Thomas Wolfe - Thomas Wolfe - E-Book

Thomas Wolfe E-Book

Thomas Wolfe

0,0

Beschreibung

NEU: Mit alphabetischem Index Der Chronist einer Zeit, als Amerika noch voll unschuldiger Hoffnung war, vor der aber schon der Albtraum einer ernüchterten Nation lauerte. Thomas Wolfe – Gesammelte Werke Schau heimwärts, Engel! Das Geweb aus Erde Von Zeit und Strom Die Geschichte eines Romans Keine Tür Tod, der stolze Bruder Am Rande des Krieges Nur die Toten kennen Brooklyn Dunkel im Walde, fremd wie die Zeit Die vier verlornen Männer Gulliver Landstreicher um Sonnenuntergang Ein »Mädchen« aus unsrer Reisegesellschaft Ferne und Nähe Im Park Die Leute von Alt-Catawba Zirkus im Tagesgrauen Das Geweb aus Erde Null Papier Verlag

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 3605

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Thomas Wolfe

Thomas Wolfe

Gesammelte Werke

Thomas Wolfe

Thomas Wolfe

Gesammelte Werke

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]: Jürgen Schulze 2. Auflage, ISBN 978-3-954187-70-6

null-papier.de/newsletter

Inhaltsverzeichnis

Das Ge­web aus Erde

Die Ge­schich­te ei­nes Ro­mans

Vom Tod zum Mor­gen –– Er­zäh­lun­gen

Kei­ne Tür

Tod, der stol­ze Bru­der

Am Ran­de des Krie­ges

Nur die To­ten ken­nen Broo­klyn

Dun­kel im Wal­de, fremd wie die Zeit

Die vier ver­lor­nen Män­ner

Gul­li­ver

Land­strei­cher um Son­nen­un­ter­gang

Ein «Mäd­chen» aus uns­rer Rei­se­ge­sell­schaft

Fer­ne und Nähe

Im Park

Die Leu­te von Alt-Ca­ta­w­ba

Zir­kus im Ta­ges­grau­en

Das Ge­web aus Erde

Schau heim­wärts, En­gel!

An den Le­ser

Ers­tes Buch

Zwei­tes Buch

Drit­tes Buch

Von Zeit und Strom

Ers­tes Buch –– Orest: Flucht vor der Wut

Zwei­tes Buch –– Der jun­ge Faust

Drit­tes Buch –– Te­le­mach

Vier­tes Buch –– Pro­teus: Die Welt­stadt

Fünf­tes Buch –– Ja­sons Fahrt

Sechs­tes Buch –– An­tä­us: Die Erde wie­der­um

Sieb­tes Buch –– Kro­nos und Rhea: Der Traum von der Zeit

Ach­tes Buch –– Faust und He­le­na

In­dex

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr Jür­gen Schul­ze

Ge­sam­mel­te Wer­ke bei Null Pa­pier

Ed­gar Al­lan Poe - Ge­sam­mel­te Wer­ke

Franz Kaf­ka - Ge­sam­mel­te Wer­ke

Ste­fan Zweig - Ge­sam­mel­te Wer­ke

E. T. A. Hoff­mann - Ge­sam­mel­te Wer­ke

Ge­org Büch­ner - Ge­sam­mel­te Wer­ke

Jo­seph Roth - Ge­sam­mel­te Wer­ke

Mark Twain - Ge­sam­mel­te Wer­ke

Kurt Tuchols­ky - Ge­sam­mel­te Wer­ke

Ru­dyard Kip­ling - Ge­sam­mel­te Wer­ke

Ril­ke - Ge­sam­mel­te Wer­ke

und wei­te­re …

Newslet­ter abon­nie­ren

Der Newslet­ter in­for­miert Sie über:

die Neu­er­schei­nun­gen aus dem Pro­gramm

Neu­ig­kei­ten über un­se­re Au­to­ren

Vi­deos, Lese- und Hör­pro­ben

at­trak­ti­ve Ge­winn­spie­le, Ak­tio­nen und vie­les mehr

htt­ps://null-pa­pier.de/newslet­ter

Das Geweb aus Erde

«The Web of Earth»

Deutsch: Hans Schie­bel­huth, po­stum aus Ma­nu­skrip­ten

Im Jahr, als die Heuschre­cken ka­men, et­was, das in dem Jahr ge­sch­ah, als die Heuschre­cken ka­men, zwei Stim­men, die ich ver­nahm in je­nem Jahr ... Kind! Kind! Es scheint so viel Zeit ver­gan­gen seit dem Jahr, als die Heuschre­cken ka­men und alle Bäu­me kahl fra­ßen; seit­dem ist so viel ge­sche­hen, und es scheint mir so lan­ge her zu sein ...

«Was sagst du da?» frag­te ich.

Sagt: «Zwei ... Zwei», sagt: «Zwan­zig ... Zwan­zig.»

«Hah? Was sagst du da?»

«Zwei ... Zwei», sag­te die ers­te Stim­me; und «Zwan­zig ... Zwan­zig», sag­te die zwei­te.

«Oh, zwei!» rief ich aus, rief ich dei­nem Va­ter zu, «und zwan­zig ... zwan­zig –– hörst du es nicht?»

«Zwei ... Zwei», sag­te es da wie­der, es war die ers­te Stim­me, vom Fens­ter her, und «Zwan­zig .., Zwan­zig», sag­te die zwei­te Stim­me in mein Ohr.

«Kannst du’s denn nicht hö­ren?» frag­te ich dei­nen Va­ter.

«Aber gu­ter Gott! Frau!» sag­te dein Va­ter zu mir. «Wo­von sprichst du denn? Es ist ja nie­mand da! «

«Ei, ich hör sie doch!» sag­te ich, und da hör­te ich sie noch­mals. «Zwei ... Zwei» die eine und «Zwan­zig ... Zwan­zig» die and­re Stim­me. «Ei, ich hör sie doch!» sag­te ich zu dei­nem Va­ter.

«I wo, Frau!» sag­te dein Va­ter. «Du bil­dest dir das nur ein! Du bist wohl ein biß­chen ein­ge­schla­fen und hast es ge­träumt.»

«Aber nein, gar nicht!» sag­te ich. «Ich hör sie doch, die Stim­men. Sie sind doch da!» Denn ich wuß­te es ja, ich wuß­te es, weil ich sie klar und deut­lich hör­te.

«Das kommt von dei­ner Schwan­ger­schaft», sag­te dein Va­ter zu mir. «Du bist müd und über­spannt, und so hast du es dir eben ein­ge­bil­det.»

Und dann be­gan­nen alle Glo­cken zu läu­ten, und dein Va­ter stand auf, um weg­zu­gehn.

«Oh, geh nicht!» bat ich ihn. «Ich wünsch­te, du gingst nicht», sag­te ich. Ich hat­te näm­lich, du weißt ja, Kind, so eine Vorah­nung, und so war’s mir un­lieb, daß er weg­ge­hen woll­te.

Und dann hör­te ich die Stim­men noch­mals: «Zwei ... Zwei», die eine, und: «Zwan­zig ... Zwan­zig», die and­re ... und ich weiß schon, ich weiß ... –– ja frei­lich, gu­ter Gott, denkt es mir nicht, Kind?! –– ... die Stun­de, die Zeit, der be­stimm­te Tag im Jahr, an dem das ge­sch­ah, mir denkt es ge­nau ... denn das war in je­nem Jahr, als da­heim die Heuschre­cken ka­men und alle Bäu­me kahl fra­ßen.

Aber, sag mal! –– Ben! –– Ste­ve! –– Lu­kas! I wo! Dich mein ich, Jun­ge, Eu­gen! Ich glaub wahr­haf­tig, der Lu­kas denkt grad in die­sem Au­gen­blick an mich, des­we­gen red ich dich bei sei­nem Na­men an. Also, nun –– hah? Wo­von sprach ich ei­gent­lich?

«Du hat­test grad an­ge­fan­gen, mir von zwei Stim­men zu er­zäh­len, die du mal ge­hört hast.»

O ja! Das war’s! Also, nun, als ich die­se Stim­me hör­te ... –– Aber sag mal, was war denn das da? Was?

«Schif­fe drau­ßen im Ha­fen, Mama.»

Was sagst du? Ha­fen? Schif­fe? O ja, frei­lich, das stimmt schon. Der Ha­fen ist in die­ser Rich­tung, nicht wahr?

«Nein, Mama, grad in der ent­ge­gen­ge­setz­ten. Du hast die Rich­tung ver­wech­selt. Der Ha­fen liegt dort hin­aus.»

Was? Dort?? Ei nein, Kind, aber si­cher nicht! ... Stimmt das wirk­lich? ... Na, be­schwö­ren will ich’s, dann hab ich wirk­lich die Rich­tung ver­lo­ren! Da ist wohl der Tun­nel dran schuld, durch den man nach New York rein­kommt. Drau­ßen auf dem Land pas­siert mir so was nicht; wenn ich da ir­gend­ein Merk­zei­chen in der Ge­gend ken­ne, dann ver­lier ich nie die Rich­tung ... Ei ja, Jun­ge, be­schwö­ren will ich’s! ... Aber da tu­tet’s ja schon wie­der! Klingt aber ge­nau, wie wenn ’ne alte Kuh muht. Und hier also sind wir ganz am Rand des Ha­fens? Wie bist du nur drauf ge­kom­men, so wo hin­zu­zie­hen? Gu­ter Gott! Nun hör dir nur das Ge­tu­te an! Ich glau­be, das ist ein ganz großer Damp­fer grad vor der Ab­fahrt ... Gu­ter Gott! Ihr seid euch doch alle gleich. Dein Va­ter war auch so. Im­mer woll­te er fort­gehn und rei­sen. Hätt ich ihn gehn las­sen, dann wär wei­ter nichts aus ihm ge­wor­den wie ein Wand­rer, und er wär übers An­ge­sicht der Erde ge­wan­dert ... Kind! Kind! Du sollst mir nicht dein Leb­tag ein Wand­rer blei­ben! Ich mach mir sol­che Sor­gen, wenn ich dran denk, daß du ir­gend­wo in der Fer­ne un­ter frem­den Men­schen weilst ... Du soll­test dein Le­ben nicht al­lein un­ter lau­ter Frem­den le­ben ... Du müß­test dort­hin zu­rück­keh­ren, wo dei­ne Leu­te her­stam­men ... Kind! Kind! Es macht mir wirk­lich Sor­ge ... Kehr wie­der zu­rück!

Also, ich war grad da­bei, dir zu er­zäh­len, wie in je­ner Nacht die ers­te Stim­me –– ei! da geht die Damp­fer­si­re­ne ja schon wie­der! Wirk­lich, Jun­ge, ich will dir was sa­gen, das macht mir wahr­haf­tig Lust, mei­ne Sie­ben­sa­chen zu­sam­men­zu­pa­cken und mit­zu­fah­ren. Ja, weißt du, so alt bin ich ja gar nicht, ich könn­te wirk­lich mal auf Rei­sen gehn, am liebs­ten so­fort, ein­fach hier von New York ab­fah­ren und mir mal al­les an­se­hen, ich mei­ne die­se Län­der da drü­ben, Eng­land, wo wir her­stam­men, Frank­reich, Deutsch­land, Ita­li­en –– und tat­säch­lich, ich hab mir im­mer so ge­wünscht, die Schweiz mal zu se­hen, das muß doch si­cher ein schö­ner Fle­cken Erde sein; wie die Leu­te so sa­gen: das Wun­der­land der Na­tur ...

