Übergangspflege - Transitional Care - Claudia Bernhard-Kessler - E-Book

Übergangspflege - Transitional Care E-Book

Claudia Bernhard-Kessler

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Beschreibung

Das Praxishandbuch zur Übergangspflege bietet pflegetheoretische Begründungen und pflegepraktische Umsetzungen der Transitional Care. Die erfahrene Pflegefachfrau und -wissenschaflerin Claudia Bernhard-Kessler: erläutert, wie sich Drehtürentlassungen und Versorgungsbrüche bei Verlegungen aus Gesundheitseinrichtungen antizipieren und vermeiden lassen und wie eine Übergangspflege zur Stabilisierung und Bewältigung von Lebensübergängen und Transitionen beitragen kann klärt den Begriff der Übergangspflege, ihre Bedeutung, Entwicklung, Ethik und Ausbildungsangebote beschreibt eine Theorie der Übergänge und Transitionen, unterscheidet ihre Arten und Elemente, nennt notwendiges Handwerkszeug, wie Taktgefühl und Beratungskompetenz und skizziert organisatorische und rechtliche Rahmenbedingungen fächert die inhaltlichen Bausteine der Übergangspflege auf und erläutert zugrunde liegende Konzepte der Bewältigung, Biografie, häuslichen Desorganisation, erlernten Hilflosigkeit, Motivation, Reaktanz, Selbstbestimmung, Selbstmanagement, Selbstwirksamkeit, Systeme und des Selbstwerts mit Beispielen und Interventionen bietet praktische Beispiele für die Planung und Umsetzung der Übergangspflege aus der ambulanten Pflege, für die Situation des Heimeintritts und bei Menschen mit chronischen Erkrankungen, Migrationshintergrund, Long-Covid-Syndrom und Selbstvernachlässigung entwickelt und verbessert das Entlassungsmanagement durch geplante Übergangspflege und bewusst gestaltete, bewältigte und stabilisierte Übergangssituationen.

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Übergangspflege – Transitional Care

Claudia Bernhard-Kessler

Wissenschaftlicher Beirat Programmbereich Pflege:

André Fringer, Winterthur; Jürgen Osterbrink, Salzburg; Doris Schaeffer, Bielefeld; Christine Sowinski, Köln; Angelika Zegelin, Dortmund

Claudia Bernhard-Kessler

Übergangspflege – Transitional Care

Pflegetheoretische Begründungen und pflegepraktische Umsetzungen

Claudia Bernhard-Kessler. BA, MSc ANP – Pflegeexpertin für Chronic Care und Transitional Care, Pflegeberaterin der Landesregierung Salzburg

E-Mail: [email protected]

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt. Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

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Hogrefe AG

Lektorat Pflege

z.Hd. Jürgen Georg

Länggass-Strasse 76

3012 Bern

Schweiz

Tel. +41 31 300 45 00

[email protected]

www.hogrefe.ch

Lektorat: Jürgen Georg, Caroline Suter

Bearbeitung: Martina Kasper

Herstellung: Daniel Berger

Umschlagabbildung: Halfpoint, Getty Images

Umschlag: Claude Borer, Riehen

Illustration/Fotos (Innenteil): Jürgen Georg, Schüpfen

Satz: Matthias Lenke, Weimar

Format: EPUB

1. Auflage 2023

© 2023 Hogrefe Verlag, Bern

(E-Book-ISBN_PDF 978-3-456-96259-7)

(E-Book-ISBN_EPUB 978-3-456-76259-3)

ISBN 978-3-456-86259-0

https://doi.org/10.1024/86259-000

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Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

