Und sie verändern sich doch …!? - Maximilian Schaut - E-Book

Und sie verändern sich doch …!? E-Book

Maximilian Schaut

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Beschreibung

Mit bisher kaum vorstellbarer Dynamik geben bestimmte innovative Geschäftsmodelle den Takt für gesellschaftliche Veränderungen vor. Allen voran verändern webbasierte Kommunikationsplattformen wie Amazon, Google, AirBnB, Booking.com, Facebook, Uber oder Ebay – beschleunigt durch künstliche Intelligenz – die Unternehmenslandschaft nachhaltig. Wie entstehen solche Geschäftsmodelle? Was hält sie im Inneren zusammen, und was macht sie so erfolgreich? Welche Rolle spielen Kommunikation und Entscheidungen bei Geschäftsmodell-Innovationen? Welche Form von Leadership ist angesichts großer Veränderungsdynamik angemessen, und wie lässt sich trotz der hohen Komplexität der Überblick bewahren? Maximilian Schaut und Dorothea Oehm analysieren in diesem Buch, inwieweit bestehende Geschäftsmodell-Ansätze das Verständnis für dynamische Veränderungsprozesse unterstützen und wie und warum sie an ihre Grenzen stoßen. Aufbauend auf den Erklärungsprinzipien der Systemtheorie stellen sie einen systemischen Geschäftsmodell-Ansatz vor, der hilft, die Komplexität von Unternehmen zu erfassen und Entwicklungen im Kontext von Innovationsprozessen zu verstehen.

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Maximilian Schaut / Dorothea Oehm

Und sie verändern sich doch …!?

Geschäftsmodelle, soziale Systeme und Innovation aus systemischer Perspektive

2022

Über alle Rechte der deutschen Ausgabe verfügt

Carl-Auer-Systeme Verlag, Heidelberg

Fotomechanische Wiedergabe nur mit Genehmigung des Verlages

Reihengestaltung nach Entwürfen von Uwe Göbel

Grafiken: Ulrike Heinzelmann

Printed in Germany

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Erste Auflage, 2022

ISBN 978-3-8497-9051-6 (Printausgabe)

ISBN 978-3-8497-9052-3 (ePub)

© 2022 Carl-Auer-Systeme, Heidelberg

und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg

Alle Rechte vorbehalten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

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Carl-Auer Verlag GmbH

Vangerowstraße 14 . 69115 Heidelberg

Tel. +49 6221 6438-0 . Fax +49 6221 6438-22

[email protected]

