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Heiß ersehnt: Band 5 des großen Epos Celaena ist in ihre Heimat zurückgekehrt, aber nicht mehr als Celaena Sardothien, sondern als Aelin Galathynius. Das ist ihr wahrer Name, der Name der rechtmäßigen Königin von Terrasen. Doch der Weg auf den Thron ist noch lang, denn von allen Seiten nahen Feinde heran. Aelin muss sich nicht nur gegen den dunklen Valg-König Erawan, der ihre Welt erobern und versklaven möchte, behaupten, sondern auch gegen die Königin der Fae, die unsterbliche Maeve. Es wird zu einem Kampf kommen und Aelin muss sich fragen, was – oder wen – sie bereit ist zu opfern, um ihre Welt zu retten … Doch ganz gleich, was auch passiert, Rowan steht unverrückbar an ihrer Seite. Kennen Sie bereits die weiteren Serien von Sarah J. Maas bei dtv? »Das Reich der sieben Höfe« »Crescent City«
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Seitenzahl: 1058
Sarah J. Maas
Throne of Glass
Die Sturmbezwingerin
Roman
Aus dem amerikanischen Englisch von Michaela Link
dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
Für Tamar,
meinen Champion, meine Fee und Patin, meinen weißen Ritter.
Danke, dass du von der ersten Seite an an diese Reihe geglaubt hast.
Die Knochentrommeln dröhnten seit Sonnenuntergang über die zerklüfteten Hänge der Schwarzen Berge.
Von dem steinigen Felsvorsprung aus, auf dem ihr Kriegszelt sich ächzend gegen den trockenen Wind stemmte, hatte Prinzessin Elena Galathynius den ganzen Nachmittag lang die Armee des Schreckensfürsten beobachtet, die diese Berge in ebenholzschwarzen Wellen überflutete. Und nun, da die Sonne längst verschwunden war, flackerten die feindlichen Lagerfeuer über den Bergen und unten im Tal wie eine Decke aus Sternen.
So viele Feuer – so viele verglichen mit denen, die auf ihrer Seite des Tals brannten.
Sie brauchte die Gabe ihrer Fae-Ohren nicht, um die Gebete ihrer menschlichen Armee zu hören, laut ausgesprochene wie stumme. Sie hatte in den vergangenen Stunden selbst einige gen Himmel gesandt, obwohl sie wusste, dass sie unerhört bleiben würden.
Elena hatte nie darüber nachgedacht, wo sie eines Tages vielleicht sterben würde – hatte nie darüber nachgedacht, dass es so weit entfernt von dem felsigen Grün Terrasens geschehen könnte. Dass ihr Leichnam vielleicht nicht verbrannt, sondern von den Bestien des Schreckensfürsten verschlungen werden würde.
Es würde keinen Grabstein geben, welcher der Welt verriet, wo eine Prinzessin Terrasens gefallen war. Es würde für keinen von ihnen einen Grabstein geben.
»Du brauchst Ruhe«, erklang eine raue Männerstimme vom Eingang des Zeltes hinter ihr.
Elena schaute über ihre Schulter und ihr offenes, silbernes Haar verfing sich in den kunstvollen Lederplatten ihrer Rüstung. Aber Gavins finsterer Blick ruhte bereits auf den beiden Armeen, die sich unter ihnen erstreckten. Auf diesem schmalen, schwarzen Grenzstreifen, der nur allzu bald durchbrochen werden würde.
Trotz seines Geredes über Ruhe hatte auch Gavin seine Rüstung nicht abgelegt, als er vor Stunden ihr Zelt betreten hatte. Erst vor wenigen Minuten hatten sich seine Kriegsherren endlich aus dem Zelt geschoben, mit Karten in den Händen und keinem Fünkchen Hoffnung in den Herzen. Sie konnte sie an ihnen riechen – die Furcht. Die Verzweiflung.
Gavins Schritte knirschten kaum auf der trockenen, steinigen Erde, als er sich ihr bei ihrer einsamen Wache näherte, fast lautlos dank der Jahre, in denen er die Wildnis des Südens durchstreift hatte. Elena wandte sich erneut den unzähligen feindlichen Feuern zu.
Er sagte heiser: »Die Streitmächte deines Vaters könnten es immer noch schaffen.«
Die Hoffnung eines Narren. Ihr war kein Wort der stundenlangen Debatte entgangen, die hinter ihr im Zelt getobt hatte. »Dieses Tal ist eine Todesfalle«, erwiderte Elena.
Und sie hatte sie alle hierhergeführt.
Gavin antwortete nicht.
»Bei Tagesanbruch«, fuhr Elena fort, »wird es in Blut getränkt sein.«
Der Kriegsherr an ihrer Seite blieb still. Es war selten bei Gavin, dieses Schweigen. Kein Aufblitzen seiner ungezähmten Wildheit lag in seinen Augen und sein braunes Haar hing ihm schlaff vom Kopf. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann einer von ihnen das letzte Mal gebadet hatte.
Gavin wandte sich ihr mit jenem unverhohlenen Blick zu, unter dem sie sich vom ersten Moment an, als sie ihm vor fast einem Jahr in der Großen Halle ihres Vaters begegnet war, vollkommen entblößt gefühlt hatte. Vor einem ganzen Leben.
Eine solch andere Zeit, eine andere Welt – als das Land noch voller Gesang und Licht gewesen war, als die Magie noch nicht begonnen hatte, im erstarkenden Dunkel Erawans und seiner Dämonensoldaten schwächer zu werden. Wie lange würde Orynth noch standhalten, wenn das Gemetzel hier im Süden erst geendet hatte? Würde Erawan zuerst den glänzenden Palast ihres Vaters auf dem Berg zerstören oder die königliche Bibliothek niederbrennen – das Herz und das Wissen eines Zeitalters? Und dann sein Volk?
»Bis zum Tagesanbruch sind es noch ein paar Stunden«, sagte Gavin, »Zeit genug für dich zu fliehen.«
»Sie würden uns in Stücke reißen, bevor wir die Bergpässe hinter uns hätten …«
»Nicht wir. Du.« Der Feuerschein verwandelte sein gebräuntes Gesicht in ein flackerndes Relief. »Du allein.«
»Ich werde diese Menschen nicht im Stich lassen.« Sie strich mit ihren Fingern über seine. »Oder dich.«
Kein Muskel regte sich in Gavins Gesicht. »Das Morgen lässt sich nicht aufhalten. Das Blutvergießen auch nicht. Du hast gehört, was der Bote gesagt hat – ich weiß, dass du es gehört hast. Anielle ist ein Schlachthaus. Unsere Verbündeten im Norden sind fort. Die Armee deines Vaters ist zu weit von uns entfernt. Wir werden alle sterben, noch ehe die Sonne ganz am Himmel steht.«
»Wir werden ohnehin eines Tages alle sterben.«
»Nein.« Gavin drückte ihr die Hand. »Ich werde sterben. Diese Menschen dort unten – sie werden sterben. Entweder durch das Schwert oder durch die Zeit. Aber du …« Sein Blick wanderte zu ihren zarten, spitz zulaufenden Ohren, dem Erbe ihres Vaters. »Du könntest Jahrhunderte leben. Jahrtausende. Wirf das nicht für eine bereits verlorene Schlacht fort.«
Ich würde lieber morgen sterben als tausend Jahre mit der Schande eines Feiglings leben.«
Aber Gavin starrte wieder über das Tal. Schaute auf seine Gefolgsleute, die letzte Verteidigungslinie gegen Erawans Horde.
»Zieh dich hinter die Linien deines Vaters zurück«, sagte er mit rauer Stimme, »und setze den Kampf von dort aus fort.«
Sie schluckte hörbar. »Es würde nichts nutzen.«
Langsam sah Gavin sie an. Und nach all diesen Monaten, all dieser Zeit gestand sie: »Die Macht meines Vaters schwindet. Er ist kurz davor – nur noch Jahrzehnte davor – zu erlöschen. Mit jedem verstreichenden Tag erlischt Malas Licht in ihm weiter. Er kann Erawan nicht besiegen.« Die letzten Worte ihres Vaters, bevor sie vor Monaten zu dieser zum Scheitern verurteilten Mission aufgebrochen war, hatten gelautet: Meine Sonne sinkt, Elena. Du musst einen Weg finden, dafür zu sorgen, dass deine immer noch aufgeht.
Alle Farbe wich aus Gavins Gesicht. »Du hast dich entschieden, mir das ausgerechnet jetzt zu sagen?«
»Ich habe diesen Moment gewählt, Gavin, weil es auch für mich keine Hoffnung gibt – ganz gleich, ob ich heute Nacht fliehe oder morgen kämpfe. Der Kontinent wird fallen.«
Gavin schaute zu dem Dutzend Zelte auf dem Felsvorsprung. Seinen Freunden.
Ihren Freunden.
»Keiner von uns wird dem hier morgen entkommen«, murmelte er.
Und es war die Art, wie seine Worte abbrachen, wie seine Augen glänzten, die sie veranlasste, einmal mehr nach seiner Hand zu greifen. Niemals – nicht ein einziges Mal während all ihrer Abenteuer, all der Gräuel, die sie zusammen durchgestanden hatten – hatte sie ihn weinen sehen.
»Erawan wird siegen und bis in alle Ewigkeit über dieses Land und alle anderen herrschen«, flüsterte Gavin.
Im Lager entstand plötzlich Aufregung unter den Soldaten. Männer und Frauen, die murmelten, fluchten, weinten. Elena fand schnell die Quelle ihres Entsetzens – am anderen Ende des Tals.
Eins nach dem anderen, als würde eine große Hand aus Dunkelheit sie fortwischen, erloschen die Feuer im Lager des Schreckensfürsten. Die Knochentrommeln schlugen lauter.
