lauter zu ticken. Vielleicht hätte ich das, was ich auf dem Spielfeld getan hatte, doch lassen sollen. Aber wenn ich etwas wollte, dann ließ ich nicht zu, dass sich mir jemand in den Weg stellte – nicht mal einer meiner eigenen Mannschaftskameraden. Dies war meine Chance zu glänzen und den Talentscouts der Profivereine zu zeigen, was für ein Spieler ich sein konnte … Aber mir ein bisschen Finesse anzueignen, würde vielleicht trotzdem nicht schaden.

»Eine durchschnittliche Profikarriere dauert drei Jahre. Zwei, wenn man als Wide Receiver spielt. Aber wenn du gleich in der Erstrunde des Drafts ausgewählt wirst, können bis zu neun Jahre daraus werden. Lass nicht zu, dass ein Team deines Charakters wegen Bedenken bekommt, dich zu nehmen.« Er hielt mir einen Zettel hin, auf dem in blauer Tinte etwas geschrieben stand.

Ich würde keine Eintagsfliege werden.

Ich würde erst aufhören, wenn ich dazu bereit war.

Ich würde nicht so enden wie mein Dad.

»Na gut, ich treffe mich mit ihm.«

»Mit ihr.« Der Coach spähte über den Rand seiner Brille hinweg. »Und ich hätte dir ohnehin keine Wahl gelassen.«

Ich verließ sein Büro und ging in die Umkleidekabine. Dort sah es ganz danach aus, als hätte ich die Siegesfeier schon verpasst. Überall auf dem Boden lagen Polster, Helme und Flaschen verstreut.

Keyton kam aus der Dusche. Er hatte sich ein Handtuch um die Hüften gewickelt und ein zweites hing ihm um den Hals. Er rubbelte sich damit über die hellbraunen Haare, die er stets kurz und ordentlich frisiert trug wie die Kinder aus gutem Hause, die mich damals in der Mittelstufe gnadenlos gepiesackt hatten. Doch Keyton war ganz anders als sie. Er hatte vor zwei Jahren zu uns gewechselt und war ein ruhiger Kerl, der lieber für sich blieb. Er ging an mir vorbei.

»Hör mal, ich habe dich da draußen nicht gesehen. Ansonsten hätte ich mir den Ball nicht geholt.« Ich streckte ihm die Hand entgegen.

Er starrte mich an und packte das Handtuch fester. In seinen Augen erschien ein Funkeln, das ich schon öfter bei Jungs gesehen hatte, die kurz vor der Explosion standen. Er war nur anderthalb Zentimeter kleiner als ich – und wenn einen jemand so ansah, war derjenige in diesem Moment zu allem fähig.

»Doch, hättest du wohl.« Der Ausdruck in seinen Augen verschwand wieder, wie eine Feder, die vom Wind fortgeblasen wurde. Er lächelte, schüttelte meine Hand und schlug mir auf die Schulter. »Mach dir keine Gedanken. Beim nächsten Mal komme ich dir wieder zuvor.«

Ich grinste ihn an. »Ganz bestimmt.« Nie im Leben.

Rasch ging ich unter die Dusche und schrubbte mir im Schnelldurchlauf die klebrigen Getränkereste von der Haut. Dann eilte ich zurück in die Kabine, trocknete mich ab und setzte mich vor meinen Spind. Ich ließ den Blick über die Bank wandern. Dann spähte ich darunter. Mein Herz schlug schneller. Was zum Teufel …?

Ich sprang auf, riss meinen Spind auf und blieb wie versteinert stehen. Sämtliche Farbe wich aus meinem Gesicht. Der Boden meines Spinds war leer. Als ich meine Sprachlosigkeit endlich überwunden hatte, brüllte ich los: »Wo sind meine Schuhe, verdammt noch mal?«

»Welche Schuhe?« Nix mit seinen Hippie-Haaren saß neben mir und grinste dreckig.

»Verarsch mich nicht. Das sind limitierte Adidas.« Das Paar im Vintage-Look hatte ich mir im Sommer gekauft. Schon seit Ewigkeiten hatte ich meine Eltern um solche Schuhe angebettelt, aber sie hatten mich immer abblitzen lassen, während alle anderen im Team schon in der neunten Klasse mit solchen Prachtstücken rumgelaufen waren. Als Sohn eines ehemaligen Profis hatte ich in meiner Kindheit so etwas wie eine unsichtbare Zielscheibe auf dem Rücken gehabt. Stets hatten immens hohe Erwartungen auf mir gelastet, und das nicht nur im Bezug darauf, wie gut ich spielte, sondern auch, was unseren Lebensstil anging.

»Mann, du bist schlimmer als die Mädels.« Nix formte mit den Händen eine Tüte um den Mund und rief in den Raum: »Kann ihm mal jemand seine Schuhe geben, bevor er noch in Ohnmacht fällt?«

Berkley kam mit einem breiten Grinsen auf den Lippen, bei dem man deutlich seine dämlichen Grübchen sehen konnte, aus der Dusche geschlendert. Von seinen schwarzen Haaren tropfte das Wasser, weil er sich standhaft weigerte, ein Handtuch zu benutzen, sondern sie immer an der Luft trocknen ließ.

»Du warst das, oder?« Ich deutete auf ihn, als wäre ich eine alte Hexe, die ihn in einen Frosch verwandeln wollte.

»Was? Redest du von den Latschen in Größe 49 ½, die schon wieder auf meinen Klamotten standen?« Berk angelte die makellosen Sneakers von den Spinden hinter mir herunter und knallte sie mir vor die Brust.

Nachdem ich mich von seinem Linebacker-Angriff ein wenig erholt hatte, drückte ich die rot-weiß gestreiften Schönheiten an mich. »Soll ich sie etwa einfach irgendwo hinstellen?«

»Wenn du sie noch mal auf meine Kleider stellst, dann nehmen sie, genau wie du, ein Gatorade-Bad.« Er schob die Füße in seine ausgelatschten, ramponierten Sneakers, die inzwischen alle Farbe eingebüßt hatten und nur noch grau aussahen – ungefähr so wie die, die ich in meinem letzten Jahr an der Highschool auch getragen hatte. Meine Familie war zwar nicht direkt arm, aber mein Vater hatte nur wenige Jahre als Profi gespielt und anschließend hatten wir es nicht unbedingt leicht gehabt. Wenn man keinen lukrativen Vertrag ergatterte, konnte man einpacken – was für mich bedeutete, dass ich es unbedingt schaffen musste, in der Erstrunde des Drafts ausgewählt zu werden, weil ich andernfalls einpacken konnte.

»Dann rasiere ich dir im Schlaf die Augenbrauen ab. Ich stelle die Schuhe doch nicht auf die dreckige Bank.«

»Aber mit dem Hintern setzt du dich drauf? Du hast wirklich merkwürdige Prioritäten.« Er schüttelte den Kopf wie ein nasser Hund nach einem Regenschauer und spritzte alle in seiner unmittelbaren Umgebung voll, bevor er sich ein T-Shirt überzog.

