Unsagbar - Jana Baumann - E-Book

Unsagbar E-Book

Jana Baumann

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Beschreibung

Jede siebte Frau.

Laut Statistik ist jede siebte Frau in Deutschland betroffen von sexualisierter Gewalt, die Dunkelziffer ist noch erheblich höher.

Jana Baumann musste selbst erfahren, was das bedeutet, als sie im beruflichen Kontext vergewaltigt wurde. Die Tat ist für sie zunächst unfassbar – und doch eine Realität, mit der sie sich nun auseinandersetzen muss. Sie begibt sich zur Gewaltschutzambulanz, sucht Unterstützung bei LARA e.V. und berät sich mit Anwält*innen. Dabei erfährt sie, womit Betroffene sexualisierter Gewalt tagtäglich konfrontiert sind und wie wenig Unterstützung das Rechts- und Gesundheitssystem ihnen bietet.

Sie lernt viel, muss lernen ihren Umgang mit dieser Erfahrung zu entwickeln und setzt sich intensiv mit der Wirkung von struktureller Gewalt auseinander. Über den gesamten Prozess beginnt Jana Baumann Worte zu finden und ihre Stimme zu erheben. Gleichzeitig wirkt der Satz „Ich bin vergewaltigt worden.” immer wieder unsagbar.

Unsagbar ist der Bericht einer Frau, deren Leben durch eine Vergewaltigung vollkommen umgekrempelt wird. Jana Baumann beschreibt direkt und erschütternd, wie sie ihren Weg gegangen ist, wie sie wieder Halt und Mut fand und warum sie bis heute nicht angezeigt hat, aber über ihre Erfahrungen spricht und sprechen möchte.

Dieses Buch ist Anstoß für einen Diskurs über Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt, den es dringend braucht, um durch das Sprechen darüber den Handlungsraum für Täter*innen kleiner zu machen.

Angereichert wird das Buch durch Informationen von Janas Baumanns Beraterin bei LARA, Anne Roth, die traumatherapeutische Hintergründe erläutert.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 205

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Buch

Laut Statistik ist jede siebte Frau in Deutschland betroffen von sexualisierter Gewalt, die Dunkelziffer ist noch erheblich höher.

Jana Baumann musste selbst erfahren, was das bedeutet, als sie im beruflichen Kontext vergewaltigt wurde. Die Tat ist für sie zunächst unfassbar – und doch eine Realität, mit der sie sich nun auseinandersetzen muss. Sie begibt sich zur Gewaltschutzambulanz, sucht Unterstützung bei LARA e. V. und berät sich mit Anwält*innen. Dabei erfährt sie, womit Betroffene sexualisierter Gewalt tagtäglich konfrontiert sind und wie wenig Unterstützung das Rechts- und Gesundheitssystem ihnen bietet.

Sie lernt viel, muss lernen ihren Umgang mit dieser Erfahrung zu entwickeln und setzt sich intensiv mit der Wirkung von struktureller Gewalt auseinander. Über den gesamten Prozess beginnt Jana Baumann Worte zu finden und ihre Stimme zu erheben. Gleichzeitig wirkt der Satz »Ich bin vergewaltigt worden« immer wieder unsagbar.

Dieses Buch ist Anstoß für einen Diskurs über Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt, den es dringend braucht, um durch das Sprechen darüber den Handlungsraum für Täter*innen kleiner zu machen.

Autorinnen

Jana Baumann, geboren 1980 in Westberlin, ist nach einem Studium der Erwachsenenbildung Unternehmensberaterin mit systemischem Schwerpunkt. Sie begleitet Unternehmen in Prozessen der Organisationsentwicklung mit dem Fokus auf Kommunikation und Zusammenarbeit. Engagement für eine gleichberechtigte und diverse Gesellschaft ist ihr sehr wichtig. Nicht zu schweigen, wenn Unsagbares geschieht, hat sie für sich als eine Kraftquelle erkannt, insbesondere nachdem sie selbst sexualisierte Gewalt erleben musste. Unsagbar ist ihr erstes Buch.

