Thunder Rising - Stefan Melneczuk - E-Book

Thunder Rising E-Book

Stefan Melneczuk

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Beschreibung

Das Unheil kommt durch das Smartphone.Kai Stern ist mit seiner Familie auf der Heimreise aus dem Sommerurlaub, als das Chaos ausbricht. Tausende Menschen verlieren beim Blick auf ihre Displays den Verstand und kommen nicht mehr von ihren Telefonen los. Überall herrscht Ausnahmezustand, als Plünderer und Mörderbanden die Herrschaft übernehmen und jeder Telefonist zur Zielscheibe wird. Für die Überlebenden beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Es gilt, der Bedrohung aus dem Mobilfunknetz ein Ende zu setzen – dort, wo sie streng geheim ihren Anfang genommen hat. Rabenschwarz und schräg: Stefan Melneczuk schreibt seit 1985 Short Stories und Romane. In seinem neuen Thriller trifft Horror auf Satire – im Zeichen einer Zeit, in der das Smartphone mehr und mehr die Macht übernimmt. "Meister der Gänsehaut!" (WAZ)

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Stefan MelneczukThunder Rising

Stefan Melneczuk

Thunder Rising

Stefan Melneczuk ist Redakteur, Texter, Schriftsteller und Journalist. Er kam am Halloween­tag 1970 zur Welt, lebt in Hattingen, schreibt seit 1985 dunkle Literatur und wurde mehrfach ausgezeichnet. Seit Ende der 90er Jahre erscheinen seine Bücher, die er auch regelmäßig bei Lesetouren vorstellt. Lieferbar sind beim BLITZ-Verlag neben den beiden unheimlichen Story-Sammlungen Geisterstunden (2009) und Schattenland (2013) auch die Thriller Marterpfahl (2007), Rabenstadt (2011) und Wallenstein (2014).

www.rabenstadt.de

Marterpfahl. Roland, David und Thomas verbindet seit mehr als 20 Jahren ein dunkles Geheimnis. Im Zeichen unheimlicher Ereignisse versuchen sie, sich ihrer Schuld zu stellen. Um Frieden zu finden, müssen die Freunde ihre Angst bezwingen und noch einmal an den Ort ihrer schlimmsten Alpträume zurückkehren. Auf dem Weg in die Vergangenheit beginnt für die Freunde ein unerbittlicher Wettlauf gegen die Zeit und die Geister, die ihnen folgen.

• 288 Seiten, Taschenbuch, ISBN 978-3-89840-011-4, 12.95 €.

Rabenstadt. Gefangen! Klebeband, Dunkelheit, Erinnerungen und Angst. Ein Kellerverlies im Briller Viertel. Ein Mädchen, seit Jahren vermisst, dem Tod überlassen. Gibt es einen Weg nach draußen? Die Antwort lauert am anderen Ende der Treppe. Und sie hat Zähne.

• 288 Seiten, Taschenbuch, ISBN 978-3-89840-019-0, 12.95 €.

Wallenstein. Eine unheimliche Mordserie erschüttert das Ruhrgebiet und das Bergische Land. Das Nachtgespenst hält die Polizei in Atem, tötet wahllos und weckt dunkle Erinnerungen an den Fall Jürgen Bartsch: In Langenberg hat der Kirmesmörder einst vier Jungen umgebracht. Der Kreis schließt sich viele Jahre später. Rot wie Blut.

• 320 Seiten, Taschenbuch, ISBN 978-3-89840-409-9, 12,95 €.

Geisterstunden. 31 Tage im Oktober – 31 unheimliche Kurzgeschichten. Versammelt in einem Band. Ein literarischer Kalender zwischen wohligem Schauer und purem Schrecken. Für den Herbst-Abend am Kamin.

• 352 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-89840-284-2, 17.95 €.

Schattenland. Short Stories. 32 dunkle Stories aus 25 Jahren – auch aus vergriffenen Erzählbänden und Anthologien. Erstmals sind alle preisgekrönten Wettbewerbsbeiträge in einem Buch vereint. Für den Tag im Strandkorb.

• 400 Seiten, Taschenbuch, ISBN 978-3-89840-376-4, 14.95 €.

© 2017 ROCKET BOOKSTitelbild: Mark FreierUmschlaggestaltung: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenwww.BLITZ-Verlag.dewww.fanpro.deISBN 978-3-95719-271-4

Rocket Books ist ein Imprint der BLITZ-Verlag e. K. und der Fanpro, Fuchs & Fuchs GbR

Als der Apple-Konzern der Weltöffentlichkeit im Januar 2007 das erste I-Phone präsentiert hat, da ahnte noch niemand, dass das nichts anderes als der Beginn einer globalen Revolution war. Mit allen Konsequenzen.

Mittlerweile beherrscht das Smartphone unseren Alltag. Als zentrales Kommunikationsmittel. Als Wegbegleiter. Als Ratgeber. Als Informationsquelle. Und manchmal auch als Freund. Die absolute Erreichbarkeit und der mobile Zugriff auf das Internet fragmentieren nicht nur unsere Zeit. Sie rufen auch jene auf den Plan, die die vernetzte Technik mit aller Macht für ihre Zwecke nutzen werden.

Wer auf diesem Weg sein Ziel erreicht, hat Zugriff auf die Massen: Alleine im Jahr 2015 wurden weltweit mehr als 1,2 Milliarden Smartphones verkauft. Fluch trifft Segen – und diese Seiten erzählen davon. Das Risiko ist überall zu greifen. Wir sind so leicht zu verletzen. Mitten ins Herz wird es uns treffen. Die Frage ist nicht, ob es passiert.

Sondern wann.

Aus dem Buch „Anruf!“

von Howard J. Kessel (1985-2017)

Erster Teil

Einschlag

Prolog

Alles dumpf. Alles verschwommen. Nur der Baumstamm ist zu sehen. Er ist mitten aus dem Asphalt gewachsen und hat die Motorhaube durchstoßen auf seinem Weg steil nach oben – einer Lanze gleich. So sieht es aus zwischen Glasscherben und zerrissenem Kunststoff, als der sterbende Mann hinter dem Lenkrad seinen Kopf hebt und das Kissen des Airbags zur Seite schieben will wie einen Vorhang. Zwei Polizisten erreichen das Autowrack. Sie eilen herbei mit ihren Maschinenpistolen, aus der Downing Street, nicht weit von hier. Aber sie schaffen es nicht, die Türen auf der Fahrer- und Beifahrerseite zu öffnen – so sehr sie auch an den Griffen reißen. Alles verschlossen. Einer der Polizisten klopft an die Scheibe und hält inne, bevor er versucht, mit seiner Waffe das Glas zu zertrümmern.

