The Delucci Family - Mia Kingsley - E-Book + Hörbuch
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The Delucci Family E-Book und Hörbuch

Mia Kingsley

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Beschreibung

Vier Delucci-Geschwister. Vier Mafia-Geschichten. Ein Sammelband. Weil sein Bruder kein Interesse an der hübschen Aurora zeigt, sieht sich Luca Delucci gezwungen, einzugreifen – auf seine Weise … Gabriele Delucci bekommt immer, was er will – immerhin ist er Chicagos gefährlichster Mafiaboss. Weil Giulia Delucci nicht allein vor die Tür darf, nutzt sie die erste Chance zur Flucht, die sie bekommt … Getrieben durch Rache droht Davide Delucci, auch das letzte bisschen Menschlichkeit zu verlieren. Durchsetzungsfähige Männer, in deren Jobbeschreibung das Wort »Mafia« vorkommt. Frauen, die keine Lust haben, sich sagen zu lassen, was sie zu tun haben. Rohe Gewalt. Schmutzige Szenen. Wilde Emotionen. Zuckersüße Happy Ends. Die neue Dark-Romance-Serie von Mia Kingsley. Alle Teile in sich abgeschlossen und durch wiederkehrende Figuren verbunden.

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Seitenzahl: 478

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Zeit:11 Std. 10 min

Veröffentlichungsjahr: 2022

Sprecher:Irina Bell

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THE DELUCCI FAMILY

SAMMELBAND

MIA KINGSLEY

DARK MAFIA ROMANCE

Copyright: Mia Kingsley, 2022, Deutschland.

Covergestaltung: Mia Kingsley

Korrektorat: http://www.swkorrekturen.eu

ISBN: 978-3-910412-06-4

Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nachdrücklich nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet.

Sämtliche Personen in diesem Text sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig.

Black Umbrella Publishing

www.blackumbrellapublishing.com

INHALT

Wicked Little Princess (The Delucci Family 1)

Wicked Little Princess (The Delucci Family 1)

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Wicked Little Pain (The Delucci Family 2)

Wicked Little Pain (The Delucci Family 2)

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Wicked Little Pleasure (The Delucci Family 3)

Wicked Little Pleasure (The Delucci Family 3)

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Wicked Little Price (The Delucci Family 4)

Wicked Little Price (The Delucci Family 4)

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

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Über Mia Kingsley

WICKED LITTLE PRINCESS (THE DELUCCI FAMILY 1)

WICKED LITTLE PRINCESS (THE DELUCCI FAMILY 1)

Mein älterer Bruder Gabriele soll heiraten, um den Frieden zwischen den Familien in Chicago zu sichern. Leider hat er keine Lust, sich um seine Verlobte Aurora zu kümmern, weshalb ich ein Auge auf sie haben werde. Schließlich hat Aurora ebenso wenig Begeisterung für die Hochzeit übrig wie Gabriele, und ich befürchte, dass sie auf dumme Ideen kommen könnte. Warum ich mich überhaupt verantwortlich fühle, weiß ich selbst nicht, immerhin bin ich nicht der Bräutigam.

Doch dann stelle ich fest, dass es offenbar einen weiteren Mann in Auroras Leben gibt – und das ist einfach inakzeptabel. Wenn es meinem Bruder egal ist, muss wohl oder übel ich mich darum kümmern …

Durchsetzungsfähige Männer, in deren Jobbeschreibung das Wort »Mafia« vorkommt. Frauen, die keine Lust haben, sich sagen zu lassen, was sie zu tun haben.

Rohe Gewalt. Schmutziger Sex. Wilde Emotionen. Zuckersüße Happy Ends.

Die neue Dark-Romance-Serie von Mia Kingsley. Alle Teile in sich abgeschlossen und durch wiederkehrende Figuren verbunden.

KAPITEL1

LUCA

Nicht zum ersten Mal an diesem Abend fragte ich mich, warum ausgerechnet immer ich die Stimme der Vernunft sein musste. Ich stand in der Nähe der Bar und behielt Davide und Gino im Auge, weil Gino einen Hauch zu heftig mit Benedetta Arcuri flirtete. Dabei wusste der beste Freund meines Bruder Davide, dass Benedetta nicht nur etwa fünfzehn Jahre älter war als er, sondern auch verheiratet – und ihr Mann war nicht gerade für seinen Humor bekannt.

Gino fing meinen Blick auf und zwinkerte mir zu. Vermutlich stand mir der Argwohn wieder einmal ins Gesicht geschrieben. Davide folgte dem Blick seines Freundes und sah zu mir, woraufhin er die Zeigefinger in seine Mundwinkel stach und sie grotesk nach oben zog, um mir zu signalisieren, dass ich mehr lachen sollte. Oder wenigstens lächeln. Das wäre zumindest ein Anfang, hatte er mir schon oft gesagt.

Ich verschränkte die Arme, wandte mich ab und überlegte, warum ich gedacht hatte, dass Davide sich ändern und erwachsen werden würde, sobald er die 30 hinter sich gelassen hatte. Dieser Clown würde sich nie ändern. Nicht, solang er und Gino zusammen Unsinn veranstalten konnten.

Rechts neben mir kicherte eines der Teenagermädchen, die sich schon eine ganze Weile verdächtig nah bei mir zusammendrängten und tuschelten. Das schrille Geräusch verursachte mir Unbehagen – genau wie solche Veranstaltungen im Allgemeinen.

Ich verstand den Drang, zu sozialisieren, den so viele Leute zu verspüren schienen, einfach nicht.

Die Möbel waren aus dem Wohnzimmer des großen Anwesens der Familie Mancini geräumt worden, damit wir die Verlobung ihrer Tochter Aurora mit meinem älteren Bruder Gabriele feiern konnten. Ich verstand den Sinn dahinter nicht. Es war ja nicht so, als wären Aurora und Gabriele sich irgendwo begegnet und hätten sich unsterblich verliebt. Das Ganze war eine rein geschäftliche Vereinbarung, die zwischen der Mancini- und der Delucci-Familie geschlossen worden war. Auroras Meinung spielte nicht einmal eine Rolle – wozu also der Aufwand mit dieser üppigen Party?

Ich bekam bereits Zahnschmerzen, wenn ich bloß grob überschlug, was allein die Blumenarrangements kosteten. Vom Essen, den Kellnern und der Live-Band mal abgesehen.

Die Teenager-Mädchen kicherten erneut, und ich kam zu dem Schluss, dass sich jeder außer mir hervorragend amüsierte.

Zumindest fast jeder, denn in diesem Moment öffnete sich die Tür zum angrenzenden Arbeitszimmer von Geremia Mancini, in dem Gabriele und Aurora ein paar Worte unter vier Augen gewechselt hatten. Es war das erste Mal, dass Gabriele sich überhaupt dazu herabgelassen hatte, persönlich mit Aurora zu reden.

Mich interessierte, was er zu ihr gesagt hatte, denn sie wirkte, als wäre sie einem Geist begegnet. Die sonst so rosigen Wangen waren bleich, und sie konnte sich nicht einmal ein halbes Lächeln abringen, bevor sie Gabriele gegenüber einen kleinen Knicks andeutete und förmlich aus dem Raum flüchtete. Er schaute ihr unbeteiligt hinterher.

Der Knicks irritierte mich, weil es eine unfassbar altertümliche Geste war.

Meine Neugier gewann und ich ging zu meinem Bruder – allerdings auch, da es der perfekte Vorwand war, um die nervigen Teenagermädchen loszuwerden. Ein paar von ihnen näherten sich vermutlich dem achtzehnten Geburtstag und flirteten mit der Idee, mir versprochen zu werden. Nein, danke.

»Hey«, sagte ich zu ihm.

Er schaute mich an und hob eine Augenbraue. »Was ist mit deinem Gesicht? Soll das etwa ein Lächeln sein?«

Ich gab es auf. »Was hast du zu Aurora gesagt?«

»Was soll ich schon groß zu ihr gesagt haben? Das Übliche eben.«

Weil ich nicht die geringste Ahnung hatte, was das Übliche in einer solchen Situation sein sollte, wollte ich danach fragen, als mein Bruder die Hand hob. »Lass mich mit deinen Vorhaltungen in Ruhe, okay? Ich brauche einen Drink. Einen verdammt großen Drink.«

»Nur zu deiner Information: Es war nicht mein Plan, dir Vorhaltungen zu machen.«

»Stimmt, du tarnst deine Kritik immer hinter Fragen und gut gemeinten Ratschlägen.« Gabriele bahnte sich den Weg zur Bar und musste alle paar Meter stehen bleiben, um Glückwünsche entgegenzunehmen.

Mir verging sowohl die Lust, weiter mit ihm zu reden, als auch, ihm zu folgen, weshalb ich das Wohnzimmer verließ. Der Geräuschpegel ebbte merklich ab, was ich sehr begrüßte.

