Uns geht's ja noch gold - Walter Kempowski - E-Book

Uns geht's ja noch gold E-Book

Walter Kempowski

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Beschreibung

Kriegsende 1945, die Rote Armee marschiert in Rostock ein. So »gold«, wie der Titel im Familienjargon ankündigt, kann es den Kempowskis also gar nicht gegangen sein. Man erlebt am eigenen Leibe oder bei Nachbarn und Freunden Elend, Hunger, Plünderungen und Gewalttätigkeiten. Aber man ist nicht ausgebombt und hat noch etwas Geld. Zwischen Trümmerschutt und Ausgangssperren, schwarzem Markt und Hamsterzügen versucht man nach der Katastrophe, die bürgerliche Kontinuität wiederherzustellen.

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Über das Buch:

Wo Walter Kempowskis Buch „Tadellöser & Wolff“ endet, beginnt dieser „Roman einer Familie“: 1945, als die Rote Armee in Rostock eindringt. So „gold“ kann es den Kempowskis, wie der Titel im Familienjargon ankündigt, also gar nicht gegangen sein. Man erlebt am eigenen Leibe oder bei Nachbarn und Freunden Elend, Hunger, Plünderungen und Gewalttätigkeiten. Aber man ist nicht ausgebombt, hat noch etwas Geld, und zwischen Trümmerschutt und Ausgangssperren, Schwarzmarkt und Hamsterzügen versucht man, die bürgerliche Kontinuität wiederherzustellen.

Der Roman „Uns geht’s ja noch gold“ ist Teil der sogenannten „Deutschen Chronik“ von Walter Kempowski.

Über den Autor:

Walter Kempowski, geboren am 29. April 1929 in Rostock, starb am 5. Oktober 2007 in Rotenburg an der Wümme. Er gehört zu den bedeutendsten deutschen Autoren der Nachkriegszeit. Einem breiten Publikum bekannt wurde er durch seinen Roman „Tadellöser & Wolff“, der auch verfilmt wurde. Seine monumentale Collage „Das Echolot“ war 1993 eine literarische Sensation und fand zwölf Jahre später mit der Veröffentlichung des zehnten Bandes, der die Bestsellerliste stürmte, ihren krönenden Abschluss. Der letzte zu Lebzeiten des Autors veröffentlichte Roman „Alles umsonst“ brachte Walter Kempowski auch internationale Anerkennung. 

Walter Kempowski

Uns geht’s ja

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Copyright © 1978, 2016 beim Albrecht Knaus Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Design Team

Für Klaus-Heinrich Walther

Inhaltsverzeichnis

CopyrightWidmungKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Werkverzeichnis

I

Wenn ich mich etwas vorbeugte, konnte ich vom Schlafzimmerfenster aus alles gut überblicken. Drogerie Kotelmann, Schlachter Timm. Seifenheimchen schloß das Fenster.

Gegenüber die Paulstraße, die machte hinten einen Knick: bis dahin war das Feuer gedrungen, bei der »Katastrophe«, wie die Leute die Angriffe von 1942 nannten. Vor der Katastrophe und nach der Katastrophe. Jetzt würde es vor und nach dem Zusammenbruch heißen.

Bis zu Bäcker Kofahl hatte es sich gefressen. »O watt Löckers«, hatte der alte Kofahl gesagt, in seiner kleinkarierten Bäckerbüx. »All dat Mähl …«

Ich kniete auf der Couch und hatte die Innenfenster geöffnet. Aus allen Häusern hingen weiße Fahnen. Als ob das alles Bunker wären, die kapitulierten. Gegenüber, bei Arbeiter Krampke sogar eine rote. Ein »Fahnenwald«, wie man früher gesagt hätte. Aber dies erinnerte doch eher an alte Postkarten von Neapel, mit Unterwäsche von Haus zu Haus.

