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Wer bin ich, woher komme ich, wohin gehe ich? Es gibt Fragen, die für jeden von uns von grundlegender Bedeutung sind. Dieses Buch gibt Einblicke in die Geheimnisse des Lebens, das Wesen des Menschen, die Religion, den Krieg, die Politik und die Wirtschaft. Alle Darlegungen sind durch Fakten belegt und zielen eigentlich darauf ab, dem Leser eine Hilfe zu geben, um zu sich selbst zu finden und die eigenen Ansichten entweder korrigieren oder festigen zu können. Den Abschluss des Buches bildet ein Blick in die Zukunft und die Aufzeigung des Schicksals, dem die Menschheit mit hoher Wahrscheinlichkeit entgegen geht.
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Seitenzahl: 225
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Die Wahrheit, die Wahrheit, nur nicht die Wahrheit
Das Leben
Der Sinn des Lebens
Der Anfang des Lebens
Die Geheimnisse des Lebens
Der Mensch
Charakter
Bewusstsein
Geschlecht
Soziales Verhalten
Leben und sterben
Die Religion
Warum gibt es Religion?
Was ist Religion?
Braucht der Mensch die Religion?
Der christliche Absurdismus
Zeitgemäße Theologie
Von der Religionsfreiheit zur Freiheit von der Religion
Der wahre und wirklich einzige Gott
Der Krieg
Das Wesen des Krieges
Die Schrecken des Zweiten Weltkrieges
Aus der Nachkriegszeit
Die Politik
Staatsformen
Das Wesen der Demokratie
Wie soll gewählt werden?
Wer soll wählen?
Die hierarchische Demokratie
Aus der Wirtschaft
Gebt dem Kaiser
Alles Spekulation
Die Sanierung des Staatshaushaltes
Das Schlaraffenland
Projekt Liliput
Haben und Nichthaben
Das Erbrecht
Aus der Welt der Physik
Eppure se muove
Schöne Alte Welt
Dunkle Neue Welt
Über die Zukunft
Ein Ende mit Schrecken
Der Beginn eines goldenen Zeitalters
Die Apokalypse
Es gibt Lügen mit kurzen Beinen und Lügen mit langen Beinen. »Lügen haben kurze Beine« ist zum Beispiel eine Lüge mit langen Beinen. Zahllose Mütter halten ihren Kindern diesen Satz immer wieder vor und glauben vielleicht selbst daran. Obwohl jeder Mensch mit ein bisschen Lebenserfahrung weiß, dass es zwei Arten von Lügen gibt: Schlechte Lügen, das sind die mit den kurzen Beinen, und gute Lügen, und deren Beinlänge kann unermesslich lang sein.
Ob eine Lüge kurze oder lange Beine hat, mag zwar relevant für deren Aufdeckung sein, hilft aber wenig bei der Bewertung der Lüge. Ad hoc wird von den meisten Menschen eine Lüge wohl als etwas Verwerfliches eingestuft.
Immanuel Kant hat diese Position besonders markant vertreten. Nach ihm gilt ein absolutes Lügenverbot, weil die Lüge die Würde des Menschen verletze und ein geordnetes Beisammensein unmöglich mache1.
Bei aller Ehrfurcht vor den großen Philosophen, aber diese Einstellung verdient es hinterfragt zu werden. Versuchen wir es mit einer emotionsfreien und nüchternen Betrachtung.
Bei der Lüge gibt es zwei primär Beteiligte: den Lügner und den Belogenen. Gar nicht so unwesentlich ist aber auch der dritte, im Hintergrund verborgene, Beteiligte, das ist das Umfeld. Zum Umfeld der Lüge gehört jeder, der außer dem Lügner und dem Belogenen noch von den Auswirkungen der Lüge betroffen ist.
Die Auswirkungen der Lüge, das sind die Vor- und Nachteile, die von den jeweiligen Betroffenen erlangt werden. Würde man das gründlich analysieren, dann müsste man neben allen möglichen Verteilungen auch noch die Gewichtung der Vor- und Nachteile berücksichtigen. Ein Vorteil kann schließlich groß oder auch sehr klein sein und ein Nachteil kann schwer wiegen oder vernachlässigbar sein.
Betrachten wir den Fall, bei dem sowohl Lügner als auch Belogener durch die Lüge ausschließlich Vorteile und keinerlei Nachteile erhalten und das Umfeld durch die Lüge überhaupt nicht betroffen ist. Diese Art von Lüge als verwerflich einzustufen, hat im Grunde keinen Sinn. Posthum sollte dem auch der gestrenge Herr aus Königsberg zustimmen.
