Umgang mit psychisch kranken Menschen aus der Perspektive der Gefahrenabwehrbehörden - Oliver Schönstedt - E-Book

Umgang mit psychisch kranken Menschen aus der Perspektive der Gefahrenabwehrbehörden E-Book

Oliver Schönstedt

3,0

Beschreibung

Das optimale Fachbuch für die neue Rechtslage 2015 wurde das Unterbringungsgesetz Baden-Württemberg (UBG BW) durch das Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (PsychKHG BW) abgelöst bzw. ergänzt. Die Erfahrungen zeigen, dass nach wie vor größere Unsicherheiten im Umgang mit der Rechtsmaterie bestehen, und das nicht nur bei der Polizei. Dies führt leider zu unnötig komplizierten Verfahren sowie zu unnötigen Belastungen aller Beteiligten. Das Fachbuch behandelt alle relevanten gefahrenabwehrrechtlichen Gegebenheiten im Umgang mit psychisch kranken Menschen. Es richtet sich in erster Linie an Bedienstete im Polizeivollzugsdienst, bei den Ortspolizei- bzw. Unterbringungsbehörden bzw. den anerkannten Einrichtungen. Richtiger Umgang mit psychisch kranken Menschen Aus dem Inhalt: • Allgemeine Verhaltensempfehlungen im Umgang mit psychisch kranken Menschen • Eine Definition des psychisch kranken Menschen • Die Möglichkeiten der Unterbringungsbehörde im Rahmen des ordentlichen Unterbringungsverfahrens • Die Möglichkeiten der anerkannten Einrichtung (Psychiatrie) im Rahmen des außerordentlichen Unterbringungsverfahrens • Die Möglichkeiten der Polizei (OPB/PVD) • Die Bedeutung der ärztlichen "Einweisung" • Handlungsverpflichtungen Der Anhang beinhaltet zahlreiche relevante Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften, z.T. in Auszügen. Bundesweit anwendbar Die Darstellungen spiegeln die Gesetzeslage in Baden-Württemberg wider. Die angesprochenen Problemstellungen und damit einhergehende Unsicherheiten sind aber oft auf andere Ländergefahrenabwehrgesetze übertragbar.

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Umgang mit psychisch kranken Menschen

aus der Perspektive der Gefahrenabwehrbehörden unter besonderer Berücksichtigung des Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes und des Polizeigesetzes

Oliver Schönstedt

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek | Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Print ISBN 978-3-415-05771-5 E-ISBN 978-3-415-05773-9

© 2016 Richard Boorberg Verlag

E-Book-Umsetzung: Datagroup int. SRL, Timisoara

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Titelfoto: © RBV NataV – Fotolia

Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG | Scharrstraße 2 | 70563 Stuttgart Stuttgart | München | Hannover | Berlin | Weimar | Dresdenwww.boorberg.de

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einführung

2. Welche allgemeinen Verhaltensempfehlungen im Umgang mit psychisch kranken Menschen gibt es?

3. Welche Personengruppe ist eigentlich angesprochen? Eine Definition des psychisch kranken Menschen

4. Welche Gesetzesnormen werden im Kontext der Unterbringung von psychisch kranken Menschen immer wieder genannt?

5. Die Möglichkeiten der Unterbringungsbehörde im Rahmen des ordentlichen Unterbringungsverfahrens

5.1 Tatbestandsvoraussetzungen

5.2 Das „ganz normale“ ordentliche Unterbringungsverfahren

5.2.1 Die ärztliche Untersuchung durch das Gesundheitsamt im normalen Unterbringungsverfahren

5.2.2 Was ist ggfs. bei der Vollstreckung zur ärztlichen Untersuchung zu beachten?

5.2.3 Darf der Arzt des Gesundheitsamtes unmittelbar nach der ärztlichen Untersuchung eine Person „einweisen“?

5.3 Welche zeitnahe bzw. erfolgversprechendere Möglichkeit hat die Unterbringungsbehörde aber noch?

5.3.1 Ergänzende Tatbestandsvoraussetzungen

5.3.2 Wer führt ggfs. eine Zuführung im Auftrag der Unterbringungsbehörde aus?

6. Die Möglichkeiten der anerkannten Einrichtung (Psychiatrie) im Rahmen des außerordentlichen Unterbringungsverfahrens – die sog. fürsorgliche Aufnahme/Zurückhaltung

