Trost verschwindet - Gudrun Hammer - E-Book
SONDERANGEBOT

Trost verschwindet E-Book

Gudrun Hammer

4,8
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 1,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

„Trost verschwindet“ von Gudrun Hammer jetzt als eBook bei dotbooks: „Ein kleines Literaturjuwel.“ – hamburg:pur Wenn sich das eigene Leben falsch anfühlt: Der erfolgreiche Arzt Albert Trost will den Ausstieg aus seinem Leben perfekt inszenieren. Er grüßt noch einmal die Nachbarn, schließt das Gartentor hinter sich und verschwindet, ohne seiner Familie eine Nachricht zu hinterlassen. Ziellos treibt er durch das Rotlichtviertel der Großstadt. Er trifft auf seine frühere Geliebte und hofft für einen kurzen Moment, alte Zeiten wieder aufleben lassen zu können. Doch wo früher große Leidenschaft war, ist heute nur noch Schweigen. Aber genau der Moment totaler Einsamkeit birgt die Chance zum Neuanfang … Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Trost verschwindet“ von Gudrun Hammer. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 284

Bewertungen
4,8 (16 Bewertungen)
12
4
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch:

Wenn sich das eigene Leben falsch anfühlt: Der erfolgreiche Arzt Albert Trost will den Ausstieg aus seinem Leben perfekt inszenieren. Er grüßt noch einmal die Nachbarn, schließt das Gartentor hinter sich und verschwindet, ohne seiner Familie eine Nachricht zu hinterlassen. Ziellos treibt er durch das Rotlichtviertel der Großstadt. Er trifft auf seine frühere Geliebte, und hofft für einen kurzen Moment, alte Zeiten wieder aufleben lassen zu können. Doch wo früher große Leidenschaft war, ist heute nur noch Schweigen. Aber genau der Moment totaler Einsamkeit birgt die Chance zum Neuanfang …

Die Presse über Gudrun Hammers „Trost verschwindet“:

„Das Zerbrechen einer Kleinfamilie. Selten wird diese fast schon alltägliche Begebenheit so eindrucksvoll erzählt wie von Gudrun Hammer. Ihre bezaubernde Sprache und ihre berührenden Protagonisten machen aus ihrem Romandebüt ‚Trost verschwindet‘ ein kleines Literaturjuwel.“ – hamburg:pur

„Hammers nüchterner Sprachstil entwickelt eine Sogwirkung, die den Leser bis zum Ende fesselt und ihn nur ungern die Lektüre unterbrechen lässt.“ – Ruhr-Nachrichten

Über die Autorin:

Gudrun Hammer, geboren 1953 in Schleswig-Holstein, studierte Literaturwissenschaften und Psychologie. Sie hat als Arzthelferin, Sozialarbeiterin und Journalistin gearbeitet. Heute ist sie als freischaffende Autorin, Dozentin für Kreatives Schreiben und Lektorin tätig. Bei ausgedehnten Spaziergängen am Hamburger Hafen entwickelt sie die Ideen für ihre Romane und Erzählungen.

Die Autorin im Internet: www.textgudrunhammer.de

***

Neuausgabe Februar 2015

Copyright © der Originalausgabe 2008 by Atrium Verlag AG, Zürich

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Tanja Winkler, Weichs

Titelbildabbildung: © photocase.de/nena2112

ISBN 978-3-95824-066-7

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weiteren Lesestoff aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort Trost verschwindet an: [email protected]

Gerne informieren wir Sie über unsere aktuellen Neuerscheinungen und attraktive Preisaktionen – melden Sie sich einfach für unseren Newsletter an: http://www.dotbooks.de/newsletter.html

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.twitter.com/dotbooks_verlag

http://gplus.to/dotbooks

http://instagram.com/dotbooks

Gudrun Hammer

Trost verschwindet

Roman

dotbooks.

