Treadstone – Der Gejagte - Robert Ludlum - E-Book
SONDERANGEBOT

Treadstone – Der Gejagte E-Book

Robert Ludlum

0,0
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Für seine Zeit als Killer im Dienst der US-Regierung hat Adam Hayes teuer bezahlt. Inzwischen hat er dem geheimen Treadstone-Programm den Rücken gekehrt und arbeitet daran, sich an der Westküste der USA eine bescheidene Existenz aufzubauen. Bis die Vergangenheit ihn gnadenlos einholt: Ein schwer bewaffnetes Kommando versucht, Hayes auszuschalten. Mit knapper Not kann er entkommen. Wer steckt hinter dem Attentat? Und warum? Um eine Antwort auf diese Fragen zu finden, muss Hayes wieder das werden, was er nie wieder sein wollte: ein nahezu perfekter Killer.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 422

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Buch

Unter größter Geheimhaltung und mit teils fragwürdigen Methoden hat das geheime Treadstone-Programm der US-Regierung Menschen zu perfekten Killermaschinen ausgebildet. Inzwischen haben neue Waffentechnologien die Einheit nahezu komplett abgelöst. Wozu Agenten einem Risiko aussetzen, wenn der Auftrag auch bequem per Drohne erledigt werden kann? Die letzte Treadstone-Mission liegt bereits vier Jahre zurück. Jedenfalls offiziell …

Doch dann wird ein Treadstone-Agent tot aufgefunden – ermordet in einem Hotel in Venezuela. Was hatte er dort zu suchen? Lief das Programm im Verborgenen weiter? Mit welchem Ziel und in wessen Auftrag?

Der Treadstone-Aussteiger Adam Hayes macht sich auf die Suche nach Antworten – und muss dafür seine äußerst tödlichen Fähigkeiten reaktivieren.

Die Autoren

Joshua Hood war fünf Jahre lang bei den amerikanischen Luftlandetruppen und anschließend Teil eines SWAT-Teams in Memphis, Tennessee, wofür er mit der Lifesaving Medal ausgezeichnet wurde. Seit 2016 ist er Thriller-Autor.

Robert Ludlum erreichte mit seinen Romanen, die in mehr als 30 Sprachen übersetzt wurden, weltweit eine Auflage von über 300 Millionen Exemplaren. Robert Ludlum verstarb im März 2001. Sein Werk wird von wechselnden Autoren fortgeführt.

Weitere Informationen über Robert Ludlum und seine Bücher finden Sie am Ende dieses Buchs und auf heyne.de/ludlum

ROBERT LUDLUMJOSHUA HOOD

TREADSTONE

DER GEJAGTE

THRILLER

Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Norbert Jakober

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Die Originalausgabe THE TREADSTONE RESURRECTION erschien 2020 bei G.P. Putnam’s Sons.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Deutsche Erstausgabe 06/2022

Copyright © 2019 by Myn Pyn LLC

Copyright © 2022 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Dr. Rainer Schöttle

Covergestaltung: Nele Schütz Design, München Covermotiv: © Trevillion Images (Silas Manhood); Getty Images (Westend61)

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-26880-0V003

www.heyne.de

Prolog Buena Vista, Venezuela

Nick Ford saß auf der Rückbank des verdreckten Pick-ups, vom Fieber geschüttelt und mit einer schmerzhaften Schusswunde im Bein. Er war völlig erledigt, sein Körper lechzte nach Schlaf, doch immer wenn er die Augen schloss, fand er sich im Dschungel wieder.

In einer Todesfalle. Von allen Seiten knatterte Maschinengewehrfeuer, beißender Schießpulvergeruch hing wie Nebel in der Luft, die Schreie seiner sterbenden Kameraden hallten ihm in den Ohren.

Tot. Alle.

Ford konnte immer noch nicht begreifen, was geschehen war. Wie er in einem vermeintlich einfachen Aufklärungseinsatz ein ganzes Team hatte verlieren können. Es gab nur eine schlüssige Erklärung.

Jemand hat uns verraten.

Der Pick-up kam rumpelnd zum Stehen, und Ford rappelte sich auf und stieg auf die schlammige Straße hinaus. Er humpelte zum Fahrerfenster, zog ein Bündel schweißfeuchter Geldscheine aus der Hosentasche und reichte sie dem Mann am Lenkrad.

»Nein, nein, Señor«, protestierte der Fahrer. »Das kann ich nicht annehmen, nicht nach dem …«

Ford ließ ihn nicht ausreden. »José, nehmen Sie es.« Er drückte ihm die Scheine in die schwielige Hand. »Nehmen Sie’s und sehen Sie zu, dass Sie mit Ihrer Familie hier rauskommen.«

»Gracias, Señor Ford. Ich wünsche Ihnen …«

»José, Sie müssen abhauen, bevor es zu spät ist.«

»Vaya con dios.« Er nickte, legte den Gang ein und jagte in einer Staubwolke davon.

Ford stand an der Straße und wog seine Möglichkeiten ab. Er wusste, dass der gefürchtete venezolanische Geheimdienst SEBIN hinter ihm her war. Ebenso klar war ihm, was ihm bevorstand, wenn sie ihn fanden. Es gab Momente, da wünschte sich Ford beinahe, dass sie sich beeilten und ihn schnell fanden. Dass sie ihm eine Kugel in den Kopf jagten und dem Ganzen ein Ende machten.

Das kommt so oder so, sagte er sich. Aber vorher hast du noch etwas zu erledigen.

Ford humpelte über die Straße. Die Schmerzen waren kaum noch zu ertragen, wurden mit jedem Schritt schlimmer, doch er biss die Zähne zusammen und zwang sich weiterzugehen. Lauf oder stirb, trieb er sich selbst an. Einen Fuß vor den anderen.

Als er die nach Urin und verrottetem Abfall stinkende Gasse erreichte, war sein Hemd schweißgetränkt. Er sank gegen die Steinmauer, kramte das Fläschchen Percocet aus der Hosentasche der Jeans, die José ihm besorgt hatte, und schnippte den Verschluss mit dem Daumennagel auf.

Am Montag war das Fläschchen voll gewesen – jetzt waren nur noch zwei Tabletten übrig. Genug, um durch die Nacht zu kommen. Mehr brauchte er nicht.

Ford hatte immer mit der Möglichkeit gerechnet, dass es eine Reise ohne Wiederkehr werden könnte.

Er warf sich die Tabletten in den Mund und schluckte sie trocken. Sie hinterließen einen bitteren Nachgeschmack. Er ging weiter, schleppte sich nordwärts die Gasse hinunter, auf das verblichene weiße Schild über dem Hotel Bolívar zu.

Das Bolívar war ein hässlicher Klotz mit blassen, weiß verputzten Wänden und löchrigem Stacheldraht. Kein Hotel, wie man es auf Tripadvisor fand, aber der Inhaber war ein Mann, dem Ford vertraute, was es für ihn zum sichersten Ort in der Stadt machte.

Als er die schmuddelige Lobby betrat, hatten die Tabletten bereits zu wirken begonnen und die Schmerzen im Bein zu einem dumpfen Pochen gedämpft.

»Señor Ford«, begrüßte ihn Miguel. Sein Lächeln zerbröselte, als er sah, in welchem Zustand Ford sich befand, und er kam hastig hinter dem Tresen hervor. »Sie sehen zum Fürchten aus. Soll ich den Arzt rufen?«

»Nein.« Ford zuckte zusammen. »Ich brauche nur ein Zimmer … und eine Flasche.« Er lehnte sich an den Tresen, kramte sein letztes Geld aus der Tasche und klatschte es auf die verkratzte Theke. Er keuchte vor Anstrengung.

»Selbstverständlich.« Miguel nickte.

Er nahm eine Flasche Santa-Teresa-Rum aus dem Regal und einen Schlüssel vom Brett und schob ihm beides über den Tresen.

»Danke, mein Freund«, sagte Ford.

Langsam stieg er die Treppe in den ersten Stock hinauf, schloss die Tür auf und trat ein.

