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Micah ist schon lange Teil der Escort-Familie im Haven Hotel und übernimmt häufig die Rolle des Streitschlichters – dabei hat er selbst ein aufbrausendes Temperament, das er allerdings fest im Zaum hält, damit nicht wieder eine Katastrophe passiert. Als ihm eines Nachts noch spät ein Kunde zugeteilt wird, der sich mit einem offensichtlich falschen Namen vorstellt, ahnt Micah nicht, wie sehr diese Begegnung sein Leben verändern wird. Fox steht an einem Scheideweg und die Belastung ist so groß, dass er es kaum noch aushält. In Micah findet er nicht nur eine Schulter zum Anlehnen, sondern so viel mehr als erhofft. Doch er will dem liebenswerten Mann seine Probleme nicht aufbürden. Das Schicksal aber hat andere Pläne und Micah könnte für Fox genau der Anker sein, den er in seiner turbulenten Situation braucht… Band 3 der "The Haven"-Reihe. Buch ist in sich abgeschlossen.
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Seitenzahl: 307
Deutsche Erstausgabe (ePub) Juli 2023
Für die Originalausgabe:
© 2021 by Stella Shaw
Titel der Originalausgabe:
»Micah«
Published by Arrangement with Stella Shaw
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© 2023 by Cursed Verlag
Inh. Julia Schwenk
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,
des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung
durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit
Genehmigung des Verlages.
Bildrechte Umschlagillustration
vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock; AdobeStock
Satz & Layout: Cursed Verlag
Covergestaltung: Hannelore Nistor
Druckerei: Amazon KDP
Lektorat: Martina Stopp
ISBN-13: 978-3-95823-998-2
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www.cursed-verlag.de
Aus dem Englischen von Ray Celar
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Klappentext:
Micah ist schon lange Teil der Escort-Familie im Haven Hotel und übernimmt häufig die Rolle des Streitschlichters – dabei hat er selbst ein aufbrausendes Temperament, das er allerdings fest im Zaum hält, damit nicht wieder eine Katastrophe passiert. Als ihm eines Nachts noch spät ein Kunde zugeteilt wird, der sich mit einem offensichtlich falschen Namen vorstellt, ahnt Micah nicht, wie sehr diese Begegnung sein Leben verändern wird.
Fox steht an einem Scheideweg und die Belastung ist so groß, dass er es kaum noch aushält. In Micah findet er nicht nur eine Schulter zum Anlehnen, sondern so viel mehr als erhofft. Doch er will dem liebenswerten Mann seine Probleme nicht aufbürden. Das Schicksal aber hat andere Pläne und Micah könnte für Fox genau der Anker sein, den er in seiner turbulenten Situation braucht…
Micah
Was auch immer Leute über Escorttätigkeiten denken mögen, es ist nur selten langweilig.
Aber an einem weiteren ruhigen Montagabend war ich mir da nicht so sicher. Der Besitzer, Rick, und ich waren die Einzigen in der Lobby des Haven Hotels. Er besetzte die Rezeption, während ich nicht ganz so lässig dagegen gelehnt stand. Ich hatte nichts anderes zu tun, außer hier in meinen Skinny Jeans und dem eng anliegendem Mesh-Top zu stehen, zuzusehen, wie die Uhr langsam auf neun Uhr zu tickte und anzunehmen, dass niemand so spät am Abend hier auftauchen würde, weil er hoffte, zufällig jemanden buchen zu können. Außerdem war Rick wirklich kein Fan von Spontankunden, weshalb es so aussah, als würde das wieder ein Abend ohne Einnahmen für mich werden.
Noch hatte ich keine Geldsorgen, aber das Monatsende rückte näher. Mama war noch immer auf der Suche nach einem neuen Job, während Jaden Schulbücher und Naomi neue Schuhe brauchte. Und das war noch, bevor ich die Miete für meine schäbige WG bezahlt hatte. An meinem nächsten Geburtstag wurde ich 25 und manchmal hatte ich das Gefühl, die Geldsorgen von jemandem zu haben, der doppelt so alt war wie ich.
Ich atmete tief durch und überlegte, ob ich Rick fragen sollte, ob sein Partner irgendeinen Bürojob hatte, bei dem ich mir etwas dazuverdienen konnte. Eliot führte oben von Zimmer fünf aus eine Firma für Unternehmensdienstleistungen. Ich hatte zwar nicht viel Erfahrung mit der Arbeit in einem Büro, aber ich lernte schnell…
»Nimm deine dreckigen Pfoten von ihm!«
Als wir den Ausruf hörten, drehten Rick und ich uns beide um, um den Gang entlang zur Treppe zu schauen. Das war Liams Stimme gewesen, die ein Stockwerk höher erklungen war, und sie war so deutlich, dass er nicht mehr in seinem Zimmer sein konnte.
»Was zur Hölle ist da los?« Rick runzelte die Stirn.
»Soll ich nachsehen gehen?« Wir hatten hier im Hotel nicht oft Probleme, was vielleicht der Grund war, warum wir nicht sofort in Panik ausbrachen. Das lag zum Teil daran, weil Rick und Eliot jeden überprüften, der anrief und jemanden buchen wollte, und zum Teil daran, dass die meisten von uns einen sechsten Sinn für Unruhestifter entwickelt hatten. Rick würde eingreifen, wenn eine härtere Hand vonnöten war. Und ich griff manchmal ein, wenn Diplomatie gefragt war. Es schien so, als wäre ich gut darin, die Wogen zu glätten.
Ich hatte mehr als genug Übung darin, aber das war eine andere Geschichte…
»Ja, vielleicht solltest du…«
Ein Krachen von Möbeln, die umgeschmissen wurden, ertönte und schwere, taumelnde Schritte erklangen im Stockwerk über uns. Ein weiterer, unverständlicher Ruf erklang, gefolgt von einer Reihe schmerzhafter Aufschläge, die uns beide zusammenzucken ließen.