»Oh, Mr. Delucci, suchen Sie die Waschräume?« Auroras Mutter kam mir entgegen und breitete wie eine Henne die Arme aus, um mich wegzuscheuchen. Hinter ihr drangen laute Würgegeräusche zu mir. »Ich zeige Ihnen das Bad im oberen Stockwerk. Grazie mille!«

Ich rollte mit den Augen, denn niemand von uns sprach Italienisch – von meiner Großmutter abgesehen, doch Mrs. Mancini führte sich immer auf, als wäre sie erst gestern aus Italien angekommen.

Zwar hätte ich sie darauf hinweisen können, dass ich gar nicht ins Bad gewollt hatte, aber ich war froh, dem Trubel zu entkommen. Außerdem würde ich mir die Gelegenheit, mich im Rest des Hauses umzusehen, sicherlich nicht entgehen lassen.

»Danke.« Ich rang mir meine Version eines höflichen Lächelns ab.

Sie winkte ab. »Wir sind doch jetzt Familie.«

»Richtig.« Um nicht noch länger mit ihr reden zu müssen, öffnete ich die Tür zum Bad. Ich würde mir wenigstens die Hände waschen, damit sie weg war, bis ich wieder rauskam, denn ich wusste beim besten Willen nicht, wie viel Smalltalk ich heute noch verkraftete.

Tatsächlich war die Luft rein, als ich wieder in den Flur trat. Mr. Mancini war für seine exquisite Kunstsammlung bekannt, und ich fragte mich, ob er hier irgendwo ein paar der Stücke hängen hatte.

Als ich langsam durch den Flur ging, hörte ich Auroras Stimme.

»Ich meine … Ach, ich weiß auch nicht … Vielleicht kann ich weglaufen?« Sie klang ebenso verzweifelt, wie sie unten ausgesehen hatte, als sie nach dem Gespräch mit Gabriele wieder ins Wohnzimmer gekommen war.

Aus Neugier ging ich in die Richtung, obwohl meine Vernunft mich darauf hinwies, dass alles, was mit Aurora zu tun hatte, streng genommen Gabrieles Problem war. Wobei ich in meiner Funktion als sein Bruder ja auch nicht vorgeben konnte, nichts gehört zu haben.

Eine andere Frau seufzte theatralisch. »Also ich bin immer noch dafür, dass du ihn umbringst. In der Hochzeitsnacht. So richtig dramatisch. Gib vor, ihn reiten zu wollen, und ramm ihm einen Brieföffner in die Brust. Irgendwie so was.«

Die Tür zu Auroras Zimmer stand einen Spalt weit auf und gewährte mir gerade genug Platz, um sie und ihre beiden Freundinnen sehen zu können.

Aurora lehnte an einem weißen Schminktisch und hatte die Arme um sich selbst geschlungen. Das rosafarbene Spitzenkleid stand ihr hervorragend und ließ sie wie eine Prinzessin aussehen. Ich hatte schon im Scherz – wobei es eigentlich ernst gemeint gewesen war – zu Gabriele gesagt, wie froh er sein konnte, dass Aurora so hübsch war. Er hatte zuerst nicht reagiert und erst nach einer Weile geantwortet, wie langweilig er sie fand.

Ich wusste nicht, was an ihren strahlend blauen Augen, dem herzförmigen Gesicht, den vollen Lippen und ihrem langen, brünetten Haar langweilig sein sollte. Außerdem hatte sie eine Killerfigur, die unter der engen Spitze perfekt zur Geltung kam.

Da ich größer als Gabriele und Davide war, überragte ich Aurora um ein ganzes Stück, wodurch sie mir noch zierlicher und schmaler vorkam. Ich verstand meinen Bruder wirklich nicht.

»Ich weiß nicht, ob ich es über mich bringen würde, ihn zu erstechen.« Aurora zuckte hilflos mit den Achseln.

»Dann nimm halt Gift.« Die Unruhestifterin saß auf dem Bett und wirkte in ihrem pastellfarbenen Kleid mit den blonden Haaren, als könnte sie kein Wässerchen trüben. Sie strich ihre Haare nach hinten und stieß die Dritte im Bunde, die mit auf dem Bett saß, mit dem Ellbogen an. »Kann Leo da nichts besorgen?«

Ich brauchte einen Moment, um sie zu identifizieren. Sofia Cattaneo war die jüngere Schwester von Venanzio Cattaneo, einem unserer Capo, der die Position nach dem Tod seines Vaters übernommen hatte. Er war loyal, zuverlässig und absolut ruchlos – nur ganz offensichtlich nicht seiner Schwester gegenüber.

Die schmale Brünette, die neben ihr hockte, sagte mir im ersten Moment nichts. »Ich werde Leo bestimmt nicht bitten, Gift zu besorgen, damit Aurora seinen Boss umbringen kann.« Ihre Wangen waren gerötet. »Außerdem sollten wir gar nicht darüber sprechen«, fügte sie mit leiserer Stimme hinzu.

»Du hast leicht reden, Ludovica.« Sofia rümpfte die Nase. »Du hast deinen Traummann ja bereits gefunden und wirst nicht gezwungen, Il Mostro zu heiraten.«

Meine Mundwinkel zuckten, weil mir nicht klar gewesen war, dass mein älterer Bruder offenbar unter der Hand »das Ungeheuer« genannt wurde.

»Stimmt, wenn herauskommt, dass ich eine Affäre habe, bin ich bestimmt viel besser dran«, gab Ludovica zurück und sah nervös zur Tür, woraufhin ich einen Schritt zurücktrat, damit sie mich nicht entdeckte.

»Im Grunde sieht Gabriele ja nicht schlecht aus«, fuhr Sofia fort. »Die Tattoos sind heiß.« Sie grinste anrüchig. »Es ist nur schade, dass er so ein Arschloch ist. Allein für das, was er zu dir gesagt hat, solltest du ihn umbringen.«

Ich nahm mir vor, mit Venanzio zu reden, damit er seine Schwester an eine kürzere Leine legte. Eine sehr viel kürzere Leine. Alternativ konnte er sie meinetwegen auch die nächsten Jahre in einem Turm einmauern, bis irgendein armer Vollidiot blöd genug war, sie zu heiraten. Die Sachen, die sie von sich gab, warfen kein gutes Licht auf sie und konnten schnell als Verrat angesehen werden.

Abgesehen davon interessierte es mich brennend, was genau mein Bruder zu Aurora gesagt hatte, dass ihre Freundin ihn dafür tot sehen wollten.

»Ich werde ganz sicher niemanden umbringen.« Aurora schüttelte den Kopf. »Ich werde weglaufen.«

»Aber dann brauchst du einen guten Plan. Ich werde dir helfen«, erklärte Sofia mit Entschlossenheit in der Stimme.

Sie klang so überzeugend, dass ich entschied, mich einzumischen, obwohl ich gar nicht geplant hatte, die Frauen auf meine Anwesenheit aufmerksam zu machen.

Ohne ein Wort zu sagen, schob ich die Tür weiter auf und betrat Auroras Zimmer. Eine feine Vanillenote stieg in meine Nase, die mich kurzzeitig verwirrte.

Da klar war, dass ich zumindest Auroras letzten Satz gehört hatte, wurde sie noch bleicher, als sie ohnehin schon war. Ludovica sprang vom Bett auf und warf ihrer Freundin einen panischen Blick zu, die daraufhin Richtung Tür nickte. Aurora gab ihr damit die Absolution, direkt die Flucht zu ergreifen.

Sofia hatte es weitaus weniger eilig, blieb stur sitzen und schaute mich herausfordernd an.

»Lass uns bitte allein«, sagte ich. Mein eisiger Tonfall machte klar, dass es sich nicht wirklich um eine Bitte handelte.

»Ich weiß nicht.« Sofia verzog das Gesicht. »Ich glaube nicht, dass sich das gehören würde. Reine Braut. Jungfräulichkeit. Bla, bla, bla.«

Es juckte mir in den Fingern, ihr den schlanken Hals umzudrehen. Stattdessen starrte ich sie in Grund und Boden. »Ich würde mich gern mit Aurora unterhalten und habe nicht vor, sie in den nächsten zwei Minuten zu ficken.«

Aurora wurde feuerrot, doch Sofia war längst nicht beeindruckt. »Ich bin mir sicher, dass du genauso gut sagen kannst, was du sagen willst, während ich hier bin.«

»Du hast zwei Sekunden, deinen Arsch in Richtung Tür zu schwingen, die du auf dem Weg nach draußen übrigens direkt hinter dir schließen kannst, oder ich vergesse doch nicht, dass ich deine großartigen Ratschläge für die Hochzeitsnacht gehört habe und diese vermutlich sowohl an deinen als auch meinen Bruder weitergeben sollte.«

Ein Funke glomm in Sofias Augen auf, allerdings konnte ich beim besten Willen nicht sagen, ob es Angst oder Wut war, die dort loderte.

»Sofia«, bat Aurora leise. »Geh einfach. Ich komme schon klar.«

Wenigstens die Braut meines Bruders schien vernünftig zu sein – zumindest wenn ich das Gerede über die Flucht großzügig ignorierte.