Das Zimmer erinnerte ihn an den schäbigen Wohnwagen, in dem er aufgewachsen war: genau so ein mit Zigarettenflecken übersäter Tisch, vergilbte Jalousien und der muffige Geruch eines Bierkühlers. Ford schloss die Tür und stellte seinen Sturmrucksack auf einen Stuhl.

Er griff zum Rum und nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche. Die scharfe Flüssigkeit brannte in der Kehle und wärmte den Magen. Gestärkt für die bevorstehende Aufgabe, zog er den Reißverschluss des Rucksacks auf und breitete den Inhalt auf dem Tisch aus: Laptop, zwei kleine Stiftkameras, eine dreckverkrustete Kamera und eine M18-Claymore-Mine.

Sein knurrender Magen erinnerte ihn daran, dass er seit neun Stunden nichts mehr gegessen hatte. Er holte eine Dose Ananas aus dem Rucksack und zog mit der Lasche den Deckel ab.

Seit er vor drei Jahren zum ersten Mal nach Venezuela gekommen war, hatte sich der Preis für eine solche Dose verdreifacht. Der Wert der Landeswährung befand sich im freien Fall, und die Inflation trieb die Preise in astronomische Höhen.

Geld. Darum geht es bei der ganzen Sache, dachte er, spießte mit seinem Messer eine Ananasscheibe auf und schob sie sich in den Mund. Dann nahm er die beiden Stiftkameras und ging damit auf den Gang hinaus. Er hatte sie noch aus seiner Zeit bei den Spezialeinsatzkräften. Die Kameras sahen aus wie Lippenpflegestifte, nur dass sie mit einer Linse am Ende versehen waren. Es war eigentlich eine veraltete Technologie, geradezu riesig im Vergleich zu den heute gebräuchlichen Mikrokameras. Doch Ford vertraute den Dingern, die sich so gut wie überall anbringen ließen.

Er steckte eine Kamera in einen Spalt am Ende des Ganges und richtete die Linse auf die Treppe, die von der Lobby nach oben führte. Die zweite befestigte er mit einem Klebstreifen am Coke-Automaten und richtete sie auf seine Tür hin aus.

Zurück im Zimmer, versuchte er, das Bett vor die Tür zu ziehen, doch es bewegte sich keinen Millimeter. Er nahm seine ganze Kraft zusammen – das Boxspringbett rührte sich jedoch nicht von der Stelle, und er sank resignierend auf die Knie.

Wann hat Miguel bloß die Betten am Boden befestigt?

Ford wusste, dass es im Grunde nicht wichtig war, und erhob sich vom Boden. Er zog einen Kunststoffkeil aus seinem Rucksack und rief sich in Erinnerung, was der Mann, der ihn ausgebildet hatte, ihm damals eingeschärft hatte: »Ford, vergiss nie – doppelt hält besser.«

Der alte Hayes ist immer noch da, um mir den Arsch zu retten, dachte er, schob den Keil mit dem Fuß in den Spalt zwischen Tür und Fußboden und ging zurück zum Rucksack, um eine Rolle Spezialklebeband und die Claymore zu holen.

Mit dem Klebeband fixierte er die Mine oben an der Stuhllehne. Er zog den Stuhl zur Seite und vergewisserte sich, dass er weit genug von der Tür entfernt war. Dann schraubte er die Sprengkapsel in die Mine, steckte das freie Ende des Zündkabels in den Zünder und ging damit ins Badezimmer.

Ford legte den Zünder auf dem Toilettendeckel ab, drehte den Wasserhahn auf, spritzte sich eine Handvoll Wasser ins Gesicht und ließ seine Gedanken zurück zu dem Café bei Bogotá schweifen, in dem er Hayes zum letzten Mal gesehen hatte.

»Nick, ich gehe.«

»Du gehst?« Ford lachte. »Wo zum Teufel gehst du hin?«

»Ich arbeite nicht mehr für Treadstone. Ich bin raus.«

»Raus?« Ford runzelte die Stirn. »Wie meinst du das – ›du bist raus‹?«

»So wie ich es sage. Ich mache Schluss.«

»Geht das so einfach? Ich meine, werden sie dich einfach so gehen lassen …?«

Das Gesicht des Mannes verfinsterte sich so plötzlich, dass Ford unwillkürlich zurückwich, obwohl er diese Stimmungswechsel schon oft miterlebt hatte. Es endete meist damit, dass jemand tödlich verletzt auf dem Boden lag.

Die beiden Männer waren sich bei den Special Forces begegnet und hatten in vielen gemeinsamen Einsätzen ein enges Vertrauensverhältnis zueinander aufgebaut. In Afghanistan hatten sie demselben Team angehört, bis die CIA sie von ihrem Artilleriestützpunkt abgezogen und für Treadstone rekrutiert hatte.

Dort hatten sie die wissenschaftlichen Mitarbeiter des Programms verblüfft, weil sich an ihrem engen Verhältnis nichts änderte, obwohl man sie einer Gehirnwäsche unterzog, die darauf abzielte, sie aus ihren Beziehungen herauszulösen. Man wollte den »perfekten« Agenten erschaffen, der in seinen Einsätzen durch keinerlei persönlichen »Ballast« behindert wurde.

»Ich hab nicht gefragt, ob sie mich lassen«, knurrte Hayes, als wäre er kurz vorm Explodieren.

»Immer mit der Ruhe, Bruder, ich hab’s nicht böse gemeint.« Ford hob beschwichtigend die Hände.

Hayes’ Gesicht entspannte sich, der Hauch eines Lächelns erschien in seinen Mundwinkeln.

»Ich bin nicht sauer auf dich, Kumpel. Es hat mehr mit mir selbst zu tun.«

Bei seinem letzten Einsatz war irgendetwas mit Hayes geschehen. Ford wusste zwar nichts Genaues – nur, dass es den Mann nachhaltig verändert hatte.

»Aber ich denke, du solltest es auch tun.«

»Mann, ich hätte überhaupt keine Ahnung, was ich anfangen soll«, erwiderte Ford.

»Falls du irgendwann mal was brauchst, musst du es nur sagen«, versicherte Hayes, dann war er fort.

Ford drehte das Wasser ab, langte nach dem Handtuch und sah sich im Spiegel. Der Anblick schockierte ihn.

Die drei Monate im Orinoco-Delta hatten Spuren hinterlassen. Der Mann, der ihm aus dem Spiegel entgegenblickte, war siebenunddreißig und sah aus, als ginge er auf die sechzig zu. Schlank und gestählt, harter Blick und eine halbmondförmige Narbe am Hals, die nur zum Teil vom Hemdkragen verdeckt war.

Ich hätte auf ihn hören sollen.

Er setzte sich wieder an den Tisch, schaltete den Monitor ein, der mit den Kameras verbunden war, und fuhr den Computer hoch. Er loggte sich ein und stellte die mobile WLAN-Verbindung her. Dann aktivierte er den IP-Anonymisierer und stellte ihn so ein, dass die IP-Adresse des Laptops alle neunzig Sekunden auf einem anderen Server aufschien.

Er zog die Kamera hervor, die er für seine Aufklärungsarbeit benutzt hatte, verband sie mit dem Computer und lud die Bilder hoch. Während die Übertragung lief, öffnete er das E-Mail-Programm, um eine Nachricht zu verfassen. Er überlegte einen Moment, dann tippte er etwas in die Betreffzeile.

Wenn du das liest, bin ich tot

Als die Bilddaten auf der Festplatte gespeichert waren, erschien das erste Foto auf dem Bildschirm, und Ford konnte die Kamera vom Computer abstecken. Er beschloss, die Bilder für sich sprechen zu lassen, und zog eines nach dem anderen in die E-Mail – da bemerkte er etwas auf dem Monitor.

»Scheiße.«

Er schnappte sich den Laptop und die Glock und hastete ins Badezimmer. Schloss hektisch die Tür, stellte den Computer auf den Waschtisch und griff nach dem Zünder. Seine Augen fixierten die rotierende Ladeanzeige.