Rick war binnen Sekunden von seinem Platz aufgesprungen und vor die Rezeption geeilt, aber ich war leichter und schneller als er und rannte bereits den Flur entlang in Richtung Treppe. Ich hörte auf dem Absatz über uns einen dumpfen Aufprall, dann ein Klatschen und ein Rufen. Die zweite Stimme kannte ich auch.
Ich hielt inne, kurz davor, die Treppe zwei Stufen auf einmal nehmend hochzurennen und drehte mich zu Rick um. »Warum ist Tom da oben? Er hätte heute früh Feierabend machen sollen.«
Rick blinzelte heftig. Ich schätzte, meine Stimme war viel zu laut. »Er war auf dem Weg nach Hause, als dieser Typ angekommen ist. Du warst mit Arne in der Küche, als ich den Termin gemacht habe.«
»Laufkundschaft?«
Rick verzog das Gesicht. »Nicht wirklich. Er hat schon mal im Hotel angerufen, also hatten wir die Zeit, die üblichen Hintergrundkontrollen durchzuführen. Aber er hatte keinen festen Termin für heute vereinbart, sondern ist einfach aufgetaucht. Er hat einen Dreier erwähnt und ich wollte ihm sagen, dass das im Vorhinein vereinbart werden muss. Aber Liams Kunde ist nicht aufgetaucht, also wollte er den Job und Tom hat angeboten, mitzumachen.«
Tom, du verdammter Idiot. Ja, ich übernahm ab und an Dreier. Aber nur mit Tom, damit ich ein Auge auf die Sache haben konnte, und er sollte umgekehrt eigentlich auch nur Dreier mit mir haben. Den Kunden gefiel der Kontrast zwischen uns, meine dunkle Haut, Toms blondierter, blasser Look. Aber bei drei Persönlichkeiten in einem Raum bestand immer die Chance, dass etwas schiefging.
Ich nahm den Rest der Stufen in Sekunden und Rick war mir dicht auf den Fersen. Auf dem Gang vor Zimmer vier gab es eine Rauferei, die Luft war erfüllt von Grunzen, Schlägen und einem Knirschen, als jemand gegen die Wand krachte.
Ein Chaos ausmännlichen Gliedmaßen. Liam, Tom und ein dunkelhaariger, korpulenter Mann. Der Kunde trug nur seine Unterhose, während Liam einen Harnessüber seinem tätowierten Oberkörper, einen ledernen Jockstrap und Bikerstiefel trug, aber es sah aus, als wäre Tom nackt. Er war unter dem schweren Mann eingeklemmt und keuchte, während Liam einen Arm um den Hals des Mannes geschlungen hatte und versuchte ihn wegzuziehen. Tom hatte es definitiv amschlimmsten getroffen.
Ich schaute zur Treppe, die weiter nach oben zu den Zimmern sieben und achtführte. Die Türzu Zimmeracht stand weit offen. Es war das einzige Zimmer für Escorts auf der Etage und Liam spielte gerne dort oben.
Was war heute passiert? Eine weggeworfene Augenbinde hing über dem Geländer, ein Seil über der obersten Stufe. Einer von Toms roten Lieblings-High-Heels lag verkehrt herum auf halbem Weg nach oben auf der Treppe. Oder war es auf halbem Weg nach unten. War er gestürzt?
Rick drängte sich ins Gemenge. Er packte den Kunden am Arm und zerrte ihn von Tom herunter. »Schluss damit! Habt ihr mich gehört?«
Liam sackte gegen den Türrahmen von Zimmer vier, sein Gesicht schweißbedeckt, während sich seine Brust rapide hob und senkte. Er hielt seinen Bauch umklammert, als würde er wehtun.
Ich hatte nur Augen für Tom. Meinen besten Freund.
»Der Drecksack hat sich nicht an die Regeln gehalten«, sagte Liam abgehackt atmend zu Rick.
»Welche verdammten Regeln?« Der Mann kämpfte wütend gegen Ricks Griff an.
Er war mittleren Alters, hatte dunkle Augen und die Züge um seinen Mund waren hart und grausam. Obwohl sein Haar zerzaust war, konnte ich den teuren Haarschnitt erkennen. Geld und Arroganz. Ein mögliches Rezept für Ärger.
»Ich bin der verdammte Kunde, ich kann tun, was ich will.«
»Hier können Sie das nicht und schon gar nicht in einer vorher abgestimmten Szene«, knurrte Rick. »Wir müssen alle sicher sein.«
Der Klient schnaubte. »Er hat jede Minute genossen. Hast du gesehen, wie er danach gelechzt hat?«
»Du Arschloch!« Liam stürzte sich wieder auf den Mann, aber Rick hielt Liam seine freie Hand vor die Brust und hielt ihn zurück.
»Ich sagte aufhören. Ihr beide.«
»Was hat er getan?«, fragte ich Tom. Seine Augen waren geweitet und wild. Wir hatten früher schon mal Schwierigkeiten bekommen, als wir noch zusammen auf den Straßen von Earls Court gearbeitet hatten – Tom immer öfter als ich, weil er eine extrem leichtfertige Ader hatte –, aber heute sah er wirklich verängstigt aus.
»Mir geht's gut, Micah. Ehrlich. Jetzt ist alles vorbei.« Tom setzte sich mühsam auf und streckte die Hand aus, als wollte er mich beruhigen.
Ich ignorierte ihn. Ich hatte nur Augen für seine Verletzungen. Er war auf dem Teppich des Treppenabsatzes zusammengesackt, hatte Kratzer auf seinem Rücken, blaue Flecken an seinem Hals. Seinem Hals.