An der Ecke hielt ein Motorrad mit Russen. Im Beiwagen lagen Schuhe, die herunterbaumelten. Die Schuhe hatten sie vom Schuster geholt. Rrrrt! mit der Maschinenpistole die Scheibe kaputtgeschossen: einen ganzen Arm voll, noch mit Paketanhängern, wem sie gehörten. Hoffentlich viel einzelne.

Die Russen flachsten mit einer Ostarbeiterin. Die zeigte auf unser Haus.

»Komm lieber vom Fenster weg«, sagte meine Mutter.

»Sonst werden die noch aufmerksam.«

Sie räumte den Kleiderschrank auf.

Geblüht im Sommerwinde gebleicht auf grüner Au ruhst still du jetzt im Spinde als Stolz der deutschen Frau.

Alles schön auf Kante. Waschlappen, Taschentücher (früher ritsch-ritsch-ritsch mit Kölnisch Wasser). Badelaken noch aus Wandsbek. Indanthren: links Sonne, rechts Regen, in der Mitte ein stilisiertes I.

Die Fächer müßte man mal wieder mit Papier auslegen, weiß mit kleinen blauen Sternen, und zählen, was man so hat. Bettücher, Bettbezüge und die dazugehörigen Knopfstreifen. Auch mal wieder alles durchsehen und flicken. Was Tante »Basta« wohl machte? Aus erstklassiger Familie, aber verarmt irgendwie, die hatte immer so schön geholfen. Die gute Alte. Die ganze Aussteuer hatte sie damals genäht.

Hier waren ja auch noch die Handtücher von MAGGI, die es früher auf Rabattmarken gegeben hatte (als Kinderhandtücher gar nicht so schlecht), damals, als es auch glasartige Bonbons zu kaufen gab, bei Mudding Schulz, mit schwarzem Hakenkreuz, aus Lakritze.

»Sind sie weg?«

Nein, sie waren noch da.

Vatis Hemden erstmal nach hinten legen, bis er wiederkommt. Und die Strümpfe auch, die dicken grünen Knickerbockerstrümpfe. Und die Wickelgamaschen. O, wie war das schrecklich gewesen, wenn er alles durchgrabbelte, zum Verzweifeln, fuchsteufelswild. »Warum nimmst du nicht vorne weg?« Nein, alles grabbelte er durch.

Nach Markgrafenheide war man gewandert. So oft, so oft.

»Ist denn der olle Wald nicht bald zu Ende?« hatte ich gesagt, ihr kleiner Peter Pump, und ob’s hier auch Wildschweine gäb, und die Bäume mir so angekuckt, ob man da hochklettern kann.

Zu süß. Und Vati hatte gesagt: »Nein, mein Junge, da kannst du ganz ruhig sein«; und geschmunzelt und sie so angepufft. »Hier gibt’s keine Wildschweine.« Und wenn wirklich eins käm, dann hätte das mehr Angst vor uns, als wir vor ihm.

Und in Gelbensande die schönen Erdbeeren? Erdbeeren mit Milch? Nun wär der Krieg ja zu Ende, da gäb’s bestimmt auch bald wieder Erdbeeren, vielleicht.

Was wohl als nächstes passiere, fragte sie sich.

Soweit war man ja gut durchgekommen. Den Naziquatsch. Diese Muschpoke! Nicht ausgebombt und am Leben.

Ulla sicher in Dänemark, das gute Kind. Die dachte gewiß jetzt her, wie’s uns so geht.

Aber Roberding. Und Vati? Na mal sehn. Das würde auch noch werden. Abwarten und Tee trinken. Treckt sick all na’n Liev.

Aber: Russen! Wer hätte das gedacht. Hätten die Engländer nun nicht eher da sein können? Die paar Kilometer?

Warum, o warum.

