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Ausgereizte oder ausgereifte Argumente?: Christian Synwoldt bietet sachliche Orientierung in einer emotional geführten Energiedebatte
Natürliche Ressourcen für die Energiegewinnung werden knapp - wir wissen das. Doch was tun? Sind neue Technologien und Energieeffizienz der Königsweg zu einer nachhaltigen Energieversorgung? Können Kohlekraftwerke der nächsten Generation klimaneutral arbeiten? Ist Photovoltaik der Heilige Gral der Stromerzeugung? Oft gibt es auf diese Fragen nur einseitige, interessengeleitete Antworten. Christian Synwoldt zeigt nun in seinem Buch Umdenken: Clevere Lösungen für die Energiezukunft, Hintergründe und Details, die in der Diskussion um eine nachhaltige Energieversorgung regelmäßig unter den Tisch fallen und stellt dabei bequeme Standpunkte in Frage.
Im Fokus: Ökologische, wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Folgen
In den Mittelpunkt stellt der Autor die ökologischen, wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Folgen des (unvermeidbaren) Umbaus der Energieerzeugung - und nicht etwa die (vermeintlichen) Vor- und Nachteile bestimmter Technologien. Synwoldt befasst sich neben den überaus erfolgreichen Errungenschaften auch mit den negativen Konsequenzen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und den Umtrieben an der Leipziger Strombörse. Ebenso geht er auf die oft verschwiegenen Probleme des Netzausbaus und die unaufrichtigen Argumente beim Kostenvergleich zwischen konventioneller und regenerativer Stromerzeugung ein. So hinterfragt er auch allseits bekannte Aussagen wie: Der Ausstieg aus der Kernenergie führt zu höheren Strompreisen
Synwoldt sprengt so manche Argumentationskette
In dem Kapitel Alter Wein in neuen Schläuchen fragt Christian Synwoldt nach den Möglichkeiten von New Oil und New Gas, von Kohlestrom und Kernkraft. In dem Kapitel Die Zukunft hat bereits begonnen stellt er dann die Energiewende ganz in den Mittelpunkt, um im Anschluss Aspekte der Wirtschaftlichkeit und Effizienz zu diskutieren. Das Buch Umdenken: Clevere Lösungen für die Energiezukunft stellt gewohnte Ansichten auf den Prüfstand und sprengt so manche Argumentationskette. Der Autor schildert und bewertet die gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Voraussetzungen einer gelingenden, echten Energiewende und gibt dem Leser schlagkräftige Argumente für die Energiediskussion an die Hand.
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Seitenzahl: 328
Inhalt
1 Houston, wir haben ein Problem
2 Die Erde – ein Füllhorn?
3 Alter Wein in neuen Schläuchen
3.1 Halten New Oil und New Gas das, was sie versprechen?
3.2 Sind Kernkraftwerke ein Ausweg aus dem Energiedilemma?
3.3 Wie klimaneutral sind Kernkraftwerke?
3.4 Netzausbau
4 Die Zukunft hat bereits begonnen
4.1 Das EEG und seine Folgen
4.2 Wie entbehrlich sind Kernkraftwerke?
4.3 EEG 2.0
4.4 Grüner Strom senkt die Strompreise
4.5 Die Kosten nicht vernachlässigen
4.6 Grid Parity
4.7 Speicher
4.8 Die Energiewende ist mehr als ein Atomausstieg
4.9 Eine 100%ige erneuerbare Versorgung ist machbar – technisch und wirtschaftlich
4.10 Ausgereift oder ausgereizt?
4.11 Emissionen
5 Aspekte der Wirtschaftlichkeit
5.1 Kein billiger Strom aus billigen Kraftwerken
5.2 Klimasünden und Umweltverschmutzung als Kredit auf die Zukunft
5.3 Importabhängigkeit
5.4 Versorgungssicherheit – aus einem anderen Blickwinkel
5.5 Strom aus Photovoltaik ist teuer, Kohlekraftwerke sind billig
5.6 Wirtschaftspolitik
5.7 Das Konjunkturprogramm des Jahrhunderts
5.8 Kostengünstiger Strom aus Sonne und Wind
5.9 Grenzen monetärer Bewertungssysteme
6 Effizienz
6.1 Energieeffizienz
6.2 Flächeneffizienz
6.3 Schadstoffeffizienz
6.4 Quo vadis?
Nachwort
Vorwort
Anhang: Kalkulation zur Flächeneffizienz
Literaturverzeichnis
Sachverzeichnis
Weitere Titel aus der Reihe »Erlebnis Wissenschaft«
Ganteför, G.
Alles NANO oder was?
Nanotechnologie für Neugierige
2013
ISBN: 978-3-527-32961-8
Schwedt, G.
Plastisch, elastisch, fantastisch
Ohne Kunststoffe geht es nicht
2013
ISBN: 978-3-527-33362-2
Krause, M.
Wo Menschen und Teilchen
aufeinanderstoßen
Begegnungen am CERN
2013
ISBN: 978-3-527-33398-1
Heering, A.
Jule und der Schrecken der Chemie
2013
ISBN: 978-3-527-33487-2
Böddeker, K.W.
Denkbar, machbar, wünschenswert?
Wie Technik und Kultur die Welt
verändern
2013
ISBN: 978-3-527-33471-1
Kricheldorf, H.R.
Menschen und ihre Materialien
Von der Steinzeit bis heute
2012
ISBN: 978-3-527-33082-9
Heuer, A.
Der perfekte Tipp
Statistik des Fußballspiels
2012
ISBN: 978-3-527-33103-1
Gross, M.
Von Geckos, Garn und Goldwasser
Die Nanowelt lässt grüßen
2012
ISBN: 978-3-527-33272-4
Lutzke, D.
Surfen in die digitale Zukunft
2012
ISBN: 978-3-527-32931-1
Bührke, T., Wengenmayr, R. (Hrsg.)
Erneuerbare Energie
Konzepte für die Energiewende
3. Auflage
2012
ISBN: 978-3-527-41108-5
Christian Synwoldt veröffentlichte auch folgende Bücher bei Wiley-VCH
Synwoldt, C.
Alles über Strom
So funktioniert Alltagselektronik
2011
ISBN: 978-3-527-32741-6
Synwoldt, C.
Mehr als Sonne, Wind und Wasser
Energie für eine neue Ära
2008
ISBN: 978-3-527-40829-0
Autor
Christian Synwoldt
Ing.-Büro Synwoldt
Im Wiesengrund 33
54426 Malborn
www.synwoldt.de
Bildnachweis
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Umschlaggestaltung Simone Benjamin
Print ISBN: 978-3-527-33392-9
ePDF ISBN: 978-3-527-66726-0
ePub ISBN: 978-3-527-66725-3
Mobi ISBN: 978-3-527-66724-6
Gedruckt auf säurefreiem Papier.