Rick hatte beide Arme des Mannes hinter seinen Rücken gezogen, die Handgelenke fest im Griff. Er war mehr als zehn Zentimeter größer und einige Kilo schwerer als der Kunde, dazu kam noch die Entschlossenheit, seine Escorts zu beschützen.
Toms Blick war noch immer wild. »Micah. Hör mir zu. Es gibt kein Problem, okay?«
»Tom, es gibt hier definitiv ein Problem«, sagte Rick heftig. »Und dafür gibt es keine Entschuldigung. Dieser Scheißkerl verschwindet jetzt von hier, und zwar sofort.« Er wandte sich zu Liam, dessen Atem sich langsam beruhigte, auch wenn er noch immer vornübergebeugt dastand und die Hände auf den Oberschenkeln abstützte. »Was zum Teufel ist passiert?«
»Er hat versucht, Tom zu erwürgen. Mir ist plötzlich aufgefallen, dass er sein Handy auf dem Kopfteil platziert hatte, als wollte er einen Snuff-Film oder so drehen. Elender, kranker Perversling!«
»Ist das wahr, Tom?«
Tom atmete harsch ein, was schmerzhaft aussah. »Ja. Augenbinde. Spitroasting. Bis da war alles gut, dann… Hände um meinen Hals. Hätte okay sein können, aus Spaß.« Sein Blick verdunkelte sich. »Aber er hat zugedrückt.«
»Ich hab ihm gesagt, er soll aufhören.« Liam war einer der härteren Kerle im Haven, aber als er zu Tom schaute, glänzten seine Augen feucht. »Er hat weder mich noch Toms Safeword beachtet. Ich hab ihn weggezerrt, Rick, aber das Arschloch ist einfach durchgedreht. Hat einen Glückstreffer gelandet und mich umgeschubst. Tom ist auch auf ihn losgegangen.«
»Ich habe ihm an den… verdammten Ohren… gezogen«, keuchte Tom. »Auf s-seine Augen gezielt.«
Ich wusste, dass das eine gute Taktik war. Aber Tom war nicht wirklich stark und mit einigem Abstand der Kleinste der drei.
»Dann hat er Tom die Treppe heruntergeschubst!«, rief Liam.
Ich drehte mich langsam zu Mr. Heimliches-Mordvideo. Seine Arme spannten sich unter Ricks Griff an und seine Haut war von Toms Tritten und seinen Versuchen, sich zu befreien, gerötet. Er blieb standhaft, hatte aber einen durchtriebenen, schuldbewussten Blick.
»Das war Teil des verdammten Spiels, oder nicht?«, regte er sich auf. »Um Himmels willen, ich hätte ihn nicht wirklich erwürgt. Sie lassen es mich nie vernünftig erklären. Er wusste, was los ist. Das wussten sie beide.«
In meinen Ohren rauschte es. Mein Kopf tat weh. Die Geräusche des Kampfes hatten etwas in mir ausgelöst, eine lang zurückliegende, schlafende Erinnerung wieder hervorgeholt. Das Knacken von Knöcheln auf einem Kiefer, der Aufprall eines Körpers gegen ein Möbelstück.
Tom kämpfte sich auf die Beine und lehnte sich an die gegenüberliegende Wand.
»Ich habe hierfür, verdammt noch mal, bezahlt!«, beschwerte sich der Kerl bei Rick wie ein wütender Kunde, der sich in einem Supermarkt über einen kaputten Wasserkocher beschwert.
»Du Bastard«, zischte Tom neben mir. Mit seiner freien Hand hielt er seinen Hals und massierte seinen Adamsapfel. »Hierfür hast du nicht bezahlt.«
»Ach ja?« Mr. Heimliches-Mordvideo war mittlerweile rot vor Wut und ruckte mit seinem Kopf vor, als wollte er Tom ins Gesicht springen. »Ich habe dafür bezahlt, zu ficken, wie ich will. Ich habe für dich bezahlt, du kleine Schlampe.«
Das Geräusch in meinen Ohren wuchs zu einem Tsunami an. Eine Sekunde lang dachte ich, ich würde ohnmächtig werden. Ich konnte nicht sprechen und mein Körper bewegte sich instinktiv. Ich war nicht groß und eher schlank gebaut, nicht kräftig wie Rick, aber ich stellte mich dennoch vor Tom und Liam, den Arm bereits zurückgezogen. Meine Schultern schmerzten aufgrund der ruckartigen Bewegung und ich brummte.
Dann befand sich der Kerl plötzlich nicht mehr in Ricks Griff. Er lag auf dem Boden und Blut lief aus seiner Nase.
Leute schrien.
***
»Micah?«
Rick klang sehr nah und sehr schockiert. Und war das Liam auf meiner anderen Seite?
Ich beugte mich über den Drecksack, der ausgebreitet dalag, nur in seiner dämlichen, zu engen und überteuerten Designerunterhose bekleidet, rasselnd und ängstlich die Luft einsog und schwer nach Parfüm stank. Wenn er nicht bald aufstand, riskierte er, den Teppich vollzubluten. Arne wird es nicht gefallen, das sauber machen zu müssen, dachte ich. Und Rick konnte es sich nicht leisten, den Teppich schon wieder auszutauschen, nachdem Zimmer zwei letzten Winter überflutet worden war.
Mein Arm spannte sich wieder an.
»Micah!« Das war definitiv Ricks Ausruf. »Genug, Mann. Bitte? Hör mir zu.«
»Himmel.« Liam klang ehrfürchtig.
Rick legte seine große Hand auf meine Schulter und Liam umklammerte mein Handgelenk, damit ich nicht wieder zuschlagen konnte. Der Schock auf ihren Gesichtern war mir ein Rätsel. Alles, was ich wusste, war, dass meine verdammten Knöchel wehtaten.
