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Paulus gilt als der Heidenmissionar im Urchristentum schlechthin. Aber Paulus war kein Einzelkämpfer. Er hatte eine Vielzahl von Mitarbeitern, von denen die bedeutendsten Timotheus und Titus waren. In diesem Buch wird dargestellt, wie ihre Tätigkeit und Verantwortung aussah: Im Auftrag des Paulus haben sie von Paulus gegründete Gemeinden besucht – haben Briefe überbracht, in Streitigkeiten vermittelt und in Vollmacht des Paulus Weisungen weitergegeben. Drei Briefe aus der Zeit nach Paulus sind diesen beiden Personen gewidmet (zwei Briefe an Timotheus, einer an Titus) und drücken damit die Bedeutung aus, die sie für die weitere Überlieferung der paulinischen Verkündigung gespielt haben. Die Nachwirkung der beiden ist aber noch umfangreicher: ihre Tätigkeit (als Bischöfe in Ephesus und auf Kreta) wird in Legenden dargestellt, sie wirken in literarischen Werken nach, ihre sterblichen Überreste (Reliquien) haben z.T. eine dramatische Geschichte und bis heute Bedeutung (Termoli/Italien und Kreta), als Heiligen und Patronen werden ihnen noch heute Kirchen gewidmet. TIMOTHY AND TITUS: On the Road for Paul Today Paul is seen as the most important missionary in early Christianity. But Paul was not a lone warrior. He was assisted by numerous helpers, most important among them Timothy and Titus. This book gives details of their activities and responsibilities: They were asked by Paul to visit the communities he had founded, to transport letters, settle disputes, and convey his instructions. Three epistles from the time after Paul are dedicated to these two men (two to Timothy and one to Titus), expressing the importance they had for the transmission of Paul's message. Yet their aftereffects are even more comprehensive: Their activities (as bishops of Ephesus and Crete) are narrated in legends; they are the subject of literary works; their mortal remains (relics) were the cause of dramatic events and are significant to this day (Termoli in Italy and Crete); in their function as patron saints they lend their names to churches to this day.
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Seitenzahl: 280
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Biblische Gestalten
Herausgegeben von
Christfried Böttrich und Rüdiger Lux
Band19
Hermann von Lips
Timotheus und Titus
Unterwegs für Paulus
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie;
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3., aktual. Auflage 2016
© 2008 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH · Leipzig
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Cover: behnelux gestaltung, Halle/Saale
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017
ISBN 978-3-374-04969-1
www.eva-leipzig.de
Cover
Titel
Impressum
Vorwort
A. Einführung
1. Die Perspektive des Themas
2. Paulus und seine Mitarbeiter
3. Quellen, Chronologie und Verlauf der Paulusreisen
3.1 Die Quellen
3.2 Die Chronologie
3.3 Verlauf der Paulusmission
3.3.1 Reisen in der römischen Antike
3.3.2 Die Reisen des Paulus
4. Zur Biographie des Timotheus und Titus
4.1 Namen
4.2 Daten der Biographie
B. Darstellung
1. Timotheus
1.1 Aufträge und Funktionen des Timotheus
1.1.1 Die Anfänge
1.1.2 Timotheus in Thessalonich
1.1.3 Timotheus in Korinth
1.1.4 Timotheus in Philippi
1.1.5 Timotheus in der Kollektendelegation
1.2 Einschätzung des Timotheus durch Paulus
2. Titus
2.1 Aufträge und Funktionen des Titus
2.1.1 Die Anfänge – Titus beim Apostelkonzil
2.1.2 Titus als Vermittler in Korinth
2.1.3 Titus als Organisator der Kollekte
2.2 Einschätzung des Titus durch Paulus
3. Probleme bezüglich Timotheus und Titus in der Apostelgeschichte
3.1 Die Beschneidung des Timotheus
3.2 Die Frage nach Titus
3.2.1 Der Befund
3.2.2 Erklärungsversuche
4. Timotheus und Titus in der Sicht der Pastoralbriefe
4.1 Die Bedeutung von Timotheus und Titus als Apostelschüler
4.2 Timotheus in Ephesus
4.3 Titus auf Kreta
4.4 Folgerungen für die Pastoralbriefe
5. Timotheus in anderen neutestamentlichen Schriften
C. Wirkungsgeschichte
1. Timotheus und Titus in der legendarischen Tradition
1.1 Timotheus
1.1.1 Timotheusakten
1.1.2 Erweiterungen der Timotheus-Legende
1.2 Titus
1.2.1 Titusakten
1.2.2 Erweiterungen der Titus-Legende
2. Literarische Nachwirkung
2.1 Timotheus
2.2 Titus
3. Geschichte der Reliquien
3.1 Timotheus
3.2 Titus
4. Verehrung als Heilige und Patrone
4.1 Timotheus und Titus im Heiligenkalender
4.2 Timotheus
4.3 Titus
5. Darstellung in der Kunstgeschichte
6. Nachwirkung in der Gegenwart
D. Verzeichnisse
1. Literaturverzeichnis
1.1 Quellen
1.2 Allgemeine Literatur
2. Abbildungsverzeichnis
Fußnoten
Einige Literatur zu den Pastoralbriefen ist seit der zweiten Auflage erschienen, die im Literaturverzeichnis eingearbeitet wurde. Sofern sie den Pastoralbriefen insgesamt gilt (Engelmann, Fuchs, Glaser, Hentschel, Herzer, Hoppe, Krumbiegel, Lieth, Mutschler), trägt sie aber keine neuen Aspekte zu den »Personen« Timotheus und Titus bei.