Christian Synwoldt studierte Elektrotechnik an der Technischen Universität Berlin. Zu seinen beruflichen Stationen zählen die Entwicklung elektronischer Präzisionsmessgeräte so wie Positionen in der Industrie und Beratung. Seit einer Reihe von Jahren ist er selbstständiger Berater und als Dozent im Bereich Regenerative Energien tätig. In seinen Sachbüchern erläutert er verständlich und unterhaltsam die Elektronik im Alltag und Fragen der Energieversorgung. Von Christian Synwoldt sind außerdem bei Wiley-VCH erschienen: »Mehr als Sonne, Wind und Wasser« sowie »Alles über Strom«.
Ist die Erde ein Raumschiff im All?
Es gibt zumindest einige Parallelen, auch wenn die schieren Dimensionen unseres Planeten wenig von der Enge eines bemannten Flugkörpers vermitteln. Dazu gehört die Notwendigkeit, mit den an Bord befindlichen Vorräten auszukommen: Den Nahrungsvorräten ebenso wie mit Wasser, Atemluft und – nicht zu vergessen – Brennstoff für eine Energieversorgung.
Diese Fragenkreise sind auf der Erde – auf natürliche Weise – in äußerst vorteilhafter Form gelöst. Pflanzen bauen Biomasse auf, die als Nahrung für andere Lebewesen dient und den Startpunkt von diversen Nahrungsketten bildet. Gleichzeitig entziehen die Pflanzen der Atmosphäre Kohlendioxid und sorgen für ein gewisses Maß an Sauerstoff in der Luft, das andere Lebewesen wiederum zum Atmen benötigen. Komplexe Ökosysteme mit einer kaum verstandenen Artenvielfalt halten eine Balance von Angebot und Nachfrage aller benötigten Stoffe. Das zugrunde liegende Konzept heißt Kreislauf anstelle von Verbrauch. Zum Aufrechterhalten dieser Kreisläufe reicht eine einzige Energiequelle: Die Sonne. Nur wenige Lebensformen kommen allein mit Wärme aus. Zumeist handelt es sich dabei um geothermale Wärme an Vulkanen in der Tiefsee, zu denen kein Sonnenlicht dringt.
Die Natur hat sich auf dem Raumschiff Erde häuslich eingerichtet, recycelt ihre Abfälle nahezu vollständig und ist damit – abgesehen von der Energielieferung durch die Sonne – prinzipiell beliebig lange in der Lage, sich zu reproduzieren. Für dieses einzigartige Szenario wurde der Begriff Nachhaltigkeit geprägt. Das Raumschiff Erde ist also ein Selbstversorger. Das ist in der Tat ein Unterschied zu bemannten Missionen zum Mond oder Raumstationen wie Saljut, Skylab, Mir und ISS im Orbit der Erde, die nur über eng begrenzte Vorräte verfügen und auf regelmäßige Nachlieferungen angewiesen sind. Interessanterweise entwickelten einige Science-Fiction-Autoren schon früh die Idee, Gewächshäuser für die Versorgung ihrer Raumschiffe vorzusehen.
Aber wie verhält es sich mit der Lebensweise und dem Wirtschaften von uns Menschen? Gelten auch hier die Maßstäbe der Nachhaltigkeit? Wie tief ist in unserem Lebensstil das Element des Recyclings verankert? Betrachtet man das industrielle Erschließen und Ausbeuten von Rohstoffen, so rückt das Bild vom Raumschiff wieder näher. Ein Vorrat, auch ein großer Vorrat, ist irgendwann einmal erschöpft – und bei fortschreitend intensiverer Ausbeutung wird dieser Zeitpunkt entsprechend früher erreicht.
Die Besatzung eines Raumschiffs muss ihre Vorräte so einteilen, dass sie bis zur Rückkehr reichen. In der Basisstation können dann neue Nahrungsmittel und Brennstoff für weitere Missionen im All geladen werden. Aber wie lange noch? – Das Raumschiff Erde hat keine Möglichkeit zum Nachtanken, zum Laden neuer Vorräte.1 Buchstäblich alles, was benötigt wird, muss aus Bordmitteln bestritten werden – oder ist auf regenerative Ressourcen, allen voran die Einstrahlung durch die Sonne, angewiesen.
Die Besatzung des Raumschiffs Erde wird sich mit diesem Gedanken anfreunden müssen. Je eher ein Umdenken beginnt, je eher das Handeln eine langfristige Perspektive einbezieht, desto weicher wird der Übergang zu nachhaltiger Lebensweise und nachhaltigem Wirtschaften gelingen.
Grund genug also – nach der Bestandsaufnahme in dem Band Mehr als Sonne, Wind und Wasser [1] – für eine eingehende Betrachtung bei der praktischen Umsetzung regenerativer Versorgungskonzepte.
Malborn, Mai 2013
Christian Synwoldt
1 Dies steht im deutlichen Widerspruch zur gelebten Realität: Laut dem WWF-Report Living Planet (2007) beträgt der weltweite Ressourcenverbrauch 150% dessen, was die Natur im selben Zeitraum bereitstellen kann – mit weiter zunehmender Tendenz des Bedarfs.
Was haben ein Raumschiff und die Erde gemeinsam? – Die Vorräte sind begrenzt.
Doch innerhalb der räumlichen Enge des Raumschiffs ist dieser Umstand von geradezu klaustrophobischer Präsenz: Buchstäblich alles, was für das Überleben und die Reise erforderlich ist, muss an Bord mitgeführt werden. Entsprechend weitreichend sind die Folgen, wenn wie im Fall von Apollo 13 ein Sauerstofftank explodiert und damit die wohlbemessenen Vorräte schneller als erwartet zur Neige gehen. Konkret betraf dies nicht nur die Versorgung mit Atemluft und Wasser für die Astronauten, sondern ebenso auch das Bereitstellen von Energie1 für die Steuerungssysteme und damit die Rückkehr zur Erde. Die nüchterne Mitteilung der Crew an das Kontrollzentrum Mission Control: »Houston, we’ve had a problem.«
Und dieses Ressourcen-Problem gilt in gleicher Weise auch für unser Leben auf der Erde. Nur das, was sich an Bord befindet, kann auch genutzt werden, kann unser Überleben sichern und unser Leben komfortabel gestalten. Angesichts der – gegenüber der kleinen Apollo-Kapsel und dem kaum größeren Servicemodul Odyssey – enormen Größe der Erde erscheint dieser Vergleich zunächst unerwartet oder sogar widersprüchlich. Sind die Kohleflöze erst einmal ausgeräumt, Erdgas und Erdöl gefördert, könnte selbst ein Fund auf dem Mars kaum weiterhelfen: Selbst bei raffiniertester Technik und astronomischen Preisen wäre der energetische Aufwand einen Transport zur Erde nicht wert. Zudem, so werden wir später noch sehen, ist nur ein kleiner Teil des großen Raumschiffs Erde für uns überhaupt erreichbar. Letztlich zählt allein die Tatsache, dass – unabhängig von der tatsächlichen Menge – die Vorräte an Bodenschätzen begrenzt sind, es bei einem auf Konsum basierenden Wirtschaften also zwangsläufig zu einem Erschöpfen der Lagerstätten kommen muss. Sichtbar wird dies heute schon am Beispiel der fossilen Energieträger Kohle, Erdgas und Erdöl, aber auch Uran, Kupfer und Phosphate – um nur einige zu nennen – sind davon betroffen.