»Schafft ihn bloß weg von mir!«, heulte der Mann, während er versuchte, von mir wegzukrabbeln.
»Schaff den Freier hier raus«, murmelte Rick Liam zu. »Wenn er sonst nicht will, halt zu seiner eigenen Sicherheit. Ich kümmere mich um Tom und Micah.«
»Ich will mein Geld zurück… ich zeige euch an…« Mr. Heimliches-Mordvideos Stimme klang nasal und irgendwie undeutlich, als hätte er Probleme, zeitgleich zu reden und zu atmen.
»Du Arschloch. Ich sollte dich anzeigen«, blaffte Rick ihn an. »Wenn es sein muss, finde ich heraus, wo du lebst und arbeitest. Du willst doch nicht, dass jemand weiß, was du hier getan hast, oder?«
Liam zerrte Mr. Heimliches-Mordvideo auf die Beine, als wäre dieser ein Sack Kartoffeln. Ich wollte darüber lachen. Tom kam mit einem Bündel zusammengeknäulter Klamotten und Decken, die er aus Zimmer acht geholt haben musste, angehumpelt. Das Handy des Kerls wackelte oben auf seiner Anzugjacke, das Display an mehreren Stellen gebrochen. Ich beobachtete, wie Liam dem Kerl das Hemd um die Schultern zerrte und seine Beine in die maßgeschneiderte Hose steckte, wobei er nicht gerade zärtlich war.
»Das reicht. Er kann seine verdammten Schuhe selbst tragen.« Liam schaute mit funkelnden Augen zu mir. »Himmel. Ich habe noch nie so einen guten Schlag gesehen. Als hätte sich Mutter Teresa in Mike Tyson verwandelt, oder?«
Ich runzelte die Stirn. »Was zur Hölle soll das heißen?«
Liam antwortete nicht, stattdessen begann er, die Treppe hinunterzugehen, wobei er bei jedem Schritt ungeduldig am Arm des Kunden riss und ihn so zwang, ihm zu folgen.
Tom legte eine Hand auf meinen Arm und das schien mich zu beruhigen. Seine Wange sah gereizt aus und die Hämatome an seinem Hals waren knallrote Striemen. Seine Haut ist zu blass, um das abzukönnen, schoss mir willkürlich durch den Kopf. Eine Welle von Verzweiflung überschwemmte mich und mir drehte sich vor Übelkeit der Magen um. Ich war froh, Ricks Angebot, mit ihm zusammen zu essen, nicht angenommen zu haben. Ich hätte das Essen nie bei mir behalten können.
Was habe ich getan?
»Liam meinte nur, dass wir dich noch nie zuvor so gesehen haben«, sagte Tom leise.
Ich verstand es immer noch nicht, aber ich nahm eine Decke vom Boden und wickelte sie um Toms noch immer nackten Körper.
Er seufzte dankbar, während er meinen Arm weiterhin festhielt. Normalerweise akzeptierte er keine Hilfe ohne einen dummen Kommentar.
»Micah?«, sagte Rick sanft. »Du musst nach Hause gehen. Oder zumindest irgendwohin gehen und dich beruhigen.«
Er klang allerdings nicht genervt. Tatsächlich klangen sie beide irgendwie besorgt.
»Ich bin jetzt ruhig«, sagte ich. Die Übelkeit ebbte langsam ab. Die Schwärze war verflogen. Jetzt spürte ich nur noch Toms Umklammerung, roch den noch immer in der Luft hängenden Gestank von dem Parfüm des Kunden und sah zwei besorgte Gesichter. Ach ja, und meine Hand tat immer noch weh.
Fuck. Plötzlich rückte alles in den Fokus. Ich hatte einen Freier geschlagen!
»Oh mein Gott, Rick, es tut mir so…«
»Soll ich mir deine Knöchel anschauen, Liebling?« Tom unterbrach mich mit kratziger Stimme und drückte meinen Ellenbogen. Das war damals, als wir auf der Straße gearbeitet hatten, unser Zeichen gewesen. Es konnte alles bedeuten von Ich bin bei dir, Brauchst du Hilfe, den Kerl loszuwerden bis hin zu Halt, verdammt noch mal, die Fresse, bevor du in noch größere Schwierigkeiten gerätst. »Ich glaube nicht, dass du sie dir aufgeschürft hast, aber das wird ein ordentlicher blauer Fleck.« Er warf Rick einen Blick zu. »Er ist in Ordnung.«
Ich wusste nicht, was dieser Blick, den die beiden tauschten, bedeutete, aber das war egal, weil wir davon unterbrochen wurden, dass sich jemand unten räusperte.
»Ist hier jemand?«, fragte eine raue, männliche Stimme.
»Ach verdammte Scheiße«, flüsterte Tom und verdrehte die Augen. »Noch ein Freier. Umwerfendes Timing.«
»Wer ist noch da, um so spät einen Termin zu übernehmen?«, fragte Rick. »Im Terminkalender stand nichts.«
»Gott weiß wer.« Tom drehte den Kopf und zuckte zusammen. Seine Stimme war noch immer heiser. »Montags ist es immer ruhig und ich hatte nur angeboten, Liam auszuhelfen, weil er sich Sorgen gemacht hatte, heute keine Action zu bekommen.«
Rick verzog das Gesicht und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Ich hoffe wirklich, dass er dieses Ekel hinten rausgeschmissen hat. Das Letzte, was wir wollen, ist, dass sich Kunden im Flur begegnen, besonders wenn einer von ihnen eine blutige Nase hat.« Er schaute Tom und mich an und lächelte müde. »Seid ihr zwei okay? Ich bin mir nicht sicher, wer von euch dem anderen hilft, aber ihr überlasst mir das besser. Ich gehe und erkläre unserem Gast alles. Und ich habe hier noch einiges aufzuräumen.«
»Heute ist sonst niemand da, der den Kerl übernehmen kann«, sagte Tom. Sein Hals musste ihm wehtun und er sah unglaublich müde aus.