Kapitel 1

Albert Trost verschwindet mitten am Tag. An einem Mittwoch um vierundzwanzig Minuten nach eins durchquert er den Vorgarten, schließt die Pforte hinter sich, grüßt einen Unkraut zupfenden Nachbarn und kommt sich ohne den schweren Koffer – normalerweise macht er um diese Tageszeit Hausbesuche – leicht und ziellos vor. Sein Auto, streng genommen das seiner Frau, bleibt in der Garage. Trost wendet sich nach links, Richtung Zentrum und Fußgängerzone. Schon von Weitem hört er das Klingeln vor dem Herablassen der Bahnschranken und verlangsamt sein Tempo, um nicht von anderen Wartenden angesprochen zu werden. Er geht vorbei an den Wohnungen einer ulzerierenden Magenschleimhaut, eines Altersdiabetes, einer Hypertonie, an den Häusern von zwei Infarkten, einer Pollenallergie, einer Osteoporose und eines vor vier Wochen lebend überstandenen Suizidversuchs. Er entfernt sich von seinen Schutzbefohlenen und denkt an den Neunzigjährigen, den er heute, wie an jedem Mittwochnachmittag, besuchen sollte und dessen Frau schnell einen Ersatz finden wird. An Ingrid und Christine denkt er nicht. Der Intercity ignoriert den Ort, die Schranken stellen sich rasselnd gen Himmel, Trost verlässt den Weg und geht auf einem neben den Gleisen verlaufenden Grünstreifen zum Bahnhof, der die Bezeichnung kaum noch verdient. Ein hölzernes Regendach, ein Fahrkartenautomat und ein Fahrplan an der rückseitigen Backsteinwand, eine Uhr und ein Schild mit dem Namen der Stadt zeigen Fremden, dass an dem verschlafenen Stück Erde Züge halten, die ehemalige Bahnhofshalle ist für immer geschlossen. Jenseits der Schienen wuchert Unkraut auf einem Erdwall, dahinter dämmert ein Birkenwäldchen. Einen Bahnwärter gibt es schon lange nicht mehr. Ein ferngesteuerter Bahnhof ohne Zeugen, besser geht's nicht, denkt Trost.