Ei, jetzt hör ich’s aber deut­lich, jetzt weiß ich, wo das Tu­ten her­kommt, ei ja, in die­ser Rich­tung ist der Ha­fen ... Und wo ist dann die Brücke, über die wir an je­nem Abend ge­kom­men sind?

«Dort, Mama. Gleich hier am Ende die­ser Stra­ße. Dort! Komm doch mal ans Fens­ter und guck hin­aus! Erin­nerst du dich nicht dran, wie wir hier­her­ge­kom­men sind?»

Mich er­in­nern? Aber, Jun­ge, wie kommst du nur drauf, mich zu fra­gen, ob ich mich er­in­ne­re? Gu­ter Gott! Ich schät­ze, daß ich mich an Din­ge er­in­ne­re, über die du nie ge­le­sen hast. Da­ran, wie das Le­ben sich zu­ge­tra­gen hat, an die Din­ge, über die die Bü­cher­schrei­ber nie schrei­ben.

Ich nehm an, sie ha­ben al­les mög­li­che in ih­ren Bü­chern auf­ge­schrie­ben, alle die Krie­ge und die Schlach­ten, Kind, und ich glau­be schon, daß in die­ser Be­zie­hung ihre Bü­cher ganz or­dent­lich sind –– aber lie­ber Herr­gott! ––, wie kön­nen die­se Leut­chen denn wis­sen, wie es wirk­lich war, wenn sie da­mals noch gar nicht ge­bo­ren wa­ren, nicht da­bei ge­we­sen sind und es mit eig­nen Au­gen ge­se­hen ha­ben. Da­her kommt es auch, daß es einen beim Le­sen im­mer deucht, das wäre al­les vor lan­ger Zeit ge­sche­hen und in ir­gend­ei­nem frem­den Land. Was kön­nen die Leu­te denn wis­sen da­von, wie es war, da­von, wie der Wind weh­te, wie die Son­ne schi­en, und wie es im Gar­ten nach Rauch roch, und da­von, daß Mut­ter sang, und da­von, wie die Fe­dern ab­ge­brüht wur­den, und da­von, wie der Fluß da­mals im Früh­ling nach dem Re­gen an­schwoll? Und da­von, wie die Män­ner aus­sa­hen, als sie auf der Stra­ße am Fluß mar­schiert ka­men an je­nem Tag, als sie aus dem Krieg heim­kehr­ten, und von den Din­gen, von de­nen wir da­mals re­de­ten, und vom Klang der Stim­men der Leu­te, die nun tot sind, und da­von, wie der Son­nen­schein kam und ging, und wie trau­rig mich das mach­te, und da­von, wie die Frau­en wein­ten, als wir da in Bob Pat­tons Gar­ten stan­den und die Män­ner vor­über­mar­schier­ten und der Staub auf­wir­bel­te, und da­von, daß wir dann wuß­ten, der Krieg wäre wirk­lich gar. Gu­ter Gott, ob ich mich er­in­ne­re!? Das sind so Sa­chen, an die ich mich er­in­ne­re, Kind, und ganz so, wie mir’s denkt, ist es ge­we­sen.

Mir denkt mein Le­ben noch zu­rück zu der Zeit, als ich zwei Jah­re alt war, und laß mich dir sa­gen, mein Jun­ge, von da an gib­t’s furcht­bar we­nig, an das ich mich nicht er­in­ne­re.

Ei ja! Wirk­lich! Denkt mir’s etwa nicht, wie mich Bob Pat­ton und dein On­kel Ge­org ei­nes Ta­ges bei der Hand nah­men und run­ter in die Höh­le führ­ten, und dort hat­ten sie, wie es Bu­ben so ma­chen, aus dem al­ten schwar­zen Schlamm, den es dort gibt, zwei Spott­bil­der von Wil­ly und Lu­cin­de Pat­ton ge­macht –– die­sen Schlamm näm­lich konn­te man kne­ten wie Kitt ––, und wie ich da vor Ent­set­zen kreisch­te, denn ich er­kann­te Wil­ly und Lu­cin­de, ich hat­te sie ge­sehn und er­in­ner­te mich so­fort an sie; sie wa­ren zwei Skla­ven, ge­hör­ten dem Cap­tain Pat­ton, o mein Gott! –– die schwär­zes­ten Afri­ka­ne­ger, die man sich nur vor­stel­len kann ––, mein Va­ter sag­te im­mer, wenn man die mit Holz­koh­le an­streift, da bleibt ein hel­ler Strich –– ihre El­tern wa­ren von den Skla­ven­händ­lern di­rekt aus dem Dschun­gel ge­holt wor­den ––, und die bei­den hat­ten die­se leuch­ten­den wei­ßen Zäh­ne, ein­fach blen­dend weiß, wenn sie grins­ten –– aber oh! die­sen Ge­ruch, die­sen ab­scheu­li­chen, al­ten, schwar­zen Nig­ger­ge­ruch, der sich nicht weg­wa­schen läßt ––, mei­ne Mut­ter konn­te die­sen Ge­ruch ein­fach nicht aus­stehn, ihr wur­de auf den Tod übel, wenn Ne­ger bloß durch die Stu­be ge­gan­gen wa­ren und die­ser Ge­ruch in der Luft hing –– aber, also da hat­ten die­se zwei Teu­fels­bu­ben die­se Spott­bil­der ge­macht, zu den Zäh­nen hat­ten sie klei­ne wei­ße Bach­kie­sel ge­nom­men ––, und stell dir vor! –– so was ei­nem zwei­jäh­ri­gen Kind zu zei­gen und sa­gen, das wä­ren Wil­ly und Lu­cin­de Pat­ton, die ich da sähe –– «Gib acht!» sag­te Bob zu mir, «die fres­sen dich auf!» sag­te er –– und wie ich da kreisch­te! –– ei, das denkt mir doch noch ge­nau so gut wie der gest­ri­ge Tag!

Und denkt mir’s nicht, wie ich mei­nen Bru­der Will mit hin­auf auf den In­dia­ner­hü­bel nahm? Na­tür­lich, die Rede ging, dort wä­ren In­dia­ner be­gra­ben, ganz be­stimmt wäre dem so, mein­ten die Leu­te –– aber da war die­se klei­ne Bach­rin­ne ganz voll mit die­sem al­ten, schwar­zen, öli­gen Zeug, das aus dem Hü­bel her­aus­si­cker­te ––, mein Va­ter frei­lich war schon im­mer der Mei­nung, daß es sich da um ein Öl­vor­kom­men han­del­te, das sag­te er al­len Leu­ten, weißt du, und pro­phe­zei­te, ei­nes Tags wür­de je­mand ein Ver­mö­gen ma­chen, wenn er dort nach Pe­tro­le­um boh­re –– und Will war da­mals erst zwei­ein­halb Jah­re alt, und Ge­org hat­te ihm er­zählt, die­ses schwar­ze Öl­ge­rinn­sel wür­de aus den In­dia­ner­lei­chen her­aus­ge­preßt ––, und wie Will dann schrie und heul­te, als er es ihm sag­te. –– «Wirk­lich», sag­te mei­ne Mut­ter zu Ge­org, «ich könn­te dir den Hals rum­dre­hen! Hast du nicht mal Ver­stand ge­nug, um ein Kind nicht mit so ei­ner Ge­schich­te zu schre­cken?»

Und ja! Noch was! Was sagst du denn dazu? Denkt mir etwa nicht der Win­ter, in dem ein­mal ein klei­nes Ru­del Wild den Ab­hang her­un­ter­kam über den Pfad und ste­hen­blieb und mich an­äug­te, die ich schrie, weil ich die Ge­wei­he sah? Herr­gott, ich wuß­te wahr­haf­tig nicht, wie ich mir das deu­ten soll­te, ich kann­te sol­che Tie­re nicht mal vom Hö­ren­sa­gen, und dann spran­gen sie fort, in den Wald zu­rück, und als ich’s mei­ner Mut­ter er­zähl­te, da sprach sie: «Ja, da hast du Hir­sche ge­sehn, das wa­ren Hir­sche, die du ge­sehn hast, ganz be­stimmt. Die Jä­ger ver­trei­ben sie dro­ben aus dem Ge­birg, und so kom­men die Ru­del hier her­un­ter.» Und ja, ei ge­wiß, im nächs­ten Früh­jahr dann war ich vier Jah­re alt und kam mir be­reits wie ein großes Mäd­chen vor, und da war es schon so weit, daß ich al­les be­hielt und mich dran er­in­ner­te. Die Yan­kee­trup­pen fin­gen an, durch un­se­re Ge­gend durch­zu­kom­men, und –– hab ich sie etwa nicht ge­hört, etwa nicht mit mei­nen ei­ge­nen Au­gen ge­se­hen, die Schur­ken –– die zwei Ker­le mein ich, die auf ge­stohl­nen Pfer­den wie ver­rückt vor­über­rit­ten, ganz so, als wäre die Höl­le hin­ter ih­nen los­ge­las­sen. Ei, das steht mir so klar im Ge­dächt­nis wie da­mals, als ich’s sah! Ich weiß noch, wie sie aus­sa­hen, zwei ab­ge­riß­ne Sol­da­ten, vorn­über­ge­beugt im Sat­tel, und sie schlu­gen auf die Pfer­de ein, daß die Tie­re das Letz­te her­ga­ben. Sie hat­ten sich rote Far­mer­kopf­tü­cher um den Hals ge­kno­tet, und die Zip­fel peitsch­ten nach rück­wärts, so steif und ge­ra­de, als wä­ren sie frisch ge­stärkt und ge­bü­gelt ... na, das wird dir einen Be­griff ge­ben, wie schnell die bei­den rit­ten. Und konn­te ich da nicht hö­ren, wie über­all die Stra­ße ent­lang die Leu­te schri­en und heul­ten, daß die Yan­kees kämen, und wie die Frau­en an­stell­ten und auf die Manns­leu­te ein­re­de­ten, sie soll­ten fort­gehn und sich ver­ste­cken? «O Gott im Him­mel», sag­te mei­ne Mut­ter, «da kom­men sie!», und die Ad­die Pat­ton kam den Hü­gel her­auf­ge­rannt zu un­serm Haus, das arme Ding, ganz von Sin­nen vor Schreck, wie du dir vor­stel­len kannst, und sie wein­te und ze­ter­te: «Oh, sie sind da, sie sind da!» heul­te sie, «und mein Groß­va­ter ist ganz al­lein drun­ten im Haus, und sie wer­den ihn um­brin­gen, sie wer­den ihn um­brin­gen!»