Ich entfernte mich von den beiden und ging zur Treppe, wobei ich das Pochen in meiner Hand sowie Toms Protestknurren ignorierte.
»Überlasst das mir«, sagte ich. »Ich mache das.«
Fox
Ich wusste nicht, was zum Teufel hier los war.
Die meisten Orte, die ich besuchte, um schnell jemanden zu ficken, waren chaotisch, heruntergekommen und definitiv nicht so ansprechend, wie es das Haven Hotel zu sein schien. Das unterschwellige Aroma von Kaffee und vermutlich italienischem Essen war mir in die Nase gestiegen, sobald ich hastig die Lobby betreten hatte. Die Raumtemperatur schien gerade richtig zu sein, die Möbel sahen alt, aber gemütlich aus und die Rezeption war blitzblank poliert.
Doch es klang ganz so, als wäre ich mitten in ein Problem geplatzt. An der Rezeption war niemand und ich konnte ein Stockwerk höher eindringliche und besorgte Stimmen hören. Außerdem bemerkte ich ein kleines Handgemenge außer Sicht hinter dem kleinen Aufzug, vernahm ein ersticktes Aufheulen wütenden Protests und dann eine Tür, die zugeschlagen wurde.
Ich war in meiner Jugend aus genug Clubs geworfen worden, um zu wissen, wie sich das anhörte.
Scheiße, ich wollte keine Szene machen. Auf einer praktischen Ebene sollte das hier ein unkomplizierter, vollkommen anonymer Besuch sein. Und zu viel zu reden, würde meiner Kehle schaden, die ich ausruhen sollte. Aber was konnte ich sonst tun? Ich zog mir die Kapuze meiner Jacke tiefer ins Gesicht, drückte meine Brille wieder nach oben, sodass sie meine Augen verdeckte und rief dann, um auf mich aufmerksam zu machen.
Das Haven war neu für mich, aber Vince hatte erzählt, dass es ihm persönlich empfohlen worden war, und er hatte wie üblich alles im Voraus gebucht. Er hatte gesagt, dass ich nichts tun oder würde sagen müssen, weil alle wussten, weshalb sie da waren. Aber wie gut war das bisher gelaufen? Ich schätzte, ich hätte mich umdrehen und gehen können. Es gäbe sicherlich einen Pub in der Nähe, in dem ich mich an einem Tisch in der Ecke verstecken und vielleicht jemand x-Beliebigen aufreißen könnte.
Aber das war für mich auf vielen Ebenen nicht sicher.
Die drei Männer, die irgendwann die Treppe hinunter und in mein Blickfeld kamen, waren eine interessante Gruppe. Ein dunkler, attraktiver, hart aussehender Kerl, gegen den ich heute nichts einzuwenden hätte, wenn er nicht immer wieder mit besorgtem Blick nach oben schauen würde, als hätte er etwas zu tun, das keine Kunden beinhaltete.
Hinter ihm war ein dünner, junger, weißer Mann in lockerer Jogginghose, der noch dabei war, sich sein Shirt mit einem Glitzerfoto von Lady Gaga darauf anzuziehen. Er schmollte und trug aus irgendeinem Grund einen dünnen Schal, obwohl es im Hotel recht warm war. Und dann war da der dritte Kerl. Er war schwarz, schlank, hatte an den Spitzen weiß blondierte Dreads, seine großen Augen leuchteten und waren wachsam zugleich – und er war der umwerfendste Mann, den ich je gesehen hatte.
Der harte Kerl drückte die Schulter des dünnen Mannes, als wollte er ihn warnen, ehe er wieder die Treppe hinaufging. Der dritte Kerl kam zu mir herüber.
»Tut mir leid, dass wir Sie haben warten lassen«, sagte er. »Leider braucht man zwingend einen Termin.« Seine Stimme war leise, sein einladender Tonfall legte sich um meine Schultern wie eine heiße Dusche nach einem kalten Tag. Vielleicht redeten sie mit allen Kunden so, aber mich berührte das, es beruhigte und stimulierte mich zugleich. Zum Teufel, diese Stimme könnte mit dem richtigen Lied wahre Wunder vollbringen. Ich fragte mich, ob er singen konnte und welche Musik er hörte.
»Ich habe schon gebucht. Und bezahlt«, sagte ich.
»Er muss Liams Termin sein, der nicht aufgetaucht ist, Micah«, sagte der dünne Kerl abgehackt flüsternd, wenn auch laut genug, dass alle es hörten. Er kam näher und spähte misstrauisch über die Schulter des absolut atemberaubenden Kerls. Micah. War das sein richtiger Name?
Ich runzelte die Stirn. »Ich wurde aufgehalten, das ist alles. Warum ist das ein Problem?«
»Nun, Ihr Escort wurde… anderweitig eingesetzt«, sagte Micah. Er sah aufrichtig zerknirscht aus. »Sie können einen neuen Termin für ihn vereinbaren…«
Ich konnte nicht anders, als frustriert zu stöhnen.
»… oder wenn Ihnen das nicht passt«, fuhr er ruhig fort, »würde ich mich freuen, stattdessen für Sie da zu sein.«
Ich starrte ihn einen langen Moment an. Er stand da und präsentierte sich mir, ruhig, aber angespannt, sodass sich seine Muskeln unter dem sexy Mesh-Top abzeichneten.
Ich konnte seine großen, dunklen Nippel unter dem Stoff sehen. Seine Lippen waren voll und seine umwerfenden Augen groß und von dichten Wimpern umrahmt. Er war eine echte Schönheit. Dennoch war er nicht mein üblicher Typ. Er war schlank, sehnig wie ein Tänzer, ungefähr so groß wie ich und vielleicht nur ein paar Jahre älter als ich. Normalerweise bevorzugte ich breitere, ältere, weniger zarte, sondern maskuline Männer. All die Dinge, die ich selbst eher nicht war.
