Unsere Liebe stirbt nicht - Anna-Theresia Dersch - E-Book

Unsere Liebe stirbt nicht E-Book

Anna-Theresia Dersch

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Beschreibung

Kaylas Herz liegt in Trümmern. Ihr Ziehvater Jones wurde ermordet und ihre große Liebe Kaden hat sie ohne ein Wort des Abschieds verlassen. Nachdem auch noch die letzten Ausbildungspferde abgeholt wurden, steht sie vor dem Nichts. Erst ein Brief vom örtlichen Gefängnis gibt ihr Hoffnung. Sie soll den Job ihres Ziehvaters übernehmen, dabei kommt sie aber Kadens ehemaligem Boss gefährlich nah. Als ihr Ex-Freund James sie dann auch noch in das Auge der Öffentlichkeit zieht, scheint ihr Leben vollkommen im Chaos zu versinken. Schafft sie es, Kaden zu vergessen und sich einer neuen, sicheren Zukunft zuzuwenden?

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Anna-Theresia Dersch

Unsere Liebe stirbt nicht

Mustang-Dilogie Band 2

Roman

1. Auflage

Copyright © Anna-Theresia Dersch 2021

Herstellung und Verlag: BoD - Books on Demand, Norderstedt

Umschlaggestaltung & Buchsatz: Anna-Theresia Dersch (Thesi-Design)

Bildmaterialien: © Shutterstock

ISBN: 9783738645514

Alle Rechte vorbehalten

Für Oma Doris und Opa KonniDanke das es euch gibt

Kapitel 1.1

Kayla

„Wie, Kaden ist weg?”, fragte ich laut, während ich meinen Bruder anstarrte. Sein Gesichtsausdruck war schuldbewusst, was das Durcheinander in mir noch verstärkte. Das konnte mir Kaden nicht antun. Das ging nicht. Nicht, nachdem Jones ermordet wurde.

Mit jedem Gedanken bekam ich schlechter Luft. Mit jedem Atemzug steuerte ich zielstrebig auf eine Panikattacke zu. Es kostete mich all meine Kraft jetzt nicht meinen zitternden Knien nachzugeben und einfach zusammenzubrechen. Ich sollte mich hinsetzen, damit ich mich mehr auf meinen Atem konzentrieren konnte. Aber es ging nicht. Ich war unfähig mich zu bewegen. Ich konnte kaum realisieren, was eben passiert war.

„Wie ist er in die Stadt gekommen? Da muss sein Motorrad noch stehen. Er ist doch wegen Bug von … von … ”, flüsterte ich.

Meine Worte waren so leise, dass ich sie selbst kaum verstand, bis meine Stimme am Ende versagte.

Mit verschwommener Sicht sah ich Brian an. Schemenhaft konnte ich erkennen, wie er seinen Blick auf den Schreibtisch vor ihm senkte.

„Ich habe ihn gefahren.” Das war der Moment, in dem ich endgültig in zehntausende Teile zerbrach. Ohne ein weiteres Wort drehte ich mich herum und verließ das Zimmer. Ich hörte, wie Brians Stuhl über den Holzboden rollte, als er mir folgen wollte, aber die knallende Bürotür reichte aus, um ihn daran zu hindern. Ein Schluchzen entfuhr mir, was zur Folge hatte, dass ich mir eine Hand auf die schmerzenden Rippen legte, die nach meinem Unfall noch immer nicht richtig verheilt waren.

Als ich die Tür zum Bad hinter mir geschlossen hatte, konnte ich die Tränen kaum noch unterdrücken. Erst nachdem die ersten kalten Wasserstrahlen wie Nadelstiche auf meine Haut trafen, ließ ich ihnen freien Lauf. Kraftlos ließ ich mich in eine Ecke sinken und versuchte krampfhaft etwas anderes, als mein geschundenes Herz wahrzunehmen.

Meine Knie vor der Brust umschlungen, versuchte ich zu atmen. Das war zu viel, das war alles zu viel.

Was hatte ich getan, dass ich es verdient hatte, immer wieder so zu leiden? Warum hatte diese höhere Kraft, die sich Gott nannte, es sich zur Aufgabe gemacht, mich zu brechen? Warum musste er es gerade an diesem Tag schaffen?

Jones war tot und Kaden hatte sich, wie ein feiger Hund, verpisst. Was mich aber am meisten schmerzte, war, dass er es nicht einmal für nötig gehalten hatte, sich zu verabschieden. Ich wusste nicht, wie ich jemals wieder normal leben sollte. Meine Kraft, noch mehr Leid zu ertragen, war aufgebraucht. Vielleicht sollte ich aufgeben. Vielleicht sollte ich dem Ganzen ein Ende setzen.

„Kayla, mach bitte auf. Lass uns darüber reden”, flehte mein Bruder vor der Tür. Ohne eine Antwort schloss ich wieder die Augen. Er sollte mich in Ruhe lassen. Brian wusste, dass es mich zerstören würde, wenn ich noch mehr Menschen verlor, die ich liebte. Mein Bruder war immer mein Anker gewesen, das einzige Stück Familie, das mir noch geblieben war. Aber nun hatte ich das Gefühl, selbst ihn verloren zu haben. Ich trieb haltlos mit dem Sturm in meinem Inneren davon. Ich wollte nie wieder einen Menschen in mein Leben lassen. Ich verstand nicht, wie mein Bruder Kaden einfach gehen lassen konnte. Er wusste, wie sehr ich diesen Mann liebe.

Er wusste es.

Und jetzt war Kaden weg.

Nachdem Jones, der Mann, der seit meiner Geburt an meiner Seite war, ermordet wurde. Weil jemand Kaden verletzen wollte. Dieser ominöse Arsch, der einmal Kadens Boss war, wusste wahrscheinlich nicht, dass er auch mich damit zerstört hatte. Letztlich würde es ihn auch nicht kümmern. Nachdem er mir Jones genommen hatte, den Mann der für mich und Brian da war, als unsere Eltern gestorben waren, hatte ich niemanden mehr. Ich hatte nichts mehr, was mir Halt gab, und ich fühlte mich furchtbar allein.

Vor der Tür erklang ein Murmeln, leise Worte, die meinen Bruder wegschickte.

„Kayla? Bitte, lass mich rein.” Die leise Stimme von meiner besten Freundin Patty war vor der Tür zum Badezimmer angekommen. Wie lange saß ich schon hier? Wenn ich meine aufgequollenen Fingerkuppen betrachtete, war es wohl schon eine ganze Weile.

Aber es war mir egal, mir war alles egal. Mein Herz fühlte sich leer an und dass würde es ab sofort auch bleiben.

„Lass mich allein. Lasst mich alle allein.” Mein Magen verkrampfte sich und ich übergab mich. Mit stumpfen Blick beobachtete ich, wie die Galle im Abfluss verschwand.

„Kayla, bitte. Du musst jetzt nicht allein sein. Brian hat mich angerufen, er … er hat mir erzählt, was passiert ist”, sagte sie mit sanfter Stimme.

Ich wollte alleine sein.

