Unsere Ponies und wir - Lise Gast - E-Book

Unsere Ponies und wir E-Book

Lise Gast

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Beschreibung

Lise Gast hat einiges erlebt: Ende des zweiten Weltkriegs floh sie mit ihren acht Kinder nach Württemberg, wo sie einen Ponyhof gründete und bis zu ihrem Tod als Schriftstellerin tätig war. Mit der Erzählung "Unsere Ponys und wir" gibt Liste Gast einen biographischen Auszug aus ihrem Leben und berichtet über die Gründung des Ponyhofs. Jener Ort, der später Inspirationsquelle für so viele ihrer Geschichten wurde. – Eine herrliche Alltagsgeschichte. Lesenswert!Lise Gast (geboren 1908 als Elisabeth Gast, gestorben 1988) war eine deutsche Autorin von Kinder- und Jugendbüchern. Sie absolvierte eine Ausbildung zur landwirtschaftlichen Lehrerin. 1933 heiratete sie Georg Richter. Aus der Ehe gingen 8 Kinder hervor. 1936 erschien ihr erstes Buch "Tapfere junge Susanne". Darauf folgen unzählige weitere Geschichten, die alle unter dem Pseudonym Lise Gast veröffentlicht wurden. Nach Ende des zweiten Weltkriegs floh Gast mit ihren Kindern nach Württemberg, wo sie sich vollkommen der Schriftstellerei widmete. Nachdem sie erfuhr, dass ihr Mann in der Tschechoslowakei in einem Kriegsgefangenenlager gestorben war, gründete sie 1955 einen Ponyhof und verwendete das Alltagsgeschehen auf diesem Hof als Inspiration für ihre Geschichten. Insgesamt verfasste Gast etwa 120 Bücher und war neben ihrer Tätigkeit als Schriftstellerin auch als Kolumnistin aktiv.-

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Lise Gast

Unsere Ponies und wir

Saga

Unsere Ponies und wir

German

© 1981 Lise Gast

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711510131

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

Unsere Ponys und wir

Ganz kurze Vorschau

Dieses Buch handelt von unseren Ponys und uns. Die Ponys erscheinen darin einzeln, eins nach dem anderen. Wir Kinder sind gleich zu Anfang alle da, deshalb ist es wohl besser, wir werden einmal kurz vorgetrabt, damit der Leser sich zurechtfindet.

Arndt, Student, einsneunzig groß und ein bißchen wohlwollend auf die viele Weiblichkeit herabschauend. Mit Ponys herzhaft und unsentimental.

Lotte, auch Otto genannt, aber ein Mädchen. Gerade fertig mit der Oberprima, studiert dann Medizin. Verbindet kranke Haxen, erneuert Umschläge und wäscht Geschwisterhälse mit Ausdauer. Unentbehrlich bei Streitigkeiten, da unbestechlich.

Christine, Buchhändlerin. Trägt als einzige mitunter Rock, nicht nur Hosen. Ist immer guter Laune, leidenschaftliche Dogcarta-Fahrerin. Versteht Große und Kleine richtig zu nehmen.

Angela, genannt Käpten. Reiterliche Naturbegabung. Gescheit, fleißig, streng mit sich und ihrer Umgebung. Sorgt für Ordnung in Stall und Haus.

Katrin, unser fotogenes Naturkind. Voltigiert, benutzt die Ponys als Turngerät und steht kopf auf ihrem Rücken.

Steffi, das Pferdekind. Nur aus Versehen ein Mädel geworden. Spricht ständig von Mischfutter, Trense, Ausbindezügel und Doppelrick, wiehert, schnaubt, trabt und galoppiert. Riecht nach Pferdemist, Sattelseife und Heu. Ist im Sattel erstklassig.

Uli, genannt der Knecht. Reitet gut, wenn er „mal“ aufs Pony darf. Muß angeblich alle schwere Arbeit tun. Sehr tierlieb und nicht ohne Witz.

Ben, das Nestküken. Reitet ausgesprochen talentiert, vor allem vor Kamera und Gästen. Hat ein persönliches Verhältnis zu seinem jeweiligen Pony. Ausgezeichnet als Zureiter, auch bei Hengsten. Da er sehr früh aufs Pferd kam, einer unserer besten Reiter.

Zur Familie gehören noch, um Mutter im Haushalt (von dem sie nicht viel hält) zu entlasten:

Julchen, so genannt nach der Königin Juliane, da königlich im Auftreten. Unser guter Hausgeist. Verströmt ihre Zärtlichkeit auf Schnute und auf ihren Sohn.