Frei­lich, da wuß­ten wir noch nicht, daß die­se zwei ab­ge­riß­nen Yan­kees al­lein wa­ren, wir hiel­ten sie für die Vor­hut ei­ner Bri­ga­de des Ge­ne­rals Sher­man, aber, wirk­lich, die an­dern sind erst eine Wo­che spä­ter ge­kom­men, und die­se bei­den Diebs­teu­fel wa­ren aus­ge­ris­sen, und ich neh­me an, sie woll­ten mal nach­se­hen, wie­viel sie al­lein steh­len könn­ten. Ei ja, und dann! Fin­gen da nicht alle Män­ner an, auf die bei­den Aus­rei­ßer zu schie­ßen, so­bald es klar war, daß kei­ne Trup­pen hin­ter­her­ka­men? Und die bei­den sa­ßen ab und ver­zo­gen sich, so schnell sie nur konn­ten, ins Ge­birg, und die Pfer­de lie­ßen sie ein­fach lau­fen! Und spä­ter, dann, als der Krieg rum war, ka­men da nicht Leu­te von drü­ben aus dem Bed­fort Coun­ty und re­kla­mier­ten die Pfer­de als ihr Ei­gen­tum? Weißt du, sie konn­ten tat­säch­lich nach­wei­sen, daß es ihre Pfer­de wa­ren, und er­zähl­ten, daß die­se bei­den Bur­schen sie ih­nen ab­ge­nom­men hät­ten. Und, du mein Gott, er­zähl­ten sie nicht auch eine Ge­schich­te von Aman­da Ste­vens? Näm­lich, wie Aman­da ei­gen­hän­dig Feu­er an die Brücke leg­te am an­dern Ufer des Se­vier, so daß die Yan­kee­trup­pen, die von Ten­nes­see her­ka­men und über den Fluß woll­ten, eine gan­ze Wo­che auf­ge­hal­ten wur­den und dann erst her­über­konn­ten? Ei ja, und da soll Aman­da da­ge­stan­den ha­ben, und sie hät­te sie aus­ge­lacht, und weißt du ... es wur­de auch er­zählt, was sie den Yan­kees übers Was­ser zu­ge­ru­fen hät­te. Mein Gott, ich sag­te da­mals zwar, das hät­te sie be­stimmt nicht ge­ru­fen, aber Aman­da pfleg­te in der Tat recht grob­schläch­tig da­her­zu­re­den, und ... je­den­falls, spä­ter be­haup­te­ten alle Leu­te, das wär’s, was sie ge­ru­fen hät­te. «Hal­lo! Heda!» hät­te sie rü­ber­ge­ru­fen. «Könnt ihr nicht mal über so’n klei­nes Flüß­chen weg­set­zen? Na, da taugt ihr aber so ziem­lich zu nichts! Hier­zu­land», hät­te sie ge­ru­fen, «hal­ten wir ’nen Mann für ’nen Schlapp­schwanz, wenn er nicht drü­ber weg­pis­sen kann!» Und frei­lich, da hät­ten die Yan­kees la­chen müs­sen, wur­de er­zählt, und das ist also die­se Ge­schich­te von der Aman­da Ste­vens.

Und ja! Wur­de da­mals nicht auch er­zählt, wie die Yan­kees beim Ein­marsch ins Städt­chen den al­ten Macke­ry ge­fan­gen­nah­men? Ich ver­mu­te, sie woll­ten ihm ei­gent­lich gar nichts tun, son­dern bloß ih­ren Jux mit ihm trei­ben, dem großen, fet­ten Kerl; er hat­te die­se schwärz­lich-gelb­li­che Haut und die­ses krül­le Kraus­haar, und da wur­de frei­lich be­haup­tet, er hät­te Ne­ger­blut in den Adern, und –– also stell dir vor! –– er gab es tat­säch­lich glatt zu vor all den Yan­kees, ver­mut­lich in der Hoff­nung, daß sie ihn dann frei­las­sen wür­den. «Schon recht», sag­ten die Yan­kees, «wenn Sie be­wei­sen kön­nen, daß Sie ein Nig­ger sind, dann las­sen wir Sie los!» Na, sag­te er, das kön­ne er be­wei­sen. «So. Und wie denn?» frag­ten sie ihn. «Kön­nen wir auch selbst raus­fin­den», sag­te da ein Haupt­mann von den Yan­kees. Und da sag­te er zu ei­nem sei­ner Leu­te: «Jim, laß ihn ein paar­mal die Stra­ße auf und ab lau­fen!», und das wur­de denn auch aus­ge­führt, und der Sol­dat und der alte Macke­ry rann­ten ein paar­mal in der hei­ßen Son­ne die Stra­ße auf und ab, so schnell sie nur lau­fen konn­ten. Und als sie dann zu­rück­ka­men, war er –– der Macke­ry näm­lich –– tratsch­naß ge­schwitzt, und die Ge­schich­te geht dann so wei­ter, daß der Haupt­mann von den Yan­kees auf den Macke­ry zu­ging, ein­mal rich­tig an ihm roch und aus­rief? «Bei Gott, ja! Er hat die Wahr­heit ge­sagt, Jungs! Er is­sen Nig­ger! Laßt ihn lau­fen!» Also, je­den­falls, wie dem auch sei, so wur­de er­zählt.

Und ja! Und ja! Denkt mir das al­les nicht? Näm­lich das, daß die Män­ner aus dem Krieg heim­ka­men, auf der Stra­ße am Fluß vor­über­mar­schiert ka­men auf dem Weg in die Stadt, wo sie aus dem Heer ent­las­sen wer­den soll­ten, und daß wir alle da zu­sam­men­stan­den im Gar­ten vor On­kel Johns Haus, eine gan­ze Grup­pe von Leu­ten, mein Va­ter und mei­ne Mut­ter und wir Kin­der alle und die gan­ze Pat­ton­sipp­schaft und die Alex­an­der­sipp­schaft und der gan­ze Pent­land­stamm, und auch die bei­den Nig­ger Wil­ly und Lu­cin­de Pat­ton, die dem John Pat­ton ge­hör­ten, weißt du, jene, von de­nen ich dir vor­hin er­zähl­te, die stan­den auch da­bei ... und weißt du, wer noch da­bei war? Dein Ur­groß­va­ter, der alte Bill Pent­land, Jun­ge, den die Leu­te den Hut­ma­cher-Bill nann­ten, denn er konn­te Hüte aus feins­tem Filz ma­chen und hat­te ge­lernt, wie man die Wol­le dazu mit Kam­mer­l­au­ge be­han­delt ... oh, das wa­ren schon die bes­ten Hüte, die ich im Le­ben zu sehn krieg­te ... ei, denkt mir’s viel­leicht nicht, wie ei­nes Tags, als ich noch ein Kind war, ein al­ter Far­mer in un­ser Haus kam und mei­nem On­kel Sam einen Hut zum Nach­fas­so­nie­ren brach­te und sag­te: «Sam», sag­te er, «der alte Bill Pent­land hat mir vor zwan­zig und et­li­chen Jah­ren die­sen Hut da ge­macht, und er ist heut noch so gut, wie er da­mals war, und braucht bloß mal nach­fas­so­niert und ge­rei­nigt zu wer­den», und laß mich dir sa­gen, Jun­ge, je­der­mann, der den al­ten Bill Pent­land ge­kannt hat­te, sag­te, er wäre si­cher ein grund­ge­schei­ter Mann ge­we­sen.

Nun, Jun­ge, was ich dir sa­gen möch­te, ist, was ich schon im­mer be­haup­tet habe, näm­lich daß du, was auch im­mer für Be­ga­bun­gen du er­erbt ha­ben magst, sie von der Pent­land­sei­te er­erbt hast, denn eine Sa­che ist si­cher, Bill Pent­land war ein Mann, der es weit ge­bracht hät­te, wenn ihm ein ent­spre­chen­der Bil­dungs­gang zu­teil ge­wor­den wäre. Aber Buch­ge­lehr­sam­keit hat­te er eben nicht, und trotz­dem wur­de er­zählt, daß er in al­len Fra­gen dis­kur­rie­ren und dis­pu­tie­ren konn­te und sei­ne An­sicht von der Sa­che mit gu­ten Be­weis­grün­den ver­trat. Kern­ge­sund und rüs­tig war er, merk dir’s, an Leib und See­le bis zur Stun­de sei­nes To­des, und da ließ er ei­nes Ta­ges mei­nem On­kel Sam aus­rich­ten, er sol­le zu ihm kom­men, er habe ihm et­was zu sa­gen. Sam hat uns dann er­zählt, wie es war. Er fand den Al­ten, wie er sich grad ein Feu­er schich­te­te und ein Kir­chen­lied dazu sang, voll­kom­men in Frie­den mit der Welt, und ge­fehlt hat ihm nichts. «Sam», sag­te er, der alte Bill näm­lich, «Sam, ich bin froh, daß du ge­kom­men bist; ich möch­te ein paar An­ge­le­gen­hei­ten mit dir be­spre­chen. Leg dich da hin aufs Bett, so daß wir in Ruhe re­den kön­nen!» Na, dem Sam hat das be­stimmt ge­paßt, weißt du, er war zwar mein On­kel, aber der fauls­te Kerl, der je auf Er­den ge­lebt hat, und er hät­te es leicht fer­tig­ge­bracht, sein gan­zes Le­ben lang ein­fach her­um­zu­lie­gen und zu re­den. «Ei», sag­te Sam, «was ist denn los mit dir, Va­ter? Fehlt dir was? Fühlst du dich nicht wohl?» frag­te er. «Oh», sag­te der alte Bill, «ich hab mich nie im Le­ben bes­ser ge­fühlt, aber es ist nun ein­mal so, daß ich nicht lan­ge mehr hie­nie­den wei­len wer­de, ich habe mich zu ster­ben ent­schlos­sen, Sam», sag­te er, «und da möch­te ich erst mein Haus in Ord­nung brin­gen.» «Aber Va­ter!» sag­te Sam. «Wo­von sprichst du denn da? Was meinst du denn da­mit? Es fehlt dir ja nichts!» «Nein, feh­len tut mir nichts», sag­te der alte Bill. «Na also!» sag­te Sam. «Du wirst noch jah­re­lang un­ter uns le­ben.» «Nein, Sam», sag­te der Alte und schüt­tel­te den Kopf, «ich habe ge­ra­de be­schlos­sen, daß die Zeit mei­nes Hin­gangs ge­kom­men ist. Ich habe einen Ruf ver­nom­men. Nun denn, ich habe mei­ne vol­len sieb­zig Jah­re ge­lebt und noch et­was dar­über, und auf Er­den gib­t’s nichts mehr zu tun für mich, und so habe ich mich denn im Ge­müt vor­be­rei­tet.» «Im Ge­müt vor­be­rei­tet?» frag­te Sam, «ei, wor­auf denn?» «Ei, aufs Ster­ben, Sam», sag­te der Alte. «Ach, Va­ter, wo­von re­dest du denn?» sag­te Sam. «Du wirst doch nicht ans Ster­ben den­ken!» rief er aus. «Doch», sag­te Bill, «ich habe mich im Ge­müt dar­auf vor­be­rei­tet, mor­gen nach­mit­tag zehn Mi­nu­ten nach sechs zu ster­ben, und des­we­gen habe ich nach dir ge­schickt.» Nun also, sie mach­ten ein mäch­ti­ges Feu­er an und blie­ben die gan­ze Nacht zu­sam­men auf und re­de­ten, und –– oh! –– weißt du, Sam er­zähl­te, wie der Wind heul­te und braus­te, wie sie bis spät, spät in die Nacht mit­ein­an­der spra­chen, wie sie dann Früh­stück koch­ten und sich wie­der hin­leg­ten und wie­der spra­chen, wie sie dann die große Mahl­zeit koch­ten und aber­mals spra­chen, wie der Alte sich wohl fühl­te und stark war, im Frie­den mit der Mensch­heit und ohne eine Küm­mer­nis in der Welt, aber um Schlag sechs Uhr, mein Jun­ge –– und nun er­zähl ich dir, von was für ei­ner Men­schen­art der alte Bill war ––, um Schlag sechs Uhr also sah er den Sam an und sprach: «Mach dich fer­tig, Sam!», und Punkt zehn Mi­nu­ten nach sechs sah er Sam aber­mals an und sprach: «Leb­wohl, Sam, mei­ne Zeit ist da, ich geh da­hin, mein Sohn!», und dann wand­te er sein Ge­sicht zur Wand, mein Lie­ber, und starb. Und starb! Und da kannst du sehn, was für eine Art Mensch der alte Bill war, das zeigt dir doch, was für Wil­lens­kraft und wel­che Ent­schlos­sen­heit in sei­nem We­sen sta­ken –– und dazu möch­te ich dir noch et­was sa­gen: ... näm­lich, wir Pent­lands ha­ben das alle in uns ste­cken, ge­nau die­sel­be Fä­hig­keit, daß wir wis­sen, wenn uns­re Zeit da ist. Mein Va­ter schied auf die­sel­be Wei­se, mein Lie­ber, den gan­zen Tag über wach­te er von Zeit zu Zeit auf und frag­te mich: «Ist’s schon sechs?» Du ver­stehst schon, nicht wahr? Der Ge­dan­ke ließ ihn nicht los. «Ei nein, Va­ter», sag­te ich, «es ist erst Mit­tag.» Also, sechs, sechs, ich über­leg­te mir hin und her, warum er mich dau­ernd frü­ge, ob’s schon sechs wäre. Und an die­sem sel­ben Tag, mein Lie­ber, als es sechs schlug, ge­nau mit dem letz­ten Glo­cken­schla­ge tat er sei­nen letz­ten Atem­zug, und ich sah mei­nen Bru­der Jim an und flüs­ter­te: «Sechs», und Jim nick­te und sag­te: «Ja», denn frei­lich, wir ver­stan­den das voll­kom­men.