Inhaltsverzeichnis

Prolog

1. Und sie verändern sich doch …!?

2. Ein Modell des Geschäfts

3. Das betriebswirtschaftliche Geschäftsmodellkonzept

3.1 Ressourcenbasierter Ansatz

3.2 Aktivitätenbasierter Ansatz

3.3 Wertbasierter Ansatz

3.4 Transaktionsbasierter Ansatz

3.5 Netzwerkbasierter Ansatz

3.6 Integrierter Ansatz: Business Model Canvas

4. Systemische Geschäftsmodelltheorie

5. Strukturen des Geschäftsmodells

5.1 Relationen der Subsysteme des Geschäftsmodells

5.2 Subsysteme des Geschäftsmodells

6. Personal des Geschäftsmodells

7. Die Unternehmenskultur des Geschäftsmodells

8. Entscheidungsprogramm des Geschäftsmodells

8.1 Grundmodell des Entscheidungsprogramms

8.2 Prämissen und Kriterien des Entscheidungsprogramms

8.3 Systemische Strategieentwicklung

9. Geschäftsmodellinnovationen

9.1 Evolutionäre Entwicklung von Geschäftsmodellen

9.1.1 Koevolution und Emergenz

9.1.2 Irritation und Variation

9.1.3 Selektion und Destruktion

9.1.4 Retention und Diffusion

9.2 Geschäftsmodellinnovationen als Zweckprogramm

9.2.1 Geschäftsmodellinnovationsprozess

9.2.2 Veränderungsdynamiken

9.2.3 Entrepreneurship und Intrapreneurship

10. Leadership im Kontext von Geschäftsmodellinnovation

Übersicht über die verwendeten Symbole

Literatur

Prolog

In der Beschäftigung mit der Transformation von Unternehmen unterschiedlicher Branchen, Größen und Geschäftsmodelle kommen wir angesichts tiefgreifender Veränderungen und Krisen zunehmend zu der Erkenntnis, dass die jeweiligen Transformationsprozesse nicht als singuläre Ereignisse betrachtet werden dürfen. Im täglichen Erleben ist das Geschehen in einem Unternehmen mit gesellschaftlichen, politischen und globalen Ereignissen und Entscheidungen eng verbunden. Dabei bedingen sie sich gegenseitig und wirken aufeinander. Die Konsequenzen von Entscheidungen wirken in allen gesellschaftlichen Bereichen vernetzt, partiell zirkulär und mit unterschiedlichen zeitlichen Effekten. Die Klima- und Umweltkrise, globale Pandemien, das Nebeneinander von demokratischen und autoritären Systemen, bahnbrechende technologische Veränderung bis hin zu individuellen Lebens- und Arbeitsmodellen stehen in gegenseitiger Abhängigkeit und verschärfen das Gefühl der Unübersichtlichkeit und Unbeherrschbarkeit.

Je komplexer Systeme erscheinen, desto größer ist das Risiko einschränkenden Denkens und kleinteiliger Lösungen. Komplexe Themen sind grundsätzlich sehr schwer zu erfassen und noch schwerer zu vermitteln. Die Möglichkeiten unseres Denkens und unserer Sprache zeigen sich in ihrer Linearität begrenzt und wirken als Quelle von semantischem Chaos und Missverständnissen. Je komplexer und voneinander abhängig die Themen sind, desto stärker ist das Bedürfnis nach Sicherheit und Orientierung. Oft reagieren wir mit Abgrenzung oder Eingrenzung in der Hoffnung auf Beherrschbarkeit und verstärken damit das Dilemma und die Isolation von Teilsystemen.

Wenn wir nach Ansätzen zur Veränderung suchen, scheint sich folgende Hypothese zu bestätigen: »Mache daraus ein Geschäft, und dann folgt die Veränderung.« Zunehmend geben entstehende Geschäftsmodellinnovationen den Takt selbst für gesellschaftliche Veränderungen vor. Es zeigen sich Analogien zur industriellen Revolution. Menschen suchen Orientierung an denen, die unabhängig und mutig erscheinen, Risiken eingehen, Bekanntes verlassen und manchmal auch den guten Geschmack. Das Festhalten an alten Überzeugungen und vertrauten mentalen Modellen trifft auf eine sich rapide verändernde Gesellschaft.

In vielen Auseinandersetzungen hat sich bei uns ein Bild wie eine Formel entwickelt, mit der wir seit geraumer Zeit experimentieren und die mehreren Logiken zu folgen scheint: Die Wirkung einer Entscheidung ist eine Funktion eigener Entscheidungen, der Zeit und der Entscheidungen anderer. Dabei nehmen unterschiedliche Werte, Motive und Entscheidungskriterien Einfluss und wirken als dynamisches, sich immer neu ordnendes und sich selbst generierendes Regelsystem. Konsequenzen, Kriterien und Entscheidungen verschwimmen und verlieren dabei ihren direkten Bezug.

Wie können wir auf derartige Systeme Einfluss nehmen? Wir kommen zu der Einschätzung, dass nicht der Einzelne, sondern nur das System das System verändern kann. Wie gelingt es uns dann trotzdem, den Einzelnen zu emotionalisieren und zu mobilisieren? Den Versuch einer Antwort auf diese und weitere Fragen wollen wir bei der Betrachtung der Innovation von Geschäftsmodellen geben. Grundlage dafür war die kontinuierliche gemeinsame Auseinandersetzung der beiden Autoren1 mit realen Fragen und Anforderungen in unterschiedlichen Unternehmensprojekten.

1 Aufgrund der besseren Lesbarkeit wird hier in der Regel nur das männliche grammatische Geschlecht verwendet. Es sind aber immer alle anderen Geschlechter gleichberechtigt mitgemeint.

