Überlebensbuch Pflege - Judy. E. Boychuk Duchscher - E-Book

Überlebensbuch Pflege E-Book

Judy. E. Boychuk Duchscher

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Beschreibung

In der Pflegepraxis Fuß fassen und den eigenen Weg finden! Warum verliert die Pflege viele ihrer neu und gut ausgebildeten Pflegefachfrauen und -männer im ersten Jahr der Berufstätigkeit? Was erleichtert oder erschwert den erfolgreichen Übergang von Ausbildung und Studium in die Pflegepraxis? Die kanadische Pflegeexpertin und -wissenschaftlerin Judy Duchscher erforschte über zwölf Jahre hinweg das erste Berufsjahr in der Pflege. Ihre Erkenntnisse aus Interviews mit Neueinsteigenden erklären, wie sie den Übergang erleben und bieten Methoden und Instrumente zur Unterstützung junger Kolleginnen und Kollegen an. So wird das Buch ein wertvoller Leitfaden für Pflegefachpersonen, Pflegelehrende und Pflegeleitende. Die Autorin dieses Einsteigerbuches: •beschreibt, wie Berufseinsteiger_innen den Übergang von -Ausbildung und Studium in die Pflegepraxis durchleben und ihn bewältigen können •erläutert die Faktoren, welche einen Rollenwechsel begünstigen, wie Stabilität, Vorhersehbarheit, Vertrautheit und Verlässlichkeit •identifiziert und differenziert Faktoren, die das Erleben des Übergangs in die Pflegepraxis beeinflussen, wie Rollenidentität, Verantwortung, Beziehungen und Fachwissen •bietet ein praxisbezogenes "what to do"-Buch für Berufeinsteigerinnen und -einsteiger in der Pflege, das von Arbeitsorganisation über Bullying, Schichtarbeitsmanagement, Stellensuche bis bin zur interdisziplinären Teamarbeit und unterschiedlichen Settings der Pflege informiert •entwickelt empirische Modelle zum Verständnis von Praxisschocks, erfolgreichen Übergängen und Rollenwechseln in die Pflegepraxis •bietet praxisbezogene Methoden und einen Orientierungsrahmen für Einsteiger_innen, Praktiker_innen, Leitende und Lehrende für einen gelingenden Berufseinstieg, einen abgefederten Praxisschock und eine gute Teamintegration und -einbindung •unterstützt erfahrenere Mitarbeitende dabei, Pflegeeinsteiger_innen einzuarbeiten, zu begleiten, zu respektieren und langfristig zu binden.

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Seitenzahl: 428

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Judy E. Boychuk Duchscher

Überlebensbuch Pflege

Erfolgreicher Berufseinstieg für Pflegefachfrauen und -männer

Aus dem Amerikanischen von Heide Börger

Deutschsprachige Ausgabe herausgegeben von Barbara Müller

Überlebensbuch Pflege

Judy E. Boychuk Duchscher

Wissenschaftlicher Beirat Programmbereich Pflege:

André Fringer, Zürich; Jürgen Osterbrink, Salzburg; Doris Schaeffer, Bielefeld; Christine Sowinski, Köln; Angelika Zegelin, Dortmund

Dr. Judy Boychuk Duchscher RN, BScN, MN, PhD, C6098 Royal University Hospital, 103 Hospital Drive, Saskatoon, Saskatchewan, Canada, S7NO8W306-716-3286

[email protected]

Barbara Müller (dt. Hrsg.) Pflegefachfrau, Dipl. Pflegewirtin, Dozentin, Programmleiterin Gesundheitsberufe, Hogrefe Verlag, Bern

[email protected]

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Hogrefe AG

Lektorat Pflege

z.Hd. Jürgen Georg

Länggass-Strasse 76

3012 Bern

Schweiz

Tel. +41 31 300 45 00

[email protected]

www.hogrefe.ch

Lektorat: Jürgen Georg, Barbara Müller, Brigitte Frey von Matt

Herstellung: Daniel Berger

Umschlagabbildung: CentrallTAlliance, GettyImages

Kapiteltrenner: GettyImages

Umschlag: Claude Borer, Riehen

Satz: punktgenau GmbH, Bühl

Format: EPUB

Das vorliegende Buch ist eine Übersetzung aus dem Amerikanischen. Der Originaltitel lautet „From Surviving to Thriving. Navigating the First Year of Professional Nursing Practice“ von Judy Boychuk Duchscher.

© 2012. The Nursing Future, Kamloops, BC V2E2E8, ISBN 978-0987778314

1. Auflage 2023

© 2023 Hogrefe Verlag, Bern

(E-Book-ISBN_PDF 978-3-456-96163-7)

(E-Book-ISBN_EPUB 978-3-456-76163-3)

ISBN 978-3-456-86163-0

https://doi.org/10.1024/86163-000

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Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

Geleitwort der deutschen Herausgeberin

1 Von Auszubildenden/Studierenden zu Expert*innen der Pflege

1.1 Willkommen in der Pflege!

1.2 Vor dem Examen

1.3 Transition und beeinflussende Faktoren

2 Der Schock der Transition

2.1 Berufsanfänger*innen und die Elemente der professionellen Rollentransition

2.2 Kategorien der Transition von Berufsanfänger*innen in der Pflege

2.2.1 Rollen

2.2.2 Verantwortung

2.2.3 Beziehungen

2.2.4 Wissen

3 Stadium 1 – Professionelle Rollentransition: Handeln

3.1 Lernen

3.2 Anwenden und kaschieren/verbergen

3.3 Korrigieren

3.4 Anpassen

4 Stadium 2 – Professionelle Rollentransition: Verhalten

4.1 Suchen

4.2 Hinterfragen

4.3 Zweifeln

4.4 Überprüfen

4.5 Realisieren

5 Stadium 3 – Professionelle Rollentransition: Wissen

5.1 Sondieren

5.2 Analysieren

5.3 Kritisieren

5.4 Wieder zu sich selbst finden

5.5 Akzeptieren

6 Anhänge

Anhang 1: Schock der Transition (Zusammenfassung)

Anhang 2: Die Stadien der Transition frisch examinierter Pflegefachpersonen

Anhang 3: Hinweise zum Berufseinstieg für frisch examinierte Pflegefachpersonen

Anhang 4: Konzept zur Unterstützung frisch examinierter Pflegefachpersonen beim Wechsel in die Praxis

Anhang 5: Wie Sie den richtigen Job für sich finden

Anhang 6: Die Arbeit im Team

Anhang 7: Der Umgang mit Schichtarbeit

Anhang 8: Im Fokus: Emotionale Gesundheit

Anhang 9: Arbeitspensum aufteilen und delegieren

Anhang 10: Unabhängig werden

Anhang 11: Konfliktmanagement am Arbeitsplatz

Ergänzende Literatur: Pflegepädagogik und Patientenedukation im Hogrefe Verlag

Über die Autorin

Sachwortverzeichnis

|7|Geleitwort der deutschen Herausgeberin

Und ich war plötzlich eine von ihnen, von den Vollpflegekräften. Das war so eine Gefühlsmischung aus Entsetzen und Erstaunen. Es war ein kurzer Moment, wo man denkt: Überforderung ja, aber auch Freude, vielleicht, dass einem jemand sowas zutraut. Ja, vielleicht einen kurzen Moment auch stolz oder so… (Maria im Gruppeninterview1)

Den Übergang von der Rolle der Auszubildenden/Studierenden in die Rolle der examinierten Pflegefachkraft bezeichnet Duchscher (2012) im vorliegenden Buch als Transition mit den Zeichen eines persönlichen und beruflichen Umbruchs und Wandels: psycho-soziale Entwicklung in der Lebensphase einer/eines jungen Erwachsenen, psychische und emotionale Befindlichkeit und physische Stabilität sind Eckpfeiler dieser Transition. Begleitet ist sie auch von den Erwartungen, Hoffnungen und Wünschen der Auszubildenden/Studierenden an sich selbst und an andere (wie die vielfachen Zitate der Interviewten im Buch zeigen) und eingebunden in die gesellschaftlichen Anforderungen an die Pflege als Dienstleistungsberuf (Müller, 2020).

Im Original heißt das Buch von Judy Duchscher: From Surviving to Thriving, es ist ein Buch vom ersten Überleben in der Pflegepraxis zum Wachsen und Gedeihen. Thriving bedeutet auch Aufblühen und Entwickeln. Das ist ein aussagestarkes Bild, denkt man dabei an die jungen Pflegefachpersonen2, die während ihrer Ausbildung/ihres Studiums der Pflege und beim Einstieg in die Realitäten der Pflegepraxis vor Herausforderungen stehen, die – so zeigen die Studien von Duchscher (2012; Duchscher & Cowin, 2004) – sie zu überwältigen drohen. Diese Herausforderungen treffen sie auf der gesellschaftspolitischen Ebene, in den Anforderungen durch die Veränderungen der Ausbildungspläne für die Pflege, im Kontext der besonderen Belastungen der Arbeitswelt und nicht zuletzt auf der Ebene ihrer individuellen Biografie und ihrer persönlichen und aktuellen Situation.