Wir haben ein Ressourcenproblem.
Die Frage lautet also nicht, ob ein Erschöpfen von Rohstoffen eintritt, sondern wann der Zeitpunkt erreicht ist. Diesem Aspekt wird später noch besondere Aufmerksamkeit zuteil.
Dieses Ressourcen-Problem hat neben der zeitlichen Komponente – wie lange ist ein weiter so wie bislang noch möglich? – auch einen räumlichen Aspekt: Die ungleichmäßige Verteilung von Ressourcen wie Uran, Kohle, Erdöl und Erdgas, aber auch Phosphaten, Kupferund Eisenerz und anderen wichtigen Mineralien über den Erdball. Hieraus erwachsen zahlreiche wirtschaftliche Verflechtungen aber auch Abhängigkeiten. Ein schmerzhaftes Beispiel ist die Ölkrise von 1973, als in der Folge des Jom-Kippur-Kriegs die Organisation der Erdöl exportierenden Länder (Organization of Petroleum Exporting Countries, OPEC) die Ölförderung bewusst drosselte. Mit dem Ölembargo sollte Druck auf Länder ausgeübt werden, die Israel unterstützten. Der Ölpreis stieg infolge des Embargos auf ca. 5 US$ pro Barrel. Ausgehend von einem Preisniveau von 3 US$ pro Barrel entspricht das einem Anstieg von immerhin 70%, obwohl die weltweite Ölförderung der OPEC nur um 5% gesenkt worden war. Der weitere Anstieg des Ölpreises auf 12 US$ pro Barrel innerhalb des folgenden Jahres (1974) wirkte sich nachhaltig auf die wirtschaftliche Entwicklung der Industrienationen aus.
Beispielhaft lässt sich eine politische Abhängigkeit infolge der wirtschaftlichen Abhängigkeit feststellen.
Wir haben ein politisches Problem.
Mit anderen Worten, wir entfernen uns immer weiter von der naturwissenschaftlichen Sicht der Rohstoffmengen und Energieversorgung und betreten die sozialwissenschaftliche Sphäre!
Infolge der ungleichen Verteilung global benötigter Ressourcen existiert ein Handel mit Rohstoffen. Der Abnehmer, der Importeur, muss für den Kauf entsprechende monetäre Mittel oder Waren aufwenden, dem Import der Rohstoffe steht ein Export von Kapital gegenüber. Knapp 40 Jahre nach der Ölkrise ist Deutschland – wie viele andere Industrienationen auch – nahezu vollständig abhängig von Importen fossiler und nuklearer Energieträger. Importe, die 2009 mit 54 Mrd. € bezahlt werden mussten [2].
Vor dem Hintergrund steigender Nachfrage und sinkender Bestände signalisieren Märkte stets einen aufwärts weisenden Preistrend. Somit stellt sich die Frage, wie lange eine Wirtschaftsbranche, wie lange jeder Einzelne, aber auch wie lange eine Volkswirtschaft es sich leisten kann, in ihrem Verhalten zu beharren. Es ist naheliegend, dass gerade Schwache – Branchen, Individuen wie auch Volkswirtschaften – als Erste vor einem Problem stehen: Die Kosten für Energie, für Strom, Wärme und Brennstoffe werden vom Weltmarktniveau bestimmt. Wie weit aber können diese durch die Gewinnmarge, das persönliche Einkommen oder die Handelsbilanz aufgefangen werden?
Insbesondere in Ländern mit niedrigem Einkommen oder niedrig bewerteten Währungen sind die Belastungen für Energie und Brennstoffe schon heute der größte Posten im Haushaltsbudget. Auch in Deutschland sind gerade die Bezieher kleiner Einkommen als Bewohner von Wohnungen und Häusern mit einfachen Baustandards als Erste von stetig steigenden Brennstoffkosten betroffen – dem außenpolitischen Problem der Abhängigkeit folgt ein innenpolitisches Problem.
Wir haben ein soziales Problem.2
Mit einer gehörigen Portion Zynismus sei die Frage in den Raum gestellt, ob in einer solchen Situation die Sorge vor brennenden Barrikaden gerechtfertigt ist – oder ob brennbares Material nicht als viel zu wertvoll für Protestmaßnahmen erachtet werden würde.
Houston, wir haben mehr als ein Problem.
1 Der mitgeführte Sauerstoff wird in Brennstoffzellen für das Erzeugen von elektrischem Strom benötigt. Dabei entsteht Wasser, das als Trinkwasser für die Astronauten dient.
2 Die einleitenden Gedanken gehen auf eine Rede von Hermann Scheer (†), Träger des Alternativen Nobelpreises und Vorstand von Eurosolar e.V., zum 1. Mai 2010 zurück.
In verschiedenen Mythologien spielt das Paradies als Ort des seelischen Glücks, aber auch des materiellen Überflusses, eine zentrale Rolle. Interessanterweise wird das Paradies dabei weniger auf der Erde als im Himmel lokalisiert. Spielen also bereits antike Mythen darauf an, dass das Paradies überirdisch – das heißt jenseits der Erde – ist und auf der Erde gar kein solcher Platz existiert?