Wie gut, daß man im zweiten Stock wohnte. Wenn wirklich Russen ins Haus kämen, dann müßten sie ja erstmal an der verlassenen Wohnung von Beckers vorbei, konnten da alles ungestört durchstöbern: Schubladen aufziehen, was da so drin ist. Briefpapier, Fotoalben; meinetwegen auch Pfeifenreiniger. Dann wär der Tatendrang gewiß gestillt.

Zweiter Stock: das waren immerhin sechs Treppen, das überlegten sie sich, mit ihren schweren Stiefeln, und eine verlassene Wohnung durchzustöbern, das wär ihnen gewiß viel interessanter und angenehmer, als immer erst jemand zur Seite zu schüchern. Da fühlten sie sich denn nicht so beobachtet.

Etwas bedrohlich, daß da hinten bei Krause auch Wein lagerte; der Wein von Gebr. Cornelli, gegründet 1873. Das hatte wohl die Ostarbeiterin gemeint, als sie auf unser Haus zeigte.

Cornelli war damals abgebrannt, in der »Katastrophe«, und hatte seine Vorräte in der Brausefabrik von Dr. Krause gestapelt, hinter unserem Haus.

Cornelli, ein so durch und durch feiner Mann.

Anthroposoph. Als ein seiner selbst Durchchrister schaffe man Neugottesgrund, hatte er mal gesagt. Die Aktentasche so unterm Arm, als ob ein Judenstern darunter wär.

Seine Frau war ganz bewußt gestorben: »Krepps«.

Sie sollten nicht traurig sein, hatte sie geflüstert. Sie gehe nur hin-über, Stufe für Stufe. Eine Stufe weiche der anderen: neue Räume, licht und sonderbar.

Und der Mann und die Kinder – nun ja auch schon älter – die hatten am Bett gestanden und den ganzen Tod er-lebt. Nicht traurig, eher kühl. Fabelhaft.

O Nacht, die mich umfleußt mit Offenbarungswonnen, ergib mir, was du weißt!

Aber zu Ullas Hochzeit hatte er schlechten Wein geliefert. Essigsaure Tonerde, Surius. Warum man bloß? Drauf sitzen, was? Mehr als bezahlen konnte man ja schließlich nicht.

Und nun würden ihn die Russen trinken.

Ich besah mich in den Spiegeln der Frisiertoilette. Wie in einem Irrgarten, allmählich grün werdend. Die Maske des verwundeten Kriegers, oder Paul Wegener als russischer General.

Nun konnte ich mir in Ruhe die Haare wachsen lassen. Erstes, zweites und drittes Umkippen der Wellen. Mal zeigen, was man kann. Der Kochpottschnitt war endgültig passé.

Das Motorrad fuhr weg. Das Knattern war ja auch schon nicht mehr auszuhalten gewesen.

Ich knotete mir ein Taschentuch um den Ärmel und ging schon mal auf die Straße.

»Sieh dich vor, mein Jung! Geh nicht zu weit weg! Hörst du?«

Wie sie so sanft ruhn alle die Toten.

Was konnten sie mir schon tun? Immer war ich gegen die Nazis gewesen, Pflichtgefolgschaft und nicht beim Militär. Und die Eltern in der Bekennenden Kirche. Vater sogar Loge.

In der Friedrich-Franzstraße lag ein totes Pferd mit abgestreckten Beinen. Das war eins von der Wehrmacht, ein Kriegskamerad. Zwei alte Männer vom katholischen Krankenhaus tranchierten es. Sie legten die Fleischstücke säuberlich in Schüsseln und Kummen: hier die Leber und dort das Schiere vom Schenkel. Ursulinen liefen raus und rein: in schwarzen Gewändern, das Gesicht weiß eingefaßt: Gulasch davon machen, aber kräftig würzen, sonst schmeckt es süßlich.