Gesellschaftspolitische Ebene

Pflege erbringt eine Dienstleistung im Auftrag der Gesellschaft. Neben den fachlichen und eng an die Disziplin gebundenen Bereichen spiegeln sich demnach in der Pflegepraxis die Fragen und Anforderungen der Gesellschaft. In ihrem Handeln sind Pflegefachpersonen zum einen abhängig von den Antworten der (Gesundheits-)Politik und der (Pflege-)Wissenschaft, müssen aber in ihrer Rolle als Anwält*innen des Patienten und der Patien|8|tin in seiner/ihrer individuellen Sitatuation selbst Antworten finden und in professionelles Handeln umsetzen. Hier hat ihnen in Deutschland das neue Pflegeberufegesetz in § 4 einen besonderen rechtlichen Vorbehalt möglich gemacht (Bundesministerium für Justiz, 2020).

In der Pflegepraxis spiegeln sich die spezifischen situativen Reaktionen auf die Fragen der Gesellschaft wider. Die folgenden Probleme sind nicht neu – nur die Lösungen und Antworten haben sich überdauert und müssen revidiert werden, sowohl in der Methodik wie auch in den dafür erforderlichen Kompetenzen der beteiligten Personen. Das kann verunsichern und ängstigen, birgt aber auch die Chancen für Innovationen und neue Wege. Das alles prasselt (in Gestalt der Lehrenden, der Kolleg*innen, des Teams, der Gesundheitseinrichtung) auf die Young Professionals (Duchscher, 2012) ein, fordert und überfordert sie gleichzeitig.

Wie bewältigen wir die globalen Gesundheitsprobleme? Im Umgang mit übertragbaren und nicht-übertragbaren Erkrankungen und der Migration zeigen sich die engen Verflechtungen der Pflege mit einer globalisierten Welt, den Traumata geflüchteter Menschen und den (auch internationalen) Entscheidungen der Gesundheits- und Sozialpolitik. Welche neuen Kompetenzen benötigen hier Pflegefachpersonen?

Welche Folgen haben die demografischen Veränderungen? Die Veränderungen der Altersstruktur bedingen veränderte Anforderungen in der Akutpflege und der Langzeitpflege: Die Pflege hat erweiterte Aufgaben in der Beratung, Gesundheitsförderung und Prävention; auch hier sind Kompetenzen gefragt, die über einen technisch-funktionalen Handlungsplan hinausgehen.

Was bewirkt die Änderung der Versorgungsbedarfe? Der Anstieg an multimorbiden Krankheitsbildern, an Hilfe- und Pflegebedürftigkeit, an altersbedingten chronischen Erkrankungen und an psychischen und psychiatrischen Erkrankungen fokussiert das Erleben von Kranksein und die subjektive Krankheitsbewältigung des betroffenen Menschen. Zu diesem Fokus gehören das soziale Netz der Patient*innen, ihre An- und Zugehörigen (Bezugspersonen), die Verfügbarkeit und der Einsatz von Ressourcen. Pflegefachpersonen benötigen hier Kompetenzen, die Versorgung optimal zu steuern und die Expertise der Patient*innen und ihrer Bezugspersonen einzubinden.

Wie positioniert sich die Pflege im wirtschaftsorientierten Markt? Gesundheitseinrichtungen sind in der Klammer einer Wirtschaftsorientierung und handeln in Kategorien wie Ökonomisierung, Effektivität und Effizienz in der Nachfrage nach den finanziellen Ressourcen: steigende Kosten für Diagnostik und Behandlung, mit den Forderungen einer Eindämmung der Personalkosten bei gleichzeitigem Fachkräftemangel und einem Skill-Grade-Mix der Bildungsabschlüsse, Qualifikationen und Kompetenzen.

Wie positioniert sich die Pflege in der interprofessionellen Zusammenarbeit? Die oben angesprochenenen Fragen verweisen auf eine Komplexität der Krankheitsverläufe. In der Versorgung sind es immer viele Disziplinen, die ihre Expertise einbringen auf ein situativ individuelles Krankheitsgeschehen: In den Vordergrund rückt die Patient*innengeschichte, die Fallgeschichte, die Fallvignette. Professionelles Handeln im Clinical Reasoning der „Heimat“-Disziplin und interprofessionelles Versorgungsgeschehen treffen auf eine spezifische Situation: eine hohe Anforderung für Young Professionals.

Diese Fragen weisen auch auf zukünftige Herausforderungen für die Pflege hin, „die im Zuge gesellschaftlicher, demografischer, sozialer, epidemiologischer und technischer Entwicklungen sowie sich verändernder Familienstrukturen […] entstehen“ (Fachkommission nach § 53 Pflegeberufegesetz, 2020, S. 11). Diese Herausforderungen stoßen Entwicklungen an, die an die Bedarfe der pflegebedürftigen Menschen |9|angepasst werden müssen und die das berufliche Handeln der Pflege verändern werden. So bleiben Aus- und Weiterbildungen ein lebenslanger Prozess auf der Basis der folgenden Schlüsselbereiche:

Die Erkenntnisse der Pflege- und Gesundheitswissenschaft sind Basis und Begründung des professionellen Handelns.

Die gesundheitspolitischen Entscheidungen wirken sich unmittelbar auf den Handlungsspielraum, die Positionen und die Rollen der Pflege- und Gesundheitsfachberufe aus.

Die salutogenetische Sichtweise auf Gesundheit und Krankheit (Meier Maistretti et al., 2019) mit Begriffen wie Gesundheits-Krankheits-Kontinuum und Kohärenzgefühl prägt alle Versorgungsbereiche und den Umgang mit den pflegebedüftigen Menschen wie auch den Mitarbeitenden.

Das jeweilige Setting der Versorgung stellt die Anforderung für das berufliche Handeln der Gesundheitsfachpersonen und fordert unterschiedliche Kompetenzen.

Patient*innen sind die Expert*innen ihrer Erkrankung: ihr vorwissenschaftliches Verständnis von Gesundheit und Krankheit (Franke, 2012) und ihr Alltag in ihrer Lebenswelt sind Zentrum einer gelingenden Versorgung.

Die Versorgung orientiert sich an der indivuellen biografischen Erfahrung und des Erlebens der pflege- und unterstützungsbedürftigen Menschen und ihren An- und Zugehörigen. Es ist eine Grundhaltung der Gesundheitsberufe, ihnen achtsam, respektvoll und wertschätzend zu begegnen und sie partizipativ zu beteiligen als autonome Wesen.

Gesundheitsfragen sind immer auch soziale Fragen. Jede Situation ist umhüllt von Kontextfaktoren, die über die unmittlbare Situation in der Einrichtung hinausgehen und doch die ganze Versorgungssituation prägen.

Diese Auflistungen verweisen auf die zukünftigen Kompetenzen der Pflegefachpersonen, komplexe Krankheits-, Versorgungs- und Pflegesituationen fachlich und menschlich zu bewältigen und die Anforderungen an die Bildungseinrichtungen in der Pflege, in der Ausbildung und im Studium die Kompetenzen zu entwickeln, dieser Komplexität zu begegnen und Antworten zu finden für die Patient*innen und ihre An- und Zugehörigen. Gefragt sind zukünftig Advanced Practitioner/ Advanced Experts, die eine spezifische Expertise erlangen, um die komplexen Krankheits- und Versorgungsgeschehen zu bewältigen, in einer Haltung der Sorge gegenüber Patient*innen als „fühlende[s] Wesen mit einer Seele“ (Staudacher, 2019, S. 9).