1. Und sie verändern sich doch …!?

Was hat sich in den letzten Jahren so radikal verändert, dass traditionelle Wirtschaftszweige grundlegend infrage gestellt werden? Insbesondere Geschäftsmodelle auf der Basis von webgestützten Kommunikationsplattformen (Amazon, Google, AirBnB, Booking.com, Facebook, Uber, Ebay etc.), die ihre Erträge im Wesentlichen durch Werbeeinnahmen oder Vermittlungsgebühren erwirtschaften, verändern die Unternehmenslandschaft dauerhaft. Beispielsweise verfügt AirBnB als weltweit größte Plattform für die Vermittlung von Übernachtungsmöglichkeiten selbst über kein einziges Hotel. Befördert durch den technologischen Fortschritt in den Bereichen der Automatisierung, Digitalisierung und künstlichen Intelligenz, rückt der unmittelbare Kundennutzen ins Zentrum, wo zuvor die Aufmerksamkeit der Unternehmen auf der Optimierung der bestehenden Wertschöpfungskette und der Fortentwicklung bekannter Technologien lag. Unternehmen haben erkannt, dass unternehmensinterne Digitaleinheiten und Start-ups als experimentelle Labore im geschützten Raum dabei helfen können, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und das Stammgeschäft zu transformieren. Nicht zuletzt deshalb ist zurzeit in Unternehmen so viel von Geschäftsmodellinnovation die Rede.

Wie konnte sich ein solch tiefgreifender Wandel in so kurzer Zeit vollziehen? Zur Beantwortung dieser Frage bietet die Systemtheorie einen nützlichen theoretischen Rahmen. Die hier vorgestellte systemische Geschäftsmodelltheorie stellt den Versuch der Klärung des Kommunikationssystems »Unternehmen« dar zu dem Zweck, die Funktionsweise von Geschäftsmodellen zu entschlüsseln. Diese spiegelt die Grundannahmen der Systemtheorie wider, welche die Gesellschaft und ihre einzelnen Funktionssysteme als Kommunikationssysteme konzipiert. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass innovative Geschäftsmodelle, die eine direkte und schnelle Kommunikation zwischen Teilnehmern auf webbasierten Plattformen ermöglichen (fast immer und überall zugänglich), derartige Veränderungen in den einzelnen Branchen hervorrufen. Die rasanten Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz beschleunigen diese Prozesse enorm, da der Mensch als Kommunikationsinstanz und Wissensträger durch kommunizierende und lernende Maschinen in Teilbereichen komplett ersetzt wird. Mittels autonomer Roboter entstehen dabei geschlossene Kreisläufe zwischen Wahrnehmung, Datenverarbeitung, Handlung und neuer Wahrnehmung, was ein weitreichendes gesellschaftliches wie wirtschaftliches Innovationspotenzial in sich trägt (vgl. Lenzen 2019, S. 83).

Wie der Begriff »Modell« schon andeutet, handelt es sich um eine Komplexitätsreduktion, die hilft, ein »Geschäft« verständlich bzw. begreifbar zu machen und es so weit eben möglich zu planen: »Über die hochkomplexe, undurchschaubare Realität wird eine einfachere […] ›zweite Realität‹ gelegt – wie eine Landkarte über ein Land« (Berghaus 2011, S. 270). »Modelle sind Gedanken-Prototypen« (Conta Gromberg u. Conta Gromberg 2019, S. 32) und damit immer aktuell.

Inwieweit ist der systemische Geschäftsmodellansatz eine Bedingung für eine erfolgreiche Unternehmensführung? Zentraler Vorteil des Geschäftsmodellansatzes ist die Komplexitätsreduktion. Somit schafft dieser Ansatz eine Beobachtungsform, die dazu dient, im Sinne eines Analyseinstruments neue Geschäftspotenziale zu erkennen oder das bestehende Geschäftsmodell zu optimieren. Zugleich liefert er die Möglichkeit der Selbstbeobachtung bzw. Selbstbeschreibung einer Organisation im Sinne eines Kommunikationssystems, das nicht an den Systemgrenzen endet. Der Geschäftsmodellansatz ist eine Methode zur Beobachtung zweiter Ordnung mit dem Ziel, die Organisation über ihre eigenen Zustände, aber zugleich auch über ihren Kontext zu informieren. Diese Selbstbeobachtungen dienen schließlich der Orientierung. Damit stellt der Ansatz auch ein Diagnoseinstrument zur Chancen- oder Problemerkennung dar. Aufmerksamkeit und Wahrnehmung des eigenen Geschäftsmodells sind der erste Schritt für ein aktives Management des Geschäftsmodells.