Danksagung

Vorwort

Einleitung

Teil I Übergangspflege im Kontext von Einflüssen, Gesundheit und Krankheit

1 Der Begriff Übergangspflege

1.1 Relevanz für die Profession der Pflege

1.2 Ausbildung und rechtliche Absicherung

1.3 Einflüsse aus Philosophie und Ethik

1.3.1 Ansatz der Hilfe zur Selbsthilfe

1.3.2 Wissenschaftliche Positionen und Traditionen

2 Sicht auf Gesundheit und Krankheit

2.1 Der salutogenetische Ansatz

2.2 Identität und Individualität

2.3 Sicht auf das Alter

Teil II Rahmentheorie, Methodik und Struktur

3 Theorie der Übergänge

3.1 Unterscheidung nach Art eines Überganges

3.2 Festgelegte Komponenten der Theorie

4 Methodisches Vorgehen

4.1 Das E.D.E.N Schema

4.2 Wissenschaftliche Überprüfung der Wirksamkeit

4.3 Der pädagogische Takt in der Pflege

4.4 Verantwortung der Pflegeperson im Pflegeprozess

4.5 Beratungskompetenz als Grundlage

5 Organisatorisches Konzept: die Betreuungsstruktur

5.1 Hintergrundorientierung der Betreuung

5.2 Schwerpunkte der Betreuung

Teil III Theoretische Inhalte der Übergangspflege

6 Das inhaltliche Konzept im Überblick

7 Bewältigungskonzept

7.1 Lebensweltorientierung

7.2 Lebensbewältigung

7.2.1 Beeinträchtigungen im Bewältigungsverhalten

7.2.2 Personale und soziale Ressourcen

7.2.3 Psychosoziale Krise

7.2.4 Krisen und Suizidgefährdung

7.3 Bewältigung chronischer Erkrankungen

7.3.1 Selbstmanagement im Sinne des Trajektkonzepts

7.3.2 Selbstmanagement – Care Transition Intervention Program

8 Biografiekonzept

8.1 Metatheoretische und theoretische Hintergründe

8.2 Theoriekonzepte der Biografiearbeit

8.3 Praktische Biografiearbeit

8.4 Empowerment-Konzept

8.5 Praxisbeispiel

9 Systemtheorie

9.1 Praktische Relevanz der systemischen Sichtweise

9.2 Herausforderungen der systemischen Sichtweise

10 Motivationstheorien

10.1 Motivationskontinuum

10.2 Entwicklungshypothesen der Motive

10.3 Relevanz für die Praxis

11 Selbstbestimmung

11.1 Theorie der kognitiven Bewertung

11.2 Theorie der organismischen Integration

11.3 Ableitung von Interventionen

12 Selbstwirksamkeitserwartung

12.1 Unterscheidungen und Dimensionen der SWE

12.2 Interventionen zur Stärkung der SWE

13 Selbstwertkonzept

13.1 Hintergründe zur Ableitung von Interventionen

13.2 Ansätze zur Selbstwertstärkung in der Praxis

14 Theorie der Reaktanz

14.1 Prozesse der Reaktanz

14.2 Interventionen zur Beeinflussung der Reaktanz

15 Erlernte Hilflosigkeit

15.1 Praktische Relevanz der erlernten Hilflosigkeit

15.2 Krankheitsgewinn – hypothetisches Konstrukt

16 Häusliche Desorganisation

16.1 Soziales Profil und Ursachenforschung

16.2 Verhaltensmerkmale bei häuslicher Desorganisation

16.3 Interventionsansätze bei häuslicher Desorganisation

Teil IV Praktische Umsetzung der Inhalte

17 Pflegerische Begleitung eines vollständigen Übergangs

17.1 Frau L. und ihre Lebenswelt

17.2 Singuläre Biografie und Pflegeplanung

18 Weitere Praxisfelder für Übergangspflege

18.1 Menschen mit Migrationshintergrund

18.2 Menschen mit Long-COVID-Syndrom

18.3 Eintritt in eine andere Institution

19 Abschließende Gedanken

Anhang

Literatur

Professionelle Pflege und Selbstpflege im Hogrefe Verlag

Autorin

Sachwortverzeichnis

|9|Danksagung

Dieses Buch ist meiner Familie gewidmet, voran meinem Mann Klaus, der mir durch sein unerschütterliches Vertrauen immer wieder Mut für Neues gibt.

