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Ein einzigartiger Bericht und massgeblicher Leitfaden für eine künftige Generation von Psychotherapeuten. Dieses Fachbuch ist ein umfassender Leitfaden zum medizinischen Gebrauch von psychedelischen Substanzen in der Therapie von psychischen und psychosomatischen Störungen. Er beschreibt in klarer und gut verständlicher Sprache alles, was für den wirksamen und sicheren Einsatz dieser Behandlungsweise sowie für die Arbeit mit aussergewöhnlichen Bewusstseinszuständen im Allgemeinen zu wissen notwendig ist. Mit einem Vorwort von Stanislav Grof.
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Seitenzahl: 435
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Friederike Meckel Fischer
Therapie mit Substanz
Friederike Meckel Fischer
Psycholytische Psychotherapie im 21. Jahrhundert
Vorwort Stanislav Grof
Verlegt durch:
Nachtschatten Verlag AG
Kronengasse 11
CH-4500 Solothurn
Tel: 0041 32 621 89 49
Fax: 0041 32 621 89 47
www.nachtschatten.ch
© 2016 Nachtschatten Verlag AG für die deutsche Ausgabe
© 2015 Muswell Hill Press, London, für die englische Originalausgabe
Lektoratsbetreuung: Stephan Schuhmacher
Layout und Textredaktion: Nina Seiler, Zürich
Korrektorat: Inga Streblow, Berlin
Umschlaggestaltung: Sven Sannwald, Lüterkofen
ISBN 978-3-03788-398-3eISBN: 978-3-03788-512-3
Alle Rechte der Verbreitung durch Funk, Fernsehen, fotomechanische
Wiedergabe, Tonträger jeder Art, elektronische digitale Medien
und auszugsweiser Nachdruck nur unter Genehmigung des Verlages erlaubt.
Für Dich, lieber Vater
(4. Mai 1923 – 17. September 1953)
Du hast mich auf den Weg gebracht.
Vorwort
Danksagung
Einführung
1
Mein persönlicher Werdegang
2
Meine Ausbildung bei Samuel Widmer
Erstes Ausbildungswochenende: MDMA, im 2. Teil 50 Mikrogramm LSD
Zweites Ausbildungswochenende: MDMA
Drittes Ausbildungswochenende: MDMA, 2C-B
Viertes Ausbildungswochenende: MDMA, LSD
Fünftes Ausbildungswochenende: Der Sterbepunkt
Sechstes Ausbildungswochenende: der Augenblick der Geburt
Weitere Erfahrungen bei Samuel Widmer
3
Die Anfänge meiner psycholytischen Arbeit und wie sich daraus die Setting-Strukturen entwickelten
4
Psychotherapie und psycholytische Psychotherapie
Der Blick auf den Menschen, bevor er sich in Therapie begibt
Die »Störung«
Die notwendigen Voraussetzungen vor dem Schritt in die Therapie
Therapie und ihr genereller Auftrag
Das Unbewusste
Entwicklungsstörungen, Traumata
Dissoziation sowie die Entstehung und Folgen von Störungen jeder Art
Kann der Auftrag der Psychotherapie mit den herkömmlichen therapeutischen Mitteln wirklich erfüllt werden?
Bewusstseinserweiterung als Möglichkeit, dem therapeutischen Auftrag gerecht zu werden
Wie kann psycholytische Therapie wirken?
Die kontinuierliche Erweiterung meiner therapeutischen Sicht
Die Beziehung Therapeut-Klient
5
Psychoaktive Substanzen
Beschreibungen, Vorstellungen, Klassifikation
Die psychoaktive Substanz als unspezifischer Bewusstseinsverstärker, Katalysator, Türöffner zum Unbewussten
Wahrnehmung, Bewusstsein, erweitertes Bewusstsein
Die Trias Dosis, Set und Setting
Der Wirkungsbogen
Die eingesetzten Substanzen
MDMA, 3,4-Methylendioxymethamphetamin
Die Wirkung von MDMA
Wie fühlt es sich an, MDMA zu nehmen?
Die Phase des »Aufstiegs«, das Einfluten der Substanz
Der MDMA-Aufstieg eines »Hochschulabsolventen«
Die MDMA-Plateauphase
LSD; Lysergsäurediethylamid; Indol, Tryptamin
Wie wirkt LSD?
Spezielle Erfahrungen unter LSD oder anderen Substanzen dieser Gruppe
Das Besondere am LSD
Das Einfluten der Substanz LSD
Erfahrungsbericht eines Hochschülers
Die Plateauphase
2C-B; 4-Bromo-2,5-dimethoxyphenylethylamin
Die spezifische Wirkung des 2C-B
Der Aufstieg bei 2C-B
Ein allgemeiner Erfahrungsbericht
Ein Beispiel für das Erkennen der Struktur des Widerstands unter 2C-B
Entheogene: Psilocybin, Meskalin, Ayahuasca
Psilocybin, Psilocin; Indol, Tryptamin
Spezifische Wirkung von Psilocybin
Eine erste Pilzerfahrung
Harman-Alkaloide und DMT: Ayahuasca
Die Frage der Selbsteinnahme
Die Integration
6
Die Arbeit mit psychoaktiven Substanzen
Der erste Unterbogen: Die äußere Struktur eines Wochenendes
Der Freitagabend
Die Absichtsfrage
Der zweite Unterbogen: Der formale Ablauf einer Sitzung
Der Samstag
Vorbereitung, Einnahme und Aufstieg
Die Plateauphase – die Zeit der eigentlichen Arbeit
Die Abstiegsphase
Die therapeutischen Werkzeuge
I. Der Therapeut
II. Die Substanzen
III. Die modifizierte Aufstellungsarbeit
IV. Live-Body-Work
Die theoretischen Grundlagen
Das Werkzeug Live-Body-Work als solches
V. Die Gruppe
Die Entwicklung der Gruppe zum Werkzeug
Die Gruppe als Werkzeug
VI. Die Musik
Wozu Musik während einer psycholytischen Sitzung?
Die Funktion des Symptoms
Grundannahmen über die Absicht und die Absichtsfragen des Klienten
Die korrigierende Neuerfahrung
Der iterative Integrationsprozess
Beispiele für die eigentliche Arbeit
Ein Aufstieg mit MDMA
Die Arbeit auf dem Plateau
1. Beispiel: Arbeit mit modifiziertem Aufstellen
2. Beispiel: Arbeit mit Live-Body-Work
7
Stufen der psycholytischen Arbeit
Vorstellung der »Arbeit«, Auswahl und Vorbereitung
Die Vorstellung der »Arbeit«
Die Auswahl der Klienten – Aufklärung, Kontraindikationen
Lernziele für eine wirksame psycholytische Arbeit
Vom »Schnupperer« zum »Hochschulabsolventen«
Die erste Sitzung, die Schnuppersitzung
Der Grundschüler
Der Mittelschüler
Der Hochschüler und der Übergang zum Hochschulabsolventen
Der Hochschulabsolvent
8
Stationen der Erkenntnisse in der psycholytischen Therapie
Stationen des Erkenntnisbogens
Das in die Therapie führende Thema
Beispiel für das in die Therapie führende Thema
Die eigene Biografie – Psychosomatik
Eltern und Familie
Beispiel: Innerer Frieden
Beispiel: Muster
Beispiel: Als schwierig erlebte Situation, die zu einem Alltagsgefühl geworden war
Psychosomatik
Epigenetik – Transgenerationale Traumata, Vorfahren
1. Beispiel: Biografisch und epigenetisch (Ayahuasca)
2. Beispiel: Epigenetik
3. Beispiel: Epigenetik
4. Beispiel: Transgenerationale Traumata
Frühe Prägungen: Bindungsmuster – von Belief-Systemen zu Handlungsmustern
Herkunft von Mustern aus der Embryonal- und Fetalzeit
Beispiel 1: Musterentstehung durch ein Trauma in sehr früher Schwangerschaft – eine biochemisch-psychische Traumatisierung
Beispiel 2: Musterentstehung durch Einflüsse in der Schwangerschaft und bei der Geburt
Gleiche Klientin, einige Jahre später: Belief-System
Beispiel 3: Mustererkennung eines Belief-Systems
Beispiel 4 (andere Klientin)
Beispiel 5
Allgemeine Themen
Kritische Betrachtung und Grenzen der Therapie
9
Prozessverläufe
Beispiel 1
Vorgeschichte
2006, 1. Protokoll: MDMA
2006, 2. Protokoll: MDMA, LSD
2006, 3. Protokoll: Ayahuasca
2007, 4. Protokoll: Ayahuasca
2007, 5. Protokoll: 2C-B
2007, 6. Protokoll: 2C-B, MDMA, LSD
2007, 7. Protokoll: 2C-B, MDMA, LSD
2008, 8. Protokoll: MDMA
2008, 9. Protokoll: Ayahuasca
Protokoll der Nachbearbeitungssitzung
2008, 10. Protokoll: 250 Mikrogramm LSD
2008, 11. Protokoll: 2C-B, LSD
2009, 14. Protokoll: 2C-B, LSD
2009, 15. Protokoll: 2C-B; MDMA
2009; 16. Protokoll MDMA, LSD
2009, 17. Protokoll: 350 Mikrogramm LSD
2009, 18. Protokoll: 2C-B, LSD
Reflexion zum Prozess von Y.