Durch das Treffen von Entscheidungen als Reaktion auf die Beschreibung des eigenen Geschäftsmodells bzw. konkurrierender Geschäftsmodelle gewinnt das »Modell« an Realität. Es fungiert als Entscheidungsprämisse (vgl. Luhmann 2011b, S. 9–10), schafft Anschlussfähigkeit für weitere Entscheidungen und lenkt sie zugleich. Das Geschäftsmodell ist in diesem Zusammenhang eine Wirklichkeitskonstruktion und ein Durchsetzungsinstrument eines Entscheiders und damit handlungsleitend für die jeweiligen psychischen Systeme und das soziale System. Mehr noch kann man ein Geschäftsmodell als eine Problemlösungsstrategie bezeichnen. Über die Transparenz bezüglich des eigenen Geschäftsmodells kann der Unterschied zu anderen Geschäftsmodellen erst wahrgenommen und entsprechende Wettbewerbsstrategien eingeleitet werden. Denn ein Geschäftsmodell gibt sich immer nur in Differenz zu anderen Geschäftsmodellen zu erkennen.

Warum also dieses Buch? Der Geschäftsmodellansatz geht als managementtaugliche Theorie weit über die sonst in der betriebswirtschaftlichen Literatur übliche Fokussierung auf einzelne Funktionen wie beispielsweise Marketing, Produktion oder Controlling hinaus und ermöglicht es dem Anwender, das Gesamtsystem zu betrachten. Diese umfassende Perspektive zeigt insbesondere dann ihre Überlegenheit, wenn der größere Kontext im Zusammenspiel der Strukturtypen des Geschäftsmodells den kleineren beeinflusst (zur Erläuterung des Begriffs »Strukturtyp« siehe Kap. 4). Teilbereichsoptimierungen und Partikularinteressen, die zulasten der gesamten Organisation gehen, kommen auf diese Weise zum Vorschein. Der Geschäftsmodellansatz hilft, Entscheidungen mit Blick auf die gesamte Überlebenseinheit »Unternehmen« zu treffen und sie als Bezugspunkt für die Bewertung der Rationalität und Irrationalität von Entscheidungen heranzuziehen.

Eine weitere Funktion der expliziten Verwendung des Geschäftsmodellkonzeptes ist in gewissem Maße die der Unsicherheitsabsorption. Indem das Geschäftsmodell das Resultat vergangener Entscheidungen darstellt, werden nur noch das Geschäftsmodell kommuniziert und die komplexen Informationen ausgeblendet, die Grundlage der Entscheidung für ein bestimmtes Geschäftsmodell waren.

Die Definition eines Geschäftsmodells erfüllt als Akt der Planung eine wichtige Funktion zur Erreichung wirtschaftlicher Ziele und damit der wirtschaftlichen Überlebensfähigkeit. Über die Aufarbeitung von anzustrebenden Geschäftsmodellen können heute die Entscheidungen eingeleitet werden, die langfristig zur Veränderung des Geschäftsmodells führen:

»When people meet to plan for contingencies five years away, contingencies that seldom materialize, they may modify one another’s ideas about what should be done today. But that is about all that can be accomplished.« (Weick 1979, p. 11)

Auf diese Weise bewirken die Beschreibungen des Geschäftsmodells Veränderungen in den psychischen Systemen und im sozialen System (vgl. Maturana 1985b, S. 234).

Heute existieren unterschiedliche Geschäftsmodellansätze in Literatur und Praxis, die im Rahmen dieses Buches hinsichtlich ihrer Nützlichkeit aus systemtheoretischer Perspektive beleuchtet werden. Gleichzeitig wird von den Autoren eine systemische Geschäftsmodelltheorie vorgeschlagen sowie ihre Anwendbarkeit und Wirksamkeit reflektiert.

Definition eines Geschäftsmodells:

Sich kontinuierlich im Netzwerk der Wertschöpfungspartner reproduzierend und erneuernd, spiegelt das Geschäftsmodell eines gewinnorientierten Unternehmens die wesentlichen unternehmerischen Entscheidungen in Bezug auf Wertangebot und Wertschöpfungsarchitektur, Personal und Organisationsstruktur in einer spezifischen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Umwelt wider. Es stellt mittels der Darstellung des Ertragsmodells und der Kostenstruktur die Anschlussfähigkeit an das Wirtschaftssystem sicher.

2. Ein Modell des Geschäfts

Um das Konzept der Geschäftsmodellinnovation besser zu verstehen, stellen wir hier auf der Grundlage der soziologischen Systemtheorie und der Annahmen des Konstruktivismus eine systemische Geschäftsmodelltheorie vor, die das Verständnis von Geschäftsmodellen grundlegend neu formuliert.