Manchmal ist es uns ja durchaus recht, wenn wir belogen werden. Wenn uns jemand etwas Nettes sagt oder ein Lob ausspricht, dann freuen wir uns uneingeschränkt und werden nicht lange den Wahrheitsgehalt der Aussage hinterfragen, auch wenn wir im Unbewussten wissen, dass es damit nicht weit her ist.
Auf Lügen dieser Art beruht jede Form von Höflichkeit. Und Höflichkeit zu beherrschen ist für jeden, der nicht als Barbar und unzivilisierter Untermensch betrachtet werden will, von elementarer Notwendigkeit.
Angenommen war dabei, dass das Umfeld von Lügen dieser Art nicht betroffen ist. Kritischer wird es, wenn das sehr wohl der Fall ist. So haben Psychologen beispielsweise herausgefunden, dass Schmeichler größere Aufstiegschancen haben, selbst wenn ihr Chef die Schmeichelei durchschaut. Der bei der Beförderung übergangene Kollege, der das Spielchen mitverfolgt hat, wird hingegen Gift und Galle speien über den elendiglichen Schleimer, der ihm seine Karriere vermasselt hat. In diesem Fall hat der Lügner einen großen Vorteil, der Belogene einen (erhofften) kleinen und die dritte Person, das Umfeld, hat einen erheblichen Nachteil. Darüber kann man schon ins Grübeln kommen, insbesondere, wenn man selbst der Lügner ist.
Eher vernachlässigen kann man die exotischen Fälle der unnötigen Lüge (sowohl Lügner als auch Belogener erfahren einen Nachteil) und der dummen Lüge (der Lügner erfährt einen Nachteil, der Belogene einen Vorteil).
Der typische Fall liegt eigentlich vor, wenn der Lügner einen Vorteil erfährt, der Belogene einen Nachteil und das Umfeld dabei keine große Rolle spielt. Und wenn der Vorteil groß und der Nachteil klein ist, dann wird der Drang zur Lüge schon ein wenig unwiderstehlich. Bei all dem wird der Lügner aber unweigerlich ein schlechtes Gewissen haben.
Das liegt unter anderem an unserer Erziehung. »Du sollst nicht falsches Zeugnis reden wider deinen Nächsten«, ist eines der Zehn Gebote. »Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht«, hat jedes Kind einmal gehört und verstanden, dass damit eine klare Missbilligung jeglicher Art von Lüge gemeint ist. Und das lässt sich noch stärker formulieren: »Du deutsches Kind sei tapfer, treu und wahr, lass nie die Lüge deinen Mund entweihn«2, das wurde mir als Kind von meiner Mutter einmal ins Stammbuch geschrieben.
Also Kinder, die ihre Erzieher belügen, das ist in unserer Gesellschaft ein absolutes No-Go. Und lässt sich verallgemeinern zu dem Fall, wo Untergebene die Obrigkeit belügen. Bei Gericht können Lügen, wenn sogenannter Meineid vorliegt, sogar mit empfindlichen Freiheitsstrafen geahndet werden.
Wenn Kinder nicht lügen sollen, dann erwarten wir offensichtlich von ihnen, dass sie immer die Wahrheit sagen. Kinder, die immer die Wahrheit sagen, sind brav. Aus Kindern werden aber einmal Erwachsene und bei Erwachsenen sind wir auf einmal der Meinung, dass es ein Ausdruck schlichten Gemütes und daher besser zu unterlassen sei, immer die Wahrheit zusagen: »Nur Kinder und Narren sagen die Wahrheit«. Betrunkene auch: »In vino veritas«. Und wer voll bei Sinnen ist und trotzdem die Wahrheit sagt, der soll sich schleunigst aus dem Staub machen: »Wer die Wahrheit sagen will, der muss ein schnelles Pferd haben«3.
Da treten einige Widersprüche in unserem Verhältnis zur Lüge zutage. Aber Lüge und Widerspruch, die bilden seit alten Zeiten ein unzertrennliches Paar. »Die Kreter lügen immer« sagte Epimedes der Kreter. Wenn der Satz wahr ist, dann ist er falsch und wenn er falsch ist, dann ist er wahr. Also kann der Satz weder wahr noch falsch sein, er ist daher schlicht und einfach unsinnig. Und dass er einmal die Logik ins Wanken gebracht haben soll, ist vielleicht auch nur eine Lüge.