Veränderungen der Ausbildungspläne für die Pflege

Auch jetzt, nach den drei Jahren fühle ich mich nicht so, als hätte ich die Ausbildung abgeschlossen und könnte den Beruf jetzt. Den Beruf können, heißt für mich: das hat jetzt mit dem und dem nichts zu tun. Da hapert es eben. Es ist schon oft so, dass ich mir überlege: Kann ich das jetzt oder ist das jetzt so ok? Manchmal habe ich das Gefühl, ich schaffe das nie, eine richtige Krankenschwester zu werden. (Claudia im Gruppeninterview)

Wie wird man eine „richtige Krankenschwester“? Auch diese Frage ist nicht neu, ich habe sie mir selbst gestellt – und das ist fast 30 Jahre her. Aber auch hier haben sich die Antworten geändert: in allen Ländern ist man bemüht, die Pflegefachpersonen so auszubilden, dass sie den gesellschaftlichen Anforderungen gerecht werden, die komplexen Krankheits-, Versorgungs- und Pflegesituationen bewältigen, eine hohe Qualität der pflegerischen Tätigkeit sicherstellen und ihr Handeln an den Evidenzen ausrichten. Die ethische Haltung folgt dem Ethikkodex des ICN (2012) mit der „Achtung der Menschenrechte […], des Rechts auf Leben und Entscheidungsfähigkeit, auf Würde und respektvolle Behandlung […]. (International Council of Nurses [ICN], 2012, S. 1)

|10|Trotz unterschiedlicher Ansätze der Länder setzt man auf die Ausbildung von Kompetenzen in den Versorgungssettings. Diese Kompetenzen dienen als Voraussetzung zum professionellen Handeln; sie orientieren sich an dem komplexen Geschehen in einer Fallsituation. Was mit der Analyse der Situation und auch mithilfe simulativer Lernumgebungen im schulischen Umfeld erarbeitet wird, erfährt in der Praxis die Pflege-Realität mit der Unterstützung von Praxisanleiter*innen und Mentor*innen. So wird das Lernen in der Theorie mit einem Lernen in der Praxis verzahnt und die berufliche und menschliche Entwicklung unterstützt und gefördert.

Belastungen in den Gesundheitsfachberufen

Also ich bin professionell und kann das. Also, ich kann in dem Moment meine Emotionen zurückstecken und kann fachlich argumentieren, warum das jetzt so ist und nicht anders. (Stefanie im Gruppeninterview)

Arbeit ist ein bedeutender Lebensbereich und eingebettet in eine komplexe individuelle Gesamtsituation mit unterschiedlichen Belastungen (Faktoren, die von außen auf den Organismus einwirken) und Beanspruchungen (Auswirkungen der Belastungen auf den Menschen). Arbeit hat in unserem gesellschaftlichen Kontext eine sehr große Bedeutung:

In der Arbeitssituation sind wir aktiv und gewinnen Qualifikationen, Fertigkeiten und Kompetenzen.

Arbeit dient der Lebensplanung, strukturiert unsere Zeit und sorgt so für alltägliche Ordnung.

Im Team zu arbeiten, fördert Kontakte und Kooperationen.

Arbeit dient der sozialen Anerkennung: Wir zeigen uns als wertvolle Mitglieder der Gesellschaft und leisten unseren Beitrag.

Arbeit dient der persönlichen Identitätsfindung, entwickelt und fördert das Selbstwertgefühl und unterstützt bei der Rollenfindung (Nikelski & Trompetter, 2017).

Die Pflegefachpersonen sind wie alle Gesundheitsfachberufe spezifischen Belastungen ausgesetzt: Sie erleben eine hohe Dichte an Interaktionen mit intensiver physischer und emotionaler Nähe in den Arbeitssituationen mit dem gleichzeitigen hohen Anspruch an sich selbst, mit den erlebten Emotionen professionell umzugehen. In der Emotions- und Gefühlsarbeit kann dies zu einer Dissonanz führen, die Leistung, die man erbringt, im Hinblick auf eigene und fremde Gefühle zu werten und möglicherweise abzuwerten. Hinzu kommen die Stressoren durch das soziale Umfeld, die Rollenkonflikte und die fehlende Anerkennung durch andere (hier besteht nach wie vor eine Orientierung an der Medizin). Die Ökonomisierung zeigt sich an der Arbeitsverdichtung und einer Ausrichtung der Gesundheitseinrichtung an wirtschaftlichen Zielen mit einer Orientierung an Werten (der Ökonomie), die nicht denen der Pflege (der Fürsorge) entsprechen. Alle Gesundheitsfachberufe zeigen eine hohe intrinsische Motivation und eine Tendenz zum „overcommitment“, also einem Engagement bei hohem Anerkennungsbedarf. Pflege zieht ihre Anerkennung auch durch die Zufriedenheit der Patient*innen, ist dies doch der Indikator für eine hohe Versorgungsqualität. Um sich zu schützen und zu schonen, zeigen sie eine hohe Distanzierungsfähigkeit.

Ich war einfach so überfordert, dass ich in der Situation gar keine Entscheidung treffen konnte. Ich wusste gar nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Ich habe nicht mehr darüber nachgedacht, wie es mir dabei geht, sondern einfach nur irgendwas gemacht, dass ich überhaupt etwas mache. Alles andere kam dann erst zu Hause. (Carola im Gruppeninterview)

Wie gelingt es nun den Young professionals, ihre berufliche Rolle zu entwickeln, mit den Be|11|lastungen und Beanspruchungen umzugehen und eine eigene berufliche Identität zu erlangen? Wie bewältigen sie den Übergang von der Auszubildenden/Studierenden zur examinierten Pflegefachkraft? Und welchen Gewinn ziehen die Verantwortlichen in Pflegepädagogik und Pflegemanagement aus den Antworten auf diese Fragen?

Das vorliegende Buch entstand auf der Grundlage einer umfassenden Studie von Judy Duchscher (2012): Sie erforschte die Bereiche Erleben, Verantwortung, Herausforderung oder Chancen sowie Unterstützungsangebote bei den New Graduates (wie sie die frisch examinierten Pflegefachkräfte bezeichnet). Die Befragten erkannten und beschrieben ihre Belastungen durch das Fehlen beruflicher Kenntnisse; Probleme mit der Transition der eigenen Rolle von der Auszubildenden/Studierenden zur Pflegefachperson, der Beziehungen im Team, der Verantwortung und der Wertekonflikte u. a. Duchscher beschrieb nach den Aussagen die drei Phasen Doing, Being und Knowing, die einem Praxis- und Realitätsschock folgten (siehe auch Sorber, 2013). Die Aussagen der New Graduates geben Aufschluss über Potenzial und Notwendigkeit von Unterstützung durch Lehrende, Pflegemanager*innen und Praxisanleiter*innen. Ziel soll es sein, die „Neuen“ wachsen und gedeihen zu lassen und ihre Entwicklung zur Pflegefachperson zu fördern. Angesichts des Personalmangels und der nach wie vor als unattraktiv eingeschätzten gesellschaftlichen Position, kann die Notwendigkeit für eine solche Unterstützung nicht hoch genug eingeschätzt werden, will man die diplomierten Pflegefachpersonen im Berufsfeld halten.

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern einen Gewinn durch die Lektüre des Buches, der sich auch in Ihrer beruflichen Praxis niederschlägt. Als Auszubildende/Studierende, als Pflegepädagog*in, als Pflegemanager*in können Sie profitieren von den Aussagen der Interviewpartner*innen und den Interpretationen von Judy Duchscher. Ihre Studie hat gezeigt, wie Sie in den verschiedenen Phasen unterstützen und unterstützt werden können. Vieles wird Ihnen in Ihrem beruflichen Alltag begegnen und mit der Lektüre mögen sich Ihnen weitere Türen öffnen zu einem gelingenden Umgang mit den „frisch examinierten“ Pflegefachpersonen.

Barbara Müller, Dipl. Pflegewirtin, Dozentin und externe Lehrbeauftragte in BA-Studiengängen der Pflege, Programmleitung Gesundheitsberufe (Hogrefe Verlag, Bern)

[email protected]

1

Zitate von Studierenden des Bachelor Pflege, Hochschule Ravensburg-Weingarten (RWU) im ersten Jahr ihrer beruflichen Praxis als Ergebnis zweier Gruppendiskussionen 2015 und 2016 mit 12 Teilnehmenden. Name und Daten pseudonymisiert.

2

Duchscher (2012) nennt sie auch Young Professionals oder New Graduates. Das „jung“ soll keine Altersangabe anzeigen.

Literatur

Bundesministerium für Justiz (Hrsg.). (2020). Pflegeberufegesetz. Verfügbar unter https://www.geset​ze-im-internet.de/pflbg/

Fachkommission nach § 53 Pflegeberufegesetz. (2020). Begleitmaterialien zu den Rahmenlehrplänen der Fachkommission nach § 53 PflBG. Bonn: Bundeinstitut für berufliche Bildung.

Duchscher, J. E. (2012). From Surviving to Thriving. Navigating the First Year of Professional Nursing Practice. Saskatoon, SK: Canadian Nursing Students Association.

Duchscher, J. E. & Cowin, L. S. (2004). The experience of marginalization in new nursing graduates. Nursing Outlook, 52, 289–296. Crossref

Franke, A. (2012). Modelle von Gesundheit und Krankheit. Bern: Hogrefe.