Aber gleichzeitig war das Bedürfnis, nach tröstenden Worten, zu groß. Also stand ich auf, drehte die Dusche ab, schlang mir ein Handtuch um meinen zitternden Körper und trat aus dem Bad.

„Danke”, sagte Patty leise, als sie die Arme ausbreitete und mich an sich heranzog.

„Ich kann nicht mehr“, flüsterte ich erstickt. Sacht strich sie mir mit einer Hand über den Rücken.

„Das kann ich verstehen. Lass mich dir helfen, okay?“

„Das bringt nichts. Ich kann das alles nicht mehr, ich will nicht mehr. Es soll einfach nur aufhören.“ Erneut krampfte sich meine Lunge zusammen, sodass ich keuchend um Luft rang, während die Tränen unaufhörlich über mein Gesicht rollten.

Vorsichtig löste Patty sich von mir und manövrierte mich in mein Zimmer. Mit ruhigen Handbewegungen löste sie das Handtuch aus meinen verkrampften Fingern.

„Lass mich“, protestierte ich, kam aber nicht gegen den geweckten Mutterinstinkt meiner besten Freundin an. Behutsam half sie mir dabei mich abzutrocknen und mir etwas anzuziehen.

Langsam schmolz der Eisklotz in meiner Brust, weil allein die Fürsorge meiner besten Freundin dafür sorgte, dass die Wärme in meinen Körper zurückkehrte.

Sanft manövrierte sie mich auf mein Bett, deckte mich zu und setzte sich dann auf die andere Seite neben mich. Eine ganze Weile lang, sagte keiner von uns ein Wort.

„Ich kann es noch immer nicht glauben”, murmelte ich, immer wieder von Schluchzern geschüttelt. Ich wusste nicht, wie ich es schaffen sollte, diesem Schmerz je zu entkommen.

Ich wusste nicht, ob ich es nochmal schaffen würde, die gleiche Kraft aufzuwenden, wie damals nach dem Tod meiner Eltern. Es hatte so lange gedauert, bis ich wieder auf eigenen Beinen stehen konnte.

„Du musst nicht reden, wenn du nicht willst”, sagte Patty und strich mir über die Haare.

Ich nickte, wollte gerade etwas sagen, aber ich brachte kein Wort heraus. Beruhigend redete meine beste Freundin auf mich ein, strich mir über die Haare und spendete mir Wärme.

„Ich will reden, aber ich kann nicht.” Jedes Wort, das ich sprach, war eine Anstrengung, die sich kaum bewäligen ließ. Begleitet wurde das alles von den Schmerzen meiner Rippen.

„Es ist okay. Wirklich, meine Süße. Auch wenn es jetzt weh tut. Das ist ganz normal.”

Es tat gut Patty neben mir sitzen zu haben. Zu spüren, wie sie mit ihren warmen Fingern vorsichtig durch meine nassen Haare fuhr.

Zitternd wachte ich am nächsten Morgen auf.

Irgendwann musste ich eingeschlafen sein. Den Schlaf hatte ich bitter nötig gehabt, allerdings hätte ich gut auf die Albträume verzichten können, die mich nicht losgelassen hatten.

Ich hatte kaum gemerkt, wie ich mich schweißgebadet herumgerollt und dabei die Decke aus dem Bett geworfen hatte.

Patty lag noch immer friedlich schlafend neben mir und hatte augenscheinlich wenig von meiner unruhigen Nacht mitbekommen. Müde stand ich auf, hob die Bettdecke auf und breite sie wieder über meiner besten Freundin aus.

Sie machte für mich zwar nicht den Eindruck, als würde sie frieren, aber ich fühlte mich danach ein wenig besser. Sie hatte gestern mehr für mich getan, als ihr bewusst war. Ich wusste nicht, wie ich ihr diese Hilfe jemals zurückgeben konnte.

Kurz nachdem ich mein Schlafzimmer auf Zehenspitzen verlassen hatte, gluckerte bereits der Kaffee durch die Maschine. Ich musste so schnell wie möglich in meinen Alltag und damit in meine gewohnte Struktur zurückfinden.

In meiner ersten Therapie hatte ich gelernt, darin eine Stütze zu sehen, die mich über den Tag brachte. Seitdem gab es immer wieder Löcher, aus denen ich mich so wieder herausgekämpft hatte.

Als ich leise Pfoten hinter mir hörte, drehte ich mich gedankenverloren um. Als ich unseren Hund Bug sah, breitete sich ein freudloses Lächeln auf meinem Gesicht aus. Der Pitbull war ein Geschenk von Kaden, einen Abend, bevor er abgehauen war.

Ich hatte mich augenblicklich in das Tier verliebt, aber jetzt konnte ich kaum etwas von diesem Gefühl spüren. Auch wenn der Hund nichts dafür konnte, spürte ich jedes Mal den Schmerz des Verrats.

„Morgen Kayla. Ich hab die Kaffeemaschine schon angestellt.” Noch im Schlafanzug betrat mein Bruder die Küche. Als ich seine geröteten Augen, mit den schwarzen Ringen und den geschwollenen Lidern bemerkte, hätte ich ihn am liebsten in meine Arme geschlossen.

Allerdings hatte ich ihm noch nicht verziehen, weshalb ich ihn ignorierte und mir eine Tasse schwarzen Kaffee einschenkte. Brian suchte noch nach Worten, um etwas zu sagen, aber bevor er mit der Sprache herausrücken könnte, ging ich bereits zurück in mein Zimmer. Patty hatte zum Glück einen gesunden Schlaf, sodass ich sie nicht weckte, als ich frische Stallkleidung aus meinem Schrank suchte.

Nachdem ich mich im Badezimmer umgezogen hatte, brachte ich meine leere Tasse zurück in die Küche. Brian saß noch immer unverändert auf einem Stuhl und starrte die Tischplatte an. Er schien mich genauso wenig zu bemerken, wie den winselnden Hund, der neben ihm saß.

Als Bug mich bemerkte, verlagerte er seine Aufmerksamkeit von Brian auf mich.

Aufgeregt drängelte er gegen mein Bein, als ich zur Haustür ging. Ich hatte sie nur einen Spalt geöffnet, als er sich schon hindurch quetschte und hinaus auf den Hof rannte.

Ohne weiter auf das Tier zu achten, ging ich hinüber zu der Koppel, wo Apache und Livinia standen. Ich hatte gestern keine Kraft mehr gehabt, die letzten beiden Ausbildungspferde, die ich noch hatte, in den Stall zu bringen. Eigentlich sollte ich wenigstens den Mist von der Koppel entfernen. Aber allein der Gedanke zu arbeiten, bereitete mir Bauchschmerzen.

So sehr ich auch etwas tun wollte, eine Mauer in mir schien mich zu blockieren. Am liebsten hätte ich mich zusammengekrümmt und geweint.

Ich spürte bereits die ersten Tränen über meine Wangen rollen, als ich eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahrnahm. Bug kam schwanzwedeln auf mich zugelaufen und blieb direkt neben mir stehen. Mit schiefgelegtem Kopf sah er zu mir auf, ganz so als würde er fragen, was mit mir los war.