Sofia erhob sich vom Bett und ballte die Fäuste. »Ich habe keine Angst vor dir oder deinem Bruder.«

»Du verkündest das, als wäre Dummheit eine Tugend. Die Tür ist da. Zwing mich nicht, dir zu helfen.«

Sofias Mund öffnete sich, aber Aurora war schneller. Sie stürzte sich förmlich auf ihre Freundin und schob Sofia zur Tür. Die beiden zischten sich leise an, ehe Aurora die störrische Blondine regelrecht in den Flur stieß und die Tür schloss.

»Entschuldigung.« Aurora blieb so weit wie möglich von mir entfernt stehen und starrte den Fußboden an. »Sofia meint es nicht so.«

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie jedes einzelne Wort ernst gemeint hat.«

Aurora vergrub die Zähne in ihrer vollen Unterlippe und zog es vor, darauf nichts zu erwidern.

»Weißt du, wer ich bin?«, fragte ich.

Sie schaute mich kurz an und wandte den Blick direkt wieder ab. »Davide?«

»Nein, ich bin Luca.« Ich hatte nicht die geringste Ahnung, warum es mich ärgerte, dass sie das nicht wusste. Wir trafen selten auf die Frauen der anderen Familien, genau wie wir ein Auge darauf hatten, wann unsere Schwester sich wo mit wem traf. Die einzige Ausnahme bildeten gesellschaftliche Events wie dieses hier. Runde Geburtstage, Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen waren die einzigen Anlässe, zu denen wir alle zusammenkamen. Aus den Geschäften wurden die Frauen strikt rausgehalten. Außerdem war es besser, wenn nicht jeder Feind wusste, wer die Frauen waren oder wie viele tatsächlich zur Familie gehörten. Ich hatte lediglich einen guten Überblick, weil mein Bruder seit dem Tod unseres Vaters der Boss war. Rein technisch gesehen machte es mich zu einer Mischung aus seinem Consigliere und einem Unterboss. Deswegen wusste ich auch nicht genau, wer Ludovica war und von welchem Leo sie gesprochen hatte. Aber ich würde es herausfinden.

»Oh«, machte sie bloß.

»Ich hoffe, ihr habt gerade nur gescherzt.« Mir war klar, dass dem nicht so war, doch ich wollte Aurora nicht noch weiter verängstigen.

»Natürlich.« Sie konnte mich nicht einmal ansehen.

»Du weißt, dass es vor allem ein schlechtes Licht auf deine Mutter werfen würde, wenn du eine Dummheit machst. Ich nehme nicht an, dass du das möchtest.«

»Man sollte meinen, dass es eher auf meinen Vater zurückfallen würde – immerhin ist er doch dafür verantwortlich, mit eiserner Hand die Familie zu regieren.«

Im ersten Moment wusste ich nicht, was ich sagen sollte. »Warum so feindselig?«

Sie schaute mich an, eine Augenbraue gehoben. »Soll das ein Scherz sein?«

Mir gefiel, dass sie offenbar für einen Moment ihre Angst vergessen hatte. Nur ihr Tonfall war für meinen Geschmack einen Hauch zu anklagend. »Nein. Sofia hat selbst gesagt, dass Gabriele attraktiv ist. Du könntest wesentlich schlechter dran sein.«

Ich hätte beinahe hinzugefügt, dass mein Bruder auch nicht die Angewohnheit hatte, Frauen zu schlagen, aber mein Instinkt sagte mir, dass ich dem Gespräch damit die falsche Richtung geben würde.

»Oder … und hier kommt eine absolut innovative Idee … ich könnte mir meinen Mann selbst aussuchen. Möglicherweise will ich auch gar nicht heiraten. Aber das scheint ja niemanden zu interessieren.«

»Das interessiert in der Tat niemanden. Ich bin nicht hier, um mit dir zu diskutieren, Aurora. Leider habe ich zufällig gehört, worüber ihr gesprochen habt, und bin nur reingekommen, um dir zu sagen, dass du besser keine Dummheit machen solltest. Außerdem solltest du aufpassen, dass niemand anders euer lächerliches Gerede hört. Das könnte ins Auge gehen.«

Da ich mich meiner Meinung nach ausreichend mitgeteilt hatte, drehte ich mich um und ging zur Tür. In der letzten Sekunde hielt Aurora mich zurück.

»Luca.«

Die Art, wie sie meinen Namen so … atemlos hauchte, stellte merkwürdige Dinge mit meinem Magen an.

»Ja?« Ich drehte mich langsam um.

»Könntest du bitte vergessen, was du gehört hast?« Sie versuchte sich an einem höflichen Lächeln, aber es wirkte kraftlos.

»Natürlich.«

»Vor allem den Teil über Ludovica? Mir ist es egal, wenn ich Ärger bekomme, und ich denke, dass Sofia es ähnlich sieht, aber Ludovica hat nichts damit zu tun. Sie ist ohnehin die dritte Tochter und …« Aurora brach ab und ging wieder dazu über, die Beschaffenheit des Bodens unter ihren Füßen zu studieren.

Ich erinnerte mich daran, dass Ludovica einen Leo als ihren Liebhaber benannt hatte, der für Gabriele und damit auch mich arbeitete. Es wäre für mich weitaus kritischer gewesen, wenn sie mit einem Außenseiter schlafen würde.

»Ich denke, das kann ich tun.«

»Danke.« Aurora klang erleichtert.

Ich verließ den Raum und machte mich auf die Suche nach Gabriele. Zwar wusste ich noch nicht, was genau ich ihm erzählen wollte, weil Aurora auf mich nicht den Eindruck machte, als würde sie es tatsächlich erwägen, ihn mit einem Brieföffner zu attackieren. Abgesehen davon konnte mein Bruder sich verteidigen und hätte den Tod verdient, wenn er sich von einer kleinen, schmalen und vor allem unerfahrenen Person wie Aurora überraschen lassen würde.

Mir gingen bloß Sofias Worte nicht aus dem Sinn, und ich wollte wissen, was er zu Aurora gesagt hatte.

Ich fand ihn im Garten, wo er sich mit einem Glas Wodka in der Hand ganz offensichtlich davor drückte, sich weiter mit den anderen Gästen unterhalten zu müssen. »Bekomme ich irgendwie einen Bonus oder so, wenn ich dir sage, dass jemand ein Attentat auf dich plant?«

»Wenn du den Rest des Jahres brav bist, bekommst du vielleicht ein größeres Weihnachtsgeschenk«, knurrte Gabriele und leerte sein Glas.

»Ich habe zufällig gehört, wie Auroras Freundinnen ihr Tipps gegeben haben, um dich loszuwerden. Sofia Cattaneo hat dafür plädiert, dich mit einem Brieföffner zu erledigen. Beim Sex. Oder kurz vor dem Sex.«

»Ich kann mir üblere Arten vorstellen, aus dem Leben zu scheiden.« Er zuckte mit den Achseln und stellte das Glas weg. »Wer ist sie?«

»Venanzio Cattaneos jüngere Schwester. Sie müsste so zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig sein. Blond, so groß in etwa.« Ich hielt meine Hand in die Höhe.

Er schüttelte den Kopf. »Sagt mir leider nichts.«

»Der Auslöser für den Ratschlag war wohl deine Unterhaltung mit Aurora. Was genau hast du eigentlich mit ihr besprochen?«

»Dir ist klar, dass du bereits gefragt hast, richtig? So den Standard halt. Was ich von meiner Ehefrau erwarte und so weiter.«

»Komm schon, geh ein bisschen ins Detail. Sofia möchte dich bestimmt nicht tot sehen, weil du Aurora gesagt hast, dass ihr Kleid hübsch ist.«

Gabriele warf mir einen schrägen Blick zu. »Ich habe Aurora überhaupt keine Komplimente gemacht. Die ganze Situation nervt mich ebenso wie sie, also habe ich gedacht, es wäre besser, bei den harten Fakten zu bleiben. Ich habe ihr klargemacht, dass ich Gehorsam erwarte und Kinder. Abgesehen davon möchte ich eigentlich weitestgehend meine Ruhe haben.«

Ich starrte ihn verwirrt an. Eigentlich war ich derjenige von uns, der nicht gerade mit seinen Gefühlen im Einklang war und sie nur schwer verbalisieren konnte. »Ist dir klar, dass du ihr quasi mitgeteilt hast, dass du lediglich eine Brutstation in ihr siehst?«

Gabriele dachte nach. »So habe ich das aber nicht formuliert.«

»Davon bin ich überzeugt. Halt einfach ein Auge auf deine Braut, bevor sie eine Dummheit begeht.«

»Aurora scheint mir nicht der rebellierende Typ zu sein. Auf mich hat sie wie ein Lamm gewirkt. Ein biederes, langweiliges Lamm.«

»Ich komme nicht hinterher. Du magst deine Frauen doch sonst eher mit einem bisschen Feuer unter dem Hintern. Warum hast du ihr also gesagt, dass du absoluten Gehorsam verlangst?«

Er schaute mich an. »Du weißt, dass für Ehefrauen andere Maßstäbe gelten.«

Ich dachte an Aurora und verstand einfach nicht, was Gabrieles Problem war. Bevor ich ihn weiter verhören konnte, lehnte er sich zu mir: »Hat sonst jemand Sofias Vorschlag gehört?«

Mir kam Ludovica in den Sinn und dass ich Aurora versprochen hatte, sie nicht zu erwähnen. Hoffentlich machte ich damit keinen Fehler.

