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Ich habe noch nicht viele Dinge auf dieser Welt geliebt, doch dich habe ich vom ersten Moment an geliebt
Nachdem Juliet in der Vergangenheit viel Schlimmes erleben musste, ist sie froh, als sie Danny kennenlernt und bei seiner Familie unterkommen darf. Ihre eigenen Pläne für die Zukunft hat sie aus Dankbarkeit längst begraben - bis Danny eines Tages seinen besten Freund Luke vom College mit nach Hause bringt. Wenn sie mit dem unverschämt attraktiven Surfer zusammen ist, hat Juliet das erste Mal in ihrem Leben das Gefühl, dass es sich für ihre Träume zu kämpfen lohnt. Doch das zwischen ihr und Luke darf nicht sein, und sie muss sich von ihm fernhalten, egal wie stark die Anziehungskraft zwischen ihnen ist - bis ein tragischer Schicksalsschlag alles zerstört ...
»Ein Buch voller Tragik, Schmerz, Sehnsucht und unendlicher Liebe. Mein Herz wird die Geschichte niemals vergessen.« Jessica von Chatterbooks Book Blog
Auftakt DER TIKTOK-Geheimtipp-Reihe
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Seitenzahl: 484
Veröffentlichungsjahr: 2025
Titel
Zu diesem Buch
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Epilog
Danksagung
Die Autorin
Die Bücher von Elizabeth O’Roark bei LYX
Impressum
Elizabeth O’Roark
The Summer We Fell
Roman
Ins Deutsche übertragen von Bianca Dyck
Juliet hat in ihrer Kindheit und Jugend Schreckliches erlebt und ist dankbar, als sie Danny kennenlernt und seine Eltern sie bei sich aufnehmen. Um ihnen gerecht zu werden, erfüllt sie pflichtbewusst alle Erwartungen und stellt auch ihre Bedürfnisse in der Beziehung mit Danny hintan. Trotz der gewonnenen Sicherheit fühlt sich Juliet wie in einem Käfig – gefangen zwischen den Anforderungen an sie und ihren eigenen, unerfüllten Träumen. Doch alles verändert sich, als Danny seinen besten Freund Luke vom College mit nach Hause bringt. Sie und der attraktive Surfer geraten von der ersten Sekunde an ständig aneinander – und trotzdem verspürt Juliet dabei das erste Mal in ihrem Leben den Wunsch, für sich selbst einstehen zu können. Luke durchbricht alle Schutzmauern, die sie so mühsam um ihr Herz errichtet hat, und ermutigt sie, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Aber das zwischen ihnen ist verboten, sie dürfen nicht zusammen sein, egal wie stark sie sich zueinander hingezogen fühlen. Bis Juliet in einer schicksalhaften Nacht eine schwere Entscheidung treffen muss, die alles verändert. Doch als sie Luke Jahre später an dem Ort wieder gegenübersteht, an dem alles begann, sind die Gefühle für ihn noch immer da – stark, überwältigend und unmöglich zu ignorieren …
Liebe Leser:innen,
dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.
Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.
Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!
Wir wünschen uns für euch alle
das bestmögliche Leseerlebnis.
Euer LYX-Verlag
Es ist noch gar nicht lange her, da konnte ich durch einen Flughafen spazieren, ohne erkannt zu werden. Das fehlt mir.
Heute wird meine Sonnenbrille auf der Nase bleiben. Das ist einer dieser »Ich bin ein Star!«-Moves, die ich immer gehasst habe, aber es ist immer noch besser als ein Haufen Kommentare über mein momentanes Erscheinungsbild. Den Großteil des Fluges von Lissabon nach San Francisco habe ich geschlafen, dank meines nützlichen Vorrats an Schlaftabletten, trotzdem bin ich noch ganz durcheinander wegen des Anrufs, den ich direkt vor dem Flug erhalten habe … und das sieht man.
Donna war immer so voller Energie, fröhlich und unermüdlich. Anders kann ich sie mir gar nicht vorstellen. Von allen Menschen auf der Welt, warum musste es ausgerechnet sie treffen? Warum ist es so, dass die Menschen, die es am meisten verdient haben zu leben, zu früh gehen müssen, und die, die es am wenigsten verdient haben – wie ich – bleiben dürfen?
Ich rede mir die ganze Zeit ein, dass ich mich nur noch eine kurze Weile zusammenreißen muss, obwohl es in Wahrheit so ist, dass ich drei endlose Wochen des Zusammenreißens vor mir habe. Doch wenn es mir nichts ausmacht, alle anderen zu belügen, werde ich sicher kein Problem damit haben, mich selbst zu belügen.
Ich verschwinde kurz auf den Toiletten, um mich frisch zu machen, bevor ich mein Gepäck holen gehe. Man sieht mir meine Erschöpfung an – meine haselnussgrünen Augen sind blutunterlaufen, meine Haut ist fahl. Die sonnengeküssten Strähnchen, die die Friseurin in mein braunes Haar gezaubert hat, werden niemandem vortäuschen können, dass ich in letzter Zeit viel in der Sonne war, vor allem nicht Donna. Immer, wenn sie mich in L. A. besucht hat, hat sie dasselbe gesagt: »Oh, Honey, du siehst so müde aus. Ich wünschte, du könntest nach Hause kommen.« Als würde eine Rückkehr nach Rhodes irgendetwas besser machen.
Gerade als ich vom Spiegel zurücktrete, erwische ich eine Frau dabei, wie sie von der Seite ein Foto von mir macht.
Sie zuckt die Schultern, vollkommen schamlos. »Sorry. Meinen Geschmack triffst du nicht«, sagt sie, »aber meine Nichte findet dich toll.«
Früher habe ich immer gedacht, dass Berühmtheit alle Probleme löst. Was mir nicht klar war, ist, dass du immer noch genauso traurig bist. Jetzt sieht dir nur die ganze verdammte Welt zu und erinnert dich daran, dass du kein Recht darauf hast.
Bevor ich noch etwas sagen kann, das ich bereuen werde, verlasse ich den Raum und nehme die Rolltreppe zur Gepäckrückgabe. Erst seitdem ich Cash date, verstehe ich das Chaos, das aufkommen kann, wenn die Öffentlichkeit glaubt, dich zu kennen – doch heute ist keine Menschenmenge anwesend. Nur Donna, die unten in der Nähe der Rolltreppe wartet, ein wenig zu dünn, aber ansonsten vollkommen in Ordnung.
Sie zieht mich in eine Umarmung, und der Duft ihres Rosenparfüms erinnert mich an ihr Zuhause – ein Ort, an dem einige meiner schönsten Momente stattgefunden haben. Und einige meiner schlimmsten.
»Du hättest mich nicht abholen müssen. Ich wollte ein Uber nehmen.«
»Das würde ein Vermögen kosten«, sagt sie und vergisst oder ignoriert dabei die Tatsache, dass ich nicht länger das arme Kind bin, das sie einst gezwungenermaßen bei sich aufnehmen musste. »Und wenn mein Mädchen nach Hause kommt, werde ich diejenige sein, die sie begrüßt. Außerdem … hatte ich Gesellschaft.«
Mein Blick folgt ihrem über ihre Schulter.
Keine Ahnung, wie ich ihn übersehen konnte, wo er doch einen Kopf größer und ein gutes Stück breiter ist als alle anderen im Raum. Manch großer Mann versucht alles, um kleiner zu wirken – Schultern vorziehen, lächeln, herumalbern. Luke hat nie etwas davon getan. Er ist ungeniert sein nicht-lächelndes Ich, trotz Größe und allem.
Er sieht älter aus, allerdings sind auch sieben Jahre vergangen, also war das wohl zu erwarten. Er ist sogar noch größer, härter und weniger ergründbar. In seinem zerzausten braunen Haar glänzen immer noch goldene Strähnen von all den Stunden, die er auf dem Wasser verbringt, und er trägt einen Wochen-Bart im Gesicht. Ich wünschte, ich wäre wenigstens vorbereitet worden. Ich wünschte, jemand hätte mir gesagt: »Luke wird da sein. Und er wird dir immer noch das Gefühl geben, er wäre die Strömung, die dich hinaus aufs Meer zieht.«
Wir umarmen uns nicht. Das wäre zu viel. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass er unter den gegebenen Umständen dazu bereit wäre.
Er lächelt nicht einmal, sondern neigt nur das Kinn. »Juliet.«
Er ist richtig erwachsen geworden, selbst seine Stimme klingt erwachsen – tiefer, selbstbewusster als früher. Und sie war schon immer tief, immer selbstbewusst. Immer dazu in der Lage, mich in die Knie zu zwingen.
Es fühlt sich beabsichtigt an, die Tatsache, dass ich erst jetzt erfahre, dass er hier ist. Donna weiß, dass wir uns nie gut verstanden haben. Aber sie stirbt, und das heißt, ich darf ihr diese winzige Manipulation nicht übel nehmen.