Damit genug der schöngeistigen Theorie. Wie schaut es mit der Lüge in der Praxis aus? Beginnen wir im Kindesalter.
Wenn ein Kind etwas unbemerkt angestellt hat und dafür zu Rede gestellt wird, dann hat es zwei Möglichkeiten: Es kann die Tat zugeben, dann wird es bestraft, weil es ja etwas Unrechtes getan hat, oder es kann die Tat ableugnen. Dann bleibt die Strafe einmal aus, und wenn kein eindeutiger Nachweis der Täterschaft möglich ist – was bei mehreren Kindern sehr häufig der Fall ist – dann bleibt die Tat überhaupt ungesühnt. Und sollte der Nachweis doch erbracht werden, dann wird das Kind zwar bestraft, aber bestraft wäre es ja auch worden, wenn es ehrlich gewesen wäre. Es für das Lügen noch zusätzlich zu bestrafen wäre unpädagogisch, weil es schlussendlich ja doch, wenn auch erzwungenermaßen, die Wahrheit gesagt hatte. Daraus lernt das Kind, dass sich durch Lügen Nachteile vermeiden lassen – es gibt zwar keine Garantie dafür, aber die Chancenverbesserung ist doch erheblich.
Bei der Untersuchung von 1.200 Kindern im Alter zwischen zwei und 16 Jahren stellte sich heraus, dass nahezu alle Kinder lügen4. Manche seien darin aber deutlich besser, was als Anzeichen einer schnelleren Gehirnentwicklung gedeutet wurde.
Grund dieser Annahme ist, dass das Erzählen einer plausibel wirkenden Lüge einen komplexen Denkprozess voraussetzt. Überzeugende Lügner müssen demnach die Fähigkeit haben, die Wahrheit im Kopf zu behalten, Spuren zu verwischen und die Tatsachen zu ihren Gunsten zu manipulieren – laut Lee allesamt Eigenschaften, die im späteren Berufsleben nicht von Nachteil sein dürften.
Festgestellt wurde zudem, dass die Bereitschaft zum Lügen mit dem Alter zunimmt. Während bei den Zweijährigen mit rund 20 Prozent noch relativ wenige von einer Lüge Gebrauch machten, waren es bei den Dreijährigen bereits 50 und bei Vierjährigen 90 Prozent.
Dass im Alter von zwölf Jahren schließlich annähernd 100 Prozent der Kinder lügen, ist nach Ansicht der Wissenschaftler weder durch strenge Erziehung noch durch religiöse Prägung der Eltern zu verhindern5.
Wenn die lügenden Kinder dann größer werden und sich erstmals auf Partnersuche begeben, dann sind sie schon vorgeschult und »ich bin der Stärkste, der Klügste, der Größte« bzw. »ich bin die Schönste, die Beste, die Liebste« kommt dann schon im Brustton der Überzeugung. Genauso wie das Schlechtmachen potenzieller Konkurrenten oder Konkurrentinnen wider besseres Wissen.
Der Eintritt in das Berufsleben beginnt mit einer Stellenbewerbung. Wer da die volle Wahrheit über sich selbst erzählen will, braucht gar nicht erst damit anzufangen – Chancen, den Job zu bekommen hat er keine. Wenn wir eine Anstellung erreichen wollen, dann ist es eine absolute Notwendigkeit, bei der Bewerbung die eigenen Vorzüge möglichst vorteilhaft herauszustreichen, ohne dabei aber zu dick aufzutragen, damit die Schilderungen nicht unglaubwürdig erscheinen. Eigene Mängel oder Schwächen aufzuzeigen wird tunlichst unterlassen.
Wenn wir dann im Berufsleben stehen, werden sehr viele von uns mit dem Vertrieb eines Produkts zu tun haben. Damit wir dabei Erfolg haben, müssen wir Werbung betreiben. Werben heißt nichts anderes als die Vorzüge des eigenen Produktes herauszustreichen und zu beschönigen, dabei aber sämtliche negativen Aspekte schlicht und einfach zu verschweigen. Das ist Täuschung und Lüge.
Wenn jemand eine Firma verlässt, bekommt er ein Arbeitszeugnis. Vom Gesetz her ist vorgeschrieben, dass in diesem Zeugnis nichts Negatives stehen darf. Der Arbeitgeber wird also zum Lügen verpflichtet. Nicht »Herr X war ein Garant dafür, dass auch einfache Aufgaben völlig vermurkst wurden«, sondern »Herr X war stets bemüht, seine Aufgaben zu erfüllen«. Und jeder, der das liest, weiß, was damit gemeint ist.
