Tradition - Katherine V. Forrest - E-Book

Tradition E-Book

Katherine V. Forrest

4,8

Beschreibung

Ein blutiger Mord an einem schwulen Restaurantbesitzer – Kate gerät beim Ermitteln bald an ihre sorgsam gehütete Grenze zwischen Beruf und Privatleben. Was kann sie tun, damit eine schwulen­feindliche Jury den gewalttätigen Angeklagten nicht einfach freispricht?

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KatherineV. Forrest

Tradition

Kate Delafields 4. Fall

Deutsch von Anke Grube und Maren Klostermann

Ariadne Krimi 1037

Argument Verlag

KatherineV. Forrest bei Ariadne:

Romane mit Detective Kate Delafield:

Amateure (Ariadne Krimi 1015)

Die Tote hinter der Nightwood Bar (Ariadne Krimi 1007)

Beverly Malibu (Ariadne Krimi 1029)

Tradition (ariadne classic 009)

Treffpunkt Washington (Ariadne Krimi 1107)

Kreuzfeuer (Ariadne Krimi 1113)

Knochenjob (Ariadne Krimi 1125)

Vollrausch (Ariadne Krimi 1155)

Titel der englischen Originalausgabe: Murder by Tradition

© 1991 by KatherineV. Forrest

© Argument Verlag 2007

Glashüttenstraße 28, 20357 Hamburg

Telefon 040/​4018000 – Fax 040/​40180020

www.argument.de

Die Übersetzung von Anke Grube und Maren Klostermann

wurde für die vorliegende Ausgabe von Benjamin Bartel bearbeitet.

Umschlaggrafik: Johannes Nawrath

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016

ISBN: 978-3-86754-990-5

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Erster Teil

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Zweiter Teil

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Epilog

Erster Teil

Kapitel 1

Kriminalkommissarin Kate Delafield fuhr die Third Street hinunter. Fünf Streifenwagen standen vor den gelben Plastikbändern, die den Tatort weiträumig absperrten und leicht in einer milden Brise flatterten. Sie bog in die Harper Avenue ein und parkte ihren Plymouth. Detective Ed Taylor kletterte mit einem lautstarken Gähnen aus dem Auto und streckte sich ausgiebig. Taylor wusste von vielen vorangegangenen Ermittlungen, dass seine Partnerin Wert darauf legte, sich dem Tatort in aller Ruhe und mit großem Respekt zu nähern. Er blieb daher ein kleines Stück zurück, als Kate ihr Notizbuch aus der Umhängetasche kramte und sich Datum, Uhrzeit und Temperatur notierte: Los Angeles, 4. Februar 1989, 7:35 Uhr, ungefähr 13 Grad Celsius. Mit Taylor im Kielwasser ging sie zur Third Street.

Der Verkehr rollte zu dieser frühen Stunde noch flüssig über die nahezu menschenleere Straße und geriet nur am Ort des Polizeiaufkommens kurz ins Stocken. An der Ecke Harp Street strahlte die Neonreklame eines Spirituosengeschäfts eine unvollständige Buchstabenfolge über die Kreuzung, an der bereits die ersten Straßenlaternen ihre Nachtschicht beendeten. Die Samstagmorgendämmerung lag in den letzten Zügen. An das Spirituosengeschäft schmiegte sich ein Restaurant mit dem klangvollen Namen Indigo, gefolgt von der Minassian Teppich-GmbH und einem Vortragsraum der Christian Science. Daneben ein Schönheitssalon, eine kleine Wäscherei. Dann das Tradition.

Das Restaurant in der Mitte der Häuserzeile, deren abgesperrte Peripherie von Felix Knapp und Chris Hollings bewacht wurde, war kaum breiter als ein Schaufenster. Kate nickte den beiden Beamten anerkennend zu. Die weiträumig gespannten Absperrbänder würden die Presse auf Abstand halten.