Ist das Füllhorn als Symbol für Reichtum, Fruchtbarkeit und Unerschöpflichkeit nur eine Wunschvorstellung? Bezeichnenderweise wird es im Logo der französischen Münzprägeanstalt verwendet. Ein schöner Traum: Geld ohne Ende. Kaum ein Mensch ließe sich zu der Annahme verleiten, dass dieser Traum in Erfüllung geht. Woher soll das Geld kommen? Interessanterweise werden andere, ähnlich irrationale Vorstellungen, nicht hinterfragt: Wie lange kann ein Markt wachsen, wie viel Öl kann gefördert werden – um nur zwei Beispiele zu nennen. Der Autor der bereits vor vier Jahrzehnten erschienen Studie Die Grenzen des Wachstums (Originaltitel: The Limits to Growth, Meadows, 1972) vertritt in einem Interview mit dem Österreichischen Magazin Format dazu eine kompromisslose Haltung [3]: »Es gibt einfach kein endloses physisches Wachstum auf einem endlichen Planeten. An einem bestimmten Punkt hört [sich] das Wachstum auf. Entweder wir selbst stoppen es, indem wir unser Verhalten ändern. Oder der Planet stoppt es.«
Noch drastischer fällt sein Resümee für eine auf fortwährendes Wachstum setzende, ja geradezu angewiesene Wirtschaftsweise aus: »Man kann unsere heutige Situation so vergleichen: Nehmen Sie an, Sie haben Krebs. Und dieser Krebs verursacht Fieber, Kopfweh und andere starke Schmerzen. Aber die sind nicht das wahre Problem, sondern der Krebs. Wir jedoch versuchen, die Symptome zu behandeln. Niemand glaubt, dass so Krebs besiegt wird. Auch Phänomene wie Klimawandel oder Hunger sind bloß die Symptome einer Erkrankung unserer Erde, die unweigerlich zum Ende des Wachstums führt.«
Die Erde ein Raumschiff? – Das muss sich erst noch herumsprechen! Zu lange hat das Verhalten der frühzeitlichen Jäger und Sammler funktioniert, und es bestimmt auch heute noch unsere maßgeblichen Verhaltensmuster: Es wird so lange an einem Ort verweilt, bis das Angebot an Wild und Früchten die Suche eines neuen Lagerplatzes mit besserem Nahrungsangebot erforderlich macht. Ist eine solche Stelle gefunden, meist nur einige Hundert Meter entfernt, wird sie notfalls auch mit Gewalt von anderen Gruppen erobert – oder gegen Konkurrenten verteidigt.
Ein Blick in die heutigen Tagesnachrichten macht deutlich: In den letzten 50.000 Jahren hat sich an der menschlichen Mentalität und Lebensweise wenig verändert. Dies betrifft auch wenig beachtete – jedoch keinesfalls weniger essenzielle – Bereiche wie den Erdboden. Rohstoffvorkommen werden ausgebeutet und dabei bedenkenlos ganze Landstriche für unabsehbare Zeiträume verwüstet. Der gerne als sauber dargestellten Nutzung der Kernenergie stehen anderorts radioaktiv kontaminierte Abraumhalden und chemisch aggressive und hoch jpgtige Abwasserseen gegenüber. Gerade so, als wenn wir in unserem Raumschiff bedenkenlos an Wänden und Triebwerken manipulieren könnten.
Kein Problem, ist ein Flecken Erde erst einmal unbewohnbar – nicht etwa zufällig durch natürliche Ereignisse, sondern ursächlich durch anthropogenen Einfluss –, suchen wir einen neuen Lagerplatz. Der Platz ist schon von einer anderen Gruppe besetzt, gehört einem anderen Volk? Auch kein Problem: Kommt es zu keinem friedlichen Handel, werden Waffen über die neuen Besitzrechte entscheiden. Ist das eine hinreichende Ausgangsbasis für die nächsten 10, 1.000 oder 10.000 Jahre?
Dabei gibt es gleich mehrere Aspekte, die dazu führen können, dass die Menschheit sich ganz unversehens selbst abschafft. Eine entscheidende Komponente ist die Endlichkeit. Die Endlichkeit von Rohstoffen und Nahrungsmitteln, aber auch ganz profan die Endlichkeit von Fläche: Fläche zum Wohnen, für Industrien und Landwirtschaft, für Verkehrswege, Freizeitgestaltung und Erholung, Fläche für natürliche Lebensräume. Ein zweiter wichtiger Punkt ist das Wachstum: Das Bevölkerungswachstum, das Wachstum von Märkten, die Zunahme der Fahrzeuge im Straßenverkehr. Wie wir später an einfachen Beispielen noch untersuchen werden, ist unbegrenztes Wachstum weder technisch möglich noch zweckmäßig. Kein biologisches System erlaubt ungebremstes Wachstum.
Doch betrachten wir noch einmal die Situation früher hominider Populationen. Die geringe Kopfzahl der seinerzeitigen Weltbevölkerung insgesamt, wie auch der einzelnen Gruppen von Sammlern und Jägern, ließ hinreichend Spielraum für eine Vorgehensweise, die mit einer geradezu explosionsartig wachsenden Weltbevölkerung unausweichlich zum Scheitern verurteilt ist. Die Auswirkungen resultieren aus der Kopfzahl von Mitte 2012 bereits 7 Mrd. Einwohnern [4] ebenso, wie aus der Anwendung moderner Technologien. Die wenigen frühzeitlichen Menschen – auch vor 10.000 Jahren noch kaum 10 Mio. Köpfe weltweit – und ihre begrenzten technischen Methoden konnten keine größeren Eingriffe in die Natur leisten. Das Jagen einer Tierart bis zur Ausrottung? Das Überfischen ganzer Meere? Das Abholzen ganzer Regionen? Dies und mehr blieb späteren Generationen mit weiter entwickelten Techniken vorbehalten.
Die Neolithische Revolution, eine der wichtigsten zivilisatorischen Entwicklungen, die den Übergang zur Sesshaftigkeit, den Schritt von Jägern und Sammlern zu frühsteinzeitlichen Bauern und Viehzüchtern, markiert, brachte nicht nur mehr Komfort und eine höhere Überlebenschance, sondern auch Elemente moderner Umweltprobleme mit sich. Beispielhaft sei an dieser Stelle die Erosion der Böden betrachtet. Solange eine geschlossene Vegetationsdecke das Erdreich bedeckt, sorgen Wurzeln für Halt und verhindern das Ausschwemmen des Bodens. Wird der Boden für den Anbau von Feldfrüchten umgebrochen, geht diese Halt gebende Schicht verloren. Der Boden wird mit der Zeit vom Regen ausgewaschen oder bei Trockenheit durch Wind fortgeweht. Mit zunehmender Verkarstung wird er für den landwirtschaftlichen Anbau unbrauchbar. Die natürliche Bildung neuer Bodenschichten vollzieht sich in sehr viel größeren Zeiträumen – so ist bereits nach einigen Jahrhunderten der nackte Fels erreicht [5]. Der steinzeitliche Bauer verfügte zudem nur begrenzt – falls überhaupt – über Dünger, zumeist Viehmist. War die oft nur wenige Zentimeter starke humose Schicht Opfer der Erosion geworden, brachte der nun unfruchtbare Boden keine Erträge mehr. Für den sesshaften Bauern eine Katastrophe, da ein Weiterziehen wie zu Zeiten der Jäger und Sammler mit wesentlich höherem Aufwand und Risiken verbunden war.