Beispiel 2
Bericht über einen Gesamtprozess
Reflexion zum Prozess von Mo.
Protokoll: Ayahuasca
10
Gefahren, Risiken, Nebenwirkungen und das Gesetz
Risiken, die im kontrollierten Setting mit Substanzen verbunden sind
Gesundheitliche Zwischenfälle
»Gefahren« der Einnahme von in einem kontrollierten Setting verabreichten Substanzen
Die Bedeutung emotional intensiver Erfahrungen in der psycholytischen Therapie
Der Weg zu einer sicheren Selbsterforschungs-Sitzung
Dosierung, Set und Setting sind eng miteinander verbunden
Der Klient und die Dosierung
Die Einstellung des Klienten
Der Grad des Wissens des Klienten
Der Grad der Befähigung des Klienten
Die Kombination von Set und Setting
Der Therapeut und die Dosierung
Der Therapeut und der Klient
Der Therapeut und die Umgebung
Der Therapeut als »Bergführer«: die Qualifikation des Therapeuten
Nebenwirkungen einer Therapie
Risiken und Nebenwirkungen einer Therapie mit Substanz
Phänomene, denen man bei der Arbeit mit psychoaktiven Substanzen begegnet
Potenzielle Gefahren für die Klienten
Der Kontext der Illegalität
Meine persönliche Erfahrung mit der Illegalität
Der Vorteil der Illegalität
Die Gefahr von Fehlern
Misserfolg und Erfolg
Supervision, Intervision und Austausch
11
Die Parallelen der psycholytischen Arbeit zum Schamanismus; Heilung und Spiritualität
Parallelen unserer Arbeit zum Schamanismus
Heilung
Spiritualität
12
Was am Ende gesagt sein will – Rückblick und Vorschau
Rückblick
Vorschau
Literaturverzeichnis
Die Autorin
Das Buch Therapie mit Substanz von Dr. Friederike Meckel Fischer ist ein umfassender Führer zum medizinischen Gebrauch von psychedelischen Substanzen in der Therapie von psychischen und psychosomatischen Störungen. Es basiert auf mehreren Jahren der therapeutischen Arbeit mit Klienten auf diesem Gebiet, die sie ohne offizielle Genehmigung durchgeführt hat. Das Buch beschreibt in klarer und gut verständlicher Sprache alles, was für den wirksamen und sicheren Einsatz dieser Behandlungsweise sowie für die Arbeit mit außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen im Allgemeinen zu wissen notwendig ist.
Dr. Meckels Buch erscheint genau zum richtigen Zeitpunkt. Es wird professionellen Therapeuten und der breiteren Öffentlichkeit in einer Zeit vorgelegt, in der eine bemerkenswerte weltweite Renaissance des Interesses an der wissenschaftlichen Erforschung psychedelischer Substanzen zu beobachten ist. Dies ist ein unerwarteter und überraschender Wandel nach vier Jahrzehnten, in denen die legale klinische Arbeit auf diesem Gebiet von einer unüberlegten Gesetzgebung so gut wie unmöglich gemacht wurde. Die Gesetzgebung war eine Reaktion auf den massenhaften und unbeaufsichtigten Gebrauch dieser Substanzen durch die junge Generation in Amerika und Europa und auf eine internationale Hysterie, die von sensationslustigen Journalisten geschürt wurde.
Gegenwärtig wird an etlichen amerikanischen Universitäten, darunter Harvard, Johns Hopkins, University of California in Los Angeles (UCLA), State University of New York (SUNY), University of California in San Francisco (UCFS) und University of Arizona in Tucson erneut auf dem Gebiet der psychedelischen Substanzen geforscht. Von besonderem Interesse ist die von Michael und Annie Mithoefer in South Carolina eingeführte wegbereitende Forschung zur MDMA-gestützten Psychotherapie für Kriegsveteranen, die unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden.1 Wegen der enormen medizinischen, wirtschaftlichen und politischen Probleme im Zusammenhang mit dieser gefährlichen Störung, die traditionellen Therapieformen gegenüber oft resistent ist, könnte der Erfolg dieses Projekts den Psychedelika die Tür zur Mainstream-Psychiatrie öffnen. Die Phase 2 der klinischen Studien zur MDMA-gestützten Psychotherapie für PTBS wird zur Zeit in South Carolina, Colorado, Kanada und Israel durchgeführt oder geplant. Neue Forschungsprojekte unter Einbeziehung von verschiedenen Cannabinolen, Ibogain, Ketamin und anderen psychedelischen Substanzen wurden weltweit in Angriff genommen. Um die Bedeutung des Buches von Dr. Meckel würdigen zu können, ist es wichtig, den größeren historischen Kontext zu betrachten.
Die zufällige Entdeckung der psychedelischen Wirkung von LSD-25 durch den Schweizer Chemiker Albert Hofmann2 im Jahre 1943 löste eine beispiellose Welle weltweiten wissenschaftlichen Interesses an dieser Substanz aus und begründete eine neue Disziplin: die moderne Bewusstseinsforschung.3 Nie zuvor in der Geschichte der Wissenschaft war eine einzige Substanz in mehreren Fachgebieten dermaßen vielversprechend. In der Gehirnforschung führte die Entdeckung des LSD zu einem goldenen Zeitalter der Forschung, die auch Fortschritte in Hinblick auf die Lösung des Rätsels der Neurorezeptoren, der neuronalen Botenstoffe, des chemischen Antagonismus und der Rolle des Serotonins im Gehirn machte.
Psychiater betrachteten LSD als einzigartiges Hilfsmittel zur Induzierung eines Modells einer endogenen Psychose unter Laborbedingungen. Sie hofften, diese »experimentelle Psychose« werde ihnen helfen, das Rätsel der Schizophrenie zu lösen, und werde ihnen in Hinsicht auf diese größte Herausforderung ihrer Disziplin den Weg zu einer Lösung aus der Retorte weisen. Die »experimentelle Psychose«, die von winzigen Dosierungen der Substanz (von Millionstel eines Gramms oder Gammas) ausgelöst wurde, wurde auch als unkonventionelles Lehrmittel angewandt, das es Tausenden von professionellen Psychiatern ermöglichte, einige Stunden in einer Welt zu verbringen, die der ihrer Patienten glich.
Psychotherapeuten berichteten vom einzigartigen Potenzial der Substanz zur Vertiefung und Beschleunigung des therapeutischen Prozesses und zur Ausweitung der Anwendbarkeit von Psychotherapie auf Kategorien von Patienten, die zuvor sehr schwierig oder gar nicht zu erreichen waren – Alkoholiker, von harten Drogen Abhängige, sexuell deviante Menschen und Rückfällige.4 Besonders wertvoll und vielversprechend waren die Studien zur Linderung des psychischen und physischen Leidens von todkranken Patienten und zum Abbau ihrer Angst vor dem Tod.5 Kunsthistorikern eröffneten Experimente mit LSD außerordentliche neue Einsichten in die Psychologie und Psychopathologie der Kunst, insbesondere verschiedener moderner Bewegungen wie Surrealismus, Phantastischer Realismus, Kubismus und Impressionismus sowie die Malerei und die Skulpturen unterschiedlicher Stammeskulturen.6
Das Vermögen von LSD, tiefe spirituelle Erfahrungen zu induzieren, führte zu faszinierenden Einsichten in die Psychologie und Psychopathologie der Religion – in Schamanismus, Übergangsriten, die uralten Mysterien von Tod und Wiedergeburt, östliche spirituelle Philosophien sowie die großen Religionen und mystischen Traditionen der Welt, aber auch in religiöse Intoleranz, religiös motivierte Kriege und Grausamkeiten wie Kreuzzüge, Jihad, Inquisition und satanische Praktiken.7 Die Tatsache, dass Psychedelika spirituelle Erfahrungen auszulösen vermögen, führte zu hitzigen Debatten über »Instant-Mystik« oder »chemische Mystik«, die um das Problem der Authentizität solcher Erfahrungen kreisten.
Es sah ganz danach aus, als sei die LSD-Forschung auf dem Weg, all diese Versprechungen und Erwartungen zu erfüllen, bis der berühmte Harvard-Skandal um Timothy Leary, Richard Alpert und Ralph Metzner sowie die massenhaften unbeaufsichtigten Selbstversuche der jungen Generation und der Gegenkultur aus Hofmanns »Wunderkind« ein »Sorgenkind« machten. Die behördlichen und politischen Sanktionen gegen Psychedelika in den 1960er Jahren erwiesen sich nur gegenüber gesetzestreuen Wissenschaftlern als wirksam, vermochten aber bekanntlich den Straßenverkauf von psychedelischen Substanzen nicht zu unterbinden. Sie förderten einen Schwarzmarkt mit gefährlichen Produkten ungewisser Qualität und Dosierung und führten zu einer absurden Situation, in der Teenager mehr Zugang zu Informationen über das Bewusstsein und die menschliche Psyche hatten als die Psychiater und Psychologen des Mainstreams.