Anne Roth, geboren 1988 in Ostberlin, ist Psychotherapeutin (TP) mit dem Schwerpunkt Psychotrauma und arbeitete viele Jahre als Beraterin und Vorständin bei LARA Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt. Es ist ihr tägliches Anliegen, Betroffene von Gewalt dabei zu unterstützen, ihren eigenen Weg zu finden. Auch jenseits der Unterstützungsarbeit setzt sie sich für eine offene, solidarisch verbundene Gesellschaft ein, in der Menschen mit all ihren Begehrens- und Beziehungsformen, Geschlechtsidentitäten, Religionszugehörigkeiten sowie ihren sozialen und geografischen Herkünften respektiert werden, Zugang zu Ressourcen erhalten und Freiheit genießen können.

Jana Baumann und Anne Roth

Unsagbar

Was Vergewaltigung bedeutet und wie ich zurück ins Leben fand

Alle Ratschläge in diesem Buch wurden von den Autorinnen und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Eine Haftung des der Autorinnen beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist daher ausgeschlossen.

Wir haben uns bemüht, alle Rechteinhaber ausfindig zu machen, verlagsüblich zu nennen und zu honorieren. Sollte uns dies im Einzelfall aufgrund der schlechten Quellenlage bedauerlicherweise einmal nicht möglich gewesen sein, werden wir begründete Ansprüche selbstverständlich erfüllen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Originalausgabe September 2024

Copyright © 2024: Mosaik Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Nina Schnackenbeck

Umschlag: Sabine Kwauka

Umschlagmotiv: shutterstock/Diana Hlevnjak

Satz und E-Book Produktuion: Satzwerk Huber, Germering

GS ∙ CB

ISBN 978-3-641-32146-8V001

www.mosaik-verlag.de

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Die Nacht

Der nächste Tag

Im Zug

Am Bahnhof

Zu Hause

Der nächste Tag

Gewaltschutzambulanz

Laufen lernen

Selbstbestimmt weiter

Das glaubt mir niemand

Exkurs: Wenn das Leben aus den Fugen gerät

Gar nichts ist klar!

Wie es mir geht

Auf der Suche nach Halt

Mein erster Kontakt mit dem Justizsystem

Ein Spiel, dessen Regeln ich nicht kenne (oder nicht kennen möchte)

Vor der Kamera sprechen

Ursachenforschung

Im Zweifel gegen die Zeugin

#MeToo beziehungsweise wie sich die Debatte anfühlt, die die Gesellschaft dazu führt

Die Gesellschaft

Ich spreche vor meinen Kolleg:innen

Die Macht von Institutionen

Entscheidung für meine Form des Widerstands

Der Elefant wird kleiner

Der Prozess des Schreibens

Wo stehe ich jetzt?

Epilog: Kill your darlings

PS: Was mir noch wichtig ist

Nachwort von Wiebke Baller

Danksagung

Anhang

Fragen an Unternehmen

Quellen und weiterführende Literatur

Anmerkungen

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Themen und Erlebnisse. Es geht um sexualisierte Gewalt, Vergewaltigung, Missbrauch, physische und psychische Gewalt, sexuelle Belästigung, Depression.

Bitte lest dieses Buch nur, wenn ihr euch momentan dazu in der Lage fühlt.

Falls euch die oben genannten Themen betreffen oder ihr mit anderen Themen zu kämpfen habt, erhaltet ihr bei der Telefonseelsorge kostenlose, anonyme Hilfe:

0800/1110111 oder 0800/1110222

www.telefonseelsorge.de

Weitere Anlaufstellen findet ihr am Ende des Buches, siehe hier.

Wenn wir in diesem Buch über Frauen sprechen, meinen wir alle als Frauen gelesene Personen. Wohl wissend, dass »Frau« und »weiblich sein« historisch, sozial, kulturell und biologisch entstandene Zuschreibungen sind. Uns geht es darum, welche Entwertungen mit diesen Zuschreibungen häufig verbunden sind.