Er war endlich eingetroffen.
Erawan selbst war gekommen, um sich das letzte Aufbäumen von Gavins Armee anzusehen.
»Sie werden nicht bis Tagesanbruch warten«, bemerkte Gavin, dessen Hand dorthin zuckte, wo Damaris an seiner Seite in der Scheide steckte.
Aber Elena hielt seinen Arm fest und spürte die harten Muskeln wie Granit unter seiner ledernen Rüstung.
Erawan war gekommen.
Vielleicht erhörten die Götter sie doch. Vielleicht hatte die feurige Seele ihrer Mutter sie überredet.
Sie betrachtete Gavins herbes, wildes Gesicht – das Gesicht, das ihr im Laufe der Zeit teurer geworden war als alle anderen. Und sie sagte: »Wir werden diese Schlacht nicht gewinnen. Und wir werden diesen Krieg nicht gewinnen.«
Sein Körper bebte, so viel Anstrengung kostete es ihn, nicht umgehend seine Kriegsherren zu informieren, aber aus tiefem Respekt ihr gegenüber blieb er und hörte ihr zu. Einem Respekt, der auf Gegenseitigkeit beruhte.
Mit ihrer freien Hand hob Elena ihre Finger in die Luft zwischen ihnen. Die rohe Magie in ihren Adern tanzte jetzt, von Flamme zu Wasser zu sich schlängelnder Ranke zu brechendem Eis. Kein endloser Abgrund wie der ihres Vaters, sondern eine vielfältige, flinke Gabe der Magie. Von ihrer Mutter verliehen. »Wir werden diesen Krieg nicht gewinnen«, wiederholte Elena. Gavins Gesicht leuchtete im Licht ihrer rohen Macht. »Aber wir können ihn ein wenig hinauszögern. Ich kann dieses Tal in ein oder zwei Stunden durchqueren.« Sie krümmte die Finger zur Faust und erstickte ihre Magie.
Gavin legte die Stirn in Falten. »Das ist Wahnsinn, Elena. Selbstmord. Seine Leutnants werden dich fangen, du wirst es nicht einmal durch die Verteidigungslinien schaffen.«
»Genau. Sie werden mich direkt zu ihm bringen, jetzt, da er hier ist. Sie werden mich als seine wertvollste Gefangene betrachten – nicht als sein Todesurteil.«
»Nein.« Ein Befehl und eine Bitte.
»Töten wir Erawan, dann geraten seine Bestien in Panik. Lange genug, dass die Streitkräfte meines Vaters eintreffen können, um sich mit unseren zu vereinen, oder dem, was an Kämpfern dann noch übrig ist. Gemeinsam können sie die feindlichen Legionen vernichten.«
»Du sagst ›töten wir Erawan‹, als wäre das eine einfache Aufgabe. Er ist ein Valg-König, Elena. Selbst wenn sie dich zu ihm bringen, wird er dich seinem Willen unterwerfen und du wirst keine Chance haben, auch nur den kleinen Finger gegen ihn zu erheben.«
Ihr Herz krampfte sich zusammen, aber sie zwang sich, die Worte auszusprechen. »Das ist der Grund, weshalb …« Sie konnte ihre zitternden Lippen nicht stillhalten. »Das ist der Grund, weshalb du mich begleiten musst, statt mit deinen Männern zu kämpfen.«
Gavin starrte sie nur an.
»Denn ich brauche …« Tränen rollten ihr über die Wangen. »Ich brauche dich als Ablenkung. Du musst mir Zeit verschaffen, an seiner inneren Verteidigungslinie vorbeizukommen.« Genauso, wie die Schlacht morgen ihnen Zeit verschaffen würde.
Denn Erawan würde sich zuerst Gavin vornehmen. Den menschlichen Krieger, der so lange eine Bastion gegen die Streitkräfte des Dunklen Herrschers gewesen war, der Krieger, der gegen ihn gekämpft hatte, als niemand sonst es hatte tun wollen … Erawans Hass auf den menschlichen Prinzen war nur vergleichbar mit seinem Hass auf ihren Vater.
Gavin musterte sie lange Sekunden, dann hob er die Hand, um ihr die Tränen von den Wangen zu streichen. »Man kann ihn nicht töten, Elena. Du hast gehört, was das Orakel deines Vaters geflüstert hat.«
Sie nickte. »Ich weiß.«
»Und selbst wenn es uns gelingt, ihn gefangen zu nehmen, ihn irgendwie einzusperren und zu bannen …« Gavin dachte über ihre Worte nach. »Du weißt, dass wir den Krieg so nur jemand anderem aufbürden – wer auch immer eines Tages dieses Land regieren wird.«
»Dieser Krieg«, antwortete sie leise, »ist nichts weiter als der zweite Zug in einem Spiel, das vor Äonen jenseits des Meeres begann.«
»Wir zögern ihn bloß hinaus, damit jemand anderer ihn erbt, falls Erawan befreit wird. Und es wird diese Soldaten dort unten nicht vor dem Gemetzel morgen retten.«
»Wenn wir nicht handeln, wird es niemanden geben, der diesen Krieg erben kann«, wandte Elena ein. Zweifel tanzten in Gavins Augen. »Schon jetzt«, drängte sie weiter, »versagt unsere Magie, lassen uns die Götter im Stich. Wenden sich von uns ab. Wir haben keine Fae-Verbündeten, abgesehen von denen in der Armee meines Vaters. Und ihre Macht schwindet, genau wie seine. Aber wenn dieser dritte Zug kommt … vielleicht werden die Spieler in unserem unbeendeten Spiel dann andere sein. Vielleicht wird es eine Zukunft sein, in der Fae und Menschen Seite an Seite kämpfen, erfüllt von Macht. Vielleicht werden sie einen Weg finden, dies zu beenden. Also werden wir diese Schlacht verlieren, Gavin«, fügte sie hinzu. »Unsere Freunde werden mit dem Morgengrauen auf diesem Schlachtfeld sterben und wir werden es als Ablenkung benutzen, um Erawan zu bannen, damit Erilea vielleicht eine Zukunft hat.«
Seine Lippen wurden schmal und seine saphirfarbenen Augen weiteten sich.
»Niemand darf davon erfahren.« Ihre Stimme brach. »Selbst wenn wir Erfolg haben, darf niemand wissen, was wir tun.«
Der Zweifel grub tiefe Linien in sein Gesicht. Sie packte seine Hand fester. »Niemand, Gavin.«
Ein gequälter Ausdruck huschte über seine Züge. Aber er nickte.
Hand in Hand schauten sie in die Dunkelheit, die über den Bergen lag, während die Knochentrommeln des Schreckensfürsten wie Hämmer auf Eisen dröhnten. Allzu bald würden diese Trommeln von den Schreien sterbender Soldaten übertönt werden. Allzu bald würden Ströme von Blut die Felder des Tals durchziehen.
Gavin sagte: »Wenn wir es tun, müssen wir jetzt aufbrechen.« Wieder blieb sein Blick auf den nahen Zelten hängen. Kein Lebewohl. Keine letzten Worte. »Ich werde Holdren den Befehl geben, morgen die Führung zu übernehmen. Er wird wissen, was er den anderen sagen soll.«
Sie nickte, und das war Bestätigung genug. Gavin ließ ihre Hand los und schritt auf das Zelt zu, das ihrem eigenen am nächsten war, wo sein teuerster Freund und treuester Kriegsherr wahrscheinlich das Beste aus seinen letzten Stunden mit seiner frischgebackenen Ehefrau machte.
Elena riss den Blick von Gavins breiten Schultern los, bevor er sich durch die schweren Zeltlaschen schob.
Sie schaute über die Feuer, über das Tal, in die Dunkelheit, die auf der anderen Seite hauste. Sie hätte schwören können, dass die Dunkelheit zurückstarrte, hätte schwören können, dass sie die tausend Wetzsteine hörte, an denen die Bestien des Schreckensfürsten ihre giftbenetzten Krallen schärften.
Sie hob den Blick zu dem rauchgeschwängerten Himmel, und als die Schwaden sich für einen Moment teilten, offenbarten sie einen mit Sternen gesprenkelten Nachthimmel.
Der Herr des Nordens spähte flackernd auf sie herab. Vielleicht das letzte Geschenk Malas an dieses Land – zumindest in diesem Zeitalter. Vielleicht ein Dankeschön an Elena selbst und ein Lebewohl.
Denn für Terrasen, für Erilea, würde Elena in die ewige Dunkelheit schreiten, die auf der anderen Seite des Tals lauerte, um ihnen allen eine Chance zu verschaffen.
Elena sandte ein letztes Gebet auf einer Rauchsäule empor, die sich vom Talboden erhob. Mochten die ungeborenen, fernen Nachkommen dieser Nacht, Erben einer Bürde, die Erilea verdammen oder retten würde, ihr das verzeihen, was sie zu tun im Begriff stand.
Elide Lochan brannten mit jedem keuchenden Atemzug die Lungen, während sie die steile, bewaldete Bergflanke hinaufhumpelte.
Unter dem durchweichten Laub, das den Boden des Oakwald Forest bedeckte, machten lose, graue Steine den Hang trügerisch, und die turmhohen Eichen ragten zu hoch über ihr auf, als dass sie sich an ihren Ästen hätte festhalten können, falls sie stolperte. Elide erreichte schließlich den zerklüfteten Kamm und ihr Bein zitterte vor Schmerz, als sie auf die Knie sackte.
Bewaldete Hügel erstreckten sich in alle Richtungen, die Bäume wie die Gitterstäbe eines nimmer endenden Käfigs.