Im Jahre 1966 befragte Robert Kennedy, dessen Frau mit LSD behandelt worden war und der die Erfahrung gutgetan hatte, die Vertreter der Federal Drug and Food Administration (FDA) und des National Institute of Mental Health (NIMH) in seinen eigenen Unterausschuss-Anhörungen zum LSD. Er fragte sich, warum so viele Forschungsprojekte zum LSD eingestellt wurden. Er argumentierte: »Wir haben die Tatsache, dass es gefährlich sein und Individuen, die es gebrauchen, schaden kann, so sehr betont, dass wir womöglich zu einem gewissen Maße die Tatsache aus den Augen verloren haben, dass es für unsere Gesellschaft sehr, sehr hilfreich sein könnte, wenn es auf die richtige Weise angewandt wird.« Zur Verteidigung der LSD-Forschung führte er an, dass es grotesk sei, die wissenschaftliche Erforschung von psychedelischen Substanzen in einer Zeit zu unterbinden, in der diese von Millionen von Amerikanern verwendet würden. Diese Situation sollte es vielmehr erforderlich machen, so viele Informationen wie möglich über sie zu sammeln.
Die drakonische Gesetzgebung, die die ernsthafte legale Erforschung von Psychedelika für vier Jahrzehnte abtötete, basierte auf keinerlei wissenschaftlichen Belegen und ingnorierte sogar die vorhandenen klinischen Daten. So veröffentlichte zum Beispiel der psychedelische Pionier Sidney Cohen aus Los Angeles im Jahre 1960 einen Artikel mit dem Titel »Lysergic Acid Diethylamide: Side Effects and Complications«, der auf 25 000 Anwendungen von LSD-25 und Meskalin basierte. Er zeigte, dass Probleme im Zusammenhang mit Psychedelika – wie etwa Flashbacks, langanhaltende Reaktionen, psychotische Einbrüche und Selbstmordversuche – bei verantwortungsvoller Anwendung dieser Substanzen minimal waren. Sie schnitten im Vergleich zu anderen, von konventionellen Psychiatern angewendeten Methoden wie Insulin-Komas und Elektroschock-Therapie (für beide galt eine Sterblichkeitsrate von 1% als akzeptables medizinisches Risiko) sehr gut ab, insbesondere im Vergleich zu der häufig angewandten präfrontalen Lobotomie, für deren Erforschung Edgar Moniz den Nobelpreis erhielt und die dem Hirngewebe irreversiblen Schaden zufügt.8
Während der vier Jahrzehnte, in denen legale Arbeit mit Psychedelika praktisch unmöglich war, entschieden sich individuelle Therapeuten und kleine Gruppen, diese Arbeit im Untergrund weiterzuführen, da sie von deren Sicherheit und Wirksamkeit bei verantwortungsbewusstem Gebrauch überzeugt waren und ihren Klienten deren Vorteile nicht vorenthalten wollten. Ralph Metzner sammelte die Informationen aus solchen Gruppen, die in den USA und Europa mit Tryptamin-Derivaten arbeiteten, in seinem bemerkenswerten Buch Die Kröte und der Jaguar.9 Die in diesem Buch beschriebenen Beobachtungen stellen eine solide Basis für künftige Forschung dar, insbesondere in Hinsicht auf das sehr vielversprechende 5-Methoxy-DMT. Dank der Erfahrung von Therapeuten, die im Untergrund mit MDMA gearbeitet haben, liegen uns heute legale Studien vor, die zeigen, dass diese Substanz eine wirksame Behandlung von PTBS ermöglicht. Friederike Meckels Buch ist ein weiteres Beispiel für ohne legale Genehmigung gewonnene, unschätzbar wertvolle klinische Information.
Nach der Diskussion wichtiger allgemeiner Informationen über die Natur psychischer und psychosomatischer Störungen, diagnostische Kriterien, die therapeutischen Beziehung und andere wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche Behandlung, eröffnet die Autorin uns eine Schatzkiste klinischer Daten über die revolutionären Veränderungen, die durch die Kombination der Psychotherapie mit psychedelischen Substanzen und Pflanzenmedizinen in die Psychotherapie eingebracht werden. Sie beschreibt die grundlegenden pharmakologischen Wirkstoffe, die in dieser Arbeit verwendet werden – LSD, Meskalin, Psilocybin, die ethnogenen Amphetamin-Derivate MDMA und 2C-B, Tryptamin-Derivate sowie Pflanzenmedizinen wie Ayahuasca und Psilocybe-Pilze.
In jeder Abteilung dieses Buches umfasst die Diskussion dieser Bestandteile eine Beschreibung ihrer spezifischen Charakteristika, der psychischen und physiologischen Wirkungen, Anweisungen für eine optimale Dosierung, Leitlinien für den klinischen Gebrauch und dessen therapeutisches Potenzial. Dr. Meckel schenkt den möglichen Nebenwirkungen, Komplikationen und Gefahren von psychedelischen Substanzen besondere Beachtung. Sie führt sehr eingehend aus, inwieweit das Verhältnis zwischen ihrem potenziellen Nutzen und den Risiken ganz wesentlich von der Qualität, Dosierung und insbesondere einem Komplex nicht-pharmakologischer Faktoren, nämlich Set und Setting, abhängig ist. Sie zeigt zudem, welchen Einfluss es hat, wer die Substanz wem verabreicht, mit welcher Intention und welchem Ziel, mit welchem Grad an Erfahrung und Befähigung und unter welchen physischen Umständen und in welcher Umgebung des Experiments.
Die oben erwähnten vielfältigen Informationen in diesem Buch, die durch zahlreiche klinische Fallbeispiele illustriert sind, werden von großem potenziellen Nutzen für die künftige psychedelische Therapie und Forschung sein. Unlängst erhielt die Arbeit jener Therapeuten, die sich dafür entschieden haben, eher ihrem eigenen Urteil und Gewissen zu folgen als einer irregeleiteten Gesetzgebung, unerwartete Rechtfertigung in Form eines von einem prominenten ehemaligen Regierungsbeamten geschriebenen offenen Briefes. Nachdem Dr. Peter Bourne, der während der Präsidentschaft von Jimmy Carter der Drogenzar des Weißen Hauses gewesen war, im New Yorker den Artikel von Michael Pollan über den Gebrauch von Psilocybin in der medizinischen Behandlung gelesen hatte, schrieb er einen bemerkenswerten Brief an den Herausgeber dieser Zeitschrift.10 Darin gab er seinem Bedauern über die unselige Drogenpolitik der Carter-Regierung Ausdruck und entschuldigte sich bei den Forschern, die ihre Arbeit mit Psychedelika trotz der schlechten und irrigen Entscheidung der Behörden fortgesetzt hatten. Dieser Brief liefert einen traurigen Kommentar zu einer Situation, in der die staatliche Finanzierung wissenschaftlicher Forschung stark von politischen und kulturellen Werten beeinflusst wird, die nichts mit Wissenschaft zu tun haben:
»Mit wenigen Ausnahmen hat die öffentliche Förderung der Forschung zu den sogenannten Missbrauchsdrogen nur deren schädliche Wirkungen in Betracht gezogen, was das Vorurteil der Politiker und Geldgeber bestärkt hat. Als früherer Direktor des White House Office of Drug Abuse Policy schäme ich mich heute dafür, dass ich es versäumt habe, die Politik der Nixon-Ford-Regierung, welche die meisten Psychedelika auf die Schedule-1-Liste der DEA gesetzt und damit deren Gebrauch verboten hat, rückgängig zu machen. Der Kongress hätte eine solche Änderung mit größter Wahrscheinlichkeit verhindert, doch wäre es uns gelungen, das Verbot wissenschaftlicher Forschung zur medizinischen Nutzung aufzuheben, dann hätten die Ärzte heute wahrscheinlich ein weitaus besseres Verständnis der Gehirnfunktion und das unnötige Leiden vieler todkranker Patienten hätte gelindert werden können. Wir sollten die von Pollan erwähnten heroischen Wissenschaftler und Kliniker preisen, die sich ganz offensichtlich der Erweiterung des Horizonts der Wissenschaft verpflichtet haben.«
Der Brief mag eine gewisse Befriedigung für die tapferen Therapeuten darstellen, die sich dazu entschlossen, sich durch wissenschaftliche Belege und ihre eigene Überzeugung, dass Psychedelika ein äußerst hilfreiches therapeutisches Hilfsmittel sind, leiten zu lassen und nicht durch eine auf einer Massenhysterie beruhende irrationale Gesetzgebung. Er kann jedoch nicht den Schaden rückgängig machen, den der wissenschaftliche Fortschritt ebenso genommen hat wie die vielen Tausende von Patienten, denen der Nutzen einer psychedelischen Behandlung versagt blieb. Im letzten Teil ihres Buches zeichnet Dr. Meckel ein äußerst klares und überzeugendes Bild der Faktoren und Umstände, die während jener Jahrzehnte vorherrschten, in denen Psychedelika fälschlicherweise als Narkotika bezeichnet und zu Unrecht auf die Schedule-1-Liste gesetzt wurden.
