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Epikur zählt zu den wichtigsten Glücksphilosophen der Antike. Ein glückliches Leben erreiche man dadurch, sich maßvoll und bescheiden der schönen Dinge des Lebens zu erfreuen.
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Seitenzahl: 71
Epikur
Über das Glück
Aus dem Altgriechischen und herausgegeben von Séverine Gindro und David Vitali. Mit einem Vorwort von Ludwig Marcuse
Diogenes
Vorwort von Ludwig Marcuse
Der Name Epikur ist weltberühmt geworden – im Begriff ›Epikureer‹. Es ist der einzige Fall in der Geschichte der Philosophie, dass ein Eigenname in den allgemeinen Sprachgebrauch überging – zur Bezeichnung einer Lebenshaltung.
Was ist ein Epikureer? Ein älterer, lustiger Herr mit gepolsterten, weingeröteten Wangen? Das vielleicht auch. Ein Wesen (wie die Feinde sich ausdrückten), welches einem Schwein nur darin nachsteht, dass es nicht dieselbe animalische Unbekümmertheit erreichen kann? Das vielleicht auch.
Man kann aber noch besser sagen, was ein Epikureer ist. Jemand, der mit Epikur weiß: »Jedes lebende Wesen strebt, sobald es geboren ist, nach Lust und freut sich daran als dem höchsten Gut, während es den Schmerz als das höchste Übel vermeidet.«
An Platons Akademie soll eine Inschrift gewarnt haben: »Wer nichts von Mathematik versteht, soll draußen bleiben.« Am Eingang zum Garten des Epikur soll man eingeladen worden sein: »Freund, das ist ein guter Ort; hier wird nichts mehr verehrt als das Glück.« – Epikureer sind Leute, die das Glück verehren.
Der Eigenname Epikur ist nicht so berühmt geworden wie der Gattungsname ›Epikureer‹. Epikur hat zwar nicht weniger Schule gemacht als Buddha oder Sokrates oder Jesus. Aber er wurde nicht zur Legende – wie jeder von den dreien. Auch er hatte seinen Apostel. Was Platon für Sokrates war, was die Evangelisten für Jesus taten – das tat der römische Dichter Lukrez für Epikur. Er verherrlichte das Leben und die Lehre des Meisters als den ›Ruhm der Griechenheit‹: in einem Gedicht von 7915 Zeilen. Trotzdem blieb die Person dieses Stifters Literatur. Sie lebt nicht. Weshalb nicht?
Der Anfang seiner Karriere ist nicht so pompös gewesen wie jene sensationelle Absage des indischen Prinzen Siddharta, später Buddha genannt, der sich aller seiner angestammten indischen Herrlichkeiten begab. Und das Ende seiner Karriere ist nicht so sensationell gewesen wie das Ende des Sokrates und des Jesus. Sokrates wurde von seinen Mitbürgern vergiftet und hielt bei dieser Gelegenheit eine Reihe von Reden – die nicht so unvergesslich wären, wenn ihnen nicht sein Tod gefolgt wäre. Jesus wurde ans Kreuz geschlagen und versprach den Mitmenschen bei dieser Gelegenheit Gott und die Welt; diese Versprechungen wären nicht so unvergesslich, wenn ihnen nicht sein Tod gefolgt wäre. Epikur aber starb mit zweiundsiebzig am Blasenstein; und schrieb bei dieser Gelegenheit einen freundlichen und gar nicht welterschütternden Brief des Abschieds. Er teilte seinem Freunde Idomeneus darin mit, dass der Krankheitsprozess in der Blase seinen üblichen Verlauf nähme; es wäre ganz scheußlich. Trotzdem sei er recht guter Dinge; unter anderem auch deshalb, weil er sich mit Vergnügen an einige Unterhaltungen mit dem Freunde erinnere … Dann nahm er ein lauwarmes Bad, trank einige Schluck ungemischten Wein und verschied. Aus solchem Holz werden keine Legendenfiguren geschnitzt. Idyllikern wird kein Weihrauch gespendet.
Er ist der älteste Sohn eines armen Schullehrers gewesen. Der war von Attika nach der Insel Samos übersiedelt, weil es mit dem Reich Athen bergab ging; es konnte die Konkurrenz der Insel Rhodos und der aufblühenden Stadt Byzanz nicht aushalten. Auf Samos wurde Epikur geboren, im Jahre 342, sechs Jahre nach Platons Tod. Man sagt, er habe als Knabe dem Papa geholfen, die Schreibutensilien für die Schüler vorzubereiten. Der Mama, einer Art Weiser Frau, soll er bei ihrem religiösen Hokuspokus, den sie für Geld veranstaltete, assistiert haben. Vielleicht aber ist das alles nur die bösartige Erfindung von vornehmen Leuten gewesen, denen seine Philosophie auf die Nerven ging.
Epikur hatte sich keine sehr friedliche Epoche zum Leben ausgesucht. Es war die Zeit der Eroberung Griechenlands durch Alexander von Mazedonien, die Zeit der Alexanderzüge und der Wirren des zerfallenden Alexanderreichs. In solchen Jahren wird mancher in manches Ferne verstrickt, das ihn gar nicht anzugehen scheint. In solchen Jahren müssen viele Menschen hin und her ziehen, mit Sack und Pack – was im Zeitalter der Sesshaftigkeit gar nicht so angenehm ist. Epikur gehörte zu diesen unfreiwilligen Nomaden. Schließlich konnte er es sich in Athen bequem machen, mit siebenunddreißig. Dort blieb er dann, bis an sein seliges Ende.