Sexualisierte Gewalt ist erster Linie Machtmissbrauch. So betrifft sie Menschen umso stärker, je weniger gesellschaftliche Macht sie haben – je mehr sie sich in Abhängigkeitsverhältnissen befinden. Sie betrifft insbesondere behinderte und pflegebedürftige Frauen, obdachlose Frauen, Sexarbeiter*innen, Frauen mit Psychiatrieerfahrung, von Rassismus betroffene Frauen, queere Frauen, dicke Frauen, migrierte und geflüchtete Frauen.

Dieses Buch ist aus einer sehr privilegierten Position heraus geschrieben. Diese Position machte es uns möglich, auf einer solchen Ebene sprechen zu können. Es geht jedoch darum, all diejenigen, die nicht über diese gesellschaftliche Position verfügen, mitzudenken. Es ist auch ein Buch für all die, deren Stimme zu wenig gehört wird in der Hoffnung, dass wir das gemeinsam verändern. Im besten Fall kann dieses Buch dazu beitragen, die Bereitschaft, hinzuhören und hin zu schauen, zu erhöhen.

Vorwort

Dieses Buch ist vieles: eine Geschichte, ein Stück Heilungsprozess, ein Zeugnis von Mut und Haltung, eine Befreiung. Es lässt uns an etwas teilhaben, worüber viel spekuliert, aber wenig aus der Innenperspektive gesprochen wird: wie sich eine Vergewaltigung anfühlt. Wie es danach ist. Was es braucht, um einen eigenen Weg zu finden, damit umzugehen. Was hilft. Was den Weg erschwert. Und über all die Gefühle, Gedanken, Zweifel, Widersprüche und Suchbewegungen dazwischen. Gerade die Vielfalt der Facetten dieses einen Heilungsweges verdeutlicht, dass es trotz der Belastung, die eine Vergewaltigung bedeutet, einen Weg, weiterzuleben, geben kann – und das gut und glücklich.

Es ist mir eine große Freude gewesen, den Entstehungsprozess dieses Buches zu begleiten. Denn es ist das Zeugnis eines empowernden, selbstbestimmten Prozesses einer vergewaltigten Frau. Diejenige, die so oft zum Objekt gemacht wird – über die so viel gesprochen wird –, spricht selbst und wird somit zum Subjekt. Diese Bewegung habe ich in vielen Beratungen bei LARA – Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt an Frauen*– bereits begleitet. Meist findet das im sicheren Rahmen der anonymen Beratung statt. Mit diesem Buch tritt eine Frau auf einer anderen Ebene heraus aus dem Schweigen. Und die Art des Heraustretens ist eine besondere – die Wahl des Mediums Buch für die Veräußerlichung der eigenen Geschichte ist das Ergebnis eines inneren Prozesses über Jahre.

Ich habe dieses Buch mit großer Hochachtung gelesen und wurde davon bewegt. Die erste Begegnung mit Jana Baumann kommt mir immer wieder in den Sinn: wie sie mit einem schiefen Lächeln und einem festen Händedruck nach einem ersten Augenkontakt sucht, wie sie beginnt zu erzählen und ich von ihrem Wohlwollen und ihrer Weite sich selbst gegenüber beeindruckt bin.

Dieses Buch ist nicht nur vieles, sondern es kann auch vieles – anderen Betroffenen von Gewalt Mut machen, eine eigene Sprache zu finden; eine Einladung sein, sich weniger einsam und mehr verstanden zu fühlen. Es kann Menschen, die nie eine solche Form von Gewalt erfahren mussten, eine Brücke für Verständigung und Respekt bauen. Es kann für alle entlastend und gleichzeitig fordernd, belastend und befreiend sein. Aber vor allem kann es ein lebendiges Nachempfinden dessen ermöglichen, was weiterhin tabuisiert wird, und somit der Tabuisierung der gewaltbetroffenen Frau entgegenwirken.

Anne Roth von LARA – Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt an Frauen*

Einleitung

»Ich bin vergewaltigt worden.«

Es ist leichter, den Satz zu schreiben, als ihn zu sprechen. Weil es kein direktes Gegenüber gibt. Weil die Absurdität dieses Satzes, die unglaubliche Einschlagkraft, die Angst vor der Reaktion, die Scham, die ihn begleitet, nicht so spürbar sind.

Ihn auszusprechen, fällt mir immer noch schwer. Es klingt immer noch fremd. Auch nach fast zehn Jahren.