Sie beschreibt mit ungewöhnlicher Offenheit ihre persönliche Odyssee in Form von jahrelanger erfolgloser therapeutischer Arbeit mit traditionellen Behandlungsmethoden und der großen Zahl der von ihr im Lauf der Jahre absolvierten Ausbildungen zu konventionellen Methoden, mit denen sich nur fragwürdige Therapieerfolge erzielen ließen. Diese komplexe und stürmische persönliche Geschichte legte das Fundament für ihr Verständnis und ihre Anerkennung der Heilkraft außergewöhnlicher Bewusstseinszustände. Nach einer langen Reihe von Fehlschlägen und Enttäuschungen entdeckte und erfuhr sie zuerst das Holotrope Atmen und dann die psychedelische Therapie.
Sie absolvierte eine dreijährige Ausbildung zur Facilitatorin der holotropen Atemarbeit und wurde im Anschluss daran zu einer zertifizierten Praktikerin dieser Methode. Inspiriert durch eine eindrucksvolle MDMA-Sitzung, die sie gemeinsam mit ihrem Partner und späteren Ehemann erlebte, entschloss sie sich dazu, sich zur psychedelischen Therapeutin ausbilden zu lassen. Diese Erfahrungen stellten einen radikalen Wendepunkt in ihrem persönlichen Leben und ihrem Berufsleben dar und überzeugten sie von dem enormen Potenzial außergewöhnlicher Bewusstseinszustände. Als amtliche und politische Maßnahmen die legale Forschung mit psychedelischen Substanzen unmöglich machten, beschloss sie, ihre Arbeit im Untergrund fortzusetzen, statt mit konventionellen Methoden zu praktizieren, die ihrer Erfahrung nach nur zweifelhaften Wert für ihre Patienten hatten.
Auf Dr. Meckels therapeutische Odyssee folgte eine schmerzliche Odyssee anderer Art. Sie kam mit dem Schweizer Gesetz in Konflikt, nachdem eine ihrer Klientinnen sie bei der Polizei angezeigt hatte und sie wegen illegaler Praktiken angeklagt wurde. Sie erlebte nicht nur ein qualvolles, zeitraubendes und kostspieliges Gerichtsverfahren, das ihre Lizensierung als Therapeutin und ihre persönliche Freiheit bedrohte, sondern musste auch eine erniedrigende Kampagne in den Schweizer Medien über sich ergehen lassen, die ihr berufliches Ansehen schädigte.
So zahlte sie einen hohen Preis für die Hilfe, die sie ihren Klienten hatte zukommen lassen, und für die unschätzbar wertvollen Erkenntnisse, die sie in einer dunklen Epoche der Geschichte der Psychedelika und der Wissenschaftsgeschichte im Allgemeinen sammeln konnte. Gegenwärtig wird dieser bedauernswerte Irrtum der Legislative dank der jahrzehntelangen entschlossenen und unbeugsamen Bemühungen von Rick Doblin, dem Präsidenten der Multidisciplinary Association of Psychedelic Studies (MAPS), und seinem Team korrigiert. In der Zukunft wird Dr. Meckels Buch hoffentlich als ein wichtiger Führer für eine neue Generation von psychedelischen Therapeuten und als dringend benötigte Informationsquelle für eine breitere Öffentlichkeit dienen, die sich mehr für auf wissenschaftlicher Forschung basierende Informationen zu diesem Gebiet interessiert als für irreführende Anti-Drogen-Propaganda.
Der potenzielle Nutzen des verantwortungsbewussten Gebrauchs psychedelischer Substanzen geht weit über deren Bedeutung als wirksame therapeutische Hilfsmittel hinaus. Die tiefgreifende positive innere Transformation der menschlichen Persönlichkeit, die in außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen zu erreichen ist, besitzt eine wichtige kollektive Dimension. Sie umfasst eine radikale Verringerung aggressiver Tendenzen, die Entwicklung von Mitgefühl und Toleranz gegenüber Unterschieden hinsichtlich Rasse, Geschlecht und Religion, die Herausbildung eines ökologischen Bewusstseins sowie einer Spiritualität universeller und allumfassender Natur jenseits aller Denominationen. Ließe sich ein solcher Wandel in größerem Rahmen erreichen, so könnte dies die Menschheit in Richtung auf eine globale Zivilisation voranbringen und die Überlebenschance unserer Spezies vergrößern.
Albert Hofmann, der Ethnomykologe Gordon Wasson und der Professor für Geschichte des klassischen Altertums Carl Ruck kamen auf der Grundlage ihrer gemeinsamen historischen Forschung, die sie in ihrem Buch Der Weg nach Eleusis beschreiben, zu dem Schluss, dass der heilige Trank Kykeon, den die Initianden zur Initiation in die eleusischen Mysterien erhielten, ein Ergot-Derivat enthielt.11 Aufgrund dieser Forschung nahm Hofmann an, dass der rituelle Gebrauch von LSD und Psilocybin eines Tages in die abendländische Zivilisation integriert werden könnte und dass dieses Neue Eleusis der Menschheit der Moderne ähnliche spirituelle und kulturelle Errungenschaften bescheren könnte, wie sie ihr historischer Vorläufer den alten Griechen und deren Nachbarländern beschert hat.
Stanislav Grof
1Mithoefer, M. C., et al. (2010): The safety and efficacy of ±3,4-methylenedioxymethamphetamine-assisted psychotherapy in subjects with chronic, treatment-resistant posttraumatic stress disorder: the first randomized controlled pilot study. Journal of Psychopharmacology, 19. Juli.
2Hofmann, Albert (1979): LSD – Mein Sorgenkind. Stuttgart: Klett-Cotta.
3Stoll, W. A. (1947): LSD, ein Phantastikum aus der Mutterkorngruppe. Schweizer Archiv der Neurologischen Psychiatrie 60:279.
4Grof, Stanislav (1983): LSD-Psychotherapie. Stuttgart: Klett-Cotta.
5Grof, Stanislav (2006): The Ultimate Journey: Consciousness and the Mystery of Death. Santa Cruz, CA: MAPS Publications.
6Grof, Stanislav (2015): Modern Consciousness Research and the Understanding of Art. Santa Cruz, CA: MAPS Publications.
7Pahnke, Walter (1963): Drugs and Mysticism: An Analysis of the Relationship between Psychedelic Drugs and the Mystical Consciousness. Dissertation, Harvard-Universität.
8Cohen, Sidney (1960): »Lysergic Acid Diethylamide: Side Effects and Complications». In: Journal of Nervous and Mental Diseases 130:30.
9Metzner, Ralph (2015): Die Kröte und der Jaguar: Erfahrungsberichte zur Erforschung einer visionären Medizin. Solothurn: Nachtschatten Verlag.
10Pollan, Michael (9. Februar 2015): »The Trip Treatment«. The New Yorker, 36–47.
11Wasson, Robert Gordon; Hofmann, Albert & Ruck, Carl A. P. (1984): Der Weg nach Eleusis: Das Geheimnis der Mysterien. Frankfurt am Main: Insel Verlag.
Im Juli 2013 hielt ich in Greenwich einen Vortrag mit dem Titel Towards Authenticity, Practical Psychointegration, Setting, Tools and Vision. Damals wurde ich gefragt, ob ich meine Erfahrung nicht in einem Buch zusammenfassen könnte. Diese Anregung wurde zu einer Herausforderung, für die ich an dieser Stelle Dank sage.
An Dr. Tim Read, dass er dieses Projekt angeregt hat, für seine Hilfe bei der Produktion und für die Herausgabe dieses Buches in englischer Sprache.
An Stephan Schuhmacher für seine präzise, kritische Assistenz bei der Entwicklung der deutschen Version des Buches.
Dank gilt außerdem:
Dir, Stan, und Christina; ihr habt mir vor langer Zeit die Tür zum Bewusstsein geöffnet.
Dir, Klientin, Freundin, Weggefährtin, Mitmenschin, für dein Dich-Einlassen, Mitarbeiten, Vertrauen.
Dir, Klient, Freund, Weggefährte, Mitmensch, für dein Dich-Einlassen, Mitarbeiten, Vertrauen.
Euch, allen meinen Lehrern, für eure Bereitschaft, Wissen und Können weiterzugeben.
Dir, Konrad, Ehemann, Freund, Weggefährte, Mitmensch, Vertrauter, für den gewährten Raum der Stille.
Allen, die sich intensiv mit ihren Forschungsthemen beschäftigt haben und von deren Kompetenz ich profitieren konnte.
Denen, die mich durch Kritik und Fragen gefördert haben.
Derjenigen, die es möglich gemacht hat, öffentlich zu schreiben.
Ich verneige mich in Dankbarkeit vor dem, was größer ist als ich. Ich wurde getragen und gestärkt.
In diesem Buch, das auch auf Anfrage und Bitte eines für die darin behandelte Thematik engagierten Freundes geschrieben wurde, berichte ich über die Erfahrungen und Einsichten, die ich im Laufe mehrerer Jahre gewonnen habe, während derer ich als Psychotherapeutin »im Untergrund« Therapie mithilfe psychoaktiver Substanzen betrieben und eine entsprechende Methodik entwickelt habe. Diese Arbeit wurde durch einen Verrat, die Verhaftung und eine Verurteilung wegen »Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz« jäh beendet. Die in dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnisse jedoch bleiben, und ich kann heute darüber berichten, ohne weitere juristische Konsequenzen befürchten zu müssen.