Wochen. Es waren Wochen vergangen, seit Manon Blackbeak und die Dreizehn sie in diesem Wald zurückgelassen hatten, Wochen, seit die Schwarmführerin ihr befohlen hatte, nach Norden zu gehen. Um ihre verlorene Königin zu finden, die jetzt erwachsen und mächtig war – und auch um Celaena Sardothien zu finden, wer immer sie war, damit Elide die Lebensschuld begleichen konnte, in der sie bei Kaltain Rompier stand.
Noch Wochen später wurden ihre Träume von jenen letzten Augenblicken in Morath heimgesucht: den Wachen, die versucht hatten, sie fortzuschleppen, um ihr Valg-Nachkommen einzupflanzen, das Massaker, das die Schwarmführerin unter ihnen angerichtet hatte, und Kaltain Rompiers letzte Tat – den seltsamen, dunklen Stein, der ihr in den Arm genäht worden war, herauszuschneiden und Elide zu befehlen, ihn zu Celaena Sardothien zu bringen.
Unmittelbar bevor Kaltain Morath in eine schwelende Ruine verwandelt hatte.
Elide legte eine schmutzige, beinahe zitternde Hand auf den harten Klumpen in der Brusttasche der ledernen Flugkleidung, die sie noch immer trug. Sie hätte schwören können, dass ein schwaches Pochen auf ihrer Haut widerhallte, ein Gegenrhythmus zu ihrem eigenen rasenden Herzen.
Elide schauderte unter dem milchigen Sonnenlicht, das durch das grüne Blätterdach drang. Der Sommer lastete schwer auf der Welt und die Hitze war jetzt so drückend, dass Wasser zu ihrem kostbarsten Gut geworden war.
Das war es von Anfang an gewesen – aber jetzt drehte sich ihr ganzer Tag, ihr ganzes Leben darum.
Zum Glück gab es nach der Schneeschmelze in den Bergen im Oakwald Forest genug Flüsse und Bäche. Elide hatte auf die harte Tour lernen müssen, welches Wasser sie trinken durfte und welches nicht.
Drei Tage lang war sie dem Tod nah gewesen und hatte sich erbrochen und hohes Fieber gehabt, nachdem sie einmal von stehendem Teichwasser getrunken hatte. Drei Tage hatte sie so heftig gezittert, dass sie dachte, ihre Knochen würden bersten. Drei Tage hatte sie leise und in jämmerlicher Verzweiflung darüber geweint, dass sie hier sterben würde, allein in diesem endlosen Wald, und dass niemand es je erfahren würde.
Und während alledem hatte dieser Stein in ihrer Brusttasche gesummt und gepocht. In ihren Fieberträumen hätte sie schwören können, dass er flüsternd zu ihr sprach und Schlaflieder in Sprachen sang, von denen sie nicht glaubte, dass menschliche Zungen sie hervorbringen konnten.
Sie hatte es seither nicht mehr gehört, aber dennoch wunderte sie sich. Fragte sich, ob die meisten anderen Menschen gestorben wären.
Fragte sich, ob sie einen Segen oder einen Fluch nach Norden trug. Und ob diese Celaena Sardothien wissen würde, was damit zu tun war.
Sag ihr, dass man mit diesem Schlüssel jede Tür öffnen kann, hatte Kaltain gesagt. Wann immer Elide für eine dringend benötigte Pause innehielt, studierte sie den schimmernden, schwarzen Stein. Er sah jedenfalls nicht aus wie ein Schlüssel: grob gehauen, als wäre er aus einem größeren Steinbrocken geschlagen worden. Vielleicht waren Kaltains Worte ein Rätsel, das nur für seine Empfängerin bestimmt war.
Elide nahm ihren allzu leichten Rucksack von den Schultern und riss die Leinwandlasche auf. Ihr war vor einer Woche das Essen ausgegangen und seither suchte sie nach Beeren. Sie waren ihr alle fremd, aber das Wispern einer Erinnerung an die Jahre mit ihrer Amme, Finnula, hatte sie gemahnt, die Beeren zuerst über ihr Handgelenk zu reiben – um festzustellen, ob sie irgendeine Reaktion hervorriefen.
Viel zu oft taten sie es.
Aber ab und an stolperte sie über einen Busch, der sich unter der Last der richtigen Beeren bog, und sie tat sich an ihnen gütlich, bevor sie ihren Rucksack damit füllte. Elide stöberte in der rosa und blau befleckten Tasche und holte die letzte Handvoll Beeren heraus, eingewickelt in ihr Ersatzhemd, dessen weißer Stoff jetzt rot und purpurn verfärbt war.
Eine Handvoll Beeren, die reichen musste, bis sie ihre nächste Mahlzeit fand.
Hunger nagte an ihr, aber Elide aß nur die Hälfte. Vielleicht würde sie weitere finden, bevor sie für die Nacht Rast machte.
Sie wusste nicht, wie man jagte – und der Gedanke, ein anderes Lebewesen zu fangen, ihm das Genick zu brechen oder ihm mit einem Stein den Schädel einzuschlagen … so verzweifelt war sie noch nicht.
Vielleicht bedeutete das, dass sie doch keine Blackbeak war, trotz der verborgenen Blutlinie ihrer Mutter.
Elide leckte sich den Beerensaft von den Fingern, mit Dreck und allem, und stöhnte, als sie sich auf ihre steifen, schmerzenden Beine erhob. Sie würde ohne Nahrung nicht lange durchhalten, aber sie konnte es nicht riskieren, sich mit dem Geld, das Manon ihr gegeben hatte, in ein Dorf zu wagen oder sich einem der Feuer der Jäger zu nähern, die sie während der letzten Wochen entdeckt hatte.
Nein – sie hatte genug von der Freundlichkeit und Gnade von Männern gesehen. Sie würde nie die lüsternen Blicke vergessen, mit denen diese Wachen ihren nackten Körper betrachtet hatten, würde nie vergessen, warum ihr Onkel sie an Herzog Perrington verkauft hatte.
Unter Schmerzen warf sie sich ihren Rucksack über die Schultern und stieg vorsichtig den Hang jenseits des Hügels hinab, einen Weg zwischen den Felsen und Wurzeln suchend.
Vielleicht war sie irgendwo falsch abgebogen. Woher sollte sie überhaupt wissen, wann sie die Grenze nach Terrasen überquerte?
Und wie sollte sie jemals ihre Königin finden – ihren Hof?
Elide schob die Gedanken von sich, hielt sich im Zwielicht des Waldes und mied die sonnenbeschienenen Lichtungen. Das würde sie nur noch durstiger machen.
Sie musste dringend Wasser finden, bevor die Dunkelheit hereinbrach. Das war noch wichtiger, als etwas zu essen.
Endlich erreichte sie den Fuß des Hügels. Vor ihr erstreckte sich ein ausgetrocknetes Flussbett, das sich durch das Tal schlängelte. Es machte eine scharfe Biegung – nach Norden. Sie seufzte erleichtert. Anneith sei gedankt. Zumindest hatte die Herrin der Weisheit sich noch nicht von ihr abgewandt.
Sie würde dem Flussbett so lange wie möglich folgen, sich gen Norden halten und dann …
Irgendetwas stimmte nicht. Elide wusste nicht genau, mit welchem ihrer Sinne sie darauf aufmerksam wurde. Nichts an der Fäulnis des Lehmbodens, am Sonnenlicht, an den Steinen und dem Wispern der Blätter weit über ihr war irgendwie ungewöhnlich.
Dennoch. Als wäre ein Faden in einem großen Bildteppich gerissen, spannte sich ihr Körper an.
Einen Moment später verstummten das Summen und Rascheln des Waldes.
Elide suchte mit Blicken die Hügel ab, das Flussbett. Die Wurzeln einer nahe gelegenen Eiche ragten aus der grasbewachsenen Hügelflanke heraus und formten ein Dach aus Holz und Moos über dem toten Fluss. Perfekt.
Sie humpelte darauf zu; ihr zerstörtes Bein schrie, Steine klapperten und rissen an ihren Knöcheln. Sie konnte schon fast die Spitzen der Wurzeln berühren, als das erste hohle Dröhnen widerhallte.
Kein Donner. Nein, dieses spezielle Geräusch würde sie nie vergessen – denn es verfolgte sie ebenso in ihren Träumen, im Wachsein wie im Schlaf.
Das Schlagen mächtiger, ledriger Flügel. Wyvern.
Und womöglich noch tödlicher: die Ironteeth-Hexen, die sie ritten, mit Sinnen, so scharf und fein abgestimmt wie die ihrer Reittiere.
Elide stürzte auf den Überhang dicker Wurzeln zu, als die Flügelschläge näher kamen, der Wald so still wie ein Friedhof. Steine und Stöcke zerkratzten ihre bloßen Hände und sie schlug sich die Knie auf dem steinigen Boden auf, als sie sich in den Hang drückte und durch das Gitterwerk der Wurzeln zum Blätterdach hochspähte.
Ein Flügelschlag – dann ein weiterer, nicht einmal einen Herzschlag später. So synchron, dass jeder andere vielleicht dachte, es wäre nur ein Echo, aber Elide wusste Bescheid: zwei Hexen.
Sie hatte in ihrer Zeit in Morath genug mitbekommen, um zu wissen, dass die Ironteeth Befehl hatten, ihre Zahlen geheim zu halten. Sie flogen in perfekt gespiegelter Formation, damit lauschende Ohren vielleicht nur einen Wyvern meldeten.
Aber diese zwei waren nachlässig. Oder so nachlässig, wie eine der unsterblichen, todbringenden Hexen es sein konnte. Zirkelmitglieder aus den unteren Rängen vielleicht. Auf Kundschaftermission.
Oder sie machen Jagd auf irgendjemanden, flüsterte eine kleine, verängstigte Stimme in ihrem Kopf.