Der Mann im Auto sucht klare Gedanken. Der Polizist da hat mich erkannt! Oh Gott, er weiß, wer ich bin! Weiter hinten, in sicherer Entfernung, schießen drei oder vier oder fünf Touristen mit ihren Smartphones Fotos. Den Mann mit Motorradhelm, der noch vor den Polizisten am Wrack war, hat niemand fotografiert. Er war schnell wie ein Blitz, hat die Aktentasche aus dem Kofferraum geholt, etwas anderes hineingelegt und das Wrack auf Knopfdruck verriegelt. Dann ist er davongerast, auf einem Motorrad, im Schatten seines Fahrers. In der Ferne schlägt Big Ben. Gleichgültig wie eh und je. Anderes bekommt der Mann hinter dem Lenkrad nicht mehr zu sehen und zu hören. Er denkt an seine Tasche und an den Stoß Papier darin. Hillside! Alles dreht sich im Kreis. Immer schneller. Das Seitenfenster fällt unter harten Stößen. Einer der Polizisten greift jetzt nach dem Türgriff innen. Können Sie mich hören? Hören Sie mich? Alles hell, alles heiß, so heiß! Die Polizisten sind mit einem Mal fort. Und dann wird es dunkel.

Nur noch dunkel.

00:01

Als das Unheil über das Land und über die Städte kommt, ist Kai Stern gerade damit beschäftigt, drei Löwinnen zu bändigen. So fühlt es sich zumindest an, auf dem Weg nach Hause, nach zwei Wochen Urlaub an der Ostsee, die immer noch nach Sonnenmilch riechen. Auf den Rücksitzen des Truppentransporters, so nennt Kai diesen tonnenschweren Zustand von Auto hier, herrscht auf den letzten hundert Kilometern Ausnahmezustand. Nach wie vor. Daran ändert auch Walt Disney nichts. Selbst der König der Löwenist in diesen Breiten machtlos. Zu Hilfe gerufen auf einer DVD, die seine Frau aus den Tiefen des Handschuhfachs gezogen hat. Als letzten Joker auf der A 1.

„Ruhe auf den billigen Plätzen“, ruft Carola Stern, um gleich darauf ihrem Mann so hart die Handkante in die Rippen zu stoßen, dass er beinahe das Steuer verreißt. „Wenn du mich noch einmal vor den Kindern Lillifee nennst, bringe ich dich um.“

Das klingt glaubwürdig. Carola lässt Kai nicht aus den Augen, als sie die verdammten Schokoladenkekse knabbert. Die liegen auf ihrem Schoß verstreut und schmelzen munter vor sich hin. Kai nimmt seine rechte Hand vom Lenkrad, um sich einen der Kekse zu greifen. Carola schlägt ihm auf die Finger. Autsch!

„Nach vorne geschaut“, brummt sie schmatzend. Und schiebt Kai in einem Akt der Gnade doch noch einen der Kekse zwischen die Lippen. Die beiden Mädchen auf dem Rücksitz des Truppentransporters honorieren das mit einem Glucksen.

„Dönke!“ Kai mampft vor sich hin. „Öch dönkö, wör mössen glöch nöch möl tönkön.“

„Tönkön“, ruft Annabel augenblicklich hinter ihm, immer noch außer Rand und Band. Das mit Fingerabdrücken überzogene Display des Entertainment-Centers in der Kopflehne würdigt sie keines Blickes. „Tönkön!“

„Tönkön!“ Kai schluckt den letzten Rest Keks herunter. „Sonst kommen wir nicht mehr nach Hause.“ Dann sieht er seine Frau an und versucht, in einem unbeobachteten Moment an Keks Nummer zwei zu gelangen. Die sind selbst bei dieser Hitze der Hammer. „In Ordnung, Lillifee?“

Carola kocht, einmal mehr, und verdreht die Augen. Einen Moment lang kommt ihr die vergangene Nacht in den Sinn. Und das quietschende Bett im Elternschlafzimmer der Ferienpension. Du magst es doch, wenn ich streng mit dir bin. Oder? Beides schwappt durch ihre Gedanken, vermischt mit Phantasie, im Kopfkino, einfach so, einer Welle gleich. Und Wellen gibt es in diesem Urlaub einige. Vor ein paar Stunden hast du Lillifee noch ganz anders genannt. Schon vergessen?

Am Seitenstreifen kommt zwischen welken Büschen, die sich seit Wochen nach Regen sehnen, ein Tankstellenschild in Sicht. Zehn Kilometer bis zur nächsten Raststätte. Burger und Benzin! Solange der Vorrat reicht!

„Ich muss aufs Klo-hoooo“, lässt Lara ihre Eltern wissen.

Annabel gluckst schon wieder. Sie liebt das. So bekommt nur sie dieses Geräusch und diese Tonlage hin.

„Gehört und verstanden“, sagt Kai. Und leise zu seiner Frau: „Nicht zu fassen. Das wird was geben, wenn wir nächstes Jahr nach Mallorca fliegen.“

„Worauf du dich verlassen kannst.“

„Sollen wir noch was essen? Gegen einen Cheeseburger hätte ich nichts. Oder zwei. Oder drei. Oder vier.“

„Quatsch“, ruft Carola. „Ich mache uns zu Hause was.“

„Schiiisbörgaaaaaaaaaaaaaaaa!“, rufen die Mädchen hinten unisono. „Schiiiiiiiiiisssssbörgaaaaaaaaaaaaaaaaa!“

„Und dann noch Eis“, entscheidet Annabel, nachdem sich ihre kleine Schwester endlich wieder beruhigt hat.

„Das glaubst auch nur du.“ Carola ist kampfbereit. „Zwei Eis reichen für heute. Sonst: Bauchschmerzen.“

„Reichen nicht!“

„Reichen doch!“

„Reichen nicht!“

„Reichen ...“

Weiter kommt Carola nicht. Vor ihnen taucht eine Unfallstelle auf. Kurz vor der Abfahrt zur Tankstelle ist ein Skoda quer über den Standstreifen geschleudert, hat ihn auf dem Durchflug mit schwarzen Streifen aus Reifengummi versehen und hängt mit seiner demolierten Beifahrerseite jetzt in der Leitplanke. Die Fahrertür steht offen. Zwei Männer hocken neben dem Wrack. Anfang zwanzig, höchstens. Blass, dürr und ratlos. Sie starren mit gesenkten Köpfen auf die Smartphones in ihren Händen.

„Fahr weiter.“ Carola sagt das leise, aber bestimmt. Mit einem Mal schwingt Anspannung in ihrer Stimme mit. In hoher Dosis. Alle Kekse und Wellen sind mit einem Mal vergessen. „Mach schon. Einfach weiterfahren. Hinter uns ist Blaulicht.“

Sofort drehen sich Annabel und Lara auf den billigen Plätzen um und halten Ausschau.

„Po! Li! Zei!“, rufen die Mädchen fast zeitgleich. Annabel ist etwas schneller. Wie so oft. „Was ist denn da passiert?“

„Das siehst du doch.“ Kai schaut in den Rückspiegel. „Ein Unfall.“ Er fährt von der Autobahn ab und verliert den ramponierten Skoda und seine nicht minder ramponierte Crew aus den Augen. Die beiden Jungs hocken immer noch da, neben ihrer gottverdammten Scheißkarre, wie sie das Auto im letzten lichten Moment ihres Lebens genannt haben. Die waren zu schnell, hört Kai sich sagen. Viel zu schnell. Auf der Heckscheibe des Autos leuchten acht Klebebuchstaben inklusive Ausrufezeichen in den todbringenden Nachmittag. Kai sieht den Schriftzug immer noch vor sich: U N H E I L I G! Dann schaut er missmutig auf die Tankanzeige, als er an einer der Zapfsäulen hält.