Die ersten drei Kapitel enthalten Biografisches und weihen den Leser in die Hintergründe dieser Arbeit ein. So beschreibt das erste Kapitel meinen persönlichen Werdegang. Das zweite Kapitel gewährt dem Leser einen ebenfalls sehr persönlichen Einblick in meine Ausbildung bei Samuel Widmer. Das dritte Kapitel erlaubt eine Gesamtübersicht von den Anfängen der psycholytischen Arbeit bis hin zum endgültigen Setting.
Im vierten Kapitel richtet sich der Blick auf die Psychotherapie und die psycholytische Therapie als zwei eigenständige Therapiemodelle. Der Weg führt dann im fünften Kapitel zu den psychoaktiven Substanzen, deren Art, Bedeutung und Wirkung auch anhand von Beispielen erläutert werden. Danach wird im sechsten Kapitel die eigentliche Arbeit im Allgemeinen und im Speziellen behandelt und dazu ein Überblick über die Werkzeuge, die Art des Umgangs mit ihnen, ihre Funktion und ihre Bedeutung gegeben. Im siebten Kapitel geht es um die Auswahl und Vorbereitung der Klienten und um die »Lernziele«, die im Laufe der psycholytischen Arbeit angestrebt werden, deren Verlauf ich in das Bild »Vom Schnupperer zum Hochschulabsolventen« gekleidet habe.
Das achte Kapitel widmet sich dem therapeutischen Erkenntnisbogen, den das neunte Kapitel anhand zweier Prozessverläufe und eines Protokolls illustriert. Das zehnte Kapitel beschäftigt sich mit Gefahren, Risiken, Nebenwirkungen und dem Thema der Illegalität, wobei zu diesem Problem inhaltlich nur das angesprochen wird, was der Absicht dieses Buches Rechnung trägt.
In beinahe allen Kapiteln finden sich Definitionen, wie zum Beispiel von »Symptom« oder dem »Unbewussten«, die dem Verständnis des Therapiemodells dienen. Es werden Erklärungsmodelle der Entstehung von Störungen und Traumata vorgestellt und es wird auf andere Autoren verwiesen. Im elften Kapitel geht es um die Parallelität zwischen der beschriebenen Arbeit und schamanischem Vorgehen, sowie um Heilung und Spiritualität aus der Perspektive dieser Arbeit.
Das zwölfte Kapitel, der Epilog, richtet den Blick noch einmal zurück auf den therapeutischen Bogen, um dann eine Vision von dessen Vollendung zu entwerfen.
In diesem ersten, biografischen Kapitel beschreibe ich meinen persönlichen Weg in die psycholytische Arbeit.
Bei diesem und auch den folgenden Kapiteln handelt es sich um einen zusammenhängenden, kompakten Rückblick auf die Entstehung des Gesamtgebildes. Diese Perspektive führt dazu, dass bereits Bekanntes in späteren Kapiteln erneut aufscheint.
Dass meine berufliche Laufbahn mich dazu geführt hat, unkonventionelle Methoden zu erproben und einzusetzen, liegt zweifellos auch daran, dass sie mich mit den Grenzen der konventionellen Psychotherapie konfrontiert hat. Es wäre allerdings anmaßend, die herkömmliche Psychotherapie verallgemeinernd als unbrauchbar zu bezeichnen. Deshalb werde ich im Folgenden nur über mich und meine eigenen Erfahrungen berichten.
1988 verliebte ich mich nach 21 Ehejahren in einen anderen Mann. Als mir in der Folge deutlich wurde, dass dieser Mann unsere »Beziehung« nur zum Ausstieg aus seiner eigenen Ehe benutzt hatte und es ihm gar nicht um mich gegangen war, katapultierte mich diese Erfahrung in eine Lebens- und Sinnkrise. Ich erkannte mich selbst nicht wieder. Eine immense innere Unruhe, Traurigkeit und Gereiztheit befielen mich. Für meine Umwelt muss ich eine Zumutung gewesen sein. Ich wurde streitsüchtig, intolerant, vernachlässigte meine häuslichen Pflichten, hinterfragte alles und »meckerte an meinem Mann herum«.
Interessanterweise war ich jedoch bei der Arbeit als Ärztin im Krankenhaus eine völlig andere: ausgeglichen, vergnügt, voller Kraft und zu hohem Arbeitseinsatz bereit und fähig. Von außen betrachtet war ich zwei Personen. Da ich niemanden kannte, der mir in dieser Situation hätte helfen können, beschloss ich, mir selbst zu helfen. Ich musste Psychotherapeutin werden. Interessant scheint mir im Nachhinein, dass mir nie in den Sinn gekommen ist, erst einmal selbst eine Therapie zu machen.
Die Verhaltenstherapie schien mir zu technisch ausgerichtet, deshalb meldete ich mich in der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapieausbildung zum Vorgespräch. Als Motivation gab ich berufliches Interesse an, hatte ich in meiner Eigenschaft als Arbeitsmedizinerin doch festgestellt, dass die meisten Erkrankungen und Fehlzeiten am Arbeitsplatz durch zwischenmenschliche Probleme ausgelöst werden. Aufgrund dieser Argumentation wurde ich in die Ausbildungsgruppe aufgenommen. Während der gesamten dreijährigen Ausbildung brachte ich es im Übrigen fertig, meinen eigentlichen Zustand nicht zu thematisieren. Nicht dass ich vorsätzlich nichts preisgab, es ging einfach nicht – als gäbe es eine unsichtbare Grenze in mir. Dieses Verhalten, das ich erst im Verlauf meiner Selbsterforschung als solches erkannte und zu verstehen begann, sollte erst sehr viel später den Namen »Nachkriegskindheit-Identität« erhalten: »Schotten dicht, nicht fühlen, sondern funktionieren«. Es diente mir schließlich als eine wichtige Lehre über die »natürliche Unfähigkeit, sich zu öffnen«, durch die in der Psychotherapie das Wichtigste nicht angesprochen wird.
Neben der Theorie und dem psychiatrischen Praxisteil absolvierte ich im Selbsterfahrungsteil der Ausbildung eine Gruppenpsychoanalyse. Selbstverständlich diente die Gruppe als Abbild der Gesellschaft und/oder der Familie mit ihren jeweils fehlgelaufenen sozialen und zwischenmenschlichen Austauschprozessen. Durch die Interaktionen in der Ausbildungsgruppe sollten sich – nun unter günstigen sozialen Bedingungen – die prägenden sozialen Erfahrungen erneut entfalten; sie sollten erkennbar und verständlich gemacht und möglichst korrigiert werden.
Das ist ein nützlicher Ansatz, und er war mir verständlich. Für einige Teilnehmer der Gruppenpsychoanalyse erwies sich dieses Vorgehen auch als hilfreich. Nur ich saß inmitten der Gruppe und war außerstande, über mich zu sprechen, obwohl mir im Allgemeinen eine »große Klappe« bescheinigt wurde. Sobald in der Sitzung Stille eintrat, begann mein Herz wie wild zu klopfen; ich war wie nicht mehr anwesend. Wenn andere Teilnehmer lebhaft redeten oder stritten, konnte ich mich etwas entspannen und zum Geschehen beitragen. Diese Sitzungen, die manchmal den ganzen Sonntag dauerten und die ich sogar in unserem eigenen Haus organisierte, waren mir ein Graus. Ich zählte die Stunden und war erleichtert, als die vorgeschriebenen 400 Stunden der Gruppenanalyse endlich vorbei waren. Ich fürchtete mich – fürchtete mich vor allem zuzugeben, dass ich mich fürchtete.
Zusätzlich zu den Gruppenstunden musste ich zu 50 Einzelsitzungen à zwei Stunden antreten. Ich war heilfroh, dass ich nicht auf der Couch, sondern in einem bequemen Sessel Platz nehmen und den Analytiker anschauen konnte. Ich erinnere mich an fast nichts mehr von dem, was in diesen Sitzungen ablief. Ich habe wohl die meiste Zeit geschwiegen und war irgendwo anders – an einem Ort, den ich nicht benennen konnte. Ja, ich konnte nicht einmal benennen, dass ich nicht anwesend war. Der Begriff der Dissoziation war damals auch Fachleuten noch nicht geläufig und mein Schweigen wurde als Widerstand gedeutet.
Ich lernte jedoch sehr gut, »meine Geschichte« zu erzählen. Ich lernte, da ich mich ja in Ausbildung befand, meine »Symptome« anhand meiner Biografie zu deuten. Bei der Wahl meines Ehemannes hatte ich offenbar einen Vaterersatz ausgesucht. Meinen Fleiß, meinen Ehrgeiz und meinen Leistungsanspruch begriff ich als stark entwickeltes Über-Ich, mein Unbewusstes ließ mich handeln. War es also das, was mich auf die Suche schickte?