Noch während ich den Hund so beobachtete, atmete ich tief durch. Es hatte keinen Sinn, Trübsal zu blasen. Ich musste mich um meine Tiere kümmern und wenn ich jetzt einmal den Zaun abging, war das wenigstens ein Anfang. Während ich nun am Holz entlangging, merkte ich, wie meine Beine mit jedem Schritt schwerer wurden.

Mit jedem Meter, den ich zurücklegte, musste ich mehr kämpfen weiterzumachen. Und dann kamen die Gedanken zurück und begannen sich in meinem Kopf in Kreisen zu drehen.

Daran änderten auch die warmen Nüstern von meiner Stute Lacy nichts, die mich verfolgte, seit ich die Koppel der Mustangs betreten hatte.

Irgendwann hatte mich das Gedankenkarussell, das sich unablässig in meinem Kopf drehte so ausgelaugt, dass ich mich in ihrer Mähne festhalten musste, um nicht auf die Knie zu sinken.

„Miss Riley?”, hörte ich kurz darauf eine fremde Männerstimme. Sofort versteifte sich mein ganzer Körper und ich drehte mich herum. Adrenalin raste durch meine Adern und mein Gedankenkarussell kam kurz zum Erliegen, nur um kurz darauf mit den Ausgangsmöglichkeiten dieser Situation neu loszulegen.

„Wer sind Sie und was machen Sie auf meinem Hof?” Ich strich mir die Tränen aus dem Gesicht und blieb in sicherer Entfernung stehen.

„FBI-Special Agent John Miller. Ich bin hier, um den Mord an Levis Jones zu untersuchen.” Mit einer routinierten Bewegung holte er eine kleine, schwarze Mappe aus seiner Anzugtasche, die sich beim Aufklappen als Dienstausweis entpuppte.

Unsicher blieb ich an Ort und Stelle stehen, während ich ihn misstrauisch musterte. Neugierig wollte Lacy einige Schritte nach vorn machen, aber ich hielt sie an der Brust zurück.

Die Narbe an ihrem Hinterteil war noch immer gut sichtbar und erinnerte eindrucksvoll daran, wie skrupellos Kadens ehemaliger Boss war.

Auch mein eigener, von Narben gezeichneter Körper, zeugte davon, wie geschickt dieser Mistkerl darin war, Fallen zu stellen. Warum sollte es nicht auch jetzt eine sein?

„Wenn Sie den Ausweis ansehen wollen, müssen Sie schon näherkommen. Keine Sorge, ich werde Ihnen nichts tun”, versicherte er mir. Trotzdem vertraute ich seinen Worten nicht. Es war in den letzten Wochen so viel passiert, dass ich wahrscheinlich nie wieder Fremden über den Weg trauen würde. Vor allem dann nicht, wenn sie aus dem Nichts auf meinem Hof auftauchten.

„Ihr Ausweis könnte gefälscht sein. Ich habe keine Ahnung, wie sowas aussieht”, rief ich ihm zu und legte Lacy einen Arm über den Widerrist. Und kaum zwei Sekunden später erklang ein tiefes Bellen und Bug kam durch die Stallgasse gefegt, wo er es sich im Heu bequem gemacht hatte, als es ihm zu langweilig wurde, mir über die Koppel zu folgen.

Mit gebleckten Zähnen knurrte er bedrohlich, dann reckte er die Nase. Vorsichtig, ohne das Knurren einzustellen, schnüffelte er an dem Hosenbein des Mannes. Als er die Nase wieder zurückzog, änderte sich die Körperhaltung des Tiers und er wurde wieder zu dem gutmütigen Hund, den ich kennengelernt hatte. Diese Reaktion des Tiers veranlasste mich nun doch, näher heranzukommen.

„Ich bin ein Freund von Mike Travis”, sagte Agent Miller, als ich am Zaun stehen bleib. Meine Hände krampften sich um das Holz, als ich diesen Namen hörte.

„Kadens Bruder”, entfuhr es mir leise und der Mann nickte. Er kam sichtbar schlecht mit meiner emotionalen Reaktion klar.

Bevor wir weitere Worte wechseln konnten, sahen wir in Richtung der Stallgasse, aus der nur wenige Momente später Brian trat.

„Special Agent Miller. Sie sind früher hier, als ich erwartet habe. Ich bin Brian Riley, wir haben telefoniert. Es freut mich, dass Sie die Zeit gefunden haben herzukommen”, sagte mein Bruder und streckte dem blonden Mann vor uns die Hand hin.

Kapitel 1.2

Kaden

Nachdem Brian mich in der Stadt abgesetzt hatte, lief ich zu Jones Wohnung. Ich hoffte nur, dass ich niemanden begegnete.

In meinem Kopf tobte das Chaos und mich quälten Gewissensbisse. Die einzige Hoffnung, die ich hatte, war John, der Freund meines Bruders.

Auf dem Weg in die Stadt hatte ich bereits meinen Bruder erreicht, der mir direkt die Nummer von John weitergab.

Mit zitternden Fingern navigierte ich über das Display, dann hielt ich mir das Gerät ans Ohr. Das schnelle Piepen, das kurz darauf erklang, ließ Wut in mir hochkochen. Am liebsten hätte ich gegen die nächste Hauswand getreten. Aber das würde nichts bringen, also lief ich weiter.

Als wenige Minuten später mein Handy klingelte und ich die Nummer von John erkannte, atmete ich erleichtert auf.

„John! Gott sei Dank. Bitte, komm so schnell wie möglich. Und wenn du dich einfliegen lässt. Es ist wichtig. Wenn du nicht bald hier bist, sterben noch mehr Menschen!”, flüsterte ich und suchte in meiner Jackentasche nach meinen Schlüsseln.

Meine Wangen waren feucht von Tränen. Immer und immer wieder rasten diese Bilder durch meinen Kopf. Das Paket. Kaylas bleiches Gesicht, als sie erkannte, was sich darin befand. Das Leuchten dass in ihren Augen erstarb.

„Kaden, langsam. Was ist passiert? Erstmal schön, von dir zu hören …”, begann der Lebensgefährte meines Bruders, aber ich unterbrach ihn.

„Reden können wir später. Ein Mensch wurde ermordet. Ein Mensch, der mir sehr nah stand”, sagte ich leise und war froh, als die Tür hinter mir ins Schloss fiel. Schwer atmend lehnte ich mich dagegen.

„Kaden. Was ist passiert? Jetzt sprich endlich Klartext!” Wie gern würde ich seiner Aufforderung nachkommen, aber dafür müsste ich es zuerst schaffen, meine Gedanken zu ordnen. Dabei war das schon schwer genug für mich.

Ich musste es probieren, also atmete ich tief durch und versuchte die Geschehnisse des heutigen Tages so klar wie möglich zu formulieren.

„Heute Morgen habe ich ein Päckchen mit dem Kopf eines Freundes bekommen, klar genug?”, bluffte ich und ich hörte, wie es auf der anderen Seite der Leitung still wurde.