Also, da stand er an je­nem Tag, der alte Bill Pent­land, da stand er mit­ten un­ter uns, und –– ob ich mich sei­ner etwa nicht er­in­ne­re? Da stand er und sah den vor­bei­mar­schie­ren­den Trup­pen zu, kern­ge­sund und rüs­tig, ein Greis, ein Mann, der zwei­mal ver­hei­ra­tet ge­we­sen war und vie­le Kin­der hat­te, acht aus sei­ner ers­ten Ehe mit Mar­tha Pat­ton –– mein Va­ter ge­hör­te zu de­nen –– und vier­zehn aus zwei­ter Ehe –– ja, so war das ––, und dann hat­te er noch eine Toch­ter, mut­ma­ße ich, von je­ner Frau drun­ten in Süd-Ca­ro­li­na –– aber daß er mit je­ner Frau ver­hei­ra­tet war, nun, kirch­li­che Zeug­nis­se lie­gen da nicht vor, und so mut­ma­ße ich, daß es stimmt, was dar­über ge­re­det wur­de ... er aber brach­te das Kind in sein Haus und setz­te es an den Tisch zu sei­nen an­dern Kin­dern und sprach zu ih­nen: «Von die­sem Tag an ist sie eure Schwes­ter und so müßt ihr sie als Schwes­ter be­han­deln.» Und so also war das auch schon in Ord­nung. Und nun stell dir vor! Alle Kin­der die­ses Man­nes, oder we­nigs­tens die, die nicht jung star­ben oder um­ka­men, gin­gen und grün­de­ten ih­rer­seits große Fa­mi­li­en, so daß heu­te al­lein Hun­der­te von sei­nen Nach­kom­men drun­ten im Ge­birg von Ca­ta­w­ba woh­nen, und and­re in Ge­or­gia und Texas und drau­ßen im Wes­ten in Ka­li­for­ni­en und Ore­gon, und so ist es nun so, daß sie die Nach­kom­men wie ein Ge­we­be über das gan­ze Land aus­ge­brei­tet ha­ben, und alle stam­men sie von ihm, von die­sem einen Mann, er ist der Stamm­va­ter, bei ihm fängt es an, er war der Sohn je­nes Eng­län­ders, der in der Zeit der Re­vo­lu­ti­on in die Yan­cey Coun­ty kam und Schäch­te boh­ren ließ, um nach Kup­fer zu gra­ben. Na­tür­lich wird ge­mun­kelt, daß wir Er­ban­sprü­che auf große Län­de­rei­en in Eng­land hät­ten –– ich weiß, daß mein On­kel Bob ei­nes Ta­ges zu mei­nem Va­ter kam, es war kurz nach Bill Pent­lands Tod, und sag­te, man müß­te Schrit­te tun in die­ser An­ge­le­gen­heit, aber dann ha­ben sie sich da­ge­gen ent­schie­den, weil so ein Ver­fah­ren viel zu­viel kos­tet.

Aber, schon recht, er war da an je­nem Tage, der alte Bill Pent­land, und stand mit­ten un­ter uns, als die Trup­pen aus dem Krie­ge heim­ka­men. Und so ka­men sie also, weißt du, die Män­ner wa­ren ver­gnügt und rie­fen lus­ti­ges Zeug, und die Weibs­leu­te wein­ten, und dann und wann konn­te man sehn, wie ein Mann aus der Marsch­ko­lon­ne her­austrat, und gleich fin­gen die Frau­en wie­der an zu wei­nen, und auf ein­mal kam da mein On­kel Bob –– er war erst sech­zehn, stell dir vor, aber mir schi­en er ein al­ter Mann zu sein ––, er trug einen Zy­lin­der­hut, so eine schwar­ze Ofen­röh­re –– und ich ver­mu­te, den hat er in ir­gend­ei­nem Hut­la­den ein­fach mit­ge­nom­men –– und Schu­he hat­te er kei­ne an ––, also, da kam mein On­kel Bob, und wir alle fin­gen zu wei­nen an.

«Ei herr­je!» sag­te der Bob. «Das ist aber wahr­haf­tig ’ne hüb­sche Heim­kehr», sag­te er. Nun, du ver­stehst schon, wie er das mein­te; er woll­te ’nen Spaß ma­chen, um uns auf­zu­hei­tern. «Ich hat­te ge­glaubt, ihr wür­det euch freu­en, mich wie­der­zu­sehn», sag­te er. «Und statt des­sen fangt ihr alle an zu flen­nen. Ei, wenn’s euch so leid tut, daß ich wie­der da bin, geh ich gleich wie­der fort!»

«O Bob! Bob!» sag­te sei­ne Mut­ter. «Du hast ja kei­ne Schuh an, du ar­mes Kind. Du gehst ja bar­fuß!»

«Hab mei­ne Schuh zer­ris­sen vor lau­ter Eile heim­zu­kom­men», sag­te da der Bob. «Hab sie mir glatt von den Fü­ßen ab­ge­lau­fen», sagt er, «aber wenn ich ge­wußt hätt, daß ihr mich so emp­fangt, dann hätt ich mich nicht so ge­eilt.» Und na­tür­lich, auf die­se Ant­wort hin muß­ten wir alle la­chen.

Aber ich sag dir, Kind, das war ja gar nicht der Grund, wes­halb die Frau­en wein­ten. Es wa­ren so vie­le aus­ge­zo­gen, die nie wie­der heim­keh­ren wür­den, und dar­an dach­ten die Frau­en, dar­an ha­ben sie ge­dacht, und dann –– gin­gen wir dann nicht alle ins Haus, die gan­ze Schar? Und hat­ten sie da nicht schon eine gan­ze Wo­che lang ge­kocht und ge­ba­cken? Und, laß mich dir sa­gen, das war eine Mahl­zeit! Da gab’s kei­ne so klei­nen Kleck­ser­chen zu es­sen wie heut­zu­tag ... aber Bra­t­hüh­ner, es müs­sen wohl zwei Dut­zend ge­we­sen sein, und ge­koch­ten Schin­ken und Schwei­ne­bra­ten und ge­rös­te­te Mais­kol­ben und Süß­kar­tof­feln und grü­ne Boh­nen und ge­häuf­te Tel­ler voll Mais­brot und hei­ße Bis­kuits und Pfir­sich- und Ap­fel­klöß­chen und alle mög­li­chen Ar­ten Mar­me­la­de und Ge­lee und mas­sen­haft Ku­chen und so viel Ap­fel­wein, als man nur trin­ken kann, und –– gu­ter Gott! –– ich wünsch dir wirk­lich, du hät­test se­hen kön­nen, wie Bob und Ru­fus Alex­an­der und Fate Pat­ton ein­hau­ten! Ei, wie mei­ne Mut­ter sag­te, man hät­te den­ken kön­nen, die hät­ten, seit sie in den Krieg ge­zo­gen wa­ren, kei­ne rich­ti­ge Mahl­zeit mehr ge­ges­sen.