Elide drückte sich fester in die Erde und Wurzeln bohrten sich in ihren Rücken, während sie die Baumkronen nicht aus den Augen ließ.
Da. Der Schatten einer sich schnell bewegenden, massigen Gestalt glitt direkt über den Baumwipfeln entlang und ließ die Blätter rascheln. Ein ledriger Flügel, der in eine gebogene, giftbenetzte Klaue mündete, blitzte im Sonnenlicht auf.
Nur selten waren sie jemals bei Tageslicht unterwegs. Worauf auch immer sie Jagd machten – es musste wichtig sein.
Elide wagte es nicht, zu laut zu atmen, bis diese Flügelschläge in nördlicher Richtung verklangen.
Auf die Ferianschlucht zu – wo, wie Manon erwähnt hatte, die zweite Hälfte der Heerschar lagerte.
Elide bewegte sich erst, als das Summen und Zwitschern des Waldes wieder einsetzte. Nachdem sie so lange stillgehalten hatte, waren ihre Muskeln verkrampft und sie stöhnte, als sie die Beine ausstreckte, dann die Arme und die Schultern kreisen ließ.
Endlos – diese Reise war endlos. Sie hätte alles gegeben für ein sicheres Dach über dem Kopf. Und eine warme Mahlzeit. Vielleicht war es das Risiko wert, danach zu suchen, und sei es auch nur für eine einzige Nacht.
Elide bahnte sich einen Weg durch das knochentrockene Flussbett und kam genau zwei Schritte weit, bevor dieser Sinn-der-kein-Sinn-war wieder anschlug, als hätte eine warme, weibliche Hand ihre Schulter ergriffen, damit sie stehen blieb.
Das knorrige Holz summte von Leben. Aber sie konnte es spüren – konnte spüren, dass dort draußen etwas war.
Keine Hexen oder Wyvern oder Bestien. Aber irgendjemand – irgendjemand beobachtete sie.
Irgendjemand folgte ihr.
Elide zog unauffällig einen der Dolche aus der Scheide, die Manon ihr gegeben hatte, als sie diesen erbärmlichen Wald verlassen hatte.
Sie wünschte, die Hexe hätte ihr beigebracht, wie man tötete.
Lorcan Salvaterre lief jetzt seit zwei Tagen vor diesen götterverdammten Biestern davon.
Er machte ihnen keinen Vorwurf. Die Hexen waren sauer gewesen, als er sich in tiefster Nacht in ihr Waldlager geschlichen hatte. Er hatte drei ihrer Wächterinnen niedergemetzelt, ohne dass sie oder ihre Reittiere es bemerkt hatten, und er hatte eine vierte zwischen die Bäume geschleppt, um sie zu befragen.
Zwei Stunden hatte er gebraucht, um die Yellowlegs-Hexe zu brechen, so tief in den Gängen einer Höhle versteckt, dass nicht einmal ihre Schreie zu hören gewesen waren. Zwei Stunden, und dann hatte sie für ihn gesungen.
Zwillingsarmeen der Hexen standen jetzt bereit, um den Kontinent einzunehmen: eine in Morath, eine in der Ferianschlucht. Die Yellowlegs wusste nichts von der Macht, über die Herzog Perrington gebot – wusste nichts von dem, worauf Lorcan Jagd machte: die beiden anderen Wyrdschlüssel, die Geschwister desjenigen, den er an einer langen Kette um den Hals trug. Drei Steinsplitter, abgeschlagen von einem unheiligen Wyrdtor, jeder dieser Schlüssel befähigte zu gewaltiger und schrecklicher Macht. Und wenn alle drei Wyrdschlüssel vereint waren, konnten sie dieses Tor zwischen den Welten öffnen. Konnten sie diese Welten vernichten – oder ihre Armeen beschwören. Und viel, viel Schlimmeres.
Lorcan hatte der Hexe die Gnade eines schnellen Todes gewährt.
Seither dürsteten ihre Schwestern nach seinem Blut.
Während er in einem Dickicht an der Seite eines steilen Abhangs hockte, beobachtete Lorcan, wie das Mädchen sich zwischen den Wurzeln herauswand. Er hatte sich als Erster hier versteckt und dem Lärm ihres unbeholfenen Herannahens gelauscht, und er hatte mitbekommen, wie sie stolperte und humpelte, als sie endlich gehört hatte, dass etwas auf sie zugerauscht kam.
Sie war von zarter Statur, so klein, dass er vielleicht gedacht hätte, sie wäre noch ein Kind, wären da nicht die vollen Brüste unter ihrer eng anliegenden Ledermontur gewesen.
Diese Kleider hatten sofort sein Interesse geweckt. Die Yellowlegs hatten ähnliche Gewänder getragen – genau wie alle anderen Hexen. Doch dieses Mädchen war menschlich.
Und als sie sich in seine Richtung umwandte, suchten ihre dunklen Augen den Wald mit einem so prüfenden Ausdruck ab, der zu alt, zu geübt war, um einem Kind zu gehören. Mindestens achtzehn – vielleicht älter. Ihr bleiches Gesicht war schmutzig und ausgezehrt. Wahrscheinlich war sie schon seit einer ganzen Weile hier und hatte Mühe, Nahrung zu finden. Und das Messer in ihrer Hand zitterte so sehr, dass die Vermutung nahelag, dass sie keine Ahnung hatte, was sie damit anstellen sollte.
Lorcan blieb in seinem Versteck und beobachtete, wie sie den Blick über die Hügel wandern ließ, den Fluss, die Baumkronen.
Irgendwie wusste sie, dass er hier draußen war.
Interessant. Wenn er versteckt bleiben wollte, konnten ihn normalerweise nur wenige finden.
Jeder Muskel ihres Körpers war angespannt – aber sie hörte auf, die Schlucht abzusuchen, zwang einen leisen Atemzug durch ihre geschürzten Lippen und setzte ihren Weg fort. Entfernte sich von ihm.
Jeder Schritt war ein Humpeln; sie hatte sich wahrscheinlich verletzt, als sie durch die Bäume gekracht war.
Ihr Zopf hüpfte gegen ihren Rucksack, ihr seidiges Haar dunkel wie sein eigenes. Noch dunkler. Schwarz wie eine sternlose Nacht.
Der Wind drehte und wehte ihren Duft zu ihm herüber und Lorcan atmete ihn ein, gestattete seinen Fae-Sinnen – den Sinnen, die er von seinem Mistkerl von Vater geerbt hatte –, abzuschätzen und zu analysieren, wie sie es seit über fünf Jahrhunderten taten.
Menschlich. Definitiv menschlich, aber …
Er kannte diesen Geruch.
Während der vergangenen Monate hatte er viele, viele Kreaturen abgeschlachtet, die den gleichen Gestank verströmten.
Nun, war das nicht günstig? Vielleicht ein Geschenk von den Göttern: jemand Nützliches, den er befragen konnte. Aber später – sobald er Gelegenheit gehabt hatte, sie zu studieren. Ihre Schwächen kennenzulernen.
Lorcan löste sich aus dem Dickicht und nicht einmal ein Zweig raschelte bei seiner Bewegung.
Das von Dämonen besessene Mädchen humpelte das Flussbett entlang, das nutzlose Messer immer noch in der Hand. Gut.
Und so begann Lorcan seine Jagd.
Das Plätschern des Regens, der auf das Blätterdach des nebelverhangenen Oakwald Forest trommelte, übertönte beinahe das Gurgeln des angeschwollenen Flusses, der sich seinen Weg zwischen den Erhebungen und Kuhlen hindurchbahnte.
Aelin Ashryver Galathynius, die neben dem Bach hockte, leere Wasserschläuche vergessen auf dem moosbewachsenen Ufer, streckte eine vernarbte Hand über das schnell fließende Wasser aus und ließ das Lied des frühmorgendlichen Sturms über sie hinwegfluten.
Das Dröhnen der vom Donner zerrissenen Gewitterwolken und die sengenden Blitze hatten seit einer Stunde vor Morgengrauen einen rasenden Takt vorgegeben, der sich jetzt allmählich beruhigte, ebenso wie Aelins lodernder Kern an Magie.
Sie atmete den kühlen Nebel und den Geruch des frischen Regens ein, sog sie tief in die Lungen. Ihre Magie reagierte mit einem Flackern, als gähnte sie ein Guten Morgen, und rollte sich dann auf die Seite, um weiterzuschlafen.
In der Tat schliefen ihre Gefährten im Lager noch, vor dem Sturm geschützt durch einen unsichtbaren Schild, den Rowan beschworen hatte, und gegen die nördliche Kälte gewärmt, die selbst auf der Höhe des Sommers vorherrschte, von einer fröhlichen, rubinroten Flamme, die Aelin die ganze Nacht über hatte brennen lassen. Diese Flamme aufrechtzuerhalten, während sie gleichzeitig die Gabe des Wassers beschwor, das Erbe ihrer Mutter, hatte sich als schwierig erwiesen.
Aelin öffnete und schloss die Finger über dem Fluss.
Am anderen Ufer, auf einem moosbewachsenen Felsbrocken, der sich an eine Eiche schmiegte, öffneten und schlossen sich zwei winzige, knochenweiße Finger, ein Spiegel ihrer eigenen Bewegungen.
Aelin lächelte und sagte so leise, dass ihre Worte im Rauschen des Flusses und des Regens kaum hörbar waren: »Wenn du irgendwelche Tipps hast, Freund, würde ich sie liebend gern hören.«
Die spindeldürren Finger huschten oben über den Felsen zurück – in den, wie in so viele Steine in diesen Wäldern, Symbole und Wirbel eingeritzt waren.