»Er hat angeboten, mich zu fahren«, fügt Donna hinzu.
Bei dem Wort »angeboten« hebt er eine Augenbraue, seine Arme bleiben vor der breiten Brust verschränkt, was deutlich macht, dass es sich nicht genauso abgespielt hat. Es sieht Donna so ähnlich, dass sie uns viel nettere Qualitäten zuschreibt, als in Wahrheit vorhanden sind.
»Wie viele Koffer hast du dabei?« Er wendet sich bereits dem Gepäckband zu, ringt sich dazu durch, das Richtige zu tun, egal, wie sehr er mich hasst.
Ich trete vor ihn. »Ich mache das schon.«
Es stört mich, dass er trotzdem zum Gepäckband geht. Ich drücke mir einen Finger an die rechte Schläfe. Mir platzt fast der Kopf, da nun alles, was ich gestern genommen habe, meinen Blutkreislauf verlässt. Und mir ist einfach nicht nach höflicher Unterhaltung, vor allem nicht mit ihm.
Ich schlucke. »Ich wusste nicht, dass du hier sein würdest.«
»Tut mir leid, dich zu enttäuschen.«
Ich sehe mein Gepäck ankommen und gehe darauf zu. »So habe ich das nicht gemeint.« Was ich wirklich gemeint habe, war: »Das hier ist die vorstellbar schlimmste Situation, und ich weiß nicht, wie ich sie drei Wochen lang aushalten soll.« Aber ich schätze, das ist auch nicht viel besser.
Ich werfe einen Blick über meine Schulter. »Wie geht’s ihr?«
Sein Blick verfinstert sich. »Ich bin erst heute früh angekommen, aber … du hast sie gesehen. Ein starker Wind könnte sie umwerfen.«
Und damit bleibt eigentlich nichts weiter zu sagen. Jedenfalls nichts Einfaches oder Angenehmes. Also breitet sich Schweigen aus.
Wir greifen beide gleichzeitig nach meinem Koffer, dabei streifen sich unsere Hände kurz.
Sofort ziehe ich meine zurück, aber es ist zu spät. Luke ist bereits in meinem Blutkreislauf, vergiftet mich schon. Bringt mich dazu, all die falschen Dinge zu wollen, wie er es immer getan hat.
Mai 2013
Das Schuljahr ist fast zu Ende, und die Straße vor dem Diner sieht aus wie eine schlecht organisierte Parade – Jeeps und Pickup-Trucks voller Jugendlicher und Surfboards, dröhnende Musik, die schnell aufblitzt und genauso schnell wieder verfliegt. Damit beginnt die Hochsaison, und in den nächsten drei Monaten wird Rhodes von Surfern und Familien überflutet, die Eis und T-Shirts, Burger und Benzin kaufen. In dieser Zeit machen die meisten der örtlichen Geschäfte tatsächlich Gewinne, und die Stadt und ihre Einwohner scheinen aus einem tiefen Schlaf zu erwachen.
Vor allem ich, auch wenn es momentan eher Schaden anrichtet, als mir zu helfen.
»Wenn wir nicht so viel zu tun hätten, wärst du mittlerweile gefeuert«, mault Charlie, der Koch.
Wäre er jemand anderes, hätte ich ihm gesagt, dass mein Freund endlich nach Hause kommt, aber Charlie ist nicht der Typ dafür. Ich könnte ihm erzählen, dass mir eine tödliche Krankheit diagnostiziert wurde, und es würde ihn trotzdem nicht interessieren.
»Tut mir leid.« Ich wische mir die Haare aus dem Gesicht und schnappe mir zwei Teller unter der Wärmelampe weg.
»Nicht nötig«, entgegnet er so mitleidslos wie immer und dreht sich um, um die Bestellung neu zu machen, die ich falsch aufgeschrieben hatte. »Hör einfach auf, Mist zu verzapfen.«
Stacy nimmt mir die beiden Teller ab. »Kirchenladys, Bereich zwei. Gehören dir.«
Sie drückt mir immer die älteren Damen auf, die nach der Bibelstunde herkommen, weil sie schlechtes Trinkgeld geben. Mich stört allerdings ihr Verhalten am meisten: die arrogante, selbstzufriedene Art, mit der sie mich daran erinnern, wie glücklich ich mich schätzen kann, diesen Job zu haben. Wie glücklich ich mich schätzen kann, dass der Pfarrer und seine Frau – Dannys Eltern – mich aufgenommen haben.
»Ich bin überrascht, dich hier zu sehen«, sagt Mrs Poffsteader. »Kommt Danny heute nicht nach Hause?«
Die Frage – so unschuldig. Der Tonfall – eher nicht. Ich sollte zu aufgeregt sein, um heute zu arbeiten, meint sie. Ich sollte mich fertig machen. Und würde ich nicht arbeiten, würde sie vermutlich andeuten, ich sei faul. Bei diesen Leuten kann man nur verlieren.
»Heute Abend«, antworte ich. »Ich habe also noch genug Zeit.«
»Miss Donna sagt, er bringt einen Freund mit.«
Ich zwinge mich zu einem Lächeln. »Ja, Luke. Ich glaube, sie wollen surfen.« Luke Taylor, Dannys Teamkamerad, erschien mir absolut nett bei dem einen Gespräch, das wir geführt haben. Und ich weiß, dass sein Stipendium keine Unterkunft für den Sommer beinhaltet, aber ich will wirklich nicht, dass mein Sommer mit Danny von einem Collegefreund mit anderen Prioritäten gekapert wird. Im vergangenen Jahr hat sich mein Sozialleben komplett um die Kirche gedreht – Singen im Chor, Donna mit den Veranstaltungen helfen –, daher erscheint es mir nicht zu viel, darum zu bitten, ein wenig von Dannys Aufmerksamkeit nur für mich zu haben. Ich hoffe wirklich, dass Luke nicht vorhat, hier zu bleiben.
»Ich hätte gedacht, er würde mittlerweile eine Freundin auf dem College gefunden haben«, sagt Mrs Miles. »Aber ich schätze, für dich ist es gut, dass es immer noch funktioniert. Es war so nett von dem Pfarrer, dich einfach aufzunehmen.«
Ihre unverhohlene Andeutung, dass Danny eine bessere als mich finden könnte, ist mir egal – da bin ich ganz ihrer Meinung. Es ist die unterschwellige Botschaft, die ich langsam satt habe: »Sei dankbarer, Juliet. Ohne sie wärst du nirgendwo, Juliet. Beweise uns, dass du den Gefallen wert bist, den sie dir getan haben, Juliet.«
»Das war es.« Ich hole meinen Notizblock hervor. »Was kann ich Ihnen zu trinken bringen?«
Sie wirken enttäuscht von mir, während ich ihre Eistee-Bestellungen aufnehme. Ich weiß, was sie wollten: eine Dankesbekundung meinerseits. Sie wollten, dass ich mich in Dankbarkeit ergieße, auf die Knie falle und zugebe, dass ich Abfall bin und immer Abfall bleiben werde, der nichts von dem verdient hat, was ich erhalten habe. Die Menschen wollen, dass Wohltätigkeit nur denen zuteilwird, die ihren Platz kennen.
Und ich bin dankbar – vor etwas über einem Jahr hätte ich nicht mal ein Sandwich machen können, ohne dass mir die Schulter ausgekugelt wurde. Ich hätte mich nicht mal darauf verlassen können, überhaupt die Zutaten für ein Sandwich zu haben.
Aber etwas an dieser ständigen Forderung nach Zurschaustellung von Dankbarkeit Menschen gegenüber, die noch nie auch nur einen Finger für mich krumm gemacht haben, bringt mich dazu, knauserig mit meiner Dankbarkeit zu sein. Ich danke Donna jeden einzelnen Abend. Aber diese Kühe aus der Kirche? Ich hoffe doch, dass sie nicht mit angehaltenem Atem darauf warten.
Ich bringe ihnen ihre Getränke und nehme ihre Bestellungen entgegen. Immer, wenn ich an den Tisch komme, unterbrechen sie ihre Unterhaltung, was mich nicht überrascht. Selbst wenn ihre Bibeln vor ihnen liegen, bleibt ihr Lieblingsthema dasselbe: Danny hätte eine viel bessere Freundin als mich haben können, und diese Sache wird nicht gut enden. Es ist eine Erleichterung, als sie endlich gehen.
Ich räume ihren Tisch ab – ein Dollar Trinkgeld bei einer Rechnung von fünfundzwanzig Dollar, natürlich. Ich will gerade mein Tablett anheben, als die Glocke über der Tür erneut klingelt und ein traumhaft gut aussehender Typ hereinkommt – blond, markantes Kinn und ein Lächeln in meine Richtung, als wäre ich ihm das Allerliebste auf der Welt. Der schicke Blazer der Privatschule wurde durch Shorts und ein UCSD-Football-T-Shirt ersetzt, aber er bleibt immer noch der perfekte Disney-Channel-Held, dem ich in meinem zweiten Highschool-Jahr begegnet bin. Er sieht immer noch zu gut für mich aus. Und doch ist er aus irgendeinem Grund mein.