Beängstigend still.

„Wo hast du das Paket jetzt?” Als John mich das Fragte, wurde ich still. Er würde mich umbringen.

„In meiner Tasche”, sagte ich und John atmete tief durch. Innerlich bereitete ich mich schon auf seine Standpauke vor.

„Warum hast du es nicht der örtlichen Polizei übergeben?” Ich hörte seine unterdrückte Wut deutlich heraus.

„Weil die alle korrupt sind! Glaub mir, wenn ich dir sage, dass du niemanden da vertrauen kannst!”, beschwor ich ihn und John brummte etwas Zustimmendes.

„Ich mache mich sofort auf den Weg. Ich rufe dich morgen an, sobald wir in der Stadt sind, zuerst muss ich einiges für unsere Ankunft regeln”, sagte John und legte dann auf. Vorsichtig stellte ich meine Tasche ab und ging durch jeden Raum der Wohnung. Wenigstens war Jones nicht hier ermordet worden.

Es war schon riskant genug gewesen, dass ich mit seinem Kopf in der Tasche herumgelaufen war. Wenn der restliche Körper dann zusammen mit mir in der Wohnung gefunden wurde, hätte ich ein Problem.

Auf den ersten Blick würde das ziemlich eindeutig aussehen. Und wie ich reagiert hätte, war etwas, woran ich ebenfalls nicht denken wollte. Es war mir noch mehr als präsent, was passiert war, als ich die Leiche von Landon gefunden hatte.

Allein bei dem Gedanken, an den Gestank und den Anblick, spürte ich wie Galle in meiner Kehle aufstieg. Aber hier war, zu meiner Erleichterung, keine Leiche. Trotzdem war es eine ziemlich dumme Idee, mich hier einzuquartieren. Aber ich wusste nicht, wo ich sonst hinsollte.

Was sollte ich den Nachbarn sagen? Dass ich Jones Neffe war? Das würden sie mir doch niemals glauben. Wenn ich mich doch nur daran erinnern konnte, was Jones ihnen erzählt hatte.

Immerhin hatte ich nach meiner Entlassung aus dem Gefängnis einige Zeit bei ihm gewohnt. Wahrscheinlich war es einfach die Wahrheit gewesen. Umso verdächtiger war es, dass Jones nicht mehr heimkommen würde.

Die folgende Nacht war lang. Lang und rastlos. Ich wanderte stundenlang von Raum zu Raum. Ich wartete auf den erlösenden Anruf von John. Wenn er hier war, würde ich mich vielleicht weniger hilflos fühlen. Ich konnte es kaum begreifen, dass Jones tot war.

Daran wie es Kayla ging, wollte ich erst recht nicht denken. Sie kannte Jones noch viel besser und hatte eine so enge Beziehung zu dem Mann gehabt. Ich fühlte mich so verdammt herzlos, weil ich sie, ohne ein Wort zu sagen, damit allein gelassen hatte. Aber ich hatte keine andere Wahl.

Der Gedanke, dass sie das gleiche Schicksal ereilen könnte wie Jones … Ich konnte diesen Gedanken nicht weiterführen. Die Hauptsache war, dass mein Ex-Boss sie so nicht mehr im Visier hatte.

Komplett aus der Stadt verschwinden würde ich aber erst, wenn John hier wäre. Wenn er erstmal mit der Situation vertraut war, würde er Kayla beschützen, er würde dafür sorgen, dass ihr nichts mehr passieren konnte.

Und, obwohl ich sehnsüchtig auf seinen Anruf wartete, erschrak ich, als mein Klingelton zu spielen begann.

„Hallo John.” Ich fuhr mir durch meine dunklen Haare, so wie Kayla das gestern noch gemacht hat. Nachdem ich ihr meine Liebe gestanden hatte. Jetzt hasste sie mich, das brauchte, sie mir nicht sagen, damit ich es wusste. In Gedanken redete ich mir immer wieder gut zu, dass es keinen anderen Weg gab, sie zu schützen.

Vielleicht wäre ich überzeugter von dieser Annahme, wenn es da nicht gleichzeitig diese leise Stimme in meinem Kopf gäbe. Leise flüsterte sie mir zu, dass ich der Wahrheit ins Gesicht sehen musste. Es lag nicht in meiner Macht, Kayla in Sicherheit zu bringen.

„Wo bist du? Ich muss meine Leute von der Spurensicherung zu dir schicken, damit sie dieses Paket abholen können”, sagte er knapp ohne eine Begrüßung. Meine Antwort fiel genauso knapp aus und darauf folgte ein unangenehmes Schweigen.

„John, was ist jetzt das weitere Vorgehen?”, fragte ich, bevor er auflegen konnte. Ich hörte ihn seufzen.

Sicherlich hatte er kaum mehr Schlaf bekommen als ich.

„Ich fahre jetzt zu dem Hof der Rileys. Ich habe gestern noch mit dem Bruder gesprochen und ihm gesagt, dass ich so früh es geht vorbeikommen werde. Ich melde mich danach bei dir”, sagte er und bevor ich noch etwas erwidern konnte, legte er auf.

Rastlos begann ich durch die Wohnung zu wandern. Dabei erhaschte ich einen Blick in den Spiegel und erschrak. Ich sah furchtbar aus. Ich sollte ganz dringend duschen und mich rasieren. Vielleicht würde ich mich dann wieder wie ein Mensch fühlen.

Als ich wenig später mit der Hand über den, vom Wasserdampf beschlagenen, Spiegel strich, schüttelte ich den Kopf. Ich war zwar wieder gepflegter, aber sah noch immer fertig aus. Gegen die dunklen Augenringe und den freudlosen Blick würde keine Dusche helfen. Vielleicht würde es mir besser gehen, wenn John sich endlich wieder bei mir meldete und mir versicherte, dass es Kayla gut ging.

Aber der Partner meines Bruders ließ sich jede Menge Zeit. Ich hätte zwar auch Brian anrufen können, aber das war mir zu riskant. Bis ich das machen konnte, musste noch einige Zeit ins Land gehen.

Ich fühlte mich in diesem Moment so nutzlos. Ich hatte keine Aufgabe, keine Beschäftigung, mit der ich mich hätte ablenken können. Die Versuchung einfach zum Telefon zu greifen und Kayla anzurufen war groß. Gleichzeitig war ich mir bewusst, dass ich das nicht durfte. Also beschloss ich, dass ich mein rastloses Herumtigern auch dazu nutzen konnte, irgendetwas zu finden, das mir einen Anhalt gab, was Jones passiert war.

Aber wie ich bereits erwartet hatte, fand ich nichts. In der Wohnung gab es keine Anzeichen darauf, dass Jones überfallen wurde. Es gab keine Einbruchsspuren, keine Hinweise auf eine gewaltsame Auseinandersetzung. Vermutlich wurde Jones nach der Arbeit abgepasst und in eine der vielen Lagerhallen außerhalb der Stadt verschleppt. Dort hatten sie ihn gefoltert, ausgepresst und als er ihnen ausgedient hatte, hatten sie ihn umgebracht, den Kopf abgetrennt und mir zum Geschenk gemacht.