Diese Theorie befasst sich mit der Frage, wie sich Geschäftsmodelle formen und verändern sowie auf welche Art und Weise sie gestaltend beeinflusst werden können. Dabei rückt die systemische Geschäftsmodelltheorie die Unterscheidungen von System/Umwelt, die Identifikation von möglichen Innovationen (Variation und Selektion) und ihre spätere Durchsetzung (Retention) innerhalb einer Organisation ins Zentrum ihrer Überlegungen, um die Kombination von Wertschöpfungsarchitektur, Wertangebot und Absatzkanälen sowie den zugrunde liegenden Kosten- und Ertragsmodellen zu beschreiben. Der systemische Geschäftsmodellansatz sieht stets die Abgrenzung eines Geschäftsmodells zu einer Umwelt, die wiederum aus der Sicht einer Organisation durch kooperierende oder konkurrierende Geschäftsmodelle von Systemen in ebendieser Umwelt geprägt ist. So entsteht bei einem Unternehmen wie auch bei seinen Kunden durch das Zusammenspiel jeweils ein spezifischer Nutzen, indem sowohl ein Problem bei den Kunden gelöst wird als auch eingehende Zahlungen den Fortbestand des Unternehmens ermöglichen. Dieser reziproke Wertschöpfungsprozess steht im Zentrum der systemischen Geschäftsmodelltheorie.

Der Begriff »Geschäftsmodell« setzt sich aus zwei Referenzen zusammen, zum einen dem Geschäft und zum anderen dem Modell. Der Modellbegriff als bewusste Abstraktion und Vereinfachung zeigt den Instrumentalcharakter dieser Theorie, die zunächst als Konstruktion dem weiteren Erkenntnisgewinn dient (vgl. Esposito 2007, S. 88). Die Geschäftsmodelltheorie ist ein Modell, das nicht beansprucht, die Beschreibung irgendeiner Realität zu sein, sondern sie soll daran gemessen werden, wie zweckdienlich sie ist.

Wie bereits Bateson im Anschluss an Korzybski bemerkt, gibt es eine wesentliche »Unterscheidung zwischen Karte und Territorium« (Bateson 1981, S. 246), eine Unterscheidung, die ebenso auf die Begriffe »Geschäftsmodell« und organisationale »Realität« Anwendung findet, da in diesem Fall Geschäftsmodelle wie eine Landkarte Orientierung für Mechanismen und Entscheidungen innerhalb von Organisationen geben können. Das Geschäftsmodell stellt somit eine Vereinfachung dar, die im System beobachtet wird und sich durch diese Beobachtung verändert. Darüber hinaus ist das Geschäftsmodell eine emergente Struktur, die sich nicht durch jedes seiner Bestandteile erklären lässt. Ein Geschäftsmodell erklärt sich maßgeblich aus seinem Bezug zur Umwelt. Dies bedeutet auch, dass man ein Geschäftsmodell niemals »hat«, sondern es sich in der Interaktion zwischen einem Unternehmen und seinen Kunden und Lieferanten ständig erneuert. »Das größte Hindernis für das Verständnis der Organisation des Lebendigen liegt darin, dass es nicht möglich ist, sie durch eine Aufzählung ihrer Eigenschaften zu erklären« (Maturana 1985c, S. 32). Und so verhält es sich auch mit dem Geschäftsmodell eines Unternehmens.

3. Das betriebswirtschaftliche Geschäftsmodellkonzept

Das Konzept des Geschäftsmodells ist ein relativ neuer Ansatz in der Betriebswirtschaftslehre. Er knüpft an die Wertketten- und Strategiediskussion an und definiert nicht mehr das Unternehmen oder einzelne Produkte als Analyseeinheit, »[…] sondern ein System, das Kunden, Kooperationspartner und verschiedene Teilleistungen einbezieht« (Bieger et al. 2002, S. 2).

»[…] The most important role of a business model [is]: to create a heuristic, a simplified cognitive map, from the technical domain of inputs to the social domain of outputs […].« (Chesbrough 2003, p. 69)

An Bedeutung gewinnt der Ansatz mit der Erfahrung, dass exzellente technologische Lösungen und Produkte für den Erfolg allein nicht mehr ausreichen, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Sie schaffen dafür lediglich die Voraussetzungen.

Eine Untersuchung von Osterwalder et al. zeigt, dass die Geschäftsmodelldiskussion erst mit dem rasanten Wachstum des Internets und der explosionsartigen Zunahme von Neugründungen im Bereich E-Business Anfang der 1990er-Jahre Popularität gewann (vgl. Osterwalder, Pigneur a. Tucci 2005, p. 6). Das Denken in Geschäftsmodellen entwickelte sich zur gefragten Methode für die Anpassung an eine sich schnell wandelnde und globaler werdende Welt.