So sieht Kai nicht mehr, dass sich die Skoda-Jungs in die Hosen machen, als mit einem Mal Autobahnpolizisten neben ihnen stehen und wissen wollen, ob sie verletzt sind. Alles in Ordnung mit Ihnen? Zehn Minuten, bevor ein 40-Tonner aus Dänemark von der Autobahn abkommt und sie alle unter sich begräbt. Die Polizisten und einer der Jungs sind sofort tot. Der andere hat noch zweieinhalb Stunden zu leben, eingeklemmt zwischen den Wracks, ohne dass sich jemand um ihn kümmert.

„Kein Burger. Kein Eis.“ Carola bleibt hart. „Nur tanken und dann weiter.“

„Eiiiiiiiis!“, protestiert Annabel. Kein Entrinnen. Lara erinnert sie noch einmal daran, dass sie dringend, dringend, dringend aufs Klooo-hooo!!! muss. Natürlich hat jeder Vater und jede Mutter schon einmal daran gedacht, seine Kleinen in unwiederbringlichen Momenten wie diesen umzubringen. Kai Stern ist da mit seinen fünfundvierzig Jahren keine Ausnahme. Auch wenn er seinen Worten niemals Taten folgen lassen würde. Zumindest heute nicht. Carola seufzt nur, denkt aber dasselbe. In ihren Taschen sucht sie Kleingeld für die Raubritter der Toilettenrunde. Was weder Kai noch Carola geschweige denn Lara und Annabel ahnen: Ihnen bleiben keine zehn Minuten mehr bis zum Ende jener Welt, die sie bis zu diesem Tag hier zu kennen glaubten.

00:02

An den Zapfsäulen herrscht Hochbetrieb. Am Tankplatz neben dem Truppentransporter der Familie Stern steht ein schwarzer Porsche. Kai schenkt ihm keine Beachtung, als Lillifee sich mit den beiden Quälgeistern im Schlepptau auf den Weg zu den Raubrittern macht. Anna­bel will keinen Börgaaaaaaaaa mehr, aber immer noch Eiiiiiiis und gibt nicht einen Millimeter nach. Das ist selbst in der Ferne zu hören. An der Zapfsäule links steht ein VW Beetle. Frisch aus der Waschstraße. Eine graue Dame Anfang sechzig in Jeansrock und Segeltuchschuhen betankt den Wagen, perfekt gestylt. Die Frau trägt eine schmal geschnittene Denim-Jacke. In den Kragen ihres Shirts sind die Bügel einer wuchtigen Sonnenbrille eingeklinkt. Einen Moment lang glaubt Kai aus dem Augenwinkel zu sehen, dass die Frau ihm ein Lächeln zuwirft, als er sich daran macht, den Tankdeckel aufzuschrauben, um den letzten Rest des Urlaubsgeldes in die Tiefen des Truppentransporters zu schicken. Die Frau im Jeansrock wendet sich ab, als sich ihr Telefon meldet, mit einem Klingelton aus der Telefon-Antike und mit einem Flackern auf dem Display.

Kai ist mit seinen Gedanken wieder alleine. Sie hat mich angelächelt. Sie würde mich sofort mitnehmen mit ihrem schicken Flitzer, zurück an die Küste, weil sie nichts lieber hat als Probleme mit chronisch eifersüchtigen Ehefrauen, die ganz verrückt sind nach Keksen aus Schokolade. Und die ihren Mann niemals hergeben würden für ein Abenteuer an Zapfsäule fünf. Kai wirft erst wieder einen Blick zur Seite, als es in Strömen regnet. So hört es sich zumindest an.

Die Frau aus dem Volkswagen hält sich den Zapfhahn über den Kopf und lächelt Kai an. In ihrer rechten Hand sieht das Ding aus wie eine verbogene Pistole aus einem Western, die jemand mit Sinn für Humor auf einen Gummischlauch gesteckt hat. Als das alles zu schwer wird – der Schlauch schmiegt sich einer fetten Schlange gleich an ihren Oberarm – neigt sich der Lauf des Zapfhahns in ihr Gesicht. Das Benzin läuft in Strömen, weiter und weiter, für fast zwei Euro pro Liter. In der anderen Hand hält die Frau ihr Smartphone, das in einem cremefarbenen Etui steckt und jetzt wild blinkt.

Der Frau läuft immer mehr Benzin über den Kopf. Ihr läuft immer mehr Benzin über die Schultern. Ihr läuft immer mehr Benzin über den Jeansrock und auf dem Weg nach unten an den Beinen entlang. Ihr Bob ist ruiniert. Die einst akkurat angelegte Frisur lässt sich nur noch erahnen. Die Frau aus dem Volkswagen schnappt nach Luft, als ihr Benzin in den Mund läuft und sie sich daran verschluckt. Jetzt zittert die Zapfpistole und droht ihr endlich, endlich aus den Fingern zu rutschen. Ihr Lächeln ist versickert. Die Frau blinzelt hektisch mit den Augen, ganz so, als habe sie gerade zehn Zwiebeln geschnitten. Ob sie überhaupt noch etwas sehen kann?

Kai starrt die Frau an. Warum läuft das Ding denn immer noch? Sieht das niemand? SIEHT DAS DENN NIEMAND? STELLT DAS SOFORT AB! Einen Moment lang glaubt Kai, dass das hier einfach nur ein Scherz ist, einer der ganz üblen Sorte, und dass gleich jemand um die Ecke kommt, um das alles aufzulösen. Aber es kommt niemand um die Ecke. So duscht die Frau im Jeansrock weiter und weiter. Ihr Telefon blinkt unvermindert.

„Oh Gott!“, ruft ein dürrer Mann weiter hinten und lässt die beiden Snickers zum Preis für eines, die er gerade in der Tankstelle gekauft hat, auf den Asphalt fallen. Noch lauter: „Oh Gott!“ Er macht einen Schritt nach vorne, ist aber ebenso fassungslos wie Kai. Zunächst zumindest. Dann ruft er der Frau etwas zu: „Aufhören! Sofort aufhören damit!“ Als die Frau nicht reagiert, dreht sich der Schokoladen-Mann zur Seite und ruft etwas durch die Tür des Verkaufsraums. An beiden Seiten stehen Kunststoff-Vasen mit roten Rosen zum Sonderpreis. Machen Sie Ihrer Herzdame mal eine Freude! Doch auch an Blumen hat Mr. ­Snickers kein Interesse mehr. „ABSTELLEN! SOFORT SÄULE FÜNF ABSTELLEN!“

Die Frau im Jeansrock hustet heftig und murmelt etwas. Kauderwelsch. Ihre Beobachter, es werden immer mehr, ignoriert sie. Mittlerweile betrachten mehr als zwanzig Frauen, Männer und Kinder das irre Schauspiel zwischen den Autos. Bis der Strom versiegt. Die Anzeige der Zapfsäule lässt alle wissen, dass mehr als zwanzig Liter Super über die Frau und auf den gepflasterten Boden zwischen den Tankplätzen geflossen sind. Dann lässt sie ihr Smartphone fallen, einfach so. Es klirrt und bleibt auf seinem zerplatzten Display im Benzin liegen. Die Frau wendet sich Kai zu. Und gurgelt ein Lächeln.