Ronny, der erst ungeboren mitspielt, aber bald auftaucht und mit einem Jahr schon reitet und fährt. Süß wie ein Shetlandfohlen, begabt wie seine Königin-Mutter und einmalig wie Winklers „Halla“.

Mutter. Beschreibung erübrigt sich. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.

Das „Wir“ bedeutet irgendwelche aus der Familie. Wir haben das meiste zusammen erlebt und immer wieder erzählt. Deshalb treten alle auf, aber es gibt keinen eigentlichen Erzähler.

Der Anfang

Wie wir zu Ponys kamen? Nicht überraschend; in der Luft und an der Wand gehangen hatten bei uns schon immer Pferde. Wir lieben sie, nicht nur den Pegasus, den Mutter zu reiten versucht, seit wir denken können. Aber wir besaßen keine, obwohl wir aus Schlesien sind; wir haben dort kein Rittergut verloren. Wir wünschten uns nur immer Pferde! Sie – besser die Ponys – warfen ihre Glanzlichter voraus. Die Großen von uns besinnen sich noch gut darauf, wie Mutter von unsern Ponys erzählte, lange vor dem Kriege, als Vater noch lebte und wir in einem so winzigen Siedlungshaus wohnten, daß man darin eigentlich weder an acht Kinder noch an ein einziges Pony denken konnte.

Wir dachten aber doch. Und in dem alten Adressenbuch, das merkwürdigerweise Flucht und Grenzgänge überdauerte, steht tatsächlich unter „P“: Pony, Shetlandgestüt Bongardt, Alpen, Niederrhein. Mutter hatte sich das notiert für die Zeit, „wo wir es können werden“.

Wann kann man sich ein Pony leisten? Darüber sind die Meinungen geteilt. Mancher behauptet, Ponys wären der größte Luxus, den es gibt. Dabei flimmert bei ihnen ein teurer Fernsehapparat, und sie laufen in seidenen Blusen und Pelzmänteln herum. Nichts gegen Fernsehen, Seide und Pelze. Was der Mensch braucht, soll er haben, sofern er es sich selber erwirbt. Wir wollten eben Ponys.

Bekanntlich kauft man alles, was man sich heiß wünscht, ein Jahr zu zeitig. Man kann es sich beinahe leisten und nimmt sich einfach vor, sich nun entsprechend krummzulegen, dann wird es schon gehen. Denn man wäre eben zu selig, wenn ...

Man ist selig, liegt auch krumm, und es geht vieles, wenn man wirklich will. Deshalb ist es gar nicht so dumm, wenn man einmal über seinen Schatten springt, um schneller dahin zu gelangen, wohin man sich seit vielen Jahren sehnte. So machten wir es, und es war gut. Blacky hieß unser erstes kleines Pferd. Wir bekamen es zu Weihnachten. Mutter spricht schon im Januar von Weihnachten, freut sich darauf und spart dafür. Das ist nötig, weil wir so viele sind. Manchmal kommt aber kurz vor Weihnachten, wenn alles schon komplett ist, noch ein überraschendes Honorar. Solch eine Gelegenheit muß man wahrnehmen.

Übrig bliebe so ein unverhoffter Batzen zwar nie. Irgendwelche Wintermäntel fehlen immer, ein Paar Skistiefel benutzen mitunter drei Kinder gemeinsam. Manchmal streikt Mutter sogar, wenn wir um ein halbes Dutzend Kleiderbügel bitten. „Irgendwo muß man anfangen zu sparen!“ sagt sie dann patzig und schmeißt die Tür hinter sich zu, was wir nicht dürfen. Kinder werden immer unterdrückt.

Na schön, also keine Bügel. Wir hängen mit dem bekannten Gesicht „Bitte, von mir aus!“ wieder mal drei Blusen übereinander und sind uns einig, bei einer eventuellen Wiedergeburt in der Wahl unserer Eltern vorsichtiger zu sein. Und acht Kinder schaffen wir uns auch nicht an, höchstens vier, dafür aber eine richtige Wohnung mit Schränken und Flurgarderobe. Immer heißt es, wenn wir uns so was wünschen: „Kinder, darauf kommt es nicht an, sondern auf ganz andere Dinge. Das macht nichts.“ Uns macht es aber was!