„In unserem Leben begegnet uns keiner zufällig. Alle sind Teil unseres Weges. Ob als Begleiter, als Seelenverwandter oder einfach nur als Lehrer“ (Unbekannt).

|11|Vorwort

1988 lernte ich erstmals den Begriff Übergangspflege kennen. Entwicklungsgeschichtlich geht Übergangspflege auf die psychiatrische Abteilung des damaligen Krankenhauses Steinhof in Wien zurück – heute Klinik Penzing. Unter Einsatz von differenzialdiagnostischen Ausgängen in das angestammte Umfeld zeigte sich, dass Menschen, die als nicht entlassungsfähig in ihr Wohnumfeld beschrieben wurden, im Rahmen dieser Ausgänge wiederauflebten. Rückzüge im Sinne von Regressionen, analog zu den Abwehrmechanismen nach Anna Freud (1984), waren auf einmal umkehrbar. Diese Erfahrungen veranlassten mich, auch am Universitätsklinikum für Geriatrie in Salzburg, die Integration von Menschen durch den Einsatz von differenzialdiagnostischen Ausgängen zu forcieren. Das häufig zu beobachtende Phänomen, dass sich Menschen im Rahmen ihres Aufenthaltes in ihrem Allgemeinzustand und auch in ihrer Befindlichkeit verschlechtern, erweckte dabei meine Aufmerksamkeit. Unter anderem auch, weil Bestrebungen der Medizin und Pflege, diese Veränderungen anhand gängiger Defizitmodelle zu erklären und ihnen entgegenzuwirken, häufig nicht zum gewünschten Ziel führten. So wurde der alte Mensch mobilisiert, ohne dass er sich tatsächlich in seinem Allgemeinzustand verbesserte, weil die Hintergründe nicht verstanden wurden. Gleichermaßen verstärkten die gängigen pflegerischen Interventionen, im Rahmen des Warm-Satt-Sauber-Ansatzes, das Abhängigkeitsverhältnis der betroffenen Menschen. Trotz Widerstände hauptsächlich aus meiner Berufsgruppe der Pflege, begann ich durch Techniken aus der Reaktivierung und dem Normalitätsprinzip, so wie ich es in Wien erfahren durfte, diesen Verschlechterungen wirksam entgegenzusteuern. Im Nachhinein kann dieser Erfolg erklärt werden, jedoch vor dreißig Jahren war es lediglich ein Versuch, diesen von der Institution mitverschuldeten Verschlechterungen der alten Menschen, die ich per se nicht mit meiner Wertehaltung vereinbaren konnte, entgegenzusteuern. Dabei prägte mich eine Aussage von |12|Erwin Böhm (1992), die mir bis heute in Erinnerung ist und in diesem Sinne das Paradigma der Übergangspflege darstellt, dass zuallererst die Seele des betroffenen Menschen bewegt werden muss, bevor weitere Maßnahmen möglich sind. Als Erklärungsansatz kann damals wie heute das Phänomen des first-month-syndroms herangezogen werden, das die beschriebenen Verschlechterungen, u. a. aufgrund des Ortswechsels, mit einer zunehmenden Fixierung auf den eigenen Körper aufzeigt (Saup, 1993). Als wirksam können sich daher nur Interventionen erweisen, die an der individuellen Motivationslage, also am Eigenantrieb des zu betreuenden Menschen ansetzen, damit dieser einen Anreiz zur Eigenaktivität erfährt, anstatt des Verharrens in einer zunehmenden Perseveration. Nach wie vor lassen viele gutgemeinte Mobilisierungsansätze diesen Umstand außen vor und man ist verwundert, warum der kognitiv veränderte oder als delirant diagnostizierte Mensch sich nicht an seiner Aktivierung beteiligt.