Komm schon, murmelte er, als könnte er das Laden der Dateien mit purer Willenskraft beschleunigen.

Zehn Meilen weiter nördlich bogen zwei riesige Sattelzüge von der Straße ab. Der erste Peterbilt-Truck wurde mit einem Zischen der Druckluftbremse langsamer, fuhr in weitem Bogen auf eine rissige Asphaltstraße und hielt an.

Felix Black stieg aus dem Fahrerhaus, ein geladenes HK416-Sturmgewehr vor der Brust hängend. Durch den Staub, der vom Kies am Rand des verlassenen Flugplatzes aufgewirbelt wurde, stapfte er zum Auflieger und öffnete die Tür.

Drinnen befanden sich blinkende Monitore, mehrere Rechnereinheiten und eine Satellitenanlage. Jedes einzelne System kostete mehr als doppelt so viel wie die Zugmaschine samt Auflieger.

»Wer hat ihn auf dem Monitor?«, fragte Black und stieg in den Anhänger.

Ein pickelgesichtiger Junge mit strähnigen braunen Haaren und geblümtem Hemd hob die Hand.

»I-ich, Sir.«

Felix warf einen Blick auf den Monitor, strich sich über den Spitzbart, als das Satellitenhandy in der Cargo-Tasche an seinem Bein vibrierte.

Black wusste, dass die einzige Person, die seine Nummer hatte, sein Auftraggeber Jefferson Gray war. Bevor er sich meldete, wollte er sich jedoch vergewissern, dass sie das Ziel aufgespürt hatten.

»Bist du dir diesmal sicher?«

»J-ja, Sir.«

»Dann will ich hoffen, dass du dich nicht wieder irrst«, sagte Black und drehte sich zur Tür.

Draußen stand Murph, sein Teamführer, geduldig ans Fahrerhaus gelehnt.

»Wie geht es weiter?«, fragte er.

»Sag den Jungs, sie sollen sich fertig machen.« Black zog das Satellitentelefon aus der Tasche und meldete sich.

»Ja, Sir?«

»Sagen Sie mir, dass Sie ihn gefunden haben«, kam Gray sofort zur Sache.

»Wir haben ihn«, versicherte Black.

Das Scheppern, mit dem hinter ihm die Rampe heruntergelassen wurde, lenkte Blacks Aufmerksamkeit auf den ersten Sattelzug, wo die Fliegercrew einen Helikopter mit eiförmigem Rumpf vom Anhänger wegrollte. Er sah auf das beleuchtete Zifferblatt der Sangin Atlas an seinem Handgelenk und stellte eine rasche Kopfrechnung an.

»Wir können in zehn Minuten bei der Zielperson sein.«

»Töten Sie ihn«, befahl Gray.

»Roger.«

Black schob das Satellitenhandy in die Cargo-Tasche zurück und eilte zu den beiden Little Birds, wo die Angehörigen des Kill Teams sich bereits auf den außen an den Helikoptern montierten Bänken angeschnallt hatten und die Umgebung im grünen Licht ihrer Nachtsichtgeräte betrachteten.

Black duckte sich unter den Rotorblättern des ersten Helis hindurch und spürte die Hitze der Turbine am Hals. Er nahm den zerschrammten Helm von der Bank, setzte ihn auf und zog sich den schalldichten MSA-Sordin-Kopfhörer über die Ohren.

Nachdem er den Karabiner an der Sicherheitsleine eingehakt hatte, drückte er die Push-to-talk-Taste des Thales-MBITR-Funkgeräts an seiner Brust, um mit dem Piloten Kontakt aufzunehmen.

»Raven One-One, hier Alpha Six, Funkcheck.«

»Alpha Six, ich höre dich laut und deutlich.«

»Roger, wir können starten«, sagte Black.

Er zog sich die PVS-15-Nachtsichtbrille vor die Augen. Sie tauchte die Welt vor ihm in ein smaragdgrünes Licht.

Der Pilot drehte die Motorleistung hoch, und Black spürte die erhöhte Drehzahl als Vibrieren im Rücken.

Über ihm durchschnitten die Rotorblätter die Luft und luden sich elektrisch auf, sodass die Spitzen sich in seiner Nachtsicht gelb färbten. Der Little Bird hockte noch einen Moment lang auf seinen Kufen, dann waren sie in der Luft.

Der Pilot lenkte den Helikopter Richtung Süden, zog über Baumwipfel hinweg und richtete die Nase zum Fluss hin.

»Über Wasser«, meldete der Pilot.

Auch mit der Nachtsichtbrille war es schwer, irgendwelche Details am anderen Ufer auszumachen. Black musste zum Navigieren den GPS-Monitor an seinem Handgelenk benutzen. Als sie fünf Meilen zurückgelegt hatten, gab er über Funk die »Eine-Minute-Warnung« durch, und seine linke Hand schloss sich um den Karabinerhaken, der ihn mit dem Helikopter verband.

»Über Land«, meldete der Pilot und lenkte den Little Bird auf die Stadt zu.

Black warf einen Blick auf die GPS-Anzeige und sah, dass sie sich dem Zielgebäude näherten. Er lehnte sich in den Wind, der ihm trotz der Nachtsichtbrille die Tränen in die Augen trieb. Als er das Hotel Bolívar fand, setzte er seinen Infrarotlaser ein, um das Ziel für den Piloten zu markieren.

Der Little Bird war flink und beweglich wie ein Kolibri. Als der Pilot geschickt eine Stromleitung überflog, hatte Black einen Moment lang das Gefühl, dass ihm der Magen in die Kehle hochstieg.

Verdammte Cowboys.

Der Pilot ging tiefer, bis die Kufen beinahe über die Dächer der parkenden Autos schrammten.

»Dreißig Sekunden«, verkündete Black.

Drei Meter vor dem Eingangstor fing der Pilot den Little Bird ab. Noch bevor die Kufen den Boden berührten, hatte Black bereits den Gurt gelöst und sprang ab.

»Mir nach.« Er sprintete über den Hof.

Der zweite Hubschrauber landete auf dem Dach, die Angreifer sprangen von der Bank und schickten sich an, das Haus von oben nach unten zu durchkämmen. Als Black die Tür zur Lobby erreichte, hatten die beiden Little Birds schon wieder abgehoben, und auf der Straße kehrte Stille ein.

»Breacher – los!«, flüsterte Black.

Er riss die Tür auf und stürmte in den Raum – im nächsten Augenblick ließ das Echo der Sprengladung, mit der das Team auf dem Dach sich Zugang verschaffte, die Wände erzittern. Black wandte sich zur Mitte des Raumes und wollte schon »Alles klar« rufen, als er aus dem Augenwinkel beobachtete, wie ein Mann sich hinter den Tresen duckte.

Die Erfahrung aus vielen Einsätzen in irgendwelchen Dreckslöchern dieser Welt ließ Black sofort erkennen, ob jemand nach einer Waffe griff oder einfach nur in Deckung ging. Sein Instinkt sagte ihm, dass der Mann vorhatte zu feuern, was das Zeug hielt.

Er hob das HK416 vor die Augen, stellte den Wahlhebel auf »Einzelfeuer« und aktivierte den Infrarotlaser. In dem Moment, als der unsichtbare Strahl auf den Kopf der Zielperson fiel, drückte Black ab.

Der Mann hinter dem Tresen wurde genau zwischen den Augen getroffen. Das Teilmantelgeschoss klatschte sein Gehirn an die Wand. Er war tot, noch bevor er auf dem Boden lag, die Schrotflinte glitt aus seiner Hand und landete klappernd auf dem Fliesenboden.

Blödmann.

Seine Männer stürmten bereits die Treppe hoch, Black wandte sich um und folgte ihnen.

»Das Ziel ist in Zimmer vier«, meldete der Techniker über die interne Funkverbindung.

»Roger«, bestätigte Murph, der Teamführer. »Bereit machen zum Eindringen.«

Black schloss zu seinen Leuten auf, die oben an der Treppe warteten, und wusste sofort, dass Murphs Gruppe bereits bei dem Zimmer war.