Das Kleine Volk war ihnen gefolgt, seit sie die Grenze nach Terrasen überquert hatten. Unsere Eskorte, hatte Aedion behauptet, wann immer sie große, unergründliche Augen entdeckten, die aus einem Gewirr von Dornensträuchern blinzelten oder durch das dichte Blätterdach eines der mächtigen Bäume des Oakwalds spähten. Sie waren jedoch nie so nah herangekommen, dass Aelin sie auch nur ein einziges Mal hätte deutlich sehen können.
Aber sie hatten kleine Geschenke gleich außerhalb der Grenzen von Rowans nächtlichen Schilden hinterlassen, ohne demjenigen von ihnen, der gerade Wache hielt, aufzufallen.
Eines Morgens war es ein Kranz aus Waldveilchen gewesen. Aelin hatte ihn Evangeline gegeben, die den Kranz auf ihrem rotgoldenen Schopf getragen hatte, bis er auseinandergefallen war. Am nächsten Morgen warteten zwei Kränze: einer für Aelin und ein kleinerer für das vernarbte Mädchen. An einem anderen Tag hinterließ das Kleine Volk eine Nachbildung von Rowans Habichtgestalt, gefertigt aus gesammelten Spatzenfedern, Eicheln und den leeren Panzern von Käfern. Ihr Fae-Prinz hatte gelächelt, als er sie gefunden hatte – und trug sie seither in seiner Satteltasche mit sich.
Die Erinnerung daran ließ auch Aelin lächeln. Obwohl die ständige Beobachtung durch das Kleine Volk gewisse Dinge schwieriger gemacht hatte … Es war jedenfalls weniger romantisch, sich mit Rowan zwischen die Bäume zu schleichen, wenn sie wussten, dass sie ein Publikum hatten. Oder wenn Aedion und Lysandra ihre stummen, glühenden Blicke so leid wurden, dass die beiden sich dürftige Vorwände ausdachten, um Aelin und Rowan für ein Weilchen außer Sicht- und Riechweite zu schaffen: Die Dame hatte ihr nicht existentes Taschentuch vor einer ganzen Weile auf dem nicht existenten Pfad fallen lassen; sie brauchten mehr Holzscheite für ein Feuer, das kein Holz benötigte, um zu brennen.
Und was ihr gegenwärtiges Publikum betraf …
Aelin spreizte die Finger über dem Fluss und ließ ihr Herz so still werden wie ein sonnengewärmter Waldteich, ließ ihren Geist seine normalen Fesseln sprengen.
Ein Band aus Wasser flatterte aus dem Fluss nach oben, grau und klar, und Aelin wand es zwischen den gespreizten Fingern hindurch, als fädelte sie einen Webstuhl ein.
Sie drehte das Handgelenk und bewunderte, wie sie ihre Haut durch das Wasser sehen konnte, ließ es an ihrer Hand hinunterfließen und sich um ihr Handgelenk winden. Sie sagte zu dem Feenwesen, das von jenseits des Felsens zuschaute: »Das gibt nicht viel her, um deinen Gefährten davon zu berichten, wie?«
Hinter ihr waren plötzlich Schritte zu hören. Aelin wusste, dass Rowan das absichtlich tat; wenn er wollte, war er völlig lautlos. »Vorsicht, sonst legen sie dir beim nächsten Mal etwas Feuchtes und Kaltes in deinen Schlafsack.«
Aelin zwang sich, das Wasser in den Strom zurückfließen zu lassen, bevor sie über eine Schulter schaute. »Glaubst du, man kann sich etwas von ihnen wünschen? Denn inzwischen würde ich mein Königreich für ein heißes Bad hergeben.«
Rowans Blick funkelte, als sie sich anmutig erhob. Sie ließ den Schild sinken, den sie um sich herum errichtet hatte, um trocken zu bleiben, und der Dampf der unsichtbaren Flamme vermischte sich mit dem Nebel um sie herum. Der Fae-Prinz hob eine Augenbraue. »Sollte ich mir Sorgen machen, weil du so früh am Morgen schon so gesprächig bist?«
Sie verdrehte die Augen und wandte sich dem Felsen zu, auf dem das Feenwesen Aelins lausige Versuche, Wasser zu meistern, beobachtet hatte. Aber nur regennasse Blätter und wabernder Nebel waren geblieben.
Rowans starke Hände strichen über ihre Taille, zogen sie von hinten in seine Wärme hinein, und seine Lippen streiften ihren Hals, direkt unter ihrem Ohr.
Aelin schmiegte sich mit dem Rücken an ihn, während sein Mund über ihre Kehle wanderte und ihre vom Nebel gekühlte Haut erwärmte. »Dir auch einen guten Morgen«, hauchte sie.
Das Brummen, mit dem Rowan antwortete, ging ihr durch Mark und Bein.
Sie hatten es nicht gewagt, in einem Rasthaus haltzumachen, selbst nachdem sie vor drei Tagen Terrasen erreicht hatten. Nicht solange noch immer so viele feindliche Augen auf die Straßen und Schankräume gerichtet waren. Nicht solange endlich Ströme von adarlanischen Soldaten aus Aelins von den Göttern verdammtem Reich hinausmarschierten – dank Dorians Erlassen.
Vor allem da diese Soldaten genauso gut wieder hierher zurückmarschieren konnten, sollten sie sich dafür entscheiden, dem Ungeheuer in Morath zu folgen statt ihrem wahren König.
»Wenn du so dringend ein Bad nehmen willst«, murmelte Rowan dicht an ihrem Hals, »ich habe ungefähr eine Viertelmeile hinter uns einen Teich entdeckt. Du könntest ihn erhitzen – für uns beide.«
Sie strich mit den Fingernägeln über seine Handrücken, an seinen Unterarmen hinauf. »Ich würde alle Fische und Frösche darin kochen. Ich bezweifle, dass es dann sehr angenehm dort wäre.«
»Zumindest hätten wir dann ein fertig zubereitetes Frühstück.«
Sie lachte leise und Rowans Eckzähne kratzten über die empfindliche Stelle zwischen ihrem Hals und ihrer Schulter. Aelin grub die Finger in die kräftigen Muskeln seiner Unterarme und genoss die ihnen innewohnende Kraft. »Die Lords werden nicht vor Sonnenuntergang hier sein. Wir haben noch Zeit.« Ihre Worte waren atemlos, kaum mehr als ein Flüstern.
Als sie die Grenze überquert hatten, hatte Aedion Boten zu den wenigen Lords geschickt, denen er vertraute, und das Treffen vorbereitet, das heute stattfinden sollte – auf dieser Lichtung, die Aedion all die langen Jahre über selbst für heimliche Rebellentreffen genutzt hatte.
Sie waren frühzeitig eingetroffen, um das Gelände zu erkunden. Es gab keinerlei Spuren irgendwelcher Menschen: Aedion und die Bane hatten immer dafür gesorgt, dass alle Hinweise auf heimliche Treffen beseitigt wurden, bevor unfreundliche Blicke darauf fielen. Ihr Cousin und seine legendäre Legion hatten während des vergangenen Jahrzehnts so viel dazu beigetragen, die Sicherheit Terrasens zu gewährleisten. Und sie gingen noch immer keine Risiken ein, nicht einmal mit den Lords, die einst Gefolgsleute unter der Fahne ihres Onkels gewesen waren.
»So verführerisch das auch sein mag«, sagte Rowan, der an ihrem Ohr knabberte und ihr das Denken damit schier unmöglich machte, »aber ich muss in einer Stunde aufbrechen.« Um den Weg vor ihnen auf mögliche Gefahren abzusuchen. Federzarte Küsse streiften ihr Kinn, ihre Wange. »Und was ich gesagt habe, gilt immer noch. Unser erstes Mal soll nicht an einen Baum gepresst stattfinden.«
»Es wäre nicht an einem Baum – es wäre in einem Teich.« Ein dunkles Lachen auf ihrer nun brennenden Haut. Es kostete sie Anstrengung, nicht nach seinen Händen zu greifen und sie zu ihren Brüsten hochzuleiten, ihn anzubetteln, sie zu berühren, zu nehmen, zu kosten. »Weißt du, ich glaube langsam, dass du ein Sadist bist.«
»Glaub mir, mir fällt es auch nicht leicht.« Er zog sie von hinten ein wenig fester an sich und ließ sie den Beweis für seine Worte eindrucksvoll auf ihrem Rücken spüren.
Dann zog Rowan sich zurück und sie runzelte die Stirn bei dem Verlust seiner Wärme, dem Verlust seiner Hände, seines Körpers und seines Mundes. Als sie sich umdrehte, fand sie den Blick seiner kieferngrünen Augen auf sich gerichtet und die Erregung blitzte heller als jede Magie durch ihr Blut.
Aber er sagte: »Warum bist du so früh bei so klarem Verstand?«
Sie streckte ihm die Zunge heraus. »Ich habe die Wache für Aedion übernommen, da Lysandra und Fleetfoot laut genug geschnarcht haben, um Tote zu wecken.« Rowans Mundwinkel huschten nach oben, aber Aelin zuckte die Achseln. »Ich konnte ohnehin nicht schlafen.«
Sein Kiefer verspannte sich, als er dorthin schaute, wo das Amulett unter ihrem Hemd und der dunklen Lederjacke verborgen war. »Stört dich der Wyrdschlüssel?«
»Nein, das ist es nicht.« Sie hatte sich angewöhnt, das Amulett zu tragen, nachdem Evangeline einmal ihre Satteltaschen geplündert und die Halskette angelegt hatte. Sie hatten es nur entdeckt, weil das Kind, nachdem es sich gewaschen hatte, stolz mit dem Amulett von Orynth über seinen Reisekleidern zurückgekehrt war. Den Göttern sei Dank, dass sie damals tief im Oakwald gewesen waren, aber – Aelin ging keine weiteren Risiken ein.