Er verbrachte seine glücklichen Tage in einem kleinen Garten vor den Toren der Stadt; und philosophierte mit Hingebung über das Glückliche Leben. Bei ihm waren sein Bruder und dessen Frau, die keine gerade sehr bürgerliche Herkunft gehabt zu haben scheint; außerdem einige andere Ehepaare, einige Junggesellen und einige Mädchen, die viel Anlass zu Gerede gaben. Epikur war nicht dafür, mit den Seinen in Gütergemeinschaft zu leben. Er meinte, solch ein Kommunismus bringe nichts als Misstrauen. Doch lebten sie alle gemeinsam in der Welt seiner Gedanken. Aufregende Ereignisse sind aus den fünfunddreißig Jahren dieser Gartengemeinschaft nicht bekannt – wenn man nicht gerade dem Tratsch glauben will.
Es waren auch oft Gäste von außerhalb da; man kannte Epikur. Aber mit der Weltgeschichte hatte er wenig Kontakt. So war nicht viel Geruder um ihn – im Verhältnis zu dem, was man vorher und nachher mit andern Stiftern trieb. Gewiss, ein Bekehrter fiel gelegentlich einmal nach einer Ansprache dem Meister zu Füßen – und betete ihn an als Gott; auch malte man sein Bildnis an die Wände und auf die Teller. Und er hatte Anhänger nicht nur in Griechenland, auch in Ägypten und Asien. Der römische Advokat Cicero zerbrach sich noch zweihundert Jahre später den Kopf: weshalb eigentlich dieser Epikur solch eine Attraktion ausübte – und immer noch ausübt.
Aber Zeno, der Chef der Konkurrentenschule, ist viel mehr geehrt worden: Die Athener vertrauten ihm die Schlüssel ihrer Stadt an, krönten ihn mit einer goldenen Krone und bestatteten ihn von Staats wegen. Epikur scheint nicht so übermäßig gefeiert worden zu sein. Er gehörte offenbar nicht zu den Großen der Welt, die man ständig interviewt und abbildet.
Und auch seine damaligen Feinde sehen nur dann so gefährlich aus, wenn man sie heute auf einer Seite des Lexikons zusammengestellt sieht. Die Schüler des Sokrates mussten nach dem Tod ihres Lehrers aus der Stadt fliehen. Anhänger Christi wurden wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen. Die Epikureer hingegen haben (mit wenigen Ausnahmen) keine Wundmale aufzuweisen, höchstens kleine Kratzer. Allerdings fing man früh an – und hörte dann nicht mehr auf, die Verkünder des Glücks zu kratzen. Das nahm seinen Ausgang schon in ihren eigenen Reihen. Der Judas der Schule war ein Bruder des Lieblingsschülers Metrodorus. Dieser schändliche Bruder versicherte: Der Meister übergebe sich zweimal täglich, so viel stopfe er in sich hinein. Dann trat die Konkurrentenschule auf den Plan, die Stoa, und fälschte Briefe, die für Epikur belastend waren: fünfzig Billets doux an Damen, an Halbweltdamen. Und ein übereifriger Stoiker rief empört aus: Vergnügen als Ziel! Das ist eine Huren-Philosophie! Und keine Vorsehung wird anerkannt? Das ist noch schlimmer … Auch wurden recht hässliche Witze gemacht auf Kosten der Epikureer. Weshalb, fragte man, erlebt man es so oft, dass Schüler anderer Schulen zu Epikur überlaufen – aber niemals fällt ein Epikureer von seinem Lehrer ab? Das ist sehr einfach, lautete die Antwort. Männer können Eunuchen werden – aber Eunuchen nicht Männer … Man riecht noch heute aus Frage und Antwort den Neid auf einen großen Erfolg heraus. Und dieser Konkurrenzneid trieb gelegentlich Blüten, die uns Heutigen sehr vertraut sind. In den Tagen des römischen Dichters Lukian, im zweiten Jahrhundert nach Christus, verbrannte ein Zelot aus Paphlagonien die epikureischen Hauptlehrsätze und streute die Asche ins Schwarze Meer. Aber, trotz all dieser Unfreundlichkeiten, hat man kaum davon gehört, dass einer, weil er sich zu Epikur bekannte, ans Kreuz geschlagen wurde. Der Märtyrerkalender der Epikureer sieht nicht sehr prächtig aus.
Dennoch unterschätze man nicht das Ärgernis, das sie gegeben haben bis zu diesem Tag. Es ist ein schleichendes Ärgernis, nicht ein laut knallendes, ein heimliches Ärgernis, nicht ein illuminiertes. Es ist nicht ein Ärgernis von der Art des »Hier stehe ich, ich kann nicht anders …« Epikureer waren nie wilde Leute. Deshalb ist nur ein einziger Fall bekannt: dass man ihre Schriften verbrannte. Aber man nahm immer Anstoß an ihnen – obwohl ihr Name doch so ein gutmütiges Doppelkinn bekommen hat. ›Epikureer‹ wurde ein welthistorisches Schimpfwort; denn es war zu fast allen Zeiten anrüchig, fürs Glück zu sein. ›Epikureisch‹ wurde der Name für alles, was man als ›moralisch zweifelhaft‹ zu stempeln wünschte.
Im zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung sollen zwei Epikureer aus Rom