Die meisten der kleinen Lügen, mit denen sich jemand einen persönlichen Vorteil verschafft, durchschauen wir und sehen mit einem Augenzwinkern darüber hinweg. Wir tolerieren also die Lüge, wenn der Nachteil, den wir durch sie erfahren, unerheblich ist. Wäre die Aufdeckung der Lüge aber mit einem großen Nachteil für uns verbunden, und würde sie sogar unsere gesamte Gesellschaftsordnung ins Wanken bringen, dann ist es vorbei mit der Toleranz. Dann wird verbissen gekämpft und die Lüge mit großer Vehemenz verteidigt. Ein gutes Beispiel dafür ist die Pensionslüge.
Einen Vertrag zu schließen von dem der Vertragspartner keine Ahnung hat, ist eine tolle Sache. So könnte ich einen Vertrag mit meiner Bank schließen, demzufolge sie mir monatlich eine stattliche Summe zukommen lassen muss. Absurd? Nicht absurder als der sogenannte Generationenvertrag, der besagt, dass die nächste Generation – ohne sie dabei mit einzubeziehen – verpflichtet ist, die Pensionslast der Vorgängergenerationen automatisch zu übernehmen.
Aber jeder der Arbeit hat, bezahlt doch zeitlebens einen Pensionsversicherungsbeitrag und hat mithin den Anspruch auf die Gegenleistung erworben. Das ist die Ausgangslüge.
Wenn man zur Sonne Mond sagt, wie viele Monde hat dann die Erde6? Einen, denn wie immer wir zur Sonne sagen, die Erde hat nur einen Mond. Und wenn wir zum Pensionsbeitrag Pensionsversicherungsbeitrag sagen, dann kann er das nur sein, wenn das auch ein Beitrag zu einer Versicherung ist. Das heißt das Geld muss in eine eigene Versicherung einbezahlt, und von ihr für mich verwaltet werden, bis meine Anspruchszeit gekommen ist. Das passiert aber nicht. Der sogenannte Pensionsversicherungsbeitrag ist in Wahrheit nichts anderes als eine Steuer, und Steuern sind Abgaben. Mit einer Abgabe erwirbt man aber keine Rechte, sondern man erfüllt eine Pflicht – die Abgabenpflicht.
Wäre die Pension ein durch Versicherungsbeiträge erworbenes Recht, dann müssten diese Beiträge samt Zinseszins auch wieder ausbezahlt werden. Das passiert aber nicht aus dem einfachen Grund, weil das Geld nicht mehr da ist, und der Staat bei Auszahlung der vollen Ansprüche in Kürze bankrott wäre.
Wenn nun die Pensionsbeiträge einer Steuer entsprechen, welchen Anspruch auf Unterhalt habe ich dann als Pensionist eigentlich noch? Und welche Unterschiede in den Ansprüchen gibt es dann noch? Letztere Frage ist leichter zu beantworten. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! Man muss durchaus kein Frauenrechtler sein, um das als fair zu empfinden. Die Konsequenz davon: Alle Pensionisten leisten dieselbe Arbeit, nämlich die Nullarbeit, und mithin sollte auch der Lohn für alle gleich sein.
Der schwierigere Teil ist es, die Höhe des Lohnes, den Pensionisten bekommen sollen, zu bestimmen. Diese Entscheidung sollte eigentlich denen überlassen werden, die die Pensionskosten aufzubringen haben.
Die arbeitende Bevölkerung sollte sagen können, wie groß der Anteil der Pensionskosten an den Staatsausgaben sein soll. Und dieser Betrag wird dann durch die Anzahl der Pensionisten dividiert.
Das mag für viele Pensionisten demütigend sein, weil sie damit auf ein Gnadenbrot angewiesen sind. Aber eine staatliche Pension ist nun einmal ein Gnadenbrot, und nur eine Lüge kann das zu verbergen suchen.
Die Pensionslüge wurde von Politikern ersonnen, daher auch die wenig überraschende Erkenntnis: Alle Politiker lügen. Zugutehalten muss man den Politikern allerdings, dass sie sich nur so verhalten, wie wir selbst es von ihnen verlangen. Denn der Mensch fühlt sich dann am wohlsten, wenn andere so denken wie er. Den eigenen Ansichten widersprechende Meinungen werden als unangenehm, wenn nicht gar als bedrohlich empfunden. Nun ist es mit den Ansichten vermutlich ähnlich wie mit den Fingerabdrücken: Keine zwei Menschen haben genau dieselben Ansichten.