Beruhend auf den damaligen Erkenntnissen konnte ich 1988/89, im Rahmen meiner Tätigkeit am Universitätsklinikum für Geriatrie, die ersten Versuche starten. Retrospektiv betrachtet beeindruckt mich immer noch eine Fallgeschichte mit einem alten Herrn, ich bezeichne ihn als den Patienten Null, der im Rahmen einer Zwangseinweisung auf meiner Station aufgenommen wurde. Als Begründung dieser erzwungenen Einweisung wurde angeführt, dass er täglich die Zentrale Wäscheaufbereitung in der Klinik aufsuchte, mit der Überzeugung dort angestellt zu sein. Bemühungen ihn vom Gegenteil zu überreden und infolge zum Gehen aufzufordern, blockte er mit der Aussage ab – man solle ihn nicht bei der Arbeit stören. Es wurde immer schwieriger, ihn mit Argumenten aus der Realität zum Verlassen der Wäscherei zu bewegen. Als sich die handelnden Personen mit dem vermeintlich aggressiven Verhalten von Hr. Null überfordert fühlten, alarmierten sie die Polizei, was die Institutionalisierung auf der Geriatrie nach sich zog. Zum Zeitpunkt der Aufnahme war Hr. Null mobil, jedoch zeitlich, örtlich und situativ desorientiert, und dies, obwohl anamnestisch keine bereits bestehenden kognitiven Defizite, in Sinne von dementiellen Entwicklungen, bekannt waren. Im Rahmen meiner pflegerischen Herangehensweise zum Verstehen seines herausfordernden Verhaltens konnte ich seiner Lebensgeschichte entnehmen, dass er 45 Jahre im Krankenhaus in der Wäscherei angestellt war und dies mit einem positiven Gefühl verknüpfte. Vor diesem Hintergrund stellte ich die Ad-hoc-Hypothese auf, dass sein Verhalten als Reaktion auf eine aktuelle Überforderung zurückzuführen ist, die zur Desorientierung und infolge zum Rückgriff auf gelingende Mechanismen aus dem Langzeitgedächtnis führte. In Anbetracht der Tatsache, dass es in den späten 80-er Jahren in Salzburg keine validen, standardisierten pflegerischen Erfassungsinstrumente gab, musste ich mich vorerst auf mein persönliches Gefühl ver|13|lassen und meiner Einschätzung vertrauen. Parallel dazu griff ich auf die in Wien kennengelernte Skala zur Einschätzung der Befindlichkeit und Interaktion nach Erwin Böhm zurück. Mit Hilfe dieses Instruments konnten einerseits das aktuelle Ausmaß der Regression des Patienten Null erfasst und andererseits Interventionsmaßnahmen zur Reaktivierung abgeleitet werden. Hr. Null wurde nach einer Woche unter meiner Begleitung nach Hause reintegriert und konnte nach anfänglichen Trainings dort noch drei Jahre weitgehend selbstständig und ohne Wiederaufnahme verbleiben.

Letztendlich war es diese Erfahrung, die mein humanistisches Menschenbild nachhaltig prägte und mich in meiner intrinsischen Motivation stärkte, Übergangspflege in Salzburg einzuführen (Abb. 0-1). Dieses Probieren, meine unermüdlichen Bemühungen zur Implementierung sowie die permanente Literatursuche und mein Studium am Institut für Erziehungswissenschaften führten in Summe zur Institutionalisierung der fachlich fundierten Übergangspflege im Bundesland Salzburg. Somit kann man managementtechnisch in diesem Fall auch von einem „Bottom up“ sprechen.

Abbildung 0-1:  Entstehungsgeschichte Übergangspflege in Salzburg (Quelle: Wizany, 2010; Abdruck mit freundlicher Genehmigung)

Übergangspflege bedeutet für mich immer eine konkrete Wertehaltung im Sinne des Verstehens. Besonders in Zeiten, in welchen das Reparaturparadigma scheinbar Oberhand hat, kann Übergangspflege ein Statement sein, dass nicht das Reparieren und Messen als alleinige Mittel der Gesundung in den Vordergrund stellt. Vielmehr ist eine Verbindung mit dem dialogischen und cartesianischen Para|14|digma möglich. Übergangspflege kann in diesem Sinne als Bindeglied gesehen werden, wodurch Menschen beim Übergang in ihrer Rolle gestärkt werden, damit sie ihr Leben ohne Hilfe oder nur mit so viel Hilfe wie unbedingt nötig wiederaufnehmen können. Auch wenn das Reparaturparadigma in den letzten vierhundert Jahren erfolgreich war und im Rahmen unserer Gesundheits- und Krankenpflege seine Berechtigung hat, stellt sich eben doch die Frage: Wie kann es sein, dass Menschen, die sich in einer Institution befinden, häufig eine schlagartige Verschlechterung ihres Allgemeinzustandes aufweisen, die nicht medizinisch begründet werden kann. Eine der schönsten Zuschreibungen, wie Übergangspflege gedacht werden kann, ist für mich der Ausspruch von Christian von Ehrenfels (1859 – 1932): „Der Mensch ist mehr als die Summe seiner Teile“ (Höfer & Valent, 2017). Jeder Mensch ist etwas Besonderes und darum braucht jeder Mensch aus meiner Sicht seine individuelle Unterstützung. Übergangspflege kann diesem Anspruch gerecht werden.

