Traummann gesucht. Katzen vorhanden. - Sophie Faber - E-Book

Traummann gesucht. Katzen vorhanden. E-Book

Sophie Faber

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Beschreibung

Beatrix Vogelsang, von allen nur Trixie genannt, ist Mitte vierzig, arbeitet als Sprechstundenhilfe in der Praxis des jungen Tierarztes Finn und pflegt ein enges Verhältnis zu den flauschigen, knopfäugigen oder auch gefiederten Patienten. Und sie fühlt sich berufen, Liebe in die Welt zu bringen, verkuppelt wild und manchmal erfolgreich die Tierhalter. Doch was ist mit der Liebe in ihrem Leben? Seit dem Tod ihres Mannes begnügt sie sich damit, die Abende mit ihren drei Katern Freddie, Godzilla und Nosferatu zu verbringen. Kann das denn immer so weitergehen?

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Das Buch

Beatrix Vogelsang ist Mitte vierzig und wird von allen nur Trixie genannt. Sie arbeitet als Sprechstundenhilfe in der Praxis des jungen Tierarztes Finn, wo sie ein enges Verhältnis zu ihren flauschigen, knopfäugigen und gefiederten Patienten pflegt. Trixie ist überzeugt, dass es mehr zwischen Himmel und Erde gibt, als man messen, wiegen und beweisen kann. Sie fühlt sich dazu berufen, Liebe in die Welt zu bringen, und verkuppelt wild und manchmal durchaus erfolgreich die Tierhalterinnen und Tierhalter, die in der Praxis ein- und ausgehen. Manchmal stiftet sie Ehen, manchmal auch nur Chaos.

Doch was ist mit ihrem eigenen Leben? Seit dem Tod ihres Mannes begnügt Trixie sich damit, die Abende mit ihren drei Katern Freddie, Godzilla und Nosferatu zu verbringen, mit denen sie leidenschaftlich Horrorfilme schaut. Soll das denn immer so weitergehen? Oder sind irgendwann auch einmal wieder Chaos und Liebe für Trixie angesagt?

Die Autorin

Sophie Faber, 1973 in Berlin geboren, lebt mit drei Katern in Schöneberg und verbringt ihre Zeit mit den zwei wichtigen Männern in ihrem Leben: ihrem Ehemann und ihrem Tierarzt. Sie hat immer eine Fusselrolle in der Handtasche und richtet sich darauf ein, im Alter eine schrullige Katzenfrau zu werden.

Sophie Faber

Traummanngesucht. Katzen vorhanden.

Roman

Wilhelm Heyne VerlagMünchen

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Originalausgabe 05/2021

Copyright © 2021 dieser Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Printed in Germany

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von

shutterstock/Oleksandr Lytvynenko/Natasha Pnkina

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-26355-3V001

www.heyne.de

»Ein Leben ohne Mops ist möglich. Aber sinnlos.«

Loriot

Für meinen Mann.

Weil er manchmal mit den Katern auf dem Balkon steht und das Wetter mit ihnen diskutiert.

Kapitel 1

Hundehoroskop

Der weiße Kittel passte tadellos. Wie erst gestern ausgezogen. Beim Aufwachen hatte Trixie sich diesen Moment vorgestellt und überlegt, ob sie sich darin verkleidet fühlen würde. Meine Damen und Herren: Beatrix Vogelsang in Die Tierarzthelferin, Applaus! Aber ihre Finger schlossen die Knöpfe über ihrem Shirt und krempelten die Ärmel so gedankenlos um, als hätte sie keine zwei Jahre Pause in der Praxis gemacht, als wäre ihr Mann PeFe noch da und würde jeden Moment zur Tür hereinkommen und sagen: »Na, Herzensmaus? Wieder ein wunderbarer Tag in diesen bröckeligen heiligen Hallen?«

Trixie atmete tief durch und dachte daran, wie das früher gewesen war, bevor PeFe, der eigentlich Peter Ferdinand hieß, den Autounfall gehabt hatte und sie diese Räume nicht mehr betreten wollte oder besser nicht mehr betreten konnte. Monatelang schnürte es ihr jedes Mal die Luft ab, wenn sie sich auch nur ausmalte, den Schlüssel ins Schloss zu stecken und mit der Hüfte gegen den Holzrahmen zu stoßen, bis die Glaseinsätze leise klirrten, damit die verzogene Tür nachgab. Die alte Praxis ohne PeFe war eigentlich undenkbar. Sie, Trixie, war ohne PeFe eigentlich undenkbar. Aber irgendwann hatte sie sich berappelt und eine Anzeige geschaltet, dass sie einen neuen Tierarzt suchte, denn das Leben musste weitergehen, auch wenn sie nicht wirklich einen Plan hatte, wie das klappen sollte.

Sie betrachtete sich in dem kleinen Spiegel, der an der Tür des Behandlungszimmers hing, und wunderte sich, dass man ihr die schweren zwei Jahre, die hinter ihr lagen, kaum anmerkte. Ihre großen braunen Augen mit den Lachfältchen glänzten. Um die etwas zu kleine Nase tanzten selbst jetzt im Winter Sommersprossen, die ihr bei einer erwachsenen Frau immer etwas albern vorkamen, aber PeFe hatte sie hinreißend gefunden und jede einzelne geküsst, wenn sie in seinen Armen gelegen hatte. Ihre langen, widerspenstigen goldbraunen Locken waren zu zwei Zöpfen geflochten und am Hinterkopf festgesteckt, das war einfach die praktischste Frisur für die Arbeit mit Tieren. Nur ihre Jeans spannte stärker über ihrem runden Po. Zu viel Eiscreme während zu vieler Horrorfilme. Als PeFe noch bei ihr war, hatten sie die torkelnden Plastikmonster, gescheitelten Kettensägenmörder und schlecht geschminkten Vampire zusammen gesehen und sich die Eispackungen geteilt, jetzt löffelte sie die allein aus. Sie löffelte jetzt alles allein aus.