Taylor duckte sich unter den Plastikbändern durch, während Kate noch ein paar Schritte weiterging und nicht auf das angestrengte Stöhnen ihres Kollegen achtete. Sie warf einen Blick in das Schaufenster des angrenzenden Geschäfts. Andrias Mauerloch – eine Modeboutique. Schaudernd betrachtete sie die ausgestellten Kleidungsstücke, die sie nicht einmal zu einer Halloween-Party anziehen würde. Das nächste Gebäude war eine chemische Reinigung, dann ein kleines Bürohaus und an der Ecke der Sweetzer Avenue eine Mini-Einkaufspassage mit einem halben Dutzend Geschäften. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine nahezu identische, ebenso willkürlich erscheinende Aneinanderreihung von Geschäften, nur dass hier ein 7-Eleven Supermarkt das Straßenbild beherrschte. Daneben befand sich der HiFi-Tempel Taj Soundworks, dann ein leerstehender Laden mit zerbrochenen Fensterscheiben, ein Geschäft namens Objects, eine Druckerei, ein Supernail, ein Yogacenter sowie ein Verpackungsbetrieb.

Kate hielt alles säuberlich in ihrem Notizbuch fest. Dann ging sie zurück zum Tradition und tauchte unter dem Absperrband durch, um das Restaurant näher in Augenschein zu nehmen.

Weiße Fensterläden schmückten die untere Hälfte des Frontfensters, gobelinartige Vorhänge die obere. Ein kleiner wolkenförmiger Baldachin in Dunkelblau beschirmte die Tür, deren Glasscheibe mit dem gleichen Vorhangstoff verziert war wie das große Fenster.

Neben Sergeant Fred Hansen, der den Eingang bewachte, lehnte Taylor an der Außenfassade des Tradition und unterdrückte gerade ein weiteres Gähnen. Hansen, eine Hand auf dem Pistolenhalfter, in der anderen sein Klemmbrett, sah ihr entgegen. Sie nickte ihm zu: »Morgen, Fred.«

»Morgen, Kate.« Hansen erwiderte das Nicken und konsultierte mit düsterer Miene sein Klemmbrett. »Das Opfer heißt Edward Ashwell Crawford, weiß, männlich, genannt Teddie, T-e-d-d-i-e, laut Aussage seines Geschäftspartners.« Er deutete hinter sich. »Hübsches kleines Lokal mit angeschlossenem Partyservice.« Seine düstere Miene wurde weicher. »Netter kleiner Laden. Hätte nichts dagegen, selbst so was zu haben.« Der weiche Ausdruck auf seinem Gesicht verflüchtigte sich. »Abgesehen von der Küche. Wirklich idyllisch da drin. Sein Partner ist einmal durch den ganzen Raum geschliddert, um zu sehen, ob das Opfer noch am Leben ist.«

»Großartig«, murmelte Taylor. Er knöpfte sein Plaid-Jackett auf, zupfte an den Ärmeln und schob die Hände in die Taschen.

Kate kannte dieses nervöse Gezupfe nur zu gut – Taylor wappnete sich für das, was in der Küche des Tradition auf sie wartete. »Sonst noch was?«, fragte sie Hansen mit einer Brüskheit, die aus ihrer eigenen Anspannung resultierte, eine vertraute und notwendige Selbstschutzreaktion.

Hansen schüttelte den Kopf. »Der Partner ist völlig fertig, ich konnte nicht viel aus ihm rauskriegen.« Er deutete auf einen der Streifenwagen, der vor dem gelben Absperrband parkte. Im Fond saß ein Mann, den gebeugten Kopf in den Händen vergraben. »Pierce, Swenson, Foster und Deems überprüfen gerade die Umgebung, aber abgesehen vom 7-Eleven ist noch überall geschlossen. Hinter dem Restaurant gibt es eine kleine Allee. Sie wird gerade unter die Lupe genommen. Ich schätze, das Opfer ist schon seit ein paar Stunden tot. Das Blutbad da drin ist bereits am Eintrocknen.«

»Danke, Fred«, sagte Kate.

Hansen öffnete die Tür zum Tradition.

Eine Theke mit einer altmodisch verschnörkelten Registrierkasse füllte den vorderen Teil des langgestreckten Raums aus. An der Längswand befand sich eine gläserne Kühlvitrine. Sie war leer, aber die aufgeklebten handschriftlichen Schilder zeigten an, was hier eigentlich zur Auswahl stehen sollte: Limonenpasta mit Kräutern, gefüllte Weinblätter, Hähnchenbrust Dijon, Krabbensalat, buntes Gemüsebouquet.