Noch beunruhigender ist die Tatsache, dass sich an Zapfsäule acht exakt das gleiche Schauspiel ereignet. Dort übergießt sich ein untersetzter Mann Mitte vierzig mit Benzin, ebenfalls irre vor sich hin murmelnd und ebenfalls mit einem blinkenden Smartphone in der Hand. Der Mann ist mit einem schwarzen SUV unterwegs und übergießt sich mit E10-Kraftstoff. Kais größte Sorge gilt immer noch der triefend nassen Frau. Sie hustet wieder.Dann hält sie inne, legt die Zapfpistole vor sich auf den Boden, gleich neben das zerplatzte Handy, greift in die Taschen ihrer Jacke und holt feierlich ein Paket Streichhölzer mit Zündheft zum Vorschein.

00:03

„Oh mein Gott!“ Das ist alles, was Mr. Snickers noch zu sagen hat. Er fährt herum und läuft davon.

„Das lassen wir mal besser bleiben.“ Kai wird sich nie wieder an diese Worte erinnern. Ein Raunen geht durch die Menge. Eine junge Frau, keine zwanzig, fasst sich ein Herz und macht einen Schritt nach vorne, um der Frau aus dem Volkswagen die Streichhölzer aus der Hand zu reißen. Doch bevor sie das tun kann, ziehen zwei Freundinnen sie zurück. Sie flüstern ihr hitzig etwas zu, bis auch sie von der Bildfläche verschwinden. Der Mann weiter hinten, der sich ebenfalls mit Benzin übergossen hat, ist einen Moment lang völlig vergessen. Er steht immer noch da und lässt sich Sprit über den kahlen Kopf laufen.

„Weglegen!“, ruft ein Tankwart, der aus der Werkstatt nebenan gekommen ist. „WEGLEGEN! LEGEN SIE DIE STREICHÖLZER WEG!“

Auf eine Antwort wartet der Mann vergeblich. Die Frau aus dem Volkswagen macht sich an der Schachtel zu schaffen. Ihr fällt eines der Streichhölzer aus den Händen, bevor sie es entzünden kann.

Aus dem Augenwinkel heraus sieht Kai, dass Carola mit Annabel und Lara an den Händen zurück zum Auto kommt. Ohne sich von der durchnässten Frau abzuwenden, ruft er: „Macht, dass ihr ins Auto kommt! Sofort!“

„Kai?“ Das ist Carola. „Kai?“

„Lillifeeeeeeeee! Ins Auto!“

Die Frau aus dem Volkswagen hört das, dreht sich ein Stück zur Seite und verschluckt sich. Hustend wirft sie Carola und den beiden Mädchen einen leeren Blick zu. Bis sich in ihren Augen die Andeutung eines Lächelns abzeichnet, in einem finalen Moment des Wiedererkennens. Sie sieht Carola an und scheint nachzudenken, das letzte Mal in ihrem Leben. Sie erinnert sich an etwas Vertrautes, an eine Konstante. Wieder hustet sie, schlimmer denn je, und greift noch einmal in die Streichhölzer.

Als wäre das allein noch nicht schlimm genug, wankt nun auch der nasse Mann ohne Haare mit ausgestreckten Armen heran. Er winkt der Tankstellen-Gemeinde mit seinem blinkenden Smartphone zu – vor Freude strahlend wie ein kleiner Junge am Bonbonglas seiner Oma. Das lenkt die Frau aus dem Volkswagen ab. Wieder fällt ihr ein Streichholz aus den Händen, ohne dass es brennt.

„BITTE NICHT!“ Das ist der Tankwart. „Bitte tun Sie das nicht.“ Das flüstert er in einem Tonfall, als spräche er mit einer uralten indianischen Gottheit, die nach Jahrtausenden zu Leben erwacht ist und Blut fordert. „Bitte!“

Dann umarmt der Mann aus dem SUV die Frau aus dem Volkswagen. Er kickt die Zapfpistole seiner neuen Flamme weg. Die Beiden sehen aus wie irre Tango-Tänzer. Nun fällt auch dem Dicken das Telefon aus den Händen, als er der Frau an die Brüste zu greifen versucht, triefend nass und gierig wie nie zuvor in seinem Leben. Die Frau hält das Streichholzpaket in ihrer rechten Hand. Sie hat sie zur Faust geballt, schlägt aber nicht zu. Kai schiebt sich am Tankwart vorbei, der immer noch wie angewurzelt dasteht, steigt ins Auto zurück und lässt sich auf den Fahrersitz fallen.

„Wo wart ihr solange?“, faucht er Carola zu, als er den Motor startet und nach der Kupplung greift. „Festhalten!“

Die Frau aus dem Volkswagen erinnert sich ans Feuermachen und windet sich aus dem Griff ihres neuen Liebhabers. Der ist außer sich.

Dieses nicht ganz jugendfreie Schauspiel verfolgen Kai, Carola, Lara und Annabel auf ihrer Schussfahrt nach hinten, im Rückwärtsgang, ohne Rücksicht auf Verluste.

„Mist! Mist! Mist!“, ruft Carola wie von Sinnen. Das klingt angesichts der Liebesschwüre weiter vorne so wunderbar normal, so wunderbar menschlich, dass Kai seine Frau am liebsten sofort die Arme nehmen und nie wieder loslassen möchte. Geht aber nicht. Erst einmal muss er sie alle fortbringen. Der Truppentransporter erwischt drei Randpfosten, bis Kai den richtigen Gang findet und auf die Autobahn zurast.

Die Frau aus dem Volkswagen versucht zum letzten Mal, eines der Streichhölzer zu entzünden. Und diesmal hat sie Glück. Zuerst steht die Frau in Flammen, dann der Mann aus dem SUV und schließlich auch die Zapfsäule selbst – gefolgt vom Tankwart, der immer noch nicht glauben kann, in was er da hineingeraten ist. Er hat viel zu lange gezögert. Er hat viel zu lange geglaubt, dass die Frau mit den Streichhölzern doch noch zur Vernunft kommt. Und er hat sich getäuscht. Sekunden später arbeitet sich ein Feuerball in den Himmel, der seinesgleichen sucht. Mit zerrissener Kleidung vermengt, regnen Trümmer der Tankstelle auf den Asphalt. Und auf die Toten, Verletzten und Sterbenden, die überall verstreut sind. In einer Pfütze aus geschmolzenem Gummi liegt ein Smartphone mit zerplatztem Display. Das Telefon blinkt immer noch, als gebe es kein Morgen.

