Theodoros - Mircea Cartarescu - E-Book

Theodoros E-Book

Mircea Cartarescu

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Beschreibung

„Theodoros“ ist Mircea Cărtărescus neuer, literarischer und epochaler Roman – nach „Solenoid“ geht er auch hier „aufs Ganze“ (Burkhard Müller, Die Zeit).

Der Kaiser der Kaiser Afrikas, die englische Königin Victoria, Tudor, ein wissbegieriges Kind, die Königin von Saba: In 33 Kapiteln verschränkt Cărtărescu Historisches, Phantastisches, Philosophisches mit schrecklich-schönen Abenteuergeschichten zu nichts weniger als einem Weltganzen, das bis in unsere Zeiten, bis zum Jüngsten Gericht reicht.
„Den Pistolenlauf noch im Mund, das Hirn verstreut auf dem roten Tisch.“ Ehe die britische Kolonialarmee die Bergfestung Magdala in Schutt und Asche legt und ihn als Geisel nimmt, setzt der äthiopische Kaiser am Ostersonntag des Jahres 1868 seinem Leben ein Ende. Nicht als gekrönter Despot, nicht als plündernder Seeräuber, sondern als Bojarendiener aus der Walachei, heißt es in Mircea Cărtărescus neuem epochalen Roman.

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Das ist das Cover des Buches »Theo doros« von Mircea Cartarescu

Über das Buch

»Theodoros« ist Mircea Cărtărescus neuer, literarischer und epochaler Roman — nach »Solenoid« geht er auch hier »aufs Ganze« (Burkhard Müller, Die Zeit).Der Kaiser der Kaiser Afrikas, die englische Königin Victoria, Tudor, ein wissbegieriges Kind, die Königin von Saba: In 33 Kapiteln verschränkt Cărtărescu Historisches, Phantastisches, Philosophisches mit schrecklich-schönen Abenteuergeschichten zu nichts weniger als einem Weltganzen, das bis in unsere Zeiten, bis zum Jüngsten Gericht reicht.»Den Pistolenlauf noch im Mund, das Hirn verstreut auf dem roten Tisch.« Ehe die britische Kolonialarmee die Bergfestung Magdala in Schutt und Asche legt und ihn als Geisel nimmt, setzt der äthiopische Kaiser am Ostersonntag des Jahres 1868 seinem Leben ein Ende. Nicht als gekrönter Despot, nicht als plündernder Seeräuber, sondern als Bojarendiener aus der Walachei, heißt es in Mircea Cărtărescus neuem epochalen Roman.

Mircea Cărtărescu

Theodoros

Roman

Aus dem Rumänischen von Ernest Wichner

Paul Zsolnay Verlag

Und ich sah einen kräftigen Engel, der schrie mit lauter Stimme:

»Wer ist hier würdig, das Buch aufzuschlagen und seine Siegel

zu brechen?«

Die Apokalypse

Erster Teil

Tudor

1

Wenn du dich mit drei blutverschmierten Fingern bekreuzigst, dir mit dem Blut die Stirn beschmierst (von wo sich ein dünnes Gerinnsel an deiner schwärzlichen und geschwungenen Nase entlang auf den linksseitig mit einem Goldfaden eingeschnürten Schnurrbart ergießt, um auf die Malachitfliesen der königlichen Festung zu tropfen), dann einen Fleck hinterlässt auf den Schößen deines Atlashemdes von einem solchen Weiß, dass es gülden zu schimmern scheint, und zwei weitere auf seinen Schultern mit den Epauletten aus Opal, zuerst auf der rechten, dann auf der linken, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen, wird diese deine Bekreuzigung dann angenommen werden? Man hat dir stets gesagt, dass du ein Kreuz von einem Draufgänger bist, und ebendies warst du, seitdem du von dir weißt, denn so bist du aus dem Bauch deiner vom griechischen Archipel stammenden Mutter geschlüpft, ein Kreuz aus Fleisch, auf dem viele, unzählige Märtyrer ihre Seele ausgehaucht haben, ein Kreuz des Stolzes und der Lust, worauf du mit deinen von Blut und Schießpulver getränkten Händen, deinen stinkenden Fingernägeln, die du immerzu lang getragen und nie gereinigt hast, damit du keinen einzigen Körper vergisst, ob es nun der eines Weibes oder eines Mannes war, in den du sie gekrallt hattest, worauf du gekreuzigt wurdest, zuerst deine arme Seele, ein Gespenst aus durchscheinender Luft, durchstochen von Zimmermannsnägeln und brüllend vor Schmerz, und Blumen aus Blut, wie sie oben erblühen, rechts und links, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen.

Du warst ein Mann des Blutes, Theodoros, hast getan, was böse ist vor dem Herrn, du hast Blutendes gegessen und hast Blut getrunken, drum wird dein Opfer nicht angenommen werden, denn das Leben jedes Körpers steckt in seinem Blute. Dein ganzes Leben lang hast du versucht, den Bräutigam und das Blut zu versöhnen, hast noch ein Brett unten bei den Füßen an dein Kreuz geschlagen, dem gleich, worüber sich die Arme strecken, und an diese Achsen an den Balkenenden hast du Räder mit bronzenen Speichen montiert und das Kreuz umgeändert in einen Streitwagen, gezogen von vier Pferdepaaren, und du, Herrscher über die roten afrikanischen Sande, du, verlogener Gott, du, Prophet des Gemetzels, du, Tewodoros II. von Äthiopien, was du je werden solltest, hatte niemals ein Ahn deines Geschlechts sich träumen lassen können, du aber hattest es gewusst, vom Anbeginn der Zeiten schon, als wäre nicht des Menschen Sohn, als wärest vielmehr du, ein Wurm, beteiligt gewesen an der Schöpfung und hättest mitangesehen, wie Satan blitzgleich vom Himmel stürzte, du, der seinen Traum offenen Auges gesehen, und dessen Augen weder Verdammnis noch Segnung ertragen konnten, du, der letzte Mensch auf diesem Erdenrund, hast die Zäume aller vier Pferdepaare in Händen gehalten, standest mit deinen vom roten Löß bedeckten Stiefeln auf dem weißen unbefleckten Holz des Kreuzes, als wär’s entrindete Birke, und über den ineinander verkeilten Heeren flatterte die grün-gelb-rote Fahne mit dem bezwingenden Löwen vom Stamme des Juda inmitten, Moa Ambassa ze imnegede Yehuda, du, Löwe der Löwen und Herrscher der Herrscher …

Schon als kleines Kind fragtest du dich, was der Glaube sei, denn wenn dein Glaube wenigstens so groß ist wie ein Senfkorn, kannst du dem Feigenbaum gebieten, er möge sich ins Meer verpflanzen, und dieser löst sich mitsamt seinem Wurzelwerk aus dem Erdreich und fliegt mit bebendem Blattwerk über Berge und Täler und Hohlwege und gelangt an das steinige Ufer des Meeres — das Meer am Archipel, smaragdfarben und in den Tönen frisch geraspelten Lapislazulis, kein anderes trugst du jemals im Herzen und im Sinn — und fährt mit den dutzenden, hunderten verletzten und rohen Wurzelchen hinein ins gelatinöse Fleisch der Wellen, und findet dort Halt, ein Feigenbaum inmitten des Meeres, ein nie vernommener, nie gesehener Anblick, und dort trägt er Früchte, und der Duft reifer Feigen, weich wie Brüste und süß wie Honig, erfüllt die Eilande. Du warst ein zerlumpter und rotznäsiger Junge, der im hintersten Winkel eines ungepflegten Gartens in einem Land, das unter den himmlischen Gefilden hinweggeglitten war, die Alixandria büffelte, als zum ersten Mal und wie ein Senfkorn in dir der Gedanke spross, dass … Damals aber hieltest du inne mit einem Mal in furchtverödeten Herzensgründen, als hättest du gemeint, wenn du nur tüchtig glaubtest, nicht winzig wie ein Senfkorn bloß, sondern größer und mehr und nochmals mehr, so viel ein Scheffel fasst oder dein eigener Körper auf die Waage bringt, dann könntest du im Himmel droben der Sterne Lauf verändern, gar Sonne und Mond anhalten wie Joshua, als der Herr die Liebenden in seine Hände gelegt, vermöchtest auch darzutun, dass ein alter Mann nun neuerlich in seiner Mutter Leib schlüpft und daraus wieder geboren wird, oder könntest auf Cherubim schweben, unter den Füßen eine Kuppel aus Saphir so wie in seiner Reinheit der Himmel selbst. Wenn man das Schicksal des Menschen sehen könnte, wenn jeder Mann und jedes Weib und Kind so eine goldene Scheibe um den Kopf herum trüge wie die auf die Kirchenwände gemalten Heiligen, dann wäre leicht zu sehen, wie groß der Glaube in ihnen ist, denn etliche hätten gar keine Aureole, bei anderen wiederum wäre die runde Scheibe aus gehämmertem Gold so groß, dass sie nicht allein deren gesamten Körper in ihrem güldenen Schicksalsgeflecht einfinge, sondern auch die Häuser und Bäume und Zäune und Felder ringsum, und sie sänke auch hinab ins Erdreich, das nun durchscheinend würde, sodass man die Gefilde der Toten sehen könnte, die Dörfer und Fluren derer, die eingegangen sind längst in die Ewigkeit. Und dann könnte man noch etliche sehen, deren Geschick darin besteht, keines zu haben, und die es sich selber bereiten, denn so gebietet es ihnen der Wille, der stark ist und frei allen Zweifels.