Und doch ist er ein Teil von mir geworden. Ich habe ihn sehr oft gesprochen in den letzten Jahren. Und jedes Mal war es ein unglaublicher Kraftakt.

Ich bin vergewaltigt worden.

Ich? Wo ich doch dem vermeintlichen »Opfertypus« so gar nicht zu entsprechen glaubte. Ich? Als eine Frau, die sich stark fühlt, unabhängig, selbstbewusst. Die mit dem Thema Angst bis dahin nur sehr wenig Berührung hatte.

Ja, ich. Ich bin vergewaltigt worden und versuche, meinen Weg zu finden, damit umzugehen. Und dieser Weg ist es, der mich dazu geführt hat, darüber schreiben zu wollen. Weil es ein unglaublich schwerer Weg war und ist. Weil ich auf diesem Weg so viel gelernt habe – lernen musste.

Über mich. Über diese Tat. Über die Mythen, die dieser Tat anhaften. Über ein Justizsystem, das mich sprachlos und unglaublich wütend macht. Über Strukturen, die dieser Tat nichts entgegensetzen. Darüber, was Traumatisierung bedeutet. Darüber, welche Macht Angst hat. Über gesellschaftliche Erwartungen und Urteile. Über die Massivität, mit der diese Erfahrung mein Leben verändert hat. Mich verändert hat.

Aber auch darüber, was Hilfe bedeutet und leisten kann. Was es heißt, Vertrauen, Schutz, Heilung zu erfahren. Darüber, wie wertvoll es ist, Menschen um mich zu haben, die mir all das entgegenbringen und mich unterstützen. Gefragt und ungefragt.

Darüber, wie immens wichtig es ist, sprechen zu können. Sprechen zu dürfen. Gehört zu werden. Darüber, wie stark ich bin. Oder wieder geworden bin.

Die Tat passierte noch vor #MeToo. Bevor es einen wahrnehmbaren gesellschaftlichen Diskurs zu dem Thema »Sexismus« und »sexualisierte Gewalt« gab. Und so froh ich über diese Bewegung bin, so wichtig ich sie finde und mich ihr verbunden fühle, so hat sie meinen Weg auch geprägt und mich persönlich auf diesem Weg verunsichert. Aber dazu später mehr.

Ich bin vergewaltigt worden und habe die Tat bisher nicht angezeigt. Und gerade weil das so ist – weil es alles nicht so einfach ist, wie es vielleicht scheint. Weil es so viele Weggabelungen gab, an denen ich Entscheidungen treffen musste. Und diese Entscheidungen so schwierig waren und sind … Deshalb schreibe ich dieses Buch. Weil es Teil meines ganz persönlichen Prozesses ist.

Und ich hoffe, damit einen Beitrag leisten zu können. Ich hoffe, damit informieren zu können, und stelle eine – meine – Perspektive zur Verfügung. Nicht, weil sie die einzig richtige ist. Nicht, weil ich damit eine Empfehlung aussprechen möchte. Sondern, weil ich es wichtig finde, dass wir besser verstehen, welche Empfindungen nach so einer Erfahrung auftreten können. Weil ich hoffe, dass dieses Buch Menschen, denen Ähnliches widerfährt oder schon widerfahren ist, Orientierung geben kann. Nicht um mir zu folgen, sondern um wiederum ihren eigenen, ganz persönlichen Weg zu finden.

Es gab viele sehr bewegende und wichtige Begegnungen auf diesem meinem Weg. Viele Texte, Äußerungen, Meinungen, die sehr wichtig für mich waren. Einige, weil sie mich wütend und fassungslos gemacht haben – auch das war ein Motor für dieses Buch. Und einige, die mir an benannten Weggabelungen eine Richtung aufgezeigt haben, mir Mut und Energie gegeben haben, Erlaubnis und Schutz waren.

Eine dieser Begegnungen war Carolin Emcke im Anschluss an eine Veranstaltung zu einer Lesung ihres Textes »Ja heißt ja und …«. Sie hat mir nach einer Lesung einen Satz geschrieben, der mich bis heute begleitet und leitet und für den ich ihr sehr dankbar bin.