Um zehn Minuten vor zwei steigt der hagere Mann, er trägt Jeans, ein kariertes Hemd und Sportschuhe, hat einen Trenchcoat über dem Arm und ist nun mit einer aus dem Automaten gezogenen Fahrkarte ausgestattet, in die Regionalbahn Richtung Süden. Der Zug stoppt nur für ihn. Er fährt langsam an, und Trost, der einzige Fahrgast in einem Abteil mit Kunstledersitzen und schmutzigen Fenstern, nimmt keinen Abschied. Er ist beschäftigt mit der Wahl des richtigen Platzes. Der erste Sitz hinter der Schiebetür erweist sich als unangenehm, die Tür schließt nicht und ruckelt während der Fahrt hin und her. In der Mitte des Wagens macht er den zweiten Fehler, er sitzt mit dem Rücken zur Fahrtrichtung, das macht ihn nervös, er will sehen, was auf ihn zukommt. Auch die dritte Position gibt er auf, diese Seite des Zuges gefällt ihm nicht. Er geht über den Gang, hängt den Mantel an einen Haken, lässt sich am Fenster nieder, schlägt das rechte Bein über das linke, blickt an bräunlichen Schlieren vorbei auf Wiesen, Siedlungen und Wälder, stellt fest, dass er seit Langem nicht so viel Neues ausprobiert hat, und wartet auf den Kontrolleur. Der nicht kommt, ebenso betreten keine Mitreisenden sein Abteil. Die wenigen, die an anderen grauen Bahnhöfen ohne Bahnwärter einsteigen, meiden vielleicht ihn und die ihn umgebende Leere. So werde ich wenigstens nicht beobachtet und auch nicht abgelenkt, denkt Albert Trost und versucht, sich darüber zu freuen. Ohne genau zu wissen, wovon er nicht abgelenkt werden will, geht ihm dieser Satz durch den Kopf. Es ist ein ihm sehr vertrauter Satz. Und immer noch denkt er nicht an Ingrid und Christine. Anwesend sind sie trotzdem, wie ein bekanntes Geschwür, das sich ausbreiten und irgendwann bösartig werden kann, aber sie – manchmal sagt er Christine zu Ingrid oder Ingrid zu Christine, manchmal ist er mit einer von beiden allein und sagt IngridChristine oder ChristineIngrid wie einen Doppelnamen, das alles rutscht so aus ihm heraus, er hat es einfach nicht unter Kontrolle –, die zwei, seine Nächsten, existieren in ihm kaum noch als Einzelwesen, seit Langem nicht mehr. Und schon gar nicht in diesem Moment, in dem er sich von ihnen entfernt wie von einer tödlichen Gefahr. Er denkt auch nicht an den gestrigen Tag, an das gemeinsame Abendessen, eine Ausnahme, nur selten sitzen sie zu dritt am Tisch, denkt nicht an Ingrids Monolog, nicht an ihre mit kräftiger Stimme vorgetragene Klage über die Vergeblichkeit ihres Tuns, das umso vergeblicher werde, so ihre Rede, je mehr sie sich bemühe, alles richtig zu machen, es allen recht zu machen, sie laufe und laufe und laufe einem Hasen hinterher, den sie längst aus den Augen verloren habe, vielleicht gebe es ihn auch schon gar nicht mehr, habe er sich, wie alles andere, in Luft aufgelöst und sie habe es nur nicht mitbekommen, vielleicht sei sie inzwischen blind und sehe nur noch Nachbilder, in Wirklichkeit sei sie ganz allein, und was sie für ihre Familie halte, sei eine Schimäre, aber was solle sie machen, sie könne die Illusion nicht aufgeben, sie habe nichts anderes, und wenn sie sich danach richte, und dazu habe sie sich nun einmal freien Willens entschlossen, jedem sein Wahn, das sei ihr Motto, dann könne sie doch nur schlussfolgern, dass sie alles zusammenhalte, und gleichzeitig schaue sie auf dieses alles in ihren Händen und es schrumpfe und schrumpfe und übrig bleibe einfach gar nichts, und wenn sie dieses Nichts fallen ließe, wäre für alle zu sehen, dass die Mauern dieses Haus solider seien als das, was sie verbergen, erschrecken würden alle vor der Starre seiner Bewohner – bitte, Ingrid, sagt Albert, können wir später darüber reden –, sie macht eine kleine Pause, so gehe es nicht weiter, auf keinen Fall gehe es so weiter, ihr werde etwas einfallen, wem solle sonst etwas einfallen, nicht in diesem Haus, da sei ausschließlich sie diejenige, der ständig etwas einzufallen habe, wie das alles so gekommen sei, das sei ihr das größte aller Rätsel, darauf habe ihr noch niemand eine Antwort geben können – Ingrid, nicht jetzt, bittet Albert –, das sei geradezu ihr Lebensrätsel, und das müsse sie ganz allein lösen, an diesem Ort könne sie nicht mit Hilfe rechnen. Nicht. Hier.

Auf den sorgfältig bemalten Lippen haftete kein Krümel, sie brachte, wie immer, ihre Kau- und Sprechbewegungen harmonisch miteinander in Einklang.

Hier. Nicht.