International Council of Nurses (ICN). (2012). ICN-Ethikkodex für Pflegende (deutsche Übersetzung DBfK). Verfügbar unter https://www.dbfk.de/media/docs/download/Allgemein/ICN-Ethikko​dex-2012-deutsch.pdf

Meier Maistretti, C., Lindström, B. & Eriksson, M. (2019). Salutogenese kennen und verstehen. Bern: Hogrefe. Crossref

Müller, B. (2020). Vom Honeymoon in die Realität. PADUA, 15(4), 195–201. Crossref

Nikelski, A. & Trompetter, E. (2017). Einführung in das Gesundheitssystem und die Gesundheitswissenschaften. Einflussfaktoren auf Gesundheit. Studienbrief 2. Hamburg: Hamburger Fernhochschule.

Sorber, M. (2013). Eine Zeit der Veränderung. Der Berufseinstieg in der Gesundheits- und Krankenpflege. PADUA, 8(3), 177–182.

|12|Staudacher, D. (2019). Haltung: Gelebte Menschlichkeit: „Haltung” als gefährdete Grundlage menschenwürdiger Pflege. NOVAcura, 50(7), 9–12.

Weiterführende Literatur

Altmeppen, S., Bohrer, A., Heinze, C., Junghahn, M.-L. & Rohde, K. S. (2020). „Es gibt viel Raum, sich einzubringen“. PADUA, 15(5), 283–288. Crossref

Bundesinstitut für Berufsbildung (bibb). (Hrsg.). (2020). Pflegeausbildung aktuell. Bundesinstitut für Berufsbildung, Bonn.

Fachkommission nach § 53 Pflegeberufegesetz. (2019). Rahmenlehrpläne der Fachkommission nach § 53 PflBG. Bonn: Bundesinstitut für berufliche Bildung.

Kersting, K. (1999). Coolout im Pflegealltag. Pflege & Gesellschaft, 4(3), 53–60.

Meleis, A. (2010). Transitions Theory. New York: Springer Publishing Company.

Reiber, K., Reichert, D. & Winter, M. (2019). Implikationen für die Berufseinmündung nach einer gerneralistischen Pflegeausbildung – eine mehrperspektivische Studie. Pflege, 32(1), 47–55. Crossref

Roes, M. (2014). Auf dem Weg der Generalistischen Pflegeausbildung. PADUA, 9(1), 4–18. Crossref

Twenhöfel, R., Machl, V. & Memmel, D. (2020). Praxisschock, Demotivation und Ausbildungsabbruch?PADUA, 15(2), 107–112. Crossref

Winkelmann, C. & Rogalski, C. (2021). BWLight für Gesundheitsberufe. Bern: Hogrefe. Crossref

|13|1  Von Auszubildenden/Studierenden zu Expert*innen der Pflege

|14|1.1  Willkommen in der Pflege!

Ihre erste Rolle als Pflegefachfrau oder Pflegefachmann3 zu akzeptieren, markiert den Beginn der pflegeberuflichen Phase, die da heißt: „der Rest Ihres Lebens!“ Diese Phase gehört zweifellos zu den spannendsten Zeiten Ihres Lebens. Nach dieser Feststellung möchte ich wetten, dass es tief in Ihrem Inneren etwas gibt, das bei dem Gedanken an die Prüfung rebelliert, das mit Nervosität und seltsam ängstlich auf das reagiert, was auf Sie zukommt. Das liegt wahrscheinlich daran, dass Sie nicht genau wissen, was es bedeutet, als „echte“ Pflegefachperson in der Praxis zu arbeiten, mit wem Sie zusammenarbeiten werden, ob Sie gut mit anderen zusammenarbeiten können oder ob Sie die Arbeit bekommen, die Sie sich wünschen. Sie haben keine Ahnung, was von Ihnen als frisch examinierte Pflegefachperson erwartet wird oder in welcher Einheit oder Einrichtung Sie arbeiten werden und wie die Arbeit als professionelle Pflegefachperson sich von der Arbeit im Studium unterscheidet. Basierend auf eigenen Erfahrungen geht das Buch auf diese Gedanken ein und bietet Ihnen Hoffnung und Unterstützung auf Ihrem Weg in die professionelle Pflege.

Es wäre schön, mit {jemandem] reden zu können, sagen zu können: „Ist das so in Ordnung oder mache ich das nicht richtig?“, oder „Okay, das ist normal, und wir machen das so.“ Ich habe Angst, dass [andere] frisch Examinierte zu diesem Zeitpunkt selbständig, effektiv und effizient arbeiten und ich völlig unsicher bin.

Jedes Mal, wenn sich bei einer Person „etwas verändert“, z. B. sie weiß etwas und erfährt dann etwas, was sie noch nicht wusste, spricht man von einer Transition, einer Reise von dem, was war, zu dem, was ist. Es ist weniger die Veränderung an sich (das motivierende Ereignis oder der Katalysator), die uns herausfordert, sondern die Realisierung der Veränderung. Bei einer Transition geht man von einem Zustand oder einer Situation in eine(n) andere(n) über und die Transition kann das Leben derer, die davon betroffen sind, und ihrer Bezugspersonen (Freund*innen, Familie und Mitarbeiter*innen) nachhaltig beeinflussen und verändern. Transitionen beginnen normalerweise mit Ereignissen, die zu Instabilität führen und eine Veränderung erfordern. Die Ausbildung als Pflegefachperson abzuschließen und den Schritt von Pflegestudent*innen und -auszubildenden zu voll verantwortlichen professionellen Pflegefachpersonen zu vollziehen, ist solch ein Ereignis.

|15|Es ist alles noch so ungewohnt. Neulich habe ich mich gewundert, ich habe meine Schuhe mit zur Arbeit genommen und konnte sie wirklich dort lassen. Ich habe einen Schrank und kann meine Sachen darin aufbewahren und ich kann mich nur schwer an den Gedanken gewöhnen, dass dies immer so sein wird. Dass es keine viermonatige oder vierwöchige oder dreimonatige Rotation ist.

Die Transition von der/dem Studierenden zu einer „richtigen“ Pflegefachperson ist ein lohnender und spannender Schritt. Aber er kann auch mit Angst verbunden sein, man kann sich einsam und überfordert fühlen, wenn man realisiert, dass man verantwortlich dafür ist, was mit den Patient*innen, die man betreut, geschieht, und dass man „ganz auf sich allein gestellt ist.“

Ich halte mich eigentlich für kompetent. Mir gefällt der Gedanke, dass ich über eine gewisse Kompetenz verfüge. Seitdem ich in diesem Beruf arbeite, ist keine Schicht so wie die andere. Man muss vorbereitet sein auf alles, was auf einen zukommt, und ich habe schon zu meinen Kolleg*innen gesagt, dass ich, wenn es regnet, finde, dass es gießt, was bedeutet, wenn irgendetwas schiefläuft oder eine Einweisung hereinkommt, bekomme ich drei. Das nagt an meinem Selbstvertrauen und zerstört es. Früher habe ich mich nie so gefühlt. Es kann sein, dass ich Zweifel an meiner Berufswahl habe, und ich frage mich: „Ist das überhaupt etwas für mich?“ Und das ist neu für mich, denn bis jetzt ging es immer darum: „Wie mache ich das?“ Und jetzt: „Kann ich das überhaupt?“

Sie sollten Folgendes wissen: Sie sind nicht allein; jede/jeder zweite Pflegestudent*in, der/die diese Pflegeausbildung absolviert hat, hat einen ähnlichen Anpassungsprozess durchgemacht. Seien Sie geduldig und glauben Sie daran, dass Sie diese Erfahrung hinter sich lassen und zu der professionellen Pflegefachperson werden, die Sie immer sein wollten.