Du warst ein Knabe noch, als du mit der Aufgewecktheit deines scharfen Geistes dich nach Alexandria fragtest und Äsopia und Archyrien und Anadan und Halimaua mit ihren Wundern, und nach den endlosen Geschichten deiner Mutter, Sofiana von der Insel Tinos, Heimstatt der vom heiligen Kloster Panagia Evangelista gekrönten Orthodoxie des Archipels, zu denen späterhin sich Moses’ Bücher gesellten, und Apostel Paulus’ Taten, das Zeugnis des heiligen Johannes aus Patmos und schließlich Kebra Nagast, das allerheiligste Buch der äthiopischen Tewahedo-Kirche, fragtest als Kind dich, ob denn Wille und Glaube eins sei und dasselbe, ohne damals etwas zu verstehen, doch verstehst du es jetzt und hier sehr gut, in einer der zweihundert Kammern der Festung von Magdala, wo du, »der Gatte Äthiopiens und Verlobte von Jerusalem«, wie du dich so gerne nennst, die letzten Augenblicke deines Lebens zubringst: Der Glaube kommt von Gott, vom Teufel der Wille. »Denn die Auflehnung ist wie die Sünde der Hexerei und der eigene Wille wie Ungesetzlichkeit und Idolatrie«, beschied der Prophet Samuel den Saul, als der Herr ihn verlassen hatte und bereute, ihn zum König erhoben zu haben. Es ist die gleiche Energie, doch entspringt die erste einem reinen Herzen und die zweite einem perversen, götzendienerischen Geist, dessen Idol niemand anderer als du selber bist. Du hast dich, seit du von dir weißt, vor deinen eigenen Füßen prosterniert, Theodoros, hast keinen anderen Gott gehabt neben dir, und jetzt, da alles zu Ende ist, Napiers Truppen die Festung zerstört haben und seine Kanonen immer noch zu hören sind, donnernd wie die Stimme des Allmächtigen, und die Soldaten der Königin sämtliche Klausen nach dir durchsuchen, um dich am Barte hinauszuzerren und vor die Hunde zu werfen, die Kaiserin Tiruwork und ihr Sohn haben sich zurückgezogen in ihre Gemächer, stolzer sind sie und herzloser als du selbst, bereit, dir den Hals abzuschneiden, elender Mann aus dem Volke, Sohn einer Frau, die Mittel gegen Spulwürmer verkaufte, weil du es gewagt hast, eine Nachfahrin Salomons des Weisen zu entehren und Ytege Yetemegnu, deine Konkubine, deren Leib gezeichnet ist von blauen Striemen über Bauch, Hintern und Schenkeln, weil du seit Jahr und Tag ihr nicht mehr beiwohnen konntest, nur schlagen vor Hass die Frau unter dir, geflohen nun zu den Briten, und keine Dienerin und kein Priester nahebei, obwohl einer von fünf Männern in Gottes Äthiopien geweiht ist zum Priester; jetzt, da es keine Rettung mehr gibt, weil Königin Victoria, die einst deine Freundin gewesen, sich abgewandt hat von dir, dem häretischen und irren Hund, und wenn du dich ergibst, wirst du in einem Käfig landen und wie ein blutrünstiges Tier, ein barbarischer Schlächter durch die Straßen von London gefahren, wo du schließlich gehenkt wirst inmitten eines geifernden und wie eine Ansammlung fauliger Zähne wirkenden Pöbels; jetzt, da du weißt, dass du in wenigen Augenblicken gepackt wirst von Gestalten, deren Klauen länger und schwärzer sind als die deinen, und weggeschleppt in einen der endlosen Räume der Hölle, eng wie die Schränke, mit Wänden aus glühendem Eisen und der Feuersbrunst mit vernichtender Wucht zischend und prasselnd unter den Sohlen, und dass du dort brutzeln wirst, aufgehängt an der Zunge und gehäutet bei lebendigem Leibe, sodomisiert mit glühendem Eisen, bei herausquellenden, platzenden Augen und dem Gebrüll, das dir aufblüht zwischen den Zähnen, sogleich aber aufgesaugt wird von den Wänden aus geschmolzenem Kupfer, und dies nicht eine Stunde, nicht einen Tag lang, sondern so lange die Ewigkeit währt, und nach der ersten Ewigkeit noch tausend weitere Ewigkeiten so fort, wie es mit eigenen Augen die Muttergottes gesehen, als sie hinabgestiegen war in die Hölle; jetzt am gesegneten Ostertag im Jahre des Herrn 1868, nachdem du ein halbes Jahrhundert erfüllt und damit zugebracht hast, eine Sache durchzusetzen, nämlich die Welt zu gewinnen um den Preis, deiner Seele verlustig zu gehen, bleiben dir nur noch der Hochmut, der Hass, der rohe Wille, über Leichen zu gehen, diesmal über deinen eigenen immer noch lebendigen Balg, tot aber, tot in deinem Geiste und tot schon für deine Hände, die nun zittern, aber nicht so sehr, dass sie nicht doch ihren Dienst täten, die schon nach der Kühle des Mündungsrohrs suchen, des Hahns und des Abzugs, wie ein Mund, der gierig nach einem Faden kalten Wassers lechzt. Auf dem von rotem Brokat mit golden eingewebten Szenen aus dem Pentateuch bedeckten Tisch hast du ein offenes Mahagonikistchen stehen, worin auf einem Bett fein gefältelten Satins zwei Duellpistolen von seltener Schönheit liegen, wie Stiele nie gesehener Blumen oder kleine, kaffeebraune Tiere mit spiegelglänzendem Fell. Jeden Pistolenknauf ziert ein goldener Kranz, der auch den Abzugsmechanismus eng umfängt. Zwischen den Lauf an Knauf liegenden Pistolen gibt es eine Vertiefung, worin sich auf dem gerafften Satin verschiedene weitere Gegenstände von merkwürdiger und wie quecksilbriger Gestalt befinden, darunter auch drei vergoldete Patronen. Es ist ein Geschenk von Königin Victoria aus besseren Zeiten, als sie, wiewohl sie nicht mit graziöser Hand auf deine langen und verworrenen Briefe antwortete, denn schließlich warst du für sie nichts anderes als ein afrikanischer Wilder, der affengleich auf einem von anderen gestohlenen Thron herumturnt, dir für deine Dienste hin und wieder einen Korb derart stinkender Käselaibe schickte, dass du sie sogleich an deine Dienerschaft und an die Schweine geben ließest, die sie dann auch nicht aßen, oder eine Uhr mit Feder, die du schon zerbrachst, als du sie das erste Mal mit deinen klobigen Händen aufziehen wolltest, oder eine Art Musikinstrument, das niemand in Äthiopien zu gebrauchen verstand, sodass die schwarzen Hände mit den rosa gefärbten Handflächen bei den vielen Zeremonien den Rhythmus wie auf einer Trommel in die rotbraunen Ausbuchtungen geschlagen und die Saiten ebenso wie die elfenbeinernen Klappen, von denen man nicht wusste, wozu sie gut sein sollten, ignoriert wurden. Wenigstens diese Pistolen sollten von Nutzen sein, einmal, und damit möge es seine Bewandtnis haben, worauf Napier sich auch diese greifen wird, wie er sich Magdala und die Schätze darin aneignen wird, die Haufen Elfenbein, die Säcke mit Gewürzen in den Kellerräumen, wo man, um eintreten zu können, Nase und Mund mit einem Tuch bedecken musste, denn sonst hätte der Duft nach Sandelholz, Zimtrinde, Nelken und Piment, nach Myrrhe und Narde und den sieben Sorten Pfeffer dich innerlich einbalsamiert, dein Herz zum Stillstand gebracht, sodass auch die Zeit stillstünde wie der Himmel auf den Wänden deiner in den Fels gehauenen Kirchen, und du könntest dich nie wieder auf dem Erdboden und unter den schmucken afrikanischen Himmeln zeigen. Salomon, der Sohn Davids, aus dessen Sippe du hättest hervorgegangen sein müssen, um berechtigt zu sein, über das heilige Äthiopien zu herrschen und kein zweifacher Dieb der Macht zu sein, denn du standst nicht im Buch der Heiligen Israels als Nachfahr des Menelik, und warst nicht einmal ein Kassa, Sohn der Kosso-Verkäuferin, jenes Mittels gegen Spulwürmer und anderer lebenden Bänder im Gedärm, sondern ein heimatloser Herumtreiber aus einem fernen Land, Salomon hatte das Gold von Ophir und die Zedern des Libanon zusammengetragen, den Tempel des Herrn errichtet, den er dem Namen dessen weihte, der mit den Cherubim über dem Gnadenthron sprach, er empfing die Königin von Saba in seinen Palästen und schließlich auch an seiner Brust, damit solcherart Menelik geboren würde, Begründer der äthiopischen Dynastie, der ältesten auf dem Erdenrund, aber er konnte sich nicht all der mit Zahlen nicht zu erfassenden Reichtümer rühmen, die du, Theodoros II., in bloß dreizehn Herrschaftsjahren zusammengerafft hast, und der du niemals, wärest du denn von Gott gefragt worden, welche Gunst er dir erweisen solle, um Weisheit und Verständnis, gut vielleicht für Schuhmacher und Schreiner, gebeten hättest, wie Salomon es getan hatte, sondern Kaiser sein und grenzenlose Macht haben wolltest, um deinen Feinden Reichtümer vor Nasen und Augen zu führen und dir selbst auch das hohe und schneebedeckte Gebirg dieser Welt zu Füßen zu legen. Und wenn Gott dies nicht gewollt hätte, so hättest du selbst mit eigener Hand dich zum Kaiser erhoben und Herrscher über diese Afrikaner, schwarz wie Ebenholz, wo ihr Name Äthiopier herrührt, denn der zerlumpte Knabe aus der nebligen Walachei, der zur Herbstkühle gekrümmt auf Dachböden die Aesopia las, das Buch über den schwarzen und potthässlichen Aesop, Sklave des Xantos, der wusste nicht, dass ihn das blinde Schicksal in dessen Land geleiten sollte, wo alle so schwarz waren wie jener, denn Aesop bedeutete genau dies: Äthiopier, also Schwarzer.