6.1 Tatbestandsvoraussetzungen

6.2 Bedarf es für die anerkannte Einrichtung immer eines Zeugnisses eines Arztes von außerhalb?

6.3 Mögliche straf- bzw. zivilrechtliche Verantwortlichkeiten der Inhaber des Gewaltmonopols

7. Welche Möglichkeiten hat die Polizei (OPB/PVD)?

7.1 Tatbestandsvoraussetzungen

7.2 Wie sind die Zuständigkeiten zwischen Ortspolizeibehörde und Polizeivollzugsdienst geregelt?

7.3 Welche Verfahrensanforderungen müssen beachtet werden?

7.3.1 Bestandskraft des Grundverwaltungsaktes

7.3.2 Richterentscheid

7.3.3 Ergänzende Regelungen

7.4 Welche Regelungen sind bei Fahndungen nach Abgängigen zu beachten?

7.5 Welche Regelungen sind zu beachten, wenn der Rettungsdienst mit der Einlieferung eines renitenten psychisch kranken Menschen befasst ist?

8. Gestattet das Gefahrenabwehrrecht eigentlich ein praktikables Zusammenwirken von Polizei und Psychiatrie, also nach dem Polizeigesetz bzw. dem Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz?

9. Was bedeutet es eigentlich, wenn ein Arzt eine „Einweisung“ ausspricht?

10. Gibt es eine Handlungsverpflichtung für die Unterbringungsbehörde, die anerkannte Einrichtung bzw. die Polizei?

11. Schlussbetrachtung

12. Anhang: Relevante Normen (Auszüge)

12.1 Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz – PsychKHG)

12.2 Landeskrankenhausgesetz Baden-Württemberg (LKHG)

12.3 Verwaltungsvorschrift des Sozialministeriums über die Überprüfung von zur Unterbringung von psychisch Kranken nach dem Unterbringungsgesetz anerkannten Einrichtungen

12.4 Polizeigesetz Baden-Württemberg

12.5 Verordnung des Innenministeriums zur Durchführung des Polizeigesetzes (DVOPolG)

12.6 Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums zur Durchführung des Polizeigesetzes (VwV PolG)

12.7 Verwaltungsverfahrensgesetz für Baden-Württemberg (Landesverwaltungsverfahrensgesetz – LVwVfG)

12.8 Gesetz zur Errichtung der Zentren für Psychiatrie (EZPsychG)

12.9 Gesetz über die Universitätsklinika Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm (Universitätsklinika-Gesetz – UKG)

12.10 Verwaltungsvollstreckungsgesetz für Baden- Württemberg (Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz – LVwVG)

12.11 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG)

12.12 Strafgesetzbuch (StGB)

12.13 (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte, Bundesrecht (MBO-Ä 1997)

12.14 Strafprozessordnung

12.15 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

12.16 Bürgerliches Gesetzbuch

Stichwortverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

AE

anerkannte Einrichtung (Psychiatrie)

AG

Amtsgericht

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGH

Bundesgerichtshof

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

FamFG

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit

ggfs.

gegebenenfalls

grds.

grundsätzlich

GVG

Gerichtsverfassungsgesetz

h. M.

herrschende Meinung

ICD

International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems

ICF

International Classification Functioning, Disability and Health

i. S. v.

im Sinne von

i. V. m.

in Verbindung mit

KFN

Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e. V.

LG

Landgericht

LVG

Landesverwaltungsgesetz

LVwVfG

Landesverwaltungsverfahrensgesetz Baden-Württemberg

LVwVG

Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz Baden-Württemberg

MDR

Monatsschrift für deutsches Recht

ÖGDG

Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst (Gesundheitsdienstgesetz)

LKHG

Landeskrankenhausgesetz Baden-Württemberg

OPB

Ortspolizeibehörde (Bürgermeisteramt)

PolG

Polizeigesetz Baden-Württemberg

PsychKHG

Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz Baden-Württemberg (ab 1.1.2015)