Trixie schloss kurz die Augen und schnaufte. Keine traurigen Gedanken heute. Neuer Tierarzt, neues Glück.

Die letzte Ärztin, Frau Doktor Mone Windhoff, die nur aushilfsweise einige Monate hier gewesen war, hatte sich in der alten Kiez-Praxis mit den historischen Gerätschaften, den skurrilen Kunden und den Tapeten, die sich von zwei Kanten rollten, nie zu Hause gefühlt. Sie verfolgte wohl höhere Ziele und sah sich eher als schicke Chirurgin in der Uni-Tierklinik, die sie dann auch geworden war. PeFes baufälliges Refugium war ihr nicht glamourös genug. Mone hatte zwar, das musste Trixie zugeben, die Tiere mit viel Fachkenntnis versorgt und war oft nach Dienstschluss noch in der Praxis geblieben, hatte sich um die Buchhaltung und die Medikamentenbestellungen gekümmert, aber warm geworden war Trixie mit ihr nie. Bei PeFe hatte es immer etwas zu lachen gegeben. Niemand konnte so kindisch kichern, wenn ihn ein Welpe anpinkelte oder ein Wellensittich ins Ohr biss. Und was hatten sie sich über den neureichen Kunden amüsiert, der sicher gewesen war, seine Koi-Karpfen litten unter schwerer Migräne und bräuchten Massagen oder Akupunktur. Wenn PeFe so gelacht hatte, dass ihm die Tränen übers Gesicht liefen und er nur noch japsen konnte, hatte sein ganzer Körper gezuckt und gewackelt. Trixie hatte dann einfach mitkichern müssen, selbst wenn sie noch gar nicht wusste, was eigentlich so komisch sein sollte. Frau Doktor Mone Windhoff verzog höchstens die Mundwinkel leicht, räusperte sich schnell, strich über ihren makellosen Pagenkopf, bei dem nie ein Härchen verrutschte, und klopfte sogar manchmal kurz auf die Tischplatte, damit alle Anwesenden zum Thema zurückkamen.

Besaß der neue Tierarzt mehr Humor? Der war so jung, in dem Alter hatte man doch noch alles: Begeisterung und Witz, Optimismus und Freude nicht bloß an der Arbeit, sondern auch am Leben selbst. Als ginge es irgendwie gerecht zu. Trixie konnte nur hoffen, dass der Finn – gedanklich nannte sie ihn immer Finn, obwohl er einen Doktortitel und einen Nachnamen hatte – dass dieser Finn also wieder ein bisschen Glück und frischen Wind in die alten Räume bringen würde, so renovierungsbedürftig und voller Erinnerungen sie auch waren.

Trixie sprühte Desinfektion auf den Behandlungstisch und wischte mit kräftigen Bewegungen über die Metallfläche, schaltete den Laptop und die Kasse an, kontrollierte noch einmal, ob alle Medikamente in den Regalen aufgefüllt waren und die Instrumente am richtigen Platz lagen, und zog schließlich die knirschenden Rollläden hoch. Die ruckelten auf der Hälfte. Trixie seufzte. PeFe hatte jahrelang gesagt, man müsse wirklich mal die nervigsten Sachen ersetzen, aber dazu war es nie gekommen. Sie hatten die Praxis schon in einem zweifelhaften Zustand übernommen, bevor es Begriffe wie Shabby Chic gab, und so war sie geblieben. PeFe nannte das »charmant und charaktervoll«, Trixie fand »Bruchbude« treffender. Aber es war ihre gemeinsame Bruchbude, und das zählte viel mehr.

Immer wenn ein bisschen Geld da gewesen war, kam etwas dazwischen. Einmal hatten sie bereits den Maler und den Trockenbauer bestellt und den Kunden Bescheid gesagt, als am Tag vor dem Renovierungstermin das Röntgengerät mit einem leisen Klacken den Dienst aufgab. Ein anderes Mal wollten sie selbst wenigstens neu tapezieren, aber dann wurden überraschenderweise und ganz gegen die bisherige Politik des Bezirks vor dem Haus die Bürgersteige neu gepflastert und die Kosten auf die Besitzer umgelegt. Ständig war irgendetwas, und so lenkte Trixie die Kundschaft mit frischen Blumen und ihrem »skandalös liebreizenden Circen-Charme«, wie PeFe es gerne genannt hatte, von den bröckeligen Decken, quietschenden Dielen und klemmenden Türen ab.

Trixie zog fest an dem Band des Rollladens, dann gab er nach und rauschte in die Höhe.

»Na, geht doch«, murmelte sie und blinzelte ins grelle Wintersonnenlicht. Sobald sie wieder etwas sehen konnte, musste sie lachen.

»Trudi! Treueste aller Treuen. Hab ich dir ne SMS geschickt, dass wir heute neu starten?«

Auf dem Fensterbrett saß eine kleine, etwas struppige Hundedame, hatte ihre Pfoten übereinandergelegt und drückte ihre runde Nase gegen die Scheibe.

Trixie öffnete das Fenster weit und strich Trudi über den Kopf. Die Hündin schloss genießerisch die Augen und schnupperte an Trixies Hand.

»Da wären wir, altes Mädchen. Alles auf Anfang. Nur müssen wir es jetzt ohne PeFe schaffen.«

Sie fühlte, dass ihre Augen so feucht wurden wie die kleine braune Hundeschnauze, und blinzelte.