Vor allem da Lorcan immer noch glaubte, das echte Amulett in seinem Besitz zu haben.
Sie hatten von dem unsterblichen Krieger nichts mehr gehört, seit er Rifthold verlassen hatte, und Aelin fragte sich oft, wie weit nach Süden er es geschafft hatte – ob er schon erkannt hatte, dass er einen falschen Wyrdschlüssel in dem gleichermaßen falschen Amulett von Orynth trug. Ob er entdeckt hatte, wo der König von Adarlan und Herzog Perrington die beiden anderen versteckt hatten.
Nicht Perrington – Erawan.
Ein Frösteln kroch ihr den Rücken hinunter, als hätte der Schatten Moraths hinter ihr Gestalt angenommen und ihr mit einem krallenbewehrten Finger über die Wirbelsäule gestrichen.
»Es ist bloß … dieses Treffen.« Aelin wedelte mit der Hand. »Hätten wir es in Orynth abhalten sollen? Sich hier draußen im Wald zu treffen, kommt mir wie eine schäbige Nacht-und-Nebel-Aktion vor.«
Rowans Blick wanderte abermals zum nördlichen Horizont. Es lag noch mindestens eine Woche zwischen ihnen und der Stadt – dem einst glorreichen Herzen ihres Königreichs. Dieses Kontinents. Und wenn sie dort ankamen, würde ein endloser Strom von Ratsversammlungen und Vorbereitungen und Entscheidungen warten, die nur Aelin fällen konnte. Dieses Treffen, das Aedion arrangiert hatte, würde nur der Anfang sein. Immerhin hatte er sie während der vergangenen Wochen bereits mit den Lords, die daran teilnehmen würden, vertraut gemacht.
»Besser, mit klar benannten Verbündeten in die Stadt einzuziehen, als sie zu betreten, ohne zu wissen, was uns dort erwartet«, sagte Rowan schließlich. Er schenkte ihr ein schiefes Lächeln und richtete einen vielsagenden Blick auf Goldryn, das quer über ihren Rücken geschnallt war, und auf die verschiedenen Messer, die sie gegürtet hatte. »Außerdem«, fügte er hinzu, »dachte ich immer, dass du Nacht-und-Nebel-Aktionen liebst.«
Sie beantwortete diese Aussage mit einer unmissverständlichen Geste.
Aedion war nicht nur vorsichtig bei der Wahl des Treffpunkts gewesen, sondern auch bei seinen Nachrichten an die Lords. Obwohl er ihnen vertraute, hatte er sie im Dunkeln darüber gelassen, wie viele in ihrer Gruppe reisten – und welche Talente sie hatten. Nur für alle Fälle.
Auch wenn Aelin die Trägerin einer Waffe war, die dieses ganze Tal hätte auslöschen können, zusammen mit den grauen Staghorns, die darüber wachten. Und das war nur ihre Magie.
Rowan spielte mit einer Strähne ihres Haares – das ihr wieder bis über die Schultern reichte. »Du machst dir Sorgen, weil Erawan sich noch nicht gerührt hat.«
Sie sog scharf die Luft ein. »Worauf wartet er? Sind wir Narren, dass wir eine Einladung erwarten, gegen ihn loszuziehen? Oder erlaubt er es uns, unsere Kräfte zu bündeln, erlaubt er es mir, mit Aedion zurückzukehren, um die Bane zu holen und daneben noch eine größere Armee auszuheben, nur damit er sich an unserer maßlosen Verzweiflung weiden kann, wenn wir scheitern?«
Rowans Finger in ihrem Haar erstarrten. »Du hast Aedions Boten gehört. Diese Explosion hat einen ordentlichen Teil von Morath vernichtet. Er baut es vielleicht selbst wieder auf.«
»Niemand hat sich zu dieser Explosion bekannt. Ich traue der Sache nicht.«
»Du traust nichts und niemandem.«
Sie sah ihm in die Augen. »Ich traue dir.«
Rowan strich ihr mit einem Finger über die Wange. Der Regen war wieder stärker geworden, sein leises Plätschern meilenweit das einzige Geräusch.
Aelin stellte sich auf die Zehenspitzen. Sie spürte die ganze Zeit Rowans Blicke auf sich, spürte, wie sein Körper mit raubtierhafter Konzentration ganz reglos wurde, als sie seinen Mundwinkel küsste, die Wölbung seiner Lippen, den anderen Mundwinkel.
Sanfte, quälende Küsse. Dazu gedacht herauszufinden, wer von ihnen beiden als Erster einknickte.
Es war Rowan.
Er schnappte scharf nach Luft, packte ihre Hüften und zog sie an sich, während er seinen Mund auf ihren drückte und den Kuss vertiefte, bis ihre Knie unter ihr nachzugeben drohten. Seine Zunge streifte ihre – sanfte, sichere Bewegungen, die ihr ganz genau verrieten, wie es sich mit ihm anfühlen würde.
Ihr Blut fing Feuer und das Moos unter ihnen zischte, als der Regen sich in Dampf verwandelte.
Aelin löste sich aus dem Kuss, schwer atmend und zufrieden, festzustellen, dass Rowans Brust sich in einem ungleichmäßigen Rhythmus hob und senkte. So neu – diese Sache zwischen ihnen war immer noch so neu, so roh. Es verzehrte sie vollkommen. Das Verlangen war nur der Anfang.
Rowan ließ ihre Magie singen. Und vielleicht war es das Carranam-Band zwischen ihnen, aber ihre Magie wollte mit seiner tanzen. Und nach dem Frost zu urteilen, der in seinen Augen funkelte, wusste sie, dass die seine das Gleiche verlangte.
Rowan beugte sich vor, bis seine Stirn ihre berührte. »Bald«, versprach er, seine Stimme rau und leise. »Lass uns irgendwohin gelangen, wo es sicher ist – an einen Ort, der sich verteidigen lässt.«
Weil für ihn ihre Sicherheit immer an erster Stelle stehen würde. Für ihn würde es immer an erster Stelle stehen, sie zu beschützen, sie am Leben zu erhalten.
Ihr Herz zog sich zusammen und sie wich zurück, um eine Hand an sein Gesicht zu legen. Rowan las die Sanftheit in ihren Augen, in ihrem Körper, und seine eigene angeborene Wildheit wich einer Sanftmut, die nur sehr wenige jemals sehen würden. Ihre Kehle schmerzte von der Anstrengung, die Worte zurückzuhalten.
Sie war schon seit einer ganzen Weile in ihn verliebt. Länger, als sie sich eingestehen wollte.
Sie versuchte, nicht darüber nachzudenken, ob er genauso empfand. Diese Dinge – diese Wünsche – standen ganz unten auf einer sehr, sehr langen und blutigen Liste von Prioritäten.
Also küsste Aelin Rowan sanft und seine Hände schlossen sich einmal mehr um ihre Hüften.
»Feuerherz«, sagte er dicht an ihrem Mund.
»Habicht«, murmelte sie an seinem.
Rowan lachte und das Grollen hallte in ihrer Brust wider.
Aus dem Lager zwitscherte Evangelines süße Stimme durch den Regen: »Ist es Zeit fürs Frühstück?«
Aelin schnaubte. Und tatsächlich, Fleetfoot und Evangeline stupsten jetzt die arme Lysandra an, die sich neben dem unsterblichen Feuer als Geisterleopard ausgestreckt hatte. Aedion lag auf der anderen Seite des Feuers, so reglos wie ein Steinbrocken. Fleetfoot würde ihn wahrscheinlich als Nächstes anspringen.
»Das kann kein gutes Ende nehmen«, murmelte Rowan.
Evangeline heulte: »Eeeeeessen!« Das Jaulen, mit dem Fleetfoot antwortete, folgte einen Moment später.
Dann bebte die Luft von Lysandras Knurren, das Mädchen und Hund zum Schweigen brachte.
Rowan lachte wieder – und Aelin wusste, dass sie dieses Lachen niemals leid werden würde. Dieses Lächeln.
»Wir sollten Frühstück machen«, sagte er und wandte sich dem Lager zu, »bevor Evangeline und Fleetfoot die ganze Lagerstätte plündern.«
Aelin kicherte, schaute aber noch ein letztes Mal über ihre Schulter – zu dem Wald, der sich bis zu den Staghorns erstreckte – und zu den Lords, die hoffentlich bereits auf dem Weg nach Süden waren – um zu entscheiden, wie sie mit dem drohenden Krieg umgehen würden … und damit, ihre zerstörten Königreiche wieder aufzubauen.
Als sie zurückschaute, hatte Rowan das Lager fast erreicht. Evangelines rotgoldenes Haar blitzte auf, als sie zwischen die tropfenden Bäume hüpfte und den Prinzen um Toast und Eier anbettelte.
Ihre Familie – und ihr Königreich.
Zwei Träume, die sie lange verloren geglaubt hatte, begriff sie, als der nördliche Wind ihr das Haar zerzauste. Zu deren Schutz sie alles tun würde – sich verkaufen, sich zugrunde richten.
Aelin wollte gerade ins Lager aufbrechen, um Evangeline Rowans Kochkünste zu ersparen, als sie den Gegenstand auf dem Felsbrocken am anderen Ufer des Baches bemerkte.
Mit einem Satz war sie auf der anderen Seite und besah sich sorgfältig, was die Fee zurückgelassen hatte.
Geformt aus Zweigen, Spinnweben und Fischschuppen, war der winzige Wyvern genau getroffen, seine Flügel weit gespreizt und sein Maul mit den Dornenfangzähnen zum Brüllen geöffnet.
Aelin ließ den Wyvern, wo er war, aber sie wandte ihren Blick nach Süden, auf die uralten Baumkronen des Oakwalds und auf Morath, das weit dahinter aufragte. Dort lauerte Erawan, der wiedergeborene König, der sie mit seiner Heerschar von Ironteeth-Hexen und Valg-Fußsoldaten erwartete.