PVD

Polizeivollzugsdienst

StGB

Strafgesetzbuch

StPO

Strafprozessordnung

ThUG

Gesetz zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter (Therapieunterbringungsgesetz)

ThUGVollzG

Gesetz über den Vollzug des Therapieunterbringungsgesetzes in Baden-Württemberg

uVB

untere Verwaltungsbehörde

UB

Unterbringungsbehörde

UBG

Unterbringungsgesetz Baden-Württemberg (bis 31.12.2014)

UZW

Unmittelbarer Zwang

VA

Verwaltungsakt

VwGO

Verwaltungsgerichtsordnung

VwV

Verwaltungsvorschrift

WHO

Weltgesundheitsorganisation

1. Einführung

Der Umgang mit psychisch kranken Menschen bzw. ihren Angehörigen ist für alle Beteiligte sehr anspruchsvoll. Seit Beginn der 80er Jahre ist die jährliche Zahl der Patienten, die gegen ihren Willen in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wurden, bundesweit stark angestiegen. Pro Jahr werden in Deutschland mittlerweile etwa 140.000 Menschen nach den Psychisch-Kranken- bzw. den Unterbringungsgesetzen der Länder bzw. dem Bürgerlichen Gesetzbuch zwangsweise untergebracht. Laut einer bundesweiten Gegenüberstellung stiegen die Maßnahmen nach dem Unterbringungsgesetz in Baden-Württemberg von 2003 zu 2011 von 3180 auf 4364 Unterbringungen.1

2003 waren 90 % aller Unterbringungsfälle sog. Eilfälle2 und wurden in der Regel durch den Polizeivollzugsdienst im Rahmen der sog. Not-Vorführung in einer psychiatrischen Einrichtung vorgestellt.

Im Ergebnis dürfte dies bedeuten, dass man sich auch zukünftig mit dieser Themenstellung intensiv auseinandersetzen muss.

Die gefahrenabwehrrechtlichen Hauptanwendungsfälle der Not-Vorführungen sind nicht nur für den Polizeivollzugsdienst eine besondere Herausforderung, auch die Mitarbeiter der OPB und der UB können hier besonders gefordert sein. Das vermeintliche Geflecht von Zuständigkeiten der verschiedenen Partner, z. B. eines „einweisenden“ Arztes, des Amtsgerichtes, des Polizeivollzugsdienstes und der anerkannten Einrichtung (Psychiatrie) gilt es zu entwirren, um Rechts- bzw. Handlungsklarheit zu gewinnen.

Zum 01.01.2015 wurde das Unterbringungsgesetz Baden-Württemberg (UBG) durch das Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (PsychKHG) abgelöst bzw. ergänzt. Ob sich für die Gefahrenabwehrbehörden hierdurch Veränderungen ergaben (was ab und an behauptet wird3), wird in den weiteren Ausführungen aufgelöst.

Ein Problem im Umgang mit psychisch kranken Menschen ist immer noch die sog. „Einweisung“ bzw. „Zwangseinweisung“. Diese Begriffe sind sehr oft mit der falschen Vorstellung verbunden, dass ein Arzt hier eine Art Dispositionsmacht hat und die Polizei dieser „Einweisung“ nachkommen muss. Was auch ganz aktuell durch eine E-Mail, die dem Autor am 07.04.2016, 05.37 Uhr, übermittelt wurde, veranschaulicht wird:

Sehr geehrter Herr Schönstedt, ich habe eine Frage bezüglich o. g. Thematik, da die Problematik im Alltag immer wieder auftritt. Kann ein Arzt „zwangseinweisen“ oder nur das Gericht? Wird bei einer „Zwangseinweisung“ durch den Arzt mit der falschen Begrifflichkeit umgegangen, so dass es sich hierbei um ein Hilfeersuchen handelt, wenn die Polizei hinzugerufen wird? Vielen Dank für Ihre Antwort! Leider war es mir noch nicht möglich, Ihre Fortbildung zu besuchen. Die Thematik betrifft uns im täglichen Dienst. Mit freundlichen Grüßen, P G, PP X, Polizeirevier Y, Dienstgruppe Z

Dies wurde in einer früheren Veröffentlichung zu einem Schwerpunkt der Auseinandersetzung gemacht.4

Des Weiteren gehen u. a. Privatpersonen, Behördenmitarbeiter, Richter, Rettungsdienstmitarbeiter und Aufnahmeärzte vielerorts davon aus, dass Polizeibeamte vor der Not-Vorführung in die Psychiatrie ein Zeugnis eines Arztes beizubringen hätten. Manche Psychiatrien machen ihre Aufnahme von einem solchen Zeugnis abhängig.