So kommt es, dass vor nunmehr dreizehn Jahren in der heiligen Kirche der Jungfrau Marjam von Diragse, im Gedränge von zig, ja hunderten von Priestern in bunten Wollgewändern, die rhythmisch und guttural sangen und dabei ihre entsetzlich ruinierten Zähne sehen ließen, sofern sie überhaupt noch Zähne im Mund hatten, und herumhüpften wie die Heuschrecken oder Schamanen, von denen sie sich allein durch die Weihrauchkessel und die krummen Kreuze aus Bambusstecken unterschieden, die sie wie Lanzen handhabten, du, der falsche Kassa aus Kwara und falsche Nachfahr von Salomon, wie Napoleon dich selbst kröntest mit einer barbarischen Krone aus Gold, Elfenbein und geschnitztem Sandelholz, und zwar unter dem ebenfalls hochstaplerischen Namen Tewodoros II., damit du die Prophetie erfülltest, die da verkündet hatte, es werde ein König dieses Namens dereinst kommen und Äthiopien in ein Märchenland verwandeln, in dem Milch und Honig fließen, das Land des ans Kreuz geschlagenen Christus und eines tausendjährigen Friedens. Du aber, noch saßest du nicht fest auf dem Thron, brülltest in den Kirchenraum, dass die bunten Fensterscheiben klapperten, durch die das Licht auf die Menge Pfarrer und Frauen fiel, die ihre Wangen mit Kalk weiß gefärbt hatten, und die nackten Kinder, seltsame Diener Christi, dass du dieser seist, dass sich an diesem Tag die Prophetie erfüllt habe, du, der verlogene Messias eines versklavten und verkauften Volkes, hast das althergebrachte Reich in ein Tal der Tränen verwandelt. In nur dreizehn Jahren hast du das Volk des Kebra Nagast verstümmelt und deine Schatzkammern vollgestopft mit Schätzen, von denen nicht einmal ein Staubkorn mehr übrig bleiben wird, denn in wenigen Tagen schon werden Napiers Soldaten, bösartiger und barbarischer noch als die deinen, alles plündern, alles, alles, und deine drei Kronen werden dahin sein, und die wunderwirkende Ikone Kurate Re’esu mit dem Antlitz des dornengekrönten Märtyrers, die so mächtig war, dass sie, mitgeführt in der Schlacht, selber und von alleine für dich kämpfte wie seinerzeit die Bundeslade für die Stämme Israels, auch die goldenen Kreuze, die Alabastergefäße, die Kassetten mit Händen voller Edelsteinen, die geweihten Waffen deiner Vorläufer auf dem Thron, alles wird hinuntergeschafft werden an den Fuß des in Flammen stehenden Magdala, drunter und drüber auf Decken gehäuft, die über das Gras gebreitet wurden, und an jeden, der dies mag oder nicht, zu Ramschpreisen verscherbelt. Tiruwork Wube, deine Königin, die dich mehr noch hasste als die Hölle selbst, die würdige und eiskalte Nachfahrin von König Salomon, und euer Sohn, Alemayehu, der dir auf dem Thron hätte nachfolgen müssen, obwohl er mit seinen zwölf Jahren noch ein verweichlichter Junge war, der an den Rockschößen seiner Mutter hing, was dich auf unangenehme Weise daran erinnerte, wie verzaubert auch du von deiner Mutter warst, Sofiana, einer Griechin von den Inseln, die als Dienerin in die neblig trübe Walachei gelangt war, und wie stark dir auch heute noch der Geruch nach zerschlissenen Tüchern und Kälte aus ihrer Stube in den Nasenflügeln sitzt, sie werden beide als Beutegut nach Angliterra verschleppt werden und dort bei allgemeiner Gleichgültigkeit in den Nebeln und Regenfällen und der Finsternis des perfiden Albion verenden, in Särge gepackt, die mit phantastischen äthiopischen Geweben bedeckt werden, Samte voll bunter Stickereien, welche die ruhmreichsten Momente der salomonischen Dynastie vorstellen, tausende Jahre alt, und ins kalte Erdreich jenes steinigen Eilands hinabgesenkt.

Auch daran wirst du keinen Anteil mehr haben, denn dich werden sie auf dem Boden liegend vorfinden, den Pistolenlauf noch im Mund, und das Hirn zerstreut über dem roten Tisch, auf dem Fußboden und an den Wänden, auch Stücke deiner Schädeldecke mit dem Skalp, an dem immer noch ein paar deiner geflochtenen Strähnen hängen, verstreut über den dunkelgrünen Malachit-Fliesen, und die Bischöfe des Volkes, über das du ohne die geringste Berechtigung dazu geherrscht hast, werden dir nicht verzeihen, dass du deine Hand gegen dich selbst erhoben hast, was eine Todsünde ist, denn nur Einer kann Leben nehmen und zurückgeben, wann und wem immer Er mag, und dir selber das Leben zu nehmen heißt, dem Herrn einen Seiner Diener zu rauben, Gefäß für Ehre oder Schande, wie Er es als rechtens erachtet auf Seinen allzeit verborgenen Wegen. Sodass, nachdem die Soldaten dich gefunden und bis auf die Haut entkleidet haben werden, denn die Gewänder des toten Kaisers sollten für keine geringen Beträge verkauft werden, nachdem du verhöhnt, am Barte gezogen und bespuckt wurdest, mit den Füßen dir in die runzligen und blauen Eier getreten wurde, sollten dich die Engländer beerdigen, mit Gewehrschüssen, das schon, aber nicht in geweihtem Boden und nicht wie man die Gesalbten des Lebenden Herrn auf Erden bestattet, sondern wie einen Streuner und Niemand, der du auch gewesen bist. Denn du bist weder als Tewodoros, gekrönt mit Sandel und Elfenbein, noch als Theodoros, der Schrecken des Archipels und plündernde Despot der Levante, eingegangen in den schweißnassen Lehm Äthiopiens, sondern so wie dich der Herr bei der Taufe kennengelernt hatte, als Tudor, Sohn deines Vaters Gligorie Işlicarul, Untertan des Tachi Ghica, Bojar eines Geschlechts, aus dem sich auch Prinzen jenes Landstrichs erhoben hatten, eher eine Gegend der Märchen und des Traums als eine der Geographie: die neblige, verschneite, wilde und unvergleichliche Walachei, blühendes Vaterland mit dem Duft nach Aprikosen und Quitten, mit singenden Hähnen, die mit ihren Trompetentönen immer noch deine verlorene Seele erreichten und deine letzten Worte, als dich schon die Todesschauer in der Klause durchzogen, die das Ende deiner Tage mitansehen sollte, in jenem Magdala auf dem hohen Felsen unter den rollenden Himmeln Afrikas, die sollten auf Rumänisch gesprochen sein, wie du Rumänisch auch in allen deinen Träumen gesprochen hast, die dich, wo auch immer deine Schritte, die Karawanen und Schiffe hinführten, stets ohne Fehl zu Hause in Ghergani zeigten, auf dem Gut der Ghiculeştier oder in ihren Häusern in Bukarest, durch das die Dâmbovița mit ihrem süßen Wasser fließt, worin Mädchen, Jungfrauen und Gänse badeten.

Dort befand sich für ein halbes Jahrhundert, in dem du deinen Schatten über die Erde geschleppt hast, der einzige Ort, den du je Zuhause genannt hast, der einzige, an dem du Fleisch und Knochen wie die menschlichen Geschöpfe hattest, bevor du zum alles vernichtenden Feuer wurdest und ein Kelch, randvoll mit Blut.

Und nicht einmal im kalten, kalten Grab in einem heißen Land würdest du wirklich ruhen können, wer auch immer du in deinem Herzen gewesen sein magst, denn unter den von den Engländern deinem noch warmen Körper geraubten Kleinodien, den aus deinen Ohrläppchen gerissenen Ohrringen mit den Chrysaliten und den Goldfäden, mit denen dein Bart nach links hin geschnürt war, sowie das kristallene Kreuz, das in der Provinz Gojjam nach einem Blitzschlag aus heiterem Himmel herabgefallen war, und das du an einer Kette mit Gliedern aus getrockneter Giraffenhaut am Hals trugst, und den Goldzahn im Mund, den du zur Zeit, als Nura deine schwarze Göttin und Schlangenfrau war, auf einem libanesischen Markt gekauft hast, unter dutzenden Zähnen aus Holz, Elfenbein, Gold und Feuerstein befand sich in einer Schachtel auf dem Marktstand eines Muselmanen, der neben Zähnen auch Pfeil- und Lanzenspitzen verkaufte, auch dein kaiserlicher Siegelring, dein Titel in ein Amethystplättchen eingraviert, der Stein deines Geburtstags im Zeichen des Wassermanns, und niemand hatte Kenntnis davon, denn der Dieb hatte deinen knotigen Finger mit Fett eingeschmiert, um ihn abziehen zu können, und zeigte ihn auch nach den heftigsten Drohungen Napiers vom nächsten Tag nicht mehr her.