»Danny!«, kreische ich, lasse das Tablett klirrend fallen, laufe quer durchs Restaurant und werfe mich ihm um den Hals.
Er drückt mich nur ganz kurz fest an sich, bevor er sich sanft wieder löst. Öffentliche Liebesbekundungen sind ihm eher unangenehm, aber das kann man ihm auch nicht verdenken. Als Sohn des Pfarrers einer Kleinstadt wird jede seiner Bewegungen ausführlich besprochen … Und zwar sehr wahrscheinlich mit seinen Eltern.
»Wie kommt es, dass du schon da bist?«, frage ich atemlos.
»Weil …« Grinsend wirft er einen Blick über die Schulter. »… ich nicht derjenige war, der gefahren ist.«
Erst da sehe ich an ihm vorbei zu dem Typen, der jetzt hereinkommt. Ich blinzle. Einmal, zweimal. Ich hatte ein Bild von Luke im Kopf: süß, typisch amerikanisch, der Junge, den du Mom vorstellst. Genau wie Danny.
Aber Luke ist nicht süß. Er ist nicht der Junge, den du mit nach Hause bringst. Er ist nicht mal ein Junge – er ist ein Meter fünfundneunzig, schlank und muskulös, hat eine Rasur nötig und ist straff und gebräunt und … irgendwie gefährlich. So anders als Danny, so wie noch niemand, den ich kennengelernt habe.
Mein Lächeln gleitet mir aus dem Gesicht. Mein Mund wird trocken und mein Herz pocht in meinen Ohren. Er lächelt nicht. Ich kann nicht einschätzen, ob er sich unwohl fühlt oder wütend ist, aber der nette Kerl, den ich am Telefon kennengelernt habe, ist komplett verschwunden, und der, der seinen Platz eingenommen hat, scheint mich jetzt schon nicht besonders zu mögen.
»Hi«, flüstere ich mit unsteter Stimme. Irgendetwas an seinem Gesicht drängt mich dazu, ihn anzustarren: die seltsame Farbe seiner Augen – braun mit einem Hauch von Grün –, die Einbuchtungen unter seinen Wangen, der unerwartet sanfte Mund.
Danny wirft mir einen Arm um die Schultern. »Ich hab dir doch gesagt, dass sie das hübscheste Mädchen überhaupt ist, oder?«
Luke sieht mich an, als würde er Dannys Worte abwägen. »Das hast du allen erzählt, ja.« Besser hätte er es nicht abstreiten können, ohne es direkt zu tun, und trotzdem stehe ich hier, starre ihn immer noch an und versuche, dieses beharrliche Flattern tief in meinem Bauch zu ignorieren, das plötzlich erblüht ist.
Ich schlucke schwer und lenke meinen Blick zu Danny. »Ich habe erst um fünf Schluss.«
Sanft drückt er mir einen Kuss auf die Stirn. »Lass dir Zeit. Wir fahren nach Kirkpatrick, um Luke zu zeigen, warum er den Sommer über hierbleiben sollte.«
Ich zwinge mich zu einem Lächeln, um das Unbehagen zu überspielen, das ich mir nicht einmal selbst erklären kann. Und Lukes mürrischer Miene nach zu urteilen, fühlt er es auch.
Die Sonne geht langsam unter, als ich bei dem properen Haus der Allens ankomme, mit seiner einladenden Veranda und den gepflegten Rosenbüschen mit den blassrosa Blüten.
Letztes Jahr war alles, was ich wollte, ein wohlgeordnetes Haus wie dieses, in das ich heimkommen könnte, ein Ort, an dem ich sicher wäre. Ich bin hierhergekommen, nachdem mein Stiefbruder mir die Schulter ausgekugelt hatte, und ich dachte, ich würde immer glücklich sein, solange ich es mein Zuhause nennen könnte.
Es ist schon seltsam, wenn man dann bekommt, was man sich wünscht, und dann einfach anfängt, sich etwas anderes zu wünschen.
Heute wünschte ich mir, dass ich einfach für fünf Minuten das Gesicht in mein Kissen drücken oder wenigstens den Gestank des Diners aus meinen Haaren waschen könnte. Aber wenn du irgendwo Hausgast bist, dann darfst du nicht müde sein. Du darfst keinen schlechten Tag haben.
»Juliet?«, ruft Donna aus der Küche. »Kannst du herkommen und mir mit den Kartoffeln helfen?«
Donna meint es nicht böse – sie kocht einfach wirklich gern und erschafft ein gemütliches Zuhause, und sie wollte immer eine Tochter, die ihr in der Küche hilft und an die sie diese Dinge weitergeben kann. Aber für mich fühlt es sich in der Küche oft einfach an wie eine Verlängerung meines Arbeitstages – selbst in meinen Träumen schenke ich jemandem Kaffee nach oder laufe schnell los, um Ketchup zu suchen.
Luke und Danny sitzen am Tisch und strahlen von einem Nachmittag in der Sonne, ihr Haar ist noch nass vom Duschen. Luke sitzt an einem der Tischenden, dort, wo eigentlich Dannys Stammplatz ist. Als er vorhin ins Diner gekommen ist, hat seine Größe ihn fast schlaksig wirken lassen. Im Sitzen ist er allerdings beinahe zu groß für den Tisch, für das Zimmer. Ohne ihn waren wir vier normal große Menschen, perfekt ausbalanciert. Er hat unser Gleichgewicht durcheinandergebracht, und das fühlt sich irgendwie gefährlich an.
Danny erkundigt sich nach meinem Arbeitstag, während ich die Kartoffeln abgieße, die Donna gekocht hat. Könnte ich offen sprechen, würde ich erzählen, dass die Kirchenladys die ganze Zeit über schlecht über mich geredet haben und überrascht waren, dass Danny noch keine Neue hat. Ich würde erwähnen, dass Mr Kennedy mir wieder an den Hintern gefasst hat oder dass ein paar Jugendliche ihr Trinkgeld mit Ketchup an den Tisch geklebt haben.
»Er war okay«, sage ich stattdessen, denn der Pfarrer hat mir den Job vermittelt, und ich möchte nicht undankbar wirken. Die Allens halten mich für still, aber ich bin mir nicht sicher, ob das wahr ist. Es gibt nur so vieles, das ich nicht sagen kann, da ist es leichter, einfach gar nicht zu reden.
Ich stampfe die Kartoffeln, während das Gespräch sich schnell wieder um das Thema Surfen dreht, da es das ist, was Luke und Danny letztes Jahr zusammengebracht hat. Es gibt tausend Wege, eine Welle zu beschreiben: holprig oder lasch oder glasig oder stark, und sie scheinen alle zu benutzen. Keine Ahnung, was irgendwas davon bedeuten soll, aber als ich hinüberblicke, erstaunt es mich, wie lebhaft Luke ist, während er darüber spricht. Seine Augen leuchten, sein Lächeln ist breit, und ich glaube, ich habe noch nie in meinem Leben einen so anziehenden Menschen gesehen. Ich mag ihn nicht mal und will trotzdem starren, ich will lächeln, wenn er lächelt.
Der Wagen des Pfarrers hält in der Einfahrt, und wir beeilen uns ein wenig, denn er bevorzugt es, wenn das Abendessen sofort serviert wird. Er umarmt seinen Sohn und schüttelt Luke die Hand, bevor er seinen Platz am Kopf des Tisches einnimmt. Ich helfe Donna dabei, das Essen aufzutragen, und setze mich dann auf die Bank neben Danny, der seine Lippen auf meinen Kopf drückt, bevor er die Nase rümpft.
»Du riechst nach Cheeseburger«, sagt er grinsend.
Luke, der uns gegenübersitzt, blickt mich einen Moment zu lang an, als würde er auf eine Erklärung von mir warten. Vielleicht denkt er dasselbe wie Mrs Poffsteader – dass ich mir den Tag freigenommen hätte, wenn Danny mir wirklich wichtig wäre. Dass ich nur hinter Danny her bin, um einen Ort zum Wohnen zu haben.
So ist es nicht. Ich weiß das. Aber ich habe keine Ahnung, wohin ich gehen würde, wenn Danny und ich uns trennen würden. Ich habe nur sehr wenige Ersparnisse durch den Job im Diner, und mir wurde sehr deutlich gemacht, dass ich zu Hause nicht mehr willkommen bin. Nicht dass ich dorthin zurückgehen würde.
»Haben wir irgendwo Pfeffer?«, fragt der Pfarrer.