Auch werden die Möglichkeiten des „relevanten“ Tätigwerdens der UB erörtert. Die Erfahrungen mit der behördlichen Praxis gehen mehrheitlich dahin, dass ein tatsächliches Agieren der nach dem PsychKHG originär zuständigen UB nämlich eher selten vorkommt.5,6 Es gibt aber UB in Baden-Württemberg, die hier zeitnah agieren.

Leider hat sich vielerorts noch wenig geändert, obwohl das PsychKHG redaktionell einen „guten Weg“ eingeschlagen hat.

Die Erfahrungen zeigen, dass nach wie vor größere Unsicherheiten im Umgang mit der darzustellenden Rechtsmaterie vorhanden sind, und dies nicht nur bei der Polizei. Dies führt leider zu unnötig verkomplizierten Verfahren und auch zu unnötigen Belastungen für alle Beteiligte.

Das nachfolgende Beispiel (aus einem Beschrieb eines Polizeibeamten), das das gutgemeinte Zusammenwirken von vielen Akteuren beschreibt, soll noch einmal bewusst machen, wie wichtig Rechts- und Handlungssicherheit für alle Beteiligte ist:

Der Beschuldigte L hatte zumwiederholten Mal trotz bestehenden Hausverbotsdort die Mitarbeiter belästigt und Geld gefordert. Als die Polizei eintraf, um das Hausverbot durchzusetzen, wurden dieBeamten beleidigt. Darüber hinaus drohte der Beschuldigte Widerstand an. Er befand sich offensichtlich in einempsychischen Ausnahmezustand. Daher wurde er in Gewahrsamgenommen undmit dem Ziel der Unterbringungzunächst bei der Dienststelle sistiertund wurde dasGesundheitsamtinformiert. Frau Dr. R (Gesundheitsamt) teilte mit, dass sie sich um den entsprechenden Auftrag der unteren Verwaltungsbehörde LRA X kümmern würde. Da sich derTermin zur Untersuchung verzögerte, wurde eine richterliche Entscheidungüber denGewahrsam herbeigeführt. Richter S, AG X, bestätigte den Gewahrsam zum Zwecke der Unterbringung. Der Beschuldigte wurde zum Gesundheitsamt verbracht und dortvon Frau Dr. R untersucht. Während der Untersuchung wurde dieÄrztin vom Beschuldigten massiv beleidigtund angegriffen. Allerdings konnte der Angriff durch die Polizeibeamten abgewehrt werden, indem der Beschuldigte zu Boden gebracht wurde. Letztendlich übergab Frau Dr. R einen Untersuchungsbericht, in dem sie „erhebliche Fremdgefährdung“attestierte.Sie empfahl die Begutachtung durch einen Arztder psychiatrischen Einrichtung. Also wurde eine Streife mit dem Beschuldigen zur Psychiatrischen Abteilung des Krankenhaus Y entsandt. Während der Anfahrt rief Frau Dr. R an und teilt den Polizeibeamten mit, dass der zuständige Aufnahmearzt Dr. D in Y den Beschuldigten nicht aufnehmen werde. Sie habe mit ihm gesprochen; der Beschuldigte sei ihm zu gefährlich, dies könne er mit seinem Personal nicht leisten und überhaupt nehme er keine Straftäter auf; dafür seien die forensischen Psychiatrien zuständig. Dafür sollte ein Richterbeschluss eingeholt werden. Der Aufnahmearzt Dr. D schilderte auch, dass er einen solch gefährlichen Patienten seinem Personal und seinen Patienten nicht zumuten könne. Nachdem die Polizeibeamten den Aufnahmearzt fragten, wer außer einer anerkannten Einrichtungdenn bitte einen gefährlichen psychisch kranken Menschen aufnehmen solle, schwenkte der Aufnahmearzt um und erklärte, dass er den Beschuldigten ja aufnehmen würde, wenn dieser das wolle. Dieser wollte aber nicht freiwillig in die Klinik. Daraufhin erklärte Dr. D, dass er keinen Grund sehe, den Beschuldigten aufzunehmen, da er jetzt ja friedlich sei und demnach keine Gefahrvorliege. Dr. D weigerte sichkategorisch,den Beschuldigten aufzunehmen. Daher wurde der Beschuldigte unverrichteter Dinge zurück zur Dienststelle verbracht. Hier wurde erneut Richter S telefonisch unterrichtet, um die Anordnung für den Gewahrsam bei der Polizei einzuholen, da sich an der Gefährlichkeit des Beschuldigten ja nichts geändert hatte. Richter S ließ durchblicken, dass er eine solcheVerfahrensweise noch nicht erlebthabe undordnete den Gewahrsam bis zum Folgetag um 10.00Uhr an, um die Unterbringung in die Wege zu leiten. Am Folgetag wurde der Sachverhalt an Herrn Sch vom Landratsamt X übergeben. Dieser leitete das ordentliche Unterbringungsverfahrenein. Der zuständige Richter R teilte mit, dass grundsätzlich das (damalige) Unterbringungsgesetz einschlägig wäre. In diesem speziellen Falle – aufgrund einschlägiger Vortaten und eines offenen Haftbefehls – würde er jedoch vorschlagen, die Staatsanwaltschaft einzubinden und die vorläufige Unterbringung zu beantragen. Daraufhin wurde der Gewahrsam aufgehoben und dem Beschuldigten die vorläufige Festnahme erklärt.