Christine hatte sich in ihren Teller zurückgezogen. Sie stocherte versonnen im Salat, legte jedes zweite Blatt beiseite, suchte auf, unter und neben dem Grün nach Lebewesen, zerkleinerte sorgfältig einen Champignon, salzte und pfefferte, in Gedanken versunken und zielgerichtet, bis alles verdorben war. Albert hörte und hörte doch nicht. Nur das ständig wiederkehrende Alles besetzte ihn, füllte seine Gehörgänge, verdrängte alles andere bis auf das Nicht und das Nichts, vor die es sich stellte, auch hängte es sich hinten heran, kämpfte um seinen Platz, bis zu seiner endgültigen Vereinigung und Verankerung im Sprachzentrum, das nun unentwegt AllesNichts vernahm. Dem hatte Albert nichts, noch nicht einmal ein kleingeschriebenes allesnichts entgegenzusetzen. Als Mantra gefiel es ihm, in einer Endlosschleife leistete es gute Arbeit, entfernte ihn von dem Vortrag und von der danach eingetretenen Stille, deren Autorin ebenfalls Ingrid hieß. Seine Frau, und das bewunderte Trost, konnte nicht einfach nur still sein, die Stille über sich kommen lassen, sich ihr hingeben, sie vielleicht sogar auskosten. Sie produzierte Stille, und die war dann die ihrige, auch wenn sie sie mit anderen teilte. Mit AllesNichts nahm Albert Ingrid in sich auf und ließ die Kurzfassung ihres Schmerzes sanft auf sich wirken. Er dachte nicht an die Folgen des altvertrauten Bekenntnisses, beschäftigte sich auch nicht mit dem ihm innewohnenden Widerspruch, er sank von Minute zu Minute tiefer ein in die zunehmende Bedeutungslosigkeit der beiden nun unlösbar miteinander verwobenen Worte, die seinen müden Geist streichelten und ihm jede Verantwortung nahmen. Das hätte ihm durch den Kopf gehen können, doch in Ermangelung eines der Situation angemessenen Gefühls, von dem er, wenn er sich die Tat vorstellte, angenommen hatte, dass es ihn ausfüllen, beherrschen und unfähig zu jeglicher Reflexion machen würde, beschäftigte er sich mit der Erinnerung an den letzten und bis zu diesem Augenblick wohl auch einzigen Aufbruch seines Lebens (die kopflose Flucht aus der Wohnung seiner Mutter mag er nicht mit einem Aufbruch gleichsetzen). Aus der Großstadt in die Provinz, von der Universität an das Kreisstadtkrankenhaus, aus den zwei Zimmern der zurückgelassenen Freundin in die Dachgeschosswohnung, wo ihn nur das Ticken der Uhr empfing, aus dem Freundeskreis in die Einsamkeit von Stunden, die zwischen den Diensten lauerten wie Raubtiere, nur zu verscheuchen mit Schlaf, der sich damals noch leicht einstellte, langen Spaziergängen und mit Bier. Wenig Bier, manchmal auch ein paar Schnäpse, die er auf mehrere Kneipen verteilte, nie kaufte er sich eine Flasche mit Hochprozentigem für seine Mansarde, als hätte er mit achtundzwanzig schon gewusst. Er hatte auf die nächste Bindung hingelebt, schutzlos und bedürftig, aber auch stolz auf die Erfahrung, doch immer wieder im allerletzten Moment den Hörer aufgelegt zu haben, die Verbindung zu unterbrechen, an deren anderem Ende seine Freundin, die er zu einer ehemaligen Freundin gemacht hatte, sich meldete. Er triumphierte. Ich brauche dich nicht, sagte er ohne Worte, ich könnte, du bist da, aber mit jedem Auflegen beweise ich dir und mir, dass es ohne dich geht. Bis, und hier spürt Trost etwas, was er mit dieser Kraft lange nicht gespürt hat, bis also in einer Nacht eine männliche Stimme bei und dann ihren Nachnamen in sein Ohr brüllte. Das steht dir nicht zu, dachte Albert Trost, und jetzt denkt er: Ich habe dich verlassen. Eine Verlassene findet so schnell keinen anderen Trost, jeder Mann merkt, dass sie nicht mehr geliebt wird, sie ist gezeichnet, eine Verliererin, wer will schon so eine. Trost, vierundfünfzig, ist ratlos. Er versteht sich nicht. Wie kann ich auf eine Frau schimpfen, von der ich nichts mehr weiß, sie könnte tot sein, und ich sitze hier, starre durch Dreck auf die schlimmste Gegend Deutschlands und habe kein bisschen von meiner Wut verloren. Erst bringen sie mich dazu, sie im Stich zu lassen, damit sie sich selbst als Versehrte und Empörte präsentieren können, und dann, viel zu schnell, sind ihre Wunden verheilt, vielleicht nicht ganz, aber doch so weit, dass sie sich wieder zeigen. Dann werfen sie sich in die Arme eines Unschuldigen, eines angeblich Auserkorenen, der ihnen die Narben streicheln darf. Ein falsches Spiel, denkt Trost und überlegt, wo die Fotos von der Freundin sind, die Gunda hieß, eine Kommilitonin war und deren Nachname ihm entfallen ist, was er bemerkenswert findet. Hatte er vor seiner Heirat doch nur diese eine ernst zu nehmende Liebe (gut versteckt lauert in ihm eine vier Jahre zurückliegende Geschichte, doch warum