»Wir lassen uns nicht runterziehen. Du und ich kriegen den Laden schon wieder zum Laufen. Hoffentlich kann der Finn …« – sie sprach »der Finn« so aus, als wäre es ein Künstlername, als würde er im Zirkus mit »der große Finn« angekündigt – »… eine Schildkröte von einem Hamster unterscheiden.«

Trixie nahm die Zeitung vom Schreibtisch und holte sich einen Joghurt aus dem Impfstoff-Kühlschrank.

Während sie die Zeitung aufschlug, sah sie Trudi mit einer hochgezogenen Augenbraue an.

»Er heißt Finn, und er ist ein Baby. Gerade erst aus der Uni raus. Aber sonst wollte uns ja niemand haben. Und diese Vertretungen bringen es nicht, wir beide sind monogame Mädchen, wir brauchen einen für länger, einen, der sich binden will.«

Trudi jaulte, versteckte ihre Nase unter den Pfoten und sah Trixie mit Dackelblick an, obwohl sie gar keine Dackeldame war.

Trixie klopfte ihr auf das knochige Hinterteil.

»Wir erziehen uns den schon, wir beide wissen ja, wie das hier funktioniert.«

Sie raschelte mit der Zeitung.

»Und jetzt lass uns nachsehen, was unsere Horoskope sagen. Du bist Zausel mit Aszendent Flohbeutel? Schau’n wir mal.«

Sie hatte gerade angefangen, die richtige Seite zurechtzufalten, als die Tür zum Behandlungszimmer aufgestoßen wurde und ein junger Mann einen gewaltigen Karton mit dem neuen Vierfarb-Laserdrucker hereinschob.

Er war so schlaksig, dass er ein bisschen zu schwanken schien. Selbst sein rotes Haar, das in alle Richtungen abstand wie bei einem exzentrischen Musiker, und seine großen Ohren lenkten nicht davon ab, dass er hinter seiner schwarz umrandeten Nickelbrille auffällig wache, fast stechende Augen besaß. Trixie hatte beim ersten Kennenlernen sofort gedacht, dass Finn ein schlaues und gleichzeitig grundehrliches Gesicht hatte. Seine Zeugnisse sprachen für ihn, und als er sich im Vorstellungsgespräch beruhigt hatte und mal mehrere Sätze nacheinander sagte, fand Trixie schnell heraus, dass er bei aller Unsicherheit nicht nur kompetent war, sondern auch vernünftige Ansichten vertrat. Und dieses jungenhafte Gesicht zusammen mit dem ungelenken Auftreten mussten gerade die älteren Kundinnen lieben. Trixie war sicher: Die Seniorinnen würden ihn mit mütterlichen Blicken und selbst gebackenen Muffins überhäufen.

Verwirrt sah Finn Trixie an, die ihren Bürostuhl zum Fensterbrett gerollt hatte, und Trudi, die ihr hechelnd die Schnauze auf die Schulter legte. Er setzte den Drucker ab – Teil des neuen Kassensystems.

»Was ist das?«

Trixie hielt den Plastikbecher vor ihr Gesicht, wobei sie weiter darin herumrührte und Finns Stirnrunzeln ignorierte.

»Ein Aloe-Vera-Joghurt, cremig gerührt, mit vitalisierender Frische und achtzig Kalorien auf hundert Gramm.«

»Nein, das.«

Er zeigte hinter sie. Trudi richtete sich empört auf.

»Also, das sollten Sie wissen, wenn Sie eine Praxis übernehmen. Es ist ein Hund. Von der Optik her würde ich sagen, halb Jack Russell, halb Papillon, aber da muss ich auch raten.«

»Ich weiß, dass das ein Hund ist. Warum sitzt der da?«

»Weil sie, wenn sie woanders sitzt, nicht Zeitung lesen kann. Stimmt’s, Trudi, du magst dein Horoskop hören morgens, ja, das magst du.«

Trixie und Trudi schmiegten die Köpfe aneinander, als hätten sie das einstudiert.

»Wenn es eine Streunerin ist, muss sie in den Zwinger, und Sie rufen an beim Tierheim, damit die schon mal …«

»Ich rufe niemanden an. Trudi ist keine Streunerin, die wohnt hier in der Straße, oben an der Ecke mit Kaluppke. Kennen Sie den schon? Einsfünfzig groß, gefühlt hundert Jahre alt, schwer tätowiert und gepierct? Sonst lernen Sie ihn bestimmt sehr bald kennen, und keiner vergisst Kaluppke, das Bild werden Sie nie mehr los. Nixe auf dem Arm, Anker im Gesicht, Nasenring. Soll früher mal Einbrecher gewesen sein. Trudi ist schon seine dritte Trudi, aber das verraten wir ihr besser nicht, oder? Das zieht Hunde runter.«

Finn sah sie verständnislos an.

»Jedenfalls machen wir hier für besonders nette Patienten unsere Spezialbehandlung: Öhrchen kraulen.«

»Bei diesem Herrn Kaluppke?«

»Finn, jetzt wollen Sie mich ärgern. Trudi. Trudi kommt jeden Morgen, wir lesen unsere Horoskope, kraulen Öhrchen, und dann holt sie hinten im Späti die Brötchentüte und Tabak für Kaluppke. Möchten Sie vielleicht auch Ihr Horoskop hören?«

Finn schüttelte den Kopf und wusste offenbar nicht, wo er all das einordnen sollte.

Trixie verspürte Mitleid mit dem jungen Mann, der fast ihr Sohn hätte sein können, und fand, sie hatte ihn für den ersten Arbeitstag genug aufgezogen.

Sie legte Zeitung und Joghurt beiseite, was Trudi zum Anlass nahm, mit ihrer rosa Zunge durch den Becher zu lecken, bis ihre zottelige Schnauze cremig weiß verschmiert war. Trixie streckte die Hand aus und kam auf Finn zu.