1.2  Vor dem Examen

In der Schule wurde viel darüber geredet und ich habe immer gedacht „Was solls!“ Ich dachte, das sagt einem doch der gesunde Menschenverstand, aber das ist eigentlich nicht so, wenn man darüber nachdenkt. Zum Beispiel wurden uns in der Schule Fragen gestellt wie: „Sie haben diesen Patienten, diesen Patienten und diesen Patienten. Zu wem gehen Sie zuerst?“ Diese Art von Fragen. Ich dachte, sie (Fakultätsmitglied) ist die gemeinste Frau auf der Welt. Sie will uns nur austricksen! Aber wissen Sie was? Ich glaube, wir hätten mehr von dieser Sorte gebraucht, weil man genau das braucht, sobald man in der Pflege arbeitet. Ich glaube, ich fand sie als Lehrerin nicht angenehm, weil sie uns Dinge beigebracht hat, die man wirklich wissen muss. Man musste das wissen, wenn man auf der Station war und auf sich allein gestellt war und es erschien einem bloß so schwierig, wenn man in dieser Klasse war. Man dachte: „Na die stellt vielleicht schwierige Fragen.“ Das müssen wir doch gar nicht wissen, aber das müssen wir doch und ich bin froh, dass sie mit uns über diese Dinge gesprochen hat. Sie sagte beispielsweise, da kommt jemand mit diesen und jenen Problemen, welche Diagnose passt dazu? Sie wollte, dass wir die Situation analysieren, um herauszufinden, welche Schritte infrage kommen. Damals habe ich das nicht so gesehen, aber jetzt denke ich: „Oh Mann. Hätte ich bloß besser aufgepasst, was sie mir gesagt hat.“

Ich weiß aus meiner Forschungstätigkeit, den zahlreichen Gespräche, die ich mit führenden Wissenschaftler*innen über das Thema Pflege geführt habe, aus meiner langjährigen Lehrtätigkeit in der Pflege sowie der Arbeit mit frisch examinierten Pflegefachpersonen, dass der Prozess der Sozialisation in die Disziplin beginnt, lange bevor Sie sich für die Pflegeausbildung immatrikulieren. Sie wollen mir doch nicht erzählen, Sie hätten vor oder während Ihrer Ausbildung niemals Sendungen wie „Emergency |16|Room“, „Scrubs“, „Grey’s Anatomy“ oder „Nurse Jackie“ gesehen. Und wir alle wissen doch, dass solche Sendungen die Vorstellungen der Menschen prägen, wenn es darum geht, was die Pflege ist und was Pflegefachpersonen tun. Wir wissen auch, und wahrscheinlich haben Sie dies im Laufe der Zeit auch gemerkt, dass diese Vorstellungen nicht alle der Realität entsprechen. Einige Studierende entscheiden sich für die Pflege, weil ein Familienmitglied in der Pflege arbeitet und sie dieses Familienmitglied wegen der Arbeit bewundern oder weil sie die Person als Mensch „mögen“ und das, was sie ist, übertragen auf das, was sie tut. Andere Studierende haben schon vor ihrer Ausbildung Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem gemacht, entweder als junge*r Patient*in oder als Angehörige*r einer Person mit Gesundheitsproblemen und sehen es als ihre Aufgabe an, das Leben von Menschen mit gesundheitlichen Problemen zu verbessern. Nicht zuletzt sind es auch die Begegnungen mit erfahrenen Pflegefachpersonen, zu denen sie während ihrer Ausbildung Kontakt haben und einige dieser Begegnungen haben in ihnen vielleicht den Wunsch geweckt, besser zu sein als sie momentan sind, andere dagegen, sie hätten besser die Finger davongelassen. Erfahrungen dieser Art sind in der Pflege weder neu noch ungewöhnlich. Leider sind manche Menschen, was ihre charakterlichen Qualitäten anbelangt, eine echte Enttäuschung.

Enttäuscht am meisten, würde ich sagen, denn man hat ja gewisse Erwartungen: Dass man sein Examen macht und eine Pflegefachperson sein wird. Dass man sich ein schönes Haus kauft, dass man ein tolles Auto fährt. Alles vom Feinsten. Und dann kommt man in die Pflege und hat es mit älteren Pflegefachpersonen zu tun, die einem den Eindruck vermitteln, sie hassen einen und würden einen am liebsten vom Flur scheuchen. Man realisiert, dass man 40 000 USD Schulden als Studentendarlehen hat und sich kein neues Haus und kein neues Auto kaufen kann. Das ist enttäuschend.

Einige Personen gehen zurecht davon aus, dass das Gesundheitssystem immer Pflegefachpersonal braucht und dass man als Pflegefachperson jederzeit einen Job findet. Andere (wie ich zum Beispiel) sehen die Pflege als einen lohnenden, dynamischen, flexiblen und abwechslungsreichen Beruf, der Sie überall hinführen kann und in dem Sie fast alles machen können (meine Erfahrung bestätigt dies!). All diese Erfahrungen wecken Erwartungen und nicht umsonst spricht man von „bleibenden Eindrücken“.

Die Ansatzpunkte liegen also dort, wo sehr persönliche Gründe ausschlaggebend für die Berufswahl waren. Diese Gründe haben sich ausgewirkt:

auf Ihren Studienwunsch (z. B. die Themen, über die Sie in Ihren Unterlagen geschrieben haben),

auf den Praxisbereich, den Sie als professionelle Pflegefachperson bevorzugen (Krankenhaus, kommunaler Bereich oder öffentliches Gesundheitswesen),

darauf, wie Sie Ihre Rolle im Verhältnis zu anderen Anbietern von Gesundheitsdienstleistungen einschätzen (wie Pflegefachpersonen sich gegenüber anderen Anbietern von Gesundheitsdienstleistungen verhalten und wie viel Autonomie, Respekt und Anerkennung sie ihnen entgegenbringen),

darauf, wie Sie arbeiten „wollen“, z. B. mit Ihren Patient*innen, in den kommunalen Bereichen, für die Sie tätig sind und in der Disziplin insgesamt (z. B. praktische Pflege, Ausbildungsbereich, Forschung oder administrativer Bereich).

Bevor Sie Ihr Studium beenden, sollten Sie sich Zeit nehmen und darüber nachdenken, welche Gründe Sie bewogen haben, eine Pflegefachperson zu werden, ob diese Gründe immer noch gelten und ob die Gründe durch die Rollen, die Sie als Praktiker*innen in der „realen“ Welt anstreben, infrage gestellt oder untermauert werden.

Diese Überlegungen werden Ihnen helfen, sich auf die Praxis vorzubereiten in einem Bereich, die diesen Erwartungen entspricht. Ein |17|Beispiel: Wenn Sie gerne in arbeitsintensiven und sich schnell verändernden Situationen arbeiten, dann ist die chirurgische Abteilung in einem Krankenhaus als erster Arbeitsplatz in der Praxis genau das Richtige für Sie. Wenn Sie dagegen gerne unterrichten, Programme und Kampagnen entwickeln oder das Gesundheitssystem auf internationaler Ebene verbessern wollen, sind Sie im kommunalen Bereich, im öffentlichen Gesundheitswesen oder auf internationaler Ebene besser aufgehoben. Diese Art der Selbsterforschung kann Sie zudem zu der Erkenntnis führen, dass Ihre Ziele und Erwartungen nicht mit der Arbeit kompatibel sind, für die Sie sich interessieren. Ein Beispiel: Wenn Sie sich schnell verändernde Situationen mögen, aber eine stressbedingte Krankheit haben, wäre ein Arbeitsplatz mit weniger Stress die bessere Wahl oder Sie entscheiden sich nach Ihrer Ausbildung, sporadisch oder Teilzeit in der Akutversorgung zu arbeiten, damit Sie während der Anpassung an Ihre Rolle in der professionellen Praxis mehr Kontrolle über Ihre Arbeitszeit und Ihr Arbeitspensum haben.

Als Studierende muss man sich höchstens um drei Personen kümmern und dann kommt man in die Praxis und hat zehn. Zehn macht einen großen Unterschied aus und selbst wenn man sich von 7:00 Uhr bis 14:00 Uhr nur um drei kümmern muss, schafft man es kaum zur Nachbesprechung. Zurzeit habe ich Schichtdienst mit zehn anderen Pflegefachpersonen. Als Studierende haben wir uns gegenseitig geholfen und waren befreundet. Man hat vier Jahre gemeinsam verbracht und heute gehe ich in die Abteilung und habe das Gefühl, niemand will mir helfen und alles ist ganz anders. So völlig anders. Am Ende des Tages bin ich nicht einmal mehr in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen oder aufzustehen. Ich bin jeden Tag von morgens bis abends auf Trab.

Dessen ungeachtet ist es in der Realität so, dass Sie sich nicht immer aussuchen können, wo Sie anfangs arbeiten werden. Sie möchten vielleicht zuerst in der chirurgischen Akutversorgung oder im öffentlichen Gesundheitswesen arbeiten, aber es werden Ihnen nur freie Stellen in der Langzeitpflege oder im internistischen Bereich angeboten. Oder es sind persönliche Gründe (der Wunsch, in der Nähe von Familie, Kindern oder Ehepartner zu sein), die Sie zwingen, in der Nähe des Ortes zu bleiben, an dem Sie Ihr Studium abgeschlossen haben, was Ihre Arbeitsmöglichkeiten einschränkt. Es kann sein, dass Sie das Krankenhaus, in dem Sie ausgebildet wurden, nicht gerne so schnell verlassen wollen und dass Berufsanfänger*innen in der Akutversorgung eher einen Job bekommen als in anderen Organisationen (erfahrene Pflegefachpersonen suchen oft eine Arbeit, die körperlich weniger anstrengend ist, z. B. in der häuslichen Pflege, der Gemeindekrankenpflege oder im öffentlichen Gesundheitswesen). Trotz der Angst vor der Akutversorgung beschließen Sie, zunächst doch dort „anzufangen“ und später in die Gemeindekrankenpflege, ins öffentliche Gesundheitswesen oder in den Bereich der häuslichen Pflege zu wechseln. Zur Erinnerung: Dies ist Ihr Beruf und Sie werden irgendwann dorthin kommen, wohin Sie wollen, wenn auch nicht sofort!