Ich gab keine gute Analysandin ab. Ich träumte nichts. »Du machst noch etwas anderes?« fragte mich der Analytiker in regelmäßigen Abständen, und sagte dann: »Du veränderst dich.« Ich winkte ab – aus irgendeinem mir nicht erkennbaren Grund wollte ich mein Innerstes dort nicht preisgeben. Ich ahnte mehr als zu wissen, dass das Problem an einer anderen Stelle und in einer tieferen Schicht lag, die hier nicht zugänglich werden würden. Die Analyse hat bei mir weder den Widerstand bearbeitet noch irgendeine Veränderung meines emotionalen Zustandes bewirkt. Allerdings habe ich eine Menge über Psychotherapie gelernt und konnte im Fachjargon anfängerhaft mitreden. 1992 fand die Prüfung vor der Ärztekammer statt. Ich hatte dazu das gesamte Psychiatriebuch auswendig gelernt und bekam bestes theoretisches Wissen bescheinigt.
Während der Ausbildungszeit in tiefenpsychologisch orientierter Psychotherapie hatte ich auf der intensiven Suche nach Wegen zur Linderung meines fast unerträglichen psychischen Zustands von meinem früheren Universitätsprofessor für Gynäkologie das von Stanislav Grof entwickelte »Holotrope Atmen« empfohlen bekommen. Zunächst einmal las ich Grofs Buch Das Abenteuer der Selbstentdeckung. Ist mir heute jeder Satz darin verständlich, so begriff ich bei dieser ersten Lektüre nicht, wovon Stan sprach. Meine erste Begegnung mit ihm und die erste Atemsitzung im Frühjahr 1989 in Zürich wurden jedoch richtungweisend für mich.
Ich folge Stan Grofs tiefer Stimme: »Atme jetzt tiefer und schneller und tiefer und schneller, und lass dich vom Atem und der Musik tragen.«
Ich atme tiefer und schneller und schneller und tiefer. Ich keuche, erbreche mich fast, mein Hals überstreckt sich nach hinten. Gewaltiges schwarzes Trommeln reißt mich augenblicklich in eine dunkle Röhre. Ich werde von hinten gestoßen und durch diesen engen Tunnel wie hindurchgepresst. Es schleudert mich hinaus. Ich will schreien, aber das geht nicht – da ist etwas auf meinem Mund. Ich lande inmitten eines Kreises mich irre anstarrender Männer und Frauen. Vor Angst verliere ich das Bewusstsein. Schwarz, alles schwarz. Irgendwie erinnere ich mich, dass ich atmen soll. Wieder schnaufe ich ein und aus und finde mich – gerettet – in einem Moseskörbchen auf hoher See dümpelnd.
Während all das geschieht, liege ich still und bewegungslos auf einer Matte unter meiner großen Bettdecke, die ich vorsichtshalber zu dem Workshop mitgenommen habe. Während die Musik langsam sanfter wird, stelle ich fest, dass ich diesen Horror überlebt habe, dass ich Angst gefühlt, ja, wirklich gefühlt, durchlebt und überlebt habe.
Als ich später im Sharing die Berichte der anderen Teilnehmer hörte, wurde mir klar, dass mich diese Methode auf den Weg zu mir und zu meinen Gefühlen bringen könnte. Also beschloss ich, die Ausbildung in Holotropem Atmen zu machen. Während sämtlicher Urlaube der nächsten drei Jahre absolvierte ich Trainingsmodule bei Stan Grof. In den Trainingssitzungen in Amerika kam ich endlich an Gefühlsinhalte heran: Ich war traurig, konnte wieder weinen und spürte zum ersten Mal, was der frühe Tod meines Vaters in mir bewirkt hatte. Ich begegnete meiner Einsamkeit, begann zu durchschauen, wie und warum ich mich so verhielt, wie ich es tat. Lernen und Leisten erwiesen sich weniger als das Überich – sie waren zu einer wunderbaren Überlebensstrategie geworden. Es zeigt sich mir einiges, was bis dahin in meinem Unbewussten verborgen gelegen hatte. Zu dem Wissen um meine Geschichte kamen erste leibhafte Erinnerungen hinzu. Hierzu ein Beispiel aus einer Atemsitzung:
Ich bin vierjährig, allein in einem Zimmer im Krankenhaus, isoliert. Ich habe Scharlach. Meine Mutter kommt. Nach kurzer Zeit sagt sie zu mir: »Ich muss noch mit dem Arzt sprechen, ich komme gleich wieder.« Sie verschwindet und ich glaube, dass sie bald wiederkommen wird. Aber sie kommt nicht wieder. Ich warte endlos, starre aus dem Fenster, halte angespannt nach ihr Ausschau. Irgendwann muss ich die Hoffnung aufgeben und ins Bett gehen. Ich falle in ein tiefes Loch, in dem es mich und meine Gefühle nicht mehr gibt.
Noch während ich diese biografische Erfahrung wiedererlebte, verstand ich mein Misstrauen und meine Unruhe, wenn mir jemand nicht genau Auskunft gibt. Ich verstand, dass ich in Augenblicken des Mich-verlassen-Fühlens in einen Zustand des »Nicht-Fühlens« verfalle. Erst Jahre später konnte ich dies als Dissoziation erkennen und benennen. In diesen Jahren waren Traumata mit ihren typischen Folgen und die dazu gehörende Nomenklatur noch nicht in der Tiefenpsychologie angekommen.
Trotz der zum Teil schwierigen Inhalte, die während dieser Sitzungen auftauchten, tat es mir gut, langsam wieder mit unterschiedlichen Gefühlen in Kontakt zu kommen. Vor allem war ich froh, dass ich durch das Wiedererleben der Empfindungen in bestimmten Situationen diese Erfahrungen durch eigene Einsicht und mit meinem eigenen Verstand einordnen konnte. Es redete mir niemand herein, es sagte mir niemand, ich sei krank oder verrückt, und niemand behauptete, mein Inneres besser zu verstehen als ich selbst.
Die Ausbildung bei Stan Grof endete im Herbst 1991. Aus dem Abschlussseminar zurückgekehrt, erkrankte ich 43-jährig noch einmal an Scharlach. Meine Nieren arbeiteten zwei Tage lang nicht, meine Finger wurden dick und schmerzhaft unbeweglich, und die Luftnot deutete auf eine Herzmuskelentzündung hin. Ich geriet in jenen Zustand der Verlassenheit, den ich in Atemsitzungen erlebt hatte. Die Familie war außer Haus. Ich legte mich im Wohnzimmer auf den Teppich und atmete langsam und stetig ein und aus: Rundatmen, eine sanftere Weise, in einen veränderten Bewusstseinszustand zu gelangen.
Ich sehe mich in einem Dom mit bunten Fenstern. Vor einem goldenen Hochaltar liege ich, weißgekleidet, in einem dunkelbraunen Sarg. Durch das Fenster fallen Lichtstrahlen auf den Sarg. Ich höre Chormusik: »Te decet hymnus Deus in Sion … requiem aeternam …« – Mozarts Requiem.
Ein unendliches Glücksgefühl überkommt mich. In mir breitet sich ein Friede aus, den ich schon seit langem ersehnt habe. Ich habe es geschafft: «Ich bin gestorben.« Eine Ewigkeit liege ich unbeweglich.
Die Lichtstrahlen wärmen mich. Ich sehe aus ihnen hinaus in die dunkle leere Kirche. Ich atme tief durch und befinde mich wieder im Wohnzimmer.
Alle Symptome des Scharlachs waren verschwunden. Ich fühlte mich frisch, gesund und ging den Rasen mähen. Ich war eindeutig in einen erweiterten Bewusstseinszustand geraten und hatte die heilende Kraft des Atmens erfahren dürfen. Ich warf die Antibiotika in den Mülleimer und ging am nächsten Tag wieder zur Arbeit. Noch immer durfte mich allerdings niemand anfassen, und ich berührte andere Menschen auch nur sehr vorsichtig.
Mit dem Atmen machte ich eine Reihe von Erfahrungen, deren Inhalte ich erst viel später als mystische Erfahrungen deuten konnte. Stan Grofs Unterweisungen verstand ich zunächst kaum. Er sprach eine mir noch nicht verständliche Sprache und verwendete Ausdrücke, die mir ausgesprochen suspekt waren: Innerer Heiler, transpersonale Erfahrung, kosmisches Bewusstsein. Er sprach von Räumen, die ich noch nicht betreten hatte und die jenseits meines Vorstellungsvermögens lagen. Trotzdem war da in mir eine Sicherheit, auf dem richtigen Weg zu sein, die ich aus meiner Kindheit kannte: Ich saß in der Kirche, verstand nichts, wusste mich aber genau am richtigen Ort.
Im Alltag stand ich nun mit einem Fuß in der ärztlichen Psychotherapie und mit dem anderen auf einem Terrain, das ich nicht wirklich kannte, welches mir aber den Weg in eine andere Dimension zu eröffnen schien. Hier hatte ich mich gespürt, mich erfahren in Not und in Glücksgefühlen. Mit erweitertem Bewusstsein schaute ich in mein Inneres. Ich erlebte für mich Unfassbares.