Dabei dienten Geschäftsmodelle zunächst dazu, die Strategie und den Businessplan eines Start-ups zu erläutern mit dem Ziel, potenzielle Investoren für die Finanzierung der Unternehmung zu gewinnen. Seit der Jahrtausendwende wird das Geschäftsmodellkonzept immer mehr als allgemeines Erklärungsmodell und Analyseeinheit für die Interaktion eines Unternehmens mit seiner Umwelt (Kunden, externen Partnern etc.) verwendet. Diese Entwicklung zur Analyseeinheit ist auf die Probleme traditioneller Analyseeinheiten wie beispielsweise der Industrie, der Branche, des Unternehmens oder einer Business Unit zurückzuführen.

Für den Begriff »Geschäftsmodell« hat sich noch keine eindeutige Definition durchgesetzt, vielmehr ist die Forschungslandschaft durch eine Pluralität von Definitionen gekennzeichnet. Gleiches gilt für die Elemente, die ein Geschäftsmodell konstituieren.

Klang et al. zeigen in einer Studie, dass sich gegenwärtig der größte Teil der Geschäftsmodellforschung auf die verbreiteten Theorien des strategischen Managements und des E-Business beziehen und dass neben den Bestrebungen der Klassifizierung des Geschäftsmodellkonzeptes der überwiegende Fokus auf der Einführung und Diskussion der Elemente liegt, die ein Geschäftsmodell konstituieren (vgl. Klang, Wallnöfer a. Hacklin 2010, p. 17).

Im folgenden Abschnitt werden die unterschiedlichen existierenden theoretischen Fundierungen des Geschäftsmodellansatzes im Überblick dargestellt.

3.1 RESSOURCENBASIERTER ANSATZ

Der ressourcenbasierte Geschäftsmodellansatz gründet auf den Überlegungen zur Schaffung von Wettbewerbsvorteilen von Penrose (vgl. Penrose 1959). Dabei werden Ressourcen zum einen als dingliche Ressourcen und zum anderen als Humanressourcen definiert und unterteilt. Für Schallmo stellen Ressourcen

»[…] materielle oder immaterielle Faktoren dar, die innerhalb eines Geschäftsmodells eingesetzt werden. Sie fließen direkt bzw. indirekt in die Leistungen des Geschäftsmodells ein und dienen dazu, die Kundensegmente zu erreichen, die Kundenbeziehungen aufzubauen und diese aufrechtzuhalten. Um das Geschäftsmodell zu vervollständigen, stellen Partner ebenfalls Ressourcen bereit.« (Schallmo 2013, S. 68)

Nach Demil und Lecocq (2010) können Ressourcen sowohl internen Ursprungs sein als auch an Beschaffungsmärkten gekauft oder geleast werden. Gleiches gilt für Dienstleistungen, die ein Unternehmen als Substitution oder in Ergänzung zu eigenen Leistungen in Anspruch nimmt. Auf der Zeitachse betrachtet, ist es gerade die Interaktion der internen und externen Ressourcen, die schrittweise zu einer einzigartigen Kombination der Ressourcen und damit zu Differenzierungsmerkmalen eines Unternehmens führen.

Auf der Basis der »kumulierten Ressourcen« (ebd., p. 230) kann nun das Management beziehungsweise der Unternehmer neue Geschäftsmöglichkeiten identifizieren und auf diese Weise neue Produkte und Dienstleistungen auf dem Markt anbieten.

Im Zentrum des ressourcenbasierten Geschäftsmodellansatzes stehen drei Kernelemente: Ressourcen und Kompetenzen; die Organisationsstruktur; sowie das Wertangebot.

Ressourcen und Kompetenzen

: Ressourcen können sowohl vom externen Markt stammen als auch intern entwickelt werden. Hinsichtlich der Kompetenzen verweisen Demil und Lecocq auf die Fähigkeiten und das Wissen, welches Manager individuell oder kollektiv entwickeln, um Leistungssteigerungen durch Verbesserung, Rekombination oder Veränderung von Ressourcen zu erzielen.

Organisationsstruktur

: Die Organisationstruktur umfasst die Aktivitäten einer Organisation sowie die Beziehungen zu anderen Organisationen, die mit dem Ziel aufgebaut werden, Ressourcen zu kombinieren und auszunutzen. Dieses Element schließt dabei alle Aktivitäten im Rahmen der Wertschöpfungskette ebenso wie das Wertschöpfungsnetzwerk mit Zulieferern, Kunden, Wettbewerbern und anderen Partnern ein.