Überrascht weitet Donna die Augen. Ich weiß absolut nicht, warum sie überrascht ist – der Pastor beschließt immer, dass irgendwas fehlt, egal, wie sehr sie sich anstrengt. Ohne Aufforderung stehe ich auf, und Luke runzelt die Stirn. Als ich mit dem Pfeffer zurückkomme, sieht er mich immer noch an, in seinem Blick liegt etwas Hartes.
»Kannst du noch den Tee mitbringen, wenn du schon stehst, Juliet?«, fügt der Pastor hinzu, bevor er mit einer Geschichte über eine Frau anfängt, die mit ihrem Baby hilfesuchend zu ihm gekommen ist. Das macht er oft beim Abendessen – er spricht über die Ereignisse seines Tages und sucht darin etwas, das er für seine Sonntagspredigt verwenden kann. Vielleicht nimmt er das Thema Gott hilft denen, die sich selbst helfen. Vielleicht auch Wohltätigkeit beginnt zu Hause. Er hat sich noch nicht entschieden.
Die ganze Zeit über schweigt Luke, doch er entzieht dem Raum den ganzen Sauerstoff. Dannys Haus ist in den letzten eineinhalb Jahren ein sicherer Hafen für mich gewesen, aber jetzt, da Luke hier ist … ist es das irgendwie nicht länger. Ich hoffe wirklich sehr, dass er nicht bleibt.
Donna und ich stehen auf, um den Tisch abzuräumen, und auch Luke erhebt sich, aber Donna winkt mit einem freundlichen Lächeln ab.
»Bleib sitzen«, drängt sie, als wäre er irgendein Würdenträger.
Ich gehe nach draußen in die Garage, um eine Packung Eiscreme aus der Gefriertruhe zu holen, während Donna Kaffee kocht. Dann schneidet sie den Pie an, und ich stelle Milch und Zucker auf den Tisch. Ich mache das jeden Abend, doch heute fühle ich mich dabei so unnatürlich, als sei ich eine Pantomimin auf einer Bühne – weil Luke mich beobachtet. Und sein Urteil ist geradezu greifbar, weshalb sich jede meiner Bewegungen erzwungen und falsch anfühlt.
Sie essen ihren Pie, während ich mit dem Schrubben der Töpfe anfange, und als mein Blick versehentlich auf seinen trifft, geht seiner verachtungsvoll von meinem Gesicht zum Geschirrtuch. Seine Gedanken sind so offensichtlich, als würde er sie laut aussprechen: »Ich durchschaue dich, Juliet, und du gehörst verdammt noch mal nicht hierher.«
Im letzten Jahr habe ich mein Bestes gegeben, so freundlich, gutmütig und nachsichtig zu sein wie die Allens, aber bei Luke kann ich diese Person nicht sein. Ich kann einfach nicht.
Ich sehe ihn aus schmalen Augen an. Vielleicht gehöre ich nicht hierher, Luke Taylor. Aber du genauso wenig.
Ein zufriedenes Funkeln erhellt seine Augen, als wäre das die Reaktion, die er sich die ganze Zeit über von mir gewünscht hat.
Nach dem Abendessen gehen wir zu einer Party in einer bewachten Wohnanlage, die von einem der Kids aus der Westside ausgerichtet wird – der schicken Privatschule, auf die Danny mit einem Stipendium gegangen ist. Danny gibt sich Mühe dabei, mich einzubeziehen.
»Ihr erinnert euch noch an meine Freundin Juliet«, sagt er, und die meisten erinnern sich, aber geben vor, es nicht zu tun. Denn so sind sie.
Uns wird Bier angeboten, das Danny für uns beide ablehnt. Aber das ist okay. Was ich mehr will als eine normale Highschool-Erfahrung, ist, so zu sein wie die Allens. Es irgendwie zu schaffen, alles wert zu sein, was sie mir geben, oder besser noch und auch unmöglicher – eine von ihnen zu werden. Eine kleine Nachwuchs-Donna, die Eichhörnchen im Garten anlächelt, die einander jagen, und nichts weiter möchte, als ihre Tage damit zu verbringen, Pie zu backen und mit ihren Lieben am Tisch zu sitzen. In ihr ruht so eine Friedlichkeit, eine zufriedene Stille, und ich hätte gern etwas von dieser Stille für mich.
»Du bist das Mädchen, das der Pfarrer aufgenommen hat, richtig?«, fragt einer der Typen bei der Vorstellungsrunde. »Ist dein Bruder nicht gestorben oder so?«
Oder so. Als wäre Sterben anderen Dingen so ähnlich, dass es schwierig ist, sie auseinanderzuhalten.
Ich schlucke schwer. »Ja.« Er ist gestorben oder so.
Dannys Unbehagen ist schlimmer als die Erinnerung daran. Ich bin mir nicht sicher, ob er einfach Mitgefühl mit mir hat, oder ob ihm die Verbindung peinlich ist. Wenn ein Teenager aus Haverford stirbt, hat er es für gewöhnlich selbst zu verschulden.
Wir schlendern nach draußen, wo Luke mit einem Bier in der Hand und einem Mädchen auf dem Schoß am Lagerfeuer sitzt, obwohl wir erst seit höchstens zehn Minuten hier sind. Im Gegensatz zu mir wurde er schon in die Reihen aufgenommen – denn Uni-Sportler zu sein hat mehr Bedeutung als die Freundin von jemandem zu sein.
»Juliet?«, fragt das Mädchen neben mir. Sie ist hinreißend, aber scheint überhaupt nicht in diese Gruppe zu passen. Ihr blondes Haar ist zu einem ordentlichen Bob geschnitten. Sie trägt weder eine künstliche Bräune noch falsche Wimpern oder Make-up. »Ich bin Libby. Meine Familie ist gerade erst hergezogen, aber ich wollte dir sagen, dass ich dich letzte Woche in der Kirche habe singen hören, und du hast eine wunderschöne Stimme. Alleine dein Gesang hat mich Gott schon nähergebracht.«
Dieses Gefühl habe ich noch nie verspürt, es ist mir so fremd, dass ich davon ausgehen würde, sie verarscht mich, wenn in ihren Augen nicht diese Aufrichtigkeit glänzen würde.
Sie erzählt mir, dass sie gerade das erste Jahr des Colleges hinter sich hat. Ich kann nicht glauben, dass sie zwei Jahre älter ist als ich, aber das liegt wohl daran, dass sie so unschuldig und wohlmeinend ist, und ich bin weder noch.
»Komm doch in den Chor«, dränge ich sie, als sie erwähnt, wie sehr sie das Singen liebt. »Ich kann noch jemanden da oben gebrauchen, der keine tausend Jahre alt ist.«
Sie lacht und hält sich dann eine Hand vor den Mund, als fühlte sie sich schuldig.
Wäre ich ein besserer Mensch, würde ich Danny gehen lassen. Ich würde zulassen, dass er mich verlässt, um sich in ein süßes, reines Mädchen zu verlieben, das sich schuldig fühlt, weil es über meine gehässige Bemerkung lacht, und das sich Gott jemals nahe fühlt. Doch ich bin kein besserer Mensch, und ich lasse ihn nicht gehen.
»Hey, Maggie!«, ruft ein Typ dem Mädchen zu, das aus dem verdunkelten Poolhaus kommt und sich noch die Shorts zuknöpft. »Du warst aber nicht lange da drinnen. Nimm mich als Nächsten dran.«
Sie lacht. »Ich mag Mahlzeiten, keine Snacks.«
Danny lässt hartnäckig die Finger von mir, da ich minderjährig bin, und meine Erfahrungen vor ihm haben größtenteils ungewollt stattgefunden – ich habe das Beste aus einer schlechten Situation gemacht. Aber Maggie hat eine benommene, apathische Befriedigung im Gesicht, die ich zuvor schon bei anderen Mädchen gesehen habe. Ich möchte wissen, wie das ist. Und ich möchte wissen, wie es ist, wenn einem anschließend nicht übel deswegen ist.
Ich wende den Blick ab und erwische Luke dabei, wie er mich beobachtet, als könnte er mich direkt durchschauen, als wüsste er genau, was ich will. Und einen Moment lang herrscht eine seltsame Energie zwischen uns, eine Schwere in der Luft.
»Das hier ist nicht wirklich unsere Szene«, sagt Danny leise, während er von Maggie zu dem Typen rechts von sich schaut, der sich einen Joint anzündet. »Sollen wir gehen?«
Ich nicke, obwohl in Wahrheit alles hier meine Szene ist. In einer Welt ohne die Allens wäre ich ein vollkommen anderes Mädchen.
Luke wirft Danny die Schlüssel zum Jeep zu. »Warte nicht auf mich.«
Das Mädchen auf seinem Schoß lässt bereits eine Hand unter seinen Hosenbund gleiten, und das lässt etwas in meinem Magen brennen. Alle anderen auf der Welt – Mädchen wie sie und Maggie – bekommen, was sie wollen. Sie dürfen trinken und tanzen und … experimentieren. Warum ich nicht?