Die neueste Veröffentlichung zu den Pastoralbriefen stammt von Norbert Lieth (2015). Leider wird aber hier auf keine wissenschaftliche Literatur Bezug genommen (ein Literaturverzeichnis fehlt vollkommen), zudem erfolgt die Interpretation ohne historisch-kritische Sichtweise, trägt für unsere Fragestellung (also im Blick auf Timotheus und Titus) nichts aus.
Halle (Saale), im Juni 2016
Hermann von Lips
Als einer, der seit langem mit den Pastoralbriefen befasst ist, nahm ich das Angebot, in den »Biblischen Gestalten« den Band über Timotheus und Titus zu schreiben, gerne an. Die Arbeit daran konnte mich auch im Verständnis der Pastoralbriefe weiter bringen. Aber daß es so spannend wurde, ahnte ich nicht. Über Timotheus und Titus ließen sich natürlich den neutestamentlichen Texten keine Sensationen entlocken. Sie waren wichtige Mitarbeiter, »unterwegs für Paulus«, der sich auf sie besonders verlassen konnte. Das Bildmotiv auf dem Cover weist sicher deutlich auf die Strapazen der Reisen und durchgeführten Aufgaben der beiden Apostelmitarbeiter zu ihren Lebzeiten hin. Als ein geradezu abenteuerlicher Zusammenhang erwies sich bei den Recherchen das Nachleben des Timotheus. »Dramatisch« sei die Geschichte der Reliquien des Timotheus, heißt es in einem modernen Heiligenlexikon. Dieses Vorwort schreibe ich am 13. April 2008, dem Tag, an dem der berühmte »Halberstädter Domschatz« nach langer Sanierung mit höchster politischer und kirchlicher Prominenz wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Timotheus und Teile des Halberstädter Domschatzes haben ein paralleles Schicksal: Sie wurden beim 4. Kreuzzug im Jahre 1204 aus Konstantinopel geholt, man kann auch sagen: geraubt. Der Weg der sterblichen Überreste des Timotheus führte über das Meer nach Termoli im Süden Italiens. Der Weg einiger Kirchenschätze, die heute in Halberstadt glänzen, führte unter der Regie des dortigen Bischofs Konrad von Krosigk (bei Halle) über die Alpen bis nach Halberstadt am Harz.
Gerne füge ich den Dank an diejenigen an, die mir bei der Entstehung dieses Buches geholfen haben, in dem nun die gesammelten Beobachtungen ihren Niederschlag gefunden haben. Dank gilt meinen ehemaligen studentischen Hilfskräften Rebekka Klein und Christiane Lober, meiner jetzigen Hilfskraft Lena Burghardt sowie meinem bisherigen Assistenten Friedemann Krumbiegel. Meiner Frau danke ich besonders für die gemeinsame Entdeckungsreise nach Termoli, dem (wahrscheinlichen) letzten Ruheort des Timotheus – und Dank auch dem dortigen Pfarrer Don Gabriele, der uns den Zugang zu den unterirdischen Räumen ermöglichte.
Halle (Saale), im April 2008
Hermann von Lips
Thema dieses Buches sind die beiden Paulusmitarbeiter Timotheus und Titus. Damit ist ein bestimmter Horizont der urchristlichen Geschichte angesprochen. Zentral sind im Anschluss an das Wirken Jesu die Jünger Jesu und die Apostel. Sie bestimmen die Anfangsgeschichte des Urchristentums, die daher den Namen »apostolisches Zeitalter« bekommen hat. Sie sind entscheidend dafür geworden, dass es zur Verkündigung der Christusbotschaft und damit zur Ausbreitung des Christentums gekommen ist.
Wenn nun von Mitarbeitern eines Apostels die Rede ist, dann kommen Personen in den Blick, die eine doppelte Bedeutung haben: Zeitgleich sind es Glaubenszeugen, die nicht aus eigener Vollmacht und Initiative tätig sind, sondern die Arbeit der Apostel unterstützen und durch ihre Tätigkeit mittragen. Denn wir werden uns die Apostel nicht als Alleinunterhalter vorzustellen haben. Und schon in den Aussendungsreden der Evangelien wird davon ausgegangen, dass die Jünger zu zweit ausgesandt wurden (Mk 6,7; Lk 10,1) – also Arbeit im Team, würden wir heute sagen. Dies wurde, wie wir sehen werden, für Paulus sehr wichtig.
Wir können davon ausgehen, dass die Mitarbeiter der Apostel zumindest teilweise jünger waren als ihre »Vorgesetzten«. Aus den Mitarbeitern werden – und das ist die zweite Bedeutung – diejenigen, die die nach den Aposteln folgende Generation geprägt haben: also die zweite christliche Generation der Apostelschüler, die das Wirken der Apostel begleitet haben und dann fortsetzen. Auch wenn sie die Arbeit der Apostel fortsetzen, kann man nicht im wörtlichen Sinne von Nachfolgern der Apostel sprechen, denn die »Apostel« sind ein Amt sui generis, historisch einmalig, das nicht fortgesetzt werden kann.
Zu den beiden hier angesprochenen Paulusmitarbeitern oder Paulusschülern können natürlich weitere Namen aus den neutestamentlichen Schriften genannt werden, die im Umfeld des Paulus und anderer Apostel wirksam waren. Die beiden sind hier also als pars pro toto zu sehen, weil sie die in Paulusbriefen am häufigsten genannten Mitarbeiter sind und ihnen zudem drei neutestamentliche Briefe gewidmet wurden (2 Timotheusbriefe und der Titusbrief).