Stan Grof, der zu den Pionieren auf dem Gebiet der therapeutischen Arbeit mit psychoaktiven Substanzen gehört, hatte zurückblickend über seine Arbeit mit psychedelischen Substanzen gesprochen. Ich konnte nicht nachvollziehen, wovon er berichtete. Sicher erinnert er sich nicht, dass er mir im Abschlussgespräch der Ausbildung 1991 riet, mit Substanzen zu arbeiten: »You should go on with psychedelics.« Ich hatte keine Vorstellung davon, was das heißen könnte. Heute bin ich sicher, dass er damals meine immer noch deutliche Verschlossenheit spürte und mir aus diesem Grund weitere Selbsterforschung empfahl.
Nach meiner Prüfung in Psychotherapie und Psychiatrie vor der Ärztekammer bekam ich 1993 eine Stelle in einer psychosomatisch-psychiatrischen Privatklinik, deren Klientel hauptsächlich aus alkoholabhängigen Führungskräften bestand. In dieser »Suchtklinik« war ich intensiv psychotherapeutisch tätig. Mein Werkzeug war das Gespräch. Meine mehrheitlich akademisch gebildeten Patienten sprachen über sich, schilderten mir ihre Lebensgeschichte und ihre Probleme. Ich hinterfragte ihre Berichte, versuchte sie durch unterschiedliche Interventionen in Kontakt mit den Gefühlen zu bringen, die mit den Erinnerungen verknüpft waren, um ihnen die Möglichkeit zu geben, über das Wieder-Erleben einen Hinweis auf die Entstehung ihrer Sucht zu erhalten.
Mir fiel auf, dass bei fast allen meinen Klienten das Kriegsgeschehen eine Rolle spielte: Sie gehörten zu den Jahrgängen 1935–1947, viele Väter waren gefallen, die Großväter hatten zum Teil schon den ersten Weltkrieg miterlebt. Die Kinder- und Jugendjahre waren vom Krieg und der Nachkriegszeit geprägt, und vor allem: Über alles, was mit der Kriegszeit zusammenhing, war ein Mantel des Schweigens gebreitet. Das fiel mir zwar auf, doch ich war noch nicht in der Lage, diese Themen nutzbringend im therapeutischen Kontext zu bearbeiten.
Echter Kontakt mit Emotionen kam in der Gesprächstherapie nur sehr selten zustande. Wenn es dazu kam, waren diese Gefühle den meisten Patienten eher unangenehm. Sie wollten nicht weinen oder Angst fühlen. Wenn einmal ein paar Tränen flossen, wischten sie sich schnell die Augen und wechselten das Thema. Sie liebten es, wenn ich ihnen plausible Erklärungen für ihren Weg in den Alkohol liefern konnte, und kamen deshalb gern zu mir. Doch wie konnte die Forderung »Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten« erfüllt werden, wenn die Erinnerung nicht von dem ursprünglichen Gefühlszustand begleitet war. Sollte es wirklich ausreichen, immer wieder darüber zu reden?
Da gut 30 bis 40 Prozent der Patienten rückfällig wurden und erneut in die Klinik kamen, wurde ich zunehmend unzufrieden mit meiner Arbeit. Aus meinem eigenen Prozess wusste ich, wie wertvoll die Eins-zu-eins-Wiedererfahrungen im holotropen Bewusstseinszustand für mich waren und wie sie mir dazu verholfen hatten, erste Integrationsschritte zu tun. Durch Beobachten und Vergleichen gelangte ich zu ersten Einsichten darüber, dass nicht nur Vater und Mutter als Individuen, sondern auch deren Schicksale und das Zeitgeschehen für den Einzelnen von Bedeutung sind. Ich war mir sicher, dass Bombenbeschüsse, die die Mutter während der Schwangerschaft erlebt hatte, im System des Kindes wirksam wurden und in meinen heutigen Klienten wirksam blieben. Dafür hatte ich allerdings noch keine Beweise.
Ich entdeckte ein Buch mit dem Titel Maikäfer flieg. In diesem Buch wird die Geschichte einer Wiener Familie nach dem Krieg geschildert. Ein achtjähriges Mädchen beschreibt das Kriegsende, den Abzug der deutschen Truppen und den Einmarsch der sowjetischen Armee. Es gab also noch andere Menschen, die sich mit der Kriegsthematik auseinandersetzten. Das brachte mich dazu, mich mit systemischer Denkweise zu beschäftigen. Die Frage, die mich dabei umtrieb, war, ob es möglich sein könnte, dass die Kinder der Kriegsväter und -mütter Symptome aufwiesen, die von den Eltern stammten, und dass sie vielleicht deshalb in den Alkoholismus geraten waren. Ich beschloss, Ausbildungen in systemischer Therapie zu machen. Dabei wollte es der glückliche Zufall, dass ich an Gunthard Weber geriet, der bei Helm Stierlin selbst, dem Begründer der Heidelberger Schule für Familientherapie, gelernt hatte.
Allerdings war die Zeit in den frühen 90er-Jahren noch nicht reif für ein Bewusstsein der gesamtgesellschaftlichen Auswirkung der beiden Weltkriege auf die betroffenen Menschen – einer Art kollektiver Posttraumatischer Belastungsstörung. Der Begriff der PTBS gehörte damals noch nicht zum allgemeinen Gedankengut. Erst mit Sabine Bodes Buch Die vergessene Generation (2004) rückten diese Erkenntnisse in den öffentlichen Raum. Ab dem Jahr 2000 sollten epigenetische Themen auf unseren psycholytischen Sitzungen jedoch bereits von zentraler Bedeutung sein. Ohne danach zu suchen, stießen wir im erweiterten Bewusstsein auf das Phänomen der transgenerationalen Weitergabe von Traumata und auf das Vorhandensein epigenetischer Symptome. Wir hatten für diese Phänomene allerdings noch keinen Terminus technicus, also benutzen wir Beschreibungen wie: »Das habe ich von meiner Grossmutter« oder »Ich sehe durch die Augen meiner Mutter«. Ich fühlte mich mit meinen Beobachtungen und Vermutungen allein, und da ich diese Einsichten mit Hilfe von psychoaktiven Substanzen gewonnen hatte, wagte ich es nicht, darüber zu sprechen.
Aus den Atemsitzungen wusste ich zu Beginn der 90er-Jahre bereits um die Wirkung von pränatalen und perinatalen Ereignissen auf die Entwicklung des Individuums und versuchte dem Inhaber der Suchtklinik das Holotrope Atmen nahe zu bringen. Doch er beschimpfte mich nur: Mit derart »esoterischem Kram« solle ich ihm wegbleiben. Auch körperliche Berührung, wie zum Beispiel einen weinenden Klienten in den Arm zu nehmen, war in der herkömmlichen Psychotherapie ein Tabu. Ebenso wenig durfte der Therapeut in den Therapiesitzungen Persönliches von sich erzählen.
1992 machte ich erste Erfahrungen mit psychoaktiven Substanzen und begann danach eine Ausbildung für psycholytische Therapie bei Samuel Widmer, dem Mitbegründer der Schweizerischen Ärztegesellschaft für psycholytische Therapie (SAEPT). Nach einer holotropen Atemsitzung in den USA hatte mir ein Teilnehmer zwei kleine blaue Pillen geschenkt – jeweils 125 Milligramm MDMA. Nach meiner Rückkehr teilte ich eine der beiden Pillen mit meinem Freund Konrad. Die erste Erfahrung mit MDMA wurde für mich (ebenso wie für Konrad) zu einem Schlüsselerlebnis, das uns zu der festen Überzeugung brachte, eine Ausbildung bei Samuel Widmer anzustreben.
Eine Welle erfasst mich, hebt mich auf einen Wellenberg, lässt mich in ein Tal hinabgleiten und spült mich an einen weißen Strand. Ich sehe mich von außen und spüre mich gleichzeitig in meinem Körper. Eine nie dagewesene Gewissheit erfüllt mich: Ich bin bei mir angekommen.
Ich sehe mich um. Mein Vater liegt blutüberströmt in einer weiß gekachelten Toilette in der Ecke. Ich erschrecke nicht. Da ist völlige Gewissheit: So ist es gewesen! (Er ist umgebracht worden und nicht so gestorben, wie man es mir erzählt hat.)
Ich weiß ohne jeden Zweifel: Das ist mein Weg zu mir. Mein Weg nach Innen, zu meinen Erinnerungen – mit diesem Mittel. Die Bilder verschwinden. Sichere Ruhe durchströmt mich. Ich bin mein Atem, ich bin mein Körper. Gewissheit mit einem gefühlten »Ja!«.
Konrad erlebte in dieser ersten Sitzung eine Herzöffnung – einen Zustand, nach dem er sich immer gesehnt hatte. Er erfuhr seine persönliche damalige »Ist-Situation«. Er hatte sich von seiner Familie getrennt. Nun sah er seine Frau von hinten, wie sie von ihm fortging. Er erkannte, wie jedes seiner vier Kinder sich neu positionierte. Auch ihm kamen einige Sätze wie aus seinem Inneren heraus, die absoluten Gewissheits- und Richtigkeitscharakter hatten.
Was für eine Welt begann sich uns zu erschließen! Ich wusste gar nicht, dass ich Erinnerungen an meinen Vater hatte. Ich hatte kein inneres Bild in mir … wie er aussah, wo wir zusammen gewesen waren – nichts. Doch nun hatte ich es erlebt: Es gab ein Wissen in mir, das ich mit dieser Substanz anzapfen konnte. Für mich stand fest: So würde ich mich erforschen können.