»Die Güte eines Menschen kommt ihm selbst zugute«, sagt Pfarrer Dan oft. Aber momentan fühlt es sich nicht gerade danach an.
Wir steigen in den Jeep, und Danny startet den Motor, bevor er vorsichtig losfährt. Ich frage mich, was Luke als Nächstes tun wird. Wird er das Mädchen küssen, als wäre sie wichtig, oder wird er sie küssen, wie Justin mich geküsst hat – größtenteils um sie zum Schweigen zu bringen, damit sie ihn nicht abweisen kann?
»Du bist still«, sagt Danny.
Ich drehe mich zu ihm. »Er wirkt nicht wie jemand, mit dem du befreundet wärst.«
Danny zuckt mit den Schultern. »Ich mag nicht alles gutheißen, was er tut, aber er ist ein guter Kerl. Und er hatte ein hartes Leben. Ich meine, unvorstellbar hart. Er ist obdachlos, seitdem er sechzehn ist … Ich glaube, sein Stiefvater hat seine Mom geschlagen, und sie haben ihn rausgeschmissen, als er dazwischengehen wollte. Kannst du dir das vorstellen … obdachlos mit sechzehn?«
Leise lache ich. »Also … ja. Ich bin mit fünfzehn von zu Hause weg.«
»Aber das war deine Entscheidung«, korrigiert er, und ich beiße die Zähne zusammen. Ich würde nicht gerade sagen, dass ich eine Wahl hatte, wenn man bedenkt, dass mein Stiefbruder mir die Schulter ausgekugelt hat. Danny ist manchmal geradezu starrsinnig, wenn er meine Vergangenheit betrachtet.
»Er scheint mich nicht besonders zu mögen.«
Danny schüttelt den Kopf. »Er ist einfach nur still. Das hat nichts mit dir zu tun.«
Ich will sagen, dass Luke etwas Hartes im Gesicht hat, wenn er mich ansieht, etwas, das nicht da ist, wenn er alle anderen ansieht, aber ich klinge nur verrückt, wenn ich weiterhin darauf beharre. Also hoffe ich stattdessen einfach, dass er sich zum Gehen entschließt, wenn das Wochenende vorbei ist.
Nach dem Aufstehen am Samstag gehen wir zum Strand, wo es furchtbar windig ist. Und ich bereue es zutiefst, den Tag frei genommen zu haben, was ich nur getan habe, weil ich dachte, dass Danny und ich ihn zu zweit verbringen. Das Wetter Ende Mai in Nordkalifornien ist ohnehin reine Glückssache. Es kann mild im Schatten sein oder so windig, dass selbst das Sonnenlicht einen nicht richtig warmhält. Heute ist Letzteres der Fall, und da Luke sich verhält, als hätte ich den Stadtbrunnen vergiftet, wird der kleine Reiz, den dieser Trip hatte, vollkommen zunichtegemacht.
Danny und Luke kommen die Treppe herunter, gerade als wir das Frühstück fertig haben. Lukes Augen sind kaum offen, und trotzdem erspähe ich die allgegenwärtige Verachtung darin, als ich in seine Richtung schaue.
»Hast du deine Badesachen an, Schatz?«, fragt Danny mich. »Wir fahren sofort nach dem Essen los.«
Ich kann nicht. Ich kann nicht den ganzen Tag mit einem Typen verbringen, der mich dafür hasst, dass ich erbärmlich und bedürftig bin und mich bei den Leuten einschleime, die mich aufgenommen haben. Ich kann nicht.
»Es ist ziemlich kalt«, schütze ich vor. »Und der Wind wird den Sand aufwirbeln.«
»Es wird noch wärmer«, sagt Danny. »Du musst mitkommen. Ich habe dich seit Monaten nicht gesehen.«
So bekommt Danny immer seinen Willen – indem er der einzige Mensch ist, der mich in seiner Nähe haben will. Lukes Blick weiche ich bewusst aus, während ich nachgebe.
Sie essen, während ich die Pfannen schrubbe, und ich habe mich gerade gesetzt, als Danny seine Mom fragt, ob es noch Saft gibt.
»Ich mache schon«, sage ich, stehe wieder auf und gehe zum Kühlschrank in der Garage. Als ich zurückkehre, trifft Lukes Blick auf meinen, und er hebt eine Augenbraue. Als würde er sagen: Ich weiß genau, was du da machst.
Ich hebe ebenfalls eine Augenbraue: Fick dich, Luke. Es ist nichts Falsches daran, dass ich mir Mühe gebe, im Haushalt zu helfen. Meinen Teil beitrage. Vielleicht tue ich es, um sie davon zu überzeugen, dass ich kein schlechter Mensch bin, vielleicht auch, um mich davon zu überzeugen. So oder so geht es ihn nichts an.
Nach dem Frühstück gehe ich nach draußen zu Lukes ramponiertem uralten Jeep und zittere in meinem Hoodie, während ich ein Buch und ein Handtuch an meine Brust drücke. Luke sieht mich an, sein Blick wandert von meinen Knöcheln aufwärts.
»Wo ist ihr Board?«, fragt er.
Danny lacht und legt einen Arm um mich. »Juliet surft nicht.« Letzten Sommer hat er versucht, es mir beizubringen, aber es lief nicht gut. »Glaub mir, es ist sicherer für alle, wenn sie am Strand bleibt und hübsch aussieht.«
Ein Muskel in Lukes Wange zuckt, ein stiller Einwand entweder zu meinem Mangel an Surffähigkeiten oder an der Tatsache, dass Danny mich hübsch findet. »Vielleicht solltest du sie dann mit dem Truck fahren. Wenn ihr jetzt schon kalt ist, wird sie gleich ohne Verdeck auf der Straße erfrieren.«
»Es wird gehen, oder?«, drängt Danny, der mir sanft die Hüfte drückt. »Wir fahren nur zehn Minuten die Straße runter.«
Ich nicke. Wenn Danny selbst fährt, dann müssen seine Eltern sich ein Auto teilen, und jede Unannehmlichkeit, die sie erleiden, wird letztendlich meine Schuld sein. Ich versuche, so oft es geht, keine Schuld zu haben.
Ich quetsche mich in eine winzige Ecke auf dem Rücksitz, wo die Surfboards gegen meine Schulter knallen und der Wind, der durch die offenen Fenster weht, es mir unmöglich macht, viel von dem Gespräch mitzubekommen.
Mein Handy kündigt bimmelnd eine eingehende Nachricht an. Als ich sehe, dass sie von meiner Freundin Hailey ist, rutsche ich tiefer in meinen Sitz. Ich weiß schon, dass ihre Worte nicht für andere Augen gedacht sind.
Hailey: UND … wie war es?
Sie war sicher, dass letzte Nacht die Nacht sein würde. Ich war ziemlich sicher, dass sie es nicht sein würde, und ich hatte recht.
Ich: Ereignislos. Wie ich es dir gesagt habe. Er ist einfach nur vorsichtig, denke ich. Ist irgendwie süß.
Hailey: Shane Harris ist auch süß, aber ich garantiere dir, das wird IHN nicht aufhalten, falls du die Situation leid bist.
Würde ich auf Shanes wiederholtes Angebot mit »Ja« antworten, wenn ich nicht mit Danny zusammen wäre? Vielleicht, aber ich bin mit Danny zusammen, und ich lebe bei seinen Eltern, also hat es keinen Sinn, über diese Frage nachzudenken.
Als wir Kirkpatrick erreichen, parken wir auf dem Seitenstreifen. Ich zittere beim Aussteigen, und Luke verdreht die Augen, als ich mir das Handtuch umwickle, um mich zu wärmen.
Ich folge ihnen an den Strand und setze mich, bevor ich die Knie unter mein Sweatshirt klemme, während sie ihre Shirts ausziehen und Neoprenanzüge überziehen. Der Wind trägt den Duft nach Sonnenmilch, Seegras und Wildblumen herüber, und obwohl es kühl ist, schließe ich die Augen und atme tief ein, während ich mein Gesicht dem Himmel entgegenstrecke. An manchen Tagen hier draußen, wenn die Sonne scheint und die Brise sanft ist, glaube ich fast, dass ich geheilt werden kann.
Als ich die Augen wieder öffne, marschiert Danny bereits wie ein starker und fähiger Soldat aufs Wasser zu, Luke jedoch nicht.
Reglos beobachtet er mich, aber als ich die Augen öffne, wendet er den Blick ab und marschiert ohne ein Wort davon.
Er trägt das Surfboard locker unter einem Arm, als würde es nichts wiegen. Seine Größe lässt ihn beinahe schmal wirken, wenn er bekleidet ist, aber er hat die breiten Schultern eines Schwimmers und eine innewohnende Anmut, die man nicht mit Football in Verbindung bringen würde, aber auch nicht unbedingt mit Ballett. Es ist eher so, als wäre er ein Tiger in Menschengestalt, der eine Art athletische Eleganz an den Tag legt, selbst wenn er etwas so Simples tut, wie am Strand entlangzugehen.