Die nachfolgenden Ausführungen orientieren sich an den für den o. a. Personenkreis relevanten Themenstellungen. Es handelt sich um keinen Kommentar zum neuen PsychKHG, vielmehr um ein Fachbuch zu den gefahrenabwehrrechtlichen Gegebenheiten im Umgang mit psychisch kranken Menschen für Bedienstete im Polizeivollzugsdienst, den Ortspolizei- bzw. Unterbringungsbehörden bzw. den anerkannten Einrichtungen. Dieses Fachbuch soll hier eine Hilfestellung geben. Für jegliche Anregungen bin ich sehr dankbar.

Die Darstellungen spiegeln die Gesetzeslage in Baden-Württemberg wieder.7 Die hier angesprochenen Problemstellungen und damit einhergehende Unsicherheiten sind auf andere Ländergefahrenabwehrgesetze aber oft übertragbar.

Der Schwerpunkt der Aufgabenwahrnehmungen für den vorgenannten Personenkreis liegt auch im Gefahrenabwehrrecht.

Auf die Anforderungen aus der StPO (§§ 126a, 453c, 463) und dem StGB (§§ 63, 64) zur Unterbringung bzw. auf die zivilrechtlichen Regelungen im BGB (§§ 1631b, 1906) bzw. zum ThUG wird hier nicht weiter eingegangen. Hier soll nur ein knapper Überblick vermittelt werden (vgl. Ziff. 4, Schaubild 2).

Nachfolgend wird mit der Darstellung des ordentlichen Unterbringungsverfahrens begonnen. Dies auch deshalb, weil die eigentlichen Zuständigkeiten nach den PsychKHG nur der UB bzw. der AE vorbehalten sind. Hier soll aber aufgezeigt werden, dass auch die UB zeitnahe Möglichkeiten im Rahmen der vorläufigen Unterbringung hat. Das sogenannte außerordentliche Unterbringungsverfahren ist lediglich der AE vorbehalten, die, wie oben dargestellt, oft mit einer Not-Vorführung durch den PVD konfrontiert ist. Dieses Zusammenwirken wird vertiefend besprochen.

Im Anhang sind zudem alle relevanten Normen abgedruckt.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet!