Aber Wochen, nachdem du begraben warst und deine Verwandten aufgebrochen waren auf das verhangene Land der Engel zu, tauchte der Ring in Wollo auf, bei den Clans der ungläubigen Mammadoch-Hunde, die sich für direkte Abkömmlinge von Mohammed hielten, und die du etliche Jahre zuvor mit der Grausamkeit einer wilden Bestie beinahe vernichtet hattest, ihren Prinzen hattest du an einem Baum aufgehängt und jenen, die nicht an die Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus glauben wollten, hattest du Arme und Beine abgeschlagen. Ein unbekannter Mann, der deinen Ring trug, soll sich inmitten der Muselmanen gezeigt und vorgegeben haben, du zu sein, die Engländer hätten bloß einen Sack alter Kleider begraben, und du würdest zurückkehren auf Abessiniens Thron, die Fremden vertreiben und sie zermalmen, die Söhne der Lüge, und er verschwand auch sogleich wieder unter den Muselmanen, bevor man ihn packen und eins machen konnte mit dem Staub der Straße. Dann zeigte er sich in Saba, von wo einstmals eine schöne und überaus reiche Königin mit einer Karawane nach Jerusalem aufgebrochen war, um sich von der Weisheit des Königs Salomon zu überzeugen, dann zeigte er sich in der Kirche der heiligen Marjam von Sion, die sich in der heiligsten Stadt deines Reiches befindet, in Aksum. Er reckte den Finger mit Ring und Amethyst hinauf zum Himmel des mit Engeln bemalten Kirchenschiffs und redete abermals von deiner baldigen Wiederkunft, dann zeigte er sich noch an tausend anderen Orten, unter sämtlichen grünen Bäumen und auf allen Höhen, sodass dein Nachfolger, von den Engländern auf den Thron gesetzt, nachdem Magdala in den Flammen untergegangen und dort oben auf dem Felsen, wo sich deine Macht entfaltet hatte, kein Stein mehr auf dem anderen geblieben war, der neue Herrscher Tekle Giyorgis III., der Sohn des Erhängten aus Wollo, gegen ein ganzes Heer von Tewodorosen zu kämpfen hatte, allesamt aus den Ängsten und Albträumen jener Unglückseligen entsprungen, die dreizehn Jahre lang unter deinem Joch gelebt hatten, die ihnen wie dreizehn Jahrhunderte vorgekommen waren. Tausende Tewodorose, tausende Löwen von Magdala, tausende geharnischte und behelmte Kreuzeshelden mit feurigen Augen und Bärten wie nicht verlöschende Glutroste, rittlings auf Kreuzen, die verwandelt waren in Streitwagen, den Finger mit Ring und Amethysten gen afrikanischen Himmel gereckt, überrollten Äthiopien wie Heuschrecken in Menschengestalt und verkündeten, dass Tewodoros sehr bald zurückkehren werde, um seine Todfeinde sich unter die Schuhsohlen zu streuen. Erst nachdem man Giyorgis durch Yohannis IV. ersetzt hatte, sollte sich die Gespensterarmee allmählich in der heißen Luft über den Sandhügeln wie eine Spukgestalt auflösen. Dann hat man dich von dieser Grabstätte weggebracht in eine andere und wieder in eine nächste, um solcherart deine Spuren zu verwischen und die Bewunderung im Keim zu ersticken, die dir noch entgegengebracht wurde von solchen, die sich erinnerten und wie nach jedem Tyrannen meinten, zu deiner Zeit sei es besser gewesen.

Und war es etwa nicht besser gewesen, fragst du dich jetzt, da du noch am Leben bist, obwohl du in deinem prophezeienden Geist schon gestorben bist, jetzt, da du noch sehen kannst mit deinen grimmigen Augen, die einstmals in den Morgendämmerungen der Walachei so erstaunlich klar waren, so schön und männlich im Minium- und Smaragdfeuer des Archipels, da du immer noch die umrankten Läufe der Pistolen betasten kannst, die du wie zur Verhöhnung des Schicksals von der Königin geschenkt bekommen hast, die sich nie vorgestellt hatte, du würdest dir damit das Leben nehmen, jetzt, da du immer noch den Lärm der Soldaten hören kannst, die deine Festung plündern. Enttäuscht und vereinsamt schriebst du den ganzen Vormittag jenes heiligen Ostertags einen Brief an deinen Feind, General Robert Napier, einen in den Kriegen in Indien und China gestählten Mann, ein gnadenloser Mann wie du selbst, obwohl er sich für einen Träger der Zivilisation hielt und Champion der Christlichkeit, und er hatte vierhundert Meilen von Zula, wo er am Roten Meer speziell für diese Invasion Äthiopiens einen Hafen gebaut hatte, bis nach Magdala überwunden, und dies in einem Land ohne Brücken und Wege, voll wie ein wuselndes Wespennest von allerlei Kriegern, mit unüberwindlichen blauen Bergen und Wasserfällen aus dröhnendem Kristall, mit Dörfern, darin Frauen mit weißgekalkten Gesichtern und buntgefleckten Sonnenschirmen, mit in den Felsen gehauenen Kirchen und Affen mit Hundegesichtern allerorten, mit zahnlosen Mönchen in jeder Nische und Nächten mit einem größeren Reichtum an Sternen und kälter als irgendwo sonst auf unsrer gesegneten Erdkugel. Du hattest so an den Feind geschrieben, als schriebest du an dich selbst, denn da war niemand mehr, an den du hättest schreiben können, deine Mutter, Sofiana, war Nonne in Christus’ Namen geworden und vielleicht auch schon in die Ewigkeit eingegangen, du hättest ihr ohnehin nicht mehr geschrieben, was wäre da schon zu schreiben gewesen? »Mütterchen mein, die ich liebe wie mein Augenlicht, wisse denn, dass dein Sohn ein gemeiner Kerl geworden ist und seine Seele wie einstmals Judas Ischariot für ein paar Silberlinge verkauft hat, dass er die Ikone der jungfräulichen Mutter mit dem Kinde auf dem Schoß mit Blut befleckt, Gebetsräume mitsamt der Heiligen darin niedergebrannt, einigen Christen bei lebendigem Leib Hände und Beine abgehauen hat, dass er sie gepfählt und ihnen allein aufgrund eines Verdachts, einer Vorstellung oder von Träumen das Gemächt weggerissen hat, dass er Prinzessinnen und Königinnen vergewaltigt und sein Volk auf unerträgliche Weise unterjocht und mit Peitschen und Skorpionen gepeinigt hat, dass er sich schon seit Jahr und Tag nicht mehr traut, an der Seite seiner überaus stolzen, aber für die heiligen Dinge glühenden Königin sich vor dem Bett niederzuknien, um gemeinsam mit ihr das Vaterunser zu sprechen, dass es keine Lüge und keinen Betrug und keinen Meineid gibt, derer er sich nicht bedient hätte, und dass es keine Schlingen und Fallstricke gab, die er nicht seinesgleichen ausgelegt hätte, und zwar alles dies im Namen und unter Verachtung der Orthodoxie, über die du mir einstmals so viel erzählt hast, als ich mich an deinen Leib schmiegte, der mir teurer war als mein Leben, und meinte, ich würde ein guter Mensch dereinst sein, weil du gut warst und mein Vater ein guter Mensch gewesen ist.« Dafür stecktest du die Feder ins Tintenfass und schriebst in kurzatmiger Verwirrung und Lebensüberdruss an deinen unversöhnlichen Feind:

Ich, Tewodoros II., König der Könige und Kaiser der Kaiser, siegreicher Löwe über den Stamm des Judas, Gatte Äthiopiens und Verlobter Jerusalems, an Robert Napier, Kommandeur der Heere Ihrer Majestät, der Königin Englands.

General, wisse von mir, dass ich mich aus Gottes Gnaden bester Gesundheit erfreue, was ich auch euch wünsche. Nun befinde ich mich in deiner Hand, ebenso wie du nun entwaffnet und unterworfen daliegen könntest zu meinen Füßen, wenn Er, der alles sieht und bestimmt, es nicht anders gewollt hätte und meine große Kanone Sebastopol, auf die ich wie auf einen himmlischen Engel gesetzt hatte, schon bei der ersten Salve auseinandergerissen hätte, was meiner Armee jede Hoffnung geraubt, sie kastriert und entkräftet hat. Denn diese Kanone war wunderbar und konnte mit einer einzigen Salve eine ganze Schwadron vernichten, hätte sie mehrfach gefeuert, so wäre deine Armee komplett zerschmettert worden. Drum leg ab deine Überheblichkeit und verschone meinen Festungssitz, denn in der Waffen Macht steckt nie und nimmer ein Sieg, allein in der göttlichen Vorsehung.