Während ich versuchte, eine angemessene Antwort zu finden, nervte mich meine Lust wie ein anstrengendes Kleinkind. Ich leckte mir die Lippen.
Sein Blick veränderte sich plötzlich und seine geschäftige Höflichkeit verwandelte sich in etwas Dunkleres und Wilderes, das wie eine Flamme in seinen Augen loderte. Wollte er mich wirklich? Es sah sehr danach aus und das ließ einen aufgeregten Schauer durch mich laufen. Ich war kein Idiot – ich wusste, dass Escorts mich nicht heiß finden, sondern nur in der Lage sein mussten, mich zu bedienen. Und anfangs hatte Micah irgendwie müde und resigniert ausgesehen. Aber jetzt? Jetzt schrie etwas an ihm förmlich danach, dass ich ihn brauchte.
Eine glühend heiße Woge an Begierde begann sich in meinem Magen zu bilden.
Wie schon gesagt, ich wusste, dass ich zu spät zu meinem Termin kam. Es hatte länger als erwartet gedauert, mich von dem Interview mit einem Onlinemagazin, auf das Marcus bestanden hatte, davonzuschleichen. Aber ich war jetzt da. Und mein Gott, ich hatte es echt nötig.
»Warum trägst du eine Sonnenbrille?«, fragte der dürre Kerl plötzlich.
»Was geht dich das an?«, entgegnete ich barsch.
Der Kerl zuckte zurück, obwohl ich mich nicht auf ihn zu bewegt hatte.
»Tom?«, fragte Micah. Kurz flackerte Sorge in seinen Augen auf.
Tom schien sich wieder zu berappeln. »Ich dachte nur, du könntest irgendein hohes Tier sein, das inkognito unterwegs ist. Irgendetwas an dir kommt mir bekannt vor.«
»Verdammt noch mal«, murmelte ich, senkte den Kopf noch etwas weiter und versteckte mich wieder unter meiner Kapuze. »Können wir weitermachen?« Das sollte ein kurzer Besuch werden, nicht mehr als ein kurzes Rein und Raus – das Wortspiel war unbeabsichtigt –, um ein privates Bedürfnis zu befriedigen. Normalerweise kam ich allein gut klar, aber manchmal musste ich einfach etwas Druck abbauen, und zwar während ich den nackten Körper eines anderen Mannes umarmte.
Und diese Woche war einer dieser Manchmal-Fälle.
»Was genau wolltest du denn?«, fragte Micah sanft.
Überraschenderweise stellte ich fest, dass ich zögerte. Ich fragte mich, was Vince ihnen wohl erzählt hatte, was ich wollte. Normalerweise war das jemand, der mich herumschubsen konnte, wenn ich es brauchte. Ich brauchte niemanden zum Unterhalten, ich brauchte keine Komplimente oder Gefühlsduseleien. Einfach nur… einen Fick.
Micah legte den Kopf zur Seite, als würde er versuchen, mich aus einem anderen Winkel zu betrachten. Erkannte er mich? Nein, da war kein Erkennen. Kein Funken Freude darüber, dass er mich, den YouTube-Sänger mit den verwuschelten Haaren und den peinlichen Sommersprossen, in einem Hotel für Escorts gefunden hatte, wie er für schwulen Sex bezahlte.
Fox? Reiß dich zusammen.
Ich sog schmerzhaft die Luft ein. Ich war so fest zusammengerollt wie ein Wollknäuel. Das Interview war nicht schlimmer gewesen als der übliche Scheiß, aber ich hatte es kaum hinter mich gebracht, ehe meine Kehle wieder ausgetrocknet war. Die Symptome waren die ganze Woche über schlimmer geworden, genauso wie meine Angst. Und jetzt machte ich mir auch noch Sorgen, hier entdeckt zu werden.
Magnus würde mir die Hölle heiß machen. Er war sowieso schon der Meinung, dass er als mein Manager das Recht hatte, sowohl mein Privatleben als auch mein berufliches Leben zu kontrollieren. Wenn ich jetzt erwischt wurde, wie ich heimlich Escorts traf, würde er mich nie wieder aus dem Studio lassen. Nur weil Vince nicht nur mein bester Freund, sondern auch ein ziemlich gerissener Kerl war, kam ich überhaupt zum Abschuss.
Oh, ich hätte wahrscheinlich einen der weiblichen Groupies abschleppen können, die uns folgten – alle in der Band wurden umschwärmt wie Honig von Fliegen und mussten andauernd anzügliche Einladungen abschlagen –, aber das war nicht das, was ich wollte. Trotz der Tatsache, dass unser nächster Auftritt schon in vier Tagen war und ich mich darauf und nicht auf meinen Schwanz konzentrieren sollte… wollte ich Sex.
Vince kannte die Bedingungen: Es musste ein Mann sein, der mir vom Körper her gefiel, und es durfte niemand sein, der mich vielleicht an die Presse verkaufen würde, oder ein Fan, der zum anhänglichen Stalker werden könnte. Und natürlich durfte Magnus es nicht herausfinden.
Laut seinem Terminkalender war Magnus heute bei einem PR-Dinner. Also hatte Vince gezaubert, einen Anruf getätigt und hier war ich nun, bereit, Spaß zu haben, ohne dass jemand wusste, wo – oder wer – ich war. Dann würde ich morgen Früh wie immer zur Probe auftauchen, ohne dass jemand etwas bemerkt hatte.