»Glücklichsein ist auch eine Form von Widerstand.«

Die Nacht

Es ist im Arbeitskontext passiert. Ich war interne Beraterin. In dieser Funktion wurde ich bereits über viele Jahre für die unterschiedlichsten Projekte »eingekauft« von ganz verschiedenen Kund:innen.

Ich war mal wieder im Einsatz bei einem Workshop: Zwei Tage, mit verschiedenen Mitarbeitenden und Führungskräften. Die meisten kannte ich kaum, hatte sie maximal zwei- oder dreimal gesprochen und nur wenig Kontakt vorab.

Der erste Tag lief gut, ich war froh, wir sind gut ins Arbeiten gekommen. Wir arbeiteten effektiv, und ich konnte mich gewinnbringend einbringen. Es wurde mir viel Wertschätzung entgegengebracht, gerade auch von einem der Führungskräfte. Das freute mich.

Wir waren größtenteils im selben Hotel und gingen am Abend gemeinsam Tapas essen. Es war ein schöner Abend. Wir verstanden uns gut und erzählten uns, wie und wo wir leben. Informationen, die ich später bereut habe, geteilt zu haben.

Im Laufe des Abends sprach er mich an und betonte noch einmal, wie sehr er meine Arbeit schätze. Das schmeichelte mir. Es unterstrich den Wert meiner Arbeit. Dachte ich.

Nichts an der Situation erschien mir unangenehm oder bedrohlich.

Mit einigen Kolleg:innen haben wir im Hotel noch zusammen gesessen. Wir tranken noch einen Wein gemeinsam. Als die Mitarbeitenden, die mit mir noch da geblieben waren, rauchen gingen, veränderte sich die Situation. Plötzlich und für mich absolut unvermittelt.

Unbeobachtet fasste er mich an der Schulter an, streichelte sie und rückte näher. Ich stand sehr irritiert auf und sagte, ich würde auch gerne rauchen gehen. Natürlich höflich, ich wollte keinen Eklat, aber mich der Situation entziehen. Also ging ich zu den anderen nach draußen. Nach einer Weile kehrten wir gemeinsam zurück an den Tisch, wechselten noch ein paar Sätze und gingen dann alle gemeinsam zum Fahrstuhl. Den Annäherungsversuch habe ich versucht zu ignorieren.

Ich wollte einfach nur fröhlich sein. Es war ein guter Tag gewesen.

Ich habe vertraut.

Es schien so, als könnte ich das. Was habe ich übersehen?

Er lässt mich nicht.

Der Fahrstuhl hält, die Kolleg:innen steigen aus, ich musste noch eine Etage höher. Er bleibt im Fahrstuhl. Das ist der erste Moment, an den ich mich bewusst erinnern kann, in dem ich denke: Das ist nicht gut.

Wir steigen gemeinsam in der nächsten Etage aus. Ich möchte gehen. Und ich möchte, dass wir uns morgen gut begegnen können.

Und dann geht es sehr schnell. Er drückt mich an die Wand und versucht, mich zu küssen. 

Atmen. Die Kontrolle behalten. Ich bekomme das schon in den Griff. Ja, es war vermutlich zu viel Alkohol. Aber jetzt ist der Abend vorbei. Es ist für alle gut, ins Bett zu gehen.

Ich sage: »Bitte nicht! Ich möchte das nicht.« Er redet auf mich ein. »Nur ganz kurz, wir müssen ja nix machen, können ja nur noch ein bisschen reden.« Ich sehe meine Zimmertür. Es ist das erste Zimmer auf dem Flur.

»Sie sind verheiratet und ich auch.«

»Ich denke, es ist besser, wir gehen jetzt.«

»Ich möchte das nicht.«

»Bitte nicht!«

Ich habe damit überhaupt nicht gerechnet. Es hat keine Anzeichen gegeben.

Ich habe die ganze Zeit gedacht: Ich bekomme das in den Griff!

Wir müssen doch morgen weiterarbeiten.

Ich versuche, ihn damit zu überzeugen.