Immerhin, kurz vor Weihnachten traf ein Geldschiff ein, mit dem Mutter nicht gerechnet hatte. Da spielte uns der heilige Georg, Schutzpatron der Reiter und Pferde – unser Vater hieß auch Georg, ob er seine Hand ein bißchen mit im Spiele hatte? –, ein Buch zu, in dem zwei kleine Mädchen Ponys haben. Und es wird davon erzählt, wie billig die Haltung dieser Tiere ist.

Das Buch hatte Mutter, ihrer Gewohnheit nach, lange vor Weihnachten gekauft und gelesen. Wir verschenken nur Bücher, die wir kennen. Man muß ja wissen, was man schenkt und ob es das richtige ist. Mutter rechnete und rechnete, sie hatte gerade fürchterliche Zahnschmerzen und keine Zeit, zum Zahnarzt zu gehen. Wir wohnten auf dem Lande, sogar auf einem Gut. Der Gutsherr hielt seine schützende Hand über uns, was wir ihm nie vergessen werden. Die Domäne lag neben einem alten Kloster, das jetzt Jugendhaus ist. Dort konnte man telefonieren, da war die „Öffentliche“. Mutter stand mit ihrem Zahnwehgesicht am Telefon und riß sich fast die Knöpfe von der Joppe – ja, nein, ja, nein, als die Oberin kam.

„Was ist denn mit Ihnen los?“ fragte sie in ihrer besorgten Art.

„Ich will ein Pferd kaufen und hab’ solche Zahnschmerzen!“ jammerte Mutter.

„Warten Sie.“ Die sanfte kleine Frau, die überall half, wo sie konnte, ging hinaus. Mutter trat von einem Fuß auf den anderen. Sollte sie? Sollte sie nicht? Oh, dieses höllische Bohren im Kiefer!

„Hier, nehmen Sie“, sagte eine mitleidige Stimme neben ihr. Mutter schluckte drei Tabletten, trank einen Schluck Wasser und sah auf. Schon das Lächeln der hilfreichen Frau mit der großen weißen Haube tat so gut.

„Was für ein Pferd ist es denn?“ fragte sie jetzt.

„Ach, ein Pony.“

Drei Minuten später ließ das Bohren nach. Und fünf Minuten später sprang Mutter über den Klosterhof, der Domäne entgegen. Durch den Äther surrte es von Westfalen nach Bremerhaven: „Schickt umgehend, wenn fehlerfrei, tragende Rappstute, Transport zu unserer Last, Lise Gast.“ Es war geschehen, die Sache lief!

Nun lebte damals, zum Glück nicht in, aber doch eng mit unserer Familie, ein alter Baron, der eine reichliche Pension zu verjubeln, nichts zu tun und demzufolge bei jedem Mitmenschen, der es sich gefallen ließ, etwas dreinzureden hatte. Der soll, als er jung und schlank war – es gehörte Phantasie dazu, sich das vorzustellen –, bei Kaiser Wilhelm Page und Prinzessinnen-Tänzer gewesen sein, wie er mitunter ganz lustig erzählte. Er war viel geritten, was sich für einen Offizier, wenn auch von der Infanterie, wohl nicht vermeiden ließ. Dieser rostige Baron hatte sich Mutter sofort mit Elan als Sachverständiger angeboten, als er etwas von Ponys hörte. Von seinem Burschen bekamen wir auch unser erstes kleines Pferd.

Nun ist Mutter mit ihrer ewigen Angst, jemandem weh zu tun, genau das Objekt, das ein Mensch braucht, der alles besser weiß. Die Tatsache, daß wir durch ihn die Anschrift des Ponyzüchters bekamen, baute Herr von Borgmeister zu einem Käfig aus, in dem sich Mutter von nun an zu bewegen oder – überhaupt nicht mehr zu bewegen hatte, außer er ginge an ihrer Seite, als wär’s ein Stück von ihr. Jahrelang hat sie unter ihm gelitten und wir mit ihr. Aber nach dem alten Grundsatz: „Für was ist was!“ ertrugen wir sogar ihn.

Das Pony kam! Am Tage vor Weihnachten lief ein Küchenmädel vom Kloster über den verschneiten Hof: „Frau Gast, Telefon!“ Mutter flitzte davon, den rostigen Baron im Kielwasser.