Was denn? Bist du gekommen, die Fremdlinge aus meinen Händen zu befreien, die das Land mit ihren Bibeln überzogen haben, die Papisten und protestantischen Häretiker, die uns das heilige Evangelium lehren wollen? Weißt du etwa nicht, dass mein Land schon von alters her ein Evangelium besitzt, älter und heiliger als eures, und das ist das Kebra Nagast, Ruhm der Könige, das hier in Äthiopien selbst die Kinder von der ersten bis zur letzten Seite auswendig können? Darin befindet sich auch die wahre Geschichte von Salomon, dem Sohn Davids und der Königin von Saba, von denen sich das Äthiopische Kaiserhaus herleitet, und die ihr nicht kennt, die jedoch der Wahrheit entspricht und jeder Menschenseele auf dem großen Gebiet unseres Reiches vertraut ist. Auf ihren Seiten finden sich weitere Kleinode an Weisheit sowie ausgeschmückte Geschichten über die Zeit der Patriarchen und die Wunder, die Gott vollbracht hat, als er sein Volk in die Wüste führte, unter die Wolkensäule und die Feuersäule, dazu die wahre Geschichte der Bundeslade. Wir benötigen kein anderes heiliges Buch, denn es gibt unter der Sonne keines, das unserem Kebra Nagast gleichkommt.

Oder bist du etwa mit deinen zigtausend Soldaten hierhergekommen, um uns darüber zu belehren, wie Christen sich zu benehmen haben? Ich habe bisher von euch nichts als Feuer, Blut, Hochmut und Lüge kennengelernt. Ja, ich habe auch vollendete Unterwerfung gesehen, auch Ordnung und einen einzigen Willen, den ich bewundert habe, auch wenn es der war, alles niederzutreten. Denn von euch, den Leuten des Westens, sprach Nebukadnezars Traum, den uns Daniel ausgelegt hat, als er uns das vierte Reich vorstellte, jenes aus Eisen, das die ganze Welt mit der Kraft des Eisens auffressen und zermalmen wird. Ihr habt die beiden Amerika unterworfen, habt China in einen dichten Opiumrauch versenkt, der es bis auf das Knochenmark zerfrisst. Selbst die Fische des Meeres fliehen eure Schiffe, da sie sehen, dass nicht geblähte Segel, sondern Öl und dicker Rauch sie mittels deutscher Zaubereien auf den Wassern antreiben. Nun ist die Mutter der Menschheit an der Reihe, entehrt und ausgeplündert zu werden, mein schwarzes und tätowiertes Afrika mit den einhundert Zitzen und tausend Tränen, geschändet von euch unter Verachtung der Lehren Christi, dem ans Holz genagelten, zur Gesundung der Völker wie vordem die eherne Schlange, die Moses in der Wüste erhoben hat.

Da du mir heute den Thron raubst, so wisse, General, dass du einen Traum vernichtet hast. Mein Wille war es, als Negusa Nagast und Licht Äthiopiens daraus ein Land zu schaffen, in dem Milch und Honig fließen, mit Wegen voller dahinziehender Kaufleute, mit befriedeten Landstrichen, worin alle Häresien mit Stumpf und Stiel ausgerottet sein sollten. Mein Wille war es, von einem Volk gesegnet zu werden, das zur rechten Zeit den Regen bekommt und Hände voll Brot hat. Ich wollte den mohammedanischen Drachen zerquetschen, der diese Gebiete vom Norden her vergiftet, um das heilige Kreuz über mein gesamtes Reich zu erheben, Heimstatt der rechtgläubigen Heiligen. Ich wollte die eiserne Bahn hierherbringen und in unseren roten Boden einpflanzen, die mechanischen Webstühle und Fabriken für Feuerwaffen, stolze Bauwerke wollte ich errichten, wie in den Städten des Westens, die ich nicht mit eigenen Augen gesehen, sondern nur im Geiste, der voll war des Staunens und Wunderns angesichts ihrer imposanten Pracht. Mein Volk wollte ich herausführen aus den grausamen Jahrhunderten der Selbstzerfleischung, welche Zemene Mesafint genannt werden von unseren Gelehrten, die Prinzenzeiten, und es zum Frieden und Lichte geleiten. Wir haben die Geschenke von Königin Victoria, ihren unvergesslichen Brief an uns, den silbernen Präsentierteller und die beiden Pistolen sowie das Wohlwollen Ihrer Majestät für den Beginn neuer Zeiten gehalten und sind grausam in unserem Glauben betrogen worden. Ich habe die Äthiopisch-Orthodoxe Tewahedo-Kirche vereinigt unter dem Zeichen des Menschengottes Jesus Christus, in dessen Wesen Mensch und Gott nicht getrennt werden können, während eure Pfarrer und die der Papisten lügenhaft und häretisch daherreden, der Herr spreche in den Evangelien an den einen Stellen nur als Mensch und an anderen Stellen nur als Gott. In meinem Reich war Christus schon Gott, als er sich noch im Bauch seiner Mutter befand, und ich habe erbarmungslos auf die eingedroschen, die dem Quibat-Glauben folgend behaupteten, Er habe Gottesrang erst durch die Taufe erlangt.

Wenn die verdammte Sebastopol-Kanone nicht bei der ersten Salve zerborsten wäre, uns des Engelsflügels beraubend, der uns den vollumfänglichen Sieg beschert hätte, wäre es mir gelungen, deine Kampfesstärke zu brechen, und ich hätte all dies weitergeführt wie ein erleuchteter und sanftmütiger und gerechter König, an den man sich noch in Jahrhunderten erinnert hätte, und auf Äthiopiens Thron wäre niemals jemand gelangt, der nicht ein Abkömmling dieser meiner Knochen gewesen wäre. Aber aufgrund meiner schweren Sünden hat Der-auf-den-Cherubim-dahinfliegt offensichtlich etwas anderes beschlossen, und da ich nun ein halbes Jahrhundert zugebracht habe auf dieser Welt, ereilt mich das Schicksal, alsbald dahinzuscheiden und einzugehen in den roten Boden Äthiopiens. Heute vergleiche ich mich mit Hiob, nackt und voller Blattern auf seinem Misthaufen. Aber aus innerster Tiefe heraus, mit todstarrer Zunge schon beschwöre ich dich in Gottes Namen, hab Mitleid mit Magdala und der Kaiserin und mit unserem Sohn, Alemayehu, damit es dir wohlergehe auf Erden, wie du es bisher gewohnt warst, und du siegreich aus allen Schlachten hervorgehst. Gehab dich wohl im Schutze der Heiligen Dreifaltigkeit und der Gottesgebärerin, der Jungfrau Mariam.

Ich habe diesen Brief mit eigener Hand geschrieben, ich, König der Könige, Tewodoros II., in Magdala, am heiligen Ostertag im Jahre des Herrn 1868.

Du hast den Brief in den Umschlag gesteckt und diesen mit rotem Siegelwachs und dem Abdruck deines mit dem Amethysten bestückten Rings versiegelt. Dann, während der Lärm der in den Zimmerlabyrinthen plündernden Soldaten näher kam und die erschütternden Schreie der Frauen, deiner zahlreichen Konkubinen, der Köchinnen und Küchendienerinnen sowie der Nonnen aus dem Hospital anzeigten, dass sie Opfer unreiner Lüste wurden, starker Rauchgeruch darauf verwies, dass Magdala in Flammen stand und in ein paar Tagen davon nur noch ein Haufen Kohle und Asche übrig sein wird auf dem Felsen, der einstmals uneinnehmbar schien, nahmst du deinen ergrauten und aufgedunsenen und fettstarrenden Kopf in die Hände, bedecktest deine Ohren mit von Ringen überladenen Fingern, kniffst die Lider zusammen und sahst dich wieder in der Ikone aus Gold und Blut deines Lebens, rätselhaft und unergründlich wie jedes andere Leben, das du aus dem Sumpf des Fleisches heraus betrachtest, denn erst von oben gesehen wird die Zeichnung klar wie in der offenen Handfläche, und man kann die Buchstaben der Morde, Küsse und Zärtlichkeiten lesen, jene der aufblitzenden Messer, der Landschaften mit Eilanden und Sternen, der Erinnerungen und verrückten Träume, der aufgeschlitzten Bäuche und hervorquellenden Gedärme mit dem Odem der Kloaken, des Pferdewieherns und des Moschus zwischen den Schenkeln der Frauen, und der Angst vor dem Jüngsten Gericht, dem niemand entgeht. In einem endlosen Augenblick hast du dein ganzes Leben wieder vor Augen gehabt, wie der Erhängte zwischen dem Fall in den Strick und dem Riss des Marks im Nackenwirbel, und du weintest vor Ohnmacht und Wut. Du warst der Kleinste aus deinem Geschlecht, ebenso wie Saul und David, der Psalmist, Diener in einem Bojarenhaus, wo man dir Gutes angedeihen ließ, das du aber mit Bösem vergolten hast, dann hast du auf Saphir- und Smaragdmeeren dein räuberisches Unwesen getrieben, um schließlich — wie der Schmetterling, der feucht aus dem Kokon schlüpft und dann die seidenen Flügel zum Himmel reckt — der letzte Prinz der Prinzenepoche und König der Könige unter den geblümten Himmeln Afrikas zu werden.