Der hintere Teil des Lokals lag im Dunkeln, man konnte jedoch acht kleine Tische mit Tischtüchern erkennen, einen verschlissenen Orientteppich und kunstvoll verschnörkelte Eisenstühle mit gepolsterten Sitzflächen. Drei impressionistische Landschaftsbilder leuchteten traumartig aus dem Schatten hervor. Taylor sah sich um, kratzte die kahle Stelle an seinem Hinterkopf und drapierte einige helle blonde Haarsträhnen darüber. »Ziemlich halbseiden«, verkündete er.

Kate gefiel das Lokal, die sanfte Noblesse, die sich wohltuend vom lauten Kommerz der Straße abhob. Sie vermutete, dass das Restaurant eine treue Stammkundschaft anzog, die den unprätentiösen Charme zu schätzen wusste. Sie ging zur Theke und hielt einen Moment inne, um eine Karte in einem kleinen Weidenkorb zu lesen:

Tradition

Partyservice für Anspruchsvolle

Sie richtete sich auf, straffte die Schultern und ging auf die Tür hinter der Theke zu. Von der Türschwelle aus überflog sie zunächst mit schnellem Blick den Raum und begann sich dann sorgfältig umzusehen.

In der Mitte der Einbauküche, die mit zwei rostfreien Stahlspülen, resopalbeschichteten Arbeitsflächen und einem eingebauten Kühlschrank ausgestattet war, stand ein großer Tisch für die Essenszubereitung. Makellos, dachte Kate. Alles, was aus dieser Küche kam, würde sie bedenkenlos essen. Langsam ließ sie den Blick sinken, erforschte den Raum Abschnitt für Abschnitt, wie ein Kameraobjektiv. Der Schrank und die Wände waren strahlend weiß, abgesehen von einer recht umfangreichen Fläche direkt neben der Spüle, wo sich ein Muster von leuchtend roten Bögen und Spritzern mehrere Fuß hoch auf der Wand abzeichnete. Nah an der Fußleiste zog sich eine schmierige rote Spur entlang, als ob jemand mit der Hand darübergewischt hätte.

»Der Typ muss restlos ausgelaufen sein«, brummelte Taylor hinter ihr von der Türschwelle.

Sie senkte den Blick auf den glänzenden Fliesenboden. Der Leichnam von Edward Ashwell Crawford lag in einer riesigen Blutlache, die an den Rändern zu Rinnsalen zerfloss. In den Längsrillen zwischen den weißen Fliesen staute sich das Blut noch mehrere Fußbreit um die Leiche. Weitere vereinzelte Pfützen und Fußabdrücke bedeckten den übrigen Boden. Bei einigen der Fußspuren war deutlich zu erkennen, dass jemand auf dem glitschigen Untergrund ausgerutscht sein musste. Die schwarze Hose des Leichnams war blutgetränkt. Zwischen den Fetzen eines zerrissenen Hemds, das dunkelrot verfärbt an seinem Körper klebte, sah man an einigen Stellen weiße Haut hervorschimmern. Nur an einer Ecke des Kragens konnte Kate noch die ursprünglich weiße Farbe des Hemdes ausmachen. Teddie Crawfords Arme waren über der Brust verschränkt, als wollten sie das ausströmende Blut zurückhalten. Die leeren braunen Augen starrten zur Decke.

»Schweizer Käse«, kommentierte Taylor. »Den hat jemand total in Schweizer Käse verwandelt.«

»Es ist unglaublich, wie viel Blut ein Mensch hat«, murmelte Kate.

»Ein verdammt gutaussehender Junge«, verkündete Taylor.