Micah gab ein leises Geräusch von sich, fast so etwas wie ein Summen. »Weißt du, wenn du auf Liam stehst, bin ich vielleicht nicht das, was dir gefällt. Wir sehen uns nicht wirklich ähnlich.« Und auch wenn da kurz Enttäuschung in seinen ausdrucksstarken Augen aufgeflackert sein könnte, lächelte er mich breit an.
Scheiße, das war elektrisierend! In dieser Sekunde schien die Spannung von ihm abzufallen und er strahlte etwas aus, das ich nicht beschreiben konnte. Es war nichts Körperliches, aber es griff in mich hinein und… zog. Es fühlte sich an, als würde all mein Blut sofort Richtung Süden rauschen, als wären meine Klamotten plötzlich viel zu eng und als würde mein Herz im Rhythmus eines Dance-Beats schlagen.
»Nein. Du bist gut«, sagte ich. Ich erwiderte sein Lächeln mit etwas, das wie eine schlechte Imitation seines Lächelns aussehen musste. »Du bist sehr, sehr gut.«
Fox
Nachdem Micah eine Schlüsselkarte hinter der Rezeption hervorgeholt hatte, fuhren wir im Aufzug schweigend nach oben. Ich hätte die Treppe nehmen können, denn es war nicht weit. Und es sah nicht aus, als wären heute Abend noch andere Leute hier, auf die wir hätten treffen können. Aber irgendwie fühlte es sich gemütlich an, mit Micah in diesem engen, geschlossenen Raum auf dem Weg ins Schlafzimmer zu sein. Es schien ihn nicht zu stören, dass ich mit meiner Hand seinen Arm hinabglitt. Aber vielleicht fror er in seinem dünnen Oberteil, denn seine Nippel richteten sich auf. Ich starrte etwas in der Mitte seiner Brust an, das aussah wie der Schatten eines Tattoos. Heiß.
Er schaute kurz zu mir herüber und schenkte mir wieder dieses Lächeln. »Möchtest du deine Brille absetzen?«
Er hatte sich klug ausgedrückt – er ließ mir die Wahl. Aber ich kam mir plötzlich dumm vor. Wer, abgesehen von FBI-Agenten in schlechten Filmen, trug nachts drinnen eine Sonnenbrille? Ich setzte sie ab und ließ sie zusammengeklappt in der Tasche meines Hoodies verschwinden. Dann hielt ich den Atem an und wartete zumindest auf ein Erkennen, die Überraschung, den Triumph.
Aber nichts davon passierte.
»Ich habe Wasser auf dem Zimmer«, sagte er. »Falls du Probleme mit dem Hals hast.«
Das überraschte mich. Ich hatte gegen Ende des Interviews geflüstert, hatte die Taxifahrt hierher über gegrollt und selbst mein Ruf in der Lobby war am Ende nur ein Krächzen gewesen. Aber es war lustig, dass ihm das aufgefallen war.
Wir traten aus dem Aufzug in einen langen, ruhigen Gang, der sich bis ganz ans Ende des Gebäudes ziehen musste. Sechs geschlossene Türen gingen von ihm ab. An einer hing ein Schild mit der Aufschrift PRIVAT, also handelte es sich bei den anderen vermutlich um Schlafzimmer. Die Wände waren in einem sanften, geschmackvollen Salbeiton gestrichen und zwischen den Türen hingen ein paar abstrakte Drucke von männlichen Aktbildern. Das einzig Abschreckende war der Geruch von Bleiche, der in der Luft hing. Am Ende des Ganges befand sich eine weitere Treppe, doch die war mit einem Seil abgesperrt. Ich konnte hören, wie ein Stockwerk weiter oben Möbel verschoben wurden.
Micah hielt an einer Tür, auf der eine zwei stand, und ließ uns dann mit seiner Schlüsselkarte ein.
»Mach es dir gemütlich«, sagte er. »Und sag mir, was du brauchst.«
Wenn es nur so einfach wäre, dachte ich. Ich ging davon aus, dass er einen Getränkewunsch meinte oder was für Sex ich bevorzugte. Normalerweise fiel es mir nicht schwer, direkt zu sagen, was ich wollte. Worte sollten mein Talent sein. Aber heute hatte ich Probleme und nicht nur, weil mir die Stimme fehlte.
Hier drin roch es viel angenehmer. Die Vorhänge waren zugezogen, aber sie bewegten sich hin und wieder, als hätte er das Fenster leicht geöffnet. Himmel, ich war so lange im Studio gewesen, dass ich manchmal vergaß, dass die Luft draußen existierte. Das Bett war groß und unter dem Fenster stand ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen. Mehrere Flaschen Wasser und eine Packung Kekse lagen darauf, ebenso wie ein kleiner Stapel günstiger, schlichter Notizbücher. Was mich überraschte, war das Keyboard, das auf einem Ständer an der Wand stand, mit einem Mini-Verstärker auf dem Boden daneben. War das Micahs eigenes Zimmer? Ich wusste, dass mir seine Stimme gefiel, aber war er wirklich ein Musiker?
Am Fußende des Bettes zog er sich die Schuhe aus und vergrub seine nackten Zehen im Teppich. Es war eine alberne, kleine Geste, aber merkwürdig charmant. Er drückte die Ecke der Matratze herunter, vielleicht, um sich abzustützen, vielleicht aber auch, um zu zeigen, wie bequem sie war und es sah im Moment auf jeden Fall einladend aus. Es war ein Schock, festzustellen, wie müde ich war.
Ich schluckte, um meine Kehle zu befeuchten und fragte: »Willst du meinen Namen wissen?«
Er zuckte mit den Schultern. »Wenn du ihn mir verraten willst. Du musst nicht.«
»Fred«, platzte mein Deckname aus mir hervor. Ich lief rot an, was jedem Idioten verriet, dass es ein falscher Name war. Aber Micahs Gesichtsausdruck zuckte nicht einmal.