»Niemand, der von Bedeutung wäre. Ich habe Sofia rausgeschmissen und Aurora ins Gewissen geredet. Sie hat es verstanden.«

»Hoffentlich.« Er seufzte. »Sofia Cattaneo. Warum kann ich mich nicht erinnern, wie sie aussieht?«

»Weil du nicht auf Blondinen stehst.«

Er grinste. »Richtig. Aber sie klingt unterhaltsam.«

»Sie klingt in erster Linie wie die Schwester einer deiner Capo und nicht wie deine Verlobte.« Ich hörte selbst, wie streng ich klang.

Gabriele warf mir einen verdrießlichen Blick zu. »Du bist heute eine noch größere Spaßbremse als sonst. Ich geh mal lieber Davide und Gino suchen.«

KAPITEL2

AURORA

»Wir gehen in den Garten.« Sofia strahlte ihren Bruder an, als könnte sie kein Wässerchen trüben, während sie im gleichen Moment meinen Oberarm so fest packte, dass mir klar war, was sie mir mitteilen wollte.

»Oh ja.« Ich nickte. »Ein bisschen frische Luft ist jetzt genau das Richtige.« Mir klopfte das Herz bis zum Hals.

Doch ihr Bruder reagierte kaum. Er wedelte mit der Hand, um zu signalisieren, dass wir aufstehen sollten. Sofia zerrte mich mehr durch die Tür, als dass ich lief, und mit jedem Schritt wurden meine Knie weicher.

»Das ist verrückt«, wisperte ich. »Was ist, wenn wir erwischt werden?«

»Ich mache das schon seit fünf Jahren und bin noch nie erwischt worden. Ist es dir lieber, Il Mostro zu heiraten?«

»Natürlich nicht.« Mein Magen schrumpfte weiter in sich zusammen. Zu meiner akuten Panik mischte sich so eine Art existenzielle Angst, die ich schon die ganze letzte Woche nicht hatte abschütteln können. Nicht, seit Luca Delucci in mein Zimmer gekommen war.

Ich hatte gedacht, es wäre der Tiefpunkt gewesen, mit seinem Bruder und meinem zukünftigen Mann Gabriele reden zu müssen, aber er hatte wenigstens noch einen Funken Leben in den Augen gehabt. Luca hingegen …

Der Mann könnte genauso gut aus Eis geschnitzt sein. Es überraschte mich schon, dass er sein Wort gehalten und Ludovica nicht verraten hatte.

Egal, wie sehr die Männer versuchten, uns abzuschirmen, Gerüchte machten immer die Runde. Und alles, was ich über die Delucci-Brüder gehört hatte, reichte aus, um mir für den Rest meines Lebens Albträume und schlaflose Nächte zu bescheren.

Die Horrorgeschichten über die Brutalität und Gnadenlosigkeit der Brüder hatten mir mehr als einmal den Appetit verdorben. In einem schwachen Moment hatte ich zu Sofia gesagt, dass ich mich vielleicht noch damit hätte arrangieren können, Davide heiraten zu müssen. Er wirkte locker und offen, hatte immer ein charmantes Lächeln auf den Lippen.

Sofia hatte mich angeschaut, als hätte ich den Verstand verloren, bevor sie mir erklärte, dass die Männer, die am meisten lächelten, die brutalsten waren. Dann hatte sie mir ein Video von Davide gezeigt.

Ich hatte nicht gewusst, dass die Delucci-Brüder einen Klub namens Hitmen besaßen, in denen nachts unregulierte MMA-Kämpfe stattfanden – und auch nicht, dass die Brüder mit großem Vergnügen selbst kämpften. Mir war schlecht geworden, als ich zugesehen hatte, wie Davide das reinste Blutbad veranstaltete.

Nach Sofias Logik wäre ich wahrscheinlich mit dem Eisklotz Luca am besten dran, er hatte es nämlich bei unserer ersten und bisher einzigen Begegnung nicht einmal über sich gebracht, mich anzulächeln.

Doch um ehrlich zu sein, wollte ich mit keinem der Delucci-Männer irgendetwas zu tun haben. Deshalb riskierte ich auch Sofias und meinen Hals, indem ich zuließ, dass sie mir half.

»Okay, da sind wir auch schon.«

Vor dem großen Gewächshaus, das sich beinahe am Ende des Gartens befand, blieb sie stehen. Sie ließ ihren Blick langsam über das Grundstück schweifen, als würde sie die Aussicht genießen, aber ich wusste, dass sie bloß sichergehen wollte, dass uns niemand beobachtete.

Dann öffnete sie die Tür zum Gewächshaus und bedeutete mir, vorauszugehen. Mein Herzklopfen verstärkte sich, als ich den Mann an einem der Tische lehnen sah, auf denen sich das Werkzeug und die leeren Blumentöpfe stapelten.

Er schaute von seinem Handy auf, seine blauen Augen strahlten regelrecht und bildeten einen hübschen Kontrast zu dem rabenschwarzen Haar. »Das wurde auch Zeit«, sagte er mit dunkler Stimme.

»Aurora, das ist Alessandro.« Sofia deutete auf ihn, als wären seine muskulösen 1,90 Meter irgendwie zu verfehlen. »Alessandro, das ist Aurora.«

Zugegebenermaßen hatte ich im Laufe der Jahre viel über Alessandro gehört, weil er und Sofia als Kinder beste Freunde gewesen waren. Sein Vater hatte für eine andere Mafia-Familie gearbeitet, und als es zum Bruch zwischen den Familien gekommen war, hatte Alessandros Mutter beschlossen, umzuziehen, nachdem ihr Mann getötet worden war.

Sofia und Alessandro waren Freunde geblieben, was auf extrem vielen Ebenen problematisch war. Zum einen war es in unseren Kreisen nicht üblich, dass Mann und Frau schlicht befreundet waren – was ich absolut lächerlich fand. Doch viel schlimmer war die Tatsache, dass Alessandro fürs FBI arbeitete. Er hatte sich ganz eindeutig dagegen entschieden, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Was vermutlich gut war, wenn man bedachte, dass sein Dad tot war.

»Ich habe Aurora gesagt, dass du ihr bei der Flucht helfen kannst.« Sofia sah ihn hoffnungsvoll an.

»Kann ich.« Alessandro wirkte so ruhig und gelassen, dass ich tatsächlich versucht war, ihm zu glauben. Er schenkte mir ein mitfühlendes Lächeln. »Ich kann dich nach New York bringen. Dort lebt eine Freundin von mir, der ich vor ein paar Jahren geholfen habe, vor ihrem Stalker zu flüchten. Du kannst bei Joanne wohnen, bis du etwas Eigenes gefunden oder dich entschieden hast, ob du in den Staaten bleiben willst. Sie ist smart, hypervorsichtig und kann dir alles erklären – wie du dir neue Papiere besorgst und Unterlagen fälschen kannst, die du brauchst, wenn du beispielsweise studieren willst.«

Ich verschränkte die Arme und nickte zögerlich. Es klang zu gut, um wahr zu sein. Zwar hatte ich ein mulmiges Gefühl bei der Vorstellung, meine Familie einfach zu verlassen, doch die Alternative war weitaus schlimmer. Ich wollte Gabriele Delucci unter gar keinen Umständen heiraten. Sobald ich die Augen schloss, sah ich ihn mit seinem abweisenden Blick vor mir, wie er mir mit diesem eiskalten Ton in der Stimme erklärte, dass ich lediglich seine Kinder zur Welt bringen würde und mir darüber hinaus nichts erhoffen sollte.

Sofia vertraute Alessandro, und er nahm in regelmäßigen Abständen das absurd hohe Risiko auf sich, in den Garten eines gefährlichen Capo der Mafia einzubrechen, nur um mit einer seiner besten Freundinnen zu plaudern. Er wusste ganz offensichtlich, was er tat.

»Ich verstehe, dass du Bedenken hast. Wann soll die Hochzeit sein?« Alessandro studierte mein Gesicht.

Meine Kehle schnürte sich zu. Ich wollte ihm antworten, aber ich konnte nicht. Sobald ich nur an das Thema dachte, stiegen Tränen in meine Augen und ich war wie gelähmt.

»In fünf Monaten«, sagte Sofia an meiner Stelle.

»Okay.« Alessandro holte eine Visitenkarte aus seiner Hosentasche und reichte sie mir. »Überleg es dir einfach in Ruhe. Du kannst mich Tag und Nacht anrufen.«

»Danke.« Meine Hand zitterte, als ich die Karte entgegennahm, mit der ich mich unter gar keinen Umständen erwischen lassen sollte. Vermutlich war es besser, wenn ich die Nummern auswendig lernte und Special Agent Alessandro Bonis Karte danach wegwarf. Allerdings ahnte ich bereits, dass ich es wahrscheinlich aus Angst, die Nummer zu vergessen, nicht würde über mich bringen. Er war die einzige Option, die ich hatte.