Das heißt, dass ein absolut ehrlicher Mensch sich mit niemandem recht verstehen kann7. Und daher muss ein Mensch, der von möglichst vielen Mitmenschen akzeptiert werden möchte, ihnen den Eindruck vermitteln, dass er ihre Ansichten teilt. Das ist die Lebensgrundlage der Politiker.
Aber nicht nur die Politiker lügen:
Berichterstatter lügen. Jede Art von Berichterstattung ist Lüge, zumeist sogar infame Lüge, da sie zwar einerseits auf Wahrheit beruht, andererseits aber ausschließlich so aufbereitet wird, dass sie möglichst großes Interesse findet. Only bad news are good news.
Künstler lügen. »Alle Kunst ist Lüge« meint der Pessimist Nietzsche. Der Optimist Picasso formuliert das viel positiver: »Kunst ist die Lüge, durch die wir die Wahrheit erkennen«.
Wissenschaftler lügen. »Physiker bevorzugen Theorien, die sie als schön empfinden«8. Und sie lassen sich dadurch zur Entwicklung schöner Theorien wie der Supersymmetrie, der Stringtheorie, dem Multiversum oder der Großen Vereinheitlichung verleiten, bei denen allen ein nachweisbarer Realitätsbezug fehlt9.
Von Otto von Bismarck stammt der Spruch: »Niemals wird so viel gelogen als vor Wahlen, im Krieg und nach der Jagd«10. Offensichtlich hatte der Herr Reichskanzler nicht viel mit Wirtschaft zu tun. Denn noch mehr gelogen wird an der Börse, da gelten die Gesetze des Dschungels in ihrer reinsten Form: Jeder gegen jeden, nur die Durchtriebensten und Abgefeimtesten überleben. Wenn eine Bank, die nebenbei auch eine Investmentbank ist, ein Wertpapier anbringen möchte, dann kennt sie keine Hemmungen das Papier ihren Kunden als Topinvestment zu verkaufen. Und wenn ein Börsenbrief eine 1000-prozentige Gewinnchance verspricht, bei der absolut nichts schief gehen kann, dann gibt es erstaunlicherweise immer noch Dumpfbacken, die auf eine solche Abzocke hereinfallen.
Wer glaubt, dass er mit azyklischem Verhalten auf der Siegerstraße ist und verkauft, wenn jedermann zum Kaufen rät, und umgekehrt kauft, wenn alle Welt den Verkauf empfiehlt, ist ebenfalls auf dem Holzweg. Was einer denkt, das denken bekanntlich auch andere, und mit der Menge an Gleichdenkenden entsteht sofort ein neues Momentum, das nicht unbedingt in die gewünschte Richtung weist. Es ist schwer zu durchschauen, welcher von den Ratschlägen ein wohlmeinender und welcher ein bewusst in die Irreführender ist.
Lügen heißt, mit Absicht falsch kommunizieren. Kommunizieren, und mithin auch falsch kommunizieren, können aber alle Lebewesen und das auf verschiedenste Art. Nur der Mensch wird sich beim Lügen zumeist der Sprache bedienen und entweder gesprochen oder schriftlich (»wie gedruckt«) lügen.
Aber körpersprachlich lässt sich ebenfalls perfekt lügen. Der berühmte flügellahme Vogel und das Totstellen bei Tieren sind nur zwei Beispiele dafür. Selbst Pflanzen können lügen. Die Spiegelorchidee macht mit Aussehen und Geruch den männlichen Wespen vor, ein perfekter Sexpartner zu sein, in Wirklichkeit geht es ihr aber nur um die eigene Verbreitung11. Lügen in seiner allgemeineren Form ist jegliche Art von Täuschung. Täuschen kann nur wer kommuniziert, und kommunizieren kann nur, wer lebt. Alle Lebewesen lügen.
Im Kampf um das Dasein haben Lügner langfristig gesehen einen Vorteil und werden sich daher den Nichtlügnern gegenüber durchsetzen und sie verdrängen. Und da die Evolution lange genug im Gange war, heißt das »Die Lügner haben sich gegenüber den Nichtlügnern bereits durchgesetzt und sie verdrängt«. Das ist angewandter Darwinismus. Wir sind alle Lügner. Das wollen wir uns natürlich nicht eingestehen. Daher sind wir auch felsenfest davon überzeugt, dass diese Aussage eine Lüge ist.