Nicht nötig, Verstärkung hinzuschicken.

Im nächsten Augenblick hörte er das Donnern der Ladung, mit der die Tür weggesprengt wurde.

Black beugte sich vor, um das Geschehen zu beobachten, und sah, wie die ersten beiden Männer ins Zimmer stürmten. Ein dritter wollte ihnen folgen – dann flog das Zimmer in die Luft.

»Wir haben Verletzte!«, brüllte Murph.

Black rannte los.

Er trat ins Zimmer, sah die beiden Männer auf dem Boden liegen, ihr Blut schwarz in der Nachtsichtoptik. Die hat es schlimm erwischt.

»Bringt sie rauf«, befahl er dem Evakuierungsteam.

Im selben Augenblick hörte er das Pop-pop-pop einer Handfeuerwaffe und sah den Putz von der Wand explodieren, als die Kugeln einschlugen.

»Badezimmer!«, rief er, als eine Kugel über ihn hinwegpfiff.

Ein Angreifer trat die Tür ein und feuerte.

»Tango am Boden«, meldete der Schütze über Funk.

Black senkte sein Gewehr und vergewisserte sich rasch, ob er selbst etwas abbekommen hatte.

»Control, hier Alpha Six, wir haben zwei Verletzte, brauchen sofortige MedEvac auf …«

»Halt!«, fiel ihm Gray ins Wort. »Alpha Six, hier Control, habt ihr die Mission erledigt?«

Dieser Scheißkerl, fluchte Black im Stillen, weil dem Mann die Zielperson wichtiger war als die eigenen Männer. »Einen Moment, Control.«

Black eilte ins Badezimmer, sah Nick Ford in der Wanne liegen. An den Fliesen klebten Blut und Hirnmasse. »Alles klar?«, fragte er.

Der Schütze spuckte einen Strahl Tabaksaft auf den Leichnam, ehe er antwortete: »Roger, Boss.«

Black klappte die Nachtsichtbrille hoch, bevor er die Sprechtaste an seiner Brust drückte.

»Control, hier Alpha Six. Mission erledigt.«

»Verstanden.«

»Was ist mit der MedEvac?«

Schweigen.

Verdammt. »Murph, bring deine Jungs runter, wir kümmern uns um die Scheiße hier …« Black senkte den Kopf und wandte sich zur Tür, als ihn eine Stimme stocken ließ.

»Boss, wir haben ein Problem«, meldete der Schütze und kam aus dem Badezimmer.

Black sah den Laptop in seiner Hand. »Was zum Henker ist das?«

»Den hatte er bei sich. Ich habe die E-Mails gecheckt. Der Mistkerl hat noch eine Nachricht abgeschickt, bevor ich ihn erledigt habe.«

Black wischte mit dem Handschuh etwas Blut und Gehirnmasse vom Bildschirm und las den Namen in der Adressleiste.

Adam Hayes.

1 La Conner, Washington

Adam Hayes lag auf dem Bett, als der Albtraum anfing. Das Zittern setzte in den Mundwinkeln ein und steigerte sich zu einem wilden Knurren. Er begann zu schwitzen, die Hände rissen an den Laken, die Augen flitzten hinter den geschlossenen Lidern hin und her, sein Bewusstsein gefangen in den Schrecken der Vergangenheit.

Er wartete mit geschlossenen Augen in einem dunklen Winkel und lauschte angestrengt nach dem kleinsten Geräusch, mit dem sich sein Opfer ankündigte. Alle töten – so lautete sein Befehl. Er war nur das Werkzeug, ein Mann, der darauf trainiert war, ohne Zögern zu töten. Seine Hand schob sich zum Griff des Messers, das er am Rücken trug. Der Metallgriff fühlte sich selbst durch die Latexhandschuhe hindurch kalt an. Mit dem Zischen von Metall auf Leder glitt die Klinge aus der Scheide, und Hayes öffnete die Augen. Das Gesicht des Wachmanns erschien grün in der Nachtsichtoptik.

Jetzt, sagte ihm die innere Stimme, und er schlug zu.

Hayes’ Hand schob sich unter das Kissen, und seine Finger schlossen sich um den soliden Stahl der Springfield-9-mm-Pistole. Er rollte sich aus dem Bett und ging in die Hocke. Der Hartholzboden fühlte sich kalt wie eine Leiche unter seinen nackten Knien an. Er bewegte sich nach einem Muster, das sich schon vor langer Zeit in seine Muskeln eingeprägt hatte. Seine Hände wussten von allein, was sie zu tun hatten. Ohne einen bewussten Gedanken richteten sie die Pistole auf das Ziel, während der Daumen den Entsicherungshebel drückte.

Erst als sein Zeigefinger sich um den Abzug krümmte und die Feder durchdrückte, bis nur noch der Hauch eines Drucks nötig war, um die Waffe abzufeuern, wurde Hayes sich bewusst, was er tat.

Der Albtraum verflüchtigte sich.

Blinzelnd kehrte Hayes in die reale Welt zurück, sein Blick fiel auf die ausgestreckte Pistole, die auf das Hemd zielte, das an der Tür hing. Mein Gott.

Er nahm den Finger vom Abzug und sicherte die Waffe. Der Gedanke, dass er um ein Haar eine Neun-Millimeter-Hohlspitzkugel durch die Tür gejagt hätte, verursachte ihm eine bleierne Übelkeit.

Es war 5.05 Uhr morgens, und die Albträume wurden immer schlimmer.

Als Hayes sich einigermaßen sicher war, dass seine Beine ihn tragen würden, erhob er sich ächzend, legte die Pistole auf den Nachttisch und tappte über den Hartholzboden zum Badezimmer. Er drückte auf den Lichtschalter, die Deckenlampe flammte auf und brachte die unzähligen Narben zum Vorschein, die kreuz und quer über seinen nackten Oberkörper verliefen wie die Linien auf einer Landkarte.

Am Waschbecken blieb er stehen, nahm das orange Fläschchen aus dem Medizinschrank, öffnete den Verschluss und ließ eine ovale Pille in seine schwielige Hand gleiten. Sie erinnerte ihn an seinen letzten Besuch bei der Seelenklempnerin in Tacoma.

»Wie geht es Ihnen mit den Albträumen?«, hatte sie gefragt, während ihr Stift übers Papier kratzte.

»Ich hatte seit Monaten keinen mehr.«

»Adam, Sie machen enorme Fortschritte.« Sie riss das Blatt von ihrem Rezeptblock. »Aber.«

Es gibt immer ein Aber.

»Aber es wird Rückschläge geben.«

Rückschläge.

Er spürte, wie sich Zorn in ihm regte, wie ein Wolf, der in seiner Höhle erwachte. Drei Albträume in einer Woche, das war kein Rückschlag. Das war ein verdammtes Desaster. Er war stocksauer. Vor allem auf sich selbst, weil er auf sie gehört hatte. Sich von ihr hatte einreden lassen, dass er große Fortschritte machte.

Dass er ein ganz normales Leben führen könnte.

»Nein«, sagte er laut. »Das bin ich nicht mehr.«

Hayes atmete tief durch, nahm die Pille in den Mund und schloss leise die Tür. Dann trank er einen Schluck Wasser. Als er aufsah, fiel sein Blick auf das Bastelpapier, das er auf das Glas geklebt hatte. Auf die Strichmännchen unter der zitronengelben Sonne, die einander an den Händen hielten wie eine richtige Familie.

Mit dem Finger strich er über die mit Buntstift geschriebenen Worte: »Ich habe meinen Daddy lieb.« Ein trauriges Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.

In der Dusche drehte er das kalte Wasser bis zum Anschlag auf und stieg unter den Strahl. Wie ein Peitschenhieb traf das eiskalte Wasser auf seine Haut. Seine Muskeln spannten sich wie Schiffstaue und drückten ihm die Luft aus der Lunge, doch Hayes ertrug den Schock und wartete auf die Frage, die sich ihm seit anderthalb Jahren jeden Morgen aufs Neue stellte.