Den Mitarbeitern des Paulus sind schon manche Untersuchungen gewidmet worden.1 Es soll hier also nicht um eine vollständige Auflistung gehen, sondern um die Bedeutung und Funktion von Mitarbeitern in der Missionstätigkeit des Paulus. Wir werden dabei, wie in der Forschung üblich, nach Art der Beziehung zu Paulus drei Gruppen unterscheiden können: die Mitarbeiter im engeren Sinn, die unabhängigen Mitarbeiter und die Gemeindeabgesandten.
Zunächst ist die Missionsmethode des Paulus in den Blick zu nehmen. Wenn von seinen »Missionsreisen« gesprochen wird, könnte man an Reisen in unserem heutigen Sinne denken: Reise von einem zum nächsten Ort entsprechend einer geplanten Reiseroute, bis das Ziel erreicht ist, dann zurück zum Ausgangsort, schließlich Start zur nächsten, neuen Reise mit neuen Orten. So lernt man schließlich die ganze Welt kennen. So aber sahen nicht Planung und Vorgehen des Paulus aus.
Natürlich waren zunächst alle Orte, in die Paulus kam, für die christlichen Missionare Neuland. Aber dabei blieb es nicht. In die meisten Orte, in denen Paulus Gemeinden gründete, kam er nämlich mindestens ein zweites Mal.
Dies ist eines der Merkmale der paulinischen Mission: Er gründet nicht eine Gemeinde, um sie dann als »fertig« sich selbst zu überlassen. Sondern er versteht sich dann als deren »Vater«, für die er sich weiterhin verantwortlich weiß (1Kor 4,15). Für die Wahrnehmung seiner Verantwortung hat er drei Möglichkeiten: Einen neuen Besuch, um den Stand der Entwicklung in der betreffenden Gemeinde in Augenschein zu nehmen. Den Hinweis auf solche stattgefundenen bzw. geplanten wiederholten Gemeindebesuche können wir vielen seiner Briefe entnehmen. Wenn er selbst verhindert ist, dies zu tun, kann er aber auch einen seiner Mitarbeiter senden, der in Erfahrung bringt, wie es in der Gemeinde steht, und dies dann dem Paulus berichtet. Damit kommt also eine wichtige Funktion seiner Mitarbeiter in den Blick: Kontakt zu den Gemeinden zu halten. Es können hier aber auch Gemeindeabgesandte sein, die auf Initiative einer Gemeinde als Besucher zu Paulus kommen. Schließlich besteht die dritte Möglichkeit, in brieflichen Kontakt zur Gemeinde zu treten und insbesondere Ratschläge für in Erfahrung gebrachte Probleme zu geben. Dem verdanken letztlich alle Paulusbriefe ihre Entstehung (Ausnahme: Römerbrief). Ganz wichtig ist dabei das antike Verständnis des Briefes, das diesem größere Bedeutung beimisst, als nur eine Form der Kommunikation zu sein. Der Brief gilt als »Ersatz für die Anwesenheit« des Schreibers. Das gilt generell, aber eben auch für die Briefe des Paulus. Das gibt den Briefen ihre Autorität: Sie sind Briefe des Apostels. Wenn schon jeder Privatbrief – nach antiker Auffassung – Ersatz der Anwesenheit des abwesenden Schreibers ist, dann umso mehr der Brief eines Apostels: Er ist gewissermaßen ein amtliches Schreiben. Paulus kann so weit gehen, dass er sich mittels seines Briefes als anwesend – und daher mitentscheidend! – bei einem Beschluss der Gemeindeversammlung ansieht (1Kor 5,4).
Paulus wird auf seinen Missionsreisen immer von Mitarbeitern begleitet. Das schildert uns vor allem die Apostelgeschichte. Auf der ersten Reise nach Zypern und Kleinasien ist dies Barnabas. Auf der zweiten Reise (ab Apg 15,36) ist es Silas und sodann Timotheus. Dabei wird deutlich, dass seine Mitarbeiter nicht nur Assistenten sind, die Zuarbeiten für ihn erledigen. Sondern sie sind, wie Paulus, auch selbst als Prediger und Missionare tätig – unbeschadet der Tatsache, dass Paulus der Leiter des missionarischen Vorgehens bleibt. Hier wird ein zweites Merkmal seiner Missionsmethode sichtbar: Paulus wählt manche Orte ausdrücklich als Missionszentren, von denen aus er im Umland die Mission durchführen lässt. Wir wissen im Einzelnen nicht, wie lange sich Paulus in einzelnen Städten aufhielt, in denen er missionierte. Eindeutig wird aber von Korinth und Ephesus berichtet, dass er dort einen längeren Zeitraum verbrachte: mindestens 18 Monate in Korinth (Apg 18,11), jedenfalls 2¼ Jahre in Ephesus (Apg 19,8.10). Hier ist davon auszugehen, dass Paulus seine Mitarbeiter ins Umland aussandte, um dort zu missionieren und Gemeinden zu gründen. Ohne dass dies im einzelnen ausgeführt wird, haben wir klare Hinweise, dass es nicht nur in Korinth, sondern auch im weiteren Umland christliche Gemeinden gab. Paulus adressiert z.B. den 2. Korintherbrief (1,1) »an die Gemeinde Gottes in Korinth samt allen Heiligen in ganz Achaja« – und d.h. im Umfeld von Korinth, das ja Hauptstadt der Provinz Achaja ist. Auch für Ephesus wissen wir indirekt, dass Paulus von dort aus durch Mitarbeiter hat missionieren und Gemeinden gründen lassen. Der Kolosserbrief – der zwar nicht von Paulus geschrieben wurde, sondern von einem seiner Schüler, aber doch einen zutreffenden Sachverhalt beschreibt – spricht an, dass nicht Paulus, sondern sein Mitarbeiter Epaphras diese Gemeinde gegründet hat (Kol 1,7). Für Ephesus, wo Paulus sich besonders lange aufhielt, wird wohl zu Recht angenommen, dass sich Paulus dort auch der Ausbildung von Mitarbeitern als Verkündigern und Theologen gewidmet hat. Man geht daher von Ephesus als Sitz einer »Paulusschule« auch noch für die Zeit nach Paulus aus. Mitarbeiter des Paulus hätten dann auch später noch in Ephesus sich der Pflege und Weitergabe paulinischer Theologie gewidmet. Bei den zuletzt genannten Mitarbeitern ist an die Gruppe der Mitarbeiter im engeren Sinne zu denken. Sie waren von Paulus für ihren Dienst ausgewählt worden und ihm dadurch besonders verbunden. Sie haben Paulus auf den Reisen begleitet, haben vor Ort seine missionarische Arbeit unterstützt und haben auch besondere Reiseaufträge für ihn unternommen. Dazu sind zu rechnen Silas und eben auch Timotheus und Titus.