Salzburg im Oktober 2022

Klaus G. Kessler MSc, MBA

|15|Einleitung

Wir alle sind im Laufe unseres Lebens mit vielen Übergängen konfrontiert, unabhängig davon, ob sie geplant oder ungeplant eintreten. Beispiele dafür wären ein Umzug in eine neue Umgebung oder eine Familiengründung. Im Gegensatz zu diesen Veränderungen, die meist geplant stattfinden, treten Übergänge, die mit Krankheiten oder Schicksalen in Verbindung stehen, meist plötzlich und ohne Vorwarnung ein und erfordern geeignete Strategien zur Bewältigung. Deshalb orientiert sich das Bestreben der Übergangspflege an der Unterstützung und Aufrechterhaltung der individuellen Lebensbewältigung, die eine Anpassung an die veränderten Lebenssituationen und Bedingungen ermöglicht. Gemäß dem Soziologen Erwing Goffman (2003) und seinem treffenden Buchtitel: „Wir alle spielen Theater“, hat jeder Mensch sein eigenes Drehbuch des Lebens, das mitunter auch die erprobten Bewältigungsstrategien beinhaltet. Eine Unterstützung zur Lebensbewältigung kann daher nur gelingen, wenn wir das Drehbuch, sprich die Biografie des betroffenen Menschen, kennen. In diesem Sinne ist dieses Buch auf einen verstehenden Zugang ausgerichtet, da individuelle Lösungsansätze für Probleme bekanntlich nie pauschal abgehandelt werden können. Obwohl theoretische Konstrukte und Strukturen zwar eine gewisse Orientierung sowie professionelle Distanz von Seiten der Unterstützenden ermöglichen können, liegen jedoch die Lösungsansätze immer beim betroffenen Menschen selbst, als absoluter Experte über sein eigenes Leben. Demgegenüber zeigt sich die Schlüsselkompetenz einer Übergangspflegeperson vor allem darin, dieses Wissen in den Einklang mit den aktuellen Bewältigungsanforderungen zu bringen und dafür zu sorgen, dass Unterstützungsleistungen, bislang funktionierende Handlungskompetenzen und -fähigkeiten fördern und nicht einschränken. Deshalb kommt dem Theorie-Praxis-Bezug die größte Bedeutung zu, immer mit dem Blick darauf, dass es mögliche Annahmen sind, die sich jederzeit verändern können und daher immer wieder zum Diskurs einladen.

|16|„Man kann einen Menschen nichts lehren, man kann ihm nur helfen, es in sich selbst zu entdecken“ (Galileo Galilei, 1564 – 1641).