Aber wenn wir schon Lügner sind, dann sollten wir wenigstens gute Lügner sein. Und wie wird man ein guter Lügner? Die »beim Augenlicht meiner Kinder« theatralisch bekräftige Unwahrheit mit tiefem Blick in die Augen und aufs Herz gelegter Hand – die sollte man sich schon für den äußersten Notfall vorbehalten. Eine der Voraussetzungen für eine überzeugende Lüge ist es, dass Laut- und Körpersprache übereinzustimmen haben.
Damit ein Lügner glaubhaft ist, muss er Glaubwürdigkeit aufweisen. Und Glaubwürdigkeit erwirbt man sich, indem man nachweislich immer die Wahrheit sagt. Gute Lügner sagen immer die Wahrheit. Natürlich abgesehen von den paar kleinen Ausnahmen, bei denen sie dann sehr glaubwürdig und mithin perfekt lügen.
Zur perfekten Lüge kommt es dann, wenn der Lügner selbst gar nicht mehr weiß, dass er lügt. Um das zu erreichen, muss er sich zuerst selbst belügen. Das geschieht, indem er sich selbst davon überzeugt, dass die Lüge keine Lüge, sondern die Wahrheit ist – und schließlich dahin kommt, dass er selbst fest an die Lüge glaubt.
Der Homo sapiens ist ein Homo fallax12 und das durch und durch. Was aus dieser Erkenntnis resultiert, ist die Regula prima für das eigene Verhalten: Traue niemanden, nicht einmal dir selbst.
Den ersten Teil dieser Anweisung hat mir meine Stiefmutter auf unnachahmliche Weise beigebracht, und obwohl das gar nicht ihre Absicht war, bin ich ihr später oft dankbar dafür gewesen, weil sie mir beibrachte, auch vertrauten Menschen gegenüber misstrauisch zu sein, wodurch mir im späteren Leben manch herbe Enttäuschung erspart blieb.
Im zarten Alter von 14 Jahren kam ich in ihre Obhut unter nicht gerade günstigen Voraussetzungen, da mir meine Mutter jahrelang nur Schlechtes über sie gesagt hatte. Umso überraschter war ich über den überaus herzlichen Empfang, den sie mir bereitete. Sie war ganz offen zu mir und erklärte, dass es für uns beide nicht leicht sein werde, einander näher zu kommen. Um das zu erreichen, wollte sie mehr über meine Vorlieben und Abneigungen erfahren, was ich zum Beispiel gerne esse und was ich überhaupt nicht mag. Das war leicht. Meine Lieblingsspeise waren Topfenpalatschinken, so wie sie meine Großmutter machte, und überhaupt nicht ausstehen konnte ich gebackenen Kalbskopf.
Zu dieser Zeit ging die Familie einmal in der Woche ins Gasthaus essen. Beim nächsten Besuch machte meine Stiefmutter für mich die Bestellung und bestellte mir einen gebackenen Kalbskopf. Ich weiß, sagte sie, du kannst dieses Essen überhaupt nicht ausstehen, aber ich möchte, dass du lernst, auch mit den unangenehmen Dingen im Leben fertig zu werden. Bis zu einem Drittel habe ich das Essen dann durchgehalten, dann wurde mir übel, und ich bekam die Erlaubnis, hungrig zu bleiben. Damit fand ich Zeit, darüber zu grübeln, wie ich nur so blöd sein konnte, die Wahrheit zu sagen.
Den zweiten Teil der Regula prima habe ich später selber hinzugefügt und da er schwerer verständlich ist, bedarf er einer Erläuterung. Wenn wir uns selbst nicht mehr trauen können, hört sich dann nicht alles auf, gibt es dann für uns überhaupt noch eine Möglichkeit, etwas als wahr oder als falsch zu erkennen? Die Möglichkeit gibt es durchaus, aber zunächst einmal müssen wir davon ausgehen, dass alles was wir glauben, was wir wissen oder was wir zu wissen glauben, zweifelhaft und zu hinterfragen ist.
Für einen Neuanfang muss die Tafel zunächst einmal gelöscht werden, erst dann kann sie wieder neu beschrieben werden.