Zu den unabhängigen Mitarbeitern dagegen ist zu rechnen etwa Barnabas, der bereits vor Paulus Christ war und mit ihm erste missionarische Aktivitäten unternahm (Apg 13–14). Auch das in Korinth und dann in Ephesus anwesende Ehepaar Aquila und Priska (so bei Paulus; in der Apg: Priszilla) ist bereits selbständig in der Mission aktiv, arbeitet aber zeitweilig mit Paulus zusammen (Apg 18,2–3). Ähnliches gilt wohl auch für Apollos, von dem Paulus wohlwollend gegenüber den Korinthern spricht, aber zu erkennen gibt, dass dieser durchaus eigenständig über seine Aktivitäten und Reisen entscheidet (1Kor 16,12).
Ganz anders einzuordnen sind die Gemeindeabgesandten. Es sind Mitglieder aus Gemeinden, die Paulus gegründet hat, und die dadurch ihm verbunden sind. Sie sind aber nicht feste Mitarbeiter, sondern pflegen bei konkreten Anlässen und auf Veranlassung der Gemeinden deren Kontakt mit Paulus. Und sie können zu Begleitern des Paulus werden, wenn Gemeinden sie dazu abgeordnet haben. So ist dies bei der Gruppe, die Paulus offensichtlich bei seiner Kollektenreise nach Jerusalem begleiten soll (Apg 20,4; vgl. Paulus selbst in 1Kor 16,3–4; 2Kor 9,4).
Timotheus und Titus treten für uns nur als Mitarbeiter des Paulus in seiner Missionstätigkeit in den Blick. Daher ist für die Erfassung ihrer Tätigkeit das Wirken des Paulus als Rahmen vor Augen zu stellen. Es ist also zunächst ein Überblick über die wesentlichen Aspekte des paulinischen Wirkens zu geben. Dazu gehört die Frage nach den Quellen, denen wir dies entnehmen können; nach der Chronologie, die uns den zeitlichen Ablauf erfassen lässt; und schließlich insgesamt nach dem zeitlichen und geographischen Verlauf der Paulusreisen.
Das Wirken des Paulus ist der einzige Bereich in der Geschichte des Urchristentums, zu dem wir primäre Quellen haben. Es sind die Briefe des Paulus als der einzigen Person des frühen Christentums, die uns selbst Schriftliches hinterlassen hat. Einschränken müssen wir, dass hier nur diejenigen Briefe in Frage kommen, die die heutige Forschung mehrheitlich als authentisch anerkennt, während einige der unter dem Namen des Paulus überlieferten Briefe als von Paulusschülern geschrieben anzusehen sind. Die authentischen Briefe sind (in der Abfolge unserer Bibelausgaben): Römerbrief, 1. und 2. Korintherbrief, Galaterbrief, Philipperbrief, 1. Thessalonicherbrief und Philemonbrief.
Sehr wichtig als sekundäre Quelle ist die Apostelgeschichte, die das Wirken des Paulus in einen Rahmen stellt, der den ungefähren äußeren Ablauf erkennen lässt. Daher stellt die Apostelgeschichte für uns eine unersetzliche Quelle dar. Paulus hatte ja kein Interesse daran, für seine Nachwelt biographische Daten zu hinterlassen. Das Anliegen seiner Briefe war immer ganz auf die als Adressat genannte jeweilige Gemeinde gerichtet. Alle Hinweise auf Aufenthaltsorte und Reiserouten sind als aktuelle Information für die konkrete Gemeinde gedacht: Seine Aufenthalte in Jerusalem werden zur Argumentation gegenüber den galatischen Gemeinden genannt (Gal 1,17–2,1); seine geplante Reiseroute von Korinth über Jerusalem nach Rom und dann nach Spanien teilt Paulus den Römern mit, um sein Kommen anzukündigen und dann deren Begleitung zu erbitten (Röm 15,22–29). Das letzte Beispiel ist eines von denen, die zeigen, wie dann auch Pläne nicht verwirklicht werden konnten. Nur die Apostelgeschichte klärt uns im konkreten Fall auf, dass durch die Verhaftung des Paulus in Jerusalem ihm die Möglichkeit der Verwirklichung seiner Reisepläne genommen war. Die Apostelgeschichte hat im Unterschied zu Paulus das Interesse, die große Linie im seinem Wirken als Verkündiger der Christusbotschaft (sie nennt ihn in der Regel bewusst nicht »Apostel«!) im Zusammenhang darzustellen. Sie will den Weg des Evangeliums von Jerusalem nach Rom (genauer: »bis ans Ende der Erde«, wofür dann die Welthauptstadt steht; 1,8) darstellen. Daher nimmt die Zeichnung des von Paulus gegangenen Weges bis Rom mehr als die Hälfte des ganzen Buches ein (Apg 13-28). Wir können also die Wege des Paulus nur erfassen, wenn wir den Rahmen der Apostelgeschichte zu Hilfe nehmen und die aus den Paulusbriefen entnommenen Hinweise darin einfügen.