»Danke.« Er nickte. »Ich bin Micah. Das heißt Der wie Gott ist. Meine Mutter war eine ziemliche Kirchenfanatikerin, als ich geboren wurde.«
»Jetzt nicht mehr?«
Er lächelte etwas traurig. »Nein.«
Und damit war es das. Ich sollte natürlich nicht erwarten, dass wir uns wie alte Freunde unterhielten. Vince buchte normalerweise Kerle für mich, die nicht nur hart und muskulös waren, sondern auch schon brutal geschäftsmäßig und ihre Klappe halten konnten. Micah schien diskret genug, aber ich bezweifelte, dass mein ursprünglicher Termin so hübsch gewesen wäre.
»Setz dich neben mir aufs Bett. Hier ist das Wasser.« Er nahm eine geschlossene Flasche vom Tisch und hielt sie mir entgegen. »Du siehst aus, als müsstest du dich etwas ausruhen.«
Ich starrte einfach nur.
»Okay. Ich wollte nicht unhöflich sein. Um diese Uhrzeit haben die meisten Leute einen langen Arbeitstag hinter sich und ich dachte, du würdest dich gerne etwas entspannen und runterkommen.« Er runzelte leicht die Stirn.
Ich schätzte, ich hätte nie gedacht, dass einem Escort etwas peinlich sein könnte, und es tat mir leid, dass er sich wegen mir so fühlte. »Du auch?«, fragte ich. Da war irgendetwas mit der Anspannung, die ich in der Lobby gesehen hatte. Irgendetwas an seiner Art. Er hatte ausgesehen, als würde er sich gerade so zusammenreißen können…
»Was? Oh. Du meinst, ob ich einen harten Tag hatte?« Er schaute mich überrascht an und lachte freudlos auf. »Du hast keine Ahnung. Aber hier geht es nicht um mich, Fred.«
Ich wollte mehr sagen, aber zu meinem Entsetzen erwischte mich unvorbereitet ein Krampf in meiner Kehle. Ich krümmte mich und mein Brustkorb zog sich schmerzhaft zusammen.
Micah beobachtete mich eingehend. »Nimm das Wasser«, sagte er. »Das hilft. Manchmal braucht man nur Ablenkung. Man muss sich auf etwas anderes, wie trinken, konzentrieren, bis sich die Dinge wieder beruhigen.«
Ich griff mit einem ziemlich missmutigen Nicken nach dem Wasser und trank einen großen Schluck. Stilles, kühles Wasser. Der Krampf ließ nach und ich begann, gleichmäßiger zu atmen. Ich brummte Micah ein Danke zu, aber meine Stimme war ein Quieken.
Er schaute zu mir auf, seine Augen unter den langen Wimpern weit aufgerissen und ließ seine Hand die Vorderseite meines Oberschenkels hinaufwandern. »Erzwing es nicht. Es ist mir egal, ob du redest oder nicht. Wichtig ist nur, dass du dich wohlfühlst. Du bist ein heißer Kerl. Wir können eine großartige Zeit zusammen haben. Ich kann dafür sorgen, dass du dich wirklich gut fühlst, was auch immer du willst…«
»Hör auf damit«, presste ich hervor. Es war nicht der Dirtytalk, sondern das mitschwingende Mitleid. Ich konnte es ihm nicht verübeln, woher sollte er denn auch wissen, was das für mich bedeutete?
Dankenswerterweise hielt er inne. Aber er ließ seine warme Hand weiter auf meinem Bein und streichelte mich. Um Himmels willen, ich hatte nicht vorgehabt, meine Probleme meinem heutigen Fick mitzuteilen, aber irgendetwas an seinem mitfühlenden Tonfall berührte einen Nerv in mir. Und als er sanft an meiner Hüfte zog, ließ ich mich neben ihm auf dem Bett nieder. Er ging nicht sofort zu den körperlichen Aspekten über, aber er fing auch nicht an, mich auszufragen. Wir saßen einen Moment lang einfach nur in dem stillen Raum da, Oberschenkel an Oberschenkel, während seine Hand mich beruhigte und mein Herzschlag sich verlangsamte.
War dieses… dieses Mitgefühl Teil seines Auftritts? Es war eine harte Woche gewesen und ich wollte mich ausruhen. Aber Scheiße, ich war nur wegen des Sex hier. Micah war ebenfalls nur wegen des Sex hier. Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Ich wusste nicht, warum meine Augen plötzlich so prickelten.
»Darf ich etwas vorschlagen?«, fragte er.
Als ich mich zu ihm drehte, funkelten seine Augen.
»Ich gehe davon aus, dass du immer noch vögeln willst?«
Ich öffnete meinen Mund und protestierte gurgelnd, ehe ich ihn wieder schloss.
Er grinste. »Dachte ich mir doch. Gut. Also, wenn du Probleme mit deiner Stimme hast, können wir andere Wege ausprobieren, bei denen du nicht reden musst, um uns verständlich zu machen.«
Als er den Kopf schief legte und mit den Augenbrauen wackelte, versuchte ich zu lachen.
Er sah zufrieden aus. »20 Fragen, okay? Nicke oder schüttle den Kopf.«
Es war albern, aber er ließ es wie ein Spiel klingen. Ich nickte.
»Willst du, dass ich mich ausziehe?«
Nicken.
»Willst du, dass ich dich auch ausziehe?«
Ich starrte ihn an. Ich schätzte, ein paar Männer wollten einfach nur ihren Schwanz hervorholen und es hinter sich bringen. Zugegebenermaßen, ich mochte es selbst nicht, mich lange aufzuhalten. Aber ich mochte es, die Haut eines anderen Mannes an meiner zu spüren, überall.
Nicken.
»Willst du einen Blowjob? Einen Handjob? Anal?«