Es war Abend, als die beiden die kleine Stute aus ihrem Bahnkäfig befreiten. Sie hatte ihnen schon sehnsüchtig entgegengewiehert. Bahnkäfige sind das übelste, was es beim Transport von Kleinpferden gibt, jedenfalls solche. Da stehen die Kerlchen eingezwängt, können sich weder rühren noch hinlegen. Ja, Blackys Käfig war so kurz, daß ihr Schwanz wochenlang nicht richtig fiel, weil er die ganze Fahrt über an dem elenden Querholz gescheuert hatte. Mutter hatte, eine Sekunde ehe sie in den Waggon kletterte, noch eine fürchterliche Vision: Wenn der unbekannte Absender nun ein junges Kamel geschickt hat? Und das Geld war fort, sie hatte sogleich telegrafisch bezahlt, damit das Pferdchen auch bestimmt unterm Christbaum stehen konnte.

Mutter riß die Waggontür auf. Wieder wieherte es – – – und das war Liebe auf den ersten Blick. Schwarz, im zottigen Winterpelz, mit feiner, klarer Nase und sehnsüchtig geweiteten Nüstern stand da Adele, die wir sofort Blacky tauften. Adele ist doch kein Name für so ein hübsches Pony. Später, in Süddeutschland, als wir unsere Pferdchen ins Stutbuch eintragen ließen, bestätigten uns das die wackeren Männer, die die Ponys brannten. „Mir nennet se Aadele“, sagten sie mit solch ausgesprochener Betonung auf der ersten Silbe, daß wir bezweifelten, diesen Namen je anders ausgesprochen zu haben.

Hardehausen ist ein winziger Ort, eigentlich nur ein Ortsteil, im Ausläufer des Eggegebirges. Er zählt etwa dreihundert Seelen und liegt so lieblich, wie alte Klöster oft zu liegen pflegen. Die Gründer wußten schon, wo es schön war.

In solch einem Dorf kannte jeder jeden. Mutter und der dicke Borgmeister – nennen wir ihn so, weil er trotz seiner Pension ein Meister im Borgen war – warteten, bis es dunkel war, ehe sie mit ihrem kleinen Pferd Richtung Heimat die Landstraße entlangzokkelten.

Trotzdem verbreitete sich die Nachricht von der Ankunft des Wundertieres mit der Schnelligkeit eines Feueralarms.

Arndt, der am nächsten Tag aus dem Semester kam, wurde die Neuigkeit schon auf dem Bahnsteig serviert. Wir anderen stellten uns zwar blind und taub, wußten aber ohne Ausnahme, daß bei Völlermann, der einzigen Gastwirtschaft des Ortes, die wir den „Blutigen Knochen“ nannten, ein Weihnachtsgeschenk für uns im leeren Schweinestall stand, das schwarz war, vier kleine Hufe hatte, Hafer fraß und im Mai ein Fohlen erwartete.

Alles wußten wir. Dafür hatte schon Onkel Bubi gesorgt, der treue, ein wenig melancholische, von uns allen heißgeliebte Schwager des Gutsherrn, der Futter ausgab, ein Auge zudrückte, wenn wir Äpfel klauten, zerschmissene Scheiben glaubhaft als vom Wind eingedrückt deklarierte. Mitunter spülte er mit Arndt, unserem Ältesten, im „Blutigen Knochen“ den Staub dieser merkwürdigen Welt und seine Melancholie mit ein paar Bieren oder Schnäpsen hinunter. Onkel Bubi, treu und verschwiegen, wenn es sich um Katastrophen handelte, war unfähig, ein schönes Geheimnis auch nur fünf Minuten in seiner Heldenbrust zu bewahren. So wußten wir es also alle, aber wir konnten Mutter doch nicht enttäuschen. Einer mußte schließlich die Seligkeit einer Weihnachtsüberraschung auskosten.

Unterm Christbaum konnte Blacky nicht stehen, das verbot die Lage unserer Wohnung unterm Dach. Hinauf wäre Blacky zweifellos gekommen. Ponys klettern wie die Gemsen. Aber herunter? Mit einer Vernunft, die ihre Jahre überstieg, verzichtete Mutter auf diesen Knalleffekt und beorderte alle Kinder kurz vor dem weihnachtlichen Kirchgang auf das Rasenrondell vor dem Gutshaus. Dann ging sie, um die Überraschung zu holen.

Wir standen und froren gehorsam. So entging uns leider das Bild, in dessen Genuß nur der Gastwirt kam: wie Mutter und Borgmeister das kleine Tier aus dem Stall zogen und durch den Schnee zum Gut führten. Borgmeister ging der Glätte wegen mit dem Stock. Völlermann rief den dreien nach:

„Maria und Josef!“ Mutter setzte sich vor Lachen auf den Hosenboden.

Also, das Programm wurde eingehalten.