In der Forschung gab es immer wieder große Diskussionen über den Geschichtswert der Apostelgeschichte. Extreme Positionen, dass Lukas als Paulusbegleiter und somit Augenzeuge alles historisch genau aufgeschrieben oder aber, dass er aus schriftstellerischem Interesse die Abläufe völlig frei gestaltet habe, werden heute kaum mehr vertreten. Immerhin wird eine Frage weiterhin diskutiert: Könnten die sog. Wir-Berichte, d.h. Teilberichte im »Wir-Stil« (Apg 16,10–17; 20,5–15; 21,1–18; 27,1–28,16) nicht doch von einem Paulusbegleiter stammen und der Verfasser der Apostelgeschichte hätte diese als Quellen aufgenommen? Als Alternative werden die ab Apg 16 erwähnten Paulusbegleiter Silas (J. Wehnert) oder Timotheus (R. Pesch) vorgeschlagen. Aber Spannungen im Text der Apostelgeschichte sprechen dagegen. Nur zwei Beispiele: Die beiden Begleiter werden ab Apg 16,4.6 mit Paulus als »sie« eingeführt, warum folgt dann erst ab 16,10 das »wir«? Oder: Wir lesen in 20,4 von einer Gruppe, zu der Timotheus gehört, und in 20,5: »Diese reisten voraus und warteten auf uns in Troas.« Das kann also nicht Timotheus geschrieben haben. Daher ist den Auslegern zuzustimmen, die auf den »Wir-Stil« als literarisches Stilmittel in antiken Reiseberichten hinweisen, das auch der Verfasser der Apostelgeschichte verwendet habe.
Als Bestätigung, dass die Apostelgeschichte nicht vom Paulusmitarbeiter Lukas stamme, haben auch die mehrfach feststellbaren theologischen Differenzen zu Paulus zu gelten. Andererseits geht man heute davon aus, dass Lukas Itinerare (Aufzählung von Reisestationen) von den Paulusreisen kannte und daher auf feste Traditionen zurückgreifen konnte. Wir müssen aber zweifellos feststellen, dass Lukas deutlich auch Lücken erkennen lässt und in manchen Abläufen und Vorgängen seine theologisch geprägte Gestaltung sichtbar wird. Zu den Lücken gehört z.B., dass von der Landschaft Galatien nur zweimal beiläufig gesprochen wird (Apg 16,6; 18,23), der Galaterbrief des Paulus aber eindeutig die Existenz einer Mehrzahl von Gemeinden in diesem Gebiet belegt. Eine andere Lücke, die gar nicht zu füllen ist, betrifft die Landschaft Illyrien (im Westen des Balkan), die Paulus klar als Missionsgebiet erwähnt (Röm 15,19), von Lukas aber nirgends genannt wird. Wo Illyrien im Rahmen der paulinischen Missionsreisen unterzubringen ist, bleibt ein Rätsel.
Die Rekonstruktion des Ablaufs des paulinischen Wirkens setzt also die Kombination der primären Quelle Paulus und der sekundären Quelle Apostelgeschichte voraus. Eine vollständige Rekonstruktion kann dabei nicht erwartet werden. Aber wir bekommen doch einen anschaulichen Überblick für den Hauptzeitraum der missionarischen Tätigkeit des Apostels Paulus. Klar muss aber auch sein, dass im Falle der Differenz den Aussagen der Paulusbriefe als Primärquelle der Vorzug gegenüber der Apostelgeschichte zu geben ist. Das heißt z.B. im Falle des wichtigen Ereignisses des Apostelkonzils in Jerusalem, dass der paulinischen Darstellung, wonach ein gesetzesfreies Evangelium für die Heiden ohne Auflage anerkannt wurde (Gal 2,6), der Vorzug zu geben ist gegenüber Lukas, der von einem einschränkenden Abschlussdekret (»Aposteldekret«) zu wissen meint (Apg 15,19f. 28f.).
Zur Erfassung zeitlicher Abläufe unterscheiden wir zwischen relativer und absoluter Chronologie. Das bewährt sich auch für die Rekonstruktion der Zeitabläufe der paulinischen Aufenthalte und Reisen. Angaben zur relativen Chronologie finden wir sowohl bei Paulus als auch bei Lukas. Damit sind zeitliche Angaben gemeint, die aber ohne fixes Datum genannt werden, von dem aus sie konkret fassbar wären.