Der grinste verlegen und schlug ein. Sein Händedruck überraschte Trixie. Er packte richtig zu und schüttelte ihre Hand so fest, dass sie direkt dachte, na, aber hallo, der kann auch ein Kalb in Steißlage rausziehen oder einen Bernhardiner niederringen. Nicht schlecht.

»Lieber Finn, herzlich willkommen zu Ihrem ersten Tag in Ihrer ersten eigenen Praxis. Mögen die Kunden nett und zahlungswillig sein – und die Analdrüsenausdrückungen und Abszesseröffnungen selten.«

»Eigentlich ist es ja Ihre Praxis«, war alles, was Finn herausbrachte.

Trixie seufzte innerlich. Offenbar wollte Finn ein ganz Genauer sein, was sicher passte, wenn man eine Operationswunde vernähte, aber schwierig im Umgang werden würde. Trixie redete gern, wie ihr der Schnabel gewachsen war, aber Finn machte gerade den Eindruck, als ginge er zum Lächeln in den Quarantänezwinger. Vielleicht litt er einfach nur unter Nervosität, immerhin war das hier seine erste Stelle.

»Na ja, ich bin die Hausbesitzerin«, sagte sie und hoffte, dass ihr Ton mütterlich herzlich klang und nicht etwa genervt, »aber Sie sind der Tierarzt, also der Chef. Ich war bei meinem Mann Sprechstundenhilfe, und ich werde versuchen, Ihnen den Einstieg so gut es geht zu erleichtern. Wie wäre es mit einem Aloe-Vera-Joghurt für den Anfang? Sie machen mir einen ungefrühstückten Eindruck.«

Sie lief zum Kühlschrank und öffnete die Tür.

»Wir haben auch Mokka stichfest.«

Finn guckte noch irritierter: »Im Kühlschrank mit den Impfseren dürfen keine Lebensmittel gelagert werden!«

Trixie warf Trudi einen langen Blick zu, die Hundedame verstand und sprang vom Fensterbrett nach draußen. Trixie dachte, dass sie jetzt auch lieber Brötchen holen und mit dem ganzkörpertätowierten Kaluppke Matetee trinken würde. Aber da schepperte vorn im Wartezimmer die Eingangstür, und klägliches Miauen schallte herüber.

Die ersten Patienten waren da.

Sie drückte Finn einen weißen Kittel in die Hand und schob seinen großen Drucker-Karton mit dem Fuß in die Ecke. Einen Moment lang überlegte sie, ob es PeFes alter Kittel war oder der von Mone Windhoff. Sie wusste es nicht.

»Wir machen jetzt mal Alltag. Und in der Mittagspause setzen wir uns bei einem schönen Kaffee zusammen, und Sie erzählen mir, wie Sie die Praxis gern organisiert hätten.« Sie tätschelte Finn die Schulter und hoffte, dass ihn das genauso beruhigte wie all die Tiere, die gestresst und verängstigt auf dem Behandlungstisch saßen und ganz woanders sein wollten.

Finn schlüpfte umständlich in seinen Kittel und lächelte Trixie schief an. »Lampenfieber. Aber ich freu mich auch sehr. Ich habe Ihnen das, glaube ich, bisher nicht gesagt: Ich bin wirklich froh, dass ich hier anfangen kann.«

Trixie machte eine einladende Geste zur Tür hin, damit er den ersten Patienten aufrief.

»Ihr Einsatz, Doc!«

Die ersten Kunden des Tages und Finns erste Kunden überhaupt waren die Jansons, ausgerechnet die Jansons. Trixie seufzte, ihr blieb auch nichts erspart. Sie hätte »den Finn« (sie musste aufhören, seinen Namen immer mit diesem Zirkus-Tusch zu denken!), sie hätte Finn gern in Ruhe auf die Jansons vorbereitet, denn dieses Ehepaar konnte einen mitunter schwer nerven. Andererseits hatte die Praxis sie bitter nötig. Sibylle und Lars Janson waren vor einigen Jahren plötzlich reich geworden, Trixie wusste nicht, wodurch, es gab Gerüchte über einen Lottogewinn oder ein Erbe, jedenfalls waren sie nun reich, hatten ihre Jobs gekündigt und widmeten ihr Leben ihrer Katzenzucht. Da sie früher sämtliche Kitten, Muttertiere, Kastraten und Deckkater bei PeFe behandeln ließen, bedeuteten sie besonders heute ein sicheres Einkommen, auf das die Praxis nicht verzichten konnte. Leider betrachteten die beiden ihren Tierarzt gern wie ihr persönliches Eigentum und wollten ständig alle für ihre Pläne einspannen, besonders für die von ihnen organisierten Katzenschauen. Immer wieder hatten sie versucht, PeFe als Juror zu gewinnen, und ihn mit nächtlichen Anrufen gequält, und einmal wollten sie ihn sogar bei einer Spendengala des Katzenschutzvereins versteigern. Gewinn: eine Gratisbehandlung. PeFe hatte die Jansons mit seiner souveränen Art gut auf Abstand gehalten, doch beim unerfahrenen Finn würden sie sicher alle Hebel in Bewegung setzen, um ihn dazu zu bringen, ihr tierärztlicher Leibsklave zu werden.

Und es ging auch sofort los.

»Die zwei Hübschen bringen wir Ihnen heute her, aber die beiden neuen Würfe impfen Sie dann bei uns zu Hause!«, kommandierte Sibylle Janson gleich, als sie das Behandlungszimmer betrat. Sie schüttelte dem sprachlosen Finn die Hand und sah ihn dabei ungeniert von oben bis unten an wie ein Stück Frischfleisch auf dem Markt.

Lars Janson nickte ihm nur kurz zu.