Auch Frau von Lossow kam nun zögernd aus ihrer Veranda, sie hatte schon lange auf der Lauer gelegen. Vier Mädchen und einen Jungen: Lotti, Eva, Margret und Sieglinde. Der Sohn hieß Erich, den hatten sie dummerweise aufs Gymnasium gegeben, Griechisch und Latein. Das war doch’n bißchen happig gewesen. Vorsichtig sah Frau von Lossow sich um, ob der Weg frei wär, links-rechts, links-rechts, rasch hinüber.

Die katholischen Männer rückten ein Stück, obwohl das Pferd auf ihrer Seite lag und sie als erste dagewesen waren. »Bis da ist unser, das da können Sie sich nehmen.« Das Messer wetzten sie ihr am granitenen Bordstein: bitteschön.

Was fängt man mit den Kaldaunen an, das war die Frage. Wegschmeißen? Oder durch den Fleischwolf drehen als Ragout?

Durch die Hermannstraße rollte die russische Armee. Ein Sowjetsoldat, den Regenmantel umgehängt, die »Balalaika« vorm Bauch, winkte sie ein. Eine lange Kette von Fahrzeugen. Lastautos wie aus den 20er Jahren, eckig und mit Sonnenschirm über der Windschutzscheibe, Panzer mit umgedrehten Geschütztürmen. Zuerst dachte man: fahren die rückwärts? Oben in der Luke ein Panzersoldat, mit einer Raupenkappe auf dem Kopf.

Als Lastautos und Panzer durch waren, kamen Soldaten in wannenartigen Panjewagen, struppige Pferdchen davor.

Von fern ein Schein, wie ein brennendes Dorf mattdüsterer Glanz auf den Lachen im Torf.

Stroh hatten sie in den Wagen, damit es nicht so rüttelt. Sie kuckten nicht links, nicht rechts, immer weiter, keine Zeit, keine Zeit.

Am Zaun hing eine KZler-Jacke, blau und weiß gestreift.

Auf dem Alten Schlachthof war emsiger Betrieb. Da lagerte Käse in Türmen, Konserven, Tabak. Männer rissen unten Kisten heraus, die Säulen stürzten um. Fußhoch Zucker, gemischt mit getrockneten Erbsen, ausgelaufenes Speiseöl.

»Sie müssen etwas after mi gehn«, sagte ein junger, bleicher Mensch mit Brille, einen schlaffen Beutel hatte er unter dem Arm, man müsse eine andere Hinstellung organisieren. »Gehn Sie doch ’n bitten after mi …« dann kriege jeder was.

»Stör uns hier nicht, du Sack.«

Vor dem gußeisernen Tor, das mit Schweineköpfen verziert war, an einem grüngestrichenen Stadtbrunnen – unten für Hunde, in der Mitte für Pferde, oben für Vögel – stand Manfred mit seinem Ziehwagen. Er wollte auch was »organisieren«, aber, wenn er sich eben ein paar Schritt vom Wagen entfernte, dann näherten sich sogleich Schwerbepackte. Die hätten ihm den Wagen gestohlen.

Eine Frau fragte, er stehe hier so nutzlos herum, ob er ihr dies mal eben nach Hause fahren könne? Nein? Er solle bloß aufpassen, jetzt wär’ne andere Zeit: »Du bist wohl ’n Hitlerjunge, was?«

Russen waren keine zu sehen. Dafür fünf Messerschmitt-Jäger. Schnell ducken. Hatten die Russen denn keine Flak?

Me 109, das waren doch damals die schnellsten gewesen, 700 km/h, Weltrekord. Aber schon sehr lange her.

Mit Manfreds Ziehwagen hatten wir früher immer Auto gespielt, er hatte die Deichsel zwischen den Beinen gehabt, und ich hatte hinten sitzen und abstoßen müssen. – »Junge, du mußt mal andersrum«, hatte meine Mutter gesagt, »die Hacken nützen sich so ab.« Steuern durfte ich nie, immer nur treten.