Unabhängig davon, wo Sie als Pflegefachperson zu arbeiten beginnen oder welche Rolle Sie als Berufsanfänger*in übernehmen, es gibt auf dem Weg, eine Pflegefachperson zu werden, bestimmte Dinge, die die allermeisten frisch examinierten Pflegefachpersonen gemeinsam haben.

1.3  Transition und beeinflussende Faktoren

Ich kann Ihnen sagen, dass das Schlimmste, was ich je erlebt habe, der Wechsel vom Studium in die reale Welt der Praxis war. Alle haben mir gesagt, alles wird sich schon fügen. Aber wenn ich eines gelernt habe, dann dies: Ich musste diese Erfahrung selbst machen.

|18|Wie bereits erwähnt, ist der Wechsel von der/dem Studierenden zu einer voll verantwortlichen, rechenschaftspflichtigen und professionell arbeitenden Pflegefachperson einer der Momente, auf die sich die meisten Erwartungen richten. Die Tatsache, dass wir eine Phase unserer professionellen Sozialisation formal „beenden“ und eine andere beginnen, ist an Veränderungen gebunden: Rollen, Pflichten, Beziehungen und der Wissensstand verändern sich. Diese Veränderungen ziehen weitere oder andere Erfordernisse, Erwartungen und Herausforderungen nach sich. Auf all dies haben Sie sich während Ihrer Ausbildung vorbereitet, aber wenn es dann Realität wird, trifft es einen oft wie ein Schlag mit einem nassen Handtuch mitten ins Gesicht.

Hmm. Komisch. Ich habe gar nicht das Gefühl, fertig zu sein [mit dem Studium]. Als ich beispielsweise neulich morgens zur Arbeit ging, dachte ich: „Ich werde bezahlt für das, was ich mache“, weil ich das Gefühl hatte, ich wäre ich immer noch in der klinischen Ausbildung, aber mir ist bewusst, dass es etwas anderes ist. Ich habe jetzt mehr Geld, was ja ganz schön ist. Ich kann Dinge tun, die mir Spaß machen. Es ist schon komisch, plötzlich fertig zu sein, und das Gefühl war besonders stark, als wir die Ausbildung abgeschlossen hatten. Man studiert jahrelang und dann kommt die ganze Aufregung im Zusammenhang mit dem Examen und dann kommt die erste Schicht und all das andere, das man zum ersten Male macht. Alles auf einmal.

Für frisch examinierte Pflegefachpersonen beginnt der Prozess der professionellen Rollentransition, sobald sie den sicheren und überschaubaren Bereich ihres Pflegeausbildungsprogramms formal absolviert haben. Manche bezeichnen das erste Jahr in der professionellen Pflegepraxis als „Hindernisparcours“, weil die Arbeit die frisch Examinierten überfordert, vor allem deshalb, weil die Arbeitgeber (und auch die frisch Examinierten selbst) erwarten, dass sie wegrennen. Manche Menschen, mit denen Sie zusammenarbeiten, haben entweder kein Verständnis für die anfänglichen Schwierigkeiten von Berufsanfänger*innen oder haben sie vergessen. Es sind meistens solche Menschen, die Ihnen den Eindruck vermitteln, Sie müssten eher wie eine erfahrene Pflegefachperson und nicht wie eine frisch examinierte funktionieren.

Ich habe schon das Gefühl, fertig zu sein. Ich habe meine Ausbildung abgeschlossen. Wenn ich etwas nicht weiß, habe ich ja die Lehrbücher und Personen, die ich fragen kann. Ich weiß, dass es jetzt und in der Zukunft noch sehr viel zu lernen gibt und dass ich mich besser fühlen werde, wenn ich mehr Erfahrung habe. Aber als frisch Examinierte bin ich fertig. Als frisch Examinierte kann ich arbeiten.

Als frisch examinierte Pflegefachperson merken Sie zwar, dass vieles „anders“ ist, aber Sie wissen noch nicht genau, was das bedeutet. Ihnen wird klar, dass Sie zum ersten Mal ganz allein für Ihr Leben verantwortlich sind, Ihr Geld selbst einteilen und sich selbst um Ihren Haushalt kümmern müssen (mit allem drum und dran wie putzen, Wäsche waschen und Schnee räumen), zahlen Ihre Miete oder Hypothek jetzt selbst und zahlen die Darlehen zurück, die Sie während Ihrer Ausbildung bekommen haben, und Sie überlegen, ob Sie Ihr Visum mit Ihrer Kreditkarte bezahlen können, damit Sie sich den lang ersehnten Urlaub leisten können, der als Belohnung für all die harte Arbeit während der Ausbildung doppelt so lang sein soll!

Ich denke, vieles, was die Personen so sagen, stimmt, wie z. B. „Sie haben die Ausbildung abgeschlossen“, oder „Willkommen in der realen Welt.“ Das bekomme ich immer zu hören und dann denke ich, ich muss jetzt anfangen, meine Rechnungen zu bezahlen und ich muss jetzt anfangen, das Studenten-Darlehen zurückzuzahlen und jetzt kann es losgehen.

|19|Sie möchten nicht mehr mit Ihren Freund*innen zusammenleben, mit denen Sie sich in der Zeit auf dem College oder in der Universität ein Zimmer geteilt haben. Wenn die Pflege Ihre zweite Berufsausbildung oder Ihr zweiter akademischer Grad ist, haben Sie vielleicht Kinder oder einen/eine Ehepartner*in (oder betagte Eltern), die Ihre Abwesenheit in den vergangenen Jahren „geduldig“ ertragen haben und jetzt von Ihnen erwarten, dass Sie sie häufiger besuchen und für sie da sind. Es wird nicht lange dauern und Sie werden sich fragen, wo die „stressfreie Zeit“ bleibt, die Sie sich vom Ende dieser langen Ausbildung erhofft haben!

Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass der Unterschied so groß ist. Aber der Übergang von der Ausbildung in die Praxis war schon eine große Veränderung, die einen überwältigt. Mal ist man glücklich darüber und dann ist einem wieder zum Heulen zumute. Man ist hin- und hergerissen.

All diese Dinge sind unerwartete und vielleicht sogar enttäuschende Erinnerungen daran, dass das Leben kompliziert ist und dass harte Arbeit sich nicht immer sofort „auszahlt“, zumindest nicht so, wie wir es uns gedacht oder erhofft haben. Es ist eine seltsame Koinzidenz – Abschluss der Ausbildung und Rückkehr ins „reale“ Leben – die sowohl erfreuliche Seiten als auch Herausforderungen mit sich bringt. Es kostet Sie Energie und Zeit, Ihre Beziehungen zu und Verpflichtungen gegenüber Familie, Freunden und anderen Bezugspersonen zu organisieren und gleichzeitig zu versuchen, Ihren Dienstplan einzuhalten, neue Kolleg*innen kennenzulernen, sich Ihr Privatleben zurückzuerobern, herauszufinden, wer Sie eigentlich sind, wenn Sie nicht lernen und zu erkennen, was es bedeutet, eine professionelle Pflegefachperson zu sein. Sie haben die einen Herausforderungen lediglich gegen andere ausgetauscht, die sich fast als noch größer erweisen.

Ich bin noch nicht an dem Punkt angelangt, an dem ich mich auf meine Fähigkeiten verlassen kann und ich wünsche mir, dass jemand mich bestärkt und sagt: „Ja, das ist richtig, Barb. Du kannst das.“ Und so ist es immer. Es ist immer und überall da. Ich möchte einfach nur wissen, ob meine klinischen Beurteilungen und Einschätzungen korrekt sind. Dass ich nichts übersehen habe, ich will es nur wissen, weil ich kompetent und sicher arbeiten will. Ich habe Angst, solche Entscheidungen zu treffen.

Ich vertraue meinen pflegerischen Fähigkeiten jeden Tag mehr, aber ich glaube, dass mein Leben zu kurz kommt. Als ich meine Ausbildung beendet habe, dachte ich, dass ich mein altes Leben zurückbekomme, aber ich bekomme einfach keine Work-Life-Balance hin. Ich gehe arbeiten und schlafe und alles andere lässt sich damit nur schwer vereinbaren.