Ei, war ich da nicht schon ein großes Mäd­chen, be­reits fünf Jah­re alt, und hab ich das nicht al­les mit­er­lebt? Und das steht al­les noch so klar vor mir, wie ich sel­ber hier vor dir sit­ze –– und vie­le and­re Sa­chen dazu, von de­nen du, mein Jun­ge, trotz all dei­ner Buch­be­le­sen­heit nie was ge­hört hast. Zum Bei­spiel, ja, lern­ten wir nicht, alle Din­ge selbst tun, al­les, was wir aßen, im Gar­ten zie­hen und auf dem Feld an­bau­en, die Wol­le neh­men und sie fär­ben, ja, und in den Wald gehn und Su­mach und Wal­nuß­bor­ke sam­meln und die grü­nen Au­ßen­hül­len von den Walnüs­sen und Ho­lun­der­bee­ren, denn da­mit wur­de ge­färbt, und lern­ten wir nicht auch, die Wol­le so lan­ge in Cop­pe­ras­was­ser durch­spü­len, bis wir ein har­tes, wasch­fes­tes Schwarz hat­ten, das nie den Glanz ver­lor? Das Zeug, was man heut­zu­tag kriegt, kann sich da­ne­ben über­haupt nicht se­hen las­sen, sag ich dir! Hab ich nicht ge­lernt, das al­les mit mei­nen ei­ge­nen Hän­den zu tun, und hab ich etwa nicht die feins­ten Töne Rot und Grün und Gelb raus­ge­kriegt, die du dir nur vor­stel­len kannst? Und lern­te ich nicht Flachs spin­nen und blei­chen und ei­gen­hän­dig fei­ne Hem­den und Bett­la­ken und Tisch­tü­cher ma­chen? Ei ja, denkt mir da nicht ein Tag? Oh, der star­ke, wi­der­li­che Ge­ruch von ab­ge­brüh­ten Fe­dern im Gar­ten, als mei­ne Mut­ter Hüh­ner rupf­te, und der Ge­ruch von Rauch und der Ge­ruch von frisch ge­spleiß­tem Kien­holz beim Hack­klotz, und al­les das ... dei­nen star­ken Ge­ruch­sinn, Jun­ge, hast du näm­lich von mir ... und dazu der Wind, der im ho­hen, rau­hen Gras saus­te und pfiff, und es mach­te mich so trau­rig, dem zu­zu­hö­ren –– es war im sel­ben Jahr, als mei­ne Schwes­ter Sal­ly ge­stor­ben war ––, und ich saß am Spinn­rad und spann und spann und das kann ich mir noch al­les vor­stel­len, ge­nau wie es war –– und da ka­men Leu­te auf der Stra­ße am Fluß vor­bei, und ich konn­te sie «Hur­ra! Hur­ra!» ru­fen und schrei­en hö­ren, und ich ver­mu­te, sie ka­men aus der Stadt, wo sie bei der Prä­si­dent­schafts­wahl ge­wählt hat­ten. «Hur­ra!» schri­en sie, die einen «Hur­ra! Für Hayes!» und die an­dern: «Hur­ra! Für Til­den!»

Gu­ter Gott! Ob ich mich er­in­ne­re?! Nun, da kann ich schon sa­gen: ja! Mir denkt vie­les, von dem du nie ge­hört oder ge­träumt hast, Jun­ge.

«Ja, Mama. Aber wie war denn das mit den Stim­men, die du da­mals ge­hört hast?»

Nun ja, ge­wiß, das will ich dir gra­de er­zäh­len:

«Zwei ... Zwei», sag­te die ers­te Stim­me, und «Zwan­zig ... Zwan­zig», sag­te die and­re. «Was?» sag­te ich. Und wie­der kam es: «Zwei ... Zwei» und «Zwan­zig ... Zwan­zig». «Hah? Was?» sag­te ich. Und noch­mals sag­te die ers­te Stim­me: «Zwei ... Zwei», und die and­re «Zwan­zig ... Zwan­zig».

So war’s. Und was hätt ich da­von hal­ten sol­len? Ich hab erst neu­lich wie­der dar­über nach­ge­dacht. Ich weiß nicht. Recht son­der­bar ist so was schon, wenn man’s be­denkt, nicht wahr? Ei, weißt du, an ge­nau dem glei­chen Tag ... es war der sie­ben­und­zwan­zigs­te Sep­tem­ber ... und dar­an er­in­ne­re ich mich, weil ich am fünf­und­zwan­zigs­ten je­nes Ge­spräch mit Am­bros Ra­di­cker hat­te ... Ja, ge­nau an die­sem Tag war es ... um elf Uhr mor­gens, dein Va­ter war in sei­ner Werk­statt und mei­ßel­te die Buch­sta­ben aus an ei­nem Grab­stein, den je­mand drau­ßen in Bea­ver­dam, dem die Frau ge­stor­ben war, bei ihm be­stellt hat­te ... und da kam Mel Por­ter zu ihm her­ein. Dein Papa er­zähl­te, Mel wäre zu ihm in die Werk­statt rein­ge­kom­men und hät­te ihn ein­fach wort­los an­ge­guckt und den Kopf ge­schüt­telt. Dein Papa sag­te, Mel hät­te tat­säch­lich so be­trübt und be­drückt aus­ge­se­hen, als wäre ihm et­was ganz Furcht­ba­res wi­der­fah­ren, und so sprach denn dein Papa zu ihm: «Was ist denn los, Mel? So trau­rig hab ich dich ja noch nie ge­sehn.»

«Oh, Will, Will», sag­te Mel und stand da vor dei­nem Papa und schüt­tel­te den Kopf, «wenn du bloß wüß­test, wie sehr ich dich be­nei­de. Da hast du dein gu­tes Hand­werk und kannst ar­bei­ten, und Sor­gen hast du kei­ne. Ich wür­de al­les, was ich be­sit­ze, her­ge­ben, wenn ich mit dir tau­schen könn­te.» «Was re­dest du denn da für Zeug, Mel?!» sag­te dein Papa. «Ein erst­klas­si­ger Rechts­an­walt mit ei­ner gu­ten Pra­xis –– und du möch­test tau­schen mit mir, ei­nem Stein­met­zen, der mit sei­nen Hän­den schaf­fen muß und nie weiß, wo der nächs­te Auf­trag her­kom­men soll?» So sag­te dein Papa. «Es ist ein Fluch und eine Pla­cke­rei», sag­te dein Va­ter, denn ganz so pfleg­te er sich aus­zu­drücken, du weißt ja, wie er zu re­den pfleg­te, viel Fe­der­le­sens mach­te er nicht. «Es ist ein Fluch und eine Pla­cke­rei, Mel», sag­te dein Papa, «und ein bitt­rer Tag war’s für mich, als ich die­ses Ge­schäft hier an­fing. Ich muß war­ten, bis die Leu­te ster­ben, und dann ge­ben die Fa­mi­li­en­an­ge­hö­ri­gen, die­se un­dank­ba­re Ban­de, ge­wöhn­lich den Auf­trag ei­nem mei­ner Kon­kur­ren­ten. Hätt ich den Be­ruf er­wählt, für den ich ge­schaf­fen war, dann hätt ich wie du Rechts­wis­sen­schaft stu­diert und eine An­walt­spra­xis ge­grün­det.» Nun ja, so un­recht hat­te er nicht mit die­ser Be­haup­tung; alle Leu­te, die ihn kann­ten, sag­ten, daß dein Va­ter mit sei­ner Be­red­sam­keit fein zum Ad­vo­ka­ten ge­taugt hät­te; die Ga­ben hat­te er ge­wiß dazu. Und Mel sag­te dar­auf: «Ach, Will, Will», sag­te er, «du soll­test Gott auf den Kni­en dan­ken, daß du nicht Ad­vo­kat ge­wor­den bist. Du hast zum min­des­ten im­mer ge­nug zu es­sen, und au­ßer­dem, wenn du abends heim­gehst und dich ins Bett legst, kannst du schla­fen.»

«Aber Mel», sag­te dein Papa, «was in al­ler Welt ist dir denn schief­ge­gan­gen? Ganz ge­wiß machst du dir Sor­gen über was.» «Ach, Will», sag­te Mel, «es sind die­se Män­ner da. Ich kann nachts nicht schla­fen, weil ich mir Ge­dan­ken um sie ma­che.» Nun, er sag­te nicht, was für Män­ner er mein­te, er nann­te die Na­men nicht, aber dein Papa wuß­te ja gleich, wen er da mein­te, und wie der Blitz kam ihm der Ge­dan­ke, daß die Rede von Ed Mears war und La­wrence Way­ne und drei an­de­ren Mör­dern, die drun­ten im Coun­ty-Ge­fäng­nis sa­ßen, und die Mel Por­ter vor Ge­richt ver­tei­digt hat­te. Und bei de­nen war er ge­ra­de ge­we­sen. Dein Papa sag­te, daß er es ihm an­sah, denn sei­ne Schu­he und sein Ho­sen­bo­den wa­ren mit dem al­ten ro­ten Lehm­staub be­deckt, den es drun­ten in der Nig­ger­town gibt. Das also war’s.

«Nun ja, Mel», sag­te dein Papa, «ich ver­steh schon, daß es dich ziem­lich hart an­kommt, aber Vor­wür­fe brauchst du dir wahr­haf­tig nicht zu ma­chen. Du hast al­les ge­tan, was nur von dir er­war­tet wer­den kann, du hast wirk­lich dein Bes­tes ge­tan, und ich seh also nicht ein», sag­te er, «wes­halb du dir Vor­wür­fe ma­chen soll­test.»

«Ach, Will», sag­te Mel, «es ist die Auf­re­gung, die­se furcht­ba­re Auf­re­gung. Ich habe al­les in mei­nen Kräf­ten ge­tan, um die­se Män­ner zu ret­ten, und nun sieht es so aus, als lie­ße sich wei­ter nichts tun, es sieht wirk­lich so aus, als soll­ten sie ge­henkt wer­den, und da kom­men ihre Frau­en und Kin­der und ihre Ge­sip­pen zu mir und bit­ten mich, ich sol­le sie ret­ten, und, Will, Will», sag­te er, «ich hab mein Hirn durch­ge­he­chelt, um einen Aus­weg zu fin­den, und es gibt kei­nen, und es sieht aus, als müß­ten sie bau­meln. Ich will dir was sa­gen», sag­te Mel, und dein Papa er­zähl­te, daß er sehr nie­der­ge­schla­gen drein­schau­te, «das ist ganz schau­der­haft, wenn man’s be­denkt. Kannst du dir vor­stel­len, alle die klei­nen Kin­der­chen, die nun ohne Er­näh­rer auf­wach­sen sol­len und dazu mit die­sem furcht­ba­ren Schand­fleck auf dem Na­men, eben zu wis­sen, daß sie die Kin­der von Män­nern sind, die we­gen Mor­des ge­henkt wur­den. Das ist doch schau­der­haft, Will, ein­fach schau­der­haft», sag­te Mel, «und der Ge­dan­ke läßt mich nachts nicht schla­fen.»

Nun ja, dein Papa kam abends zum Es­sen heim, und er er­zähl­te mir die gan­ze Sa­che und sprach: «Ich will dir was sa­gen, den Mel kommt das schwer an, meinst du nicht? Mich deucht, er hat al­les in sei­nen Kräf­ten ge­tan, fühlt sich aber trotz­dem ir­gend­wie ver­ant­wort­lich, so, daß er etwa denkt, er hät­te doch et­was un­ter­las­sen, was die­sen Leu­ten das Le­ben hät­te ret­ten kön­nen.» So sag­te er, und dann: «Ich konn­te nicht an­ders, der Mel tat mir wirk­lich leid, er war geis­ter­bleich im Ge­sicht und sah aus, als hät­te er ’ne Wo­che lang kein Auge zu­ge­tan.» «Hm!» sag­te ich drauf. «Nun hör mich mal an. Da ist ir­gend­wie ir­gend et­was sehr Aus­ge­fall­nes an die­ser Sa­che. Ich hab noch nie von ’nem Ad­vo­ka­ten ge­hört, der nicht schla­fen konn­te, weil ein Kli­ent von ihm an den Gal­gen soll­te, und du kannst dei­nen letz­ten Dol­lar drauf wet­ten, daß Mel­vin Por­ter nicht des­we­gen nicht schla­fen kann. Ad­vo­ka­ten krie­gen mit der Schlaf­lo­sig­keit zu tun, wenn sie Angst ha­ben, sie be­kämen ihr Geld nicht, oder sie lie­gen wach, weil sie drü­ber nach­den­ken, wie sie je­man­den aus­schmie­ren kön­nen, und wenn er dir so eine Ge­schich­te er­zählt hat», sag­te ich, «da kannst du dich drauf ver­las­sen, daß er nicht die Wahr­heit sprach. Da ist ir­gend­wie ein Haar in der Sup­pe, wasch­echt ist das Garn nicht»

«Doch», sag­te dein Papa, «ich glaub, da irrst du dich. Mei­ner Mei­nung nach tust du ihm Un­recht.»