»Nur, weil du deine Latschen schon seit dem ersten Collegejahr trägst, heißt das noch lange nicht, dass wir alle mit Schuhen herumlaufen müssen, die aussehen, als hätten wir sie aus einem Müllcontainer gefischt.«

»Sie sind bequem«, meinte er schulterzuckend und schnappte sich seine Tasche. »Gehst du wieder zurück in den Puff?«

Ich war gerade dabei, meine Jeans zuzuknöpfen, und verzog gequält das Gesicht. »Kannst du das Haus nicht einfach bei seinem normalen Namen nennen?« Diese Bezeichnung für das ehemalige Verbindungshaus, in dem wir wohnten, stammte noch aus der Zeit, bevor die alte Verbindung vom Campus geschmissen worden war und wir das Haus übernommen hatten. Früher hatten dort Theta Beta Sigma alias The Bed Shakers residiert und das Haus war aus gutem Grund »Puff« genannt worden.

Wir hatten das vergangene Jahr damit zugebracht, es von oben bis unten zu desinfizieren und Kondome aus Ecken zu entfernen, wo sie absolut nichts zu suchen hatten. Obwohl die früheren Bewohner längst ausgezogen waren, hielt sich der Name hartnäckig, und nun lebten wir, ob es uns gefiel oder nicht, im Puff. Dass unser Team ausgerechnet »Trojans« hieß, wie die bekannte Kondommarke, machte die Sache nicht gerade besser. Wir waren die Fulton University Trojans oder auch FU Trojans, wie im Stadion oft in ohrenbetäubender Lautstärke gegrölt wurde. Den Ruf einer männlichen Hure zu haben fand ich anfangs eigentlich gar nicht schlimm – bis ich schließlich auf die harte Tour lernen musste, dass es gar nicht so einfach ist, jemanden davon zu überzeugen, eine vorgefasste Meinung über einen noch mal zu ändern.

»Unser Haus hat einen Ruf zu wahren.« Er grinste und genoss sichtlich den Gedanken an die permanente Aufmerksamkeit, die ihm auf dem Spielfeld und auch abseits zuteilwurde. »Aber du hast recht, vielleicht solltest du dich lieber in der Bibliothek verkriechen und die neuen Spielzüge durcharbeiten, die der Coach rumgeschickt hat.«

»Wir brauchen keine neuen Spielzüge außer einem – spielt den Ball zu mir.« Ich drehte mich schwungvoll um, nahm meine Tasche und folgte ihm nach draußen. Wie immer standen einige Leute vor dem Ausgang herum.

Die Mädchen, die dort nach den Spielen warteten, waren immer sehr darum bemüht, unsere Aufmerksamkeit zu erregen. Manchmal auch etwas zu sehr. Ich hatte in den vergangenen Jahren mehrmals miterlebt, dass Jungs sich ordentlich die Finger verbrannt hatten. Und das neuste Opfer war: ich.

»Hey, Reece.«

Lächeln und winken. Das war am ungefährlichsten. Ich würde nicht behaupten, dass ich ein Mönch war, aber ich vögelte auch nicht alles, was sich bewegte, insbesondere nicht nach allem, was passiert war, und ich vergaß auch nie, vorher klarzustellen, dass ich kein Interesse an einer Beziehung hatte und schon gar nicht vorhatte, mich von einem Mädchen ausnehmen zu lassen.

Unter meinen Scheibenwischern steckte neben einigen Zetteln auch ein pinkfarbener Spitzenstring, auf den eine Telefonnummer gekritzelt war. Mann, ich hoffe, er ist nicht benutzt. Aber immer noch besser als das Zeug, das ich in der letzten Saison auf meiner Motorhaube vorgefunden hatte: dämliche Strampler und Babyfläschchen. Wie schnell sich die Zeiten änderten. Celeste war zwar von der Schule abgegangen, aber obwohl ich inzwischen Autogramme schrieb und Fans abklatschte, brodelte die Gerüchteküche im Hintergrund weiter.

Ich öffnete den Kofferraum, holte den Eiskratzer heraus und schob damit die Zettel und den String von der Windschutzscheibe. Die Telefonnummern verschwammen, als das Papier auf dem nassen Boden landete.

Ich stieg ein und musste dabei lachen. Wenn es im College schon so lief, dann musste die Profiliga wirklich der Wahnsinn sein. Dad hatte es vergeigt, indem er geheiratet hatte, bevor er Profi geworden war – obwohl Mom natürlich klasse war. Die beiden waren noch immer ekelhaft peinlich ineinander verliebt. Aber trotzdem hatte er sich einiges entgehen lassen. Andererseits war Football für ihn nicht das Einzige im Leben gewesen. Er hatte das College mit guten Noten abgeschlossen und das Geschäft meines Großvaters übernommen.

Ich dagegen würde mit meinem mittelmäßigen Notenschnitt von 2,3 höchstens eine Stelle in einem Kaufhaus ergattern können. Profi zu werden war meine große Chance, und ich würde sie mir nicht entgehen lassen.

Ich schaute noch schnell auf dem Campus vorbei, um einen Aufsatz abzugeben, und fuhr dann weiter zum Puff. Als ich ankam, hatte die Party schon begonnen. Für eine Weile war deutlich weniger gefeiert worden, aber jetzt waren die Partys wieder in vollem Gange. Ich parkte ein Stück weiter weg, blieb noch kurz im Auto sitzen und setzte mein Pokerface auf. Ich konnte wieder der Reece sein, der ich gewesen war. Ich musste es unbedingt schaffen.

Schneematsch und Eis knirschten unter meinen Sohlen. Das verdammte Salz auf dem Gehsteig würde mir noch die Schuhe ruinieren. Ich musste mehrmals jemanden abklatschen und Chest Bumps verteilen, während ich mir einen Weg zum Gebäude bahnte. Überall schwirrten Leute herum und zogen von Haus zu Haus, auf der Suche nach der besten Party, in die sie reinkommen konnten. Aus den umstehenden Häusern jubelten mir die Leute zu. Ich winkte über die Schulter hinweg allen kurz zu, die über ihren Balkongeländern hingen, um mich zu Hause willkommen zu heißen.

Am Haus angekommen joggte ich die Treppe hinauf und stieß die Tür auf, die sowieso nur angelehnt gewesen war. Die Bässe der Musik ließen den Boden vibrieren. Als ich die Tür zuknallte, drehte sich ein Meer aus Gesichtern nach mir um.