2. Welche allgemeinen Verhaltensempfehlungen im Umgang mit psychisch kranken Menschen gibt es?

Der Umgang mit psychisch kranken Menschen kann konfliktträchtig sein. Nach einer Studie des KFN sind ca. 12% der Angreifer gegen Polizeibeamte offensichtlich psychisch krank gewesen.8 Nach einer polizeiinternen Studie wird der psychisch Kranke von Polizeibeamten auch als sehr anspruchsvoll beschrieben.9 Grundsätzlich von Bedeutung ist hier auch die Aussage, dass von psychisch kranken Menschen oft unterschätzte Gefahren ausgehen können, insbesondere bei Personen mit Wahnvorstellungen und Suchtkranken.10 Diederichs stellt in einer Gewerkschaftszeitung der Polizei fest, dass von 2009–2013 bundesweit 38 Menschen bei Polizeieinsätzen getötet wurden. ⅔ davon waren psychisch krank.11 Er sieht dies kritisch und erkennt ein diesbezügliches Ausbildungsdefizit bei der Polizei.

Empirische Daten deuten trotz wiederholter gegenteiliger Behauptungen darauf hin, dass schwer psychisch erkrankte Personen ein erhöhtes Risiko sowohl für Kriminalität als auch für aggressives Verhalten aufweisen.12 Laut einer Untersuchung soll die Wahrscheinlichkeit für Polizeibeamte, in einem Bürgerkontakt auf einen psychisch kranken Menschen zu treffen, bei mindestens 25 % liegen.13

Hier soll aber nicht unausgesprochen bleiben, dass ein Großteil der Situationen von Polizei bzw. Behördenmitarbeitern klug gelöst werden. Dies gelangt jedoch kaum an die Öffentlichkeit.14 Trifft die Polizei auf psychisch kranke Menschen, sind in der Regel zunächst keine besondere Einsatztaktik und keine spezifische Kommunikation erforderlich. Werden die allgemeinen Verhaltensempfehlungen für polizeiliche Maßnahmen beachtet, wirkt dies auch bei psychisch Kranken konfliktreduzierend. Generell günstig sind, unabhängig vom Status psychisch krank oder gesund, ruhiges und zielorientiertes Verhalten.

Schaubild 1: Grundlegende Verhaltenshinweise im Umgang mit Menschen in Ausnahmesituationen

Nachfolgend einige ergänzende Hinweise für den angemessenen Umgang mit psychisch kranken Menschen:15

Sprechen Sie deutlich und verständlich, benutzen Sie keine Negativworte.

Sprechen Sie langsam, überfordern Sie Ihr Gegenüber nicht kognitiv.

Halten Sie Blickkontakt, aber nicht anstarren.

Reduzieren Sie Ihre Gestik, um keinen Bedrohungsanschein zu erzeugen.

Wenden Sie sich Ihrem Gegenüber zu.

Nehmen Sie den psychisch Kranken als Menschen ernst, auch in seinen Wahnvorstellungen.

Halten Sie die Gesprächsführung in der Hand.

Lassen Sie die Argumente des Gegenübers zu.

Achten Sie auf mitgeführte/erreichbare Gegenstände.

Kündigen Sie Ihre Maßnahmen an und setzen diese ggfs. auch konsequent um, mit klaren Anweisungen und entschlossenen Entscheidungen.

Ergänzende taktische Einsatzhinweise, insbesondere für die eingesetzten Polizeivollzugsbeamten, sind ggfs. den Literaturempfehlungen zu entnehmen.16

Wie schwierig es in diesem Zusammenhang sein kann, eine telefonische Lageeinschätzung vorzunehmen, soll folgender Fall illustrieren:

Die Notrufe des Angeklagten und der Umgangder Polizei mit ihnen spielten eine wichtige Rolle am zweiten Verhandlungstag gegen einen 31-jährigen Studenten, dem vorgeworfen wird, am 24. Juni 2014 den Pfarrer der evangelisch-lutherischen Gemeinde in H in einer akuten Psychose erstochen zu haben.