»Herr der Heerscharen«, hadertest du innerlich, da du allein warst mit dir, die Gefühle versiegelt, »warum hast Du mich auf die Welt gebracht, wenn doch alles ein Ende haben muss? Warum hast Du den Faden meines Lebens eingenäht in den Stickrahmen Deiner Tage und Nächte? Warum erschaffst Du unaufhörlich, jeden Augenblick aufs Neue die Leichtfertigkeit und den Traum unserer Erdenleben?« Und dir wurde keine Antwort zuteil, weil du im Ehpod keinen Urim und Thummim stecken hattest, und weil du wie Simon Magus weder einen Anteil an der heiligen Geschichte hattest noch ein Erbteil. Der Aufruhr, sagt Jehova mit den Stimmen seiner Propheten, ist wie die Sünde der Zauberei und der Eigensinn wie Gesetzlosigkeit und Idolatrie. Tewabech Ali, die du Porumbița nanntest, Täubchen, mit dem walachischen Wort der Sprache, in der du immer noch träumtest, die Kaiserin, die du in deinem Herzen liebtest, denn du hattest in ihren Augen die Augen der Frau deines Lebens aus dem Bild gesehen, das du immerzu wie eine Ikone bei dir trugst.

Während du dich an ihr braunes Gesicht erinnertest und ihre Lippen wie aus Ebenholz, an ihre Titten wie die eines Idols, und ihre Scham wie aus Pech, aber auch an die Unschuld in ihren Stutenaugen, strahlend unter der von Perlen beschwerten Krone, wenn sie die Kaiserin gab neben dir auf dem Zwillingsthron, nahmst du eine vergoldete Patrone aus ihrem Satinbett, betastetest sie zwischen den Fingern, holtest sie nahe heran, bis du dein bärtiges Gesicht darin sahst, und legtest sie auf den Tisch bedeckt mit Stickereien, die Geschehnisse aus dem Pentateuch darstellten. Du entnahmst der Kassette die obere Pistole, dann die Ladewerkzeuge. Vom Schießpulver trenntest du dich nie, denn du pflegtest es manchmal statt Salz zu Tisch in die Speisen zu streuen, weil du dachtest, sein Salpeterdunst würde dich kräftigen. Du ludst die Pistole und betrachtetest sie in ihrer Vollendung: In Chios hättest du sie haben sollen oder in Petra! Wie vor einer wunderwirkenden Ikone wären die Palikári und Mauren vor ihr niedergekniet! Was für ein Palisandergriff mit kostbaren Intarsien. Welche Zierschleifen! Was für ein goldenes Gespinst über dem Abzughahn, dieser selbst aus vollendetem Stahl! Schwer liegt sie in der Hand, vertrauenswürdig, guten Tod bringend, süß wie eine reife Frucht. Du spannst den Hahn, und man vernimmt ein leises gezähntes Geräusch, und das feine Öl verschmiert dir die Finger. Die ersten Engländer in ihren blauen Uniformen aus dünnem Filz stürzen in den Raum, mit ihnen der dichte Rauch, knotig, stürmisch und mit einigem Stöhnen wie vom Grunde der Hölle, und erst dann besinnst du dich und weißt, dass es zu Ende ist, und erfasst vom Todesschauer, doch entschlossen und unversöhnt sagst du »Vater unser« auf Rumänisch, »der du bist in den Himmeln … Dein Reich komme, Dein Wille geschehe …«, aber dein Herz ist versteinert und weicht auch nicht auf bei den Worten von Christi Gebet, und du hast noch nicht recht Amen gesagt, da steckst du dir den Pistolenlauf in den Mund, du schmeckst einen Moment lang das Eisen auf der Zunge, richtest die Mündung schräg hoch auf den Gaumen, hörst einen Soldaten dir etwas zurufen, während er mit weit aufgerissenen Augen auf dich zugerannt kommt, dann drückst du brüsk auf den Abzug, und die Welt zerspringt in Stücke, und dein Leben endet, und deine Geschichte kann beginnen, verwoben mit all jenen anderen Geschichten, die wie Goldfäden auf dem ewigen Stickrahmen der Tage und Nächte funkeln.

2

Du wurdest nicht zum Beherrscher der Welt und Pantokrator, denn diese Posten waren zu deiner Zeit schon vergeben, an Christus im Himmel und Königin Victoria auf Erden. Nichts rührte sich auf Mercators Karten, wo die runde Welt auf glattes Papier gestreckt worden war, ohne dass ihre Blicke, die bis in die geheimsten Gemächer gelangten, in die Betten und Träume der Prinzen und Prinzessinnen, der Deckenmacherinnen und Deckenmacher, der Schweinehüter und Schweinehüterinnen der Welt, was seit einigen Jahrhunderten nur ein anderer Name für das Reich der Briten war. Als sie in ihrem Kabinett die Nachricht deines Todes erhielt, des absurden blutrünstigen Negus von Äthiopien, wandte sich die Königin ihrem neuen Premierminister Disraeli zu, der sie ihr gebracht hatte, er aber zuckte mit der Schulter. Das Imperium scherte sich nicht um dein Land, um sein schwarzes Christentum, um ihre Bischöfe, die die Evangelien nicht anerkannten, um seine Schönheit, von der es hieß, sie sei ohnegleichen, jedoch ohne Wege und Brücken für den, der sie sich anschauen möchte. Hic sunt leones, stand dort auf den Karten, wo sich das Land befand, dessen Fahne den judäischen Löwen trug. Löwen in der Wildnis, die haufenweise übereinander liegen, von Fliegen geplagt werden, mit ihren riesigen Mäulern gähnen und ihre Jungen ablecken, die fortwährend versuchten, ihnen in die Schwänze zu beißen. Die kleine Krise bewältigte General Napier mit seinen dreißigtausend Soldaten, einem Kontingent, das nun zu groß und zu teuer erschien angesichts dessen, was es zu verrichten hatte, aber, und darauf kam es vor allem an, man siegte gegen den Negus, der Ihre Majestät und das Imperium beleidigt hatte. Mit Napier war die Königin auf der sicheren Seite, er war in den Kolonien ein eiserner Kerl, hatte sich im Punjab, in den Kriegen gegen die mit ihren krummen Kirpanen bewaffneten Sikhs ausgezeichnet, in Ranode, als er den Prinzen Ferozeshah besiegte, und dann im rebellischen China, wo er den Weg nach Peking verteidigt und die Chinesen bei Sinho geschlagen hat. Für all dies war er ins Parlament eingeladen worden, wo er den anerkennenden Dank der Nation empfing. Er war General-Leutnant, als er den unangenehmen und seltsamen Auftrag erhielt, in die südlich von Ägypten gelegene Gegend am Roten Meer einzudringen, und zwar nicht, um Tewodoros II. gefangen zu nehmen, der Königin war es völlig egal, wer Äthiopien beherrschte, an dem das Imperium keine besonderen Interessen hatte, denn das Land war riesig groß und arm, auch war es zerklüftet durch bis zum Himmel aufragende Gebirgsketten. Aber dem Barbaren war es in den Sinn gekommen, Ihre Majestät zu beleidigen und darüber hinaus etliche Untertanen europäischer Monarchien ihrer Freiheit zu berauben, die dann keine Missionare mehr waren wie alle anderen, die in den Kolonien herumwuselten und die dortigen Völker missionierten, damit sie dann Jesus und die Apostel mit ihren lokalen Idolen verwechselten, sondern Leuchttürme der Zivilisation und Opfer eines Despoten, die unbedingt aus den Klauen dieses Negus befreit werden mussten.

Von einer schrecklichen Migräne geplagt, schließlich war sie in dem gesegneten Alter angelangt, das sie sich schon viele Jahre zuvor erträumt hatte, jenes, in dem Gott sie endlich für alle Zeiten bewahren sollte vor Schwangerschaften und dem Säugen der Babys, die ihr die Tage aufgezehrt hatten, und die sie hasste, weil sie nach jeder Entbindung noch monatelang ihre Gedanken verdunkelten, sodass sie sich selbst, wie sie einer Vertrauten gestand, eher wie eine Kuh oder Hündin vorkam denn als ein menschliches Wesen, schließlich hatte sie neun Kinder, und viele davon waren selber schon Könige und Königinnen, sodass man sie mit ihren neunundvierzig Jahren mittlerweile Europas Großmutter nannte, fragte Victoria ihren Premierminister noch, ob er Kenntnisse habe über die Kampagne und die momentane Situation der Armee. Disraeli seinerseits schaute sie aus müden Augen an, denn er hatte die ganze Nacht an Lothair, seinem letzten Roman, gearbeitet, und lobte dann General Napier, dessen Beförderung auf einen höheren Rang in der Armee Ihrer Majestät er, zum wievielten Male, aufgrund besonderer Verdienste empfahl.