»Nächste Woche sind sie so weit, da können wir den ersten Piks machen. Kommen Sie nach Ladenschluss, aber nicht so spät, unsere Kitten haben einen geregelten Tagesablauf.«

Finn sah zwischen Trixie und den Jansons hin und her, als könnte sie deren Befehlston irgendwie unterbinden, doch sie zuckte nur angedeutet mit den Schultern und machte sich daran, die beiden Transportboxen zu öffnen.

Drin kauerten, zu plüschigen Bällen zusammengestaucht, zwei Kastratenkater. Trixie kraulte ihnen beruhigend die Speckröllchen.

Lars Janson wies für Finn mit ausladender Geste auf die Kater, als würde er einen Zaubertrick präsentieren.

»Wotan Jansonitus vom Krallenfels und Gonzo Jansonitus vom Krallenfels, die ehemaligen Goldstar-Kastraten der kiezköniglichen Zucht Janson.«

»Ach.«

Finn sah sehr unbeeindruckt aus. Sofort guckten die Jansons beleidigt.

»Maine Coons, übergewichtig«, stellte Finn rein sachlich fest. Jansons guckten noch ein bisschen beleidigter.

»Und solche Prachtexemplare!«, versuchte Trixie die Atmosphäre aufzulockern. »Schaut euch diese Puschelpfoten an. Und diese Löwenschnauzen. Das sind Majestäten.«

Sie machte sich im Kopf eine Notiz, was sie Finn bei der nächsten Pause unbedingt beibringen musste: Tierhalter sind maßlos stolz auf ihre Lieblinge und wollen erst mal hören, dass ihre Schätzchen hübsch sind, nein, die Allerhübschesten, bevor man ausspricht, dass sie Zecken, Hüftdysplasie oder ein Kilo zu viel haben. Immer, immer das Tier loben, auch wenn es beißt, kratzt, sabbert, verfloht ist oder überkreuz schielt.

Sie hob Wotan geschickt aus der Box, legte sich seine Pranken über die Schulter und stützte seine Hinterbeine mit dem anderen Arm ab. Ihr Ischiasnerv meldete sich. Der Kater wog gut und gern neun Kilo, zehn vielleicht. Zu PeFes Zeiten hatte sie das auf dreihundert Gramm genau schätzen können, jetzt war sie ein bisschen aus der Übung.

Sie streichelte den großen Kater eine Weile, während Jansons in leicht belehrendem Ton sämtliche Titel ihrer alternden Champions herunterrasselten, die sie jemals auf Katzenschauen gewonnen hatten, als würde das für die Behandlung eine Rolle spielen. Manche Bundesligavereine müssten angesichts der vielen Pokale vor Neid erblassen. Trixie setzte Wotan ab, räumte die Box zur Seite und hob Gonzo heraus. Auch der bekam eine Nackenmassage und schnurrte in Trixies Armen. Kaum hatte sie ihn auf dem Behandlungstisch abgesetzt, krabbelte er zu seinem Kumpel und begann ihm die Ohren zu lecken. Wotan duckte sich leicht weg und knurrte, ließ Gonzo zwar gewähren, sah aber noch mürrischer aus als sowieso schon.

Trixie fand die beiden ganz normal.

Kastraten in einer Zucht hielten einigermaßen zusammen, die arrangierten sich meist, Deckkater dagegen hätten sich längst gefetzt und die Rangordnung klargestellt.

»Was ist denn das Problem?«, erkundigte sich Finn endlich.

»Sie sehen’s ja selbst«, Sibylle Janson zeigte anklagend auf die beiden Riesenkater, die jetzt ineinander verknäult auf dem Tisch rangelten und dabei grunzende und fiepende Laute ausstießen.

Trixie tätschelte beide und sagte wie eine milde Gouvernante: »Nana, ihr Kampf-Ewoks, Öhrchen nur lecken, nicht kauen.«

»Wotan und Gonzo sind verhaltensauffällig«, erklärte Sibylle Janson ungeduldig, als sei alles Finns Schuld.

»Das ist doch Dominanzgebaren«, klagte Lars Janson.

»Es sind zwei Kater«, sagte Finn, »die prügeln sich eben manchmal. Wahrscheinlich langweilen sie sich. Spielen Sie genug mit ihnen?«

»Wir haben einen festen Entertainmentplan«, empörte sich Sibylle Janson. »Geben Sie uns was Natürliches, einen Kristall zum Auflegen vielleicht.«

Finn verschränkte die Arme vor der Brust.

»Einen Kristall? So ein Quatsch, reiner Nonsens, für Menschen ist das schon Unfug und für Tiere ebenfalls, Kristalle enthalten keine Wirkstoffe, und da strahlt nichts raus. Und abgesehen davon, gibt es nicht mal bei den Quacksalbern einen Wunderstein gegen Öhrchenlecken. Die zwei spielen nur. Vielleicht finden sie sich auch unsympathisch, das weiß man als Mensch nicht, dann separieren Sie sie eben, aber ich bin da der falsche Ansprechpartner. Möglicherweise suchen Sie eher einen Exorzisten?«

Beide Jansons schnappten nach Luft, und Trixie brach der Schweiß aus. Wie lange hatte Finn gebraucht, um ihre besten Kunden schwer zu verärgern? Zwei Minuten? Ihre Gedanken rasten. Sie wollte Finns Autorität nicht untergraben und ihm nicht in den Rücken fallen, und sie selbst war auch der Meinung, dass den Katern, die gesund aussahen und zwischen ihrem Fauchen immer wieder ruhig nebeneinanderlagen und manchmal sogar schnurrten, nichts fehlte. Aber irgendeine Behandlung musste sie den Jansons anbieten – selbst wenn sie, was Trixie vermutete, nur in die Praxis gekommen waren, um sich den neuen Tierarzt anzusehen. Sie lachte nervös und hob die Transportboxen zurück auf den Tisch.