„Nein, so eine Überraschung! Nein, Mutter, das haben wir nicht geahnt! Oh, ein Pferd!“

Etwas dünn fiel der Jubel ja aus. Mutter war enttäuscht, ließ sich aber aus den gleichen Gründen möglichst wenig anmerken. Erst nach einem Weilchen fragte sie schüchtern:

„Ja, freut ihr euch denn auch?“

„Na, furchtbar. Nur sag mal: Da können wir wohl nicht mehr drauf reiten – oder?“

Mutter sah uns an. Die ältesten von uns waren ihr damals längst über den Kopf gewachsen. Und nun ein gemeinsames Reittier von einhundertunddrei Zentimeter Widerristhöhe?

„Aber doch mit ihm leben – und es liebhaben!“

Freilich, das konnte man. Und die Kleinen konnten natürlich auch darauf reiten. Borgmeister hob Ben gleich auf Blacky, dann Uli und Steffi. Und als er auch noch Thomas, einen anderen kleinen Jungen aus dem Hof, draufsetzte, schlug Blacky so unmißverständlich mit den Hinterhufen aus, daß der Kleine in weitem Bogen heruntersegelte, woraus wir scharfsinnig schlossen, daß Blacky bereits Familienmitglieder und Bekannte zu unterscheiden verstand. Großartig, sie paßte zu uns!

Aber im nächsten Augenblick war sie über den Rasen hin verschwunden, vor Übermut vorn und hinten hochgehend.

In zehn Minuten begann der Weihnachtsgottesdienst, die „Christvesper“, wie man dort sagt. Auch wenn man ein Pony geschenkt bekommt, die Christvesper wird deshalb nicht versäumt. Wir sahen uns schon im Geiste mit dem Lasso durch den Gutshof jagen. Woher nimmt man bei der gebotenen Eile solch eine Leine? Schon da zeigte sich, wer das Pferdekind bei uns sein würde: Steffi. Binnen weniger Minuten war sie zurück, führte Blacky, die noch keinen Halfter hatte, an der Mähne und verkündete: „Sie hat gesagt, sie sei schon wieder lieb.“

So kamen wir noch zu einem andächtigen Weihnachtsgottesdienst. Wir wußten, Blacky stand wohlgeborgen im Stall. Später hätte uns ein Auskneifen unseres kleinen Vierbeiners übrigens keine Sekunde beunruhigt. Wir lernten, daß Ponys wiederkommen, daß sie im Freien übernachten, ohne zu frieren oder sich zu erkälten, daß sie sich überall selbst helfen. Aber damals waren wir noch Anfänger in diesem Fach.

Das Glück war bei uns eingezogen, schon weil Mutter so strahlte. Pferd bleibt Pferd, wenn es noch so klein ist. Und auf seinem Rücken liegt das höchste Glück der Erde.

So war jedenfalls der Anfang.

Leben mit Ponys

Das erste, was Blacky uns einbrachte, war eine polizeiliche Strafanzeige. Sie sollte nicht die einzige bleiben.

Wir hatten uns gleich in den Feiertagen darangemacht, ihr eine Wohnung einzurichten. Etwas abseits vom Gut im Eselskamp – er hieß wirklich so – stand ein alter Stall leer, gebaut im Jahre 1789, wie auf dem Stein über der Tür zu lesen war. Er hatte auch einen kleinen Heuboden. Mehr brauchten wir nicht. Der Gutsherr überließ ihn uns gern.

Unser Übereifer, diesen Stall umgehend zu säubern, mißfiel den übrigens ziemlich entfernt wohnenden Nachbarn. Als wir auf der Polizei erklärten, wie dies alles zusammenhing, zeigten sich die Ordnungshüter sehr freundlich und an dem kleinen Glück auf vier Beinen lebhaft interessiert. Wir haben das später oft erlebt: Ponys gewinnen auf der Stelle die Herzen vieler Menschen. Die Liebe zum Pferd lebt noch in allen Volksschichten, und das nicht nur bei Kindern. Und die zum Pony erst recht, denn: „Je kleiner das Pferd, desto größer das Entzücken.“

Blacky wurde von jedem geliebt, der sie sah. Wenn sie allein auf der großen winterlichen Koppel das Gras unterm Schnee hervorscharrte – Ponys weiden winters und sommers –, dann ging keiner vorbei, ohne sie anzusprechen, mit Zuckerstückchen zu locken, zu streicheln oder zu kraulen. Wir Kinder waren mehr auf der Weide als zu Hause. Wenn wir früher das Spazierengehen haßten, dann wurde es jetzt unser Schönstes. Blacky zottelte mit, erst am Halfter, bald aber ohne, wie ein großer schwarzer Hund.