Dann spulte er in kargen Worten eine Geschichte ab, die der Königin in Teilen schon vertraut war, denn sie war zeitweilig von grob unhöflichen Briefen mit pompösen Wendungen in der seltsam ungelenken Handschrift des Negus bedrängt worden, der sich verzweifelt an ihren Rockzipfel gehängt hatte, wie Haman an jenen der Ester. Sie hatte ihm nur auf den ersten dieser Briefe geantwortet, als sie ihm auch den Präsentierteller und die Pistolen schickte, denn man hatte ihr gesagt, dass sie es mit einem obskuren Menschen zu tun hatte, der nicht einmal königlicher Abkunft war, sondern »Sohn einer Verkäuferin von Heilsäften, man verzeihe, gegen Spulwürmer«, der sich durch Kraft und Verschlagenheit den Weg bis auf den Thron jenes afrikanischen Landes gebahnt hatte, der in Cordofan wie ein Wilder Kinder ermordet und viele eben heiratsfähig gewordene Mädchen in die Wüste führen und dort aussetzen hatte lassen, jedes mit einem geblendeten Kanarienvogel im Käfig, der die Welt mit seinen widerwärtigen Torturen entsetzt hatte. Sodass die Königin, als der Negus, verängstigt über die Zunahme des Islamismus in den nördlichen Regionen, sie darum bat, ihm Handwerker zu schicken, um sich eine große Werkstatt für Feuerwaffen zuzulegen, sich nicht einmal dazu herabließ, ihm zu antworten. Tewodoros hatte ihr noch einmal und noch ein weiteres Mal geschrieben, jeder dieser Briefe klang wütender, bis er seinen Zorn über Konsul Cameron auskippte, seiner einzig echten Beziehung zum Buckingham-Palast, und ihn in die Verliese voller Ratten und Läuse im Untergrund von Magdala warf, wo er ihn, wie er schwor, so lange eingesperrt halten würde, bis die Königin ihm eigenhändig auf seine Briefe antworte. Damit er sich nicht so allein fühle, brachte er ihm alsbald alle Europäer, die er innerhalb der Grenzen seines Landes gefangen nehmen konnte, als Gesellschafter, in ihrer Mehrzahl katholische und protestantische Missionare. Sodass das Parlament nach endlosen Beratungen zu dem Beschluss kam, eine zweiunddreißigtausend Soldaten starke Armee unter dem Kommando von Robert Napier solle über das Rote Meer in Äthiopien eindringen und sich einen Weg nach Magdala bahnen, um dort die Geiseln zu befreien. Diese wurde auch von dem Journalisten Henry Morton Stanley begleitet, der später dann in Ujiji, im schwarzen Herz von Afrika inmitten von arabischen, Turbane tragenden Sklavenhändlern, den Forschungsreisenden David Livingstone finden, den Hut vor ihm ziehen und den berühmtesten Satz der Zeit aussprechen würde: »Dr. Livingstone, nehme ich an?« Noch schwebte die Glorie dieser phantastischen Begegnung der beiden Forschungsreisenden bei den Nilquellen nicht als Aura um sein Haupt, und auch sein großer Artikel über die Magdala-Schlacht, der alsbald im New York Herald erscheinen sollte, reichte nicht aus, ihn nunmehr bekannt zu machen.

Napiers Kampagne war großartig und durchaus würdig, erzählt zu werden. Während er die Geschichte vor ihr ausrollte, fühlte Disraeli, wie sich sein Vermögen als Dichter beseelte, und selbst die apathische Königin, deren Vorstellungskraft nicht gerade zu den Kronjuwelen gehörte, erwies sich als begierig nach weiteren malerischen Details, denn das Land, das sich den Augen des Generals in den drei Monaten darbot, in denen er die vierhundert Meilen von Zula nach Magdala überwunden hatte, ein rauhes und sprödes Gelände wie nirgends sonst, war kein Land, auch kein Reich, sondern eine Märchenlandschaft, das Werk eines Dichters, eines Henkers und Goldschmieds, eine wahrhaftige Phantasmagorie von der Art der endlosen Geschichten Herodots oder der unglaublichen Erfindungen Plinius des Älteren. Oder, so hättest du es gesagt, wie die Großtaten Alexanders von Makedonien, des Sohnes der Olimpia und des Kaisers Netinav, in den Ländern der Amazonen, der Gymnosophisten und der Ameisen, groß wie ein aufrecht stehender Mann, die Goldkörner aus den Tiefen der Erde heraufholten.

Der Zula-Golf am Roten Meer war sicher und gastfreundlich, die Araber waren der Krone gegenüber wohlgesonnen, aber eine große Flotte konnte dort nicht sicher vor Anker gehen mit den vierundvierzig Elefanten, die Napier aus Bombay mitbrachte, wo seine Armee bis dahin stationiert war, mit den schweren Kanonen aus einem Guss, die für die Zerstörung Magdalas benötigt wurden, mit den zigtausend Soldaten in britischer Uniform, also kamen zuerst Napiers Ingenieure auf ihren Schiffen herbei und entwarfen einen Hafen, dessen Bau durch die örtlichen Fellachen mehrere Monate dauerte. Als der Hafen fertig war, erschienen auf dem dunklen Wasser des Golfs die Segler und dampfgetriebenen Kriegsschiffe in einem bizarren und bunten Durcheinander, allesamt mit farbigen Fahnen und Wimpeln an Mastspitzen und Seilen. Die Truppen hatten einen langen Weg auf dem Land zurückgelegt, denn die gigantischen Arbeiten am Suezkanal, beseelt von der selbstmörderischen Leidenschaft des Ferdinand de Lesseps (hier verbeugte sich Disraeli, als befände sich der heldenhafte Unglücksrabe Lesseps ebendort vor ihm und der Königin), würden wahrscheinlich erst im kommenden Jahr beendet werden, und überquerten das Rote Meer weit unterhalb des schmalen Meeresstreifens, den Moses in biblischen Zeiten zerteilt hatte, damit das Volk Israel unbeschadet hinüber in die Wüste gelangen konnte, um darauf das Wasser wieder zusammenlaufen und die Truppen und bronzebeschlagenen Wagen des Pharaos untergehen zu lassen.

Die britische Armee ging im Golf von Zula vor Anker, und die Ingenieure begannen, eine Eisenbahnstrecke für die Ausstattung, das Gepäck und die Munition zu bauen, Arbeiten, die immer weiter fortschritten, je tiefer die Armee in Äthiopien eindrang. Das Land war ein Wespennest, der General war vorgewarnt worden, eigentlich war das gar kein Land, sondern ein bunter Flickenteppich verschiedener Landstriche, deren jeder seine eigenen Stämme, Religionen, seine Sprache und Clanzeichen und Waffen und Beflaggung hatte, jeder mit den anderen ringsum zerstritten, die meisten von ihnen begehrten auf gegen die kaiserliche Macht in Magdala, doch allesamt teilten sie sich in eine gemeinsame Eigenschaft, den unversöhnlichen Hass auf Fremde, die sie schon seit Jahrtausenden umbrachten, sobald sie einen Fuß auf das heilige Äthiopien setzten. Tewodoros II., mit seinem eigentlichen Namen Kassa Haile Giorgis, war einer der kriegerischen Prinzen, die seit Jahrhunderten schon um die Macht kämpften, der geringste und am tiefsten erniedrigte, denn er hatte niemanden unter seinen Vorfahren, der sich von der salomonischen Linie herleiten konnte, und weil man ständig über das Gerücht lachte, seine Mutter habe in ihrer Jugend Kosso verkauft, ein Heilmittel gegen Spulwürmer, er aber letztlich wie durch ein Wunder an Entschlossenheit und Bravour seine Feinde vernichtete und sich den Weg auf den Thron bahnte, wurde er der erste Negus, der die jahrtausendealte Dynastie von Salomon und Menelik unterbrach.

Aber ist es denn wahr, unterbrach ihn die Königin, dass die Dynastie Äthiopiens sich von König Salomon herleitet?

Disraeli kniff die Augenlider zusammen, und eine Art Stolz stieg in ihm auf, wie stets, wenn die Rede auf sein Volk kam, das man an seinen Gesichtszügen erkennen konnte, an seiner Art zu sprechen, ja selbst an seinem Namen — denn Benjamin war Beniamin, der kleinste Stamm unter den zwölf Stämmen Israels —, auf den er in jener Verfolgungszeit stolz war, denn die Königin verfügte über einen aufgeklärten Verstand, der nicht in die Gesichter der Leute schaute und auch nicht darauf, aus welcher Nation sie herrührten, sondern mit einem unglaublichen Scharfsinn für eine kleine, dickliche und recht gewöhnlich aussehende Frau in den Seelen all ihrer Untertanen las. Ein Jude als Premierminister, das hatte es in dem großen Imperium noch nie gegeben und sollte es vielleicht auch nie wieder geben, denn es brachen schwere Zeiten an für das von Jehova wegen seiner Unbotmäßigkeit vertriebene und unter alle Völker der Welt verstreute Volk.

Es sieht so aus, als gebe es in ihrem heiligen Buch namens Kebra Nagast, dem Buch zum Ruhme der Könige, eine Legende, die unsere Bibel nicht kennt, dass nämlich die Königin von Saba, aus dem tiefen Inneren Äthiopiens gekommen, um König Salomon zu treffen, sich von seiner großen Weisheit ebenso zu überzeugen wie von seinem Reichtum und Ruhm, von dem großen Herrscher nicht nur mit ungezählten Reichtümern beschenkt wurde, denn er hatte ihr alles gegeben, worum sie ihn bat, und darüber hinaus noch sehr viel mehr, sondern auch mit einem Kinde, Frucht ihrer heimlichen Umarmungen, das sie auf ihrem Heimweg im Bauch getragen, dann geboren und in ihrem Land großgezogen hat, damit es dessen König werde und den Ruhm seines Vaters weitertragen, vielleicht sogar übertreffen könne. Der Prinz habe Menelik geheißen, und seiner Lende soll die Salomonische Dynastie Äthiopiens entsprungen sein, die sich seit beinahe drei Jahrtausenden auf dem Thron des Landes befindet. Ihr heiliges Buch behauptet die Wahrheit dieser schier unglaublichen Folge mit größter Bestimmtheit, und im Orient wird dieser Sachverhalt nicht im Geringsten bezweifelt. Aber der Orient verwechselt häufig die Tatsachen mit den Geschichten, wie Sie wohl wissen, Majestät.