Interessanterweise wird die mit zunehmender Erosion einhergehende Unfruchtbarkeit der Böden auch mit dem Verschwinden von Hochkulturen in Zusammenhang gebracht. Damit wäre eine plausible Ursache für das Aufgeben über lange Zeiträume attraktiver Siedlungsräume gegeben [5]. Zudem lässt sich daraus eine wichtige Bedingung für die heutige Landwirtschaft ableiten: Nur wenn es gelingt, den Abtrag der für den Anbau bestimmten Böden so weit wie möglich zu reduzieren, existiert eine Grundlage, die über wenige Generationen hinaus reicht. Ansätze dazu gibt es. Besonders spannend ist dabei anzumerken, dass ausgerechnet die allerersten Bauern in der Jungsteinzeit sie erfunden haben. Bei der Direktsaat werden die Samen in kleine Löcher im Boden gedrückt. Die Vegetationsschicht wird nicht zerstört. Für die Steinzeitbauern reichte dafür nur ein Stock. Heute werden weltweit eine Größenordnung von 7% der landwirtschaftlichen Flächen nach diesem Verfahren bearbeitet – auch in Industrieländern. Dabei verringert sich nicht nur die Erosion um 70–100%, sondern auch der Aufwand: Gegenüber der konventionellen Bewirtschaftung sind nur halb so viele Bearbeitungsschritte erforderlich.
Hinzu kommt ein weiteres Problem, das so alt ist wie die Landwirtschaft selbst. Bereits vor 5.000 Jahren wurde die Bewässerung von Kulturland zur Steigerung der Ernteerträge genutzt. Auch heute liefern jene 20% der weltweiten landwirtschaftlichen Anbauflächen, die bewässert werden, 40% der Erträge [6]. Damals wie heute sind vor allem sonnenreiche, aride Gebiete betroffen. Denn durch die Kapillarwirkung des nach und nach wieder verdunstenden Wassers werden Mineralstoffe an die Bodenoberfläche befördert. In der Folge versalzen die Böden und werden unfruchtbar. Vor allem die stetige Versalzung, aber auch der Anbau von Monokulturen und der Einsatz von Pestiziden degradieren die Böden bis hin zur Wüstenbildung (Desertifikation). Weltweit sind heute ein Drittel der Anbauflächen von Versalzung betroffen (Abb. 1) [6].
Die Versalzung und Wüstenbildung ist vor allem in den USA und im Mittleren Osten weit fortgeschritten. Ein Viertel der Anbauflächen in den USA gelten als betroffen, in Pakistan, Syrien und Ägypten rund ein Drittel, im Irak sogar rund die Hälfte. Einhergehend mit der Bewirtschaftung des Schwemmlands zwischen Euphrat und Tigris waren in Mesopotamien bereits vor viertausend Jahren die Folgen der Bewässerungsfeldwirtschaft spürbar: das Reich der Sumerer verfiel aufgrund der zunehmenden Versalzung und Unfruchtbarkeit der Böden [7]. Eine Rekultivierung wäre prinzipiell möglich, scheitert meist jedoch an den Umständen. Durch starke Wässerung und Dränage kann das Salz ausgewaschen werden, wenn gleichzeitig eine Dränage die Verdunstung gering hält. Die Degradation der Böden und Tendenz zur Wüstenbildung ist hierdurch jedoch nicht aufzuhalten, da infolge der Versalzung und dem Auswaschen wichtiger Mineralstoffe die Bodenfauna nachhaltig gestört ist.
Abbildung 1: Gefahr der Wüstenbildung. Quelle: wiki commons, gemeinfrei
Ein Mittel, es gar nicht erst zum Austrag von Mineralstoffen und zur Versalzung kommen zu lassen, ist die Tröpfchenbewässerung. Aufgrund der geringen Verdunstung wird ein Bewässerungswirkungsgrad von 80–95% erreicht [8]. Weltweit resultiert heute rund 70% des Wasserbedarfs aus landwirtschaftlichem Anbau. Werden die Wassertröpfchen nicht an der Oberfläche versprüht, sondern direkt im Wurzelbereich eingebracht, ergibt sich gegenüber konventioneller Beregnung ein Einsparpotenzial von 30–50% [8].
Aber es gibt auch ein Gegenbeispiel für eine besonders intelligente und nachhaltige Form der Bodennutzung. Bereits seit Langem wurde in der Fachwelt gerätselt, ob die Angaben über große Städte in Mittelund Südamerika korrekt sein konnten. Die europäischen Konquistadoren interessierten sich jedoch augenscheinlich mehr für Gold- und Silberschätze, sodass eine erstaunliche Technologie in Vergessenheit geriet.
Bedingt durch die über Jahrmillionen währenden hohen Niederschlagsmengen sind die Böden der tropischen Regenwälder äußerst nährstoffarm: Die Mineralstoffe wurden nach und nach ausgewaschen. Bemerkenswerterweise gelten Sandstürme, die Staub und daran haftende Mineralien aus der Sahara austragen1, als die wichtigste Ressource zur Düngung des Amazonasregenwalds und weiter Bereiche Mittelamerikas [10]. Vor diesem Hintergrund erscheint die Versorgung großer Städte im 15. Jahrhundert mit Lebensmitteln zunächst fraglich.
Durch die Funde und Analyse von schwarzen Böden (portugiesisch: terra preta; nicht zu verwechseln mit Schwarzerde) im Amazonasgebiet und Afrika lässt sich jedoch nachweisen, dass indigene Völker bereits vor mehr als zweitausend Jahren über die Fertigkeit verfügten, aus organischen Abfällen, Asche und Holzkohleresten mittels Milchsäuregärung humöse Böden zu erzeugen. Die Ausdehnung der Flächen und Stärke der Schichten lassen darauf schließen, dass der Prozess der Bodenentstehung sowohl große Populationen erforderte wie auch lange Zeiträume in Anspruch nahm. Eine Schlüsselkomponente nehmen die Holzkohlereste aus der Asche ein. Sie werden einerseits nur sehr langsam abgebaut und stellen aufgrund ihrer porösen Oberfläche einen idealen Lebensraum für Mikroorganismen dar. Mithilfe dieser Mikroorganismen gelingt es schließlich den Pflanzen, Nährstoffe aus dem Boden besser zu erschließen.
Terra preta liefert damit gleich mehrere Ansätze für technische Lösungen zu akuten Problemen: die langfristige Bindung von Kohlenstoff im Boden, der dadurch nachhaltig aufgewertet und fruchtbarer wird. In der Konsequenz wird so gleichzeitig Klimaveränderung und Bodendegradation entgegengewirkt.