Die Anrufe, die am Tag der Tat zwischen 15.59 und 16.06 Uhr unter der Notrufnummer 110 eingingen, wurden im Landgericht vorgespielt. „Wegen ihres Inhalts und der Form führten die Anrufe zu keinem Polizeieinsatz“, erklärte der Hauptsachbearbeiter des Falls vor Gericht. Der Originalton der Notrufe sorgte für deutliche Beklemmung im Gerichtssaal, denn alle Anwesenden wissen, welche schreckliche Tat der Anrufer nur drei Stunden später begangen hat. Im Raum steht die Frage, ob die Tat von der Polizei hätte verhindert werden können. Im Nachhinein werden aber auch die Nöte beider Gesprächsteilnehmer deutlich hörbar. Der Beschuldigte sei seit der diamantenen Hochzeit seiner Großeltern im Juli 2013 der Überzeugung gewesen, dass er selbst der neue Messias sei. Das habe ihm Pfarrer S mit seiner Festrede mitgeteilt. Dem 31-Jährigen machte diese Überzeugung fortan Angst. Zwei Wochen nach dem Fest wachte er mit dem Gefühl auf, einen Energieschub bekommen zu haben. Ein Phänomen, das er nicht näher erklären konnte, das ihn jedoch unter Druck setzte. Er fühlte sich schuldig, einen Teil dieses Energieschubs verschlafen zu haben. Mitte August 2013 ging er für eine Woche in die Psychiatrieund wechselte von dort einige Wochen in eine Klinik. In einer Mitpatientin sah er die Wiedergeburt der Maria Magdalena. Ende 2013 wurde er erneut für einen Monat aufgenommen. Im Januar 2014 setzte er die verordneten Psychopharmaka wegen starker Nebenwirkungen ab. Die Ängste waren weg und in ihm reifte die Einsicht, sich alles nur eingebildet zu haben. In den folgenden Monaten nahm sein wahnhaftes Erleben erneut zu. In Passantinnen glaubte er die Mitpatientin zu erkennen. Am Vortag der Tat reiste seine Mutter an. Sie hatte den Eindruck gewonnen, dass ihr Sohn einen psychotischen Schub hatte. Das alles konnte derPolizistnicht wissen, der am 24. Juni 2014 amNotruftelefonsaß. Er ahnte nicht, dass der Anrufer, der sich stets höflich und mit vollem Namen meldete, fest davon überzeugt war, dass Pfarrer S seine Mutter und die Mitpatientin im Keller des Pfarrhauses in Geiselhaft genommen hatte. Die seelischen Nöte des Anrufers vermochte der Polizist in den Gesprächen nicht herauszuhören. Stattdessen stellte er ihm immer wieder die klassischen W-Fragen: Wer, Was, Wo, Wann? Von diesen Fragen war der Anrufer überfordert. Schließlich sprach er davon, dass ein Mord passiert sei, dass Pfarrer S seine Mutter und eine Frau töten wolle, dass es zu einer Festnahme gekommen sei. Er nannte das Pfarramt in der S-Straße 22 und bat höflich und zunehmend in einem nahezu flehenden Ton um Hilfe, um das Kommen von Streifenbeamten. Der Polizist bot dem Anrufer an, ihm die Nummer der Psychiatrie zu nennen und beendete das letzte Telefonat mit einem Wort: „Wahnsinn“. Ein Anruf bei Pfarrer S hätte vielleicht genügt, und der hätte der Polizei sagen können, dass er den 31-Jährigen am Nachmittag aus der Tür gedrängt hatte, dass er wirres Zeug geredet habe. …. Die Pressesprecherin der Polizei räumt im Gespräch mit der Zeitung ein, dass der Kollege eventuell anders hätte reagieren können. Doch 500 bis 800 Notrufe aus den Landkreisen und aus dem Stadtkreis gingen täglich unter der 110 ein. Darunter seien einige Anrufe von verwirrten Menschen, bei denen keine ernsthafte Notlage vorliege. Die Anrufe führten zu 500 bis 600 Einsätzen. Pro Schicht seien bis zu neun Notrufplätze besetzt. Die Kollegen könnten sich untereinander besprechen und den Schichtleiter um Rat fragen. Die drei Notrufe vom 24. Juni 2014 seien mit den Einsatzsachbearbeitern und der Mannschaft eingehend besprochen und intern aufgearbeitet worden.17

3. Welche Personengruppe ist eigentlich angesprochen? Eine Definition des psychisch kranken Menschen18

Im Gegensatz zur ehemaligen Legaldefinition der psychischen Krankheit nach § 1 Abs. 2 UBG spricht § 1 Nr. 1 PsychKHG nicht mehr von der psychischen Krankheit, sondern von der psychischen Störung