Er drückt mich gegen die Wand. Ich sage immer wieder: »Nein, bitte nicht!«

Sequenzen der nächsten Minuten:

Wohin?

Vielleicht ist mein Zimmer ein Schutzraum?

Es war kein Schutzraum!

Das habe ich leider zu spät realisiert. Ich war mir so sicher, dass ich die Situation wieder unter Kontrolle bekomme. Das habe ich aber nicht. Er hat kontrolliert. Einfach dadurch, dass er meine Worte ignoriert hat, einfach gemacht hat. Und ich nicht wusste, wie ich mich wehren kann.

Mir fehlen Sequenzen.

Nächster Moment. Wir sind in meinem Zimmer. Nichts an diesem Ort ist mehr sicher. Ich liege auf dem Bett, er beugt sich über mich und würgt mich. Hat seine eine Hand fest um meinen Hals gelegt. Ich sage es die ganze Zeit: »Nein, bitte nicht. Bitte nicht, ich will doch nur einen guten Job machen. Bitte nicht.«

»Du willst es doch auch, du Miststück!«

Das zu hören und all meine Worte, die nicht gehört werden. Die völlige Überforderung mit dieser Situation. Angst! Was macht er da? Was passiert als Nächstes? Bringt er mich um?

Er hat die Situation entschieden. Alles darin. Ich wollte überleben.

Was macht man dann? Was schützt mein Leben?

Er erniedrigt mich. Er hat die Kontrolle. Zieht sich aus. Sagt mir, was ich tun soll.

Ignoriert mein beständiges »Bitte nicht!!!«.

Ich möchte aus dieser Situation raus. Möchte wieder Luft bekommen. Möchte einfach nur, dass er geht.

Was kann ich tun? Was lässt ihn gehen? Worum geht es hier?

Es ist pure Angst, es ist Nötigung. Es ist eine Vergewaltigung!

Und dann gibt es noch viele Fragmente. Fragmente, die ich hier nicht beschreiben möchte.

Irgendwann ist er gegangen.

Ich habe um Luft gerungen. Habe geduscht. Musste raus, atmen. Luft bekommen. Ich konnte so schlecht atmen. Es war Winter. Mein Zimmer hatte einen Balkon. Ich erinnere mich nicht daran, wie lange ich dort draußen war. Aber es war lange. Irgendwann bin ich wieder rein. Mir war schlecht. Ins Bad. Versuche, mich zu übergeben. Es geht nicht. Keine Luft. Duschen!

Was mache ich jetzt? Wie geht es weiter?

Ich wusste, dass ein guter Kollege zwei Zimmer weiter eingecheckt hatte. Was mache ich? Wohin mit mir?

Ich bin zu ihm gegangen. Habe geklopft, ihn geweckt. Er hat aufgemacht, und ich bin in sein Zimmer gelaufen. Konnte nicht sprechen. Er war sehr irritiert. »Was ist los, Jana?«

Ich konnte nicht sprechen. Er hat immer weitergefragt.

Irgendwann konnte ich sprechen, habe ihm versucht, zu sagen, was passiert ist.

Er war schockiert. Schockiert, mich so zu sehen. Schockiert über das, was ich ihm erzählte.

»Wir rufen jetzt sofort die Polizei!«

»Nein, auf gar keinen Fall. Das glaubt mir doch niemand! Das kann ich nicht. Ich verliere meinen Job!«

Nicht die Kontrolle verlieren. Nicht schon wieder! Das war für mich unvorstellbar.

Er hat sich darauf eingelassen. War hilflos, überfordert. Das war ich auch.

Aber ich habe gesprochen. Ich war nicht mehr allein.

Das war gut und wichtig, und ich bin ihm unendlich dankbar!

Dass er da war, zugehört hat. Und dass er meine Grenzen respektiert hat. Es mag viele Gründe geben, warum es richtig und schlau gewesen wäre, die Polizei zu holen.

Aber es war für mich nicht möglich. Absolut nicht möglich. Weil ich noch gar nicht in der Lage war, zuzulassen, was passiert war.

Ich habe versucht zu schlafen.

Der nächste Tag

Der Wecker klingelt. Ich habe so gut wie nicht geschlafen. Mir ist schlecht.