Den Begriff Übergangspflege hat Prof. Erwin Böhm bereits Ende der 1960er Jahre geformt und in Wien umgesetzt. Dabei handelt es sich um eine ressourcenorientierte Betreuungsform mit dem Ziel, betagte Menschen nach langjährigen Aufenthalten in psychiatrischen Abteilungen in ihre gewohnte Umgebung zu reintegrieren. Als Hintergrund diente das von ihm entwickelte Psychobiografische Modell (Böhm, 2004, 2009). Die Institutionalisierung der Übergangspflege im Bundesland Salzburg sowie deren Struktur und Ausbau gehen vorrangig auf Klaus G. Kessler zurück. Parallel dazu erfolgte mitunter durch die Autorin eine stetige Weiterentwicklung und Theoriebasierung. Rückblickend erschwerte gerade in den Anfangszeiten die damals noch vorherrschende Defizitorientierung, im Rahmen der Irreversibilitätstheorie, die Durchsetzung eines ressourcenorientierten pflegerischen Handelns. Gemäß der Überzeugung der Abhängigkeit von älteren Menschen war es für Viele unvorstellbar, dass die Betagten nach einem Aufenthalt im Krankenhaus, mit der richtigen Unterstützung, tatsächlich wieder ihre Alltagsfähigkeiten zu Hause zurückerlangen können. Erst der Einfluss der Modelle von Pflegewissenschaftlerinnen: Dorothea Orem, Virginia Henderson und Nancy Roper, ermöglichten nach und nach auch in der stationären und ambulanten Pflege das Verständnis zur Förderung der Selbständigkeit der Patient*innen. Aber vor allem konnte die Sinnhaftigkeit der Interventionen von Übergangspflege aufgrund der vielen Erfolge von gelungenen Integrationen ins häusliche Umfeld verdeutlicht werden. Die stetige Weiterentwicklung des Betreuungsansatzes ermöglichte eine theoretische und in der Folge eine praktische Erweiterung auf andere vom Übergang betroffene Personen der verschiedensten Altersklassen und stationären Fachgebieten eines Krankenhauses. Aus dem Schwerpunkt zur Betreuung älterer Menschen entwickelte sich unabhängig vom Krankheitsbild ein theoriegeleiteter Pflegeprozess zur Begleitung von Übergängen. Da die Pflegewissenschaft im Vergleich zu anderen Disziplinen noch wenig Evidenzbasierung aufweisen kann, erfolgte der Rückgriff auf Erkenntnisse anderer Wissenschaftszweige, wie z. B. aus den Sozial-, Human- und Geistes- sowie aus den Naturwissenschaften. Zumal es neben speziellen Pflegetätigkeiten vorrangig um die Hilfe zur Selbsthilfe geht, konnten insbesondere Inhalte aus den Erziehungswissenschaften herangezogen werden. Vor diesem Hintergrund führen die folgenden Kapitel zuallererst in die Definition und Relevanz des Themas ein, unter der Betonung der philosophischen und ethischen Ausrichtung und der daraus resultierenden Verantwortung für die agierende Pflegeperson. Darauf aufbauend erfolgen die Erklärungsansätze anhand möglicher Theorien und Hypothesen, die sich bereits über einen längeren Zeit|17|raum in der Praxis als wirksam erwiesen haben. Im Rahmen von ausführlichen Praxisbeispielen wird versucht, die Komplexität realer Betreuungssituationen verständlicher abzubilden und das Erfahrungswissen wiederzugeben. Insbesondere stellt das Kapitel 17 ein Beispiel dar, das den gesamten Übergangsprozess abbildet, und damit den Versuch, Sie liebe Leserinnen und Leser, in meine Welt, so wie ich die Übergangspflege und meine professionelle Verantwortung dafür wahrnehme, einzuladen. Letztendlich ist der vorgestellte methodische Ansatz zur Begleitung von Übergängen, per se kein starres Konstrukt, sondern kann sich flexibel individuellen Lebenswelten, Sichtweisen und vor allem Bedürfnissen anpassen. Ebenso ist es nicht an örtliche und kulturelle Begebenheiten gebunden, sondern aufgrund der Anpassungsfähigkeit in verschiedene Settings übertragbar.