Reiten durften sie auch die Kleinen zunächst nicht, da sie im Mai fohlen sollte. Aber fahren kann man mit Ponys bis zum letzten Tage. Die großen Mädel benützten die Feiertage, um ein Geschirr zu nähen. Alle Viertelstunden sausten sie die Bodentreppe hinunter – wir bewohnten doch den Dachboden des Gutshauses –, schmeichelten sich an Blacky heran, nahmen Maß und probten an. Das kostete viel Kopfzerbrechen, zahllose Nähmaschinennadeln brachen ab, dann aber entstand aus Sofagurten und Zugsträngen ein Einspännergeschirr, das fast nichts kostete. Wir haben es heute noch. Eine Trense besaßen wir nicht, also mußte es ohne gehen. Die erste Ausfahrt vollzog sich in einem solchen Heidihopp, daß der Fahrer hinterherschleifte und der Wagen um ein Haar zum Teufel ging. Ein kleines Pferd, das mit Stallhalfter und ohne Trense läuft, ist nicht zu halten, es ist stärker als ein Mensch. Das haben wir damals gelernt.

Noch am selben Tage bestellten wir ein Reitkopfstück mit Gebiß, Nasenriemen und allen Schikanen aus hellem Leder. Ponys brauchen Spezialgeschirr. Es kostete ein Vermögen. Na, egal, jetzt hatten wir ein Pferdehalfter, das an der Wand hing. Es roch nach Leder, Wagenschmiere und Pferd in unserem Zimmer.

„Ist das nicht so, wie wir es uns immer erträumten?“ fragte Mutter entzückt.

„Nein. Du mußt schimpfen, weil überall Reitzeug herumliegt, dann ist es erst richtig“, verlangte Lotte, die von jeher auf Stil gehalten hat. Sie, als die Zweitälteste von uns, entsann sich noch der ersten sehnsüchtigen Pferdegespräche von damals. Mutter hatte in jener Zeit oft gesagt: „Wenn ich erst schimpfen werde: Hier liegt schon wieder ein Sattel. – Nun hebt schon den Kreuzzügel auf! Dann wird es richtig bei uns!“

Einmal verreiste Mutter. Sie legte uns Blacky mit bewegten Worten ans Herz, fast mehr als unseren Jüngsten. Um den ist sie sonst immer sehr besorgt. Wir versprachen alles und nahmen uns auch das Beste vor.

Es war Winter und dicker Schnee. Borgmeister hatte einen kleinen Pferdeschlitten passender Größe aufgestöbert. Damit erschien er eines Tages und erzählte, der Förster in Mittelwald wäre so tief eingeschneit, daß er mit dem Rad nicht mehr durchkäme. Ob wir ihm nicht im Pferdeschlitten ein paar Brote bringen wollten?

Natürlich wollten wir. Steffi und Ben spannten ein, und zu dritt ging es los. Die Fahrt durch den schweigenden Wald war wunderschön. Wichtel, unser Dackel, durfte auch mit. Die Förstersfrau geriet fast aus dem Häuschen vor Freude über den unerwarteten Besuch.

„Kommen Sie doch herein! Nein, ist das rührend!“ Sie legte Holz aufs Feuer und kochte Kakao.

„Waffeln habe ich gerade gebacken!“

Steffi und Ben sahen sich an und leckten sich die Mundwinkel. Blacky wurde ausgesträngt und bekam einen Armvoll Heu vorgeworfen.

„Wir binden sie aber an“, sagte Steffi und brachte einen Strick herbei. Herr von Borgmeister erklärte, wie man einen Segelknoten knüpft, und tat sich damit dicke.

„So, seht ihr? Er geht nur auf, wenn man an diesem Ende zieht. Wenn an dem anderen gezogen wird, zieht er sich noch fester zusammen.“

Steffi und Ben heuchelten Ehrfurcht vor so viel Wissen, legten Blacky eine Decke über, was unnötig ist, denn Ponys im Winterpelz frieren nicht. Wenn sie warmgelaufen sind, braucht man sie auch nicht abzureiben. Sie sind ja noch halbe Wildpferde. Wir streichelten und liebkosten Blacky und hätten sie am liebsten mit in die Küche genommen.

„Daß du nicht stiftengehst!“

„Sie kann ja nicht. Ein Segelknoten!“

„Ja, ja, wir wissen schon.“