Sie paddeln hinaus und positionieren sich im Line-up, während ich meine Füße in den kühlen Sand grabe, um sie vor dem Wind zu schützen. Es wird bald wärmer, aber ich wünschte trotzdem, ich wäre nicht mitgekommen.
Danny nimmt direkt die erste Welle, die Art von Welle, die er immer nimmt – gemäßigt und vorhersehbar. Er versucht einen Cutback durchzuführen, aber der schlägt fehl.
Ich warte darauf, dass Luke die nächste nimmt, aber das tut er nicht. Er lässt eine Welle nach der anderen vorbeirollen. Danny behauptet, Luke sei richtig gut – er ist mit Surfen aufgewachsen, bevor seine Familie während der Highschool weggezogen ist –, aber ich frage mich, ob er eingeschüchtert ist, da er bis jetzt nur in San Diego gesurft hat. Es ist zwar egoistisch von mir, aber ich hoffe, dass er eingeschüchtert ist.
Ich hoffe, er hasst es hier und kommt nie, nie wieder zurück.
Gerade als ich das denke, setzt er sich aufrecht hin und blickt in die Ferne, hat jedoch jeden Muskel angespannt. Wieder erinnert er mich an einen Tiger, diesmal allerdings an einen, der gerade seine Beute erspäht hat. Die Welle in der Ferne wird dicker, schwillt an. Luke legt sich flach auf den Bauch und paddelt kräftig, seine breiten Schultern bewegen sich stetig, während sich hinter ihm eine Wand aus Wasser bildet.
Es ist keine Anfängerwelle – es ist die Art von Welle, die dich schwer verletzen könnte, wenn du nicht weißt, was du tust. Und obwohl ich ihn nicht mag und ihn nicht hier haben will, halte ich den Atem an und stelle mich auf eine Katastrophe ein.
Plötzlich steht er aufrecht, wie von Zauberhand. Während Danny bei seinen Pop-ups methodisch vorgeht, vorsichtig einen Fuß nach dem anderen aufstellt, hat Luke seinen Körper irgendwie in einer nahtlosen Bewegung in die Luft befördert und landet mühelos mit festem Stand auf den Füßen. Es passiert so schnell, dass ich es kaum verarbeiten kann, so schnell, dass ich mich frage, ob ich es mir eingebildet habe.
Ich dachte, seine Größe wäre ein Nachteil für ihn, aber sie scheint gar kein Faktor zu sein. Die Welle ist ein Monster, holprig und wild. Doch er könnte auch barfuß auf dem Küchenboden stehen – so stabil wirkt er.
Er schneidet die Wasserwand, führt mühelos einen Aerial aus und dann wieder einen Cut-up, wobei er die Welle mit der Hand streift, um sich auszubremsen, während er in die Barrel gleitet, um es so lange wie möglich hinauszuzögern. Er sieht wie ein Profi aus, die Typen, die dafür trainieren, am Mavericks Beach zu surfen, wenn die Winterströmung kommt. Und selbst aus der Ferne erkenne ich jetzt, warum er für bessere Wellen bereit ist, acht Stunden in den Norden zu fahren, und es in Kauf nimmt, bei einem Pfarrer zu wohnen. Er ist glücklich. Ich habe ihn schon lächeln gesehen, ihn schon lachen gehört, aber da ist etwas anderes in ihm, während er über das Wasser gleitet, etwas zutiefst Fokussiertes und Vollkommenes.
Schließlich kommt Luke aus der Barrel geschossen, sein Surfboard fliegt in die Höhe, während es wieder zurück auf den Gipfel des Wellenendes zugleitet. Einige Typen im Line-up jubeln – Typen, die ihre Anerkennung normalerweise mit einem kurzen Nicken oder einen leisen »Nice« zeigen. So gut ist er. Er lässt sich wieder sinken und liegt paddelnd auf dem Board, seine Freude wird durch etwas anderes ersetzt, etwas Besseres. Intensität. Als wäre nichts auf der Welt wichtig, außer es zu wiederholen.
Danny ist nicht so. Er will nicht mehr. Er ist mit genau dem glücklich, was er schon hat. Ich wünschte, ich wäre in der Hinsicht etwas mehr wie Danny. Ich versuche es.
Als sie zwei Stunden später endlich ans Ufer zurückkehren, sind sie sandig und salzig, mehr als erschöpft, aber es ist eine andere Art von Erschöpfung als die, die ich am Ende einer Schicht im Diner verspüre. Sie ist aufgeregt und ekstatisch. Trotz ihrer Größe erinnern sie mich an kleine Jungen.
»Babe, hast du das gesehen?«, fragt Danny hocherfreut darüber, dass er endlich einen kleinen Aerial hinbekommen hat. »Ich glaube, ich verstehe endlich, was ich vorher falsch gemacht habe.«
»Schlecht gesurft?«, scherzt Luke. »Ist es das, was du falsch gemacht hast?« Und dann lacht er – der Klang ist tief und heiser und so unbestreitbar männlich, dass ich spüre, wie mich ein Funken durchfährt, beinahe schon schmerzhaft in meinem Bauch knistert.
Danny tritt ihn und lacht, während er neben mir in den Sand fällt. »Arschloch.«
Luke schießt die Augen und dreht das Gesicht der Sonne zu. »Ich will nie wieder in San Diego surfen.«
»Also heißt das dann wohl, dass ich dich davon überzeugt habe, den Sommer über hier zu verbringen?«, fragt Danny.
Luke sieht zu mir, bevor er wieder wegschaut. »Ja. Schätze schon.«
Aber sein Glücksgefühl ist etwas abgeebbt. Und ich schätze, was ihn unglücklich macht, bin ich.
Die meisten Leute sprechen mit Freude davon, die Heimat zu besuchen. Aber für mich sind selbst die guten Erinnerungen an Zuhause von Schmerz verfärbt, von einer Erinnerung an das, was ich verloren habe. Das ist einer der Gründe, warum ich seit sieben Jahren nicht zurückgekehrt bin, wenn auch nicht der wichtigste.
Der Freeway führt um Haverford herum, das noch genauso schäbig aussieht wie immer schon. Cash würde sich kaputtlachen, wäre er jetzt hier. Nach einigen Drinks würde er wieder meine »White-Trash-Wurzeln« erwähnen. Sehr wahrscheinlich würde er nie damit aufhören, sie zu erwähnen.
Donna tätschelt mir die Schulter, als sie meinem Blick folgt. »Ich sehe gelegentlich nach ihr«, sagt sie in Bezug auf meine Mutter. »Es hat sich nicht viel verändert.«
Und das heißt, meine Mutter ist immer noch eine Frau, die sich bei einem Streit stets auf die Seite ihres Ehemanns stellen würde. Eine Frau, die mich hasst, aber trotzdem kein Problem damit hat, mich wieder und wieder nach Geld zu fragen.
Ich gebe es ihr nur, um damit ihr Schweigen zu kaufen.
Wir fahren weiter nach Rhodes, verlassen den Freeway, um auf eine zweispurige Straße zu fahren, die zur Küste führt, wo die Häuser geputzt und einförmig aussehen, mit ordentlich gestutzten Rasenflächen und Postkästen, auf die niemand mit einem Baseballschläger eingeschlagen hat. Dieser Ort ist so anders als der, an dem ich aufgewachsen bin, dass sie verschiedener kaum sein können.
Als wir schließlich vor Donnas gelbem Schindelhaus ankommen, macht mein Magen einen Hüpfer. Der neue Anbau dahinter ist so groß, dass er das Haupthaus beinahe klein aussehen lässt, wodurch es unbedeutend und sonderbar aussieht, doch ich erinnere mich noch daran, wie leuchtend hell es mir an meinem ersten Abend hier erschienen ist. Als es alles symbolisiert hat, was Danny hatte und ich nicht: Eltern, die ihn geliebt haben, und ein Ort, an dem er sicher war. Damals hatte er alles.
Sie hätten mich nicht durch die Tür kommen lassen sollen.
»Wow«, flüstere ich, als ich aus dem Wagen steige. »Es ist … wie ein anderer Ort.«
Donnas Finger verschränken sich mit meinen, und sie drückt meine Hand. »Das ist alles euch beiden zu verdanken.«
Wir haben nur die Schecks geschrieben. Die wahre Arbeit wird in ein paar Wochen stattfinden, wenn Danny’s House offiziell eröffnet wird.