Als ich nach und nach die Bilder von gestern vor meinem inneren Auge sah, drehte sich mir der Magen um und ich stürzte ins Bad, um mich zu übergeben. Früher, bevor ich mit Basta und Kayla zu tun gehabt hatte, hätte ich spätestens jetzt zu Drogen gegriffen.

Einfach um diese Gefühle, diese Hilflosigkeit, in mir zu betäuben. Aber das war eben die Zeit, bevor ich andere Lebewesen und Menschen über mein eigenes Wohlbefinden gestellt hatte.

Ich hatte keine Ahnung, wie ich mit diesen schrecklichen Gefühlen umgehen sollte. Trotzdem war ich froh darüber, überhaupt etwas zu fühlen und bis jetzt, hatte ich auch noch nicht das Bedürfnis, sie wieder zu betäuben.

Das Klingeln der Haustür riss mich aus meinen Gedanken. Angespannt lief ich zur Tür, bereit jeden niederzuschlagen, der davor stand. Als ich durch den Spion sah, fiel meine Anspannung schlagartig von mir ab und ich riss die Tür auf. Brüderlich schloss mich John in seine Arme und klopfte mir mitleidig auf den Rücken.

Ich wollte nicht vor dem Lebensgefährten meines Bruders anfangen zu weinen, aber ich schaffte es nicht, die Tränen zurückzuhalten. Ich fühlte mich wie ein Schwächling, trotzdem war es unglaublich befreiend, meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen.

„Es geht deiner Freundin weitestgehend gut. Ich habe zwei Männer auf dem Hof abgestellt, die auf sie und ihren Bruder aufpassen, bis ich zurück bin”, sagte er, nachdem wir uns an den Küchentisch gesetzt hatten.

„Sie hasst mich, oder?”, fragte ich und John sah mich unbehaglich an. Seine Körpersprache sagte mehr als tausend Worte. Verzweifelt atmete ich aus und war schon wieder kurz davor, wie ein kleiner Junge zu flennen.

„Ich glaube nicht, dass sie dich direkt hasst. Aber sie ist sicherlich nicht glücklich darüber, dass du jetzt weg bist. Wir haben nicht lange über dich gesprochen. Eigentlich hat sie nur von unserer Verbindung erfahren, weil ich ihr gesagt habe, dass ich der Freund deines Bruders bin”, erzählte er mir und ich schluckte.

„Okay. Also, was meinst du? Was passiert jetzt?”

„Ich werde mich erstmal auf Kaylas Schutz konzentrieren. Dir zuliebe werde ich sie die meiste Zeit selbst begleiten. Hast du eine Ahnung, wo wir den restlichen Körper von Jones finden könnten?” Ich zuckte bei seiner letzten Frage zusammen. Auf diesen schnellen Themenwechsel war ich nicht vorbereitet gewesen. Und John schien nicht mal zu bemerken, dass er den Finger von der einen tiefen Wunde in die andere gesteckt hatte. Ich wusste ehrlich gesagt nicht, welche mich mehr schmerzte.

Ich fühlte mich verantwortlich für den Mord an Jones und damit auch für den Schmerz, den Kayla dadurch erleiden musste. Wenn ich nicht so leichtsinnig gewesen und selbst nach der ersten Warnung auf dem Hof geblieben wäre, hätte das alles nicht passieren müssen.

„Es geht hier um einen meiner Freunde. Er hat mich aufgenommen, nachdem ich aus dem Gefängnis gekommen bin und hat mir die Stelle auf dem Hof vermittelt. Könntest du also bitte nicht so über ihn reden, als wäre er nur ein Gegenstand oder eine Nummer?”, fragte ich knurrend und John zuckte zusammen. Schuldbewusstsein blitzte in seinen Augen auf und er nickte entschuldigend.

„Nun, um möglichst bald eine Beerdigung zu gewährleisten, wäre es nützlich, wenn du uns einen Tipp geben könntest. Wir können damit anfangen, dass du mir verräts, wer dein Boss von damals ist”, sagte John, dieses Mal sanfter. Auch wenn seine Formulierung vorwurfsvoll klangen, nahm ich es ihm nicht übel. So war er eben schon immer gewesen.

Eigentlich war John ein herzensguter Mensch, er hatte nur Probleme damit, dass mit Worten zu zeigen. Er meinte es niemals böse, wenn er solche Dinge sagte. Er vergaß nur manchmal, dass er nicht immer mit seinen Kollegen, sondern auch mit Angehörigen von den Mordopfern redete. Er wahrte damit nur seine berufliche Distanz zu den Fällen.

„Okay, ich sage es dir”, erwiderte ich und atmete tief ein. Dann erzählte ich ihm alles, was er wissen wollte.

Kapitel 2.1

Kayla

Es vergingen drei Wochen, bis wir Jones beisetzen durften. Drei Wochen, in denen ich kein Wort mit meinem Bruder gewechselt hatte.

Drei Wochen, in denen sich meine Trauer immer mehr in Wut verwandelte. Ich wollte den Verantwortlichen finden und ihn so leiden lassen, wie ich.

Ich wollte für das, was Jones angetan wurde, Rache nehmen. Jedenfalls bis der Tag der Beerdigung gekommen war. Die Wut, die sich in mir angestaut hatte, verflüchtigte sich innerhalb von Sekunden, als ich mein Spiegelbild betrachtete. Das schwarze Kleid, das mir vor wenigen Wochen noch gut gepasst hatte, hing lose an meinem Körper herunter und mein ungeschminktes Gesicht wirkte unnatürlich blass.

Ich hatte in der letzten Zeit kaum einen Bissen herunterbekommen. Kurz griff ich zu meiner Mascara, dann entschied ich mich doch dagegen, mich zu schminken. Es hatte keinen Sinn, meine Augen waren geschwollen und da ich sowieso die meiste Zeit am Weinen war, würde die Wimperntusche unweigerlich verlaufen.

„Wir müssen los”, sagte mein Bruder leise, aber noch immer brachte ich es nicht über mich, mit ihm zu reden. Brian schien das mittlerweile zu akzeptieren, trotzdem sprach er immer wieder mit mir. Patty hatte nun schon mehrmals versucht, deswegen mit mir zu reden, aber ich blockte jedes Gespräch, das sich um etwas anderes als die Pferde oder ihre Familie zu tun hatte, ab. Ich schaffte es nicht, über mein in Fetzen gerissenes Herz zu reden. Jeder Schlag war schmerzhaft, aber ich hielt es aus, solange ich nicht zu oft an diesen Tag dachte.

Auch wenn ich Brian längst verziehen hatte, jedes Mal, wenn ich versucht hatte, mit ihm zu reden, geriet der Sturm in mir außer Kontrolle. Drohte nach außen zu brechen und ich wollte nicht, dass Brian mich so sah. Ich wollte nicht, dass mich irgendjemand so sah.

Deshalb hatte ich die letzten Wochen mehr im Stall als im Haus verbracht. Aber ich wusste, dass es so nicht weitergehen konnte. Selbst Bug merkte, dass etwas zwischen Brian und mir nicht stimmte.