00:04

Die Druckwelle ist nicht zu fassen. Mit einem Schwall aus kochend heißer Luft lässt sie die Familienkutsche erzittern, zunächst noch im Rückwärtsgang. Einen Moment lang fürchtet Kai, dass die Windschutzscheibe dem Faustschlag draußen nicht standhalten wird. Carola hat alle Hände voll zu tun, die Mädchen zu beruhigen. Lara und Annabel rutschen auf ihren Sitzen hin und her. Sie schreien und weinen. Carola hängt zwischen den Sitzen. Sie hat ihren Sicherheitsgurt abgestreift, um sich auf den Weg ins Heck zu machen. Die Hitze der Detonation ist selbst hier drinnen zu spüren, importiert mit freundlichem Gruß von der Belüftung. Es hagelt Glasscherben. Über die Motorhaube des Truppen­transporters rollt eine herrenlose Schraube aus Stahl. Da vorne, wo einmal eine Tankstelle stand, ist nichts anderes als das Ende der Welt. Als sie die verängstigten Mädchen auf dem Rücksitz erreicht, schreit Carola ihrem Mann ins Ohr.

„Kai! Warum fährst du nicht? Bring uns endlich hier weg, hörst du? BRING! UNS! HIER! WEG!“

Kai schweigt. Und fragt sich, was richtig ist und was falsch. Er steuert den Van Richtung Standstreifen und hofft, auf dem Weg dorthin bloß in keinen Nagel, bloß in keine Schraube und bloß durch keine Scherbe zu fahren. Es geht voran, auf Schleichfahrt, mit einem Flammenmeer im Nacken. Auf halber Strecke erblickt Kai einen VW Touareg. Der Stadtpanzer steht auf dem Beschleunigungsstreifen und versperrt ihnen den Weg. Drei fette Feuersäulen steigen gleich hinter den Sterns in den Himmel, bevor Rauchwolken aufziehen, schwarz, schwer und ­undurchdringlich.

Die Türgriffe des SUV sind mit blütenweißen Schleifen aus Seide versehen. Die Antenne auch. Sie ist abgebrochen und liegt jetzt neben einer jungen Frau, die ein Brautkleid trägt, vorhin offensichtlich telefoniert und dabei den Verstand verloren hat. Über ihr Kleid ziehen sich rote Flecken. Sie sehen aus wie Farbkleckse, sie sehen aus wie moderne Kunst. Als der Van näher kommt, eilt die Frau im Brautkleid auf Kai und seine Familie zu.

Mit ihrer Handy-Hand deutet die Braut irre grinsend Richtung Rücksitz, wo Carola mit angezogenen Knien zwischen ihren Töchtern hockt. Über das Gesicht der Frau zieht sich Blut. Einen Moment lang scheint auch sie sich an bessere Zeiten zu erinnern. An Zeiten, in denen ihr Verstand noch nicht püriert war.

„FAMILLI!“, brüllt die Frau so laut sie kann. „FAMILLI!“

Sie glotzt Carola stumpfsinnig an. Dann betrachtet sie Kai und die Kinder. Über das Gesicht der Verrückten huscht ein Lächeln. Sie starrt sie alle an, einem Gruselfilm entstiegen und fest entschlossen, der Wirklichkeit jenseits der Leinwand einen Besuch abzustatten. Wenn sie könnte, würde die Frau im Brautkleid jauchzen.

„WARUM STEHEN WIR IMMER NOCH HIER?“, will Carola wissen. Inzwischen hat die Braut die Rückseite des Vans erreicht. Sie kratzt mit langen Fingernägeln über die Scheiben.

Sie will die Mädchen.

„KINDAAA!“, brüllt sie jetzt noch lauter. „KINDAAA!“ Erst jetzt sieht Kai wieder den mit Trümmern gespickten Beschleunigungsstreifen. Und den Touareg. Zum Glück nichts Großes, zum Glück liegt nichts Großes im Weg. Am heikelsten sind die Reste einer brennenden Jeansjacke. Kai fragt sich, ob sie der grauen Frau von der Tankstelle gehört hat.

Was jetzt aber am wichtigsten ist: Zwischen dem SUV und der Leitplanke am Beschleunigungsstreifen ist mehr Platz als gedacht. Könnte passen. Wird passen. MUSS PASSEN! Die Frau im Brautkleid macht sich jetzt am Türgriff hinten rechts zu schaffen, direkt neben Lara. Carola verriegelt das Schloss. Kai schaut stur nach vorne, hört die Smartphone-­Hexe wie von Sinnen an Laras Tür rütteln und gibt Vollgas.

00:05

Passt! Als die Familienkutsche der Sterns haarscharf am SUV vorbeihuscht, geht ein unheilvolles Donnern durch den Van. Alle halten die Luft an. Blechschaden! Kai hat sich verschätzt, aber der Wagen bleibt nicht zwischen der Leitplanke und der Stoßstange des Hochzeitsautos stecken. Kai schert sich nicht darum, dass er soeben den Wagen demoliert hat. Er ist einfach nur erleichtert, dass sie es zurück auf die Autobahn schaffen, wenn auch mit einer gewaltigen Schramme im Lack. Im Rückspiegel ist das Feuer der Tankstelle zu sehen und gleich davor die verrückte Frau im Brautkleid. Zu Fuß ist sie nicht schnell genug, um den dichten Rauschwaden, die der Sommerwind vor sich hertreibt, zu entkommen. So verschwindet die mit den Armen rudernde Frau ebenso von der Bildfläche wie ihr Stadtpanzer. Sekunden später verschlingt der pechschwarze Rauch auch den Beschleunigungsstreifen, der Kai und seine Familie hierher geführt hat – zurück auf die A 1. Kai ignoriert das verärgerte Piepen des Bordcomputers. Er ist immer noch nicht angeschnallt und denkt auch nicht daran, das nachzuholen, bevor sie alle wirklich in Sicherheit sind.

Auf den drei Fahrstreifen herrscht Hochbetrieb, aber es geht voran. Zumindest für alle, die es rechtzeitig geschafft haben, sich an den Auffahrunfällen in Höhe der Tankstelle vorbei zu mogeln. Einige Gaffer haben versucht, nach der Explosion Fotos und Filme mit ihren Handys zu machen. Und haben die verwackelten Bilder für Youtube mit ihrem Verstand oder mit ihrem Leben bezahlt. Auf dem Rücksitz eines Autos mit französischem Kennzeichen – Kai überholt den Wagen auf dem Mittelstreifen von rechts – sitzt ein 15 oder 16 Jahre alter Telefonist mit langen Haaren. Er schlägt seinen Kopf wieder und wieder gegen die Seitenscheibe. Carola sieht, dass der Junge immer noch die Ohrstöpsel seines Handys trägt, an einem weißen Kabel. Ihn hat der Irrsinn mit Musik erwischt. Auf den Vordersitzen des Renaults hocken die Eltern des Teenagers, schreien sich an und fragen sich, was sie jetzt am besten machen.

Kai fährt Slalom, wie viele andere auch. Carola lässt es geschehen. Alles gut, solange sie möglichst viele Meter zwischen sich und die Braut bringen, zwischen sich und dem Feuer, zwischen sich und der Welt da draußen, die aus den Fugen geraten ist zum Ende der Sommerferien. Unfassbar. Eine endlose Reihe aus rot-weißen Sperrbaken blockiert den Standstreifen, bereitgestellt für eine Baustelle in naher Zukunft, die nicht mehr in Angriff genommen wird. Der Fahrer eines Sprinters sieht das zu spät. Er rauscht mit Vollgas in die Absperrungen – und in vier Männer, die gerade dabei waren, ein liegengebliebenes Auto anzuschieben.