Den umfangreichsten Text mit biographischen Angaben bietet uns Paulus im Galaterbrief, wo es ihm um die Klärung seines Verhältnisses zu den Jerusalemer Aposteln und dabei vor allem um seine selbständige Stellung diesen gegenüber als Apostel geht (Gal 1–2). Er betont, dass er nach seiner durch Gott (und nicht durch Menschen) geschehenen Berufung zum Apostel »nicht hinauf nach Jerusalem (ging) zu denen, die vor mir Apostel waren, sondern zog nach Arabien und kehrte wieder zurück nach Damaskus. Danach, drei Jahre später, kam ich hinauf nach Jerusalem, um Kephas kennenzulernen, und blieb fünfzehn Tage bei ihm« (Gal 1,17–18). Nach kurzen Andeutungen über seine anschließenden Aufenthalte fährt er wenig später fort: »Danach, vierzehn Jahre später, zog ich abermals hinauf nach Jerusalem« (2,1). Andere vergleichbare Angaben finden wir bei Paulus nicht. Nun beinhalten diese Angaben selbst noch Probleme. Paulus könnte bei beiden Zählungen an das Datum seiner Bekehrung anknüpfen, also läge das Apostelkonzil 14 Jahre nach seiner Bekehrung. Näherliegend ist aber, die beiden Zeiträume zusammenzurechnen, also 3 + 14 Jahre. Das ergäbe nach unserer heutigen Rechnung 17 Jahre. Damals wurde aber nicht immer in vollen Jahren gerechnet, sondern auch angefangene Jahre wurden ganz gerechnet. Also gehen wir davon aus, dass ein Zeitraum von maximal 16 Jahren gemeint ist. Das Apostelkonzil fand also in diesem Zeitabstand von der Bekehrung des Paulus statt.
Wenige Hinweise zur Zeitdauer in Jahren gibt uns die Apostelgeschichte: Nach ihrer Darstellung habe sich Paulus 1½ Jahre in Korinth aufgehalten (Apg 18,11), und im Blick auf Ephesus wird von einem Aufenthalt mit einer Dauer von 2¼ Jahren berichtet (19,8.10). Beide Aufenthalte fanden entsprechend dem Aufbau der Apostelgeschichte nach dem Apostelkonzil statt.
Fragen wir nun für das Wirken des Paulus nach einem festen Datum, so ist auf einen Glücksfall der Archäologie zu verweisen: Zu Anfang des 20. Jh. wurde in Delphi (Mittelgriechenland, westlich von Athen) eine in Stein gemeißelte Inschrift gefunden, deren Inhalt ein Brief des Kaisers Claudius (41–54n.Chr.) war. Darin wird ein Gallio als Prokonsul der Provinz Achaja erwähnt. Das im Brief angegebene Datum fällt in das Frühjahr 52n.Chr., in dem somit Gallio dieses Amt ausübte. Seine Amtszeit von der (in dieser sog. senatorischen Provinz üblichen) Dauer eines Jahres war daher wahrscheinlich von 51 bis 52 (weniger wahrscheinlich von 52 bis 53), da der Amtsantritt im späten Frühjahr bzw. Frühsommer erfolgte. Eben diesen Statthalter Gallio (übrigens ein Bruder des Philosophen Seneca) erwähnt Lukas in Apg 18,12 im Zusammenhang mit dem Aufenthalt des Paulus in Korinth. Wegen Streitigkeiten mit Juden kam es zu einer Verhandlung vor Gallio, die aber für Paulus ohne schlimme Folgen blieb. Aber es kann für ihn der Anlass gewesen sein, dann Korinth zu verlassen. Lukas scheint es so gesehen zu haben, da er den Vorfall mit Gallio im Anschluss an die Erwähnung der 18-monatigen Dauer des Paulusaufenthalts erzählt. Daraus folgt also, dass Paulus wahrscheinlich von 49 bis 51n.Chr. in Korinth war. Eine Unterstützung erhält die Datierung des Aufenthalts in Korinth durch zwei dort erwähnte Personen: Aquila und Priszilla (Apg 18,2). Sie werden als Juden bezeichnet, die erst vor Kurzem aus Italien gekommen waren, aber unfreiwillig. Anlass war laut Apostelgeschichte der Erlass des Kaisers Claudius an die Juden, Rom zu verlassen. Dieses Claudius-Edikt ist von dem römischen Historiker Sueton bezeugt (Vita Claudii 25,4). Anlass seien Unruhen unter den Juden gewesen, durch einen »Chrestus« verursacht. Wahrscheinlich sind damit Auseinandersetzungen in der Judenschaft über den Glauben an »Christus« gemeint. Datiert wird das Edikt von dem christlichen Historiker Orosius (5. Jh.) in das Jahr 49. Das wäre also das Jahr, in dem auch Paulus nach Korinth kam.
Als weitere Daten, die für die Paulus-Chronologie ausgewertet werden können, sind zu nennen: Mit großer Wahrscheinlichkeit – so jedenfalls die heute überwiegende Meinung – wurde Jesus im Jahre 30 gekreuzigt. Nach Entstehung der christlichen Gemeinde und der berichteten Tätigkeit des Paulus als Verfolger der Gemeinde (Apg 9,1–2; Gal 1,13) wird dann die Bekehrung des Paulus etwa 32/33 stattgefunden haben. Unter dem in 2Kor 11,32 erwähnten Nabatäerkönig Aretas (9–40n.Chr.), der auch über Damaskus herrschte, spielte sich die Episode ab, wonach Paulus in einem Korb über die Stadtmauer hinaus entkommen konnte (vgl. Apg 9,24–25). Das bestätigt nur, dass sich die Bekehrung des Paulus jedenfalls vor dem Jahre 40 ereignet haben muss. Das zuerst genannte Datum 32/33 ist naheliegend, weil dann im Abstand von 15–16 Jahren das Apostelkonzil stattfand, also wohl im Jahre 48. Dazu passt, dass Paulus danach in Richtung Europa aufbrach und im Jahr 49 nach Korinth kam.