»Kein Problem.« Er warf einen Blick auf sein Handydisplay. »Wenn ich nicht jetzt verschwinde, muss ich siebenundzwanzig Minuten bis zur nächsten Gelegenheit warten.«

»Natürlich, dann geh.« Sofia wedelte mit der Hand und strahlte ihn an.

Alessandro richtete sich auf, schob das Handy in seine Hosentasche und drückte Sofia kurz, bevor er meine Schulter berührte. »Halt die Ohren steif.«

Dann öffnete er die Tür vom Gewächshaus, schielte in den Garten und verschwand.

»Er ist lebensmüde, oder?«, fragte ich leise.

Sofia lachte. »Nein, an ihm ist ein begnadeter Kunstdieb verloren gegangen. Das ist im Grunde auch – vereinfacht dargestellt –, was er beim FBI macht. Er findet immer einen Weg rein, unabhängig davon, ob es sich um den Garten meines Bruders, das Versteck von Terroristen oder das abgeschottete Gebäude, das gerade Schauplatz einer Geiselnahme ist, handelt. Das ist einfach sein spezielles Talent.«

Wir warteten ein paar Minuten, bevor wir das Gewächshaus verließen und vorgaben, gemütlich durch den Garten zu spazieren. Auf den ersten Blick wirkte vermutlich alles normal, aber ich war mir der Tatsache bewusst, das dem eben nicht so war.

Hier patrouillierten in regelmäßigen Abständen Wachen, das Grundstück war von einer hohen Mauer umgeben und die ganzen Überwachungskameras halfen auch nicht. Ich hätte schon Probleme gehabt, auszubrechen – wie man von außen eindringen sollte, war mir ein Rätsel.

Ich beäugte die Mauer. »Wie macht er das bloß?«

»Er hat es mir mal erklärt. Ich hoffe, dass ich es richtig wiedergeben kann. Etwa da vorn auf Höhe des Baumes ist ein toter Winkel, den die Kameras nicht sehen können. Da sie sich in regelmäßigen Abständen bewegen und von rechts nach links schwenken, klettert er dann über die Mauer, wenn die Kamera vom toten Winkel wegschwenkt. Das gibt ihm sechs oder sieben Sekunden, um bis ins Gewächshaus zu kommen.«

»Verrückt.«

»Wenn du das verrückt findest, sollte ich dir wahrscheinlich nicht erzählen, dass er es auch ins Haus schafft, wenn er es darauf anlegt. Als ich drei Monate Hausarrest hatte, ist er manchmal in mein Zimmer gekommen. Ich glaube, sonst hätte ich vollkommen den Verstand verloren.«

Ich biss mir auf die Unterlippe. »Habt ihr mal … du weißt schon …« Meine Wangen färbten sich rot.

Sofia starrte mich aus aufgerissenen Augen an. »Igitt. Nein. Das wäre, als ob ich mit meinem Bruder …« Sie schüttelte sich.

Das Rot in meinen Wangen brannte heißer. »War ja nur eine Frage.«

»Nein, er ist einfach bloß mein bester Freund. Und du kannst ihm vertrauen. Alessandro ist wirklich einer von den Guten.«

Ich warf einen letzten Blick auf die Visitenkarte, bevor ich sie an dem einzigen Ort versteckte, den mein enges Etuikleid zuließ – in meinem BH.

KAPITEL3

LUCA

»Möchtest du vielleicht noch ein bisschen finsterer gucken?«, fragte Davide. »Man merkt gar nicht, wie sehr du solche Veranstaltungen verabscheust.«

Gino schüttete sich vor Lachen aus, als hätte mein jüngster Bruder den besten Witz aller Zeiten erzählt.

»Habt ihr nichts Besseres mit eurer Zeit zu tun, als mir auf die Nerven zu fallen?«, knurrte ich. Wir rangen uns alle ein gequältes Lächeln ab, weil die Gastgeberin, Mrs. Sabbitini an uns vorbeirauschte und uns anstrahlte. Sie hatte sich viel Mühe gegeben, um die Feier zum sechzigsten Geburtstag ihres Mannes zu einem besonderen Event werden zu lassen. Das wusste ich, da sie es mir erzählt hatte, kurz bevor sie mir unter bedeutungsschwangeren Blicken ihre älteste Tochter Bianca vorgestellt hatte. In solchen Momenten beneidete ich Gabriele, weil er inzwischen fein raus war. In vier Monaten würde er heiraten, die Verlobung war bereits durch, und niemand pries ihm mehr die Töchter des Hauses wie willige Zuchtstuten an. Mir war klar, was es für die Familien bedeutete, bei den Deluccis einzuheiraten, aber langsam wurden sie wirklich aufdringlich.

»Wir haben versucht, Gabriele zu nerven – er war nicht interessiert. Also …«, sagte Davide langsam.

»Als Teenager hat es immer funktioniert, wenn ich dir Geld gegeben habe, damit du mich in Ruhe lässt. Würde ich damit jetzt noch Erfolg haben?«

»Nein. Allerdings wäre ich nicht abgeneigt, wenn du mir dein neues Auto überlassen willst. Schickes Teil.« Davide grinste mich teuflisch an.

Ich zog den Schlüssel aus meiner Hosentasche und warf ihn meinem Bruder zu. »Wiedersehen macht Freude.«

Eigentlich war es mir sogar egal, ob sie wiederkamen, denn ich wollte bloß meine Ruhe, damit ich Aurora ungestört beobachten konnte.

Sie war auch hier und nach einer knappen Begrüßung hatte Gabriele sich von ihr abgewandt und sie einfach stehen lassen. Obwohl viele Gäste es mitbekommen hatten, wie unhöflich er sich verhalten hatte, schien Aurora erleichtert zu sein, sich nicht mit ihm unterhalten zu müssen.

Sie stand bei ihren Freundinnen und warf lediglich ab und zu Blicke in Richtung der Bar, wo Gabriele saß und über seinem Drink brütete. Ich hatte keine Ahnung, ob ich ihn lieber anschreien wollte, weil er sich so benahm, oder sie, da sie ihren Verlobungsring nicht trug. Dabei wusste ich nicht einmal, warum ich das überhaupt zur Kenntnis genommen hatte.

Die beiden sollten in vier Monaten heiraten und führten sich auf, als ob sie erst kürzlich geschieden worden wären.

Das Motto der Party war Dunkelblau und Gold gewesen – ich hatte es vergessen und erst wieder gemerkt, als mir aufgegangen war, dass nur ich Schwarz trug.

Aurora hatte ein hübsches, dunkelblaues Kleid an, das ihre cremige Haut gut zur Geltung brachte. Es war weder sonderlich kurz noch extrem ausgeschnitten, aber mir kam es vor, als wäre sie halb nackt. Ich starrte abwechselnd auf ihre schlanken Waden und die zierlichen Schlüsselbeine und fragte mich, wie ich dazu stand, sie als weibliches Wesen wahrzunehmen. Denn ich nahm sie sehr deutlich wahr. So deutlich, dass ich meinen Schwanz bereits hatte anherrschen müssen, gar nicht erst auf dumme Gedanken zu kommen. Es ging mich einen Scheißdreck an, welche Art von Unterwäsche meine zukünftige Schwägerin unter ihrem adretten Kleid trug.

Deshalb wusste ich auch, dass es eine beschissene Idee war, ihr aus dem Saal und in die Eingangshalle zu folgen. Vor den Gästetoiletten gab es eine kleine Nische mit Spiegel, in die Aurora sich zurückzog. Nachdem sie einen Blick auf ihr Handy geworfen hatte, zog sie einen Lippenstift hervor. Es irritierte mich, dass ihre Finger zitterten, obwohl sie vollkommen allein dort stand. Überhaupt wirkte sie fahrig und unruhig. Hatte die Begegnung mit Gabriele sie dermaßen aufgewühlt?

Ich sollte sie wahrscheinlich in Ruhe lassen, aber sie wirkte wie ein Magnet auf mich, und ich fand nicht die Kraft, ihr zu widerstehen.

Sie fuhr zusammen, als ich näher kam.

Mir lagen ein Dutzend Begrüßungen und höfliche Floskeln auf den Lippen, doch mein Gehirn verweigerte den Dienst, weshalb ich nur knurrte: »Warum trägst du deinen Verlobungsring nicht?«

Ihre blauen Augen weiteten sich, und sie wich einen Schritt vor mir zurück, obwohl ich nicht sonderlich nah bei ihr stand. »Wenn du damit den Ring meinst, den dein Bruder mir vermutlich hätte schenken sollen, liegt es wahrscheinlich daran, dass ich keinen bekommen habe.«

»Gabriele hat dir keinen Ring gegeben?«, wiederholte ich, weil ich meinen Ohren nicht traute. Legte mein Bruder es darauf an, zum Idioten des Jahres gewählt zu werden?