1 Voltaire ist da etwas toleranter: »Alles Gesagte sollte wahr sein, aber nicht alles, was wahr ist, sollte gesagt werden.«
2 Aus dem Gedicht »Deutscher Rat« von Robert Reinick (1805–1852).
3 Chinesischer Spruch.
4 Durchgeführt von Kang Lee von der Universität Toronto.
5 Nicht ganz uninteressant: Bei den 16-Jährigen sei der Anteil der Lügner wieder rückläufig – wobei hier offenbar auch verstärkt die Wahrheit gesagt werde, um andere nicht zu verletzen.
6 Copyright by Abraham Lincoln: »If you call a tail a leg, how many legs does a dog have?”
7 Es gab einmal den Fall, wo ein Mann aufgrund eines plötzlich auftretenden Hirndefekts nur mehr das sagen konnte, was ihm so in den Sinn kam, es war ihm einfach nicht mehr möglich, zu lügen. Sein Verhalten wurde sowohl von seiner Familie als auch von sämtlichen Bekannten als inakzeptabel eingestuft, und sie sorgten für seine Einweisung in eine Nervenheilanstalt.
8 Mario Livio, »Das beschleunigte Universum«.
9 Sabine Hossenfelder, »Das hässliche Universum«.
10 Und bei Begräbnissen, das wird auch oft angeführt.
11 Volker Arzt, »Kluge Pflanzen«.
12 Ein täuschender Mensch.
Den meisten Menschen ist es unangenehm, auf eine Frage, deren Beantwortung ihnen wichtig erscheint, keine Antwort zu wissen. Woher kommen wir, wohin gehen wir, was ist der Sinn unseres Lebens? Es gibt sehr unterschiedliche Arten, eine Antwort auf diese Frage zu finden.
Die meisten Antworten kommen aus dem Bereich der Religion. »Jesus Christus ist der Sinn des Lebens und der Geschichte« (Papst Franziskus in einer Ansprache während der Christmette 2013). »Und warum soll ich nicht wünschen dürfen, dass mit dem Tod nicht alles aus ist? Dass es einen tiefen Sinn in meinem Leben, in der Menschheitsgeschichte gibt, kurz, dass Gott existiert?«13 Der Sinn des Lebens ist also der Glaube an die Existenz Gottes.
Wenn ich einen gebildeten Menschen, der besser kein Physiker sein sollte, über die Relativitätstheorie befrage, dann wird ihm das meistens gar nicht recht sein, weil er auf viele der Fragen keine ihn selbst befriedigende Antwort wissen wird. Wenn ich hingegen einen einfachen Bauarbeiter mit der Relativitätstheorie konfrontiere, dann hat er damit überhaupt kein Problem: »Einstein«, wird er sagen und damit ist für ihn alles erklärt.
Und genauso lassen sich alle unangenehmen Grundsatzfragen beantworten mit »Gott«. Das kann man auch ein wenig verbrämen zu der »Liebe Gottes«. Das Praktische am Glauben ist, dass man, im Zustand der Gläubigkeit, eine letztgültige Antwort auf alles hat.
Für den Ungläubigen fallen die angeführten Antworten unter die Kategorie »kryptisch«. Diese sind auch sonst sehr häufig. »Der Sinn des Lebens ist das Unvollendete« (ein Zitat von Bruno Kreisky einem ehemaligen österreichischen Bundeskanzler). Damit fallen einem natürlich sofort die Schuppen von den Augen – das erklärt alles.
Zu den Antworten nach dem Sinn des Lebens gibt es noch die nihilistische Variante14:
Sinnlos ist dies Erdenlos, sinnlos alles Tun und Treiben,
sinnlos alles Wünschen, Hoffen, Trauern, Lachen, Weinen.
Leer ist alles nur und öd’, grausam, kalt, versteint.
Doch klage nie! Auch es – hat keinen Sinn.
Man kann es aber auch mit Sigmund Freud halten: Allein schon die Fragestellung nach dem Sinn des Lebens ist ein Zeichen von Morbidität15. Ein normaler, gesunder Mensch möge daher schon die Fragestellung unterlassen.
Die einfachste Lösung bietet vielleicht die Vertröstung: Der Sinn des Lebens ist es, diesen Sinn zu suchen. Finden darf man ihn dann allerdings nicht.