Kate, die sich fragte, woran er das erkennen wollte, betrachtete den Körper genauer. Der Kopf lag in einer Blutlache, und das zerwühlte Haar, dunkel und kräftig, war davon durchtränkt; das kalkweiße Gesicht mit roten Tröpfchen bedeckt. Und doch – der Kopf war wohlgeformt, das Gesicht schön geschnitten. Lange dichte Wimpern umrahmten die starren, dunklen Augen, die Nase war aristokratisch geschwungen. Die Lippen wirkten selbst in der Starrheit des Todes noch voll und sinnlich, der Rumpf war schlank und wohlgeformt. Kate betrachtete die blutgetränkten Hände, die auffällig schmalen und feingliedrigen Finger des Opfers. Taylors Wahrnehmung inmitten dieses grausigen Blutbads überraschte sie. »Ja, du hast recht«, pflichtete sie ihm bei. »Äußerst gutaussehend.«

Und schwul. Das fühlte sie mit instinktiver Sicherheit. Sie beugte sich so weit wie möglich über die Türschwelle und betrachtete die Leiche. Die Handfläche wies nach unten, der kleine Finger war unnatürlich abgespreizt. Sie musste diesen Raum unbedingt näher untersuchen, und zwar so schnell wie möglich. Ungeduldig sagte sie: »So ein Mist! Wir können nichts tun, bevor der Gerichtsmediziner und die Spurensicherung da sind. Wir können nicht mal reingehen.«

Taylor deutete auf die verschmierten Blutlachen und Fußabdrücke. »Was willst du hier noch an Spuren verwischen?«

»Wir sollten es nicht noch schlimmer machen«, sagte Kate lakonisch. Als D-3-Kommissarin in diesem Mordfall trug sie die Verantwortung für die Ermittlungen, sie traf alle wichtigen Entscheidungen am Tatort. »Erst mal müssen Shapiro und Napoleon Carter hier gewesen sein. Vorher geht da niemand rein.«

»Siehst du das da?« Taylor deutete auf den Tisch.

Ein Stückchen Glas glänzte im fluoreszierenden Licht. Die Oberfläche war mit einer puderartigen Substanz bedeckt.

»Koks«, sagte er.

Kate zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich.«

»Eine Party, die außer Kontrolle geraten ist«, sagte Taylor. »Ziemlich außer Kontrolle.«

»Vielleicht«, sagte Kate und betrachtete die starren Augen des Toten. Sie hoffte, dass dieser wunderschöne junge Schwule nicht sterben musste, weil eine Party ›außer Kontrolle geraten war‹.

Kapitel 2

»Dieses Lokal war mein Leben«, schluchzte Francisco Caldera. »Jetzt ist alles sinnlos, ohne Teddie…«

Der bleistiftdünne Latino saß zusammengesunken auf dem Rücksitz eines Streifenwagens, die Füße hingen seitlich aus der offenen Tür. Er hielt die Arme verschränkt und umklammerte verzweifelt seinen eigenen Körper. Kate und Taylor standen neben der offenen Wagentür.

»Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«, fragte Kate. Mit Mühe hielt sie dem verzweifelten Blick des jungen Mannes stand, der zu ihr hochsah. Nach einem einzigen Blick auf Taylor hatte er seine Augen nicht mehr von ihr abgewendet. Obwohl sie wusste, dass dieser junge Mann ein Verdächtiger war, dass Mörder oft genauso viel oder sogar noch mehr Kummer zeigten als jeder andere, verspürte sie den fast unbändigen Wunsch, ihm tröstend über sein feines, weiches Haar zu streichen.

»Gestern Abend«, sagte er und wischte sich die Tränen ab. »Wir haben das Lokal um elf geschlossen.«

»Schließen Sie immer um elf?«

Er schüttelte den Kopf. »Wir hatten einen größeren Auftrag für eine Party heute Abend. Wir haben noch Marinaden und Saucen vorbereitet…« Er hob die Hand und ließ sie mit einer hoffnungslosen Geste wieder in den Schoß fallen. Er trug ein weißes Baumwolljackett über einem lindgrünen Hemd, dazu eine großzügig geschnittene graue Hose.

»Wer ging als Erster?«, fragte Kate.

Für einen kurzen Moment schloss er die Augen. Seine dunklen, feuchten Wimpern schimmerten im Sonnenlicht. »Teddie. Gloria hat ihn abgeholt.« Auf Kates fragenden Blick hin fügte er hinzu: »Gloria Gomez. Die beiden wohnen zusammen– drüben auf Crescent Heights.«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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