Kai weicht in letzter Sekunde aus, beißt sich auf die Unterlippe und wirft einen Blick in den Rückspiegel. Carola hat Annabel und Lara im Griff, im wahrsten Sinne des Wortes. Im Wagen neben ihnen, der A-Klasse-Mercedes fährt auf einer Höhe, spielt sich ein ähnliches Drama ab. Dort sitzen zwei wie Schlosshunde heulende Jungs auf dem Rücksitz. Ihre Mutter hockt über dem Steuer, ganz so, als trage sie die Welt auf ihren gekrümmten Schultern. Sie starrt auf die Straße und fährt mit fünfzig Sachen in unbekannte Weiten. In der Ferne sind weitere Rauchsäulen zu sehen. Schwarze Türme.

„Was geht hier ab?“, fragt Carola. „Was zum Teufel geht hier ab?“

„Das hast du selbst gesehen.“

„Mach das Radio an.“

„Das Radio“, murmelt Kai und schaltet es ein. „Das habe ich ganz vergessen. Warte mal.“

„Nicht so laut.“ Carola hat ihre Arme um die Mädchen gelegt. Sie haben die Augen geschlossen. Lara nuckelt an ihrem linken Daumen, spontan durch die Zeit gereist, ganz weit, zurück ins Land der kleinen Kinder. Annabel weint. Im Radio läuft Open Your Eyes von Snow ­Patrol. Großes Kino, ein Song für die Autobahn an jedem Tag. Nur nicht an diesem. Das sieht auch Carola so. „Wie können die jetzt nur Musik spielen? ICH WILL WISSEN, WAS LOS IST! ICH WILL VERDAMMT NOCHMAL WISSEN, WAS HIER FÜR EIN FILM ABGEHT!“

Die Mädchen werden augenblicklich unruhig. Nun wäre es auch für Kai an der Zeit, zu seinen Lieben auf den Rücksitz zu klettern, um ihnen zu sagen, dass die Welt nicht untergeht, nur weil sich gerade zwei Irre an der Tankstelle mit Benzin übergossen und in die Luft gejagt haben.

„Gerade erst passiert“, sagt Kai so leise wie möglich, in der Hoffnung, dass seine Frau sich das zu Herzen nimmt.

Tut sie aber nicht.

Carola ist außer sich: „Meinst du, es sind die Smartphones? Die zwei an der Tankstelle haben die ganze Zeit auf ihre Telefone gestarrt. AUF IHRE TELEFONE! UND DER TYP IM AUTO DA HINTEN AUCH!“

„Shhht!“ Kai fleht beinahe. „Es sieht ganz danach aus.“

„Und? Was meinst du? Ist das ein ...“

„Anschlag?“

„Ein Terroranschlag! Mist! So ein Mist!“ Carola vergisst das Seelenheil ihrer beiden Mädchen. Und beißt sich auf die Unterlippe.

„Ruhig jetzt!“

„Schon okay.“ Mit einem Mal klingt sie wieder gefasst. Der Staudamm ist gesichert. Vorerst zumindest. „Wir fahren nach Hause und bleiben da, bis alles vorbei ist.“

„Das ist der Plan.“

„Ich hoffe, wir haben genug Vorräte.“

Kai kommt der Kühlschrank in den Sinn, den sie vor dem Urlaub geleert haben. Und der alte Wandschrank in der Abstellkammer, im vergangenen Herbst erst mit Regalböden aus dem Baumarkt versehen, um einer Batterie Konserven Platz zu bieten, die sie niemals gekauft haben. Kai fragt sich, wann er zum letzten Mal in den Schrank geschaut hat. In der Garage stehen zwei Kästen Wasser und noch etwas Bier.

Wir brauchen Nachschub.

„Wo sind unsere Telefone?“

„Im Koffer. Du willst nicht ernsthaft damit ...“

„Gar nichts will ich. Die Dinger sind ohnehin im Eimer.“ Carola seufzt. „Gott sei dank.“

„Wir müssen von der Autobahn runter, solange es noch geht.“ Kai deutet auf die Straße. Vor ihnen versucht ein alter Mann in einem Opel Vectra, einen Lkw rechts zu überholen, aber auf dem Standstreifen stehen die Baken zu dicht. Kai schüttelt den Kopf. „Gleich kracht es.“

Die Jungs von Snow Patrol packen ihre Instrumente ein und werden sie auch auf diesem Sender so schnell nicht wieder in die Hände nehmen. Am anderen Ende meldet sich eine Frauenstimme, angespannt.

„Wir unterbrechen unser Programm aus aktuellem Anlass. Nach ersten Meldungen ist es bundesweit zu einer Reihe von Zwischenfällen mit Toten und Verletzten gekommen. Die Lage ist unübersichtlich. Nach Angaben von Augenzeugen haben sich an Tankstellen Explosionen ereignet. Die Polizei schließt einen Anschlag mit terroristischem Hintergrund nicht aus. Wer eben kann, sollte zu Hause oder zumindest in geschlossenen Räumen bleiben und öffentliche Plätze meiden, bis Entwarnung gegeben wird. Lassen Sie Ihr Radio eingeschaltet und vermeiden Sie Gespräche auf dem Festnetz und mit Ihrem Handy. Gleiches gilt für die Internet-Nutzung. Es ist nicht auszuschließen, dass wir es mit einem gezielten Angriff zu tun haben. Wir halten Sie auf dem Laufenden.“

Keine Musik. Nur Stille. Beunruhigende Stille.

„Mist, Mist, Mist“, murmelt Carola. Alle Sorgen, dass das den Mädchen schaden könnte, laufen ins Leere: Annabel und Lara hören gar nicht zu. Und dann kommt sie in Sicht, sich in die Ferne ziehend, bis zum Horizont – eine Armada aus Bremslichtern. Stau!

00:06

Der froschgrüne Fernbus aus München steht mit laufendem Motor auf dem Seitenstreifen. Er hat die Leitplanke auf einer Länge von mehr als fünfzig Metern zur Seite gedrückt, abgeschliffen und etliche Sperrbaken zermalmt. MIT UNS GEHT ES RUND! Das verkünden kantige Großbuchstaben in neonfarbener Schrift auf der unversehrten Seite des Doppelstöckers. Vor der Familienkutsche der Sterns schieben sich drei Kleinwagen am Bus vorbei. So beobachtet Kai das Schauspiel aus ­sicherer Entfernung. Zunächst zumindest. Es beginnt mit einem Prasseln, das nach einem Hagelschlag klingt, aber ein Regenschauer aus Glasscherben ist. Er fällt auf das Dach eines roten Toyotas. Dann bricht in der Mitte des Busses, weit oben, mit einem Mal ein blutverschmierter Kopf durch die Scheibe. Ein Mann mir wirrem Haar und hoher Stirn hängt hoch oben in den Trümmern des Fensters. Sein Smartphone hält er in der Hand, fest umklammert wie eine Reliquie aus dem Heiligen Land. Auch aus den Ohren dieses Telefonisten hängen die Kabel eines Kopfhörers und baumeln hin und her. Der Mann schiebt seinen Oberkörper noch weiter nach vorne. Er ruft etwas, aber die kehligen Laute sind nicht zu verstehen.