Ich blieb an die Tür gelehnt stehen und machte mich auf den Ansturm gefasst. Die Partygäste, die schon mehr als ein paar Drinks intus hatten, stürzten sich sofort auf mich und überschütteten mich mit Beifallsbekundungen in Form von hochprozentigen Getränken und kumpelhaften Umarmungen. Die blauen Glühbirnen, die wir als Partybeleuchtung angebracht hatten, verliehen dem Haus eine gewisse Klubatmosphäre.

Der Geruch nach Bier und Alkohol, Schweiß und den fruchtigen Parfüms und Shampoos der Mädchen war so intensiv, dass ich ihn quasi auf der Zunge schmecken konnte. Während sich die anderen richtig anstrengen mussten, damit ihre Festivitäten nicht zu Würstchenpartys verkamen, hatten wir nie Probleme, das Haus mit Frauen vollzubekommen. Dank des Rufs, den der Puff genoss, war es eher schwierig, sie draußen zu halten, insbesondere wenn drinnen die Trojans feierten, das siegreichste Team in der Geschichte der FU.

Unsere Partys entstanden wortwörtlich aus dem Nichts. Bierfässer wurden zur Tür hereingerollt und schon wurden Hunderte rote Plastikbecher ausgeteilt. Einmal hatten wir an einem Wochenende, an dem ein Spiel stattgefunden hatte, die Tür abgeschlossen. Als wir zurückkamen, war ein Fenster eingeschlagen und die Tür aufgebrochen worden und drinnen tobte eine alkoholselige Party. Manchmal muss man eben mit dem Strom schwimmen. Wir hatten jedenfalls keine Lust, nach jedem Spiel neue Fenster und Schlösser bezahlen zu müssen.

Die Parkettböden im Haus nach den Partys wieder sauber zu kriegen war immer eine Heidenarbeit, aber wir hatten diese Aufgabe an LJ und Berk übertragen, weil sie noch zu den Jüngeren gehörten. An den Wänden hatten wir Filmplakate aufgehängt: Stirb Langsam, Terminator, Kill Bill und natürlich Rocky. Die beiden Sofas und der Sessel im Wohnzimmer standen dicht an der Wand, damit sie bei der Party keinen Schaden nahmen. Nicht weil die Möbel besonders schön gewesen wären. Wir hatten nur keine Lust, bis zu unserem Abschluss in sechs Monaten auf dem Fußboden sitzen zu müssen.

Berk und LJ standen am Bier-Pong-Tisch im Esszimmer. Sie riefen nach mir und winkten mich zu sich. Nix hielt in der Küche Hof, während Keyton und einige andere Jungs aus unserem Team im Wohnzimmer saßen. Die Bierbecher in ihren Händen wurden niemals leer. Ich streckte die Arme aus und bewegte sie auf und ab.

»Wer ist bereit für den verdammten Meistertitel?« Beim letzten Wort legte ich die Hände an den Mund. Alle grölten und eine Bierdusche setzte ein. Ich musste dringend die Schuhe wechseln, bevor sie noch klatschnass wurden.

Diese Rolle zu spielen, war mir immer leichtgefallen, und ich hatte nie etwas getan, weswegen ich mich verstecken müsste. Ich musste ihnen demonstrieren, dass ich keinen Grund hatte, mich zu schämen – gleich, nachdem ich mir ein anderes Paar Schuhe angezogen hatte. Ich eilte nach oben. Die Leute, die auf der Treppe vor dem Klo warteten, klatschten mich ab. Zum Glück hatte ich ein Zimmer mit eigenem Bad. Ich schloss die Tür auf und ging hinein. Wir wussten inzwischen aus leidvoller Erfahrung, dass man während einer Party unbedingt seine Tür abschließen musste. Andernfalls fehlten hinterher Sachen aus dem Zimmer oder, noch schlimmer, man erwischte womöglich die Gäste dabei, wie sie es in unseren Betten trieben.

In der Mitte meines Bettes lag ein Haufen zerknitterter Klamotten. Später, wenn die Klamotten schmutzig waren, würden sie auf dem Boden einen neuen Haufen bilden. Eine Lichterkette hing im Zimmer. Meine Schwester hatte sie aufgehängt, als sie mir beim Einzug »geholfen« hatte – indem sie mir tierisch auf die Nerven gefallen war und versucht hatte, sich heimlich zu einer Campusparty zu schleichen.

Auf meinem Schreibtisch stapelten sich Bücher, zwischen deren Seiten zahlreiche Zettel steckten. Da ich zweimal täglich Training hatte, hatte ich es vor Semesterbeginn nicht mehr geschafft, Ordnung zu schaffen.

Ich stellte meine Schuhe zurück zu der kleinen Sammlung, die ich mir in den vergangenen Jahren zugelegt hatte. Ich würde es nie wieder zulassen, dass mich jemand beim Betreten oder Verlassen des Spielfeldes in Scheißschuhen sehen und sich deshalb für etwas Besseres halten würde.

Ich zog mir ein für den Anlass perfekt geeignetes, älteres Paar Schuhe an, dem ein bisschen Partydreck nichts ausmachen würde, und trabte wieder nach unten. Jemand schlang die Arme um meine Taille und eine Hand schob sich in meine Gesäßtasche. Dann wurde mir ein roter Plastikbecher in die Hand gedrückt. Es war toll, ganz oben zu stehen.

2. KAPITEL

Seph

»Du hast mir doch erlaubt hierherzukommen.« Meine Geige lag gefährlich nah an der Sofakante, wie ich aus dem Augenwinkel bemerkte, während ich im Wohnzimmer auf und ab lief. Wenn ich mit ihm in meinem eigenen Zimmer sprach, bekam ich immer das Gefühl, als läge ich in einem Sarg und würde in diesem Augenblick lebendig begraben. Die Wände schienen dann näher zu kommen und ich konnte kaum noch atmen. Unsere Wohnung war ein Musterbeispiel für Gegensätzlichkeit. Mein Kaffeebecher mit dem geschwungenen Schriftzug Be Happy stand ordentlich neben der Kaffeemaschine, die ich gekauft hatte.

»Ich habe zugestimmt, weil Dr. Huntsman dort unterrichtet und sich bereit erklärt hat, dir beim Studium über die Schulter zu schauen. Aber jetzt ist Dr. Mickelson wieder in Harvard.«

Abgesehen von einigen plüschigen, pinkfarbenen Bilderrahmen mit Fotos meiner Mitbewohnerin Alexa gab es in der Wohnung kaum persönliche Gegenstände. Seit dreiundsiebzig Tagen hockten wir hier nun schon aufeinander – nicht, dass ich mitgezählt hätte. All ihre Freunde studierten dieses Semester im Ausland. Diese Tatsache hatte sie mir, seitdem wir zusammengezogen waren, schon mindestens dreißigmal unter die Nase gerieben, um mir unmissverständlich klarzumachen, dass sie mich sonst nie im Leben als Mitbewohnerin genommen hätte.