Viele Einrichtungen – einige gut, andere schlecht – bieten Notfall- und Langzeit-Pflegeunterbringungen, aber Danny’s House wird über ein Team aus hochqualifizierten Psychologen, Anwälten und Erziehungsberatern auf Abruf verfügen. Als Donna mir das erste Mal von ihrer Idee erzählt hat, schien sie mir zu ambitioniert, als dass sie jemals Früchte tragen würde. Deshalb habe ich auch zugestimmt, zu der Eröffnung zu kommen, sollte sie sie jemals umsetzen können – weil ich dachte, dass ich niemals tatsächlich würde herkommen müssen.
Ich wusste nicht, dass sie Luke dasselbe Versprechen abgenommen hat.
Den Eingangsbereich zu betreten fühlt sich an, wie die Vergangenheit zu betreten – fast erwarte ich, dass Danny aus der Küche geschlendert kommt, seine Haut strahlend von einem Tag im Wasser, sein Haar noch feucht –, aber der Rest des Hauses hat sich verändert. Das Wohnzimmer ist größer, das Esszimmer hat jetzt Platz für dreißig Leute, und die Küche hat sich um das Doppelte vergrößert.
Stolz zeigt Donna mir die riesige, neue begehbare Vorratskammer, die bereits mit Snacks aufgefüllt ist.
»Hast du Hunger?«, fragt sie.
Ich schüttle den Kopf.
Luke schnaubt. »Das werden drei interessante Wochen für dich. Keinen Patron, keinen Hummer.«
Aus seinem Munde klingen die Exzesse meines Lifestyles lächerlich, vor allem, wenn man bedenkt, wo wir beide herkommen, und es sind nicht einmal meine Exzesse. Ich habe diese Zusatzklausel für meine Tour nicht gefordert, und ich bin nicht diejenige, die sie der Presse mitgeteilt hat, aber ich zahle seitdem den Preis dafür.
»Das war mein Manager, nicht ich«, sage ich müde. »Glaubst du wirklich, ich würde vor einer Show Hummer essen?«
Mit tödlichem Blick sieht er mich an. »Woher soll ich auch nur die geringste Ahnung haben, was du vor einer Show machst?«
Touché, Luke. Ich schätze, da hast du recht.
Donna sieht uns an und überspielt ihre Sorge schnell mit einem gezwungenen Lächeln. »Ich werde Luke und dich im Anbau unterbringen. Zwei Kinder kommen schon früher, so können sie im Haupthaus schlafen, und ihr müsst nicht umziehen, wenn sie ankommen. Ist das in Ordnung?«
»Natürlich«, sage ich, mein Blick huscht zu Luke und schnell wieder zurück. Er will nicht in meiner Nähe sein. Und ich nicht in seiner. Dieser Besuch wird ja immer besser.
Donna führt uns zum Anbau und öffnet eine Tür links von sich. Dort steht ein Bett, ein Nachttisch und sonst nichts. Die Wände sind kahl, aber das Fenster geht auf den großen Garten hinaus. Wir mussten das Haus hinter Donnas abreißen lassen, um das alles möglich zu machen.
Es wird ein guter Ort für Kinder sein. Ein guter Ort für alle, die aus einem Zuhause kommen wie meinem. Ich blinzle Tränen weg, schlucke schwer und zwinge mich dazu, mich zusammenzureißen. Vielleicht wird wenigstens eine gute Sache aus diesem ganzen verdammten Mist entstehen, doch ich werde nie aufhören, mir zu wünschen, dass er gar nicht erst passiert wäre.
»Ist nicht viel, ich weiß«, sagt Donna.
»Du weißt, wie ich aufgewachsen bin«, sage ich mit einem kleinen Lächeln. »Solange ich ein Bett habe, bin ich zufrieden.«
Sie legt einen Arm um meine Schulter. »Ich habe gesehen, wo du jetzt übernachtest. Ich kann mir also vorstellen, dass du mittlerweile viel Besseres gewöhnt bist.«
Da hat sie nicht unrecht. Ich bin die Art von Mensch geworden, die sich beschwert, wenn der Turndown-Service noch nicht beendet ist, wenn ich mein Zimmer betrete, die genervt ist, wenn eine Suite nicht verfügbar ist. Aber gleichzeitig warte ich immer noch darauf, das alles zu verlieren. Und es gibt kaum eine Nacht, in der ich nicht mit der Erwartung zu Bett gehe, dass ich wieder hinausgezerrt werde – die Hand meines Stiefvaters fest an meinem Knöchel, wie sie mich für irgendeinen Verstoß auf den Boden zieht, oder Justin, der verlangt, dass ich mit ihm das Zimmer verlasse, damit ich meinen Bruder nicht wecke. Vielleicht beschwere ich mich deshalb nicht, wenn Cash grob zu mir ist – weil ich schon Schlimmeres erlebt habe.
Oder vielleicht weiß ich auch einfach, dass ich es verdient habe.
»Es ist perfekt«, sage ich ihr, während mein Mund ein Lächeln formt. »Ich werde meiner Assistentin einfach sagen, sie soll mir hochwertige Bettbezüge mit einer Fadendichte von sechshundert schicken.«
Das war ein Scherz, aber Luke verdreht die Augen, während er zu seinem Zimmer geht, und Groll macht sich in meiner Brust breit. Ich weiß, dass ich seinen Hass absolut verdient habe, jedes bisschen davon, aber glaubt er wirklich, dass ich so schnell so ein Mensch geworden bin?
Natürlich denkt er das. Er hat angenommen, dass ich so ein Mensch war, als ich vor sieben Jahren von hier fortgegangen bin.
»Ich lasse dir deine Ruhe, während ich mit dem Abendessen anfange. Das Bad ist den Gang runter, falls du duschen willst.« Donna schlingt die Arme um mich, und die Vertrautheit dieser Geste tut mir in der Brust weh. »Es ist so schön, dich zu Hause zu haben, Juliet.«
Ich drücke sie fest und kämpfe gegen den Drang zu weinen an. Ich würde ihr gern sagen, dass es auch schön ist, wieder hier zu sein. Aber mit mir, Luke und all den Erinnerungen unter einem Dach … Da besteht absolut keine Möglichkeit, dass es wahr klingen würde.
Die Erinnerungen. Ich weiß nicht, wie zur Hölle ich sie dazu bekommen soll, dass sie nicht weiter aufkommen, aber ich werde mir besser etwas einfallen lassen. Jede einzelne davon muss wieder dort verschlossen werden, wo sie sicher sind. Wo Donna – und Luke – sie nicht erreichen können.
Juni 2013
Jetzt, da die Jungs hier sind, ist Donna ganz in ihrem Element. Sie spannt mich beim Kochen und Putzen ein und dabei, die beiden zu verwöhnen, weil sie sich wirklich nicht vorstellen kann, dass ich lieber etwas anderes tun würde.
In mancherlei Hinsicht ist es, als wäre ich als Klumpen ungeformten Lehms zu ihr gekommen, und sie hat beschlossen, mich zu dem zu formen, was sie sich immer gewünscht hat: eine süße, im Chor singende Tochter – eine aufmerksame und fürsorgliche Ehefrau für ihren Sohn. Ich hatte nicht wirklich irgendwelche Pläne für diesen Klumpen aus Lehm. Daher weiß ich nicht, warum ich gelegentlich den Impuls verspüre, mich wieder zurückverwandeln zu wollen.
Nach einer Doppelschicht im Diner stolpere ich ins Haus und stelle fest, dass die Jungs schon vom Surfen zurück sind.
Beim Eintreten lächelt Donna mich an, als wäre ich die geliebte Prinzessin aus einem Märchen, während Luke mich einfach nur anfunkelt. Er hat bereits erkannt, dass ich der große böse Wolf bin.
»Kannst du für mich mit dem Reis anfangen, Liebes?«, fragt sie.
Ich nicke und gehe zur Spüle, um mir die Hände zu waschen, wobei ich mir wünsche, mich für einen Moment hinsetzen zu können. Nach einer Doppelschicht tut mir sowieso schon immer alles weh, aber heute hat mir ein Mädchen aus Dannys Highschool auch noch ein Bein gestellt, also ist es schlimmer als normalerweise. Jedes Mal, wenn ich schlucke, spüre ich die Stelle, an der mein Kinn beim Sturz auf den Stuhl aufgekommen ist. Und wie immer weiß ich, selbst wenn ich nicht in Lukes Richtung schaue, dass sein vernichtender Blick auf mir liegt und sagt: »Du machst mir nichts vor, Juliet.«
Und doch kann ich ihn nicht hassen. Nicht richtig. Trotz seiner Größe hat Luke bei den Mahlzeiten etwas Mageres und Unterernährtes an sich, das mir das Herz bricht. Er isst schnell, so wie man es tun würde, wenn man am Verhungern wäre, so wie man es tun würde, wenn man eine lange Zeit am Verhungern gewesen wäre. Und so könnte es auch sein; Donna macht nicht annähernd genug zu essen, und er ist viel größer als Danny und der Pfarrer. Er ist auch viel aktiver. Danny hat diesen Sommer einen Schreibtischjob in der Kirche, aber Luke arbeitet auf dem Bau. Er surft nicht nur den ganzen Nachmittag mit Danny, sondern steht auch im Morgengrauen auf, um schon vor der Arbeit zu surfen. Er muss viel mehr Nahrung brauchen, als er bekommt, und als ich mich nach allen anderen an den Tisch setze und feststelle, dass er seinen Teller bereits leer gegessen hat, spüre ich ein Ziehen in meinem Herzen, das ich nicht ignorieren kann.