An vielen Punkten ist das Raumschiff Erde schon heute derart dicht besiedelt, dass eine deutliche Konkurrenz bei der Flächennutzung existiert. Boden erweist sich damit gleich in vielfacher Hinsicht als begrenzte Ressource. Eine Mehrfachnutzung, um den Erfordernissen von landwirtschaftlichem Anbau, Siedlungen, Gewerbe, Verkehrswegen, Erholung und natürlichen Lebensräumen gerecht zu werden, lässt sich nur selten verwirklichen. Um zusammenhängende Kultur- und Naturlandschaften zu erhalten, ist der Zersiedlung des Außenbereichs durch immer neue Wohn- und Gewerbegebiete entgegenzusteuern und eine Belebung von Siedlungskernen sowie die Konversion von Industriebrachen unbedingt vorzuziehen. Das Gleiche gilt für das vorsichtige Evaluieren von Trassen bei Verkehrs- und Infrastrukturprojekten.
Doch nicht nur die oberen Bodenschichten sind begehrt. Auch unter der Oberfläche verbergen sich wertvolle Bodenschätze, deren Ausbeutung ebenfalls zum Flächenverbrauch beiträgt. Anlagen zur Förderung und Aufbereitung der Bodenschätze, aber auch für den Abtransport – vor allem von Abraummaterial –, zeichnen dafür verantwortlich.
Bei einer Reihe von Bodenschätzen ist bereits heute absehbar, dass die unter Tage liegenden Reserven in absehbarer Zeit abgebaut sein werden.2 Dazu zählen Kupfer für elektrische Kabel und Leitungen, Indium (6 Jahre [11]) für Solarzellen und Displays, sowie Tantal (25 Jahre [11]) für elektronische Bauelemente. Auch Phosphate als Basis für die Düngemittelproduktion gehören zu den begehrten Mineralen. Viele Vorkommen sind wegen hoher Schwermetallbelastungen für eine landwirtschaftliche Nutzung nicht geeignet. Daher wird von Reichweiten ähnlich wie beim Erdöl ausgegangen. Auch gibt der Begriff Spurenelemente bei Antimon und Tellur – beide werden unter anderem für elektronische Komponenten und Solarzellen benötigt – bereits einen deutlichen Hinweis auf die Endlichkeit der Vorkommen.
Die Vorräte an fossilen Energieträgern wie Kohle, Öl und Erdgas, sowie in gleicher Weise auch Uran, sind begrenzt und reichen nach derzeitigem Kenntnisstand nur noch für wenige Jahrzehnte. Die Zahlen, insbesondere für Kohle, schwanken zum Teil deutlich. Den wichtigsten Hintergrund bildet gleich zwei Mal der Bedarf: Eine Rechnung mit statischem Energiebedarf ist angesichts der rasant wachsenden Weltbevölkerung und der dynamischen wirtschaftlichen Entwicklung bevölkerungsreicher Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien wenig realistisch. Dies betrifft die Reichweitenhorizonte aller Energierohstoffe. Insbesondere in einer Post-Öl-Ära würde Kohle dann als Ausgangsmaterial für die industrielle Herstellung von Kohlenwasserstoffen und damit als Basis für Kraftstoffe, Kunststoffe und die Pharmazie dienen – mithin sich der Bedarf an Kohle noch weiter erhöhen und die verschiedentlich angegebenen statischen Reichweiten als wenig realistisch erweisen.
Auf die lokale Häufung von Vorkommen – namentlich auch Erdölquellen – in wenigen Weltregionen soll noch an späterer Stelle zurückgekommen werden. Eine analoge Situation findet sich jedoch auch bei etlichen anderen Bodenschätzen. Beispielsweise herrscht bei vielen Seltenerdmetallen – darunter Cer, Neodym, Samarium – eine marktbeherrschende Stellung durch China, das den Markt zu 95% kontrolliert und mit Exportbeschränkungen Wirtschaftspolitik betreibt. Insbesondere China und die USA versuchen seit geraumer Zeit, sich strategisch den Zugang zu Rohstoffmärkten zu erschließen bzw. diese zu kontrollieren. Kaum eine Industrie, kaum ein Hightech-Produkt, kann ohne diese Metalle oder Minerale auskommen. Mit Hinweis auf die Einleitung: Wir haben ein politisches Problem.
Am Beispiel der Seltenerdmetalle soll noch ein weiteres Problemfeld aufgezeigt werden: Die Umweltbelastung. Da gerade diese Mineralien nur in sehr geringen Konzentrationen vorkommen, werden sie häufig mit Säuren aus dem Gestein gewaschen. Hierbei entstehen große Mengen hoch giftiger Abwässer, die nur in Ausnahmefällen einer sorgfältigen Behandlung unterzogen werden. Offene Deponien oder die unmittelbare Einleitung in den Boden oder Flüsse sind dagegen die Regel. Nicht nur in China.
Obwohl das Raumschiff Erde mit einem kugelförmigen Vorratsraum von zwölftausend Kilometern Durchmesser über enorme Dimensionen verfügt, ist doch nur ein schmales Band entlang der Oberfläche für uns erreichbar. Es umfasst nur einige wenige Kilometer in die Erdkruste und ebenso in der Atmosphäre. Die bislang tiefste Bohrung für geologische Erkundungen reicht gerade einmal zwölf Kilometer in die Tiefe. Hier herrschen Temperaturen von über zweihundert Grad und Druckverhältnisse von mehr als dreitausend Bar.3 – Diese Bedingungen stellen höchste Ansprüche an technisches Gerät, für Menschen ist ein direktes Arbeiten vor Ort ohne massive Schutzausrüstungen nicht möglich. Analoges gilt für den Bereich oberhalb der Erdoberfläche. Bereits in dreitausend Metern Höhe benötigen Flugzeuge einen Druckausgleich für die Kabine, um Atemluft bereit zu stellen; selbst die Flughöhe militärischer Flugzeuge übersteigt nur in Ausnahmefällen fünfzehntausend Meter. Hier herrschen nur noch wenige Zehntel des Atmosphärendrucks und Temperaturen um minus fünfzig Grad.
Und noch eines wird deutlich: Ein Anstieg des Meeresspiegels hat nicht nur bedrohliche Konsequenzen für Südsee-Eilande und Ferienparadiese auf Korallenatollen, die lediglich wenige Meter über den heutigen Meeresspiegel ragen. Auch die friesischen Inseln entlang der deutschen Nordseeküste wären betroffen. Teile der Niederlande (nomen est omen) liegen sogar unter dem Meeresspiegel und lassen sich nur durch aufwendige Deichsysteme dem Meer abtrotzen. Ein Steigen des Meeresspiegels ist hier regelmäßig mit der Gefahr verbunden, dass die Deichanlagen nur zeitlich begrenzten Schutz liefern – entweder sind entlang der gesamten Küstenlinie, d. h. gegebenenfalls auch in den Nachbarländern, weitere bauliche Maßnahmen zu ergreifen, oder weite Teile des Landes drohen unbewohnbar zu werden. Bereits eine einmalige Überflutung mit Meerwasser hat die Versalzung der Böden zur Folge und macht sie für landwirtschaftlichen Anbau unfruchtbar. Selbst für ein so hoch entwickeltes und prosperierendes Land wie die Niederlande mit einer Einwohnerdichte vergleichbar der Nordrhein-Westfalens hätte dies unabsehbare Konsequenzen.