Ein letztes Datum lässt sich im Zusammenhang mit der in Jerusalem beginnenden Gefangenschaft des Paulus nennen. Nach Apg 21,27f ist Paulus bei seiner letzten Reise nach Jerusalem dort verhaftet worden. Zuerst war er dort, anschließend zwei Jahre in Caesarea in Gefangenschaft, und zwar in römischem Gewahrsam. Apg 24,27 berichtet, dass es nach diesen zwei Jahren zu einer Neuaufnahme des Paulusprozesses kam, und zwar veranlasst durch einen Wechsel der römischen Statthalter. Zunächst war Felix amtierend, dann Festus. Beide genannten Prokuratoren sind aus den antiken Quellen bekannt, aber die Angaben sind zu ungenau, um den Amtswechsel zu datieren. Felix wurde im Jahre 52 eingesetzt. Festus starb im Jahre 62, als er noch im Amt gewesen war. Der Wechsel dürfte also zwischen den Jahren 55 und 60 stattgefunden haben. In der Forschung gibt es die Frühdatierung ins Jahr 55 oder die Spätdatierung ins Jahr 58/59. Näherliegend ist die Spätdatierung, denn nur dann bliebe genug Zeit für die Wirksamkeit des Paulus, die seinerseits nach dem Jahr 49 und seinem Aufenthalt in Korinth stattgefunden hat. Da nach der Wiederaufnahme des Prozesses durch Festus Paulus dann als Gefangener nach Rom gebracht wurde, wird er um das Jahr 60 nach Rom gekommen sein. Dort ist er dann (unter Kaiser Nero) hingerichtet worden. Das Todesjahr kennen wir nicht.
Aus den bisher genannten zeitlichen Elementen als Mosaiksteinen ergibt sich nun insgesamt der ungefähre zeitliche und auch geographische Ablauf der paulinischen Wirksamkeit. Es kann dabei natürlich nur darum gehen, einen Überblick zu geben über die Reisen, die Paulus unternommen hat. Aber dies immerhin müssen wir uns klarmachen, dass er eben ein Reisender gewesen ist – Reisender in Sachen des Evangeliums. Das war ja sein Ziel, das Evangelium von Christus in möglichst viele Länder und Gegenden zu bringen. So kann er dann im Brief an die Römer sagen (15,19): »So habe ich von Jerusalem aus ringsumher bis nach Illyrien das Evangelium von Christus voll ausgerichtet.« Er geht also davon aus, dass seine Tätigkeit umfassend und vollständig war, gerade auch regional gesehen, und zieht die Folgerung (15,23): »Nun aber habe ich keine Aufgabe mehr in diesen Ländern« – denn er hat das feste Prinzip, nur dort zu predigen, wo noch kein anderer vor ihm war! »Dabei habe ich meine Ehre darein gesetzt, das Evangelium zu predigen, wo Christi Name noch nicht bekannt war, damit ich nicht auf einen fremden Grund baute« (15,20).
Die Tätigkeit des Paulus war also ohne Reisen nicht denkbar. Er spricht demnach auch von sich als einem »Vielgereisten« (2Kor 11,26). Wir müssen uns dazu auch die damaligen Voraussetzungen und Umstände einer Reise deutlich machen.
Das Reisen ging über Land oder auf dem Meer vonstatten. Vor allem das Reisen zu Land hatte in der römischen Zeit günstige Bedingungen vorzuweisen. Dass bis in unsere mitteleuropäischen Gefilde noch Spuren von Römerstraßen vorhanden sind, ist ein Zeugnis von dem umfangreichen und hervorragenden Straßensystem im Römischen Reich. Man spricht von 80.000 bis 100.000km befestigter Straßen im Römischen Reich, von Nebenstraßen ganz abgesehen. Der kleinere Teil davon – also die großen Hauptstraßen – war durchgehend gepflastert, die anderen nur durch die Städte hindurch, auf dem Land aber immerhin mit Kies belegt. Im Prinzip waren die Straßen also wetterfest. Die Anfänge des römischen Straßenbaus lagen natürlich in Italien und gehen bis ins 4., vielleicht sogar schon 5. Jh. v. Chr. zurück. Der Straßenbau nahm in der Kaiserzeit des 1. und 2. Jahrhunderts n. Chr. großen Aufschwung, und es wurden zunehmend die ganzen römischen Provinzen mit ausgebauten Straßen versorgt.
In den Bereichen, in denen Paulus unterwegs war, können wir zwei große Straßen benennen. Die eine war die große Straße, die als östlichen Ausgangspunkt das spätere Konstantinopel hatte und nach Westen bis an die Adria ging: die Via Egnatia mit einer Länge von ca. 1130km. Sie wurde wohl Mitte des 2. Jh. v. Chr. errichtet und vom römischen Prokonsul Gnaeus Egnatius fertiggestellt und nach ihm benannt. An dieser Straße lagen die für Paulus wichtigen mazedonischen Städte Thessalonich und Philippi. Die andere wichtige Straße, die den Westen Kleinasiens (damals »Asien«) durchquerte, ging von Konstantinopel bis nach Antiochien (die syrische Hauptstadt), mit einer ähnlichen Länge von 1110km.2
Eine weitere Frage, die sich stellt, ist die nach den Möglichkeiten, unterwegs Station zu machen und auch zu übernachten. Denn die Abstände zwischen zwei Städten waren in der Regel sicher größer. Das römische Straßensystem sah vor, dass es »Mutationes« und »Mansiones« gab: Erstere waren für den »Wechsel«, also das Umspannen von Pferden gedacht, Letztere als »Bleibe« waren für die Übernachtungsmöglichkeit gedacht. Diese Nachtquartiere gab es in größeren Abständen, weil sie primär für die auf Wagen oder Pferden (also mit einer größeren Tagesleistung) reisenden Staatsbediensteten galten. Die dazwischen liegenden Wechselstationen konnten aber auch den langsameren Fußgängern zur Nächtigung dienen. In der Nähe der Stationen gab es meist auch Gasthäuser (taberna), also mit der Möglichkeit, Essen und Trinken zu erhalten.