Wir sammelten ein, was auf der Straße lag. Drei große Räder Käse, fünf, sechs Kisten Konserven (keine Ahnung, was da drin war), vier Kanister Speiseöl und eine Kiste mit Rationen für den Großeinsatz. Eins der Päckchen riß ich auf, da war Dextro Energen drin, das schmeckte kühl.

Alles aufgeladen und dann ab. Da hinten, den Eimer Marmelade noch und hier den Karton. Ach was, liegen lassen.

Oder nein, lieber doch mitnehmen. (Hundekuchen, wie sich dann herausstellte.)

Ob man es schaffte, unbehelligt nach Hause zu kommen?

Da hinten war ja schon die Bismarckstraße, dann war es nicht mehr weit.

Zu Hause wurde geteilt. Schweinefleisch im eigenen Saft, Heringe in Tomatensauce. Tabak. Aber auch Sellerie.

Meine Mutter war sogar noch einkaufen gegangen. »Mir passiert schon nix«. Gegenüber bei Schlachter Timm hatte es Fleisch gegeben. Mit einemmal habe sich die Tür geöffnet, erzählte sie, und ein besoffener Russe sei hereingekommen. Frau Timm habe gesagt: »Alle stehen bleiben, ganz ruhig, gar nicht beachten.« In der einen Tasche habe ein Unterrock gehangen, in der andern Tasche eine Flasche Schnaps gesteckt. Er sei da herumkarjolt und habe vom Ladentisch alles mögliche heruntergefegt. Die Frauen hätten rauslaufen wollen, aber Frau Timm habe gesagt: »Komm her, krist’n Stück Fleisch«, und hätte ihm ein riesen Stück Rindfleisch gegeben. Damit wäre er hinter einer Frau hergerannt und hätte ihr den Klumpen in die Hand gedrückt. »Da!« Und die Frau wär glückstrahlend abgezogen damit.

Dann war meine Mutter mit Großvater (»alles verbrannt, verbrannt, verbrannt«) in der Fabrik gewesen, an den Besoffnen waren sie vorbeigeschlichen, die da Flaschen kaputtschmissen und hatten oben vom Boden einen Sack Zucker heruntergezerrt.

Dr. Krause, der Fabrikbesitzer (»Bleiben Sie man hier, Frau Kempowski, wir bleiben alle hier«) war ja auf sein Gut geflüchtet; warum sollte man sich da nicht etwas nehmen? »Wenn wir’s nicht tun, tun’s andere.«

Mit vereinten Kräften wurde der Sack in unsern Keller bugsiert und in Kartons, Eimer und Vasen abgefüllt. Dann fiele das nicht so auf.

Die Fleischkonserven trugen wir auf den Boden, der Sellerie konnte im Keller bleiben. In die Schale der ausufernden Eßzimmerlampe kamen 25 Päckchen Tabak und auf das Bufett nochmal 25. Da lag der Gelbe Onkel, mit dem meine Geschwister früher Schacht gekriegt hatten. (»Bitte nicht!«).

Jija-jija.

Ich nie, ich war ja immer der Lütte gewesen.

Die Russen hatten in den Stadtwerken sämtliche Hähne aufgedreht: Was nützt das schlechte Leben. Alle Maschinen volle Kraft voraus! Strom, Wasser, Gas – herrlich.

Wir stellten den Heizungsofen an und kochten drei Tage im voraus.

Der Abend kam, wir hörten Nachrichten. Trommelwirbel: Um den Führer geschart verteidige sich die tapfere Besatzung von Berlin.

Die Engländer wären bei Boizenburg über die Elbe gegangen. Zu spät!

»Ich glaube, wir lassen es lieber«, sagte meine Mutter.

Denke dran, daß das Abhören ausländischer Sender unter Strafe steht!

Das Schild hing ja noch dran.

Womöglich wegen so einem Quatsch totgeschossen oder ich weiß nicht wie getriezt zu werden.