Wie ist es so weit gekommen?

Zum ersten Mal hatte Hayes von Treadstone gehört, als er in Afghanistan gedient hatte. Nach gerade mal der Hälfte seines sechsmonatigen Einsatzes hatte er bereits zwei Männer verloren. Die Dinge liefen nicht mehr nach Plan, immer mehr ging schief. Was ihm eben noch schwarz oder weiß erschienen war, verschwamm zusehends in undefinierbarem Grau. Hayes konnte nicht mehr schlafen, doch er hatte die Dinge unter Kontrolle – zumindest redete er sich das ein.

Eines Tages wurde er zu Colonel Pattens Unterstand zitiert. Als Hayes eintrat, saß sein Vorgesetzter an seinem Sperrholztisch, die Haut aschfahl, die Augen gerötet vom Sand Afghanistans, der in jede noch so kleine Ritze kroch.

»Setzen Sie sich, Captain Hayes.«

Hayes ließ sich auf dem Stuhl nieder und lauschte dem Knattern der Helikopter, die übers Tal heranflogen. Es war bereits sein dritter Einsatz in der Gegend, und Hayes konnte die Hubschrauber längst am Rotorgeräusch unterscheiden. In diesem Fall handelte es sich um einen Chinook-Transporthubschrauber, wie ihm das dumpfe Wump-wump-wump verriet.

Es kann kein Versorgungsflug sein – wir haben gerade erst Nachschub bekommen. Und ohne zwingenden Grund einen Helikopter ins Tal zu schicken, wäre verdammt leichtsinnig.

»Ich werde Sie nach Bagram schicken«, teilte Patten ihm mit, seine Gedanken erahnend.

»Aus welchem Grund, Sir?«

Der Colonel spuckte etwas Kautabak in einen Plastikbecher und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Es gibt Gerede unter den Männern.«

»Das ist normal. Wir sind Soldaten. Da wird halt geredet.«

»Der Boss macht sich Sorgen, Adam. Wir alle. Jedenfalls kommt jemand aus den Staaten rüber, irgendein Arzt, der Sie durchcheckt.«

»Ein Psychocheck, im Ernst?«

»Hören Sie, mir gefällt das genauso wenig wie Ihnen, aber es wurde von ganz oben angeordnet. Steigen Sie in den Vogel und beantworten Sie die Fragen, die der Mann Ihnen stellt. Sehen Sie’s als kleinen Urlaub. Der Typ gibt Ihnen ein paar gute Worte mit auf den Weg, und morgen sind Sie wieder auf Ihrem Posten.«

Es war eine Lüge, wie sich später herausstellte.

Nach der Dusche trocknete Hayes sich ab, zog eine abgetragene Arbeitshose, ein schwarzes T-Shirt und ein Flanellhemd an. Zuletzt schlüpfte er in seine ausgetretenen Stiefel, steckte die Springfield ein und ging in die Küche.

Sein Frühstück bestand aus zwei Spiegeleiern, zwei Scheiben Toast und dem Rest eines Steaks, das er gestern zum Abendessen gegrillt hatte. Nach dem Frühstück ging er mit seinem Kaffee hinaus auf die Terrasse. Die meisten Fischerboote waren schon draußen; der östliche Horizont erstrahlte in den Farben der Morgenröte.

Treadstone war ein zweischneidiges Schwert – eine Waffe, mit der er anfangs gedacht hatte, einiges bewirken zu können. Die unangenehmen Begleiterscheinungen und schmerzhaften Nebenwirkungen, die mit der Verhaltensmodifizierung und der genetischen Umprogrammierung verbunden waren, hatten ihm nichts ausgemacht. Damit kam Hayes zurecht. Er ertrug alles, was sie ihm zumuteten.

Womit er nicht klarkam, war das, was später passierte. Aus diesem Grund lebte er hier im Bundesstaat Washington, Tausende Kilometer von seiner Frau Annabelle und ihrem zweijährigen Sohn Jack getrennt.

Adam … versprich mir, dass du nicht versuchen wirst, uns zu finden.

Das Klingeln des Telefons riss ihn aus seinen Gedanken. Hayes schüttete den Kaffeesatz weg und folgte dem Klingeln zum roten Schuppen hinter dem Haus.

Wer zum Henker ruft so früh an?, fragte er sich und tippte seinen Code ins Schloss ein. Als er die Tür geöffnet und das Licht angeknipst hatte, lief bereits der Anrufbeantworter.

»Guten Tag, Sie haben die Nummer von Sterling Construction gewählt. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Signalton.«

»Adam, hier ist Sally Colvin. Rufen Sie mich bitte zurück. Es ist drin…«

Hayes nahm den Hörer ab und beendete damit die Aufnahme.

»Ja, Sally?«, meldete er sich.

»Adam, hallo, ich …«

Sally Colvin war die Maklerin, der er den Verkauf des Smith-Hauses übertragen hatte – das Projekt, das ihn während seines anderthalbjährigen, selbst auferlegten Exils aufrecht gehalten hatte.

Es war wohl seine letzte Chance, Annabelle zu beweisen, dass er nicht nur zerstören konnte, sondern auch fähig war, etwas aufzubauen. Das Geld, das ihm der Verkauf des Hauses einbringen würde, sollte ihm neue Möglichkeiten eröffnen. Er würde nicht mehr darauf angewiesen sein, die Häuser anderer Leute zu reparieren. Stattdessen konnte er endlich darangehen, seine kaputte Ehe zu reparieren.

Irgendetwas in ihrer Stimme ließ eine Alarmglocke in ihm schrillen. Was ist los?, ging es ihm durch den Kopf, ehe er laut fragte: »Sally, ist alles in Ordnung?«

»Ja, äh … ich … ich habe jemanden, der sich für das Haus interessiert.«

Wieder dieses Zögern in ihrer Stimme.

»Das ist ja toll, oder?«

»Ja, also, ich habe ihm gesagt, dass das Haus bezugsfertig ist.«

»Da sehe ich kein Problem«, versicherte Hayes. Er konnte ihre Besorgnis nicht verstehen. »Wir müssen nur noch den Fußboden in der Küche verlegen.«

»Er hat mich gerade aus dem Flugzeug angerufen. Er kommt schon heute Mittag an.«

Na toll, dachte er, und sein Blick fiel auf den gepackten Koffer. Aus einem Seitenfach guckte das Flugticket nach Florida hervor.

Annabelle hatte ihm zugestanden, dieses Wochenende seinen Sohn zu sehen. Ihr Vertrauen ging natürlich nicht so weit, ihn mit Jack allein zu lassen, aber Hayes war froh über jedes Entgegenkommen ihrerseits.

»Sally, ich kann heute nicht. Ich fliege nach …«

»Adam, Sie haben so hart dafür gearbeitet.« Der plötzliche Nachdruck in ihrer Stimme überraschte ihn. »Ich habe schon mit den Bodenverlegern gesprochen. Die könnten um Viertel nach zehn da sein. Sie müssten nur den Unterboden fertig machen.«

Hayes warf einen sehnsüchtigen Blick zum Koffer, dann zur Wanduhr. Wenn er sofort losfuhr und schnell arbeitete, konnte er den Flug noch erwischen.

»Okay, das schaffe ich.«

Hayes lud sein Werkzeug in den 66er Chevy Suburban, drückte auf den Knopf zum Öffnen des Garagentors und fuhr auf die kiesbedeckte Auffahrt hinaus.

Er bog in die Küstenstraße ein, fuhr den Hügel hinunter und überquerte die Hängebrücke, die das Festland mit Cliffside Island verband. Am Ende der Straße lag zwischen zwei mächtigen Kiefern Cliffside Manor.

Das Projekt ging auf eine Initiative von Amy Harris zurück, einer reichen Erbin, die aus der einsamen Insel einen Rückzugsort für Neureiche gemacht hatte. Hayes hatte nur deshalb Zutritt zu der Anlage, weil er das Smith-Haus erworben hatte.