»Was der Herr Doktor damit sagen will«, begann sie, ohne zu wissen, wie sie den Satz weiterführen sollte, »ist …«, sie überlegte, Finn und die Jansons sahen sie alle drei mit hochgezogenen Augenbrauen an. Sogar Wotan und Gonzo guckten missmutig, als wäre ihnen das Gerede zu viel.

»Was der Herr Doktor sagen will, ist, dass eine Medikamentierung hier nicht angezeigt ist. Stattdessen empfehlen wir eine alternative Therapie.«

Sie überlegte wieder. »Alternative Therapie« hatten sie und PeFe immer gesagt, wenn sie so gar keine Idee hatten. Nur musste ihr jetzt schnell etwas einfallen.

»Shiatsu«, brach es aus ihr heraus. Vielleicht kam ihr dieser Vorschlag in den Sinn, weil sie gestern noch eine Shiatsu-Massage gehabt hatte, um ihre Nervosität wegen der Praxiseröffnung in den Griff zu kriegen.

Sie ignorierte ihren Ischiasnerv und hob beide Kater in die Boxen, was gar kein Problem war, weil die wie alle Katzen wild darauf waren, das Behandlungszimmer verlassen zu dürfen. Zu Hause kriegte man sie kaum rein in die Kisten, und in der Praxis kaum raus.

»Eine Shiatsu-Massage kann sehr ausgleichend wirken. Ich nehme sie mit rüber in den Röntgenraum, da ist es entspannter für die Tiger, und ich zeige Ihnen einige Meridianpunkte und Griffe.«

Sie schob die Jansons mit den Boxen aus der Tür und bedeutete Finn mit einem Blick, im Behandlungsraum zu warten.

Als sie nach einigen Minuten wieder zu ihm kam, drehte er sich auf dem Schreibtischstuhl hin und her und löffelte einen ihrer stichfesten Mokkajoghurts aus.

»Haben wir jetzt ernsthaft gerade Streicheln verschrieben?«, fragte er spöttisch. »Das ist ja ne super innovative Idee für ne Katze.«

Trixie setzte sich seufzend auf den Behandlungstisch.

»Echt, Finn«, sagte sie und sah ihn finster an, »ich weiß, dass Sie beste Noten hatten und bestimmt fachlich ein Kracher sind, aber an Ihrer Kundenpsychologie und den Umgangsformen müssen wir arbeiten. Übrigens …«

Sie nahm ihm den leeren Joghurtbecher aus der Hand und warf ihn in den Mülleimer.

»Sie haben nächste Woche einen Hausbesuch. Neunmal impfen in der kiezköniglichen Zucht, das sind zwei Würfe. Wir brauchen diese Einnahmen. Und vergessen Sie das Bewundern nicht. Erst die Komplimente, dann die Komplikationen, eiserne Tierarztregel. Außerdem …«

Finn runzelte schon wieder die Stirn und sah sie finster an.

»Was denn noch?«

»Außerdem ist nicht alles Pillepalle, was Kunden so nebenher berichten. Jansons haben gerade neben ihrer üblichen Selbstbeweihräucherung auch etwas Interessantes erzählt.«

Sie wartete einen Moment ab, ob sie Finns volle Aufmerksamkeit hatte.

»Sie sagen, unter ihren Züchterkollegen geht das Gerücht rum, dass in diesem Kiez Tiere verschwinden. Einer hat ein Freigehege für Bengalen, und im letzten Monat sind gleich zwei weggekommen.«

»Bengalen? Kein Wunder, das sind wilde Biester. Die springen schneller auf einen Baum oder ein Hausdach, als man ›Katzenstaupe‹ sagen kann. Der Garten wird nicht ordentlich gesichert gewesen sein.«

»In einer Zucht, in der noch nie eine Katze weggelaufen ist? Und dann gleich zwei? Außerdem sagen sie, vermisst eine alte Dame in ihrer Straße ihren Dackel. Und Jansons haben von einem Nachbarn gehört, dass der Hund seines Bruders auch verschwunden ist, ein Spitz.«

Finn schnaubte: »Und der Friseur des Schwagers des früheren Vermieters, der hat einen Fußpfleger, und dessen Tante hat von ihrer Freundin gehört …«

Trixie hob beide Hände, um Finn zu unterbrechen.

Eine Weile saßen die beiden schweigend da. Finn drehte sich wieder auf dem Schreibtischstuhl hin und her.

Schließlich sagte er: »Vielleicht haben Sie recht, und dieser Job ist nichts für mich. Vielleicht wäre ich im Labor oder im OP besser aufgehoben. Ich liebe es wirklich, Tiere zu behandeln. Wenn die mich ansehen und wissen, dass ich ihnen helfen kann, das ist wunderbar. Aber Menschen, die so einen Unsinn reden, machen mich irre.«

Trixie nickte und sah ihn mütterlich an.

»Sie schaffen das schon. Sie sind ein Guter. Sonst hätte ich Sie gar nicht ausgesucht.«

Finn lachte.

»Sie haben mich ausgesucht, weil alle anderen Bewerber Angst hatten, von den maroden Wänden hier erschlagen zu werden.«

Trixie drohte ihm scherzhaft mit dem Zeigefinger.

»Sagen Sie das nicht. Das ist eine durchaus begehrte Immobilie. Das Haus hier wollen viele haben. Im letzten Monat hatte ich drei Kaufangebote von verschiedenen Anwaltsfirmen.«

Finn riss ungläubig die Augen auf. Aber noch bevor er fragen konnte, welches Interesse Anwälte an diesem abbruchreifen Bau in diesem doch eher unbeliebten Kiez am Berliner Stadtrand haben sollten, wo es sich fast so kleinbürgerlich lebte wie auf einem Dorf, schepperte vorn im Wartezimmer die Glocke, und Stimmen drangen zu ihnen. Jetzt ging der Betrieb richtig los, und Trixie und Finn stürzten sich in die Arbeit.