All meine Untersuchungen haben Folgendes ergeben: Nach Abschluss ihres Grundstudiums sind Berufsanfänger*innen in der Lage, einen durchaus sinnvollen und durchdachten Ansatz in ihrer pflegerischen Praxis durchzuführen, doch im Zuge ihrer Einführung in die „reale“ Welt wird ihre Praxis mehr vom Tun als vom Wissen bestimmt. Dies korrigiert sich im Laufe der Zeit meistens von selbst, aber es gibt Faktoren, die dazu beitragen, dass die frisch examinierten Pflegefachpersonen in ihren ersten Monaten in der Praxis Rückschritte machen:

Die Tatsache, dass bei den meisten Pflegefachpersonen der Wechsel in die professionelle Praxis in der dynamischen, hektischen und relativ erbarmungslosen Umgebung der Akutversorgung erfolgt.

Die Patient*innen in der Akutversorgung haben heutzutage kompliziertere und schwerere Erkrankungen als früher.

Die den Pflegefachpersonen zur Verfügung stehenden pflegerischen Ressourcen haben |20|mit den Ansprüchen, die an die pflegerische Arbeit gestellt werden, nicht Schritt gehalten.

Berufsanfänger*innen sind nicht ausreichend auf „Teamarbeit“ vorbereitet, sie sind unerfahren und tun sich schwer, wenn es darum geht, Aufgaben zu delegieren, eine Supervision bei Mitarbeiter*innen ohne Zulassung durchzuführen und die Aufteilung des Arbeitspensums zwischen der Pflege und den Kolleg*innen aus verwandten Bereichen zu koordinieren.

Von den Studierenden wird nicht durchgängig verlangt, bei der Versorgung ihrer Patient*innen/Klient*innen auf populationstypische Anzeichen zu achten (Ein Beispiel: Geriatrie-Patient*innen sind in der Akutversorgung die größte Gruppe, doch die für ältere Menschen typischen Probleme – etwa eine potenzielle Dehydratation – werden bei der täglichen Planung ihrer Pflege nicht berücksichtigt).

Die Ausbildung der Pflegefachpersonen hat Fortschritte gemacht, was die medizinische Grundversorgung anbelangt, während die Umgebung, in der frisch examinierte Praktiker*innen arbeiten, weiterhin an dem biomedizinischen „krankheitsorientierten“ Pflegemodell festhält, das in der pflegerischen Arbeit das „Tun“ und nicht das „Wissen“ in den Vordergrund stellt.

Die unterschiedlich gestalteten Praxisbereiche der Pflegefachpersonen und die Tatsache, dass Macht mehr zählt als Werte, animiert die Pflegefachpersonen, miteinander zu konkurrieren, anstatt gemeinsam nach Möglichkeiten zu suchen, die Pflege ihrer Patient*innen zu optimieren.

Die Disziplin der Pflege stellt hohe Anforderungen an ihre Mitglieder. Ich habe immer in der Akutversorgung gearbeitet (mit Ausnahme von einigen Arbeitseinsätzen im Norden und Projekten im Rahmen der Gemeindeentwicklung), war als Pflegefachperson in der Direktpflege tätig und habe Studierende auf die klinische Praxis vorbereitet. Ich habe meinen Student*innen immer gesagt, dass die Pflege in der Akutversorgung ihnen alles abverlangt, was sie haben, und wenn man das Gefühl hat, man hat alles gegeben, was man geben kann, passiert etwas, was einem noch mehr abverlangt. Ich kann sehr gut nachvollziehen, wie schwierig es für erfahrene Praktiker*innen ist, ihr Engagement und ihre Energie aufrechtzuerhalten und anderen Hoffnung zu vermitteln, obwohl sie in einem System arbeiten, das:

von seinen Mitarbeiter*innen verlangt, jeden Tag Überstunden zu machen;

nicht in der Lage ist, ihrer Bitte um ein paar Tage Urlaub nachzukommen, obwohl diese Bitte genehmigt und ihre Pläne ausgearbeitet sind;

auf einer Datenlage basiert, die Pflegefachpersonen zwingt, „Klient*innen“ zu versorgen, die verschiedene chronische Krankheiten sowie sozioökonomische und psychosoziale Probleme haben, die ihre Versorgung höchst kompliziert und anstrengend machen;

es zulässt, dass vulnerable Menschen wegen Bettenmangels auf Fluren, in Wandschränken oder ungenutzten Vorratsräumen untergebracht werden;

nicht systematisch die Meinung der Pflegefachpersonen zu einem neuen Dienstplan oder einem neuen Modell zur Durchführung der Pflege einholt, bevor diese implementiert werden;

Verantwortliche in der Pflege nicht unterstützt, denen es trotz aufopferungsvoller Arbeit nicht gelingt, Veränderungen herbeizuführen, die die Disziplin ihrem Ziel, die „Nation zu heilen“, ein Stück näherbringen können.

Ich habe als frisch examinierte Pflegefachperson Ähnliches erlebt, aber die Welt hat sich weiterentwickelt und das Leben ist infolgedessen unübersichtlicher geworden, genau wie unser Gesundheitssystem.

Um in einem System überleben zu können, in dem sie lange gearbeitet haben, empfehlen |21|einige Ihrer entmündigten Kolleg*innen (Pflegefachpersonen und Ärzt*innen), dass man, wenn man „dazugehören“ will, einfach nur auf der Grundlage der existierenden institutionellen und soziokulturellen Traditionen „seine Arbeit erledigen“ muss. Manchmal ist Selbstgefälligkeit einfacher als der Versuch, mit dem Kopf gegen eine Wand zu rennen, um „Veränderungen herbeizuführen“. Berufsanfänger*innen wird oft diskret vermittelt, „den Kopf gesenkt zu halten und hart zu arbeiten“. Anders ausgedrückt: „Hauptsache, du wirst rechtzeitig mit deiner Arbeit fertig“, ungeachtet der Probleme von Patient*innen oder Familien, die Sie beunruhigen oder zwingen, die Prioritäten Ihres Tages zu verändern. Einerseits ist es Ihre Pflicht, die theoretischen Grundlagen Ihrer pflegerischen Arbeit zu hinterfragen und unsere Patient*innen, Familien und Gemeinden in den Vordergrund zu stellen, andererseits sind Arbeitsplätze kulturelle, politische und soziale Gemeinschaften der besonderen Art. Am Anfang mag es so aussehen, als bestehe die Anpassung an Ihren neuen Arbeitsplatz darin, die Dinge so zu machen, wie sie immer schon gemacht wurden und darauf zu verzichten, eingefleischte Routinen und Arbeitsanleitungen infrage zu stellen. Für diese relative Anpassung bekommen Sie eine subtile, aber wichtige „Belohnung“: Akzeptanz vonseiten Ihrer Kolleg*innen.

Es ist manchmal schwierig, den Ist-Zustand mit dem Soll-Zustand zu vergleichen und zu sagen, wie dieser Ihrer Ansicht nach aussehen sollte. Dabei müssen Sie aufpassen, dass Sie nicht als überheblich und prätentiös wahrgenommen werden, weil Sie die Dinge zu kritisch betrachten, ohne danach zu fragen, warum diese Dinge so sind, wie sie sind. Auch wenn eine bestimmte Maßnahme Ihnen sinnlos erscheint, bedenken Sie, dass irgendwer sie irgendwann einmal für sinnvoll gehalten hat. Die Zeiten mögen sich geändert haben und diese Vorgehensweise mag nicht mehr effizient oder vielleicht auch nicht mehr sicher sein, doch auf irgendeiner Ebene, die Ihnen verborgen bleibt, kann sie dennoch funktionieren. Überprüfen Sie eine Situation immer erst genau, bevor Sie Ihre Sicht der Dinge darlegen, wenn Sie langfristig Veränderungen in die Wege leiten wollen.