Immer wenn wir zusammen in einem Raum waren, verzog der Hund sich mit hängenden Ohren auf seine Decke und kam erst wieder, wenn einer von uns beiden wieder gegangen war.

Weder von der Fahrt zur Kirche noch vom Trauergottesdienst selbst bekam ich viel mit. Ich schaffte es nicht, mit dem Weinen aufzuhören, und wurde von einer Erinnerung nach der anderen gefangen genommen. Wirklich wach wurde ich erst, als Brian mir einen Arm um die Taille legte und mir bedeutete aufzustehen. Als wir nach draußen gingen, schlag ich meine Jacke enger um meinen Körper, als ich den kalten Wind bemerkte, der uns mir entgegenschlug.

Im Schatten der Bäume, die nach und nach ihre Blätter verloren, war das Gras noch mit Frost bedeckt. Mein Bruder und ich waren die ersten, die vor das Grab traten und einige Worte sagen sollten. Jones hatte keine eigene Familie gehabt. Stattdessen hatten wir, meine Eltern, Brian und ich, diesen Platz eingenommen. Und er hatte es immer so aussehen lassen, als hätte er nicht mehr gebraucht.

Trotzdem waren viele Menschen gekommen, denen er wichtig gewesen war. Was mich vor allem rührte, war, dass die Häftlinge, mit denen er zusammengearbeitet hatte, einen Tag Freigang gewährt bekommen hatten, um an der Trauerfeier teilzunehmen.

„Jones war, für meine Schwester und mich, immer ein treuer Freund gewesen. Er kümmerte sich um uns, als unsere Eltern starben. Er half uns, unseren Weg zurück in das Leben und zu uns selbst zu finden, um so ihr Vermächtnis weiterleben zu lassen. Jetzt hoffen wir, dass wir es auch schaffen, das Vermächtnis von Jones weiterzuführen”, sagte Brian und ich hörte seine Stimme zittern. Ohne weiter darüber nachzudenken, griff ich nach seiner Hand und drückte sie, dann erhob ich den Blick und begann zu sprechen.

„Ich habe eigentlich kaum etwas zu ergänzen. Ich will trotzdem einige Worte loswerden. Jones war immer wie ein Onkel für mich, weil er für meinen Vater wie ein Bruder war. Durch Jones habe ich meine Liebe zu den Mustangs gefunden. Ich weiß noch, wie er mich damals immer auf mein Pony gesetzt hatte und mir erzählte, ich müsse nur fest daran glauben und dann wäre es ein Wildpferd und wir wären gemeinsam frei. Erst jetzt, nach all diesen Jahren, begreife ich, was er mir damit sagen wollte. Ich soll einfach nur an die Dinge glauben und nicht so viel darüber nachdenken. Ich werde es schon irgendwie schaffen, meine Träume zu verwirklichen.”

Meine Stimme klang klar, auch wenn mir mit jedem Wort mehr Tränen über die Wangen rannen. Als ich verstummte und tief durchatmete, spürte ich, wie Brian meine Hand drückte. Es war, als würde etwas in mir wieder zusammengesetzt werden.

Gleichzeitig zerriss etwas Neues in mir, als der Sarg kurze Zeit später in die Erde gelassen wurde. Brian ließ meine Hand nicht los als er nach einer Rose griff, die er mir reichte. Dann nahm er für sich selbst eine weitere. Wortlos bewegte er die Lippen, als er ein Gebet sprach und daraufhin die Blume ins Grab warf.

Nachdem mein Bruder mir Platz gemacht hatte, ging ich vor dem offenen Grab in die Knie. Mein Körper verkrampfte sich, ich konnte nicht mehr atmen. Meine Sicht verschwamm. Trotzdem schaffte ich es irgendwie, die Rose hinab auf den Sarg zu werfen, aber damit war meine Kraft aufgebraucht. In einem Versuch mich wieder aufzurichten, legte ich die Hände auf meine Oberschenkel, aber mehr brachte ich nicht zustande. Erst die Hand die Brian mir reichte, rettete mich. Sanft nahm er mich in den Arm. Keiner von uns beiden sagte ein Wort.

„Es tut mir leid”, murmelte ich nach einer ganzen Weile und Brian atmete auf, dann küsste er meinen Scheitel und zog mich noch näher an sich heran. Ich spürte seine Erleichterung und auch mir fiel es auf einmal wieder leichter zu atmen. Ich hatte nicht gemerkt, dass die Distanz zwischen meinem Bruder und mir wie ein Stein auf meiner Brust gelastet hatte.

„Schon okay”, antwortete er mir und auch wenn er ebenfalls weinte, seine Stimme klang befreiter.

„Wir reden später, okay?”, fragte ich und Brian nickte. Dann nahmen wir Abstand vom Grab und ließen die anderen Trauernden herantreten. Wir hatten darauf verzichtet, Gäste zu uns nach Hause einzuladen. Wir brauchten unsere Ruhe und keiner von uns beiden hatte die Kraft das Mitleid der anderen zu ertragen. Als ich aufsah und über die Gräberreihen blickte, stach mir eine Gestalt ins Auge die weiter weg, im Schatten eines Baumes, stand. Sofort schlug mein Herz schneller.

„Was ist?”, fragte Brian, als ich ihm am Arm zurückhielt. Unauffällig zeigte ich in Richtung des Mannes, dessen Umriss ich überall wiedererkannt hätte. Kaden war noch in der Gegend, auch wenn ich das für unmöglich gehalten hatte! Er hatte mich nicht verlassen, nicht richtig jedenfalls.

Am liebsten wäre ich sofort zu ihm gerannt, meine Arme um ihn geschlungen und an seiner Brust geweint. Ich wollte mich von seinem Geruch beruhigen lassen, ich musste ihn sagen hören, dass alles wieder gut wurde.

„Da ist Kaden”, sagte ich leise und als ich von meinem Bruder zurück zum Baum sah, war er weg. Kurz blinzelte ich, dann schüttelte ich den Kopf. Halluzinierte ich? Spielte mir mein Unterbewusstsein einen Streich? War es, weil ich mir so sehr wünschte, dass er zurückkam?

„Ich sehe niemanden”, sagte mein Bruder und ich presste die Lippen zusammen. Ich hatte mir die Silhouette wahrcheinlich nur eingebildet, weil ich Kaden so schmerzlich vermisste und ich mir wünschte, dass er wenigstens noch heute hier wäre.

„Vermutlich sehe ich einfach Geister.” Ich machte eine abwinkende Bewegung mit der Hand. Brian nickte, kommentierte es aber auch nicht weiter. In seinem Gesicht konnte ich allerdings Sorge um mich erkennen.

Als wir den Friedhof wieder verließen, war es bereits Mittag. Die meisten Trauergäste waren gegangen, nur Brian und ich hatten es noch nicht übers Herz gebracht, Jones allein zu lassen. Langsam wurde es allerdings Zeit die Pferde zu versorgen, also hatten wir kaum eine andere Wahl, als zurück zum Hof zu fahren.