»Ich bin mit dem Studium hier eine Verpflichtung eingegangen. Du hast mir doch beigebracht, dass man Verpflichtungen ernst nehmen muss.« Nicht, dass er mir in dieser Hinsicht jemals eine Wahl gelassen hätte.

Während wir miteinander sprachen, versuchte Alexas dreckiges Geschirr aus eigener Kraft aus der Spüle zu klettern. Ganz sicher würde ich eines Morgens in die Küche kommen und von glitschigen Fangarmen überrascht werden, die aus den Tiefen der verkrusteten Essensreste herauswuchsen und versuchten, mich in den Abfluss zu zerren.

Mit spitzen Fingern hob ich eine ihrer Unterhosen auf und warf sie auf den wachsenden Berg Schmutzwäsche auf der anderen Seite des Sofas. Ihre Kleider lagen praktisch überall in der Wohnung herum. Die Armlehne des Sofas, das bei unserem Einzug schon in der Wohnung gestanden hatte, war mit Nagellack verschmiert. Aber dass ich womöglich meine Kaution nicht wiederbekommen würde, war gerade meine geringste Sorge.

»Du bist unvernünftig, Persephone.«

Ich zog den Kopf ein, sodass meine Schultern fast gegen meine Ohren stießen. Niemand nannte mich Persephone, nur meine Eltern, meine Professoren und Tutoren … Was im Grunde bedeutete, dass mich alle Persephone riefen. Ich würde ja behaupten, dass meine Freunde mich Seph nannten, aber dafür hätte ich erst einmal Freunde haben müssen, nicht wahr?

»Mein Studium hier dauert nur noch fast zwei Jahre. Damit setzte ich wohl kaum meine Zukunft aufs Spiel.«

»Mickelson ist die Koryphäe auf seinem Gebiet. Er hätte allen möglichen Leuten mitteilen können, dass er früher nach Harvard zurückkehrt.«

Ja genau. Das hatte für ihn nach der Rückkehr aus dem Sonderurlaub, den er genommen hatte, nachdem seine Frau gestorben war, bestimmt oberste Priorität.

»Das Programm hier ist trotzdem großartig. Ich mache erst meinen Abschluss und dann können wir über weitere Studien reden. Es ist noch Zeit.«

»Nicht, wenn du aus der Masse herausragen möchtest.« Das knackende Geräusch, das sein Kiefer immer machte, wenn er besonders wütend wurde, jagte mir einen Schauer über den Rücken.

Ich massierte mit der freien Hand meine Schulter. »Das hier ist eine Eliteuni, Dad.«

»Weißt du, welche Universität im letzten Jahrzehnt den prozentual höchsten Anteil an Fields-Medaillen-Gewinnern hatte?«

»Harvard«, formte ich mit den Lippen, während er es laut aussprach. Seit ich fünf Jahre alt war, redete er, soweit ich mich erinnern konnte, praktisch ausschließlich von diesem begehrten Mathematikpreis.

»Ja, ich weiß.« Ich hockte mich verkrampft auf die Kante des Sessels und hatte das Gefühl, als würde er direkt über mir thronen. Obwohl er mir die Standpauke aus Hunderten Meilen Entfernung hielt, kam es mir so vor, als würden sich seine perfekt geputzten Schuhe direkt in meine Brust drücken.

»Du wirst die jüngste Gewinnerin sein.«

»Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um das zu schaffen, wenn du mich nur vorher an der Fulton meinen Abschluss machen lässt.«

»Schön, dass du das sagst. Ich habe mit deinen Betreuern gesprochen.«

War das überhaupt erlaubt? Ich war inzwischen achtzehn. Eigentlich hätte es gar nicht möglich sein dürfen, dass er mit ihnen über mich redete. »Sie hatten nicht über alle Kurse und Prüfungen, die du schon absolviert hast, Unterlagen.« In seiner Stimme lag ein tadelnder Unterton. »Aber es sieht so aus, als könntest du ein Jahr früher als erwartet deinen Abschluss machen.«

Sämtliche Farbe wich aus meinem Gesicht. Es war Oktober. Ich wohnte gerade mal zwei Monate in Philly, hatte kaum Gelegenheit gehabt, auf eigenen Beinen zu stehen, und jetzt wollte er mich in weniger als sieben Monaten schon wieder zurück nach Boston holen? Mein Blick verschwamm und ich lehnte mich gegen die Armlehne des Sessels.

»Bitte, Dad.«

Die Unzufriedenheit und Verächtlichkeit in seiner Stimme waren nicht zu überhören, als er fortfuhr: »Wir haben unser Leben nicht deiner Bildung gewidmet und alles geopfert, nur damit du jetzt deine Zukunft wegwirfst. Du wirst die jüngste Gewinnerin der Fields-Medaille werden.« Es klang genauso endgültig wie damals, als er mir unmissverständlich klargemacht hatte, dass ich keine öffentliche Schule besuchen würde. Oder als sie mir vorübergehend erlaubt hatten, mit den anderen Kindern aus der Nachbarschaft zu spielen, und ich es tatsächlich geschafft hatte, mich mit einem Mädchen anzufreunden, woraufhin er mir prompt verboten hatte, bei ihr zu übernachten. Oder als er mir verkündet hatte, dass Geige spielen nicht mehr wichtig wäre und ich damit aufhören würde.

Vielleicht hätten meine Eltern zuerst mich fragen sollen, was ich eigentlich wollte. In diesem Moment ging die Wohnungstür auf und Alexa kam hereingerauscht. Sie war ein rothaariges Energiebündel. Bei ihrer Kleidung achtete sie immer auf grüne Akzente, weil das ihre Augen zur Geltung brachte. Heute hatte sie ihre Locken mit einer grünen Baskenmütze gebändigt. Sie sah aus wie eine lebendige Zeichentrickprinzessin. Zu schade, dass sie trotzdem die Rolle meiner Widersacherin innehatte.

»Du hast recht. Es tut mir leid.« Ich raufte mir die Haare und massierte meinen Nacken.

»Zeit ist ein wertvolles Gut. Überall werden Rekorde gebrochen und wenn du herumtrödelst, wirst du unweigerlich abgehängt.«

Vielleicht wollte ich ja gar nicht die jüngste Harvard-Absolventin sein, die jemals die Fields-Medaille gewonnen hatte.

Vielleicht wollte ich das mathematische Äquivalent zum Nobelpreis gar nicht haben.

Vielleicht wollte ich einfach nur ein Weilchen ganz normal sein. Aber jeglicher Widerspruch hätte nur zu noch unangenehmeren und schmerzhafteren Diskussionen geführt.

»Ich habe dein Ticket für Thanksgiving schon gekauft. Deine Mutter freut sich sehr darauf, dich wiederzusehen.« Er aber nicht. Nie.