«I wo!» sag­te ich. «Sei doch so kein Gim­pel! An der Ge­schich­te ist kein Wort wahr. Bei dir braucht ei­ner bloß ans Mit­ge­fühl zu ap­pel­lie­ren, da glaubst du ihm al­les.»

Und frei­lich, ge­nau so ein Kerl war er ja, dein Va­ter. Er fluch­te und tob­te und führ­te sich wüst auf, und dann wie­der log ihm ir­gend­ei­ner was Gro­ßes vor und schlug die sanf­te Sai­te in ihm an, und gleich wur­de er gut­mü­tig und schenk­te dem Schwind­ler al­les, was er hat­te. Da fällt mir ein, die­ser Mel­vin Por­ter hat­te einen Bru­der, die­sen elen­den al­ten Ha­lun­ken Ru­fus Por­ter –– wie man so sagt, wenn ein ge­rech­ter Gott im Him­mel ist, dann kriegt er nun die ver­dien­te Stra­fe ––, er hat­te so ein vom Suff ge­duns­nes Ge­sicht, rot wie ’ne Per­si­mo­ne –– mein Gott, hab ich sel­ber als Mäd­chen ihn nicht in der Kir­che beim Mee­ting der Sons of Tem­pe­ran­ce ge­sehn? Da ging er Arm in Arm mit Je­ter Alex­an­der den Mit­tel­gang hin­un­ter, um das Ge­lüb­de zu un­ter­zeich­nen, und der Whis­ky, den die bei­den dann nach­her tran­ken, lie­ber Gott, wenn du das wi­der­li­che alte Zeug in ein Dock ge­schüt­tet hät­test, dann hät­te ein Schlacht­schiff drin schwim­men kön­nen. Also, er kam zu dei­nem Papa und be­schwatz­te ihn so, daß dein Papa bei der Bank für ihn bürg­te auf einen Wech­sel über vier­zehn­hun­dert Dol­lar, ach, mich ekelt, wenn ich bloß dran den­ke! ... Ich sag­te zu dei­nem Papa: «Der Ru­fus Por­ter ist so ei­ner, der ge­henkt ge­hört, und da wür­de ich noch ei­gen­hän­dig beim Auf­knüp­fen hel­fen!» Aber er, mit sei­ner brei­mäu­li­gen Stim­me, hat­te zu dei­nem Papa ge­sagt: «Es wird in Ord­nung ge­bracht, Will, du kannst dich drauf ver­las­sen, daß ich zu­se­he, daß du kei­nen Pfen­nig ver­lierst!» Da­bei aber hat­te er kei­nen ein­zi­gen Dol­lar auf sei­nen Na­men stehn. Und dann sag­te ich zu dei­nem Va­ter: «Be­schwö­ren will ich’s, ei, wie konn­test du nur so ein Narr sein und Bürg­schaft für ihn leis­ten!»

«Nun ja», sag­te dein Papa, «er hat­te mir auf sei­nen Eid ver­si­chert, er wür­de die Sa­che in Ord­nung brin­gen. Er sag­te, eher wol­le er als Erd­ar­bei­ter mit dem Pi­ckel schan­zen gehn, als mich ’nen Pfen­nig ver­lie­ren las­sen.»

«Ja», sag­te ich, «und du also warst Narr ge­nug, ihm das zu glau­ben.»

«Nun ja», sag­te dein Papa, «es ist mir eine Leh­re ge­we­sen. Mich wird kei­ner mehr rein­le­gen», sag­te er.

«Schon gut», sag­te ich. «Wir wol­len mal ab­war­ten und zu­se­hen.»

Na, es dau­er­te kei­ne zwei Jah­re, da ver­such­te Ru­fus Por­ter den­sel­ben Schwin­del noch mal bei ihm. Der Kerl hat­te die Un­ver­fro­ren­heit, wie er leib­te und leb­te zu dei­nem Papa in die Werk­statt zu gehn und ihn zu bit­ten, auf einen Wech­sel über fünf­hun­dert Dol­lar für ihn zu bür­gen. Dein Papa wur­de so wü­tend, daß er ihn beim Kra­gen pack­te, ihn hoch­hob und ihn raus auf den Stadt­platz trug. «Wenn du noch mal hier rein­kommst, du gott­ver­damm­ter Ban­kert aus dem Ge­birg, dann schlag ich dich tot!» sag­te er zu ihm. Du weißt ja, sehr ge­wählt pfleg­te sich dein Va­ter nicht aus­zu­drücken, wenn er wü­tend war. Ei, und ja! Stand da nicht der alte Bill Sma­thers, der da­ma­li­ge Chef der Po­li­zei, grad auf der Trep­pe vorm Stadt­haus und sah es mit an? Und gleich rief er rü­ber: «Ja, und wenn ich da bin, wenn er’s tut, dann komm ich rü­ber und helf Ih­nen, ihn tot­schmei­ßen, Mis­ter Gant!» Und dann sag­te er noch: «Da ha­ben Sie ganz das Rech­te ge­tan, Mis­ter Gant. Jam­mer­scha­de ist nur, daß Sie ihn nicht gleich tot­ge­schla­gen ha­ben.»

Als dein Papa heim­kam und es mir er­zähl­te, da sprach ich: «Ja, und ganz und gar recht hat er ge­habt, der Bill Sma­thers! Du hät­test so­fort gan­ze Ar­beit ma­chen sol­len, ganz ge­nau das! Es wäre eine große Er­lö­sung ge­we­sen.» So sag­te ich, denn, wie du ver­ste­hen wirst, ich war bit­ter ge­la­den; da hat­ten wir sechs Kin­der groß­zu­zie­hen, und der Mann geht hin und wirft sein Geld weg an die­sen elen­den al­ten Schur­ken. So ein Tor, ich hätt ihm den Hals rum­drehn kön­nen! «Nun hör mich mal an», sag­te ich zu ihm, «laß es dir wirk­lich zur Leh­re die­nen, gib ihm nie wie­der einen Pfen­nig und lei­he kei­nem Men­schen Geld, ohne mich zu­vor be­fragt zu ha­ben. Du bist ver­hei­ra­tet, dei­ne ers­ten Pf­lich­ten sind die, die du dei­ner Frau und dei­nen Kin­dern ge­gen­über hast.» Na ja, und da ver­sprach er mir, er wür­de es nie wie­der tun, und ich hab es ihm, ver­mu­te ich, ge­glaubt.

Nun, mein Lie­ber, es dau­er­te kei­ne drei Tage, da fing er wie­der an zu sau­fen, er kam stink­be­sof­fen heim, und ich er­in­ne­re mich, wie sie uns aus Am­bro­se Ra­dickers Sa­loon Nach­richt zu­kom­men lie­ßen, er säße dort, und es wäre wohl bes­ser, wir hol­ten ihn heim. Nun frei­lich, die Leu­te wuß­ten ein­fach nicht, was sie mit ihm an­fan­gen soll­ten, und so dach­ten sie, es wäre das Ge­schei­tes­te, uns zu ver­stän­di­gen. Ich ging sel­ber hin. Ach, Gott! ... Nun, Kind, du hast dei­nen Papa erst ge­kannt, als er schon alt und ab­ge­ta­kelt war, und ich nehm an, selbst dann er­schi­en er dir noch schlimm ge­nug. Aber, Kind, Kind! Du hast kei­ne Ah­nung, kei­ne Ah­nung hast du, du hast ihn nicht rich­tig er­lebt ... Der Nig­ger dort bei Ra­di­cker er­zähl­te mir, weißt du, der alte, po­cken­nar­bi­ge Nig­ger, daß dein Va­ter mehr Whis­ky trin­ken konn­te als vier Män­ner zu­sam­men ge­nom­men ... Er er­zähl­te mir, daß er mit eig­nen Au­gen sah, wie dein Papa an der Bar stand und, ohne in­ne­zu­hal­ten, zwei Li­ter­fla­schen Rog­gen­whis­ky trank. «Ja, und das läßt du zu!» sag­te ich zu Am­bro­se Ra­di­cker. Na, ich sah ihm ins Auge, als ich ihm die Mei­nung sag­te, er mach­te ein schö­nes Schafs­ge­sicht, kann ich dir sa­gen. «Du», sag­te ich zu ihm, zu Am­bro­se, «da stehst du da, ein ver­hei­ra­te­ter Mann und sel­ber Fa­mi­li­en­va­ter, und Stolz und Ehre ver­bie­ten dir nicht, das Geld aus der Ta­sche ei­nes Man­nes zu neh­men, der Frau und Kin­der zu er­näh­ren hat. So ei­ner wie du ge­hört ge­teert und ge­fe­dert und aus der Stadt hin­aus­ge­jagt.» Ja, das ist’s, was ich ihm sag­te, ganz ge­nau so sag­te ich’s, und du kannst dich drauf ver­las­sen, daß ich bit­ter auf ihn ge­la­den war.

Nun ja, ich ver­mu­te, der Vor­wurf saß. Er schwieg eine Mi­nu­te, aber, das kannst du glau­ben, daß auf sei­nen Mie­nen al­ler­hand zu le­sen war. Ei, die­ser töd­lich be­schäm­te Aus­druck, weißt du, er sah aus, als wäre er froh, wenn sich im Au­gen­blick die Erde auf­tä­te und ihn ver­schlän­ge. Und dann frei­lich sprach er: «Ei, Eli­za», sag­te er, «wir wol­len ihm doch das Geld nicht ab­neh­men. So arg nö­tig ha­ben wir’s nicht. Mir wäre dein Wohl­wol­len lie­ber als al­les Geld, was er hier ver­zecht. Es gibt einen Hau­fen Leu­te, die hier rein­kom­men und trin­ken und sich trotz­dem be­neh­men. Also, weißt du, wir be­mühn uns nicht, ihn hier her­ein­zu­zie­hen. Ich sel­ber wär der glück­lichs­te Mensch auf Er­den, wenn Mis­ter Gant den fei­er­li­chen Eid leis­ten wür­de, nie wie­der Al­ko­hol zu trin­ken, wahr­haf­tig. Aber frei­lich müß­te er zu sei­nem Eid ste­hen. Denn, wenn es einen Men­schen gibt, der nie einen Trop­fen trin­ken soll­te, dann ist’s er», sag­te Am­bro­se. «Ja, wenn Mis­ter Gant eben ein Glas trin­ken wür­de und dann wie­der fort­gehn, dann wär’s ganz in der Ord­nung, aber bei ihm ist es eben so, daß ein Glas nicht mehr be­deu­tet wie ein Re­gen­trop­fen ins Auge» –– ge­nau so drück­te er sich aus ––, «er muß gleich ’ne hal­be Fla­sche trin­ken, um über­haupt zu mer­ken, daß er was ge­trun­ken hat», sag­te Am­bro­se und schüt­tel­te den Kopf, «und ich will dir was sa­gen, es ist schwer mit ihm um­zu­gehn. Es ist ein­fach so, daß man nicht weiß, was man mit ihm an­fan­gen soll. Nie­mand kennt sich aus mit ihm, man weiß nicht, was er die nächs­te Mi­nu­te an­stel­len wird», sag­te Am­bro­se. «Ja, wir ha­ben schon oft einen schreck­lich schwe­ren Stand mit ihm ge­habt.»