Vor dem Friedhof wartete Agent Miller auf uns, der mir seit seinem Auftauchen auf dem Hof, nur selten von der Seite wich. Laut eigenen Angaben war er als mein Personenschutz eingeteilt. Ein masochistischer Teil meiner selbst war der festen Überzeugung, dass Kaden ihn darum gebeten hatte, auf mich aufzupassen. Immerhin war Agent Miller ein Freund seines älteren Bruders, da war dieser Gedanke nicht abwegig. Trotzdem stellte sich mir die Frage, warum er nicht selbst bei mir geblieben war, um auf mich aufzupassen. Obwohl ich mir die Antwort darauf auch selbst geben konnte. Er hatte Angst, dass mir noch mehr passieren würde. Kaden fühlte sich für alles verantwortlich, was uns sein Ex-Boss angetan hat, selbst wenn er nichts dafürkonnte.

„Konnten Sie Abschied nehmen?”, fragte uns Agent Miller steif und Brian nickte. Ich beachtete ihn allerdings kaum und stieg in den Wagen. Ich wollte nicht mit einem Agent über die Beerdigung einer meiner Freunde reden. Es fühlte sich falsch an, mit einem Fremden, für den der Kontakt mit mir rein beruflicher Natur war, über mein Gefühlsleben zu reden. Es reichte schon, wenn er mitkam, wie ich zuhause in Selbstmitleid und Depressionen versank.

„Fahren wir nach Hause”, sagte mein Bruder, nachdem er sich hinter das Steuer gesetzt hatte. Noch immer schlug mir das Herz bis zum Hals, sobald ich mich einem Auto näherte. Das war auch kaum verwunderlich, wenn man bedachte, dass es noch nicht lange her war, dass jemand unser Auto mit einer Bombe präpariert hatte, durch deren Explosion ich beinahe gestorben wäre.

Aber sowohl Patty als auch mein Therapeut meinten jedes Mal, dass es total normal war, dass ich eine Weile brauchte, um die Angst loszulassen. Auch wenn ich mir das nicht zugestand.

Kapitel 2.2

Kaden

Am klügsten wäre es gewesen, wenn ich noch an dem Tag, als mich dieses verhängnisvolle Päckchen erreicht hatte, die Stadt verlassen hätte. Entgegen diesem Wissen war ich drei Wochen später noch immer in der Stadt.

Eigentlich wollte ich schon längst bei meinen Eltern sein, aber ich konnte hier nicht weg, bis Jones beerdigt war. Also hatte John mir ein, vom FBI bezahltes, Hotelzimmer besorgt. Immerhin hatte ich, laut John, das Potential zum Kronzeugen. Allerdings würde meine Aussage vor Gericht allein nie und nimmer ausreichen, um meinen ehemaligen Boss zu belasten. Dafür fehlten noch immer die Beweise.

Zumal es fragwürdig war, ob ich es im Falle eines Geschworenengerichts schaffte, sie zu überzeugen. Immerhin war ich nur ein einfacher Krimineller und er mein ehemaliger Boss … er spielte in einer ganz anderen Liga als ich. Außerdem durfte ich nicht vergessen, dass meine Beziehung zum Boss damals nicht rein geschäftlich war. Ich war mit seiner Tochter zusammen. Einige Zeit ging es gut, auch wenn ich es nie wirklich ernst mit ihr gemeint hatte.

Sie war hübsch, ein Zeitvertreib und vor allem eine Möglichkeit, um günstig an Drogen zu kommen. Dass sie mehr in unser Techtelmechtel hineininterpretierte als ich, wurde mir erst klar, als ich mich von ihr trennte und sie sich daraufhin umbrachte.

Ich war mir sicher, dass es die Trauer um seine Tochter war, die meinen damaligen Boss den letzten Funken Menschlichkeit beraubte. In ihrem Abschiedsbrief schrieb sie, dass sie sich wegen mir das Leben genommen hatte, weil ich ihre Liebe nicht erwiderte. Aus diesem Grund schwor der Boss mir Rache.

Eine Rache, die möglichst lang und qualvoll sein sollte. Angefangen hatte er, indem er versucht hatte mein Pferd Bastard zu erschießen, dann wollte er mir Kayla zu nehmen. Das es am Ende Jones war, den er umbrachte, hatte ich nicht kommen sehen. Das Päckchen mit seinem Kopf war eine Warnung gewesen.

Ich wusste instinktiv, dass es nur der Anfang gewesen wäre. Nach und nach hätte er versucht mir jeden Menschen zu nehmen, der mir wichtig war, bis ich am Ende ganz allein war.

Deshalb hatte es für mich keinen anderen Ausweg gegeben, als zu verschwinden und jeden Kontakt zu Brian und Kayla abzubrechen.

Ich konnte nicht verantworten, dass ihnen etwas passierte, nur weil sich ein egoistischer Teil in mir weigerte zu akzeptieren, dass ich Kayla gehen lassen musste. Gerade deswegen hatte ich Angst vor dem heutigen Tag, dem letzten Tag in Kaylas Nähe. Meinem letzten Tag in der Stadt, Jones Beerdigung.

Es war noch früh am Morgen, als ich mir den schwarzen Anzug anzog, den John mir geliehen hatte, und mich auf den Weg zum Friedhof machte.

Der Trauerfeier in der Kirche würde ich nicht beiwohnen, weil das Risiko zu groß war, dass Brian oder Kayla mich entdeckten. Erst als der Sarg in die Erde gelassen wurde, sah ich aus einiger Entfernung zu und lauschte den Worten, die über Jones gesprochen wurden.

Als ich Kayla sah, konnte ich Drang, sie in den Arm zu nehmen, kaum widerstehen. Sie sah vollkommen fertig aus und Brian wirkte nicht weniger mitgenommen. Selbst aus der Entfernung sah Kayla dünner und blasser aus, als ich sie in Erinnerung hatte. Wenigstens gab ihr Bruder ihr Halt. Mehr Halt, als ich ihr jemals geben könnte.

Als sie die Blume in das Grab geworfen hatte, musste ich mich zusammenreißen, nicht zu ihr zu gehen. Aber mir war bewusst, wie dumm dieses Verlangen war. So wie ich Kayla kannte, würde sie es sowieso nicht zulassen. Eine ganze Weile beobachtete ich sie, dann sah sie in meine Richtung, ganz so als hätte sie meine Blicke gespürt.

Ich war mir sicher, dass sie mich erkannt hatte, was ich als Zeichen sah endgültig zu verschwinden. Auch wenn es mir wehtat.

Ich hätte so viel dafür gegeben, Kayla ein letztes Mal in den Arm nehmen zu können. Mich von ihr zu verabschieden. Damit ich nicht einfach so ging und ihr als riesiges Arschloch in Erinnerung blieb.

Vor dem Friedhof traf ich noch auf John, der mich kurz abpasste und dabei immer wieder kontrollierend zu den Riley-Geschwistern sah.