Selten hat jedenfalls ein einziges Buch so grundlegend und dauerhaft unser Weltbild verändert wie »Die Entstehung der Arten« von Charles Darwin. Die Grundaussage Darwins, dass die Schöpfung, nicht nur des Menschen, sondern aller Lebewesen, ein kontinuierlicher und immer noch bestehender Vorgang (die Evolution) ist, erscheint uns heute selbstverständlich16. Mittels Zuchtwahl werden laufend neue Pflanzen- und Tierarten geschaffen, und die Gentechnik verspricht die Steigerung dieses Schöpfungsprozesses ins heute noch Unvorstellbare.
Aber Darwin sagt nicht nur, dass die Schöpfung ein kontinuierlicher Prozess ist, sondern er beschreibt auch, wie diese Schöpfung abläuft: Bei der Entstehung eines neuen Lebewesens kommt es zu zufallsbestimmten Mutationen, die bewirken, dass sich das Lebewesen von seinen Vorfahren in vielen Merkmalen unterscheidet. Bietet die Summe der neuen Merkmale einen Vorteil, dann wird sich das Lebewesen gegenüber seinen Konkurrenten durchsetzen und dafür Sorge tragen, dass die vorteilshaften Eigenschaften bevorzugt an zukünftige Generationen weitergegeben werden.
Darwin beschließt sein Buch mit der Feststellung: »Es ist wahrlich etwas Erhabenes um die Auffassung, dass der Schöpfer den Keim allen Lebens, das uns umgibt, nur wenigen oder gar nur einer einzigen Form eingehaucht hat und aus einem schlichten Anfang eine unendliche Zahl der schönsten und wunderbarsten Formen entstand und noch weiter entsteht«. Er kann sich also nicht ganz vom Geist seiner Zeit lösen17, den Schöpfer gibt es bei ihm nach wie vor, sein Wirken ist allerdings auf einen »schlichten Anfang« beschränkt.
Da alle bekannten Lebewesen aus Zellen aufgebaut sind, läge es nahe, diesen Anfang mit der Urzelle festzulegen, die vor etwa dreieinhalb Milliarden Jahren entstanden ist. Es war ein sogenanntes Archaebakterium. Aber selbst die Urzelle war bereits von erstaunlicher Komplexität, sie kann also nicht der wirkliche Anfang gewesen sein. Nach heutigem Wissensstand war vor der Urzelle die Protozelle und noch weiter davor, und das ist dann wirklich der Anfang, der Replikator – eine molekulare Struktur mit der Eigenschaft, sich selbst vervielfältigen zu können.
Mangels authentischer Überlieferung und auch mangels schlüssiger Beweise, kann über die Entstehung des Replikators nur spekuliert werden.
Die am meisten verbreitete Ansicht ist, dass der Replikator durch die in prähistorischer Zeit herrschenden atmosphärischen Bedingungen aus komplexen organischen Verbindungen mehr oder weniger durch Zufall entstanden ist (»chemische Evolution«). Anstelle des Zufalls könnte auch eine durch Naturgesetze bestimmte, zwangsläufige Entwicklung gestanden sein. Wenn die chemische Evolution tatsächlich einmal stattgefunden hat, dann sollten wir auch in nicht allzu ferner Zeit in der Lage sein, diesen Prozess nachzuvollziehen. Sollte dieses Vorhaben gelingen, und daran wird vielerorts intensiv gearbeitet, dann wäre das ein sehr überzeugender Beweis für diese Theorie.
Eine auch nicht ganz zu vernachlässigende Meinung vertritt den Standpunkt18, dass die Zeitspanne für die Entstehung des Lebens auf der Erde zu kurz gewesen sei. Die Entstehung des Lebens sei somit extraterrestrisch erfolgt, und Meteoriten hätten das erste Lebewesen auf die Erde gebracht. Damit wird zwar die Frage, wie das Leben auf die Erde gekommen ist, beantwortet, aber das war gar nicht die Frage, und damit fehlt auch nach wie vor die Antwort. Würden aber auf einem anderen Himmelskörper, beispielsweise dem Mars, Spuren von zumindest einstigem Leben gefunden werden, dann wäre die Hypothese von der extraterrestrischen Entstehung des Lebens keine Hypothese mehr, sondern beinahe Gewissheit.
Älter als alle wissenschaftlichen Überlegungen ist der Glaube, dass das Leben von einer höheren Intelligenz, einem Gott, geschaffen wurde. Diese Ansicht hat den unschätzbaren Vorteil, dass man sich nicht mehr anstrengen muss heraus zu finden, wie das Leben entstanden ist, denn man weiß es ja bereits.