Wertangebot

: Das Wertangebot bezieht sich auf Produkte und Dienstleistungen, die Kunden angeboten werden. Dabei spielen insbesondere im Falle sogenannter

multi-sided markets

die Art und Weise der Vermarktung und die Zielsegmente (wie z. B. Konsumenten, Zulieferer, Wettbewerber oder Sponsoren) eine Rolle.

Diese drei Kernelemente bergen wiederum viele verschiedene Elemente (beispielsweise verschiedene Arten von Ressourcen, Partnerschaften innerhalb der Wertkette, unterschiedliche Produkte etc.) in sich, wovon sich die Kosten- und Ertragsstruktur einer Organisation ableiten (siehe Abb. 1). Als einzige Ertragsquelle im weiteren Sinne (einschließlich Umsatz, Lizenzen, Miete, Zinsen, Subventionen etc.) wird das Wertangebot verstanden. Als Kostentreiber werden Aktivitäten wie die Akquise, Integration, Kombination und die Entwicklung von Ressourcen genannt. Die Differenz dieser Einnahmen und Kosten bestimmt schlussendlich die Marge, die den Aufbau der Ressourcen und Kompetenzen ermöglicht und damit die Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells. Demil und Lecocq (2010, p. 232) sprechen in diesem Zusammenhang von dem sogenannten »RCOV (Ressource, Competences, Organization, Value) framework«.

Die Dynamik eines Geschäftsmodells entfaltet sich durch die Interaktion innerhalb der Kernelemente des Modells und zwischen ihnen. Die Interaktion zwischen den Elementen richtet sich nach der Entwicklung des Wertangebotes, nach neuen Ressourcenkombinationen oder nach Änderungen an der Organisation sowie den jeweiligen Auswirkungen auf die Elemente selbst.

Abb. 1:

Kernelemente eines Geschäftsmodells nach Demil und Lecocq (2010, p. 232)

Der ressourcenbasierte Ansatz zeigt seinen Nutzen insbesondere für bestehende Unternehmen, die in der Vergangenheit erfolgreich waren, sich jedoch neu erfinden müssen. Im Mittelpunkt stehen die bereits vorhandenen Ressourcen, die als Basis für die Erschließung neuer Geschäftspotenziale dienen. Darüber hinaus verknüpft der Ansatz Ressourcen und Kompetenzen, Organisation und das Wertangebot und trägt damit zum ganzheitlichen Verständnis von Geschäftsmodellen bei. Er gibt jedoch keine praktische Unterstützung bei der Entwicklung von neuen, sondern hilft vielmehr bei der Beschreibung und dem Verständnis bestehender Geschäftsmodelle.

Aus systemtheoretischer Sicht ist es problematisch, dass der Ansatz keine gemeinsame Sprache für die Anwender bietet. Was als Ressource qualifiziert wird, liegt im Auge des Betrachters und kann sich je nach Perspektive ändern. Weiterhin lässt er die evolutionäre Entstehung von Ressourcen ungeklärt. Ohne die Analyse der Entstehung sind auch ihre Entwicklungspotenziale nur schwer einzuschätzen.

Am ressourcenbasierten Ansatz wird darüber hinaus kritisiert, dass die externe Umwelt nicht ausreichend Beachtung findet:

»This criticism of the RBV framework for ignoring external resources and the external environment (e. g., changes in demand) limits its direct applicability in the value network.« (Pynnönen, Hallikas a. Ritala 2012, p. 4)

3.2 AKTIVITÄTENBASIERTER ANSATZ

Der aktivitätenbasierte Ansatz wurde insbesondere durch zwei Autoren geprägt. Nach Amit und Zott ist das Kernziel eines Geschäftsmodells die Ausnutzung von Geschäftschancen, indem Wert für die beteiligten Parteien geschaffen wird. In Abgrenzung zum ressourcenbasierten Geschäftsmodellansatz konzeptionieren Amit und Zott ein Geschäftsmodell als ein System von Aktivitäten. Dabei werden Aktivitäten bzw. Aktivitätensysteme wie folgt definiert:

»An activity in a focal firm’s business model can be viewed as the engagement of human, physical, and/or capital resources of any part to the business model (the focal firm, end customers, vendors, etc.) to serve a specific purpose toward the fulfillment of the overall objective. An activity system is a set of interdependent organizational activities centered on a focal firm, and encompasses activities that are either conducted by the focal firm or by partners, customers, or vendors.« (Zott a. Amit 2010, p. 217)