Und Aelin Galathynius, Königin von Terrasen, wusste, dass die Zeit bald kommen würde zu beweisen, wie sehr sie für Erilea zu bluten bereit war.
Es war praktisch, dachte Aedion Ashryver, mit zwei begabten Magiern zu reisen. Vor allem bei so saumäßigem Wetter.
Die Regenfälle hielten den ganzen Tag an, während sie sich auf das Treffen vorbereiteten. Rowan war schon zweimal nach Norden geflogen, um das Vorankommen der Lords zu überwachen, hatte sie aber weder gesehen noch gewittert.
Niemand wagte sich bei diesem Wetter auf die berüchtigten schlammigen Straßen von Terrasen. Doch da Ren Allsbrook Teil der Reisegesellschaft war, hatte Aedion kaum Zweifel, dass sie sich ohnehin bis Sonnenuntergang im Verborgenen halten würden. Es sei denn, das Wetter hatte sie aufgehalten. Was durchaus sein konnte.
Donner krachte, so nah, dass die Bäume bebten. Blitze zuckten mit wenigen Atempausen auf und zeichneten die durchweichten Blätter in Silber, beleuchteten die Welt so grell, dass seine Fae-Sinne geblendet wurden. Aber zumindest war er trocken. Und er hatte es warm.
Sie hatten sich so gründlich abseits von Städten, Dörfern und geschäftigen Straßen gehalten, dass Aedion nicht einschätzen konnte, wie viele Magiekundige aus ihren Verstecken gekrochen waren – oder wer jetzt alles die Rückkehr seiner magischen Gaben genoss. Er hatte nur einmal ein kleines Mädchen gesehen, nicht älter als neun, das Wasserranken über dem einsamen Springbrunnen ihres Dorfes gewebt hatte, zur Unterhaltung und zum Entzücken einer Traube von Kindern.
Erwachsene hatten mit unbewegten Mienen das Treiben aus den Schatten verfolgt, aber keiner hatte eingegriffen, weder im Guten noch im Bösen. Aedions Boten hatten bereits bestätigt, dass die meisten Menschen jetzt wussten, dass der König von Adarlan seine dunklen Kräfte benutzt hatte, um während der letzten zehn Jahre die Magie zu unterdrücken. Aber trotzdem bezweifelte er, dass jene, die erst unter ihrem Verlust und dann unter der Auslöschung ihrer Art gelitten hatten, ihre Kräfte in absehbarer Zeit unbefangen zeigen würden.
Zumindest bis Leute wie seine Gefährten und dieses Mädchen auf dem Dorfplatz der Welt zeigten, dass es ungefährlich war, seine Magie anzuwenden. Dass ein Mädchen mit einer Gabe für Wasser ein Segen für ihr Dorf war und das umliegende Ackerland gedeihen lassen konnte.
Aedion schaute stirnrunzelnd in den sich verdunkelnden Himmel und drehte müßig das Schwert von Orynth zwischen den Händen. Noch bevor die Magie verschwunden war, hatte man eine Art mehr gefürchtet als alle anderen. Die Träger dieser Gabe waren bestenfalls Ausgestoßene gewesen, schlimmstenfalls tot. An den Höfen aller Länder waren sie jahrhundertelang als Spione und Assassinen verfolgt worden. Aber an seinem Hof …
Ein entzücktes kehliges Schnurren grollte durch ihr kleines Lager und Aedion richtete den Blick auf den Gegenstand seiner Überlegungen. Evangeline kniete auf ihrer Schlafmatte und summte vor sich hin, während sie sanft eine Pferdebürste durch Lysandras Fell zog.
Er hatte Tage gebraucht, um sich an die Geisterleopardengestalt zu gewöhnen. Durch seine Jahre in den Staghorns war seine intuitive Reaktion auf ihren Anblick Todesangst. Aber da war Lysandra, die Krallen eingezogen, auf dem Bauch ausgestreckt, während ihr Mündel sie striegelte.
Spionin und Assassine, wahrhaftig. Ein Lächeln umspielte seine Lippen beim Anblick der hellgrünen Augen, deren Lider vor Wonne halb geschlossen waren. Das würde ein prächtiger Anblick für die Lords sein, wenn sie ankamen.
Die Gestaltwandlerin hatte diese Wochen der Reise genutzt, um neue Formen auszuprobieren: Vögel, Tiere, Insekten, die allesamt die Neigung besaßen, an seinem Ohr zu summen oder ihn zu beißen. Selten – so selten – hatte Lysandra die menschliche Gestalt angenommen, in der er sie kennengelernt hatte. Wenn man bedachte, was ihr in diesem menschlichen Körper alles angetan – wozu sie darin alles gezwungen worden war, machte Aedion ihr keinen Vorwurf.
Obwohl sie eine menschliche Gestalt würde annehmen müssen, sobald sie an Aelins Hof als Hofdame vorgestellt wurde. Er fragte sich, ob sie ihr altes, wunderschönes Gesicht verwenden würde oder ob sie eine andere menschliche Gestalt finden würde, die ihr gefiel.
Mehr als das fragte er sich oft, wie es sich wohl anfühlte, in der Lage zu sein, Knochen, Haut und Haare zu ändern – obwohl er sich nicht danach erkundigt hatte. Hauptsächlich weil Lysandra nie lange genug in Menschengestalt geblieben war, um das zu tun.
Aedion blickte zu Aelin, die mit Fleetfoot auf dem Schoß auf der anderen Seite des Feuers saß und mit den langen Ohren des Hundes spielte – und wartete, wie sie alle es taten. Doch seine Cousine musterte die uralte Klinge – die Klinge ihres Vaters –, die Aedion so salopp herumwirbelte und von einer Hand in die andere warf, jeder Zoll des Metallgriffs und des angeschlagenen Knochenknaufs ihm so vertraut wie sein eigenes Gesicht. Ein Ausdruck von Kummer flackerte in ihren Augen auf, so schnell wie ein Blitz am Himmel, und verschwand dann wieder.
Bei ihrem Aufbruch aus Rifthold hatte sie ihm das Schwert zurückgegeben und sich dafür entschieden, stattdessen Goldryn zu tragen. Er hatte versucht, sie zu überreden, Terrasens heilige Klinge zu behalten, aber sie hatte darauf beharrt, dass sie in seinen Händen besser aufgehoben sei, dass er diese Ehre mehr verdiene als jeder andere, sie selbst eingeschlossen.
Sie war immer stiller geworden, je weiter sie nach Norden gekommen waren. Vielleicht hatten die Wochen auf der Straße sie zu viel Kraft gekostet.
Nach der heutigen Nacht würde er, je nachdem, was die Lords berichteten, versuchen, ein stilles Plätzchen für sie zu finden, wo sie sich ein oder zwei Tage ausruhen konnte, bevor sie zur letzten Etappe des Marschs nach Orynth aufbrachen.
Aedion stand auf, schob das Schwert in die Scheide neben dem Messer, das Rowan ihm geschenkt hatte, und schritt auf sie zu. Fleetfoot klopfte zur Begrüßung seinen fedrigen Schwanz auf den Boden, als er sich neben seine Königin setzte.
»Du könntest einen Haarschnitt gebrauchen«, bemerkte sie. Tatsächlich war sein Haar länger als sonst. »Es ist fast genauso lang wie meins.« Sie runzelte die Stirn. »Damit sehen wir so aus, als hätten wir uns abgesprochen.«
Aedion schnaubte und streichelte den Kopf des Hundes. »Was wäre schon dabei?«
Aelin zuckte die Achseln. »Wenn du auch anfangen willst, unsere Kleidung aufeinander abzustimmen, bin ich dabei.«
Er grinste. »Die Bane würden mich damit bis in alle Ewigkeit aufziehen.«
Seine Legion lagerte jetzt direkt außerhalb von Orynth, wo er ihnen befohlen hatte, die Verteidigung der Stadt zu verstärken und zu warten. Darauf zu warten, für sie zu töten und zu sterben.
Und mit dem Geld, das Aelin im Frühjahr mit List und mörderischer Tücke ihrem früheren Meister abgeluchst hatte, konnten sie sich eine Armee kaufen, die der Bane folgen würde. Vielleicht auch noch Söldner.
Der Funke in Aelins Augen erstarb ein wenig, als dächte auch sie über all das nach, was das Gebieten über seine Legion beinhaltete. Die Risiken und Kosten – nicht in Gold, sondern in Leben. Aedion hätte schwören können, dass das Lagerfeuer ebenfalls schwächer flackerte.
Sie hatte während der vergangenen Jahre getötet und gekämpft, ihr Leben riskiert und war oft nur knapp dem Tod entronnen. Doch er wusste, dass sie sich dagegen sträuben würde, das Leben anderer zu riskieren, Soldaten – ihn – in den Kampf zu schicken.
Eine Armee zu befehligen – mit allem, was dazugehörte – war ihre erste Prüfung als Königin.
Aber davor … dieses Treffen. »Du erinnerst dich an alles, was ich dir über sie erzählt habe?«
Aelin warf ihm einen ausdruckslosen Blick zu. »Ja, ich erinnere mich an alles, Cousin.« Sie bohrte ihm einen Finger fest in die Rippen, genau an der Stelle, wo die noch immer verheilende Tätowierung lag, die Rowan ihm vor drei Tagen gestochen hatte. All die Namen der Menschen, auf die sie hier warteten, umschlungen von einem komplizierten Muster Terrasens, ganz in der Nähe seines Herzens. Aedion zuckte zusammen, als sie ihm in das wunde Fleisch stach, und schlug ihre Hand weg, während sie rezitierte: »Murtaugh war ein Bauernsohn, heiratete jedoch Rens Großmutter. Obwohl er nicht in die Allsbrooklinie hineingeboren wurde, ist er das Oberhaupt der Familie, trotz seines Beharrens darauf, dass Ren den Titel annehmen soll.« Sie schaute himmelwärts. »Darrow ist der wohlhabendste Landbesitzer nach deiner Wenigkeit, und darüber hinaus herrscht er über die wenigen überlebenden Lords, größtenteils aufgrund der Jahre, in denen er während der Besetzung geschickt mit Adarlan umgegangen ist.« Sie warf ihm einen Blick zu, der scharf genug war, um Haut aufzuschlitzen.