«Ach, du ahnst ja nicht», sag­te Am­bro­se zu mir, «was ihm manch­mal al­les ein­fällt; ich hab mein Leb­tag kei­nen Men­schen ge­kannt, der über­zwer­che­re Vor­stel­lun­gen im Kopf hat­te. Stell dir vor», er­zähl­te Am­bro­se, «ei­nes Abends war er hier und fing an, we­gen Ly­dia zu heu­len und zu to­ben. Er be­schwor es, daß Ly­dia aus dem Gra­be auf­er­stan­den wär und ihn heim­su­che, weil er so ein ver­lu­der­tes Le­ben füh­re. ›Da ist sie!‹ schrie er, ›da! ... da!! Seht ihr sie nicht?‹ Dazu deu­te­te er im Lo­kal her­um und be­haup­te­te dann, sie sähe ihn über mei­ne Schul­ter an. ›a­ber nein, Will‹, sag­te ich zu ihm, ›da ist doch gar nie­mand. Das bil­dest du dir bloß ein.‹ ›Doch!‹ schrie er, ›da steht sie ja. Du hast dich vor sie ge­stellt, um sie vor mir zu schüt­zen! Mach, daß du da weg­kommst, oder ich bring dich um!‹ Und da warf er auch schon eine halb­vol­le Whis­kyfla­sche nach mir; es ist über­haupt ein Wun­der, daß er mich nicht traf, ich sah die Fla­sche kom­men und duck­te mich in letz­ter Se­kun­de, aber ein gan­zer Satz Glä­ser auf dem Ge­stell hin­ter der Bar ging in Scher­ben. Und dann knie­te er nie­der und be­gann zu Ly­dia zu be­ten und sag­te: ›O Ly­dia, Ly­dia, ver­zeih mir doch, Baby, sag, daß du mir ver­zeihst!‹ Und dann sprach er von ih­ren Au­gen. ›Da ... da ... sie star­ren mich an!‹ sag­te er. ›Seht ih­r’s denn nicht? O Gott, er­barm dich mei­ner! Sie ist aus dem Gra­be auf­er­stan­den, um mich zu ver­flu­chen!‹ Es war wirk­lich so, daß ei­nem das Blut in den Adern ge­rann, wenn man ihm zu­hör­te», sag­te Am­bro­se zu mir. «Wirk­lich, mein Nig­ger, der Dan, krieg­te eine sol­che Angst, daß er aus­riß und sich zwei Tage lang nicht se­hen ließ. Nun, du weißt ja, wie aber­gläu­bisch die­se Nig­ger sind, bei so ei­ner Sa­che wird ih­nen ster­bens­angst», sag­te Am­bro­se zu mir, und da sag­te ich zu ihm: «Ei frei­lich, und ich will dir was sa­gen, ich bin gar nicht so si­cher, ob das nicht schließ­lich und end­lich bloß pu­rer Aber­glau­be ist.»

Nun, Am­bro­se sah mich sehr ko­misch an, wahr­haf­tig, das tat er, und er sag­te: «Aber Eli­za, du glaubst doch wohl nicht, daß ir­gend was da­hin­ter ist, was?» «So si­cher bin ich nicht», sag­te ich, «ich könn­te dir schon äu­ßerst son­der­ba­re Din­ge er­zäh­len, Din­ge, die ich sel­ber er­lebt habe, und ich kann sie mir nicht an­ders er­klä­ren als so, daß es eben ganz be­stimmt, wie man so sagt, ›ei­ne Stim­me von jen­seits des Gra­bes‹ gibt.» Na, auf sei­nem Ge­sicht war da al­ler­lei zu le­sen, sag ich dir, und einen Au­gen­blick spä­ter sah er mir stracks ins Auge und frag­te: «Wer war Ly­dia? Hat Mis­ter Gant eine Frau na­mens Ly­dia ge­kannt?» «Ja», sag­te ich, «aber das war, ehe du ihn ken­nen­lern­test.» «Wohl sei­ne ers­te Frau?» frag­te er dar­auf­hin, «die Ver­stor­be­ne?» «Genau die», sag­te ich. «Ganz ge­nau die. Und er hat gar man­chen Grund, sich ih­rer zu er­in­nern, und au­ßer­dem hat er um ih­ret­wil­len viel zu be­reu­en», sag­te ich. Na, eine aus­führ­li­che­re Ant­wort gab ich ihm nicht, ich sag­te ihm auch nicht, daß dein Papa schon zwei­mal ver­hei­ra­tet ge­we­sen war, und daß er drun­ten im Os­ten des Staa­tes eine Frau ge­hei­ra­tet und von ihr ge­schie­den wor­den war, ehe er Ly­dia hei­ra­te­te. Ly­dia war die ein­zi­ge, um die die Leu­te bei uns im Städt­chen wuß­ten. Sei­ne Hei­rat mit Mag­gie Efird woll­te ich ihm nicht auf die Nase bin­den, ich war, neh­me ich an, zu stolz dazu, denn in je­nen Ta­gen er­ach­te­te man es für eine Schan­de, mit ei­nem ge­schie­de­nen Mann et­was zu tun zu ha­ben, und was gar eine ge­schied­ne Frau an­geht, ei, ich sage dir, ganz na­tür­lich hielt man sie für nicht bes­ser als eine Dir­ne. Und hät­te ich um jene ers­te Ehe vor mei­ner Hoch­zeit ge­wußt, da kannst du si­cher sein, ich hät­te nichts mehr mit ihm zu tun ge­habt. Ich hät­te mich in den Tod hin­ein ge­schämt, ehe ich mich so sehr er­nied­rigt hät­te. Aber frei­lich, das hat er mir nicht ge­sagt. Du lie­ber Gott, nein! Ich war be­reits ein Jahr mit ihm ver­hei­ra­tet, als es her­aus­kam.

Dann frei­lich ge­stand er es ein, er muß­te es zu­ge­ben.

Ei ja, sag­te da nicht die alte Mrs. Ma­son ... –– Kind, wie oft hab ich an die alte Mrs. Ma­son den­ken müs­sen; die arme alte Frau, was die al­les durch­zu­ma­chen hat­te! Dein Papa war ihr Schwie­ger­sohn ge­we­sen, und so leb­te sie wäh­rend des ers­ten Jah­res nach uns­rer Hoch­zeit mit uns zu­sam­men, bloß um acht­zu­ge­ben, daß sein Le­ben wie­der in Ord­nung käme und John und Ella Beals, ihr Sohn und ihre Schwie­ger­toch­ter, wie­der zu­sam­men­fän­den. John Beals näm­lich und Ly­dia, die mit dei­nem Va­ter ver­hei­ra­tet war, wa­ren Mrs. Ma­sons Kin­der aus ers­ter Ehe; sie hat­te einen Mann na­mens Beals ge­hei­ra­tet. Sie sag­te da­mals zu mir: «Eli­za, ich wer­de dir mit al­len Kräf­ten bei­stehn. Es wird in Ord­nung kom­men, wenn er von Ella läßt. Wenn die bei­den von­ein­an­der blei­ben und Ella wie­der zu John zu­rück­fin­det und mit ihm lebt, wie sich’s für eine an­stän­di­ge Ehe­frau ge­hört, dann be­trach­te ich mein Le­bens­werk für ge­tan. Dann werd ich in Frie­den ster­ben kön­nen», sag­te sie ... wei­nend, weißt du. «Ach, du weißt ja nicht, was ich durch­ge­kämpft habe, Eli­za», sag­te sie zu mir.

Und dann er­zähl­te sie mir die gan­ze Ge­schich­te. Wie sie ihn ken­nen­lern­ten, näm­lich sie und ihre Toch­ter Ly­dia, wie dein Papa bei ih­nen im Haus Woh­nung nahm, als er in den Sü­den kam, nach Syd­ney. Denn das war so: er war zu uns in die Süd­staa­ten ge­kom­men, er ar­bei­te­te als Stein­metz für John Ar­thur in Syd­ney, sie hat­ten da­mals viel Ar­beit beim Bau des Staats­ge­fäng­nis­ses. An­fangs hat­te er wohl we­nig Freun­de, ver­mu­te ich, denn er war ja ein Yan­kee, und das wa­ren die Wie­der­auf­bau­jah­re, und die Stim­mung war noch sehr bit­ter ge­gen die Yan­kees.

Ei ja! Hat er mir nicht selbst er­zählt, wie bit­ter er auf uns ge­la­den war, als er von Bal­ti­mo­re her­un­ter in die Süd­staa­ten kam? «Ein rei­ner Zu­fall, daß ich hier­her kam», sag­te er. «Ich hat­te fest vor, in den Wes­ten zu gehn. Das war der Ehr­geiz mei­ner Ju­gend. Und ich wär auch hin­ge­gan­gen. Aber da schrieb mir John Ar­thur, ich sol­le kom­men, er hät­te hau­fen­weis Ar­beit für mich.» In Wirk­lich­keit näm­lich hielt er uns für eine Re­bel­len­ban­de und dach­te, Ge­henkt­wer­den wär noch ein zu gu­ter Tod für uns –– ei, da­mals woll­ten die­se Yan­kees so­gar Lee und Jef­fer­son Da­vis als Hoch­ver­rä­ter vor Ge­richt stel­len! ––, und er, dein Papa, hat­te sei­nen äl­tes­ten Bru­der Ge­org in der Schlacht bei Get­tys­burg ver­lo­ren, und da ver­steht es sich, daß er sehr ge­gen uns war. Aber dann sah er, wie die Din­ge la­gen, und dann än­der­te er sei­ne Mei­nung und schimpf­te auf die Re­gie­rung we­gen der Ge­set­ze über die Gleich­stel­lung der Schwar­zen. Da drun­ten in Syd­ney näm­lich, als er mit John Ar­thur zu­sam­men­ar­bei­te­te, und dort beim Bau des Staats­ge­fäng­nis­ses in Co­lum­bus in Süd-Ca­ro­li­na, da sah er es. Da sah er die schwär­zes­ten Nig­ger, die du dir nur vor­stel­len kannst, da sah er sie trin­ken und mit Wei­bern her­um­zie­hen und das Geld des Steu­er­zah­lers ver­geu­den, da sah er sie, sie hat­ten die bes­ten schwar­zen Kamm­garnan­zü­ge an, di­cke Zi­gar­ren im Mund, stell dir das bit­te vor, und die­se ekel­haf­ten, stin­ken­den Ker­le leg­ten die Bei­ne auf die Ma­ha­go­nisch­reib­ti­sche. Ei, ha­ben wir das nicht al­les spä­ter im Kino ge­se­hen? Ja, näm­lich in dem Film «Die Ge­burt ei­ner Na­ti­on», der nach dem Ro­man von Tom Di­xon ge­dreht wur­de. Dein Papa sah ihn und sag­te: «Die Dar­stel­lung ent­spricht in al­len Stücken der Wahr­heit. Ich sel­ber habe schlim­me­re Din­ge mit­an­ge­sehn.» Aber da­mals, als er nach Syd­ney kam, da war er ge­gen die Sa­che des Sü­dens.