Das Sicherheitsglas verhindert Schnittwunden. Zumindest die der tiefen Sorte. Es dauert Sekunden, bis der Mann aus dem Reisebus kopfüber nach unten stürzt und auf einem der Autodächer aufschlägt. Dann regnet es wieder. Jetzt bricht sich eine Frau aus dem Bus auf dem Weg nach unten das Genick. Tot liegt sie neben ihrem früheren Sitznachbarn, der eigentlich nur von Hamburg aus in den Süden fahren wollte, um ein paar Tage Urlaub zu machen. Da, wo es schön ist.

Ohrenbetäubender Lärm, der von der anderen Seite des Busses herüberschwappt wie eine Flutwelle, lässt erahnen, dass weitere Passagiere vor der Zeit aussteigen wollen. Sie schlagen entweder auf die ramponierten Leitplanken oder auf jene Betonplatten des Standstreifens, die in den nächsten Tagen eigentlich durch eine Asphaltschicht ersetzt werden sollten. Auch auf dieser Baustelle machen die Arbeiter Pause. Und kommen so schnell nicht zurück.

Ein anderer Springer, im Bus sitzen offenbar etliche, hängt in der Fensterschiene und wischt mit gekrümmten Fingern über das Display seines Smartphones. Das Ding blinkt wie verrückt. Gleiches versucht ein einst hübsches junges Mädchen, das mit leerem Blick neben dem Bus steht. Ein Lastwagen, der in das Stauende kracht, beendet alles. Jetzt schreit auch Carola. Kai behält die Nerven und lenkt die Familienkutsche im Schritttempo am Bus vorbei. Und er hofft, dass sie es nicht mit einem weiteren Springer zu tun bekommen. Der Scheibenwischer kämpft tapfer mit einem Berg funkelnder Glasscherben. Vom Gummi­streifen erfasst, kullern sie entweder zur Seite oder rutschen über die Motorhaube hinab auf die Straße.

Ein Donnerschlag dicht über ihren Köpfen lässt Kai, Carola, Lara und Annabel zusammenfahren. Dann ragt ein Arm über die ­Windschutzscheibe. An das Handgelenk des Springers schmiegt sich eine Rolex. Als Kai den Fernbus hinter sich lässt und beschleunigt, bis er dem Bremslicht eines ramponierten Kombis aus den Niederlanden gefährlich nahe kommt, rutscht der Leichnam eines Mannes mit Fernbus-­Ticket nach München vom Dach. Auf der Heckscheibe hinterlässt er zwei breite, rote Streifen.

„Großer Gott“, murmelt Kai. Und er fragt sich, was noch alles passieren wird, bis sie den Highway to hell verlassen. „Großer Gott!“

00:07

„Runter von der Autobahn! Wir müssen sofort hier runter!“

„Wie denn, verdammt?“

„Lass dir was einfallen. Notfalls zu Fuß.“

„Das ist nicht dein Ernst. So kommen wir nie nach Hause!“

„Hast du einen anderen Vorschlag?“

„Nein!“, brüllt Kai und schlägt mit beiden Händen auf das Lenkrad. „Ich habe keinen anderen Vorschlag. Und das weißt du auch.“

„Fein! Dann beruhigen wir uns jetzt einfach mal, okay?“

In genau diesem Moment kommt die Blechlawine wieder in Bewegung, im Schritttempo.

„Es geht weiter!“, ruft Carola vom Rücksitz aus. „Siehst du?“ Sie klingt so, als sei das die Lösung aller Probleme und das Chaos da draußen mit einem Mal beseitigt, weil alle das wollen. Doch weit gefehlt. Kai traut seinen Augen nicht. Wieder schleppt sich die Kolonne durch eine Baustelle. Aber diese hier ist anders. Jenseits der Sperrbaken fehlt auf vielen hundert Metern die Leitplanke. Als Carola bemerkt, dass Kai den Blick nicht davon abwenden kann, wird es laut im Transporter.

„Daran solltest du noch nicht einmal denken.“ Sie lässt ihren Mann nicht einen Moment lang aus den Augen.

„Woran?“

„Du weißt, was ich meine.“ Sie wirft einen Blick auf den Abhang jenseits der Baustelle. Das Gelände dahinter fällt steil ab. „Da geht es tief runter. Da kommen wir nicht weiter. Nie im Leben. Hast du mich verstanden?“

„Wir sollten es versuchen.“

„Nein!“

„Doch!“

„Ich sagte NEIN! Was ist, wenn wir steckenbleiben? Was ist, wenn das zu steil für uns ist? Was ist, wenn wir ...“ Weiter kommt Carola Stern nicht. Hinter ihnen ist ohrenbetäubender Lärm zu hören. Hinter ihnen schieben zwei 40-Tonner vor ihren Fronten Auto um Auto zusammen. Der eine Lkw links, der andere rechts. Kai kommt nicht mehr dazu, sich zu fragen, was in die Trucker gefahren ist. Nur drei unversehrte Wagen liegen noch zwischen der Familie im Auto und den Todbringern. Geisterbahn, schießt es Kai durch den Kopf, das hier ist eine gottverdammte Geisterbahn, und wir finden die Ausfahrt nicht. Wenn wir nicht aufpassen, kommen wir nie wieder raus. Dann werden wir hier sterben, eingekeilt zwischen Blech und Kunststoff, mit dem Geruch von Benzin in den Nasen, bis es Feuer fängt und wir alle verbrennen.

„Festhalten!“ Kai fasst sich ein Herz und schert aus. Die Familien­kutsche rammt die Stoßstange eines Golfs, der sich vor ihnen voran schiebt, aber das spielt keine Rolle mehr. Kai steuert den Van geradewegs durch die Sperrbaken und zermalmt zwei von ihnen unter seinen Reifen. Das Auto schaukelt aufgebracht hin und her, als es über einen Schotterstreifen geht. Sekunden später haben die 40-Tonner die Lücke erreicht, in der sie gerade noch gestanden haben. Die beiden Frauen im Golf sterben in den Trümmern ihres Wagens. Sie sehen den Sonnenschein ihres letzten Tages nur noch schemenhaft, als Umriss auf der Windschutzscheibe in einem Meer aus Scherben.

„FESTHALTEN!“

Der Umstand, dass in diesem Abschnitt der Autobahn gerade ein neuer Standstreifen angelegt wird, der sich notfalls zu einer dritten Fahrspur machen lässt, rettet Kai und seiner Familie in diesen Minuten das Leben. Um mit schwerem Gerät am Asphalt arbeiten zu können, hat man erst vor zwei Tagen die alten Leitplanken aus den 90ern entfernt. Der Weg ist frei. Der Van überquert die Schotterpiste und rammt ­beinahe einen herrenlos herumstehenden Bagger. Dann gräbt er sein Reifenprofil in weichen Asphalt, der noch nicht ausgehärtet ist. ­Verboten! Was wir hier machen, ist verboten! Schließlich neigt sich die demolierte Familienkutsche nach vorne und saust abwärts durch dichte Sträucher, bis sie krachend aufsetzt – mit der Stoßstange zuerst. Ein Knirschen geht durch den Wagen, unheilvoll. Über die Windschutzscheibe zieht sich ein gezackter Riss. Der Motor heult auf, die Reifen drehen durch, außer Rand und Band, und am Tacho leuchten blutrote Symbole auf, die alles, nur nichts Gutes verheißen. Kai dankt Gott, dass sich ihnen kein Baumstamm in den Weg gestellt hat, um allem hier ein Ende zu machen. Kai, Carola, Annabel und Lara stehen auf einer Wiese unterhalb der Autobahn. Sie haben es geschafft. Vorerst.