Disraeli wollte dem Gesagten noch etwas hinzufügen, aber er schwieg diskret, denn die Geschichte, die seine Seele am meisten berührte und ihn schon seit seiner Jugendzeit umtrieb, jene vom Schicksal der heiligen Bundeslade, die irgendwann spurlos verloren gegangen war, und von der das Kebra Nagast sehr viel mehr zu berichten wusste, als man dem Alten Testament entnehmen konnte, rechnete er zu den persönlichen Angelegenheiten, und mit so etwas wünschte er nun nicht, die Königin zu belasten.

Er zog es vor, die Geschichte von Napiers Expedition fortzusetzen, und schaute dabei hin und wieder in die wässrig-blauen Augen der Königin, aber die meiste Zeit schaute er durch das offene Fenster auf den englischen Garten vor dem Palast, melancholisch war der und unordentlich wie ein sich selbst überlassener, ins Nachmittagslicht eingetauchter Wald. Das Gelände war gebirgig, fuhr Disraeli fort, mit prächtigen und wilden Landschaften. Straßen mussten gebaut werden, Brücken über Schluchten hinweg und Terrassierungen, auch mussten Brunnen gebohrt werden für die riesige Armee und die tägliche Tränke ihrer vierzigtausend Tiere. Die Nahrungsreserven verringerten sich zusehends, und als sie beim Ashangisee mit seinem rosenfarbenen Wasser anlangten, hatte man schon damit begonnen, den Soldaten nur noch die Hälfte ihrer Rationen auszureichen. Napier hatte enorme Anstrengungen unternommen, lokale Scharmützel zu vermeiden, denn aus jedem Dorf, an dem sie vorbeizogen, kamen haufenweise schwarze Krieger mit Schilden und Speeren hervor, tätowiert und bemalt mit Kalk und Minium, die Haare in zig Zöpfchen geflochten und mit rotem Ton eingeschmiert, und griffen die britischen Kolonnen mit einem unfassbaren Mut an. Horden von Pavianen mit Hundeschnauzen bissen im dichten Nebel der Täler die Maultiere und ließen die Soldaten ihre enormen Eckzähne sehen. Er hatte den örtlichen Prinzen Briefe geschickt, worin er ihnen mitteilte, dass er ihr Freund sei und nichts anderes vorhabe, als die Befreiung der in Geiselhaft befindlichen Missionare. Nichts würde sich an den Angelegenheiten des Landes ändern: Ihr Leben, ihre Religion und ihre Besitztümer würden von der Krone garantiert. Zwei der mächtigsten Prinzen des Nordens schlossen sich den Engländern an, ebenso zwei Königinnen aus Oromo, einer Gegend, in der allein die Frauen herrschen konnten, und die einstmals sogar einen Hund mit sämtlichen Vollmachten eines Königs auf dem Thron sitzen hatten.

Am Hof von Dajamach Kassai wurden die Engländer mit einem ungeheuren Pomp empfangen, der Prinz trug einen goldenen Ring in der Nase, und seine Königin trat mit nackten Brüsten auf. Auf den Tischen befanden sich Berge unbekannter Früchte, deren Geschmack einen anfangs leicht ekelte, doch schon bald wollte man ihn nicht mehr missen. Alle glaubten sie an unseren Herrn Jesus Christus, die Priester waren überall an ihren Kleidern zu erkennen, die mal feuerrot waren und mal indigofarben wie die Federn der exotischen Vögel, aber vor allem an den halbkreisförmigen Sonnenschirmen aus bunter Wolle, die ihnen von nackten, wie aus Ebenholz geschnitzten Knaben über die Köpfe gehalten wurden. Ständig lasen sie in dicken und speckigen Büchern, die mit barbarischen Zeichnungen geschmückt waren. Der Jesus ihrer Kreuze war schwarz. Napier kam auf seinem bevorzugten Elefanten herangeritten, den ein Turban tragender Mahout mit einem wie in der Ramayana gezwirbelten Schnurrbart führte. Als der General mit dem Prinzen das Glas der Freundschaft getrunken hatte, besiegelten zehn Kanonensalven die Vereinbarung.

Von Tigray zog die Armee weiter nach Lasta, wo Napier und seine Gefolgschaft das erste der zahlreichen Klöster besuchte, die in das Felsgestein unter ihren Füßen gehauen worden waren: Das Dach befand sich in Höhe des Erdbodens und war kreuzförmig, die Mauern aber lagen darunter, unter der Erdoberfläche inmitten einer riesigen Grube. Um ans Eingangstor zu gelangen, musste man an einer etwas wackligen Holzleiter hinabsteigen. Die Wände des Klosters waren uralt und rot, voller Nischen, worin junge Mönche schweißüberströmt kauerten und alte mit Bärten wie aus Wolle und Heroldsstäben aus Schilf in den Händen. Im Inneren gab es derart seltsame Malereien, dass Napier an die Baale und Astarten der alten Zeiten denken musste: Von der Decke schauten einen Gesichter mit weit aufgerissenen Augen und pechschwarzen Haaren an, die Engel vorstellten, und an den Wänden sah man Kamelkarawanen durch die Luft schweben und die Jungfrau mit dem Kind im Türkensitz auf einem der Kamele.

Der Konvoi war weitergezogen auf Magdala zu, hatte Felsen in die Luft gesprengt und Brunnen gegraben, saphirblaue, in kühlende Dämpfe gehüllte Wasserfälle betrachtet, bis er an den Bashilo-Fluss gelangte, wo Napier Nachricht erhielt von Theodoros’ Unternehmungen. Nach einem militärischen Abenteuer im Westen, das sich gegen das aufmüpfige Gobeze-Gebiet gerichtet und ihn einen guten Teil seiner Truppen gekostet hatte, sodass er sich nunmehr nur noch auf viertausend Soldaten stützen konnte, und diese in einem jämmerlichen Zustand, war der Negus in seine Festung zurückgekehrt, aber trotz seiner Schwäche und der von Napier erhaltenen Zusicherungen hatte er in einem jener unerklärlichen Anfälle von Sturheit, die unter Barbaren nur allzu geläufig sind, sich in den Kopf gesetzt, bis zum letzten Mann zu widerstehen. Eigentlich war er längst verloren, und dies wusste er gewiss schon allzu gut. In Gobeze hatte er dutzende Dörfer dem Erdboden gleichgemacht und alle Bewohner umgebracht, von den Neugeborenen bis zu den Greisen, wahllos, sodass er nun, zum hundertsten Mal in seiner dreizehnjährigen Herrschaftszeit die Hände blutbesudelt, niemanden mehr hatte, auf den er sich stützen konnte. Er war ein toter Hund, wie man in Äthiopien sagt, aber immer noch gefährlich, denn Magdala war nicht irgendeine Festung, sondern eine vortreffliche Befestigungsanlage auf dem Gipfel eines massiven Felsens, die seit Jahrhunderten niemand hatte einnehmen können. Der Felsen war zu seinen Schößen von nirgendwo sonst je gesehenen Bäumen umringt, in deren breit ausladenden Kronen giftige rote Früchte in der Größe von Pfirsichen gediehen, und darüber erhob sich glatter Granit, der tief von mehreren Treppenstufen durchzogen war, die Richtung Himmel führten. Die Festung auf dem Gipfel, wiewohl riesig, sah angesichts der Großartigkeit des Felsens eher wie ein Gutshof aus. Nur ein einziger Weg führte nach oben, und zu beiden Seiten dieses Zugangs hatte der Negus tausende zerlumpte Briganten postiert, die keinen anderen Befehl hatten, als um jeden Preis den Zugang zu Magdala zu verteidigen.

Die Schlacht hatte am Karfreitag begonnen und wurde erst einmal auf dem Arogye-Plateau ausgetragen, worüber der Weg unter dem Kugel- und Granatenhagel aus jenen dreißig Kanonen führte, die Tewodoros auf den Bergen ringsum versteckt hatte. Die Äthiopier hatten mit allen ihren Kräften gleichzeitig angegriffen, irrsinnig, mit tausenden pechrußschwarz im Gesicht eingefärbten Soldaten in ehemals britischen Uniformen, nunmehr zerlumpt, manche davon nur mit Lanzen und Schwertern bewaffnet und dabei etwas Unergründliches rufend oder singend. Der General hatte die Order ausgegeben, gezielt zu schießen, und dies führte zu einem Blutbad, wie man es selten auf einem Schlachtfeld gesehen hatte. Die armen Shifta — denn sie verdienten nicht, Soldaten genannt zu werden — wurden zu Hunderten durch das verheerende Feuer aus den Mörsern der Marinebrigaden und den schweren Kanonen der Gebirgsartillerie in Stücke gerissen. Leichenhaufen bedeckten den ganzen Weg, überall lagen Arm- und Beinstümpfe herum, Soldaten mit aufgeschlitzten Bäuchen und weggepusteten Gehirnen lagen in Blutlachen, die sich ausbreiteten und zusammenfl