»Kann ich mit ihr sprechen? Ich wollte sie was fragen.« Nach einem mütterlichen Rat, wie man Freunde gewinnt, oder nach ein paar aufmunternden Worten, wie früher, wenn sie mich zum Spielplatz in unserem Viertel brachte – bevor Dad Einspruch dagegen erhoben hatte, dass ich mich mit solchen Kindern abgab. Sprich: normalen Kindern, die rumrannten, sich die Knie aufschlugen und Matschkuchen backten. Doch da ich aus derartigen Aktivitäten vermeintlich keinen intellektuellen Nutzen ziehen konnte, wurden sie verboten. Es ist ja nicht so, dass Spielen etwas ist, was Kinder einfach gern tun. Ich hatte den Eindruck, dass er selbst nie wirklich ein Kind gewesen war. Als wäre er schon so kalt und erwachsen geboren worden.

Also hatte ich damals am Fenster gesessen und die Nachbarskinder dabei beobachtet, wie sie Fahrrad fuhren, Fangen spielten oder sich einfach mit Stöcken über die Wiese jagten, während ich die Formel für quadratische Gleichungen lernte. Welchem sechsjährigen Kind hätte das keinen Spaß gemacht?

»Sie kocht gerade Abendessen und ich möchte sie lieber nicht stören. Du weißt doch, wie leicht sie sich ablenken lässt. Letzte Woche hat sie die Kartoffeln anbrennen lassen …«

Klar, ein Anruf der Tochter ist ja wirklich kein Grund zu riskieren, dass das Abendessen womöglich etwas später als gewöhnlich auf dem Tisch steht. Ich verkniff mir die Bemerkung. »Okay. Ich versuche es ein andermal.«

»Wir haben für die Ferien, wenn du zu uns kommst, schon einige Termine für dich organisiert. Bereite dich entsprechend vor.«

Ich umklammerte das Telefon fester. »Ich freue mich schon darauf.« Ich konnte so oft Nein sagen, wie ich wollte – meine Einwände wurden lediglich als Anmerkungen oder lästiges Übel gewertet.

»Auf Wiederhören, Persephone.«

»Wiederhören, Dad.« Ich legte auf und legte das Telefon auf die Küchentheke, obwohl ich es am liebsten quer durchs Zimmer gepfeffert hätte.

»Aha, du benimmst dich also nicht nur Fremden gegenüber wie ein Android, sondern auch gegenüber deiner Familie?« Alexa grinste fies wie die Mädchen, die man aus Filmen kennt – die Oberzicken, die die Schule mit eiserner Hand regieren. Vielleicht waren ihre Freunde deswegen bei der ersten sich bietenden Gelegenheit ins Ausland geflüchtet. Die hatten Glück.

Ich atmete mit zusammengebissenen Zähnen aus. »Hi, Alexa.« Ich drehte mich zu ihr um und bemühte mich dabei um einen möglichst neutralen Gesichtsausdruck. Waren College-Mitbewohner nicht eigentlich dazu da, beste Freunde für den Rest des Lebens zu werden? Leute, die man zu Trauzeugen oder zu den Paten seiner Kinder machte?

Alexa ließ sich auf die Couch plumpsen und warf dabei fast meine Geige herunter.

Hastig schnappte ich mir das Instrument und zog den Bogen unter Alexas Hintern heraus.

»Dan kommt gleich vorbei. Warum verschwindest du also nicht schön in deinem Zimmer und schließt ab? Wir wollen doch nicht, dass meine schlechten Gewohnheiten auf dich abfärben.« Sie schnippte mit den Fingern, ohne dabei auch nur von ihrem Handy aufzusehen. Ich wurde hier nicht mehr gebraucht.

So sollte das eigentlich nicht laufen. Die Zeit im College sollte doch die tollste Zeit meines Lebens sein, eine Chance, endlich echte Freunde zu finden, die zu mir hielten. Aber anscheinend waren die Leute, die am Ende im Mitbewohner-Lostopf übrig blieben, nicht unbedingt als beste Freunde geeignet.

»Das stört mich nicht. Er scheint ganz nett zu sein.«

Sie schnaubte spöttisch und verdrehte die Augen. »Er ist nicht interessiert«, sagte sie, ohne vom Telefon aufzusehen, und ihr Lachen klang wie Fingernägel, die über eine Tafel kratzten.

Ich stand da, mit der Geige und dem Bogen unter dem Arm, und öffnete und schloss unschlüssig die Hände, bevor ich es schließlich aufgab, mein Instrument einpackte und in mein Zimmer ging. Warum war das nur so schwer? Warum konnte ich ihr nicht einfach etwas entgegensetzen? Alexa, du bist wirklich eine blöde Kuh und es würde nicht schaden, wenn du etwas netter wärest. Warum gehst du, wenn du einen Jungen hierhast, nicht in dein Zimmer?

Ihr Freund kam ständig zu ihr und ihre sexuellen Eskapaden waren in den vergangenen Monaten zu meinem Schlaf-Soundtrack geworden. Dabei hatte mich mehr als einmal die Eifersucht gepackt. Es war so einfach für sie, für sie beide – verdammt, für alle war es so einfach, Beziehungen aufzubauen.

Die kleine Topfpflanze auf der Fensterbank war der einzige Farbtupfer in meinem Zimmer. Es war ein Veilchen, das ich einsam und verlassen unter einer Bank auf dem Campus gefunden hatte. Die Blumen waren in der Orientierungswoche verschenkt worden. Die einsame Pflanze hatte halb umgekippt auf dem Boden gelegen, sodass ein Teil der Erde aus dem Topf gefallen war. Sie war der einzige Gegenstand im Raum, der eine persönliche Note hatte, und der erste, den ich, abgesehen von Büchern, neu angeschafft hatte.

Ich schaute mich in dem kargen Raum um. Kahle weiße Wände, eine weiße Steppdecke auf dem Bett, mein ordentlich aufgeräumter Schreibtisch, wo immer alles an seinem Platz war. Ich nahm einen Stapel nach Farben sortierter Karteikarten und warf ihn in die Luft. Sie regneten in allen Regenbogenfarben auf mich herab.

Ich presste die Hände fest aneinander und widerstand dem Drang, sie aufzuheben. Morgen würde ich etwas Buntes kaufen, ganz egal was. Ab sofort war alles Weiße, Graue, Beigefarbene oder Schwarze verboten. Schluss mit neutral. Es wurde Zeit für Farbe. Zeit, sich etwas zu trauen.

Ich setzte mich vor den Laptop und loggte mich ins Studentenportal ein. Dort navigierte ich zum Diskussionsforum und las mir die verschiedenen Themenbereiche durch. Tutoren gesucht. Lerngruppen. Fundsachen. Daneben gab es noch einen Bereich mit Kontaktanzeigen. Dort posteten die Leute manchmal, wenn sie jemandem auf dem Campus begegnet waren, den sie wiederfinden wollten.