Im Zentrum des Konzeptes eines Aktivitätensystems stehen nach Amit und Zott die Interdependenzen zwischen den einzelnen Aktivitäten. Diese Interdependenzen werden dabei im Sinne eines purposeful design durch einen Unternehmer oder Manager gestaltet. Dies schließt das »Design« von Aktivitäten selbst, aber auch ihre Transaktionen ein, damit dadurch das Gesamtsystem geformt wird. Dieses auch Firmengrenzen überschreitende purposeful design betrachten Amit und Zott als das Wesen eines Geschäftsmodells (vgl. ebd., p. 218). Damit unterstellen sie auch die direkte Steuerbarkeit eines Geschäftsmodells. Auch bei Afuah (2004) wird ein Geschäftsmodell als Aktivitätensystem beschrieben:

»The set of which activities a firm performs, how it performs them, and when it performs them.« (ebd., p. 9)

Durch die hohe Anzahl an potenziellen Aktivitäten wird die Identifikation von technologischen oder strategischen Aktivitäten mit dem Ziel der Differenzierung erschwert. Dafür und um dieser Schwierigkeit entgegenzuwirken, wird die Definition von Aktivitäten auf verschiedenen Aggregationsebenen vorgeschlagen. In diesem Zusammenhang wird hinsichtlich möglicher Aggregationsebenen auf das SCOR-Modell (Supply-Chain-Operations-Reference) von Davenport (2005) verwiesen, damit, ausgehend von dieser Systematik, »Top-Level«-Aktivitäten wie Planung, Beschaffung, Produktion etc. von untergeordneten Aktivitäten unterschieden werden können, die auf den nachfolgenden Führungsebenen gesteuert werden. Auf einer hohen Aggregationsebene können Aktivitäten gesamte Geschäftsfunktionen wie beispielsweise Personalwesen oder Finanzbuchhaltung umfassen, wohingegen auf einem niedrigen Aggregationsniveau Aktivitäten Tätigkeiten beschreiben wie beispielsweise die Beantwortung von Kundenanfragen oder die Übersetzung eines Handbuchs in eine Fremdsprache.

Nach Amit und Zott werden auf der einen Seite »Design«-Elemente wie Inhalt, Struktur und Führung und auf der anderen Seite »Design«-Themen wie Neuartigkeit, »Lock-in«, Komplementaritäten sowie Effizienz unterschieden (vgl. Zott a. Amit 2010, p. 220).

Folgende Designelemente werden aufgeführt, wobei darauf verwiesen wird, dass oftmals Entscheidungen bezüglich dieser Parameter gleichzeitig gefällt werden müssen und die Parameter dabei voneinander abhängig sein können:

Der

Inhalt

eines Aktivitätensystems bezieht sich auf die Auswahl von Aktivitäten, die realisiert werden. Werden neue Aktivitäten aufgenommen, hat dies Auswirkungen auf das bestehende Aktivitätensystem.

Die

Struktur

eines Aktivitätensystems beschreibt, wie Aktivitäten miteinander verknüpft sind (z. B. ihre Abfolge), wobei ebenso die Bedeutung der Aktivitäten selbst für das Geschäftsmodell als Kern-, Unterstützungs- oder Nebenaktivitäten thematisiert wird.

Die

Führung

eines Aktivitätensystems beschreibt, wer bestimmte Aktivitäten durchführt.

Designthemen werden als weitere Gruppe von Parametern vorgeschlagen, in der Absicht, ein Aktivitätensystem und damit ein Geschäftsmodell zu beschreiben. Folgende Design-Themen werden unterschieden:

Neuartigkeit

: Im Zentrum dieses Aktivitätensystemdesigns steht die Einführung neuer Aktivitäten (Inhalt) und/oder neuer Verknüpfungen von Aktivitäten (Struktur) und/oder neue Wege bezüglich der Steuerung von Aktivitäten (Führung).

»Lock-in«

: Ein »Lock-in«-Effekt kann sich hierbei in Form von Wechselkosten (switching costs) oder Netzwerkeffekten zeigen. Mit diesem Design wird beispielsweise der Wechsel zu einem alternativen Anbieter verhindert.

Komplementaritäten

: Unter Komplementaritäten versteht man die Bündelung von Aktivitäten, die im System mehr Wert schaffen als unabhängige Aktivitäten.

Effizienz