Eine Nachricht auf meinem Diensthandy. Seine private Nummer. Ich bekomme keine Luft. Antworte nicht.

Es ist der zweite Tag des Workshops.

Was soll ich machen? Wie soll ich mich verhalten? Ich muss diesen Tag irgendwie überstehen. Am Nachmittag kann ich nach Hause fahren.

Wir treffen uns alle in der Lobby. Da steht er. Ich versuche, wegzuschauen, Abstand zu halten. Ruhig zu atmen. Ich schaffe das. Es sind nur noch ein paar Stunden, dann kann ich nach Hause. Ich will doch nur einen guten Job machen.

Wir führen den Workshop weiter.

Ich erinnere mich nicht an die Inhalte. Einfach weitermachen. Nicht nachdenken. Bald ist es geschafft. Bald kann ich der Situation entkommen.

Der Kollege, der alles weiß, ist da und signalisiert mir, dass wir jederzeit gehen können.

Ich bringe den Tag zu Ende. Ich weiß heute nicht mehr, wie ich das gemacht habe.

Im Zug

Ich bin auf der Rückfahrt und sitze lange im Zug. Habe meine Winterjacke an. Die hat eine große Kapuze, in der ich mich verstecken kann.

Ich atme zu schnell. Panik kommt auf. Was ist mir passiert? Was wird jetzt? Was mache ich jetzt?

Ich rufe meine beste Freundin an. Sie geht ran. Wie gut!

Ich kann kaum sprechen. Weine sehr. Sie merkt sofort, dass etwas nicht stimmt.

»Kannst du mich bitte vom Bahnhof abholen?« Der Empfang ist schlecht. »Es ist etwas Schlimmes passiert. Kannst du mich bitte vom Bahnhof abholen?«

Es brauchte nicht mehr Worte. »Ja«, hat sie gesagt. »Ja, ich bin da! Wann?«

An mehr von der Zugfahrt erinnere ich mich nicht.

Am Bahnhof

Sie ist da. Wartet unten im Bahnhof auf mich. Wir setzen uns raus. Ich erzähle ihr, was passiert ist. Da ist er wieder, der Satz:

»Ich bin vergewaltigt worden.«

Das bin ich doch, oder? Ich schildere ihr die Situation. Und auch all meine Zweifel. Bin ich schuld? Was habe ich falsch gemacht? Was hätte ich ahnen können, müssen? Warum habe ich mich nicht (mehr) gewehrt? Warum hat er das getan?

Sieht man etwas? Am Hals?

»Jana, du bist vergewaltigt worden. Das ist eine Vergewaltigung.«

Wie konnte das passieren???

Und jetzt? Was mache ich jetzt?

Polizei? Nein, auf gar keinen Fall! Das kann ich nicht.

Ich muss morgen arbeiten. Habe ein zweitägiges Training. 16 Teilnehmer:innen und eine Co-Trainerin. Alle verlassen sich auf mich, ich muss das hinbekommen! Ich muss funktionieren.

Ich muss erst mal überlegen. Und das kann ich erst, wenn ich Ruhe habe. Wenn ich weiß, was ich tun kann. Ich fühle mich so hilflos.

Wir fahren noch zum Copyshop und drucken Unterlagen für mein Training am nächsten Tag. Absurd!

Aber wieder: Ich habe gesprochen. Sie hat mir zugehört und mir geglaubt. Auch sie hat mich nicht unter Druck gesetzt. War einfach da. In einem der wichtigsten Momente war meine Freundin einfach da. Und war mit mir traurig, fassungslos. Ich war nicht allein. Danke! Ich bin dafür so dankbar!

Sie bringt mich nach Hause.

Zu Hause

Endlich zu Hause! Endlich ein sicherer Ort. Mein Mann. Ankommen.

Ich habe Angst. Ich kann ihm das nicht sagen. Was passiert dann? Was macht er? Ist er sauer auf mich? Wie reagiert er? Was macht das mit uns, wenn ich es ihm sage?