sollte diese Katastrophe ausgerechnet jetzt, zum Zeitpunkt einer hohen Gefährdung, sein Bewusstsein vergiften). Was sogar sehr bemerkenswert ist, da das gebrüllte Bei wie gestern gehört in ihm nachklingt. Die Bilder, oder war es nur eins, auf jeden Fall gab es dieses eine in Schwarz-Weiß, darauf trägt sie einen Pony, den kürzte sie in narkotisierender Langsamkeit und mit der Nagelschere, das wird es nicht mehr geben, nicht in ihrem Haus, nicht bei Ingrid und Christine. Er hat nie wieder etwas von Gunda gehört. Wenn mir die zweite Hälfte ihres Namens einfällt, denkt er, könnte ich sie besuchen. Das wäre eine Aufgabe, mit der könnte ich mir die Zeit vertreiben. Ich sollte mir, ob für Gunda oder eine andere, eine schöne Vergangenheit erfinden, eine mit einem zufriedenstellenden, wenn nicht sogar glanzvollen Verlauf. Ein Lebenslauf mit Sinn, das ist es, was Albert Trost fehlt. Ihm fällt keiner ein. In seinem Kopf wimmelt es nur so von Lebensläufen, sie werden täglich vor ihm ausgebreitet, seine Vorstellungskraft hat sich einseitig ausgebildet, Krankheiten stellen die wichtigsten Eckdaten einer Biographie dar, an ihnen zeigt sich, daran glaubt er, die Dramatik oder die Banalität eines Lebens. Gesunde Menschen langweilen ihn. Trost ist im Großen und Ganzen gesund. Ihm fehlt etwas, für das es keine Diagnose gibt. Das Gemisch aus dem Grün der Bäume und Wiesen, dem Braun der Wege, dem mit weißen Fasern durchzogenen Graublau des Himmels, den Häusertupfern in Rot und Grau macht Trost müde. Eine weiße Landschaft mit blauem Horizont ist ihm lieber. Wenn es nach ihm ginge, wäre immer alles weiß, mit dem Sommer kann er von Jahr zu Jahr weniger anfangen, er sehnt sich bei dreißig Grad im Schatten nach Kälte, beim Grillen im Garten nach fallenden Blättern, in der Gegenwart freudig erregter und braun gebrannter Gesichter, lustvoller Kinderschreie, entblößter Körper nach Stille, Abgeschiedenheit und Schwermut. Der Sommer zeigt ihm, wo er steht. Der Winter umhüllt ihn wie ein trauriger Freund, schärft die Konturen der Dinge und Menschen und hält sie gleichzeitig auf Distanz, er fordert nichts. Trotz seiner Müdigkeit ist Trost angespannt. Die Finger seiner rechten Hand trommeln auf die Ablage unter dem Fenster. Der Zug hat kein Restaurant, kein Bistro, niemand schiebt einen scheppernden Getränkewagen durch den Gang. Nach den Hausbesuchen, in etwa einer Stunde, würde die Belohnung auf ihn warten. Weinbrand. Frau Schmidt hinterlässt nur die Duftschwaden ihres billigen Parfüms, für IngridChristine ist die Praxis Niemandsland. Er ist allein mit dem sanftherben Geschmack auf der Zunge, der sich ausbreitenden Wärme im Gaumen, dem feinen Brennen in der Speiseröhre, dem Schmerz von winzigen Nadelstichen. Nach dem dritten oder vierten Schluck rückt er den Stapel mit den Karteikarten zu sich heran, die er, betäubt und in wattiger Entfernung zu seiner Hand und dem Kugelschreiber, mit Kürzeln, Diagnosen und Verordnungen versieht. Auch der Bildschirm hält Abstand und ist doch verfügbar, die Notizen vom Vormittag lösen sich von ihren Bedeutungen, er ist ein unbeteiligter Protokollant, der für jede Klage die passende Übersetzung findet. Es kommt vor, dass Trost in einen Schwebezustand gerät, der ihn gleichgültig werden lässt gegenüber seiner Arbeit, der Kugelschreiber fällt zu Boden, und Sekunden später, auf der Uhr ist mindestens eine halbe Stunde vergangen, wacht er mit steifen Gelenken im Sessel auf. Zweimal hat Frau Schmidt ihn überrascht und geweckt, klopfte mit hartem Knöchel auf seine Schulter, wie lange und mit welchem Ekel sie ihn betrachtet hatte, wollte er sich nicht vorstellen. Die Flasche und das Glas ignorierte sie, was er ihr nicht zugetraut hätte, höfliche Zurückhaltung ist nicht ihre Sache. Die Nachmittagssprechstunde übersteht er mit der Aussicht auf den Abend und auf einen tieferen Rausch. Albert Trost will eigentlich, das mit einem Fragezeichen versehene Eigentlich spielt für ihn eine zunehmend größere Rolle, und mit den unterschiedlichsten Antworten macht er sich seit Jahren das Leben schwer, er will eigentlich in diesem Augenblick nur ein Zimmer haben, in dem er ungestört trinken kann, ohne Zuschauer, ohne irgendeinen Lebenslauf, ohne Wunsch nach Sinn, ohne Pflichten, ohne Frage nach dem Eigentlichen. Trost hat Durst. Er hat das System Ingrid verlassen, der Durst quält ihn noch immer. Er ist niedergeschlagen. Die Unruhe wächst. Er braucht Beruhigung. Er hat sich vorgenommen, mindestens fünfundzwanzig Jahre wegzutrinken, die Erinnerungen sollen in einem Meer von Alkohol versinken. Wenn ich einen Rettungsring hätte, denkt er, würde ich ihn Stine zuwerfen.