Vor dem Zufahrtstor hielt er an. Das Quietschen der Bremsen des klapprigen Suburban und das amüsierte Lächeln des Wachmanns, der aus seinem Häuschen kam, riefen ihm in Erinnerung, dass er nicht hierhergehörte.

»Wollten Sie nicht heute wegfahren?«, fragte der Mann und warf einen Blick auf sein Klemmbrett.

»Sally hat angerufen. Ein Interessent kommt heute noch vorbei, um sich das Haus anzusehen.«

»Mir hat keiner was gesagt.«

»Was soll ich machen?«

»Fahren Sie rein«, forderte der Wachmann ihn auf, »ich regle das schon.«

Hayes nickte, fuhr durch das Tor und bog in den Eyrie Drive ein. Die stattlichen Häuser mit den smaragdgrünen Rasen und strahlend weißen Lattenzäunen erinnerten ihn an eine Szene aus einem Film von John Hughes. Dazu passten auch die beiden Zeugen Jehovas, die vor dem Tennisplatz zwei Zuhörer gefunden hatten.

Als Hayes das zweistöckige Haus im Cape-Cod-Stil zum ersten Mal gesehen hatte, war es dem Abriss geweiht gewesen. Das Dach war undicht, das Holz durchweg morsch. Als er sich mit der Maklerin traf, die die Aufgabe hatte, das Haus zu verkaufen, hatte sie ihn angesehen, als wäre er verrückt. »Ich will ganz ehrlich sein. Es gibt kein anderes Büro, das diese Immobilie übernehmen wollte. Sind Sie sicher, dass Sie es haben wollen?«

Er hatte noch nie ein Haus komplett renoviert und wusste, dass es eine Herausforderung darstellte. Doch das Häuschen hatte etwas an sich, das ihn reizte.

»Absolut«, hatte er geantwortet.

Hayes fuhr rückwärts die Auffahrt hinauf und parkte neben einem Stapel Sperrholz und ein paar Rollen Kunststoffplane. Er lud sein Werkzeug aus, drückte das Gartentor mit der Hüfte auf und stapfte über den Steinplattenweg zur Glasschiebetür an der Rückseite des Hauses.

Die Tür öffnete sich mit einem Quietschen, und Hayes trat ein. Ich muss das Ding noch schmieren, dachte er und stellte das Werkzeug auf dem Betonboden ab. Dann machte er kehrt, um die Kunststoffplane und die Teerpappe zu holen.

Hayes legte die Pistole neben die Spüle, steckte das Radio ein und verhängte die Türen mit der Plane, damit die angrenzenden Räume sauber blieben. Dann legte er Plastikplane und Teerpappe auf dem Boden aus und schaltete den Druckluftkompressor ein, ehe er hinausging, um das Sperrholz zu holen.

Er ging mit der ersten Sperrholzplatte in die Ecke, legte sie auf dem Boden an die Wand an und befestigte sie mit Betonnägeln. Mit den Händen zu arbeiten hatte für ihn etwas Therapeutisches. Die schwere Arbeit und die Konzentration auf kleinste Details ließen ihn alles andere vergessen. Vor allem seine Probleme.

Hayes hatte etwa die Hälfte des Unterbodens fertig, als es an der Haustür klopfte. Er legte den Druckluftnagler beiseite und hoffte, dass es schon die Bodenverleger sein würden, auch wenn sie erst für etwas später angekündigt waren.

»Einen Moment«, rief er und stand auf.

Er wischte sich die Hände an der Hose ab und blickte zur Haustür, die sich in direkter Sichtlinie der Küche befand. Doch statt der Handwerker sah Hayes einen der Zeugen Jehovas an der Haustür stehen. Der Mann lächelte und winkte ihm zu.

»Ich schalte nur schnell das Radio ab«, rief er und eilte zurück in die Küche, ohne den zweiten Jehova-Jünger zu sehen, der am Küchenfenster vorbeischlich, eine schallgedämpfte HK-Maschinenpistole im Anschlag.

»Verdammt, Mann, ist Geduld nicht eine eurer wichtigsten Tugenden?«, murmelte Hayes.

Er hatte gerade die Küche verlassen, als das Quietschen der Hintertür seine Instinkte aktivierte.

Runter, befahl die Stimme in seinem Kopf.

Hayes warf sich auf den Boden, einen Herzschlag, bevor hinter ihm das Stottern einer schallgedämpften Maschinenpistole losging.

2 La Conner, Washington

Die Kugeln zerrissen die Plane, schlugen in die Wand ein und ließen Brocken von Gipskarton und Putz in einer Staubwolke herabregnen. Hier war Hayes ohne jede Deckung, deshalb kroch er rasch zum Wohnzimmer, als der zweite Jehova-Jünger die Haustür eintrat.

Tief geduckt sprang Hayes ins Wohnzimmer und griff nach der Pistole an der Hüfte. Doch statt des kühlen Stahls der Neunmillimeter-Springfield war da nur Luft.

Die liegt in der Küche.

»Granate!«, rief der Mann auf Spanisch.

Während Hayes in die Mitte des Zimmers robbte, nahm ihm der zylinderförmige Gegenstand, der gegen die Esszimmerwand prallte, jede Möglichkeit, zu seiner Waffe zu gelangen. Er warf sich flach auf den Boden. Einen Sekundenbruchteil später landete die Blendgranate direkt vor ihm. Hayes konnte gerade noch die Augen schließen, bevor das Ding in einem grellen Magnesiumblitz explodierte. Zugleich hatte er den Mund geöffnet, damit der Überdruck ihm nicht die Trommelfelle zerriss.

Die Erschütterung traf ihn mit der Wucht eines Güterzugs, seine Haut brannte wie Feuer, und der Gestank von verbrannten Haaren stieg ihm in die Nase. Er versuchte, sich aufzurappeln, doch die Explosion hatte seinen Gleichgewichtssinn gestört, sodass er wankte wie ein Matrose auf Landurlaub.

Er streckte die Arme nach vorne, spürte die Wand und schaffte es, aus dem Zimmer zu taumeln. Wie zornige Hornissen zischten die Kugeln über ihn hinweg. Er stolperte ins Arbeitszimmer, knallte mit dem Schienbein gegen den Couchtisch, den der Innenausstatter mitten im Zimmer platziert hatte.

Sein Sehsinn kehrte als Erstes zurück, wenig später konnte er auch wieder hören. Das dumpfe Dröhnen in seinen Ohren wurde von einem hohen Summen abgelöst. Rauchgeruch stieg ihm in die Nase, er schaute an sich herab und sah, dass sein Hemd brannte. Sofort warf er sich auf den Boden und wälzte sich hin und her, bis die Flammen erstickt waren. Im nächsten Augenblick zertrümmerte eine Kugel den Spiegel über seinem Kopf.

Such dir eine Waffe. Irgendwas.

»Sie enttäuschen mich, Adam Hayes«, rief ihm der Schütze provokant aus der Küche zu. »Mir hat man erzählt, Sie wären ein brandgefährlicher Killer.«

Woher kennt der mich?

Der grüne Ziellaser, den der Rauch sichtbar machte, sagte ihm, dass jetzt nicht der Moment war, um sich mit solchen Fragen zu beschäftigen.

Der Laser traf auf die Wand, und der Angreifer ließ ihn kurz kreisen. Hayes wusste, dass der Mann damit seinem Partner ein Signal gab. Er teilte ihm mit, dass der Gejagte auf der rechten Seite des Zimmers festsaß.

Normalerweise machte man das mit Infrarot. Dass der Kerl den grünen Laser benutzte, sagte einiges. Der Typ ist sich seiner Sache hundertprozentig sicher. Für ihn bin ich so gut wie tot.

»Der ist auch nur ein pendejo wie dieser Ford«, meinte der zweite Angreifer.

Ford?

Dass der Kerl den Namen seines Freundes erwähnte, traf Hayes wie ein Schlag ins Gesicht. Bevor er darüber nachdenken konnte, was das zu bedeuten hatte, rief der zweite Angreifer: »Ich lade nach.«

Hayes wusste, dass er hellwach sein musste, wenn er den Tag nicht mit deutlich mehr Einschusslöchern beenden wollte, als er ihn begonnen hatte. Greif ins Spiel ein.