Bereits ein oberflächlicher Blick in Atlanten macht deutlich, dass nahezu alle großen Ballungszentren entlang von Wasserläufen und vor allem an Küsten liegen. Bei einem Anstieg des Meeresspiegels um 30–50 m würden Berlin, Hannover, Osnabrück und Köln zu Küstenstädten, die norddeutschen Bundesländer wären nahezu komplett überflutet. Hamburg und London versänken buchstäblich im Wasser, auch für New York und Tokio, Mumbai (Bombay) und Sydney sowie zahllose andere Metropolen würde es das Ende der Existenz bedeuten – Klimaschutz ist praktizierte Wirtschaftspolitik.
1 Laut Angaben der Welternährungsorganisation FAO verwehen jährlich 24 Mrd. t Erde [9].
2 Vielfach werden die Begriff Reichweite oder Lebensdauer als statische Werte verstanden und setzen eine Fortschreibung heutiger Fördermengen in Bezug auf bekannte Rohstoffpotenziale voraus. Beide Größen unterliegen jedoch aus technischen und wirtschaftlichen Erwägungen einer hohen Dynamik. Dazu zählt der steigende Bedarf an Rohstoffen ebenso, wie das durch technischen Fortschritt mögliche Erschließen neuer Lagerstätten oder aber rückläufige Fördermengen auf Grund zunehmender Erschöpfung einer Lagerstätte.
3 In Tiefseegräben vergleichbarer Tiefe (Mariannengraben, 11 km) beträgt der Umgebungsdruck rund 1000 bar – das Eintausendfache des Atmosphärendrucks an der Erdoberfläche.
Verlassen wir die Sphäre des Raumschiffs und begeben uns zu den Verhältnissen der irdischen Energieversorgung. Wie Tabelle 1 aufzeigt, wird der weltweite Energiebedarf für Stromerzeugung, Wärme und Verkehr zum größten Teil mit fossilen Energieträgern gedeckt. Sie dominieren mit zusammen 90% das Geschehen.
Energiequelle
Erdöl
168,6 EJ
34 %
Erdgas
119,7 EJ
24 %
Kohle
148,9 EJ
30 %
Kernenergie
26,2 EJ
5 %
Wasserkraft
32,5 EJ
6 %
Photovoltaik, Wind, Geothermie
6,6 EJ
1 %
Summe
502,5 EJ
Zahlen: [12]
Kohle, Öl und Erdgas sind unangefochten die Spitzenreiter bei der Bereitstellung von Elektrizität (67,1%, Zahlen für 2009) und auch Wärme [13]. Im Transportsektor wird der weit überwiegende Teil aller Leistungen mit Verbrennungsmotoren auf Erdölbasis erbracht. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur IEA sind weltweit 62% des Ölbedarfs allein auf den Transportsektor zurückzuführen (Zahlen für 2009) [13].
Themen der Rohstoffgewinnung, speziell der Gewinnung von Energierohstoffen, spielen in der Energieversorgung einstweilen eine essenzielle Rolle. Andererseits ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass es sich um fossile Energieträger handelt, die Endlichkeit eben jener Rohstoffe. Bedingt durch die wirtschaftliche Entwicklung von Schwellenländern wie Brasilien, Indien und China, aber auch durch die kaum gebremste Zunahme der Weltbevölkerung, muss in den kommenden Jahrzehnten mit einer weiterhin steigenden Tendenz des Energiebedarfs gerechnet werden.
Mit zunehmender Erschöpfung bekannter Lagerstätten ergeben sich zunächst drei Konsequenzen:
Die Fördermengen können kaum noch gesteigert werden.
Die steigende Nachfrage führt zu höheren Weltmarktpreisen für Energierohstoffe.
Der technische Aufwand für die Förderung der verbleibenden Rohstoffpotenziale nimmt zu.
Bedingt durch die Möglichkeit, höhere Verkaufserlöse erzielen zu können, rücken damit auch bislang als wenig attraktiv geltende Vorkommen in den Fokus. Solange eine technische Lösung bekannt ist oder in erreichbarer Nähe steht, vergrößert sich das Potenzial der abbaubaren Vorkommen – an sich eine gute Nachricht.
Wie im Folgenden aufgezeigt wird, dürfen jedoch neben dem Komplex des technisch-wirtschaftlich Machbaren die direkten ökologischen und sozialen Auswirkungen, insbesondere aber die daraus resultierenden Langzeitfolgen, nicht außer Betracht gelassen werden. Zudem, auch dieser Umstand liegt keineswegs in futuristischer Ferne, ist nicht allein dem wirtschaftlichen – genauer: monetären – Aufwand Aufmerksamkeit zu schenken, sondern auch der energetische Aufwand ist im Blick zu behalten. Ansonsten kann sehr wohl der Fall eintreten, dass zur Förderung und Aufbereitung eines Energierohstoffs mehr Energie aufgewendet wird, als dieser später zur Nutzung bereitstellt. Diesem Aspekt ist mit Grenzen monetärer Bewertungssysteme ein eigener Abschnitt (5.9) gewidmet.
Wenn vermeintlich neue Lösungen im Kontext der Energieversorgung vorgestellt werden, treten immer wieder auch alte Bekannte ins Rampenlicht. Wohl klingende Neuetikettierungen können sich der öffentlichen Aufmerksamkeit sicher sein. Eine medial überflutete und inhaltlich nur selten wohl informierte Mehrheit bleibt in ihrer Verunsicherung steuerbar. Auch die politische Willensbildung ist dem Spannungsfeld von einflussreichen Lobbygruppen und zuweilen nur scheinbar unabhängigen Gutachtern ausgesetzt.
Wer möchte sich den guten Nachrichten von neuem Öl (New Oil) und sauberer Kohle(Clean Coal) verschließen? Wenn selbst die renommierte Harvard-Universität von einem beispiellosen Anstieg der Ölproduktion (»The unprecedented upsurge of oil production capacity and what it means for the world«) aufgrund der Erschließung von Schiefergaslagerstätten zu berichten weiß, scheint es doch Auswege aus dem Energiedilemma zu geben. Doch wie weit ist diesen Wendungen Vertrauen zu schenken? Einen ersten Hinweis mag die Danksagung an den Sponsor der Studie geben ... [14].