»Nein.«

Mein Blick fiel auf ihre Kehle und die zarte Stelle, an der ihr Puls jagte. »Du musst keine Angst vor mir haben.«

»Wenn du es sagst.« Ihre Stimme war kaum hörbar.

»Ich meine es ernst.« Ich machte einen weiteren Schritt auf sie zu. »Von mir droht dir keine Gefahr.«

Aurora brachte es nicht über sich, mich anzusehen. »Okay.«

Ich zerbrach mir den Kopf, wie ich ihr die Angst nehmen konnte, da es die Wahrheit war. Sie hatte wirklich nichts von mir zu befürchten. Ich verstand nicht, warum sie wie ein Reh im Scheinwerferlicht bebte.

Erst als sie scharf Luft holte und sich völlig versteifte, wurde mir klar, was ich getan hatte. Ihr Haar wirkte so unglaublich seidig, dass ich eine Strähne angehoben hatte und sie zwischen meinen Fingern rieb, weil ich herausfinden wollte, ob sie so weich war, wie sie aussah.

Ich zwang mich, wieder zurückzutreten. Das Haar glitt aus meinen Fingern, und ich wunderte mich, wohin meine sonst so gute Selbstbeherrschung verschwunden war. Bevor ich mich entschuldigen konnte, nutzte Aurora die Gelegenheit, schob sich an mir vorbei und flüchtete sich in die Sicherheit des Ballsaals mit den anderen Gästen.

Wie ein Idiot stand ich da, bis ich bemerkte, dass sie ihre Handtasche vergessen hatte. Wahrscheinlich sollte ich sie ihr bringen, aber meine Neugier war stärker. Ich öffnete die goldene Clutch, konnte jedoch nichts Interessantes finden. Ein Handy, Bonbons für frischen Atem, eine kleine Tube Handcreme, eine Puderdose, Lippenstift und zwei Tampons. Kein Verlobungsring, der mir bewiesen hätte, dass sie gelogen hatte und dass mein Bruder kein absolutes Arschloch war. Leider fand ich auch keinen Ratgeber, der mir verriet, was hinter Auroras hübscher Stirn vor sich ging.

Vielleicht sollte ich den Vermittler zwischen ihr und Gabriele spielen, bevor die Hochzeit in einer Tragödie endete. Die Idee sorgte für ein unbehagliches Gefühl in meiner Magengegend – vermutlich, weil ich instinktiv wusste, dass ich mich besser nicht einmischen sollte.

Ich wollte die Clutch schließen, aber das Handy hatte sich unter dem Rahmen verkeilt, sodass ich das blöde Ding nicht zubekam. Als ich das Telefon zur Seite schob, streifte ich etwas Unförmiges hinter dem Futter der Tasche. Ich brauchte einen Moment, um die Stelle zu finden, an der die Naht im Stoff aufgetrennt worden war, bevor ich das Stück Pappe hervorziehen konnte.

Meine Laune stürzte ins Bodenlose, da ich die Visitenkarte eines gewissen Special Agent Alessandro Boni in der Hand hielt. Was zur Hölle hatte Aurora mit einem FBI-Agenten zu schaffen?

Ich war zu rational, um direkt in Wut zu geraten und sie vor allen anderen Gästen zu konfrontieren. Stattdessen holte ich mein Handy hervor, machte ein Foto von der Visitenkarte und schob sie anschließend zurück in das Futter.

Mein Instinkt sagte mir, dass Aurora mir niemals die Wahrheit verraten würde, und mein Bruder … Nein. Gabriele würde ausflippen. Ich musste selbst herausfinden, was dahintersteckte, bevor ich entschied, was zu tun war.

Da mein Bruder offensichtlich nicht das geringste Interesse an seiner Verlobten hatte, blieb es an mir hängen, ein Auge auf sie zu haben.

Und danach würde ich sie fragen, ob ich mich wirklich so unklar ausgedrückt hatte, als ich ihr gesagt hatte, dass sie keine verdammte Dummheit machen sollte.

Ich hatte ihre Tasche gerade zurückgelegt, als hinter mir energische Schritte begleitet vom Klicken der Absätze näher kamen. Aurora hatte den blonden Teufel geschickt, um ihre Tasche zu holen.

Sofia funkelte mich wortlos an, schnappte sich die Clutch und rauschte davon. Offensichtlich war ich nicht einmal eine spitze Bemerkung wert. Ich fragte mich, ob Aurora ihr von meinem Fauxpas erzählt hatte. Es interessierte mich eigentlich nicht. Ich war bloß … neugierig.

Mit einem Seufzen kehrte ich in den Ballsaal zurück.

* * *

Ich hockte zwei Stunden neben Gabriele an der Bar, in denen wir nur das Nötigste miteinander redeten. Es war offensichtlich, wie schlecht gelaunt er war, und meine eigene Laune war auch schon besser gewesen. Ich hockte bloß hier, damit Aurora dachte, ich würde ihr den Rücken zuwenden und nicht auf sie achten. Dabei beobachtete ich sie in der Spiegelung der gigantischen Magnum-Champagner-Flasche, die hinter der Bar zur Dekoration aufgebaut worden war.

Als ich sah, wie sie irgendwann begann, sich langsam durch den Raum auf die Gartentür zuzubewegen, tippte ich Gabriele an. »Gib mir mal deine Autoschlüssel.«

»Was? Wieso sollte ich das tun?«

»Ich brauche ein Auto und habe meine Schlüssel Davide gegeben.«

Gabriele zog eine Augenbraue hoch. »Und das ist mein Problem, weil …?«

»Glaub mir einfach, wenn ich dir sage, dass es unter Umständen ein verfickt riesiges Problem werden könnte. Vertraust du mir?«

Er murmelte einen Fluch und gab mir den Schlüssel zu seinem geheiligten Mercedes. »Ein Kratzer und du bist tot.«

»Ich fahre tausendmal besser als du.«

Noch während er mir den Mittelfinger zeigte, signalisierte er dem Kellner, dass er einen weiteren Drink wollte.

Statt Aurora durch den Garten zu folgen, in den sie sich inzwischen vorgearbeitet hatte, verließ ich das Haus durch die vordere Tür und wartete, bis der Valet mir den Wagen brachte.

Ich parkte einfach an der nächsten Straßenecke und staunte nicht schlecht, als die kleine Rebellin über die Mauer des Anwesens kletterte. Sie wirkte vollkommen aufgelöst, strich ihr Kleid glatt und schaute sich suchend um.

Die Scheinwerfer eines alten Fords, auf den ich keinen zweiten Blick verschwendet hätte, flammten auf. Aurora überquerte die Straße, stieg in den Wagen und setzte sich auf den Beifahrersitz.

»Oh, Prinzessin«, murmelte ich. Mit zwei schnellen Klicks schickte ich das Foto der Visitenkarte an Affiano, unseren Spezialisten, wenn es darum ging, möglichst schnell möglichst viele Informationen aufzutreiben.

Es war nicht das erste Mal, dass ich jemandem folgte, doch bisher war ich merkwürdigerweise nicht so nervös gewesen. Es gab so viele Möglichkeiten, was Auroras Verhalten bedeuten konnte.

Die wahrscheinlichste war in meinen Augen, dass sie im Begriff war, zu flüchten, und ganz offensichtlich jemanden hatte, der ihr half. Da der Ford zu weit weggestanden hatte, wusste ich nicht, wer hinter dem Steuer saß. Es würde mich nicht überraschen, wenn Aurora gemeinsam mit Sofia Cattaneo auf der Flucht war.

Ich versuchte mich zu erinnern, wo Sofia gewesen war, als ich den Raum verlassen hatte. Da ich nur auf Aurora fixiert gewesen war, hatte ich nicht auf die blonde Hexe geachtet.

Ich musste ihrem Bruder unbedingt raten, Sofia Hausarrest zu erteilen. Oder sie auf eine einsame Insel zu verbannen.

Wir waren knapp eine Stunde unterwegs, bevor der Wagen an einer Tankstelle hielt. Ich überlegte die ganze Zeit, wie weit ich die Flucht der beiden voranschreiten lassen wollte, bevor ich dieses sinnlose Unterfangen beendete und die beiden an den Haaren nach Hause schleifte. War ihnen eigentlich klar, wie leichtsinnig sie sich verhielten? Aurora und Sofia hatten nicht die geringste Ahnung, was ihnen blühte, sollten sie einem unserer Feinde in die Hände fallen.

Als der Wagen stand, stieg Aurora aus, und zu meinem Entsetzen entpuppte sich der Fahrer nicht als Sofia, sondern als ein fremder Mann.

Ich schätzte ihn etwas jünger als mich ein, eher in Davides Alter. Es war weder zu leugnen, dass er attraktiv war, noch wie erleichtert Aurora ihn anlächelte. Er öffnete die hintere Tür, holte eine Reisetasche heraus und reichte sie Aurora, während er in die Richtung hinter ihr gestikulierte.

Ich packte das Lenkrad unwillkürlich fester, als sie ihn anstrahlte. Sie wirkte längst nicht so verängstigt wie in meiner Gegenwart. Wer zum Teufel war der Kerl?