In meinem Inneren brodelte der Zorn auf meinen Dad und auf Alexa – und auf mich selbst. Vielleicht gab es ja eine einfache Möglichkeit, mit der ich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte. Ich könnte etwas versuchen, dass meiner Persönlichkeit komplett widersprach – denn damit, mir treu zu sein, war ich bisher offensichtlich nicht weit gekommen. Ich musste die Initiative ergreifen. Wenn ich endlich anfangen wollte zu leben, dann musste ich mein Leben irgendwie selbst in Fahrt bringen.

Ich klickte den Link zu den Kontaktanzeigen an und öffnete eine neue, anonyme Anzeige. Freundegesucht. Sofort hämmerte ich mit dem Finger auf die Löschtaste. Wie dämlich klang das denn bitte? Entwederganzodergarnicht,Seph. Nein, lieber aufs Ganze gehen, denn der Gedanke, nach Hause zurückzukehren, ohne wenigstens einen Versuch gewagt zu haben, mich und mein Leben zu verändern, war einfach unerträglich.

Die Wohnungstür ging auf, und nach Alexas begeistertem Aufschrei zu urteilen, war ihr Freund Dan offenbar eingetroffen.

Im Flur ertönten schwere Schritte, begleitet von den Geräuschen, die sie immer von sich gaben, wenn sie anfingen rumzuknutschen. Ich wappnete mich innerlich. Normalerweise dauerte es von diesem Moment an nur wenige Minuten, bis man sie gegen die Wand hämmern hörte.

»Hey, Seph«, rief Dan, als er an meiner offenen Tür vorbeikam. Ich zog den Kopf ein und hörte gleich darauf Alexas gedämpfte, deutlich verärgerte Stimme. Er war der Einzige, der mich Seph nannte.

Ich ließ die Finger über der Tastatur schweben. Durch das dünne Holz von Alexas Tür konnte ich die beiden überdeutlich hören. Schnell sprang ich auf, schloss meine Tür ebenfalls, legte den Kopf gegen das Türblatt und starrte zum Computerbildschirm hinüber.

Dan und Alexa legten sich inzwischen ordentlich ins Zeug. Die Tür zu schließen, half da nur wenig. Das Holz schien die Geräusche obendrein direkt in mein Hirn zu übertragen. Schnell stieß ich mich von der Tür ab und kehrte zu meinem Computer zurück.

Die Einsamkeit, die ich verspürte, wenn ich unter Menschen war, war irgendwie noch schlimmer als die, die ich empfand, wenn ich alleine war. In Gegenwart anderer brannte meine Lunge, als würde ich direkt vor aller Augen ertrinken, ohne dass es irgendjemanden interessierte. Ich hatte niemanden – und war es endgültig leid.

Pfeif auf Freunde – ich wollte mehr. Wenn ich wirklich die begrenzte Zeitspanne, die mir blieb, nutzen und mein Leben in die Hand nehmen wollte, dann konnte ich auch gleich Nägel mit Köpfen machen. Ich würde nicht klein anfangen und mich langsam hocharbeiten. Dafür blieb keine Zeit.

Ich würde so dermaßen aufs Ganze gehen, das alles andere dagegen verblasste und dass meine Angst davor, niemals zu wissen, wie es ist, sich frei zu fühlen, einfach ausradiert werden würde.

Ich würde dafür sorgen, dass ich ein erstes Mal erlebte, dass ich niemals vergaß.

Wenn ich es einfach tat, einfach ins kalte Wasser sprang, dann würde ich vielleicht ein Stück weit das finden, was ich suchte, und es würde sich etwas ändern. Dann würde sich alles nicht mehr so unglaublich Furcht einflößend anfühlen.

Ich atmete tief durch und setzte mich wieder auf meinen Schreibtischstuhl.

Am Ende dieses Semesters werde ich keine Jungfrau mehr sein.

Ich hatte keine Zeit, darauf zu warten, dass mir zufällig jemand in einem Café begegnete, oder mich an die »normalen« Dating-Regeln zu halten. Es waren schon zwei Monate verstrichen und ich hatte noch nicht einmal Freundschaften geschlossen. Wie sollte ich da einen Mann kennenlernen? Nein, das kam nicht infrage. Die Uhr lief. Mir blieb keine Zeit, um jemanden zu suchen, in den ich mich verlieben konnte. Ich hatte noch sieben Monate, um das Leben einer »normalen« College-Studentin zu leben. Jetzt oder nie.

Ich starrte auf den Bildschirm und tippte los. Möchtest du mein erstes Mal sein?

Ich formulierte meinen Post so eindeutig wie möglich. Ich suchte einen Kommilitonen, vorzugsweise im dritten oder vierten Studienjahr, der mir dabei half, meine Jungfräulichkeit zu verlieren. Vorab musste ein Lebenslauf vorgelegt sowie ein Fragebogen ausgefüllt werden. Ich legte Uhrzeit, Datum und Ort der Bewerbungsgespräche fest.

Das Stöhnen aus dem Nebenraum ließ mich nach meinem kabellosen Kopfhörer greifen. Ich schaltete ihn ein und blickte wieder angestrengt auf den Bildschirm. Mozart half dabei, den Porno zu übertönen, der sich nur wenige Meter von meinem Zimmer entfernt abspielte. Es war noch nicht mal Nacht. Hatte man nicht eigentlich erst dann Sex? Nachts, im Schutz der Dunkelheit, nach einer Flasche Wein?

Ich begann, im Zimmer auf und ab zu laufen. Dabei warf ich immer wieder einen Blick auf den Bildschirm. Schließlich nahm ich einen Notizblock und listete die Pros und Kontras meines Vorhabens auf.

Pro: Jungfräulichkeit verlieren; endlich wissen, wie Sex ist; das echte College- und Erwachsenenleben hautnah erfahren; etwas tun, was meine Eltern nicht guthießen; etwas nach meinen eigenen Regeln tun; leben.

Kontra: Eventuell enttäuscht werden; sich womöglich eine Krankheit einfangen; möglicherweise schwanger werden.

Ich klatschte den Block auf den Schreibtisch und stierte ihn an. Die Kontras waren allesamt Dinge, mit denen ich entweder leben konnte oder die man durch kluges Handeln und Schutzvorkehrungen vermeiden konnte. Die Pros waren zu gut, um sie sich entgehen zu lassen. Meine Finger schwebten über der Eingabetaste. Ich ballte die Hand zur Faust. Wollte ich das wirklich tun? Wollte ich auf diese Art meine Jungfräulichkeit verlieren? Machte ich mich dadurch nicht komplett zum Loser?

Doch angesichts des begrenzten Zeitrahmens blieb mir als Alternative doch nur, irgendwelche Männer auf der Straße anzusprechen. Durch die Anzeige hatte ich zumindest die Möglichkeit, die Bewerber genauer zu überprüfen. Ich legte den Finger wieder auf die Eingabetaste und betrachtete noch einmal, was ich geschrieben hatte. Wahrscheinlich wirkte ich total verzweifelt und durchgeknallt und es würde sich bestimmt sowieso niemand auf die Anzeige melden.