Die Tiefen, die ich in den Atemsitzungen erreicht hatte, erschienen mir dagegen wie seichte Gewässer. Und was für ein Gegensatz zu einem therapeutischen Gespräch! Ich konnte mir immer weniger vorstellen, wie Gespräche dem schwierigen Klientel in der Suchtklinik helfen sollten. Zu dieser Zeit schien mir die psycholytische Therapie die einzige Methode zu sein, mit der man wirklich in die Tiefe der Psyche vordringen konnte. Doch vorerst ging die konventionelle Arbeit in der Klinik weiter.
Eines Tages rief mich ein ambulant behandelter Patient im Nachtdienst an. Er sprach von Selbstmordabsichten. Am nächsten Tag kam er nicht zu der vereinbarten Therapiestunde. Ich wandte mich besorgt an den Klinikleiter. Der bot mir gleich die Kündigung an und fragte, ob ich jetzt hinter jedem Patienten herlaufen wolle, der nicht zur vereinbarten Sitzung käme. Ein derartiges Engagement sei nicht therapeutisch. Ein anderes Mal schenkte ein Patient bei seiner Entlassung aus der Klinik dem Team einige Flaschen Sekt. Wieder wurde ich angeschrien: Ob ich nicht wisse, dass dies ein trockener Rückfall sei; ich hätte diesen Mann keinesfalls entlassen dürfen. Ich hätte ihn vielmehr für sein Geschenk »bestrafen« müssen. Wenn das eine therapeutische Beziehung sein sollte, dann wusste ich nicht, ob ich mich wirklich Therapeutin nennen wollte. Ich kündigte, ohne eine Anschlussstelle zu haben.
Nach diesem jähen Ende meiner Arbeit in der Suchtklinik zog ich 1994 zu meinem heutigen Mann in die Schweiz. Zusammen mit einer Freundin aus der Ausbildungsgruppe in Holotropem Atmen begann ich, viermal im Jahr Workshops in Zürich anzubieten. Jeder unserer Teilnehmer erhielt viel persönliche Zuwendung und emotionales Wohlwollen. Behutsamer Körperkontakt bei einem »Trauma durch Unterlassung « (engl. trauma through omission, das ist eine Traumatisierung durch einen Mangel an der für die Entwicklung eines Individuums notwendigen Zuwendung, etwa Verlassenwerden und Vernachlässigtwerden) war ein Hilfsmittel auf dem Weg aus dem Trauma. Ebenso behutsam gingen wir bei einem »Trauma durch Zufügung« (engl. trauma through commission, das Zufügen von Gewalt und Schmerzen) vor.
In der psycholytischen Ausbildungsgruppe musste sich jeder Teilnehmer persönlich einbringen, »aus dem Augenblick« über sich sprechen und präsent sein. Vor und während der Sitzungen wurden Körperübungen durchgeführt, die den Prozess förderten und vertieften. Es war atemberaubend mitzuerleben, was die Substanzen auch bei den anderen Teilnehmern an die Oberfläche brachten. Ich glaubte, den Stein der Weisen gefunden zu haben, und hätte meinen schwierigen Klienten gern ebenfalls auf diese Weise weitergeholfen. Es war mir jedoch klar, dass das nicht ging.
Die Gegensätze wurden für mich immer offensichtlicher und immer schwieriger zu überbrücken. Wozu sollte eine Therapie ohne Tiefgang, ohne innere oder äußere Berührung gut sein? Gab es neben der nicht anerkannten psycholytischen Therapie nicht noch anderes therapeutisches Handwerkzeug, das ich für meine Klienten und für mich nutzen konnte? Auf irgendeine Art und Weise wollte ich an die unbewussten psychischen Inhalte der Menschen, die sich mir anvertrauten, herankommen. Meine feste Überzeugung, dass es eine erlernbare Methode geben müsse, mit der das möglich wäre, trieb mich voran.
Da ich keine Anstellung fand, nutze ich die Zeit für die Suche. Ich besuchte Kurse an einem Institut für Körperzentrierte Psychotherapie. Doch einmal abgesehen davon, dass die Institutsleitung meine gesamte bisherige ärztliche und psychotherapeutische Ausbildung nicht anerkennen und mir für ihr »Diplom« noch einmal 600 Stunden Selbsterfahrung abverlangen wollte, wurde mir bald klar, dass die dort angewandten Körperübungen und die Malversuche nicht geeignet waren, tief Verborgenes zutage zu fördern. Es ging immer nur bis zu einem bestimmten Grad der Tiefe voran, der mir aber zu seicht erschien. So folgten Jahre des Erprobens verschiedener therapeutischer Ansätze. Immer wieder dachte ich, »Mit dieser Methode geht es«, – um dann festzustellen zu müssen, dass sie mich nicht genau dahin führte, wo ich hinwollte. Ich suchte den Ort, den ich bei mir als inneren Referenzpunkt und Beobachter erkannt hatte und von dem aus man sich selbst und die Welt betrachten konnte.
Carl Simontons »heilsamer Umgang mit Krebskranken« brachte mich der Imagination und der Fähigkeit näher, mit Schmerzen, Angst und Depression eigenverantwortlich umzugehen. Bei ihm konnte der Betroffene am Krankheitsgeschehen und der Entwicklung eigener Zukunftsperspektiven mitwirken. Die Einheit von Körper und Geist, von der Simonton ausging, gepaart mit der Förderung von Hoffnung, eröffneten eine spirituelle Perspektive. Jeanne Achterberg war Ko-Leiterin in Simontons Workshops. Sie war eine Meisterin in der Kunst des heilsamen Visualisierens. Das Besondere bei ihr war zudem, dass sie den Betroffenen als den für sich selbst Verantwortlichen einfach nur präsent und einfühlsam begleitete. Bei ihr lernte ich schamanische Rituale der Heilung sowie die Rolle und Kraft der »heilenden Frau« kennen. Mitte der 90er Jahre besuchte ich in Palo Alto eine Reihe von Workshops bei ihr und ihrem Mann. Vieles von dem, was ich bei ihr gehört hatte, habe ich in späteren Jahren auf psychedelischen Sitzungen »wiederentdeckt« und auch praktiziert. Als ich es bei ihr kennenlernte, hatte ich den Zugang zu meinem Inneren noch nicht so gefunden, dass ich ihr folgen und ihre Methode zu meiner eigenen machen konnte. Nebenbei suchte ich in Palo Alto auch den Herrn auf, der mir einst die zwei kleinen blauen Pillen geschenkt hatte, und konnte über ihn den Kontakt zu einem MDMA-Lieferanten herstellen, sodass ich später in der Schweiz keinen »Händler« suchen musste.
Die während meiner Weiterbildungen gewonnenen Erkenntnisse konnte ich allerdings weder in der Suchtklinik, in der ich immer wieder Vertretungen machte, noch in der seit 1997 bestehenden eigenen Praxis anwenden. Meine Klienten und ich selbst waren noch nicht reif dafür. Man hätte mich ausgelacht, wenn ich mit meinen Klienten gebetet oder mit Symbolen gearbeitet hätte. In der Psychotherapieausbildung hatte ich auch Autogenes Training und klassische Hypnose erlernt. Mit dem posthypnotischen Auftrag konnte ich Erstaunliches erreichen, und ich wandte diese Methode gern bei Prüfungsängsten an. Darüber hinaus traute ich mich jedoch nicht, die Hypnose anzuwenden. Sie schien mir zu stark in die Psyche des Klienten einzugreifen, auch wenn der posthypnotische Auftrag mit dem Patienten zuvor genau besprochen wurde.
So erweiterte ich die klassische Hypnose um eine dreijährige Ausbildung in Hypnose nach Milton Erickson. Diese Methode half immer ein wenig, und zwar genau so viel, wie der Klient zuließ. Eigentlich, so stellte ich fest, befanden sich die Menschen ständig in irgendeinem Trancezustand, sodass es mir mit der Zeit vorkam, als würde ich nur die Trancebühne verändern. Ich erforschte die ganz normale Alltagstrance oder die jeweils nötige Problemtrance gemeinsam mit dem Klienten und versuchte, von da aus in der Realität (wie immer man diese definierte) anzukommen.
Über die Beschäftigung mit der Hypnose gelangte ich zum Neuro-Linguistischen Programmieren (NLP). Ohne hier in Einzelheiten zu gehen, will ich nur sagen, dass mir diese Methode zu manipulativ erschien. Außerdem hatte ich den Eindruck, dass die erreichten Ziele nicht wirklich nachhaltig waren – jedenfalls erlebte ich das bei mir und meinem Mann so. Ich absolvierte trotzdem noch einen Extrakurs für »Health Professionals«, um auch ja nichts zu verpassen. Die theoretischen Hintergründe des NLP enthielten allerdings vieles, was wie für mich formuliert zu sein schien. Es waren Erkenntnisse, die – zu Ende gedacht – an östliche Weisheiten heranreichten: »Die Landkarte ist nicht das Gebiet«, »Alle Menschen tragen die Ressourcen, die sie brauchen, in sich«.