00:08

„Bist du wahnsinnig?“, kreischt Carola hinter ihm, immer noch auf den billigen Plätzen, die Augen weit aufgerissen. Das Ganze hier hat was vom Cockpit eines Bombers, der mit schwerer Fracht unterwegs und vom Kurs abgekommen ist. Mit dieser Nummer hätten wir es unter normalen Umständen am nächsten Morgen in die Zeitung geschafft. Und am selben Abend in die Regionalnachrichten im Fernsehen. Aber das hier sind keine normalen Umstände. Kai fragt sich, was ihm im Moment mehr Angst macht: Der Anblick seiner verzweifelten Frau im Rückspiegel. Oder das Schluchzen seiner Töchter, in einem Tonfall, den er nie zuvor gehört hat. Das Dröhnen des Motors holt ihn ins Leben zurück. Um ein Haar würgt er ihn ab. Ob die Kutsche dann jemals wieder anspringt? Die Karre hier verzeiht schon einiges, doch diese Nummer ist zu viel des Guten. Wir haben Glück, wenn wir es nach Hause schaffen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Abhang nicht ganz so steil ist, wie er von der Autobahn aus ausgehen hat. Bei mehr Gefälle hätten wir uns überschlagen und wären nicht in einem Stück hier unten angekommen. Wir müssten sitzen bleiben, bis jemand kommt und uns in Leichensäcke steckt. Vorausgesetzt, es gibt noch welche.

Erst jetzt erinnert sich Kai daran, dass er nicht angeschnallt ist. Dass es ihn bei einem echten Aufprall mit voller Wucht erwischt hätte. Kai hält das Lenkrad mit beiden Händen, verschwitzt, zitternd und erledigt. Hoffentlich ist die Achse nicht gebrochen. Weiter oben, auf der Autobahn, ist rollender Donner zu hören. Irgendwo schreit jemand nach Leibeskräften. Eine Frau. Plötzlich verstummt sie. Dann eine Explosion. Nicht ganz so laut wie die an der Tankstelle, aber extrem genug, um sie alle zusammenfahren zu lassen. Carola schnappt nach Luft wie nach einem 100-Meter-Lauf. Und schimpft weiter, nur, um sich selbst zu beruhigen: „Hast du den Verstand verloren?“

„Nicht mehr als die da draußen“, knurrt Kai. „Sollte ich abwarten, bis wir nicht mehr weiterkönnen?“

„Nein.“ Carola beruhigt sich. „Natürlich nicht.“

„Na also.“

„Bring uns hier weg!“

„Was glaubst du, was ich hier mache?“

„Du bringst uns noch um, wenn du so weiterfährst.“

„Drückt lieber mal die Daumen, dass die Karre noch läuft. Seid ihr in Ordnung?“

„Denke schon.“ Carola sieht zuerst Lara an. Dann Annabel. Die Mädchen nicken nach einer halben Ewigkeit.

Und dann übernimmt etwas anderes die Regie. Hoch oben, am Abhang, taucht mit einem Fauchen das Führerhaus eines Sattelschleppers auf. Ein weiß lackiertes Ungeheuer, zwischen den hohen Büschen, die Kai und seine Familie auf ihrer Schussfahrt gerade erst hinter sich gelassen haben. Kai starrt hoch, soweit es das Schiebedach der Familien­kutsche zulässt, schluckt einen Schrei herunter und tritt das Gaspedal bis zum Anschlag. Augenblicklich arbeitet sich der Van bergauf, mit heulendem Motor, über eine frisch gemähte Wiese. Und rammt um ein Haar ein altes Fendt Dieselross, Baujahr 1955, das verlassen und mit tuckerndem 15-PS-Motor vor ihnen steht. Der zum Traktor gehörende Bauer steht etwas abseits und erleichtert sich gerade mit heruntergelassenen Hosen in einen Bachlauf.

Der Mann starrt die Sterns an und schwenkt mit der freien Hand sein Outdoor-Senioren-Smartphone wie eine Fernbedienung. Der Kopf des Mannes ist hochrot. Das graue Haar steht wirr vom Kopf ab.

Sein Handy blinkt.

„Nicht hinschauen“, ruft Kai, als er das Display sieht. „Nicht hinschauen!“

„Wohin nicht schauen?“, fragt Lara auf dem Rücksitz. „Wohin sollen wir nicht schauen?“

„DAS TELEFON, VERDAMMT!“, brüllt Kai außer sich. „SCHAUT NICHT AUF DAS TELEFON!“

„Kai?“, fragt Carola fassungslos. „Was soll das? Wie oft habe ich dir gesagt, dass du nicht vor den Kindern fluchen sollst?“

„Zu oft!“ Kai deutet durch die Scheibe auf den Mann in der Latzhose, der das Handy ins Gras fallen lässt. Der Telefonist hastet los, dem Van hinterher, vergisst aber, dass seine Hosen immer noch unten sind. So strauchelt er schon auf dem ersten Meter, wirft Kai einen verdutzten Blick zu und kippt wie ein gefällter Baum nach vorne – mit seinem ziemlich dürren Ast ganz unten. Genau betrachtet, ist der Ast allenfalls ein Zweig. Wenn überhaupt.

Der Mann richtet sich mühsam auf. Wankt wie eine alte Buche im Sturm. Will weiterlaufen. Und fällt wieder hin.

„Festhalten!“, beschwört Kai seine Mitfahrer.

Der irre Bauer entleert sich noch einmal und schenkt dem Lastzug, der sich hoch oben jetzt mit einem Höllenlärm zu Wort meldet, keine Beachtung. Das Führerhaus des Lkw neigt sich vor und zurück, bis sich das Ungetüm in Bewegung setzt, über die Kante des Abhangs fährt und nun die Böschung herunter rauscht, mit einem endlos langen Anhänger im Schlepptau, der dem Kurs nur widerwillig folgt. Dem hydraulischen Schnaufen folgen vier Donnerschläge. Selbst die stattlichen Kiefern, die schräg in den Hang gewachsen sind, halten den Lastzug auf seiner Schussfahrt nicht mehr auf. Dem Fahrer misslingt ein Bremsmanöver. Der voll beladene Anhänger kippt zur Seite und zieht die Kanzel mit sich. Der Lkw ist noch immer nicht am Ziel, als er Feuer fängt, weiter rutscht und alles niederwalzt, was ihm im Weg ist. Bis zum Aufschlag vergehen keine drei Sekunden. Dann liegt das Ungetüm da, zerrissen und verzogen. Kai sieht im Davonfahren, dass die Fahrertür der Kanzel nach oben schwingt und sich ein bärtiger Mann mit Schirmmütze ins Freie kämpft.