Eine Hand legte sich auf meine Schulter. Ich zuckte erschrocken zusammen und drückte dabei unabsichtlich die Taste. Sofort schnürte mir Panik die Kehle zu, als hätte ich einen Käfer verschluckt. Die Seite lud neu und Gesendet blinkte mir fett entgegen. Was habe ich getan? Ich riss meinen Kopfhörer herunter und drehte mich auf dem Stuhl um.

»Dein Telefon klingelt schon seit bestimmt zehn Minuten.« Ein verschwitzter, etwas atemloser Dan stand mit einem Bettlaken um die Hüften in meinem Zimmer. Er hielt mir auffordernd das Handy hin. Ich starrte wie gebannt auf seine nackte Brust. »Erde an Seph.« Er wedelte mit dem leuchtenden Display vor meiner Nase.

»Sorry.« Ich nahm es ihm ungeschickt aus der Hand und hätte es dabei um ein Haar fallen lassen.

»Schon okay. Alexa mag es nur nicht, wenn mich etwas ablenkt.« Er verließ das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Ein kleiner Zipfel des Lakens blieb dabei im Spalt unter der Tür hängen, verschwand aber gleich wieder, als er sich auf den Rückweg in Alexas Zimmer machte.

Ich lehnte mich auf dem Stuhl zurück. Dabei rollte er nach hinten und prallte gegen meinen Schreibtisch. Langsam kam ich aus meinem Trancezustand zurück. Ich drehte mich um und starrte die Anzeige an, die ich gerade aufgegeben hatte. Sie war bereits achtzig Mal angeschaut worden. Verflucht! Jetzt gab es kein Zurück mehr. Zu hyperventilieren würde ich auf später verschieben müssen.

Verdammt noch mal, ich wollte schweißtreibenden, verrückten Sex, der mich von den Socken haute und um den Verstand brachte. Ich wollte intensive Gefühle erleben und zur Abwechslung endlich mal loslassen können. Das war etwas Gutes – kein Grund, auszuflippen. Ich schlug eine neue Seite in meinem Notizblock auf. Das würde nicht mein einziges erstes Mal sein. Bevor ich von hier weggehen und ein Leben beginnen würde, das von Lehrsätzen, staubigen Bibliotheken und himmelhohen, erdrückenden Erwartungen geprägt sein würde, würde ich dafür sorgen, dass dieses Jahr unvergesslich wurde. Etwas, worauf ich zurückblicken konnte, wenn mein Leben wie ein Schnellzug dahinraste, ohne dass ich ein Mitspracherecht hatte, wohin die Reise ging. Dieses Jahr würde das Jahr der perfekten ersten Male werden.

3. KAPITEL

Seph

Ich legte die Hand um die hellblaue Tasse und klemmte mir das Telefon zwischen Ohr und Schulter. Über der heißen Schokolade mit Mini-Marshmallows stieg eine kleine Dampfwolke auf. Was für ein zügelloser Genuss, dem ich mich da hingab. Fast war ich versucht, mich mit einem Blick über die Schulter davon zu überzeugen, dass mein Dad nicht mit missbilligender Miene hinter mir stand. Überall duftete es nach Brownies und Weihnachten – oder zumindest so, wie ich mir den Duft von Weihnachten dank all der Filme und der weihnachtlich dekorierten Schaufenster in den Geschäften vorstellte. Warm und wohlig. Genauso, wie es hier roch.

Da ich mich hier im Uncommon Grounds, einem Café unweit meiner Wohnung, wohl ein Weilchen aufhalten würde, hatte ich mir die Zeit genommen, die Karte zu studieren. Eigentlich war schwarzer Kaffee mein Standardgetränk. Es war mir beigebracht worden, Kaffee so zu trinken. Mein Dad betrachtete Frivolitäten wie Zucker oder Milch als reine Verschwendung. Doch damit war es jetzt vorbei. Das hier war mein erstes erstes Mal.

Ich bestellte für jede Stunde, die ich hier verbringen würde, ein anderes Getränk, und bat die Bedienung, mir immer zur vollen Stunde das nächste zu servieren. Dann hatte ich auch etwas, womit ich meine Hände beschäftigen konnte, während ich Gespräche führte mit meinen potenziellen … Liebhabern? Dates? Bettgenossen? Für das, was ich suchte, gab es irgendwie kein passendes Wort.

»Hast du dich schon mit irgendwelchen Jungs verabredet?« Tante Sophies melodische Stimme beruhigte meine Nerven ein wenig.

»Ich bin doch erst ein paar Monate hier.« Allerdings hoffte ich, dass ich in ein paar Minuten mehr als nur eine Verabredung haben würde. Vielleicht hätte ich mir doch einen Muffin oder ein Stück Kuchen bestellen sollen. Hier duftete es, als würden sich eine Bäckerei und ein Coffeeshop einen Wettkampf liefern. Ich hätte mich glatt auf meiner gepolsterten Bank in der Sitznische wohlig zusammenrollen und einschlafen können – hätte nicht in etwa zwanzig Minuten die Befragung der Kandidaten für meine Entjungferung angestanden.

»Und dein Vater zählt wahrscheinlich schon die Stunden, bis er dich endlich zurück ins Hamsterrad holen kann.« Ich konnte mir bildlich vorstellen, wie sie gerade am anderen Ende der Leitung entrüstet das Gesicht verzog. Meine Tante Sophie, die Schwester meiner Mutter, war nach Ansicht meines Vaters eine Schande und ein furchtbares Vorbild für mich. Und sie war mir einer der liebsten Menschen auf der ganzen Welt.

»Es ist kein Hamsterrad. Wenn ich mich an den Weg halte, den sie für mich vorgezeichnet haben, kann ich einiges erreichen.«

»Beispielsweise als alte Jungfer zu sterben, die ihr ganzes Leben lang nur von Männern umgeben war, die fünfzig Jahre älter waren als sie selbst.«

»Hey, einige sind auch nur ungefähr zwanzig Jahre älter als ich.« Ich nahm das Handy vom Ohr, schloss die Augen und öffnete dann kurz eines, um auf das Display zu spähen, bevor ich das Telefon wieder ans Ohr drückte.

»Hör mal, wenn du diesem Zirkus dauerhaft entkommen willst, dann weißt du, dass hier ein Gästebett steht, das für dich reserviert ist.«

»Ich glaube, das wäre dann eher eine Flucht zum Zirkus. Zumindest sagt Mom das immer.«

»Nur, weil ich jonglieren kann, bin ich noch lange kein Clown.«

»Vergiss das Trapez nicht.«

»Junge Dame, das Trapez ist ein exzellentes Fitnessgerät. Außerdem bin ich doch erst durch deine Mutter auf all diese verrückten Dinge gekommen.« Obwohl sie schon fünfzig Jahre alt war, wurde sie oft nicht für Moms Schwester, sondern für ihre Tochter gehalten. Ich wusste nicht, über wen das mehr sagte – über meine Mom oder über Tante Sophie.