Wir knipsten in der Tischlampe das obere Licht aus, da kam es nur noch matt aus dem vasenartigen Keramikfuß. Meine Mutter nahm ihre Ocki-Arbeit zur Hand, das zierliche Elfenbeinschiffchen. So hatten wir früher auch immer gesessen, Vater mit seinen dicken Fingern und die guten Zigarren, von Loeser & Wolff.

Später würde man vielleicht doch mal moderne Möbel anschaffen, wenn’s wieder alles gibt.

»In den Möbeln haben wir geheiratet, in den Möbeln werden wir auch alt«, hatte mein Vater gesagt. Stockkonservativ. Nicht mal’n Stuhl verrücken.

(Horchen: Was war das? War da nicht was? –)

Stockkonservativ.

Das kam wohl von seiner Mutter. Die war wohl 20mal umgezogen. Und immerlos hatte sie die Möbel umgeräumt. Da hatte sich Großvater Kempowski doch mal auf den Fußboden gesetzt, nachts, als er wieder mal duhn nach Hause kam! – Er hatte gedacht: Nun setz ich mich noch’n Moment in meinen schönen bequemen Lehnstuhl und bums! wie ein Maikäfer auf dem Rücken gelegen.

Auf der Straße wurde geschossen.

»Wie in Hamburg 1920«, flüsterte meine Mutter, stand auf und machte den Bücherschrank zu.

Wo Licht war: päng! da hatten damals die Kommunisten reingeknallt. Die Häuser im Zentrum waren wie gesprenkelt gewesen von Schüssen.

Der kranken Großmutter hatte man erzählt, die Schüsse, das sei Kaisers Geburtstag.

Jetzt fuhr ein Lastwagen in den Torweg. Er bumste gegen die Mauer, daß wir dachten: nun fällt das Haus um.

Soldaten kamen die Treppe rauf.

Bist du’s lachendes Glück?

Zwei oder drei Mann, mit Mädchen. Sie schlossen Beckers Wohnung auf. Die Stimme kannte man doch? Das war doch Vera? – Jetzt schmissen sie Glas kaputt. Schossen in die Decke und gröhlten.

»Die kommen bestimmt auch zu uns, oder glaubst du nicht?«

Wir legten uns auf die Ehebetten, – nun doch besser zusammenbleiben, – lauschten. Meine Mutter im Trainingsanzug, den Pelzmantel darüber und ich in meinem guten dänischen Anzug, einreihig mit breiten Revers.

Der Film »Anschlag auf Baku«: Die adligen Damen schieben einen Schrank vor die Kellertür und halten die Luft an – eine kriegt noch ’n hysterischen Anfall – halt! sagen die Rotgardisten draußen vorm Schrank, war da nicht was? Nein, alles ruhig.

Nun wieder Schüsse.

»Ob das durch den Fußboden hindurch geht? was meinst du?« Mein Großvater, in seinem Zimmer, der schnarchte in regelmäßigen Abständen. De Bonsac, uralter Hugenottensproß.

»Das ist der Schlaf des Gerechten«, sagte meine Mutter. »Der hätte man Landwirt werden sollen, statt Kaufmann«, nie was gewagt, immer nur Hypotheken, das wär die ganze Weisheit gewesen und dann: Schutt, Asche, Dreck, Staub. Alles in dutt.

Die Schuldner hatten lächelnd die Achseln gezuckt. »Zinsen zahlen für ein Haus, das es nicht mehr gibt? Aber mein lieber Herr Bonsac …«

Ob man vielleicht lieber die Uhr anhielte? Der Schlag? Vielleicht lockte der die Russen an?

»Was meinst du, mein Junge?«

Ein Glück noch, daß sie Vera kannte. Der hatte sie mal Zeug gegeben, als die Nazis noch da waren und einen Knust Brot und immer so freundlich gelächelt.

Am Nachmittag hatte sie sich die sogar noch vorgeknöpft. »Vera«, hatte sie gesagt, »du erinnerst dich doch, du doch noch wissen, ich dir Jacke gegeben, ja?« (Die karierte von Ulla, mit dem einen Knopf unterm Kinn. Ein bißchen aus der Mode, aber tadelloser Stoff.)