„Du verlässt jetzt die Stadt?” Ich nickte als Antwort auf seine Frage. Meine wenigen Habseligkeiten hatte ich bereits zusammengepackt und musste sie nur noch auf mein Motorrad schnallen. Der Gedanke an die lange Fahrt, die nun vor mir lag, ließ mich unwohl von einen Fuß auf den anderen treten. Ich hatte etwa vierundzwanzig Stunden auf der Straße vor mir, die ich durch zwei Übernachtungen unterbrechen würde. Hoffentlich fand ich unterwegs ein Zimmer, ansonsten würde es wohl eine sehr kalte Nacht unter dem Sternenhimmel werden.

„Ich hoffe nur, dass meine Eltern mich wieder bei sich aufnehmen. Alternativ werde ich wohl bei Mike klingeln und um einen Schlafplatz betteln. Vielleicht kannst du ihn ja schon vorbereiten? ”, fragte ich und kratzte mir hilflos den Kopf.

„Ich bin mir sicher, dass sie dich gern wieder aufnehmen werden. Immerhin bist du ihr Sohn. Und wenn doch alle Stricke reißen sollten, wirst du ganz bestimmt bei deinem Bruder unterkommen”, sagte John und sah wieder über seine Schulter.

„Ich muss jetzt los. Pass gut auf sie auf, okay?” Beschwörend sah ich John an und er nickte.

„Ich hüte sie wie einen Schatz. Jetzt mach dich vom Acker.” Ich hob zum Abschied kurz meine Hand und machte mich dann auf den Weg zurück ins Hotel, wo ich mir meine Ledermontur anzog und meine Taschen schulterte.

Die ganze Prozedur war von einem Schmerz begleitet, den ich selbst kaum begreifen konnte. Ich wurde den Gedanken nicht los, dass ich gerade einen riesigen Fehler machte. Es fühlte sich falsch an, meine neugewonnenen Freunde zurückzulassen.

Ich musste diese Gedanken ausschalten, musste sie loswerden. Also kontrollierte ich mehrfach, dass ich alles sicher verschallt hatte, dann setzte ich mir meinen Helm auf und startete den Motor.

John hatte mir vor einigen Tagen ein Bündel mit Geldscheinen in die Hand gedrückt, damit ich bis nach Hause kam und nicht mittendrin wegen mangelnden Geld strandete. Wenn er wüsste, wie dankbar ich ihm wegen dieser Geste war. Trotzdem würde ich ihm alles zurückzahlen. Bis auf den letzten Cent.

Auf den ersten Kilometern durch die Stadt konzentrierte ich mich noch voll auf den Verkehr, aber sobald ich den Highway erreicht hatte, dünnte er sich immer mehr aus, je weiter ich mich von der Stadt entfernte. Das Fahren wurde dadurch zwar entspannter, allerdings hatte ich auch mehr Zeit zum Nachdenken. Was ich jetzt wirklich nicht gebrauchen konnte.

Ich wollte nicht an Kayla denken, denn je mehr ich an sie dachte, desto mehr verzehrte ich mich nach ihr. Und je mehr ich das tat, umso größer wurde das Verlangen einfach umzudrehen und zu ihr zurück zu fahren. Allerdings wusste ich auch, dass ich jetzt, weg von ihr, hin zu meinen Eltern musste.

Ich konnte mich nicht länger davor drücken und tief in meinem Inneren wusste ich auch, dass ich das Richtige tat. Selbst Kayla hatte mir dazu geraten, Kontakt mit ihnen aufnehmen.

Als es bereits anfing zu dämmern, fuhr ich vom Highway ab und suchte in der nächsten Kleinstadt nach einer Herberge, in der ich mich für eine Nacht einmieten konnte.

„Haben Sie gebucht?“ Freundlich sah mich der Mann über seinen Computerbildschirm hinweg an, als er bemerkte, wie ich zögerlich eintrat.

„Nein. Ist denn noch was frei?“, fragte ich knapp und atmete erleichtert auf, als der Rezeptionist nickte. Nachdem ich den Betrag für eine Nacht gezahlt hatte, überreichte er mir einen Schlüssel und ich machte mich auf den Weg in das Zimmer. Erschöpft ließ ich mich auf das schmale, durchgelegene Bett fallen. Sauberkeit war tatsächlich etwas anderes, aber ich hatte damals schon an weitaus schlimmeren Orten geschlafen und so müde wie ich war, würde ich nicht viel von diesem Zimmer mitbekommen.

Mein Plan war, dass ich Morgen so früh wie möglich aufbrach, damit ich vielleicht um die zweite Übernachtung in einem Motel oder ähnlichen herumkommen würde.

Als mein Wecker dann nur wenige Stunden später klingelte, war die Sonne noch nicht aufgegangen. Ich machte eine kurze Katzenwäsche, dann zog ich mir ein frisches Shirt an und war nach einem kurzen Umweg über eine Tankstelle wieder auf dem Highway. Noch war er menschenleer und so kam ich gut voran. Immer weiter weg von Kayla. Weiter weg von meinem Zuhause.

Wyoming hatte ich gestern noch verlassen und New York rückte immer näher. Aber trotzdem würde es noch Stunden dauern, bis ich die Kleinstadt erreichte, in der meine Eltern lebten. Es machte mir Angst, nicht zu wissen, wie sie reagieren würden. Aber ich vertraute auf die Worte von Mike und John, dass sie mich freundlich aufnehmen würden.

Kapitel 3.1

Kayla

Auch am Morgen nach der Beerdigung fiel es mir schwer, aus dem Bett zu kommen. Mein Körper war schwer wie Blei, während die Gedanken in meinem Kopf für keine Sekunde stillstanden. Was würde ich nicht alles dafür geben, einen Tag ohne Sorgen zu erleben. Aber heute würde noch nicht dieser Tag sein.

Allein wenn ich daran dachte, dass Apache und Livinia am Mittag abgeholt wurden, trieb es mir die Tränen in die Augen. Die beiden waren mit ihrer Ausbildung fertig. Sie waren nun vollwertige Reitpferde. Jetzt war es an den Besitzern mit ihren Pferden Erfahrungen zu sammeln und ihnen ihre Welt zu zeigen.

Der Stall würde leer sein, so ganz ohne Ausbildungspferde, denn ich hatte mich entschlossen bis auf weiteres keine neuen Tiere anzunehmen. Stattdessen hatte ich mich nach einem neuen Job, abseits von der Pferdeausbildung, umgesehen. Aber bisher hatte ich nichts gefunden, was mich ansprach und für das ich die entsprechenden Qualifikationen besaß. Wahrscheinlich würde es darauf hinauslaufen, dass ich in einem der Diner in der Stadt kellnerte.

Denn eins war für mich klar: Ich brachte es nicht übers Herz, weiterhin fremde Pferde auszubilden, auch wenn es meine Leidenschaft war. Aber da ich im Moment auch keine Anfragen bekam, hätte ich mich so oder so nach etwas Neuem umsehen müssen. Nach allem, was auf dem Hof passiert war, wunderte ich mich auch nicht darüber.

„Morgen Kayla”, begrüßte mich mein Bruder, als ich