Man sollte bei einer neuen Arbeitsstelle immer vorsichtig sein; es stimmt, dass Entscheidungen über die pflegerische Arbeit nicht immer explizit (d. h. leicht zu erkennen, leicht zu beschreiben oder zu „vermitteln“) sind. Als Berufsanfänger*innen betreten Sie den fruchtbaren Boden der pflegerischen Praxis mit Vorbehalt, aus Rücksicht auf frühere Erfahrungen. In einer Disziplin, die so sehr auf erfahrungsbasiertes Wissen, komplexe Einschätzungen und kompetente Entscheidungen angewiesen ist, können Praktiker*innen nicht auf die Schnelle oder im Handumdrehen lernen, was es heißt, ein/eine „Expert*in“ zu sein. Relativ „einfache“ Situationen können nach Vorschrift behandelt werden (durch strikte Anwendung des erlernten Wissens), doch in den meisten Fällen sind die menschlichen Erfahrungen und Manifestationen der Krankheit komplex, multidimensional und „grau“. Theoretisches Wissen, so wichtig es auch ist, um die Pflegepraxis in ein System zu bringen, ist absolut nutzlos, wenn die Gesundheit von Menschen bedroht ist, ganz gleich, ob es sich um ein Individuum, eine Gemeinschaft oder eine Population handelt. Es braucht sehr viel Erfahrung in verschiedenen Kontexten, bis aus theoretischem „Wissen“ pflegerisches „Know-how“ wird. Mit anderen Worten, eine qualifizierte Pflegepraxis braucht Zeit, und wenn Sie als frisch examinierte Pflegefachperson in etwa so sind wie ich in der Situation war, sind sie nicht gerade geduldig, wenn es darum geht, Ihre Pläne zur Veränderung der Welt in die Tat umzusetzen!

Ungefähr zwei Wochen, nachdem ich angefangen habe, dachte ich: „Ich habe einen schlechten Tag. Alles geht schief.“ Alle sind mürrisch und man geht nach Hause und denkt: „Warum habe ich mir bloß diesen Beruf ausgesucht?“ Und dann rufe ich meine Mutter an, sie ist seit 30 Jahren Krankenschwester|22|und sie sagt mir: „Es gibt gute Tage und schlechte Tage und du hattest einfach einen schlechten Tag“, daran muss ich dann immer denken. Es gab auch Tage, da habe ich gedacht: „Warum habe ich mir das eigentlich aufgehalst, weil es manchmal so stressig ist, dass einem niemand helfen kann. Keiner ist zufrieden und bei keinem sind die Schmerzen gelindert.“ Doch dann gibt es auch Tage, da merkt man, dass es sich lohnt.

Halten Sie durch – die erste Zeit ist meistens eher eine Achterbahnfahrt an als ein Karussell.

3

Die Bezeichnung für die Berufsangehörigen der professionellen Pflege variiert in den deutschsprachigen Ländern: In Deutschland bezeichnet man den Abschluss nach dem Pflegeberufegesetz von 2020 Pflegefachfrau bzw. Pflegefachmann. Seit dem 01.01.2020 ist die Ausbildung generalistisch ausgerichtet und so gibt es nach dem jeweiligen Vertiefungsansatz die Berufsbezeichnung Altenpfleger*in oder Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger*in. Daneben gibt es mehrere allgemeine Bezeichnungen wie Pflegefachpersonen oder Pflegefachkraft. Daneben besteht die Ausbildung zu/zum Gesundheits- und Krankenpflegehelfer*in und einige Spezialisierungen durch Weiterbildungen (z. B. Wundmanagent, Intensivpflege) oder Bachelor-Studium (BA Pflege) bzw. Master-Studium (Advanced Nursing Practice).

In Österreich heißt die allgemeine Bezeichnung diplomierte Pflegeperson, die Berufsbezeichnung diplomierte*r Gesundheits- und Krankenpfleger*in. Daneben gibt es ebenfalls das Bachelor-Studium Gesundheits- und Krankenpflege (welche die bestehende Diplomausbildung ablöst) und Ausbildungen zur Pflegeassistenz bzw. Pflegefachassistenz.

In der Schweiz lautet die Berufsbezeichnung diplomierte Pflegefachfrau/Pflegefachmann mit den Zusätzen HF (Höhere Fachschule) oder FH (Fachhochschule). Daneben gibt es die Ausbildung zur/zum Fachangestellten Gesundheit (FaGe) und Pflegeassistenz.

Die unterschiedlichen Qualifikationen werden im Zuge des zunehmenden Qualifikationsmix in allen Ländern an Bedeutung gewinnen, sind damit doch bestimmte Rollen und Aufgaben verbunden. Dieses Buch spricht Auszubildende wie auch Studierende der Pflege an sowie die Absolvent*innen im beruflichen Einstieg in der Pflege. In der Regel ist der Begriff im Buch dafür Studierende oder Auszubildende und nach dem beruflichen Abschluss Pflegefachperson oder Pflegefachkraft. (Anm. der dt. Hrsg.)

Weiterführende Literatur

Duchscher, J. (2008). A Process of Becoming: The Stages of New Nursing Graduate Professional Role Transition. Journal of continuing education in nursing, 39(10), 441–450. Crossref

Duchscher, J. E. & Cowin, L. S. (2004). The experience of marginalization in new nursing graduates. Nursing Outlook, 52, 289–296. Crossref

Duchscher, J. E. (2009). Transition shock: The initial stage of role adaption for newly graduated regidtered nurses. Journal of Advanced Nursing, 65(5), 1103–1113. Crossref

|23|2  Der Schock der Transition

|24|Und dann kommt man an und einem Patienten geht es schlecht und man denkt: „Das ist zu viel für mich. Ich will morgen nicht wieder hierher.“ Man hat einen schlechten Tag und denkt: „Ich will nicht wieder dahin. Ich kann das nicht. Niemand hätte mich in die Pflege schicken sollen. Ich bin nicht gut genug für diese Arbeit.“ Und dann spricht man mit jemandem, der denkt: „Morgen ist alles besser. Geh wieder hin und alles wird gut.“ Ich habe mit Kolleg*innen gesprochen, die zwischen sechs Monaten und einem Jahr dabei waren und auch solche Tage kennen und selbst nach vier Jahren ist das immer noch so. Ich glaube, dass es immer wieder schlechte Tage gibt, an denen man einfach nur nach Hause gehen und weinen möchte. Aber darüber muss man hinwegkommen und am nächsten Tag wieder einen neuen Anfang machen.

Die erste Konfrontation von Berufsanfänger*innen mit der Praxis (die ersten ein bis zwei Monate nach der Orientierung) nenne ich Transitionsschock. Ich habe diesen Begriff gewählt, weil er am besten auf alles zutrifft, was mit Rollen, Pflichten, Beziehungen und Wissen zu tun hat, also mit Dingen, die einen Einfluss auf die Intensität und die Dauer der ersten Erfahrungen von frisch Examinierten als Pflegefachperson haben.

Ich möchte Ihnen erzählen, was ich am Anfang dachte, weil ich finde, es war das Härteste, was ich jemals tun musste: die Transition von der Uni in die Praxis der realen Welt. Alle haben mir gesagt, es wird sich schon alles klären. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass keiner mir sagen konnte, was passieren würde. Das ist etwas, was ich allein bewältigen musste.

Grundlage meiner Arbeit über den Transitionsschock ist die Theorie des „Realitätsschocks“, die Dr. Marlene Kramer (1974) in den 1960er Jahren entwickelt hat; sie zeigt auf, dass Berufsanfänger*innen, die zum ersten Mal mit der Praxis konfrontiert werden, eine Vielzahl von Veränderungen erleben, die sowohl Ausdruck als auch Katalysator der Transitionserfahrungen sind. Diese Theorie habe ich weiterentwickelt.

Wie diese Veränderungen sich auf die einzelnen Berufsanfänger*innen auswirken, hängt davon ab:

wie vertraut, erwartbar oder antizipierbar und beständig der Grad der Verantwortung und Rechenschaftspflicht in Ihrem neuem Job im Vergleich zu Ihrer Ausbildung ist;

in welchem Umfang Sie während Ihrer Ausbildung über diese Erwartungen aufgeklärt wurden, wie „schnell“ man von Ihnen verlangt, sich in immer komplexeren und risikoreicheren Situationen zu bewähren;

wie viel Unterstützung Sie bekommen, wenn Sie Ihre neuen Rollen und Pflichten übernehmen;

wie „reif“ Sie sind bzw. wie viel Lebenserfahrung Sie haben;

ob Sie schon Erfahrungen mit der Praxis gemacht haben, hierzu zählen auch solche, die Sie als Pflegestudent*in oder Auszubildende*r in dem Bereich, in dem Sie jetzt arbeiten, gesammelt haben.

Zudem wird von Berufsanfänger*innen oft erwartet, dass Sie klinisches Wissen auf Situationen in der Praxis anwenden, mit denen sie wenig bis gar keine Erfahrungen haben bzw. die nicht wie die Situationen „aussehen“, mit denen Sie während ihrer Ausbildung auf theoretischer Ebene konfrontiert wurden.

Es ist schon sehr viel Verantwortung und auf der Station, auf der ich arbeite, ist das Verhältnis von Pflegefachperson zu Patient*innen sehr ungünstig. Wir bekommen viele verschiedene Krankheiten zu sehen und deshalb braucht es Zeit, um alles ein wenig kennenzulernen. Weil ich nicht während meiner Ausbildung dort war, war es sehr schwierig für mich,