Kapitel 2

Zeit für Hausbesuche. Frau Schmidt, das ahnt Christine, hat sich an ihren Plan gehalten, die Instrumente sterilisiert, Zeitschriften sortiert, Karteikarten für die Sprechstunde am nächsten Vormittag vorbereitet, Jalousien heruntergelassen, kein Einblick ist möglich, der Chef schließt ab. Heute muss er zu Fuß unterwegs sein, der Wagen steht in der Garage. Christine, ihr Vater nannte sie Stine, bis ihre Mutter sich durchsetzte, ihre Tochter habe den vollen Namen verdient, in der Schule ruft man sie Chris, für ihren Exfreund war sie Tine, was sie nicht so mag wie Stine, das lange nicht mehr zu hören war in diesem Haus, kommt heim. Sie unterdrückt den Impuls, in den Anbau zu gehen. So lange Frau Schmidt, die Veränderungen hasst, in der Praxis herrscht, bleibt das Mobiliar und jeder Gegenstand an seinem Platz. Dafür ist Christine ihr dankbar. Sogar die Zeitschriften auf dem Tisch im Wartezimmer liegen in gleich hohen Stapeln exakt parallel ausgerichtet. Als Christine noch in die Praxis ging, hat sie beobachtet, dass die Patienten sich der Schmidt'schen Ordnung fügen und jede Zeitschrift dort wieder ablegen, wo sie nach dem Willen der Sprechstundenhilfe hingehört. Ein Schlüssel zum Anbau hängt im Kelleraufgang. Er ist tabu, und Christines Impuls ist klein, eher schlechte Gewohnheit als Drang. Sie ist erwachsen, oder mit siebzehn, in zwei Monaten wird sie achtzehn, fast erwachsen, sie ist nicht mehr das kleine Mädchen, das nach der Schule zum Vater läuft, der Albert heißt, auch die Tochter soll ihn so nennen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!