Schließlich wird die Kernenergie gar als emissionsfreie Technologie zur Stromerzeugung in Szene gesetzt – nur so ließen sich die Klimaschutzziele erreichen [15]. In den folgenden Kapiteln wird über Hintergründe und Details zu diesem und den vorstehenden Themen zu lesen sein.
Der Phantasie sind bekanntlich keine Grenzen gesetzt, und so beschäftigen sich inzwischen weltweit Marketingstrategen und -agenturen mit dem Greenwashing, um auch weniger umweltfreundlichen oder energieeffizienten Produkten und Dienstleistungen einen grünen Anstrich zu verpassen. Jüngster Coup in Deutschland: Die Einführung eines Energielabels für PKWs im Dezember 2011. Anders als beispielsweise bei Haushaltsgeräten, bei denen Verbraucher anhand einer übersichtlichen Skala den späteren Energiebedarf ablesen können, werden bei PKWs keine absoluten Emissionen als Bewertungskriterium herangezogen. Hier werden stattdessen anhand einer relativen Skala die auf die Fahrzeugmasse bezogenen CO2-Emissionen bewertet. Große, schwere Fahrzeuge schneiden dadurch trotz höherem Kraftstoffbedarf und Emissionsniveau besser ab als Kleinwagen. Auch auf diese Weise lässt sich eine an sich gute Idee konterkarieren.
In Anbetracht sich erschöpfender Reservoire und steigender Weltmarktpreise eröffnen sich wohlklingende Szenarien wie New Oil oder New Gas, die den Eindruck vermitteln, dass – wenn auch auf höherem Kostenniveau – eine Förderung aus bislang unrentablen Lagerstätten machbar ist. Technisch mag dies tatsächlich gelten, die langfristige Perspektive ist jedoch mehr als fraglich.
Konkret handelt es sich dabei vor allem um Ölsande und Ölschiefer. In ihnen sind in einer Größenordnung von 1–15% bitumen- und teerartige Stoffe enthalten. Weiterhin gibt es Schiefer- und Sandsteinformationen, die flüchtige Substanzen ähnlich Erdgas (tight gas) enthalten. Dazu werden Verfahren wie der Abtrag von Ölsanden im Tagebau und Auswaschen des Öl- und Bitumenanteils mit Chemikalien und Dampf genutzt. Ist die Deckschicht zu mächtig, werden Bohrungen abgeteuft. Durch sie werden Dampf, Wasser und Chemikalien, bei Gasvorkommen auch Sand, unter hohem Druck in das Gestein injiziert. Meist wird durch eine zweite Bohrung das aus dem Gestein oder Erdreich ausgewaschene Gemisch aus Wasser, Chemikalien und verschiedenen öl- beziehungsweise erdgashaltigen Substanzen zutage gefördert.
Im Gegensatz zu konventionellen Gas- und Ölverkommen, bei denen generell ein hohes Explorationsrisiko besteht, sind Ölsandvorkommen und Ölschieferlagerstätten vergleichsweise gut kartografisch erfasst. Das wirtschaftliche Wagnis ist daher ungleich geringer – auch wenn große Investitionssummen für die Anlagen erforderlich sind. Solange der Weltmarktpreis für Erdöl auf einem Niveau um 70 US$ liegt, lassen sich die Vorkommen hoch profitabel ausbeuten – wie profitabel, das beschreibt beispielsweise Royal Dutch Shell im Jahresbericht 2006 und beziffert eine Gewinnspanne von 21,75 US$ pro Barrel Öl aus Ölsand [16].
Im Ölsand werden rund zwei Drittel der weltweiten Ölressourcen vermutet. Die größten Vorkommen für Ölsande befinden sich in Venezuela im Orinoko-Gebiet und in Kanada in der Athabasca-Senke (Abb. 2). Weitere nennenswerte Lagerstätten liegen in den USA (Utah) und in Saudi-Arabien. Kanada verfügt durch die Einstufung der Ölsandvorkommen als alternativeÖlreserven über die zweitgrößten Ölreserven weltweit – nach Saudi-Arabien und noch vor dem Irak. Dies ist ein bemerkenswerter Umstand, denn damit wäre die über Jahrzehnte währende Dominanz des Mittleren Ostens, namentlich der Arabischen Halbinsel, als weltweit wichtigste Ölförderregion beendet. Bislang werden hauptsächlich in Kanada Ölsande abgebaut. Venezuela verzichtet im Gegenzug für wirtschaftliche Unterstützung auf die Förderung.
Noch deutlicher wird die Verschiebung des räumlichen Förderschwerpunktes bei Ölschiefervorkommen, die sich global weit verteilt, u. a. auch in Norddeutschland, finden (Abb. 3). Durch die Ausbeutung ausgedehnter Ölschiefervorkommen und das dort eingeschlossene Erdgas sehen gerade die USA einen Ausweg aus der Abhängigkeit von Öllieferungen aus dem Ausland. Erdgas lässt sich in vielen Einsatzbereichen als Ersatz für Erdöl nutzen. Dazu zählen Heizungen, Fahrzeugmotoren und die chemische Industrie.
Die Ölsandvorkommen in der Athabaska-Senke in Kanada gelten als eine der wichtigsten neuen Ressourcen. Dazu wird auf einer Fläche von der Größenordnung Deutschlands im Tagebau Sand gewonnen. In der Folge müssen die einstigen Wälder einer Mondlandschaft weichen. Doch der Bitumengehalt des Aushubs liegt nur in der Größenordnung von ca. 5%. Kaum vorstellbare Mengen an Bodenaushub sind zu bewältigen. Entsprechend hoch ist der Energieaufwand für den Transport und die Trennung von Sand und Teeröl sowie die weitere Verarbeitung zu Kraft- und Brennstoffen.
Abbildung 2: Ölsandvorkommen. Quelle: [17]
Abbildung 3: Ölschiefervorkommen.Quelle: [17]
Abbildung 4: Energiefluss für Ölsandabbau im Tagebau. Zahlenangaben: [18], S. 26
Aus den in Abbildung 4 dargestellten Zahlen ergibt sich ein Energieaufwand von 24,3% bezogen auf die Endprodukte. Mit anderen Worten, um 4 l synthetisches Rohöl bereitzustellen, wird 1 l Öl benötigt. Hinzu kommen noch der Transport zur Raffinerie, das Produzieren von Benzin, Diesel oder Heizöl und ein erneuter Transport zur Tankstelle oder dem Endabnehmer. Für konventionelles Erdöl wird mit einem typischen Energieaufwand von 13%– für die komplette Kette bis zum Endverbraucher – gerechnet.