Hatte sie etwa einen Geliebten? Alle Zeichen deuteten darauf. Ich presste die Zähne aufeinander, lehnte mich nach rechts und öffnete das Handschuhfach. Gabriele bewahrte dort grundsätzlich eine geladene Pistole auf und auch heute wurde ich nicht enttäuscht. Ich warf einen Blick ins Magazin, bevor ich meine Aufmerksamkeit wieder auf den Fremden richtete. Mir war rein rational klar, dass ich ihn nicht am helllichten Tag mitten in der Öffentlichkeit erschießen konnte – auf der anderen Seite war ich ein Delucci und wir befanden uns in Chicago. Ich konnte es einfach darauf ankommen lassen, wenn es sein musste.

Doch mehr als alles andere verfluchte ich Gabriele. Aurora gehörte ihm, und statt sie zu beschützen oder wenigstens zu bewachen, ignorierte mein Bruder sie, sodass es an mir hängen blieb, sie zurückzuholen.

Mein Handy piepte mit einer E-Mail von Affiano, die ich sofort öffnete. Ich fühlte mich wie ein Idiot, weil ich die Verbindung nicht direkt gesehen hatte.

Der Kerl, der offensichtlich vorhatte, Aurora von uns wegzubringen, war niemand anderes als Special Agent Alessandro Boni – der Mann, dessen Karte meine kleine Prinzessin in ihrer Clutch gehabt hatte.

Nicht meine kleine Prinzessin, verbesserte ich mich mit gerunzelter Stirn. Gabrieles Prinzessin.

Er tankte den Wagen, ging zur Kasse und kaufte ein paar Snacks, als wäre er im Begriff, zu einem gemütlichen Roadtrip aufzubrechen. Als Aurora zurückkam, hatte sie das elegante Kleid gegen eine Jeans und einen Hoodie getauscht.

Alessandro Boni grinste sie an, sagte etwas und brachte sie damit zum Lachen. Sie strich verlegen ihr Haar zurück und ihre Erwiderung entlockte wiederum ihm ein Lachen. Mir wurde schlecht vom Zusehen. In dieser Sekunde war für mich klar, dass ich das ganze Theater entschieden zu lang mitgemacht hatte.

KAPITEL4

AURORA

Mit jeder Meile, die wir uns vom Haus der Sabbitinis entfernten, beruhigte mein Puls sich etwas mehr. Trotzdem zitterte ich immer noch am ganzen Körper und konnte keinen Atemzug nehmen, ohne mich zu fragen, ob ich das Richtige getan hatte.

»Ist alles okay?«, fragte Alessandro nicht zum ersten Mal.

»Ich … Es … Also …« Ich brach ab und wischte mir mit beiden Händen durchs Gesicht. »Momentan bin ich sehr überfordert.«

Um ehrlich zu sein, hatte ich meine Entscheidung mehr als einmal hinterfragt und hätte beinahe gekniffen. Als ich losgegangen war, um meine Lippen nachzuziehen und meine Nase zu pudern – damit auch ja keiner der anwesenden Männer bemerkte, dass Frauen nicht die ganze Zeit perfekte Puppen waren –, hatte ich mit dem Gedanken gespielt, meine Flucht abzusagen. Veränderungen waren schwer und kosteten Mut. Mut, den ich nicht hatte. Allerdings hatte ich ihn aufgebracht, nachdem Luca Delucci mir aufgelauert hatte.

Ich wusste wirklich nicht, welches verdammte Problem der Kerl eigentlich hatte. Warum ignorierte er mich nicht auf die gleiche kalte Weise, wie es sein Bruder tat, der immerhin mein Verlobter war? Sobald Luca in der Nähe war, fühlte ich mich, als würde ich mitten im Ozean auf der Stelle schwimmen, während ein Hai mich umkreiste. Und dann hatte er mich auch noch angefasst. Okay, es waren nur meine Haare gewesen, aber trotzdem. Er hatte kein Recht, mich anzufassen – schon gar nicht, wenn ich bedachte, dass ich einem anderen Mann versprochen war. Seinem Bruder zu allem Überfluss.

Alessandro berührte meine Schulter und drückte sie leicht. »Das geht vorbei. Es ist klar, dass dir im Moment alles wie eine dumme Idee erscheint. Denk nicht an die nächsten paar Stunden oder Tage, denk an die Alternative.«

Für ein paar Sekunden schwebte Lucas Gesicht mit den kalten Augen und den zusammengekniffenen Lippen vor mir, ehe ich zwinkerte und Gabrieles abweisende Miene vor mir sah. Nein, das wollte ich nicht für den Rest meines Lebens sehen.

Mir blühte ein Leben gefangen in den eigenen vier Wänden, wo ich alle zwei bis zweieinhalb Jahre gezwungen wäre, mit Gabriele Sex zu haben, bis ich schwanger war. Und das so lang, bis er entschied, dass er genug Erben hatte. Danach würde ich mich darum kümmern dürfen, meine Tochter oder Töchter darauf vorzubereiten, das gleiche Schicksal wie ich anzutreten.

Meine Entschlossenheit wuchs, und ich warf einen Blick auf den Tacho, wünschte mir, dass Alessandro schneller fuhr.

Der kalte Klumpen in meinem Bauch schmolz ein wenig. »In Ordnung. Ich versuche es.«

»Sofia hat gesagt, du bist stark, und ich glaube ihr. Den schlimmsten Schritt hast du hinter dir. Die Entscheidung zu treffen, die du getroffen hast, das ist der härteste Akt.«

Ich nickte und wollte ihm glauben, aber das ungute Gefühl ließ nur langsam nach. Manchmal warf ich Alessandro verstohlene Blicke zu und fragte mich, ob er in Wahrheit andere Motive hatte, mir zu helfen. Bisher hatte ich nur mit wenigen Männern zu tun gehabt, die nicht zu meiner Familie gehörten und damit zur Mafia. Ich wusste so gerade eben, wie ein Einkaufszentrum von innen aussah, aber ich war nie allein unterwegs gewesen. Die Vorstellung, einfach so unerkannt durch New York spazieren zu können, ohne Bodyguard oder kritischen Aufpasser, überforderte mich vollkommen. Ich war nicht dumm, doch möglicherweise war ich naiv, weil ich keine Erfahrungen hatte. Wie sollte ich unterscheiden, wer mir Böses wollte und wer nicht?

»Da liegt ein trauriger Zug um deine Augen, der mir gar nicht gefällt«, sagte Alessandro und bog unerwartet links ab.

»Ist alles okay?«, fragte ich alarmiert.

»Uns folgt schon eine Weile ein dunkler Mercedes, zwar mit Abstand, aber ich will auf Nummer sicher gehen.« Alessandro hielt den Rückspiegel im Auge. »Alles klar, er ist weg.« Dann wendete er und brachte uns wieder auf die ursprüngliche Route.

»Ich bin nicht traurig, also schon ein bisschen. In erster Linie bin ich besorgt. Was ist, wenn ich nicht für das Leben in freier Wildbahn geeignet bin?«

Alessandro neigte den Kopf, als würde er den Einwand verstehen. Es tat überhaupt gut, mal mit jemandem zu reden, der mich weder wie ein lästiges Anhängsel noch wie eine hübsche Brutmaschine behandelte.

»Joanne kann dir da sicher helfen. Sie hat ein exzellentes Gespür für Menschen.«

»Klingt gut. Davon könnte ich wahrscheinlich ein bisschen was gebrauchen.«

»Ich mache mir da keine Sorgen, wenn du mit Sofia klarkommst.« Er lachte und behielt wieder den Rückspiegel im Auge.

»Bist du in sie verliebt?« Ich hatte nicht fragen wollen, mein Mund war lediglich schneller als mein Verstand.

Zu meiner Erleichterung lachte Alessandro bloß lauter und schüttelte den Kopf. »Nein. Ich glaube, ich würde sie nach spätestens einer Stunde erwürgen, weil sie ihre Klappe nicht halten kann. Sie ist eine meiner besten Freundinnen, doch die Vorstellung behagt mir überhaupt nicht. Falls Sofia mal einen Mann will, braucht der Kerl Nerven wie Drahtseile.«

»Und vielleicht eins dieser Halsbänder, die eigentlich verboten gehören, weil sie innen Stachel haben.«

»Gute Idee. Wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass selbst so ein Ding Sofia auf Dauer bändigen würde.«

Ich grinste bei der Vorstellung. »Nichts und niemand kann sie bändigen.«

»Kleine Planänderung. Wir halten gleich an einer Tankstelle, und du ziehst dich um, während ich einen Kumpel anrufe, damit wir Autos tauschen können. Der Mercedes ist zurück. Er hält mehr Abstand, was mir sagt, dass mein Verdacht richtig ist.«

»Muss ich mir Sorgen machen?«

»Vermutlich nicht. Ich kann das Nummernschild nicht sehen, und die Scheibe ist getönt, sodass ich nicht sicher bin, ob es überhaupt der gleiche Wagen ist. Aber ich habe Sofia versprochen, dich in Sicherheit zu bringen, deshalb bin ich lieber vorsichtiger als nötig.«

Ich warf einen Blick auf den Rücksitz, wo eine fertig gepackte Reisetasche stand, in der sich auch ein bisschen Bargeld befand. Um daran zu kommen, hatte ich ziemlich kreativ werden müssen. Innerhalb der letzten Wochen hatte ich immer kleine Schmuckstücke und Designertaschen zu Sofia geschmuggelt. Sie hatte die Sachen im Gewächshaus versteckt, von wo Alessandro sie geholt und verkauft hatte. Nun hatte ich eine neue, praktischere Garderobe und ein bisschen Geld für meinen Neuanfang.