Bin so kraftlos. Ich lasse mir ein Bad ein. Das hilft immer. Ich spreche nicht viel an dem Abend. Bin müde und voller Angst. Ich will mein Leben nicht verlieren. Mein Zuhause.

Ich habe das Gefühl, zu wenig Antworten auf mögliche Fragen zu haben. Ich verstehe es doch selbst nicht!

Ich recherchiere auf dem Handy: die Pille danach.

Ich gehe schlafen und habe nicht gesprochen. Wecker stellen. Ich muss morgen früh los.

Der nächste Tag

Ich stehe um sechs Uhr auf und fahre zum Hauptbahnhof. Man kann sich jetzt die Pille danach auch ohne Rezept holen. Wie gut!

Die Apotheke hat 24 Stunden geöffnet, und ich bekomme die Pille. Nehme sie und frage mich: Was ist das für eine Situation? Was mache ich hier? Was hat das mit mir und meinem Leben zu tun? Ich will das nicht! Es soll aufhören, ich will aufwachen, und alles war nur ein böser Traum. Bitte!!!

Es ist kein Traum. Und das Leben geht weiter, und ich habe keinen Plan. Also funktioniere ich einfach weiter.

Das ist im Nachhinein so verrückt. Ich mache einfach. Als wenn ich irgendwie programmiert sei. Wie auf Autopilot.

Aber es hilft in dem Moment. Weil eben ich jetzt entscheide. Und weil offenbar ein innerer Motor angesprungen ist, der schon seine wachsamen Fühler ausstreckt und die Situation um mich herum scannt. Aber eben auch entscheidet, wie das jetzt geht – aufstehen, duschen, einen Fuß vor den anderen setzen, entscheiden, zur Apotheke zu gehen, Wasser zu haben, um die Tablette einzunehmen, weiterzugehen und in die U-Bahn zu steigen …

Das Training beginnt, und ich führe es gemeinsam mit der Co-Trainerin durch. Sage, dass es mir nicht so gut gehe. Der Magen …

Ich versuche, mich zu konzentrieren. Die Arbeit lenkt mich ab. Das ist der einzige Vorteil.

Der Tag ist geschafft. Ich muss mich beeilen, habe für den Abend einen Theaterbesuch mit meinem Mann geplant. Wir wollen uns direkt am Theater treffen.

Ich steige ins Taxi und merke, dass ich das nicht kann. Ich kann mich jetzt nicht einfach neben ihn ins Theater setzen und so tun, als wäre alles in Ordnung.

Es ist gar nichts in Ordnung. Es geht mir schlecht. Mir ist schlecht.

Ich rufe ihn aus dem Taxi an und sage ihm, dass wir reden müssten, dass es wichtig sei. Er reagiert besorgt. Ich sage ihm, dass ich ihm jetzt nicht sagen könne, worum es geht. Wir reden gleich.

Ich steige aus dem Taxi, er kommt mir entgegen.

»Was ist los? Alles okay?«

»Nein, es ist überhaupt nichts okay. Ich bin vergewaltigt worden.«

»Was ist los? Was sagst du denn da?«

Und da ist es. Ein Thema, das wir beide in unserem Beziehungsprogramm niemals haben kommen sehen. Und da ist er, der Satz, der zwischen uns steht und plötzlich alles verändert.

Er wird so wütend. Obwohl er das eigentlich selten bis nie wird. Nicht auf mich. Auf den Typen.

Er ist hilflos. Läuft aufgeregt auf und ab.

»Was machen wir jetzt? Wer ist der Typ? Wo ist er? Wir müssen zur Polizei!«

Ich überrede ihn, dass wir nach Hause fahren und dort weiterreden. Sage ihm, dass wir in Ruhe überlegen müssen, was wir jetzt tun. Dass ich das auch nicht weiß. Was ich aber weiß – ich kann und will jetzt nicht zur Polizei. Das schaffe ich nicht.

Ich spreche den Namen nicht aus. Eher intuitiv. Auch hier vielleicht unterbewusst, um die Kontrolle zu behalten. Ich will nicht, dass irgendjemand irgendetwas unternimmt – in »meinem Sinne« oder gegen den Typen.

Ich will erst überlegen. Ich muss erst wieder Luft bekommen!