Die Tatsache, dass die beiden Angreifer gleichzeitig eingedrungen waren und ihn in nicht einmal sechzig Sekunden ins Arbeitszimmer getrieben hatten, sagte ihm alles, was er wissen musste. Das waren Profis.

Möglicherweise ehemalige Spezialeinsatzkräfte. Hayes wusste, dass solche Männer ihren Preis hatten.

Wer immer seinen Tod wollte, musste über die entsprechenden Mittel und Verbindungen verfügen, um die Sache reibungslos zu erledigen.

Doch anstatt es so schnell wie möglich zu Ende zu bringen, hatten sie offenbar beschlossen, ihn ein bisschen zappeln zu lassen. Hayes war fest entschlossen, ihnen den Spaß gründlich zu verderben.

Er hob eine große Spiegelscherbe vom Boden auf und schnappte sich eine Metallschüssel vom Couchtisch. Dann drückte er sich an die Wand und drehte den Spiegel so, dass der Laser darauf traf und der Strahl zur gegenüberliegenden Wand gelenkt wurde.

Der zweite Angreifer antwortete, indem er seinen eigenen Laser zweimal kurz aufflammen ließ. »Er bewegt sich«, sagte er auf Spanisch.

Hayes richtete den Spiegel und den Laser zum Boden hin, obwohl ihm augenblicklich klar war, wie aussichtslos sein Versuch war. Er war halb taub von der Explosion und setzte sich mit einer billigen Schüssel gegen zwei Profikiller zur Wehr.

Eine absurde Idee.

Hayes schickte ein Stoßgebet zum heiligen Judas Thaddäus, dem Schutzpatron für aussichtslose Fälle, und wartete ab. Zugleich führte er sich die tausend Dinge vor Augen, die schiefgehen konnten.

Der Angreifer betrat das Zimmer mit einer Sicherheit, die er sich in vielen harten Einsätzen erworben hatte. Im blinden Vertrauen darauf, dass sein Partner die rechte Seite abdeckte, wandte er sich nach links, doch von dem Mann, den er jagte, war nichts zu sehen.

Im nächsten Augenblick war Hayes bei ihm.

Er hämmerte ihm die Schüssel auf den Hinterkopf. Der Schlag hätte ihn außer Gefecht gesetzt, wäre die Schüssel ein bisschen massiver gewesen. Der Mann taumelte benommen ein paar Schritte nach vorne, doch er ging nicht zu Boden.

Er wollte sich umdrehen, doch Hayes packte ihn an den Haaren und knallte ihn mit dem Kopf durch die Rigipswand.

»Emilio, alles in Ordnung bei dir?«, kam die Stimme aus dem Nebenzimmer.

Hayes trat dem Mann gegen das Knie, hörte Knochen brechen und drückte ihm gleichzeitig die Hand auf den Mund, um den Schrei zu ersticken.

Er griff nach der MP seines Gegners, als plötzlich der zweite Angreifer in der Tür stand.

Der Schütze zögerte keine Sekunde. Hayes hatte gerade noch Zeit, den Mann vor ihm herumzureißen und als menschlichen Schild zu benutzen, bevor der Angreifer das Feuer eröffnete.

»Neiiin!«, schrie der Mann, den Hayes im Griff hatte, bevor ihn eine Garbe in die Brust traf.

Die Maschinenpistole des Getroffenen fiel klappernd zu Boden. Hayes wusste, dass er die Waffe nicht rechtzeitig aufheben konnte. Seine einzige Hoffnung war der Nahkampf. Er musste an den zweiten Angreifer herankommen.

Hayes stürmte auf den Schützen zu und schob das leblose Gewicht des anderen vor sich her. Als er nur noch einen Meter von seinem Ziel entfernt war, stolperte er über die Beine des Toten und verlor das Gleichgewicht. Hayes stieß die Leiche von sich weg, doch der Schütze wich seinem toten Gefährten aus und ging seinerseits zum Angriff über.

Hayes war zu nahe an ihn herangekommen, als dass der Mann mit der MP auf ihn feuern konnte, also benutzte er sie als Knüppel und drosch sie seinem Gegner gegen den Kopf. Hayes sackte auf die Knie, und der Mann holte zu einem wuchtigen Fußtritt aus.

Hayes sah den Angriff kommen, konnte jedoch nur noch den Kopf aus der Schusslinie nehmen. Die Wucht des Tritts schleuderte ihn nach hinten gegen die Kochinsel.

Aus der Defensive wehrte er sich mit einem Tritt zwischen die Beine des Angreifers. Dieser zuckte nicht einmal mit der Wimper und antwortete mit einem mächtigen Schwinger, dem Hayes gerade noch ausweichen konnte.

Hayes ging seinerseits zum Angriff über, und es entbrannte ein beinharter Nahkampf mit Ellbogen und Knien. Hayes wusste, dass er seinen Gegner irgendwie entwaffnen musste, und packte die MP am Schalldämpfer. Das heiße Metall versengte ihm die Finger und erfüllte den Raum mit dem Geruch von verbranntem Fleisch.

Steck den Schmerz weg.

Hayes drückte die MP nach unten und versetzte seinem Gegner einen Kopfstoß gegen die Nase. Blut spritzte ihm ins Gesicht, doch sein Gegner ließ nicht locker. Ein zorniges Grunzen war das einzige Anzeichen dafür, dass er getroffen worden war.

Wenn du es nicht schnell zu Ende bringst, macht er dich fertig.

Als hätte der Mann seine Gedanken gelesen, senkte er die Schulter, benutzte die MP als Rammbock und katapultierte Hayes über die Kochinsel.

Hayes landete auf allen vieren, sah den Feuerlöscher vor sich und riss ihn aus der Halterung. Er zog den Sicherungsstift, rappelte sich auf die Beine und richtete die Löschdüse auf den Angreifer. Als er den Hebel durchdrückte, entlud sich der weiße Schaum ins Gesicht des Mannes.

Der Angreifer taumelte nach hinten, und Hayes setzte über die Kochinsel hinweg, rammte seinem Gegner den Feuerlöscher in die Magengrube, und der Mann klappte zusammen.

Der Rauchmelder begann zu schrillen, und der Schütze riss die MP hoch und drückte ab, bevor Hayes sie ihm aus den Händen schlagen konnte. Das Brennen der Kugel ließ ihn zusammenzucken, dann landete die MP klappernd auf dem Boden.

Hayes ließ den Feuerlöscher fallen und bückte sich nach der Maschinenpistole. Doch bevor seine Finger sich um den Griff schlossen, zog sein Gegner ein Messer aus dem Gürtel und griff an. Hayes sah die Klinge aufblitzen und zuckte zurück, bevor der kalte Stahl seine Brust ritzte.

Hayes reagierte mit einem Ellbogenschlag ins Gesicht des Gegners und hörte Zähne brechen. Er packte den Mann am Handgelenk und versuchte, ihm das Messer zu entreißen – dieser konterte mit einem mächtigen Tritt gegen das Bein.

Wie von einem Axthieb getroffen, gab Hayes’ Bein unter ihm nach. Der Mann setzte mit einem wuchtigen Schlag mit dem Handrücken nach, der Hayes’ Kopf zur Seite riss. Blut spritzte auf die frisch gestrichene Wand.

Der Angreifer rang Hayes zu Boden und versuchte erneut, das Messer einzusetzen, bis die Klinge nur noch wenige Zentimeter über seinem Hals war. Hayes wehrte sich verzweifelt, doch die Klinge schob sich immer näher zur Halsschlagader.

Über ihm traten die Adern im Hals des Angreifers unter der Maske aus weißem Schaum hervor.

In diesem Moment wurde Hayes bewusst, dass alle Versprechen, die er gegeben, alle Pläne, die er geschmiedet hatte, hinfällig sein würden, wenn er tot war.

Es gab nur einen Weg, wie er seine Familie wiedersehen konnte.