Jeden Abend verlässt er den Tisch hungrig. Ich weiß nicht, wie Donna das noch nicht bemerkt haben kann.
»Oh Sweetheart«, sagt sie, als ich den Reis in eine Servierschüssel gebe, »du hast doppelt so viel gemacht, wie wir brauchen.«
»Sorry«, entgegne ich, als wäre es ein Versehen gewesen.
Ich setze mich als Letzte, und dabei verfinstert sich Lukes Blick, während er mein Gesicht mustert. »Was ist mit deinem Gesicht passiert?«
Als mich alle ansehen, werde ich rot. »Bin bei der Arbeit gestolpert«, sage ich leise.
Keine Ahnung, warum er die Aufmerksamkeit darauf lenken musste oder warum seine Nasenflügel beben, als hätte ich gerade gelogen. Was ich auch habe, aber welches böswillige Motiv könnte ich denn haben? Glaubt er, ich arbeite nebenbei als Domina? Dass ich auf dem Heimweg Meth verkaufe? Wann soll ich dafür noch Zeit haben? Allerdings arbeitet er sich wie ein Scheunendrescher durch den zusätzlichen Reis, den ich gemacht habe. Ich habe ihm bereits vergeben, lange bevor ich überhaupt damit fertig bin, mir einzureden, dass ich sauer bin.
»Kein Eistee?«, fragt Pfarrer Dan.
»Du willst so spät noch Koffein?«, sorgt Donna sich. Manchmal geht sie mit ihm um, als wäre er ihr Vater und nicht ihr Ehemann, vor allem nach seinem Besuch beim Kardiologen letzten Winter.
»Ich muss gleich noch mal zurück in die Kirche für ein Beratungsgespräch«, erinnert er sie. »Dafür muss ich frisch sein.«
Mit einem entschuldigenden Lächeln sieht sie mich an. »Juliet, Liebes, macht es dir was aus, ihn zu holen?«
»Kannst du auch noch Tabasco mitbringen, wenn du schon stehst?«, fragt Danny, als ich die Beine über die Sitzbank schwinge.
Es ist keine große Sache, aber erneut beben Lukes Nasenflügel. Die Allens haben mir immer das Gefühl gegeben, ein besserer Mensch werden zu können, aber Lukes anhaltende Missachtung sagt etwas völlig anderes. »Juliet, du falsche Schlange. So bist du doch überhaupt nicht.«
Und ich weiß, dass es stimmt. Aber ist es falsch, sich ändern zu wollen? Immer noch zu denken, ich könnte besser werden, als ich bin?
»Du bist eine Heilige«, sagt Donna, als ich zurückkomme.
Ich setze mich, und Lukes harter Blick trifft auf meinen. »Oops.« Er hält die Milchpackung hoch. »Sieht aus, als wäre die leer.«
In seinen Augen steht eine Herausforderung. »Na los, Juliet. Sei ein gutes Mädchen und spring wieder auf. Wir sind schon fast fertig, und du hast noch keinen Bissen genommen, aber lass uns doch dabei zusehen, wie du deine Rolle spielst.«
Wenn er in der Nähe ist, bildet sich ein Riss in meiner Schale, und ich spüre bereits, wie die alte, böse Version von mir hindurchschlüpft. »Du hast zwei gesunde Beine«, entgegne ich.
Ein Funkeln tritt in seine Augen. »Nicht sehr heilig von dir, Juliet.«
»Dass du gestern mit dieser Blondine verschwunden bist auch nicht.«
»Juliet«, ermahnt Donna mich sanft.
Diese Runde geht an Luke. Er wollte beweisen, dass ich ein Arschloch bin, und das ist ihm gelungen. Zum Ende des Sommers werden sie mich nicht mehr in der Nähe haben wollen. Plötzlich den Tränen nahe, packe ich den Tisch fest und bereite mich darauf vor, ein drittes Mal aufzustehen.
»Nicht«, knurrt Luke und steht selbst auf. »Ich mache schon.«
Für den Rest des Abendessens herrscht dicke Luft zwischen Luke und mir, aber das scheint den Allens nicht aufzufallen. Sie sind wie Babyfische, die von zwei weißen Haien umkreist werden. Sie wissen gar nicht, was geschieht, bis Luke und ich sie alle verschlungen haben.
Wir hängen jetzt an den meisten Abenden mit einer Gruppe Surfern am Strand ab: Caleb, Beck und Harrison – reiche College-Kids, die einfach mit einem Bier in der Hand und einem Mädchen neben sich am Lagerfeuer sitzen wollen, während sie übers Surfen reden. Manchmal ist Libby dabei – sie ist auch dem Chor beigetreten –, aber ansonsten passe ich überhaupt nicht dazu.
Vielleicht, weil ich nicht reich bin. Vielleicht auch, weil ich nicht am College bin, aber es liegt auch daran, dass ich mich nicht kleide wie die anderen Mädchen, mich nicht so verhalte wie sie.
Ich sitze nicht auf Dannys Schoß. Ich mache keine Scherze über Blow Jobs oder necke jemanden wegen der langen, harten Nacht, die bevorsteht. Diese Mädchen hier tragen kaum mehr als Bikinis, während ich gekleidet bin wie eine Allen: nichts Enges, nichts Kurzes.
Und ich habe es satt. Ich habe es satt, dass ich immer bedeckt bin, als müsste ich mich für etwas schämen, habe es satt, dass die Dinge mit Danny sich nie weiterentwickeln.
Also ziehe ich meinen Hoodie aus. Ich trage ein Tanktop und abgeschnittene Shorts, mehr als die meisten Mädchen hier, aber ich fühle mich trotzdem auffällig.
Danny diskutiert gerade mit einem Typen neben ihm darüber, wo es die größten Wellen gibt, und bemerkt mich gar nicht, aber Lukes Kiefer malmt, während er wegschaut. Das Mädchen auf seinem Schoß hat kaum ihre Brustwarzen bedeckt, aber ich und mein Tanktop sind ein Problem.
Falls Danny aufgefallen ist, dass ich meinen Hoodie ausgezogen habe, lässt er sich nichts anmerken. Lukes Kiefer allerdings malmt die nächste Stunde über weiter, und er sieht überallhin, nur nicht zu mir. Und dann steht er plötzlich auf und zieht das Mädchen auf seinem Schoß in die Dunkelheit.
Als Danny und ich losgehen, um uns Eiscreme zu holen, rät er mir, den Hoodie wieder anzuziehen. »Nur für den Fall, dass wir jemanden sehen, den wir kennen«, fügt er hinzu.
Also ist es ihm aufgefallen, und der einzige Effekt, den es hatte, ist, dass es ihm anscheinend … peinlich ist?
Ich hole mir Schoko-Minze mit Streuseln, und er – wie passend – holt sich Vanille. Auf dem Weg zurück zum Truck geht ein Paar mit einem schlafenden Baby im Kinderwagen vorbei.
»Ich kann es gar nicht erwarten, Kinder zu haben«, sagt Danny. »Das hier ist ein guter Ort, um sie großzuziehen.«
Ich liebe es, dass er darüber nachdenkt, was seine Kinder glücklich machen würde. Ich liebe es, dass er über die Zukunft nachdenkt. Dem zufolge, was ich gehört habe, hat mein Dad nicht allzu viel über die Zukunft nachgedacht, und er hat ganz sicher nicht darüber nachgedacht, was seine Kinder glücklich machen würde. Er ist noch vor meinem ersten Geburtstag abgehauen.
Doch die Zukunft ist noch weit entfernt. Ich bin noch in der Highschool und habe kaum gelebt. Ich will wissen, wie es ist, mit einem Bier in der Hand auf dem Schoß von jemandem zu sitzen. Ich will wissen, wie es ist, willentlich in die Dunkelheit gezogen zu werden.
Ich will, dass schöne Erinnerungen die schlechten ersetzen, die Justin hinterlassen hat.
Als Danny auf die Einfahrt fährt, und ich sehe, dass alle Lichter im Haus gelöscht sind, rutsche ich zu ihm und klettere auf seinen Schoß. »Küss mich.«
Er blinzelt und schaut sich schuldbewusst um, bevor er sich vorbeugt, um mir einen kleinen, zarten Kuss zu geben. Ich merke, dass er sich zurückziehen will, also küsse ich ihn energischer, öffne den Mund, suche seine Zunge mit meiner.