»Die Sachen sind gewaschen, falls du dich das fragst. Ich hoffe, du magst Meeresbrise. Ich habe nicht daran gedacht, ein neues Waschmittel zu kaufen.« Alessandro zwinkerte mir zu.

»Meeresbrise klingt gut.«

Er steuerte die nächste Tankstelle an, wie er es versprochen hatte. »Der Mercedes ist vorbeigefahren, aber sobald er über die Kreuzung ist, könnte er problemlos wenden, ohne dass wir ihn sehen.« Er holte die Tasche vom Rücksitz und reichte sie mir. »Dort drüben.«

Ich folgte seinem ausgestreckten Arm mit dem Blick und sah das Schild, auf dem stand, dass sich die Waschräume auf der Rückseite des Gebäudes befanden.

»Bis gleich.« Ich betete, dass er noch da war, wenn ich zurückkam, und es sich nicht etwa in der Zwischenzeit anders überlegt hatte. Sollte die Sache mit dem Mercedes etwa eine Ausrede gewesen sein? Ich selbst hatte das Auto nie gesehen.

Wie kam ich nach New York, wenn Alessandro sich aus dem Staub machte? Existierte seine ominöse Joanne überhaupt?

Mir wurde klar, dass ich mich aus Angst immer weiter in meine Sorgen hineinsteigerte. Sofia vertraute Alessandro, und mein Bauch sagte mir, dass ich es auch konnte.

Als ich die Tür zur Toilette öffnete, verzog ich das Gesicht. Mir schlug eine Mischung aus Chlor und Urin entgegen, die sich beißend den Weg in meine Nase bahnte. Egal, für ein paar Minuten würde ich es überleben. Entweder das oder meine Tochter würde hier in guten zwanzig Jahren über die gleichen Fragen grübeln wie ich.

Es tat weh, wenn ich an meine Mutter dachte, und ich wollte nicht, dass meine Kinder mal so über mich dachten. Ich wollte schon Kinder, nur vielleicht mit einem Ehemann, der mich liebte und nicht aus beruflichen Gründen ständig Leute umbrachte. Ich wollte jemanden, für den ich mehr als eine Trophäe aus der richtigen Familie war. Und Gabriele Delucci wirkte nicht einmal, als wäre ich eine Trophäe, sondern der verdammte Trostpreis.

Meine Mutter hatte ihr Bestes gegeben, das wusste ich, aber sie hatte nie versucht, die Heirat zu unterbinden. Im Gegenteil. Sie war stolz, dass mein hübsches Gesicht und die festen Brüste direkt den besten Hengst im Stall gelandet hatten. Viele meiner Freundinnen beneideten mich um Gabriele. Sofia sagte immer, dass die Armen es nicht besser wussten, weil sie zu viele Gehirnwäschen abbekommen hatten. Unser Lebensentwurf musste wesentlich leichter zu ertragen sein, wenn man nicht selbstständig dachte.

Ich verriegelte die Tür hinter mir, öffnete die Tasche und entschied mich für eine dunkle Jeans und einen rosafarbenen Hoodie. Wahrscheinlich hatte Sofia meinen Kleidungsstil als »mädchenhaft und verspielt« bezeichnet, weil ich gern Rosa, Pink und Pastellfarben mochte. Ich hatte nie zuvor eine Jeans getragen. Die Garderobe, die meine Mutter mir gestattete, bestand aus Röcken, Blusen, Kleidern und Kostümen. Abgesehen von den seidigen Pyjamahosen war ich mir nicht einmal sicher, ob ich sonst noch Hose zu Hause im Schrank hatte. Ich schluckte bei dem Gedanken, nicht mehr nachschauen zu können. Wenn mein Plan aufging, würde ich weder meine Familie noch das Haus je wiedersehen. Man stieg nicht einfach aus der Mafia aus. Entweder man starb oder man wurde umgebracht, aber man spazierte nicht schlicht und ergreifend davon.

Der Pullover war weich und warm, die Jeans ungewohnt eng, aber nicht schlecht. Ich wühlte in der Tasche, bis ich das Paar Turnschuhe fand, von dem Alessandro auch gesprochen hatte. Und Socken. Ich brauchte Socken.

Als ich mich wieder aufrichtete, schien mir ein anderer Mensch aus dem Spiegel entgegenzublicken. Sofia wäre wahrscheinlich stolz auf mich.

Aus einer Laune heraus drehte ich den Wasserhahn auf, um mir das Make-up abzuwaschen. Ich hasste es sowieso, mir ständig das Gesicht zukleistern zu müssen.

Ich fühlte mich ein klein wenig besser, als ich das Kleid ordentlich zusammengefaltet und mit den Schuhen in der Tasche untergebracht hatte. Die High Heels waren von Louboutin und ich hatte sie nur heute getragen – sicherlich konnte ich sie verkaufen. In der nächsten Zeit würde ich alles an Geld gebrauchen können, das ich in die Finger bekam.

Alessandro wartete am Wagen. »Gute Nachrichten – kein Mercedes. Oder zumindest habe ich keinen gesehen. Wir fahren jetzt trotzdem in ein Parkhaus nur ein paar Straßen von hier und tauschen die Autos. Du bekommst sicherheitshalber die Joanne-Deluxe-Behandlung.«

»Das klingt ehrlich gesagt nicht, als würde ich es wollen.«

Alessandro lachte. »Smartes Mädchen. Wir haben Joanne im Kofferraum versteckt, als wir die Stadt verlassen haben, nur für den Fall, dass ihr Stalker die Verkehrsüberwachungskameras überprüft. Nichts für ungut, aber die Deluccis sind ein Gegner, mit dem man sich lieber nicht anlegt.«

»Ich habe kein Problem mit dem Kofferraum.« Das stimmte nur so halb, aber wenn er es für sicherer hielt, würde ich mich fügen.

»Gut, dann steig ein.« Er umrundete den Wagen und nahm mir die Tasche ab, um sie auf den Rücksitz zu legen, als wäre ich aus Glas und könnte nichts selbst machen. Die Tür fiel ins Schloss und Alessandro packte meinen Arm. »Fuck!«

Ich hob den Blick und spürte, wie das Blut aus meinem Gesicht wich, weil Luca Delucci auf uns zumarschierte. Er wirkte wie ein Racheengel oder ein Verbündeter des Teufels, weil er ganz in Schwarz gekleidet war, und sein angepisster Gesichtsausdruck half nicht unbedingt dabei, diesen Eindruck zu mildern.

Ich wollte noch in der gleichen Sekunde in Tränen ausbrechen, weil ich Alessandro in Gefahr gebracht hatte.

Luca streckte bereits die Hand nach mir aus, als Alessandro mich hinter seinen Rücken zog und sich zwischen mich und meinen zukünftigen Schwager stellte. Natürlich hatte Gabriele sich nicht selbst herbemüht – er schickte mir lieber den Eisklotz hinterher.

»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Alessandro liebenswürdig.

»Mischen Sie sich nicht in Dinge ein, die Sie nichts angehen, Special Agent Boni«, knurrte Luca.

Meine Knie wurden weich, weil Luca längst wusste, wer Alessandro war. Er kannte seinen Namen. Tränen brannten in meinen Augen. Das war nicht gut, oder?

»Ich mische mich in gar nichts ein. Aber als ich das letzte Mal nachgesehen habe, war meine liebreizende Begleiterin volljährig und durchaus in der Lage, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.«

Rein technisch gesehen hatte Alessandro natürlich recht, doch in der Realität sah das Ganze ein wenig anders aus.

»Das mag sein«, erwiderte Luca kalt und würdigte mich keines Blickes. »Allerdings vertraue ich darauf, dass Aurora klug genug ist, die richtige Entscheidung zu treffen. Spielen wir das Szenario doch kurz durch und tun wir so, als gäbe es eine Version, in der ich Aurora mit Ihnen gehen lasse. Über kurz oder lang wird mein Bruder, den Aurora heiraten soll, bemerken, dass sie verschwunden ist, und sie suchen. Nun bin ich mir nicht sicher, wer genau ihr bei der Flucht geholfen hat, aber ich würde vermuten, dass es dieses blonde Miststück Sofia Cattaneo war – die wir in diesem Fall zuerst befragen müssten.«

Bei der Erwähnung von Sofias Namen versteifte Alessandro sich, trotzdem war ich beeindruckt davon, wie ruhig er blieb und dass er sich nicht provozieren ließ.