Nach einem Wellensittich, der sich die Federn ausrupfte, einem Bobtail mit gebrochener Pfote, einem Hippiepärchen, die einen Kastrationstermin für ihren Kater absprechen wollten, und einem Kaninchen mit vereiterten Ohren kam noch ein Schäferhund mit Bandscheibenvorfall, ein Wurf Kitten zum Impfen und ein pickliger Junge mit einer Stabheuschrecke, deren Papierbox Trixie mit spitzen Fingern an Finn weiterreichte. Ein Terrier hatte Flöhe, ein Kaninchen Durchfall, und eine Katze wurde mit »Übergewicht« gebracht, entpuppte sich aber als schwanger. Finn kürzte Schäferhundkrallen, rasierte das verfilzte Fell einer Angorakatze und überwies einen Mischlingsrüden, der eine große Schraube verschluckt hatte, sofort in die Tierklinik.

»Endlich achtzehn Uhr!«

Finn ließ sich erschöpft auf den Schreibtischstuhl fallen, rutschte nach vorn, bis er dalag wie ein nasses Handtuch, und schloss die Augen.

Trixie setzte sich stöhnend auf den Behandlungstisch, kickte sich die Schuhe von den Füßen und holte eine kleine Tube Fettcreme aus ihrer Kitteltasche. Mit langsamen Bewegungen verteilte sie einen Klecks der Paste auf ihren Händen.

»Geschafft«, hauchte sie und baumelte mit den Beinen, als wieder die Türklingel aus dem Wartezimmer zu hören war.

Beide stöhnten.

»Wenn es kein dreibeiniges Känguru ist, das plötzlich Französisch spricht, soll es morgen wiederkommen«, sagte Finn. Trixie wollte gerade vom Tisch rutschen, um nachzusehen, da wurde die Tür schon aufgestoßen, und ein Mann im eleganten Nadelstreifenanzug und schräg auf dem Kopf sitzenden Hut lehnte im Rahmen und strahlte. Er war ähnlich groß und schlaksig wie Finn, hatte aber dunkles gewelltes Haar und war mindestens zwanzig Jahre älter als der junge Tierarzt.

»Die Amseln pfeifen, es trällert der Spatz, hier ist dein Lieblingsonkel ratzefatz!«

Er ging einen Schritt auf Finn zu, drehte sich dann aber abrupt zu Trixie um, ergriff ihre Hand und deutete einen Kuss an.

Trixie stand wie schockgefrostet da und starrte ihn nur an. Sie konnte ihren Blick nicht von diesem Mann wenden. Er sah aus, als wäre er direkt aus ihren Teenagerträumen gestiegen. Bevor sie den weißblonden, untersetzten PeFe getroffen hatte, der eher eine Mischung aus Wikinger und Karlsson vom Dach gewesen war, hatte sie immer für diese verwegenen Mafioso-Typen geschwärmt. Schwarze Augen, dichte glänzende schwarze Haare, Augenbrauen wie mit Ölstift ins Gesicht gemalt, hohe Wangenknochen, markantes Kinn – Trixie hätte schwören können, sie hätte diesen Mann schon einmal auf einem alten Hollywood-Filmplakat gesehen oder auf historischen Fotografien, auf denen galante Herren schüchternen Maiden Blumensträuße überreichten. Seine gebräunte Haut war makellos und ohne jeden Bartschatten. Selbst die Nase war perfekt, und Trixie war kritisch bei Männernasen, PeFe hatte sich oft darüber lustig gemacht, dass sie an praktisch jeder Nase, auch der größten Stars, irgendetwas auszusetzen hatte und Vergleiche fand, die meist mit Gemüse zu tun hatten. Diese Nase hier war nicht gewachsen, die war modelliert worden. Trixie hätte sie zu gern angefasst, um herauszufinden, ob da nicht doch ein Chirurg nachgeholfen hatte. Als ihr bewusst wurde, dass sie den Mann nun schon eine ganze Weile mit aufgerissenen Augen und, wie sie befürchtete, offenem Mund angestarrt hatte, riss sie sich zusammen und nickte ihm endlich lächelnd zu.

Er beobachtete sie, ohne eine Spur verlegen zu sein. Offenbar war er es gewohnt, dass er Frauen paralysierte. Trixie fand ihn ziemlich eingebildet und lächelte schon viel weniger herzlich. Aber er ignorierte ihren strengen Gesichtsausdruck einfach.

»Sie müssen die gute Seele des Hauses sein, denn dieser Knabe«, er zeigte auf Finn, der mit den Augen rollte, »ist es sicher nicht.«

Der Mann zwinkerte ihr zu, deutete eine Verbeugung an und schlug leicht die Hacken aneinander.

»Gestatten: Spatzbach! Enchanté! Ich wollte mal sehen, wie mein Neffe sich an seiner neuen Wirkungsstätte macht, und ihn zur Feier des Tages zum Essen einladen. Aber jetzt, wo ich Sie gesehen habe …«, er zwinkerte wieder und strahlte so breit, dass seine gut gewachsenen und nicht übertrieben weißen Zähne blitzten, »jetzt hoffe ich doch sehr, dass Sie uns begleiten werden. Nespa?«

Trixie entzog ihm ihre Hand, die er immer noch festgehalten hatte, und schlüpfte in ihre Schuhe, was eine Weile dauerte, weil dieser Mann, der aufgetaucht war wie ein enternder Edelpirat und so gestelzt redete, sie ganz konfus machte.