»Ach ja? Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass sie je so locker gewesen sein könnte.«

»Oh doch. Ich habe sie früher immer meine Wilde genannt. Meine verrückte, große Schwester …« Sie klang abwesend, als wäre sie in Gedanken ganz woanders, wahrscheinlich weit in der Vergangenheit. Ich wünschte, ich hätte meine Mutter gekannt, bevor sie meinen Dad getroffen hatte. Wenn sie auch nur ein bisschen wie Tante Sophie gewesen war, dann konnte ich wirklich nicht nachvollziehen, wieso sie und Dad zusammengekommen waren.

Meine Tante räusperte sich und wechselte rasch das Thema. »Wie klappt es mit deiner Mitbewohnerin?«

»Wie immer. Sie ist sehr nett.«

»Kleines, du kannst mir nichts vormachen. Sie ist eine Riesenzicke, nicht wahr?«

»Wir befinden uns noch immer in der Kennenlernphase.«

»Du darfst dich nicht von anderen Leuten schikanieren lassen. Dann regst du dich nur ständig innerlich auf. Mach dich locker und zieh mal den Stock aus deinem …«

»Tante Sophie!« Mir wurde bewusst, wie kerzengerade ich auf der burgunderroten Bank in der Sitzecke saß, und lockerte meinen Rücken etwas. Schnell warf ich einen Blick auf die anderen Gäste, die um mich herum an den Tischen und in den Nischen saßen, und ließ die Schultern ein wenig entspannter nach unten sacken. Durch meine Bewegungen quietschte der Vinylbezug der Sitzbank unter meinen Beinen leise. Oh Mann, hoffentlich denkt jetzt niemand, dass ich hier vor mich hin furze.

Die anderen Gäste saßen mit ihren Laptops an hohen Tischen, hatten Kopfhörer in den Ohren, Ladekabel und Karteikartenstapel neben sich liegen und tranken einen Kaffee nach dem anderen. Niemandem fiel auf, dass ich überhaupt da war.

»Tut mir leid, du hast recht. Ich habe eben ein dreckiges Mundwerk. Aber ich sag’s dir, Schätzchen, eines Tages wirst du noch durchdrehen. Und wenn es so weit ist, dann bist du nicht allein, okay?«

»Okay.«

»Ich werde dieses Jahr versuchen, an Weihnachten vorbeizukommen, damit ich dich sehen kann. Ich verspreche auch, mich gut zu benehmen.«

Ich konnte mir ein leises Lachen nicht verkneifen. »Als du das das letzte Mal versprochen hast, hat es hinterher fast eine Woche gedauert, bis Dad sich wieder einigermaßen beruhigt hatte.«

»Diese Brownies waren köstlich.«

Das Glöckchen über der Eingangstür klingelte. Ich hob den Kopf und spähte über die Lehne der Sitzbank. Eine kleine Gruppe kam herein. Nein, die kommen nicht meinetwegen. Bis zu der Uhrzeit, die ich in meinem Post angegeben hatte, blieben ohnehin noch zwanzig Minuten.

»Mom hat fast vierundzwanzig Stunden lang gekichert. Sogar noch im Schlaf.« Die hervorstehende Ader an Dads Stirn war geschlagene drei Tage lang geschwollen gewesen. Mom dagegen hatte so zufrieden gewirkt wie schon lange nicht mehr.

»Freut mich, das zu hören. Sie brauchte das mal. Aber ich schwöre: diesmal keine Backwaren.«

»Oder andere Leckereien mit Spezialzutaten.«

»Pfadfinderehrenwort. Okay, ich muss jetzt zum Malkurs. Hab dich superlieb und vermiss dich sehr. Wir hören uns.«

»Ja, wir hören uns. Hab dich lieb.«

Sie beendete das Gespräch. Ich legte das Handy auf den Tisch und rückte den Stapel Karteikarten vor mir gerade. Neben mir auf der Sitzbank lag meine Liste mit Fragen. Ich wischte mir die Hände an meiner marineblauen Wollhose ab und begann, nervös auf der Bank auf und ab zu hopsen, riss mich aber sofort wieder zusammen. Atme tief durch. Das klappt schon und morgen um diese Zeit bist du vielleicht keine Jungfrau mehr. Aus meiner Tasche lugte meine neue rote Strickmütze hervor. Bevor ich die Wohnung verlassen hatte, hatte ich schnell noch das Preisschild abgerissen. Mein hämmerndes Herz beruhigte sich ein wenig. Ich hatte mir zum ersten Mal etwas Gewagtes gekauft. Dies war der Beginn von etwas Neuem. Ich konnte es spüren.

Wieder klingelte es, als sich die Tür des Cafés öffnete. Ich riss den Kopf hoch und mein Bein, mit dem ich eben noch ungeduldig gewippt hatte, erstarrte mitten in der Bewegung. Jemand stand im Eingang, durch den die Sonne hereinfiel. Er war groß, größer als alle anderen, die bisher hereingekommen waren, und so kräftig, dass sich seine Muskeln selbst unter seiner Jacke deutlich abzeichneten. Er blieb auf der Schwelle stehen und ließ den Blick durch den Raum schweifen, als wüsste er genau, dass die anderen seine Blicke erwidern würden. Als wolle er ihnen die Gelegenheit geben, seine Anwesenheit ehrfürchtig zur Kenntnis zu nehmen. Seine rabenschwarzen Haare waren auf genau die richtige Art und Weise zerzaust, als wäre er auf dem Weg hierher mit der Hand hindurchgefahren. Die Jacke saß so perfekt, als wäre sie ihm auf den Leib geschneidert worden.

Ich sah mich um. Ich war nicht die Einzige, die sein Eintreffen bemerkt hatte. Irgendwie kam er mir bekannt vor, aber ich kam nicht drauf woher. Er beugte sich nach unten. Ich dachte, dass er sich die Schnürsenkel binden wollte, doch stattdessen wischte er ein nasses Blatt von seinem makellosen weißen Turnschuh. Als er durch den Raum auf mich zukam, drehten sich überall Leute nach ihm um. Ich packte die Karteikarten fester und musste mich ermahnen, das Atmen nicht zu vergessen.

Wieder sah er sich um. Schließlich entdeckte er mich. Selbst aus der Ferne konnte ich erkennen, wie grün seine Augen waren. Dunkle Haare und dazu solche Augen, das war eine ungewöhnliche Kombination. Er blieb stehen und presste die Lippen aufeinander. Dann schob er die Hände in die Taschen und kam mit einem Bringen wir es hinter uns