Der Vorteil der anderen Fortbewegungsart, also mit dem Schiff, war zweifellos die größere Schnelligkeit im Unterschied zum Fußweg. Diesem wesentlichen Vorteil standen natürlich auch Nachteile gegenüber: Für Schiffe gab es keinen Fahrplan. Man musste eben sehen, ob man gerade ein Schiff in die gewünschte Richtung fand. Und das waren in der Regel Handelsschiffe, die auch Passagiere mit an Bord nahmen. Die Apostelgeschichte erwähnt Beispiele, wie das vor sich ging, so in Kap. 21, als Paulus von Milet nach Cäsarea fahren will: »Als wir ein Schiff fanden, das nach Phönizien fuhr, stiegen wir ein und fuhren ab. Als aber Zypern in Sicht kam, ließen wir es linker Hand liegen und fuhren nach Syrien und kamen in Tyrus an, denn dort sollte das Schiff Ware ausladen« (Apg 21,2–3). Über die Dauer dieser Seefahrt wird uns hier nichts gesagt und auch sonst gibt es nicht viele genaue Nachrichten. Für die Dauer einer Seereise werden 500 bis 1000 Stadien (= 50 bis 100 Seemeilen) pro Tag angegeben, anders gesagt wird eine mittlere Geschwindigkeit von ca. 7 Seemeilen pro Stunde angegeben, abhängig von Wind, Größe des Schiffes u.a. Für den paulinischen Bereich ist z.B. interessant, dass für die Strecke von Korinth nach Milet eine Zeit von ca. vier Tagen belegt ist.
Zu den Nachteilen der Seefahrt gehörten natürlich die Unwägbarkeiten, die sich durch die Abhängigkeit vom Wind ergaben, aber vor allem die Gefahren, die das Risiko eines Schiffbruches beinhalteten. Die Gefahren, von Piraten überfallen zu werden, waren durch die Römer im Mittelmeer gravierend reduziert worden. Dazu gehörte z.B. die Eroberung der Insel Kreta, die zuvor als ein Piratennest galt. Für die Seefahrt wie für die Reise auf dem Land galt die jahreszeitliche Begrenzung auf die Zeit von Frühjahr bis Herbst. Während aber die wetterfesten Straßen im Prinzip zu jeder Jahreszeit begehbar waren, ruhte die Seefahrt von September, spätestens November bis Mitte März völlig.
Dass Paulus – und dann natürlich auch seine Mitarbeiter – sowohl zu Fuß als auch mit dem Schiff unterwegs waren, wissen wir aus mehreren Indizien: Das erste ist natürlich, dass manche Orte wie z.B. die Insel Zypern nur per Schiff erreichbar waren. Zudem bezeugt die Apostelgeschichte in ihren Berichten, dass Paulus beide Verkehrswege benutzte. Entweder: Das Gehen wird mit verschiedenen Begriffen vom griechischen Grundwort für »gehen« bzw. »kommen« (erchestai) ausgedrückt, z.B. Apg 13,14 (»sie zogen von Perge nach Antiochien«); 13,51 (»sie kamen nach Ikonion«); 15,41 (»er zog durch Syrien und Kilikien«). Oder: Sie »fuhren« (mit dem Schiff) von da nach dort, z.B. von Paphos (Zypern) nach Perge (Kleinasien) Apg 13,13; von Troas (Kleinasien) nach Samothrake (Nordgriechenland) 16,11; von Ephesus (Kleinasien) nach Cäsarea (Palästina) 18,21; u.Ä. Bei Paulus finden wir nicht solche direkten Details über seine Reisen. Wenn er ankündigt, dass er in eine Gemeinde kommen und sie besuchen will, sagt er nichts über den Weg dorthin. Aber wir haben aus seinen Auflistungen erlittener Gefahren und Bedrohungen eindeutig den Hinweis, dass ihm diese auf Reisen zu Land oder zur See widerfahren sind. In 2Kor 11,25–26 lesen wir Hinweise auf unerfreuliche Erfahrungen mit der Seefahrt: Er hat Gefahren im Meer ausgestanden und konkret 3-mal Schiffbruch erlitten. »Einen Tag und eine Nacht trieb ich auf dem tiefen Meer« (V.25). Die erlebten Risiken der Reise zu Land spricht er in den gleichen Versen an, wenn er auf die durchlittenen Gefahren durch Flüsse, in Wüsten und unter Räubern Bezug nimmt.
Abb.1: Karte der Paulus-Reisen.
Gal 1 und die Apostelgeschichte stimmen darin überein, dass Paulus zwischen Berufung und Apostelkonzil eine erste missionarische Tätigkeit ausübte. Sie differieren aber in den Einzelheiten der Ortsangaben: Nach Apg 13–14 vollzog sich die gemeinsame Mission von Paulus und Barnabas in Zypern und im Süden der Provinz Galatien (Südküste Kleinasiens), in der Auslegung als »1. Missionsreise« gekennzeichnet. Paulus spricht vom Aufenthalt in Syrien und Kilikien (Gal 1,21) – ohne Angabe der Tätigkeit. Aber sicher ist missionarische Tätigkeit anzunehmen, denn beim Gang zum Apostelkonzil nach Jerusalem setzt Paulus voraus, dass er bereits missionarisch tätig war (2,2).
Auf Grund der genannten Differenzen wird gelegentlich angenommen, die lukanische Darstellung entspreche nicht den Tatsachen. Manche Exegeten sprechen von einer »Modellreise«, die Lukas selbst konzipiert habe (Haenchen, Conzelmann) als Hinführung zum Apostelkonzil. Die genauen Angaben in Apg 13–