»Es ist kein Känguru, schon gar kein dreibeiniges«, sagte sie zu Finn, und der zuckte entschuldigend mit den Achseln.

»Aber es spricht Französisch«, sagte er, während sein Onkel zwischen ihnen stand und von einem zum anderen sah und dabei strahlte, als würde er gleich eine »Cabaret«-Nummer singen und mit Jazzhands herumwedeln.

Trixie nickte den beiden Männern zu, rief »bis morgen dann« und flüchtete aus der Praxis.

Draußen atmete sie einige Male tief durch. Alle Anspannung fiel von ihr ab, und sie fühlte plötzlich, wie müde und erschöpft sie war.

»Den ersten Tag hätten wir überstanden«, murmelte sie und dachte daran, wie sie mit PeFe nach einem anstrengenden Tag gern noch einen Rotwein in ihrer Stammkneipe »Ananas und Schirmchen« getrunken hatte. Sie straffte die Schultern. »Siehste«, sagte sie halblaut zu sich selbst, »die Zeit heilt alle Wunden, und das Leben geht weiter.« Sie hörte ihrer eigenen Stimme nach, blinzelte einige Male, dann bog sie um die Ecke, nickte Trudi zu, die Kaluppke offenbar noch einmal zum Späti geschickt hatte, denn sie trug ein winziges Körbchen mit einer Packung Zigaretten im Maul, und machte sich auf den Heimweg.

Kapitel 2

Bartagame und Biene

An dem Zaun war eine frische Signatur. Der Spitz schnüffelte, ob es eine Nachricht für ihn bedeutete. Vielleicht war eine nette neue Hundedame ins Viertel gezogen. Vielleicht hatte hier ein Rüpel seine Botschaft hinterlassen, einer, der größer war als er und der ihn anbellen und möglicherweise sogar beißen würde. Das musste man genau untersuchen. Der Spitz schnüffelte außerdem den Rasenrand ab und die Pflastersteine des Gehwegs und war erst mal beruhigt: leider keine Hündin, allerdings auch keine besonders aggressive Meldung. Bestenfalls jemand, mit dem man spielen konnte, das würde sich zeigen, aber um Freundschaften einzugehen, reichte eine Markierung nicht, da musste man live schnuppern. Wenn die Sympathie nicht stimmte, ging man eben aneinander vorbei und nickte nur kurz. Der Spitz hatte schon einige Jahre auf dem Buckel und kannte sich aus, er suchte keinen Streit und wurde nicht schnell panisch. Zwar nahm er das Auto wahr, das jetzt hinter ihm langsamer wurde, aber das versetzte ihn nicht in Alarmbereitschaft. Selbst so früh morgens, wenn seine Menschen noch zu müde waren, um die Runde mit ihm zu laufen, und ihn alleine rausließen, fuhren ab und zu Autos vorbei. Die Frau von gegenüber kam von der Nachtschicht und hatte manchmal etwas Leckeres für ihn dabei, aber die war es nicht, der Spitz kannte den Klang ihres alten Opels genau. Dieses Auto war größer, kein Lastwagen, eher eines, wie es Handwerker fahren. Handwerker kannte er auch. Der Spitz kläffte nicht so aufgeregt herum wie der Boxermischling zwei Häuser weiter, der jedes Mal ausrastete, wenn sein Frauchen Schnee schippte. Er war ein guter Junge, seine Menschen sagten das oft, und die mussten es ja wissen, Menschen waren klug und freundlich. Hinter ihm hielt das neue große Auto an, und die Tür wurde geöffnet. Der Spitz blieb stehen, um abzuschätzen, wer dieser neue Mensch war, ob man ihn begrüßen musste oder ob er ihm etwas sagen wollte. Wollte er, er kam auf ihn zu. Ein Mann. Der Spitz setzte sich auf die Hinterbeine und wedelte mit dem Schwanz. Menschen hatten oft gute Ideen und warfen ein Stöckchen oder machten eine kreisende Handbewegung und freuten sich so, wenn er sich dann um sich selbst drehte. Er mochte es, wenn Menschen sich freuten, und reckte ihm erwartungsvoll die Nase entgegen. Gleich würde der Mann seine Hand ausstrecken und sich vorstellen und etwas Nettes sagen, zum Beispiel, dass er ein hübscher Junge sei, und ihm über den Kopf streicheln. Der Spitz wurde gern über den Kopf gestreichelt. Er wedelte heftiger mit dem Schwanz und wartete. Aber der Mann streckte seine Hand nicht aus. Er kam mit schnellen Schritten auf ihn zu, das ging zu schnell, man sagte doch erst mal Hallo, verwirrt sah der Spitz sich um. Der Mann griff einfach nach ihm, das machte man so nicht, Kopf streicheln ja, aber hochnehmen durfte ihn nur die eigene Familie. Der Spitz strampelte, der Mann drückte ihn fester und trug ihn weg zum Auto, das war gar kein Spiel, das machte keinen Spaß, er wollte nicht in das fremde Auto, in dem es nach Angst und fremden Tieren roch, die er alle nicht kannte. Er zappelte und wand sich, jaulte auch einmal, vielleicht hätte er zubeißen sollen, aber seine Menschen hatten ihm beigebracht, dass ein guter Junge das nicht tut, niemals, und vielleicht war das alles ein Missverständnis. Der Mann warf ihn einfach in den Laderaum. Die Tür wurde hinter ihm zugeschlagen, der Fremde stieg ein, das Auto fuhr mit quietschenden Reifen los. Der Spitz drückte sich ganz fest an eine alte Decke und winselte, dann bellte er laut, vielleicht würden seine Menschen ihn hören, aber das Auto bog schon um eine Ecke, und seine Menschen hörten ihn nicht.