Aedion hob abwehrend die Hände. »Ich will einfach sichergehen, dass alles glatt verläuft. Kannst du mir daraus einen Vorwurf machen?«
Sie zuckte die Achseln, ließ aber von ihm ab.
»Darrow war der Geliebte deines Onkels«, fügte er hinzu und streckte die Beine von sich. »Jahrzehntelang. Er hat mit mir kein einziges Mal über deinen Onkel gesprochen, aber … sie haben sich sehr nahgestanden, Aelin. Darrow hat zwar nicht öffentlich um Orlon getrauert, abgesehen von dem, was von ihm erwartet wurde nach dem Dahinscheiden eines Königs. Doch er war danach ein anderer Mensch. Jetzt ist er ein hartgesottener Bastard, wenn auch immer noch ein fairer. Ein Großteil von dem, was er getan hat, hat er aus unsterblicher Liebe zu Orlon getan – und für Terrasen. Allein sein geschicktes Handeln hat verhindert, dass wir vollkommen ausgehungert und mittellos wurden. Vergiss das nicht.« Tatsächlich hatte Darrow es verstanden, dem König von Adarlan zu dienen und gleichzeitig seine Macht zu untergraben.
»Ich weiß«, brachte sie gepresst hervor. Er setzte sie zu sehr unter Druck – dieser Tonfall war wahrscheinlich ihre erste und letzte Warnung, dass er sie langsam auf die Palme brachte. Er hatte viele der Meilen, die sie während der letzten Tage zurückgelegt hatten, damit verbracht, ihr von Ren zu erzählen und von Murtaugh und Darrow. Aedion war sich sicher, dass sie mittlerweile deren Ländereien aus dem Gedächtnis herunterbeten konnte, dass sie wusste, welche Getreide sie anbauten, welches Vieh sie großzogen und mit welchen Waren sie handelten; dass sie ihre Ahnen kannte sowie die Toten und die überlebenden Familienmitglieder aus dem letzten Jahrzehnt. Aber sie ein letztes Mal damit zu nerven, sicherzugehen, dass sie alles wusste … er konnte einfach nicht anders. Nicht wenn so viel auf dem Spiel stand.
In seiner Habichtgestalt hielt Rowan auf einem hohen Ast Ausschau, klickte mit dem Schnabel und flatterte dann in den Regen.
Aedion erhob sich, suchte den Wald mit Blicken ab, lauschte. Nur das Plätschern von Regen auf Blättern drang an seine Ohren. Lysandra streckte sich und bleckte dabei ihre langen Zähne. Sie fuhr ihre nadelspitzen Krallen aus, die im Feuerschein schimmerten.
Bis Rowan das Entwarnungssignal gab – bis nur noch diese Lords da waren und niemand sonst –, galten weiterhin die Sicherheitsvorkehrungen, die sie abgesprochen hatten.
Evangeline kroch, wie sie es ihr beigebracht hatten, zum Feuer. Die Flammen teilten sich vor ihr wie aufgezogene Vorhänge, um das Kind, dessen Furcht und Herandrängen sie spürten, und Fleetfoot in einen inneren Ring vorzulassen, der sie nicht verbrennen, sehr wohl jedoch die Knochen ihrer Feinde zu Asche zerfallen lassen würde.
Aelin schaute Aedion nur in stummem Befehl an und er trat auf die westliche Seite des Feuers, während Lysandra einen Platz an der südlichen Seite einnahm. Aelin übernahm den Norden, schaute aber nach Westen – dorthin, wo Rowan flügelschlagend entschwunden war.
Eine trockene, heiße Brise zog durch ihre kleine Schutzblase und Funken tanzten wie Glühwürmchen um Aelins Finger herum, während sie die Hand locker an der Seite herabhängen ließ. Mit der anderen Hand hielt sie Goldryn umfasst und der Rubin in seinem Griff leuchtete hell wie Glut.
Blätter raschelten und Äste knackten und das Schwert von Orynth schimmerte golden und rot im Schein von Aelins Flammen, als Aedion es herauszog. Den uralten Dolch, den Rowan ihm geschenkt hatte, hielt er in der anderen Hand. Rowan hatte Aedion – und genau genommen ihnen allen – in diesen Wochen vieles über Traditionen beigebracht. Über die lang vergessenen Traditionen und Kodizes der Fae, selbst an Maeves Hof größtenteils vernachlässigt. Aber hier waren sie wiedergeboren worden und wurden nun umgesetzt, als sie alle in die Rollen schlüpften und die Pflichten übernahmen, die sie besprochen und sich ausgesucht hatten.
Rowan tauchte in seiner Fae-Gestalt aus dem Regen auf, sein silbernes Haar klebte ihm am Kopf, seine Tätowierung stach auf seinem gebräunten Gesicht hervor. Keine Spur von den Lords.
Aber Rowan hielt sein Jagdmesser an die nackte Kehle eines jungen Mannes mit schmaler Nase gepresst und eskortierte ihn zum Feuer – die von der Reise schmutzigen und durchnässten Kleider des Fremden zeigten Darrows Wappen, einen angreifenden Dachs.
»Ein Bote«, knirschte Rowan.
Aelin beschloss an Ort und Stelle, dass sie Überraschungen nicht besonders mochte.
Die blauen Augen des Boten waren weit aufgerissen, aber sein vom Regen feuchtes, sommersprossiges Gesicht war ruhig. Gefasst. Selbst als er Lysandra betrachtete, deren Reißzähne im Lichte des Feuers golden schimmerten. Selbst als Rowan ihn vorwärtsstieß, das grausame Messer immer noch an seiner Kehle.
Aedion deutete ruckartig mit dem Kinn auf Rowan. »Er kann die Botschaft nicht gut mit einer Klinge an seiner Luftröhre überbringen.«
Rowan ließ die Waffe sinken, behielt das Messer aber weiter in der Hand und entfernte sich nicht mehr als einen Schritt von dem Mann.
Aedion fragte: »Wo sind sie?«
Der Mann verneigte sich schnell vor ihrem Cousin. »In einer Taverne, vier Meilen von hier entfernt, General …«
Die Worte erstarben, als Aelin endlich um das Feuer herumkam. Sie ließ es weiterhin hoch brennen und verbarg Evangeline und Fleetfoot darin. Der Bote stieß einen leisen Laut aus.
Er wusste es. Nach der Art zu urteilen, wie er zwischen ihr und Aedion hin und her schaute und die gleichen Augen sah, die gleiche Haarfarbe … er wusste Bescheid. Und als hätte ihn der Gedanke wie ein Schlag getroffen, verbeugte der Bote sich.
Aelin beobachtete, wie der Mann den Blick senkte, beobachtete seinen entblößten Nacken, seine vom Regen glänzende Haut. Ihre Magie siedete in ihr als Reaktion darauf. Und dieses Ding – diese grauenvolle Macht, die um ihren Hals hing – schien angesichts all des Aufruhrs ein uraltes Auge zu öffnen.
Der Bote versteifte sich und riss bei Lysandras lautlosem Nahen die Augen auf. Ihre Schnurrhaare zuckten, als sie seine nassen Kleider beschnupperte. Er war klug genug, still zu stehen.
»Ist das Treffen abgesagt?«, fragte Aedion gepresst und suchte wieder den Wald ab.
Der Mann zuckte zusammen. »Nein, General – aber sie wollen, dass Ihr in die Taverne kommt, in der sie abgestiegen sind. Wegen des Regens.«
Aedion verdrehte die Augen. »Geh und sag Darrow, dass er seinen Kadaver hier herschwingen soll. Das bisschen Wasser wird ihn schon nicht umbringen.«
»Es ist nicht Lord Darrow«, antwortete der Mann schnell. »Bei allem nötigen Respekt, Lord Murtaughs Kräfte haben in diesem Sommer nachgelassen. Lord Ren wollte nicht, dass er in die Dunkelheit und den Regen hinausgeht.«
Der alte Mann war in diesem Frühjahr wie ein Dämon aus der Hölle durch die Königreiche geritten, erinnerte Aelin sich. Vielleicht hatte das seinen Tribut gefordert. Aedion seufzte. »Du weißt, dass wir die Taverne zuerst auskundschaften müssen. Das Treffen wird später stattfinden, als sie wollen.«
»Natürlich, General. Damit rechnen sie.« Der Bote krümmte sich, als er schließlich Evangeline und Fleetfoot in dem sicheren Ring der Flammen erspähte. Und trotz des bewaffneten Fae-Prinzen neben ihm, trotz des Geisterleoparden mit ausgefahrenen Krallen, der ihn beschnupperte, wurde er beim Anblick von Aelins Feuer totenbleich. »Aber sie warten – und Lord Darrow ist ungeduldig. Es macht ihn unruhig, sich draußen vor Orynths Mauern aufzuhalten. Dieser Tage macht uns das alle nervös.«
Aelin schnaubte leise. In der Tat.
Manon Blackbeak stand am Anfang der langen, dunklen Brücke nach Morath in Habachtstellung und beobachtete, wie der Zirkel ihrer Großmutter aus den grauen Wolken herabstieß.