Also, er zog als zah­len­der Haus- und Tisch­gast zu Ly­dia und der al­ten Mrs. Ma­son. Die alte Frau sag­te mir, daß sie es zuließ, «frei­lich», sag­te sie, «wir wa­ren froh, daß er zu uns ins Haus zog. Wir leb­ten da ganz al­lein, wir brauch­ten einen Mann im Haus, und wir fühl­ten uns si­che­rer, als er zu uns zog. Und ich will dir was sa­gen», sag­te sie zu mir, «Will war ge­wiß äu­ßerst tüch­tig, so im Haus her­um, mein ich. In die­ser Be­zie­hung hab ich nie sei­nes­glei­chen ge­kannt.» So sag­te sie, und hier­in frei­lich muß­te ich ihr ein­fach recht ge­ben. Man muß so­gar dem Teu­fel sei­ne Ehre las­sen, Jun­ge. Ob­schon er ein Wand­rer war, ob­schon es ihn im­mer in die Fer­ne zog, dein Papa, Jun­ge, war ein vor­treff­li­cher Haus­va­ter. Beß­re gib­t’s nicht. Ei, laß dir sa­gen, im Haus gab es kei­ne Ar­beit, die er nicht tun konn­te und tat. Er konn­te jede Re­pa­ra­tur ma­chen, al­les in die Rei­he brin­gen, al­les ei­gen­hän­dig tun, das muß ich zu­ge­ben. Wenn ich mor­gens run­ter­kam, brann­te im­mer schon ein gu­tes Feu­er im Herd; bei ihm brauch­te man nicht zu war­ten, man brauch­te auch nicht im Herd rum­zu­sto­chern, da­mit das Feu­er auch brann­te. Nun ja, er aß gern, und so schür­te er im­mer tüch­tig ein. Aber, du lie­ber Gott! Wie ich im­mer zu ihm sag­te: «Nun, bei dei­ner Art Feu­er an­zu­ma­chen, ist’s kein Wun­der. So hat man frei­lich gleich ’ne hei­ße Herd­plat­te, wenn man zum Feu­er­ma­chen ’ne gan­ze Kan­ne Pe­tro­le­um braucht. Barm­her­zig­keit!» rief ich so man­ches Mal, «mit die­sem Pe­tro­le­um steckst du uns ei­nes Tags das Haus überm Kopf an! So si­cher, wie ich hier vor dir ste­he.» Ach Kind, Kind! Die­se Ver­geu­dung, die­se Ver­schwen­dung! Eine gan­ze Kan­ne Pe­tro­le­um zum Feu­er­an­ma­chen! Ach, die Flam­men rausch­ten zum Schorn­stein hin­auf, so, daß das gan­ze Haus beb­te, weißt du.

Aber um auf die­se ers­te Ehe zu­rück­zu­kom­men, Jun­ge. Wir müs­sen da ge­recht sein, wir müs­sen bil­lig den­ken, er war nicht al­lein der Schul­di­ge. Es war nicht nur sein Feh­ler. Die alte Mrs. Ma­son gab es ohne wei­te­res zu, als ich zu ihr sag­te: «Sie müs­sen doch et­was von die­ser Ehe ge­wußt ha­ben, als er zu Ih­nen und Ly­dia ins Haus zog; schließ­lich hat­te er doch in der­sel­ben Stadt ge­lebt, und da müs­sen Sie doch von die­ser Ge­schich­te mit Mag­gie Efird ge­hört ha­ben, ehe er zu Ih­nen zog. In so ei­ner klei­nen Stadt ist das doch gar nicht an­ders denk­bar! Sie müs­sen da­von ge­wußt ha­ben.» Nun ja, da gab sie es un­um­wun­den zu und sag­te: «Ja, wir wuß­ten es. Aber na­tür­lich war die Sa­che so, daß man er­zähl­te, daß Will sie hei­ra­ten muß­te, der Va­ter und die Brü­der von Mag­gie Efird zwan­gen ihn dazu, und ich ver­mu­te, daß er sie des­halb nach­her so haß­te. Und daß er sich des­halb von ihr schei­den ließ.» So sag­te Mrs. Ma­son.

Und da sah ich ihr stracks ins Auge und sprach: «Und Sie wuß­ten das, und ha­ben mir kein Wort da­von ge­sagt, und ha­ben zu­ge­las­sen, daß ich ihn hei­ra­te­te, ihn, einen ge­schie­de­nen Mann! Wa­rum ha­ben Sie mir’s nicht ge­sagt?» Ich muß­te sie das fra­gen, ver­stehst du, sie hät­te von sich aus nie ein Wort da­von zu mir ge­sagt, und hät­te ich ge­war­tet, bis sie es mir sag­te, dann wär ich nie im Le­ben da­hin­ter­ge­kom­men. Ich fand es näm­lich nicht durch sie her­aus, weißt du; wir wa­ren erst ein paar Mo­na­te ver­hei­ra­tet, als die Sa­che durch einen Zu­fall ans Licht kam. Du kennst sei­ne alte Kom­mo­de aus Wal­nuß­holz. Ei­nes Tags such­te ich dort nach ei­nem Platz, wo ich sei­ne Hem­den hin­set­zen könn­te, und da fand ich in der un­ters­ten Schub­la­de ein Bün­del al­ter Brie­fe und Pa­pie­re, die hat­te er wohl dort rein­ge­steckt, ver­mu­te ich, weil er sie ge­le­gent­lich ver­bren­nen woll­te. Na also, ich nahm die Pa­pie­re her­aus, ich hat­te gar nicht die Ab­sicht, sie mir an­zu­sehn, ich woll­te sie ein­fach in den Ofen ste­cken und ver­bren­nen, ›er hat sie da wohl ver­ges­sen, be­stimmt woll­te er sie sel­ber ver­bren­nen, die­se Pa­pie­re‹, sag­te ich zu mir ... aber auf ein­mal hat­te ich so eine ban­ge Ah­nung, ich weiß nicht, wie ich’s an­ders nen­nen könn­te, weißt du, es traf mich wie ein Blitz, ganz plötz­lich, ich glau­be, die Vor­se­hung hat­te da­für ge­sorgt, daß die­se Schrift­stücke von mir ge­le­sen wer­den soll­ten ... ja, und da war sie also, die amt­li­che Ur­kun­de dar­über, daß sei­ne Ehe mit Mag­gie Efird gül­tig ge­schie­den sei ... da konn­te ich’s se­hen, da konn­te ich’s le­sen, da starr­te es mir schwarz auf weiß ins Ge­sicht.

Also, weißt du, ich war­te­te, bis er heim­kam, und dann stand ich da, die­se Pa­pie­re in der Hand, und sag­te: «Da sind alte Brief­schaf­ten, die ich fand, als ich dei­ne Kom­mo­den­schub­la­den sau­ber mach­te. Brauchst du sie noch?» Ver­stehst du, ich ließ es mir nicht an­mer­ken, ich tat so un­wis­send, wie du dir’s nur vor­stel­len kannst. Na, auf sei­nem Ge­sicht hät­test du al­ler­lei le­sen kön­nen, sag ich dir, wahr­haf­tig, so war’s. «Gib mir die­se Pa­pie­re», sag­te er und griff schnell da­nach. «Hast du sie ge­le­sen?» frag­te er. Da­rauf ant­wor­te­te ich nicht. Ich sah ihn ein­fach an. Na, und da mach­te er ein Schafs­ge­sicht, wahr­haf­tig, ein Schafs­ge­sicht, und sag­te: «Ich hat­te im­mer die Ab­sicht, mit dir dar­über zu spre­chen, hat­te aber Angst, du wür­dest es nicht ver­ste­hen.»

«Ver­stehn?» sag­te ich. «Ei, was ist denn da dran zu ver­stehn? Da steht so klar und deut­lich wie die Nase in dei­nem Ge­sicht, daß du ein ge­schied­ner Mann bist. Und mir hast du nie eine Sil­be da­von ge­sagt. Du hast mich dich hei­ra­ten las­sen im gu­ten Glau­ben, daß du Wit­wer wärst, und daß Ly­dia die ein­zi­ge wäre, mit der du je ver­hei­ra­tet warst. Das also ver­ste­he ich sehr wohl.»

«Nun ja», sag­te er, «jene ers­te Hei­rat war ein schwe­rer Feh­ler. Ich bin ge­gen mei­nen bes­sern Wil­len hin­ein­ge­schlit­tert. Ich woll­te dich we­gen der Sa­che nicht auf­re­gen.» «So, so», sag­te ich da, «da muß ich dich aber jetzt fra­gen, was ich gern wis­sen möch­te, näm­lich: was war denn da los? Wa­rum bist du ge­schie­den wor­den?» «Ei», sag­te er da, «die Schei­dung wur­de we­gen Un­ver­träg­lich­keit aus­ge­spro­chen. Sie wei­ger­te sich, ehe­lich mit mir zu le­ben, sie war in einen an­dern Mann ver­liebt und hat­te mich bloß je­nem an­dern zum Trotz ge­hei­ra­tet. Nach der Hoch­zeit dann hat­te sie nicht das Ge­rings­te mit mir zu tun, wir ha­ben nie wie Ehe­leu­te zu­sam­men­ge­lebt.» «Und wer hat die Schei­dungs­kla­ge an­ge­strengt», frag­te ich, «du oder sie?» Und da sag­te er, schnell wie der Blitz: «Ich. Die Schei­dung wur­de zu mei­nen Guns­ten aus­ge­spro­chen.»

Na, ich ließ es mir nicht an­mer­ken, ich sag­te kein Wort drauf, aber ich wuß­te, ich wuß­te so­gar ganz be­stimmt, daß er log. Ich hat­te die Ur­kun­de von A bis Z ge­le­sen, und da stand, daß die Schei­dung zu­guns­ten der Ehe­frau aus­ge­spro­chen wor­den war. Also, Mag­gie Efird war von ihm ge­schie­den wor­den, so war’s. Ich hat­te es sel­ber ge­le­sen. Aber ich schwieg da­von und frag­te ihn wei­ter: «Und du sagst so­mit, daß sie nie als Ehe­frau mit dir ge­lebt hat, was?»

«Kei­ne Mi­nu­te», sag­te er. «Ich schwör dir’s.»