»Ja«, hatte Vera da gesagt, »keine Angst, Frau Kempowski, wir schützen Sie.«

Oh, ein schönes, stattliches Mädchen.

Die hatten ja nie was gehabt, die russichen Mädchen. »Russin? – Die braucht nichts!« Und das waren doch junge Mädchen gewesen. Die wollten sich doch auch mal schön anziehen.

Draußen auf der Straße knallte es; schrille Schreie. Und dann so ein Gepolter und Gewrögel, als ob gerungen wird. Auch Krachen und Splittern von Türen.

»Die armen Menschen«, sagte meine Mutter, und mir standen die Haare zu Berge.

Nun wurde an unsere Tür geballert: »Aufmachen, schnell!« Als ob die’s eilig hätten.

Meine Mutter jagte hin und rief: »Sie irren sich wohl? Offizier da unten!«

Brummend gingen sie weg, und meine Mutter legte sich wieder hin. Wie war das nun bloß möglich. Wie die Botokuden.

Vielleicht sollte man eben noch die Wanne voll Wasser lassen? Wer weiß, wie lange es noch Wasser gibt? »Bleib du man liegen, mein Jung.« Vorsichtig hinschleichen. Die Brause anstellen, das poltert nicht so. Und morgen auch den Sellerie nach oben tragen. Sonst fänden sie den womöglich und würden dadurch verleitet, noch nach mehr zu suchen.

2

Am nächsten Morgen klopfte Vera an die Tür. Wir möchten mal runterkommen, meine Mutter und ich.

»Nun isses soweit, mein Jung’, zieh dir was Warmes an.« Schnell die Fenster schließen und hier, die Schlüssel paratlegen.

Sorg, aber sorge nicht zuviel, Es geht ja doch wie Gott es will.

Taschentuch einstecken, Schlips festziehen. Und schnell nochmal aufs Klo. Wer weiß, wann man da mal wieder hinkommt.

Das hatte ja nicht gutgehen können. Das hätte man vorher wissen müssen: Russen im Haus. Vielleicht wär man doch besser in den Westen gegangen. Einfach mit dem »Friedrich« gefahren, wie Denzer das gemacht hatte. Der hatte ja noch gesagt: »Frau Kempowski, noch ist Zeit, kommen Sie mit!« Einfacher wär’s ja nicht gegangen. Aber nein. Wie man’s macht, isses verkehrt.

Wo der Dampfer jetzt wohl steckte? Vielleicht war er längst untergegangen? – Wer weiß, wozu’s gut ist.

Der eine Offizier– Schulterstücke so groß wie Frühstücksbrettchen– saß auf dem Sofa, eine Ukrainerin bei sich. Der andere hielt das Grammophon in Gang.

Valencia! Meine Augen, deine Augen Hühneraugen Kukirol!

Halbvolle und ausgeschwappte Weingläser auf dem Tisch, Kaffeekannen, Tassen, Brot.

Auf dem Teppich Kirschkerne und plattgetretene Heringsköpfe.

Wir blieben in der Tür stehen, und meine Mutter sagte: »Bitte sehr, hier sind wir?« (»Augen wie Schusterkugeln«!) Der Offizier auf dem Sofa kuckte uns an und lachte: Schöne Bescherung, nicht?

Ja, das konnte man wohl sagen, schöne Bescherung. Das reinste »Towabo«.

Und Vera sagte: »Nun müßt ihr saubermachen…« Die Offiziere gingen gleich weg, und dann sollten wir hier saubermachen. »Ja«, sagte meine Mutter, sofort, gern, sie wolle nur noch ihrem alten Vater Kaffee kochen, ob sie noch eben ihrem alten Vater Kaffee kochen dürfe, der wäre achtzig.

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