|19|Teil IÜbergangspflege im Kontext von Einflüssen, Gesundheit und Krankheit

|32|2  Sicht auf Gesundheit und Krankheit

Wie man sein Leben gestaltet und plant und wie zufrieden man sich fühlt, ist immer individuell und hängt zu einem großen Teil von der jeweiligen Gesundheitssituation und dem kulturellen Hintergrund ab. Eine internationale Studie zur Beurteilung des eigenen Gesundheitszustandes zeigte unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen gleichen Alters, im Vergleich zwischen zwei Kontinenten (Kohli & Künemund, 2005). Zum Beispiel stuften bei einer Befragung 13 % der über 64-jährigen Personen in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) ihren Gesundheitszustand als ausgezeichnet ein. In der Bundesrepublik Deutschland schätzten sich hingegen nur 2 % derselben Altersgruppe so gut ein. Nun stellt sich die Frage, ob die Menschen in Deutschland tatsächlich kränker sind, oder einfach nur unzufriedener mit der eigenen Gesundheit. Unabhängig von eventuellen kulturellen Unterschieden, geht es in der Übergangspflege vordergründig darum, Menschen wieder mit den Herausforderungen des alltäglichen Lebens, gemäß ihrer zur Verfügung stehenden Bewältigungsstrategien, zu konfrontieren. Da die Institution der Profession Gesundheits- und Krankenpflege entspringt, birgt sich darin eine große Herausforderung für das Personal, weil Pflege auch heute noch viel von ihrem ursprünglichen biomedizinischen und deshalb versorgenden Ansatz in sich hat. Klient*innen der Übergangspflege sind alle mehr oder weniger krank, warum sonst werden sie in einem Krankenhaus aufgenommen. Eine Unterstützung beim Übergang vorrangig nach Hause, welche das Ziel der Autonomie und Selbstfürsorgefähigkeit verfolgt, ist für diese Menschen aber unweigerlich mit Anforderungen und Strapazen verbunden. Warum soll sich also eine 89-jährige Dame beim differenzialdiagnostischen Ausgang die Stufen bis zu ihrer Wohnung hinaufkämpfen, wo sie sich doch vermeintlich auch in einem Bett einer versorgenden Einrichtung erholen könnte. Die Rechtfertigung entspringt deshalb nicht nur der Auseinandersetzung mit Gesundheit und Krankheit, sondern |33|bringt die Pflegeperson auch ins Spannungsfeld der individuellen Wünsche und Vorstellungen der Klient*innen sowie den vorherrschenden Erwartungen und Haltungen der Gesellschaft. Zumal Sichtweisen verschieden gedacht werden können, gestaltet sich diese Thematik komplex und verlangt nach geeigneten Hypothesen zur Rechtfertigung von Ansätzen, die sich an der Hilfe zur Selbsthilfe orientieren.

2.1  Der salutogenetische Ansatz

Beim erklärenden Ansatz, warum Menschen krank werden, herrscht die dichotome Sichtweise vor, dass man entweder gesund oder krank ist. Hingegen stellt sich eine salutogenetische Orientierung die Frage, warum Menschen, obwohl sie vielen Stressoren ausgesetzt sind, gesund werden oder noch immer gesund sind (Antonovsky, 1997). Im Rahmen der Salutogenese werden die beiden Variablen Gesundheit und Krankheit in einem Kontinuum zueinander gesetzt, was in der Folge die Möglichkeit eröffnet, die Position eines Menschen zu jeder beliebigen Zeit auf diesem Kontinuum zu verorten. „Wir sind alle sterblich. Ebenso sind wir alle, solange noch ein Hauch von Leben in uns ist, in einem gewissen Ausmaß gesund“ (Antonovsky, 1997, S. 23). Ausgehend von einer Ressourcenorientierung zur Bekämpfung von Stressoren geht diese Hypothese in Widerspruch zur wissenschaftlich-medizinischen Denkweise. Als zentrales Element steht das Konzept des Kohärenzgefühls, genannt Sense of Coherence (SOC), damit wird Vertrauen, als ein durchdringendes, andauerndes und dynamisches Gefühl beschrieben, dass die interne und externe Umwelt vorhersagbar ist und die Ergebnisse in hohem Maße kontrollierbar sind (Antonovsky, 1997). Es besteht aus drei eng miteinander verbundenen Komponenten, die gemeinsam ein Kohärenzgefühl ergeben. Erstens beschreibt der Begriff Verstehbarkeit den Glauben an die Vorhersehbar- bzw. Erklärbarkeit von zukünftigen Ereignissen. In weiterer Folge steht die Handhabbarkeit für ausreichende Ressourcen, um Niederlagen bewältigen und sich vom Gefühl der Opferrolle distanzieren zu können. Der dritte Begriff der Bedeutsamkeit meint die Sinnhaftigkeit des Lebens und der Dinge, die darin geschehen. Verfügt also ein Mensch über ein gutes Kohärenzerleben, kann er seine Widerstandsressourcen besser nützen. In der Psychotherapie ermöglicht dieser Ansatz mittlerweile valide Prognosen über Therapieerfolge mit dem Maß des Kohärenzgefühls zu erstellen, wobei das Konzept SOC in der zu Hause lebenden Bevölkerung, im Vergleich zu Patient*innen in Krankenhäusern oder Bewohner*innen in Langzeiteinrichtungen, stärker ausgeprägt zu sein scheint (Egger, 2015; Goddemeier, 2019). Die Salutogenese zeigt Parallelen zu Eriksons Entwick|34|lungstheorie sowie zur Selbstwirksamkeitserwartung von Bandura (1977) auf. Ebenso finden sich Ähnlichkeiten zur Herangehensweise von