Du musst ihn töten.

Er drehte den Kopf zur Seite und sah den Druckluftnagler auf dem Boden liegen. Mit letzter Kraft stieß er mit der Hüfte nach oben und schaffte es, das Knie zwischen sich und den Angreifer zu zwängen. Genug Spielraum, um eine weitere Sekunde zu überleben.

Der Mann grinste auf ihn hinunter.

»Stirb, du Drecksack.«

Hayes schnappte sich die Nagelpistole und drückte sie dem Angreifer an die Schläfe.

»Du zuerst.«

3 Las Mangas, Venezuela

Jefferson Gray stand vor dem staubigen Chevy Suburban und arbeitete sich mit dem Zahnstocher in den Winkel seiner dünnen Lippen vor. Es war heiß auf dem niedrigen Hügel. Sein Hemdrücken war genauso durchgeschwitzt wie das Schweißband seines Strohhuts.

Er wischte sich mit dem Hemdsärmel übers Gesicht, hob das Fernglas an die Augen und blickte auf die Landschaft hinaus. Im Osten wehte der Wind über die llanos; die grasbewachsenen Ebenen im Südwesten Venezuelas erinnerten ihn an seine Heimat in Westtexas und daran, wie weit er gekommen war, seit er vor zehn Jahren bei der CIA begonnen hatte.

Davor hatte er über die Agency nur das wenige gewusst, das er im Fernsehen gesehen oder in irgendwelchen Agentengeschichten gelesen hatte. Erst als man ihm als Agenten die ersten kniffligeren Fälle übertrug, sah er die Dinge klarer: Die CIA war in Wahrheit eine risikoscheue Bürokratie. Umso erstaunlicher war, dass er es in so kurzer Zeit vom frischgebackenen Rekruten an die Spitze des Critical-Actions-Programms geschafft hatte.

Doch das war im Moment nebensächlich. Seine Gedanken kehrten zu dem blutverschmierten Computer zurück, den Black zusammen mit den Leichen seiner Männer aus dem Einsatz zurückgebracht hatte.

»Da.« Black knallte den Laptop auf Grays Schreibtisch, seine Gesichtsmuskeln zum Zerreißen gespannt.

Gray öffnete den Computer und blickte stirnrunzelnd auf den Bildschirm mit all dem eingetrockneten Blut. »Hätten Sie das nicht abwischen können?« Er zog ein Kleenex aus der Box auf seinem Schreibtisch.

»Ich hatte alle Hände voll damit zu tun, Marty und K.P. in Leichensäcke zu stecken und zurückzubringen.«

»Hmm«, machte Gray und wischte mit dem Papiertuch über den Bildschirm. »Irgendeine Idee, was den Inhalt der Nachricht betrifft?«

»Haben Sie mir zugehört?«, fauchte Black.

»Ja, habe ich.« Gray blickte zu dem zornigen Mann auf, den er für diese heikle Operation engagiert hatte. »Die zwei sind tot – darum frage ich Sie und nicht Ihre Männer.«

Gray beobachtete, wie Blacks wütende Augen Funken sprühten und seine Hand sich zur Faust ballte.

»Er hat alle Dateien gelöscht«, stieß der Mann zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Gray hatte oft genug mit solchen Einsätzen zu tun gehabt, um zu wissen, dass die Daten sich immer noch auf dem Computer befanden, solange die Festplatte nicht zerstört war. Man musste sie nur finden.

Es dauerte eine Stunde, bis es ihm gelang, die Bilder aufzuspüren, die Ford versandt hatte. Es waren vier Dateien.

Die ersten drei Fotos waren körnig und harmlos. Das erste war eine Weitwinkelaufnahme eines abgelegenen Flugplatzes mit einem heruntergekommenen Hangar und einer alten DC-3. Auf dem zweiten Bild waren mehrere Männer zu sehen, die Paletten aus dem Flugzeug auf die Ladefläche eines Lasters luden. Das dritte Foto war so unscharf, dass Gray erst nach Sekunden erkannte, dass er denselben Truck vor sich sah, in diesem Fall mit Männern, die Paletten abluden.

Das alles war nicht weiter beunruhigend. Die Aufnahmen konnten überall gemacht worden sein. Es gab absolut nichts darin, was sich zu Gray zurückverfolgen ließ.

Als jedoch das letzte Foto auf dem Bildschirm erschien, war ihm augenblicklich klar, dass er ein Problem hatte. Scheiße.

Ford hatte sich mit der letzten Aufnahme viel Zeit gelassen. Belichtung und Schärfe waren perfekt, sodass die beiden Männer in der Bildmitte eindeutig zu erkennen waren.

Das Foto zeigte Gray und Oberst Vega, den Direktor des venezolanischen Geheimdienstes – jenen Mann, mit dem er sich auf ausdrückliche Anweisung seines Chefs niemals hätte einlassen dürfen.

»Verdammt!«, blaffte er und hämmerte mit der Faust auf das Dach des Chevy. Drei Jahre Arbeit, durch eine einzige beschissene E-Mail vom Scheitern bedroht.

Das Rauschen aus dem Funkgerät in der Mittelkonsole lenkte Grays Aufmerksamkeit auf das aktuelle Problem. »Ich habe Sicht auf das Ziel«, meldete Murph von den fernen Gesteinsblöcken, zwischen denen der Scharfschütze verborgen war. »Heli kommt von Westen.«

»Wurde aber auch Zeit«, murmelte einer der Männer und strich über das Sturmgewehr, das er zwischen den Beinen balancierte.

Gray hob das Fernglas an die Augen und schwenkte es nach links in das Rot der untergehenden Sonne. Er fokussierte die Optik auf den winzigen grünen Punkt am Horizont. Wenige Sekunden später wurde aus dem Punkt ein Huey mit venezolanischem Kennzeichen.

»Sie haben einen Bordschützen in der Tür auf der rechten Seite«, berichtete Murph.

»Falls die Sache aus dem Ruder läuft«, befahl Black, »nimmst du dein Gewehr und machst Vega kalt.«

Gray ließ das Fernglas sinken und blickte in den SUV. Black schaute hinter seiner dunklen Sonnenbrille zu ihm heraus. Der herausfordernde Ton, mit dem er die letzte Anweisung gegeben hatte, war nicht zu überhören gewesen. Er wollte Gray zwingen, sich zu ihm und seinen Männern zu bekennen. Wollte wissen, auf wessen Seite Gray stand, wenn es hart auf hart ging – auf der des Teams oder auf Vegas Seite.

Gray hatte schon so manchen kniffligen Einsatz geleitet und war nicht bereit, sich auf solche Spielchen einzulassen. Statt die Konfrontation anzunehmen, wich er der Frage geschickt aus.

»Es wird alles glattgehen«, sagte er, während der Pilot den Helikopter direkt über den Suburban manövrierte und dann in einem engen Bogen kreisen ließ.

»Das wird sich zeigen.« Black wandte seine Aufmerksamkeit den Männern hinter ihm im Wagen zu. »Ihr drei wartet erst mal ab, bis wir die Situation einschätzen können«, wies Black die drei finster dreinblickenden bärtigen Männer an, die in den Taschen ihrer staubigen Plate-Carrier-Einsatzwesten die in ihrem Geschäft unentbehrlichen Utensilien trugen: Extramagazine für die HK416-Sturmgewehre, Druckverbände und M67-Splittergranaten.

»Verstanden.«

Nach einem zweiten Überflug zog der Pilot den Helikopter wieder höher und ließ ihn gemächlich über dem Gelände kreisen.

»Konvoi kommt«, verkündete Murph.

Gray ging von der Autotür weg und blickte zu der Staubwolke, die Vegas Kommen ankündigte. Der erste Wagen, ein grüner Ford F-150 Pick-up, kam in Sicht, die Ladefläche voll mit bewaffneten Männern.

»Wollen Sie Ihre Schutzweste?«, fragte Black.

»Nicht mein Stil.« Gray nahm den Cowboyhut ab und fuhr sich mit den Fingern durch die blonden Haare.