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**Eine Liebesgeschichte, die geradewegs unter die Haut geht…** »Genial. Überraschend. Lustig. Traurig. Zittrig. Alles in einem.« (Bloggerstimme von The Anna Diaries) Die 19-jährige bildhübsche Kadlin ist die einzige Tochter des Stammeshäuptlings der Smar. Keine leichte Rolle für eine fast erwachsene Frau, die nach den Regeln ihres Volks längst verheiratet sein sollte. Doch anstatt dass sie sich wie alle anderen Mädchen auf dem Sonnenfest nach einem Mann umsehen darf, wurde ihre Hand bereits dem Stammessohn der herrschsüchtigen Ikol versprochen. Eigensinnig wie sie ist, geht sie dennoch hin, um dort den einzigen Mann zu umgarnen, der ihr Schicksal wenden könnte: Bram, den stattlichen Kriegersohn des Feindesstamms. Allerdings läuft nicht alles nach Plan und ehe sich Kadlin versieht, muss sie als Knabe verkleidet flüchten. Dabei landet sie ausgerechnet in Brams Trainingslager, wo dieser junge Krieger auf ihre Mannesprüfung vorbereitet… //Dies ist ein Roman aus dem Carlsen-Imprint Dark Diamonds. Jeder Roman ein Juwel.// Alle Bände der elektrisierenden Bestseller-Reihe »Die Monde-Saga«: -- Unter den drei Monden (Die Monde-Saga 1) -- Im Schatten der drei Monde (Die Monde-Saga 2) -- Im Licht der drei Monde (Die Monde-Saga 3) -- Alle drei »Monde«-Bände der elektrisierenden Bestseller-Reihe in einer E-Box// Alle Bände der Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden und haben ein abgeschlossenes Ende.
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Dark Diamonds
Jeder Roman ein Juwel.
Das digitale Imprint »Dark Diamonds« ist ein E-Book-Label des Carlsen Verlags und publiziert New Adult Fantasy.
Wer nach einer hochwertig geschliffenen Geschichte voller dunkler Romantik sucht, ist bei uns genau richtig. Im Mittelpunkt unserer Romane stehen starke weibliche Heldinnen, die ihre Teenagerjahre bereits hinter sich gelassen haben, aber noch nicht ganz in ihrer Zukunft angekommen sind. Mit viel Gefühl, einer Prise Gefahr und einem Hauch von Sinnlichkeit entführen sie uns in die grenzenlosen Weiten fantastischer Welten – genau dorthin, wo man die Realität vollkommen vergisst und sich selbst wiederfindet.
Das Dark-Diamonds-Programm wurde vom Lektorat des erfolgreichen Carlsen-Labels Impress handverlesen und enthält nur wahre Juwelen der romantischen Fantasyliteratur für junge Erwachsene.
Ewa A.
Unter den drei Monden
**Eine Liebesgeschichte, die geradewegs unter die Haut geht …**Die 19-jährige bildhübsche Kadlin ist die einzige Tochter des Stammeshäuptlings der Smar. Keine leichte Rolle für eine fast erwachsene Frau, die nach den Regeln ihres Volks längst verheiratet sein sollte. Doch anstatt dass sie sich wie alle anderen Mädchen auf dem Sonnenfest nach einem Mann umsehen darf, wurde ihre Hand bereits dem Stammessohn der herrschsüchtigen Ikol versprochen. Eigensinnig wie sie ist, geht sie dennoch hin, um dort den einzigen Mann zu umgarnen, der ihr Schicksal wenden könnte: Bram, den stattlichen Kriegersohn des Feindesstamms. Allerdings läuft nicht alles nach Plan und ehe sich Kadlin versieht, muss sie als Knabe verkleidet flüchten. Dabei landet sie ausgerechnet in Brams Trainingslager, wo dieser junge Krieger auf ihre Mannesprüfung vorbereitet …
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Vita
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© privat
Ewa A. erblickte 1970 als fünftes Kind eines Verlagsprokuristen und einer Modistin das Licht der Welt. Im Jahr 2014 erfüllte sie sich den Traum, das Schreiben von Geschichten zu ihrem Beruf zu machen und wurde selbständig freiberufliche Autorin. Nach wie vor lebt sie mit ihrem Ehemann und den zwei gemeinsamen Kindern in der Nähe ihres Geburtsortes, im Südwesten Deutschlands.
Das Funkeln der Abertausenden von Sternen war nahezu farblos im Vergleich zu den drei imposanten Monden, die den schwarzen Nachthimmel über Aret erleuchteten. Der naheliegendste und größte von ihnen, Firus, schillerte in einem marmorierten Türkis. Hinter diesem thronte der zweite Mond, Sari, der mit seinem tiefen Blau und den silbernen Ringen noch schöner anzuschauen war. Yaschi war der dritte in der Reihe und der kleinste von ihnen, sein grelles Grün blendete jeden Betrachter. In prachtvoller Schönheit schwebten die farbigen Trabanten über den pinken Grashalmen, die sanft im Takt wogten. Die warmen Winde des Ostens trugen den schweren Vanilleduft der violetten Orchideenbäume mit sich, die nur des Nachts ihre Blüten öffneten.
Während die Grillen ihren Nachtgesang zirpten, schleppte sich eine Horde Männer fast lautlos durch die Steppe. Nur das leise Stöhnen der Verletzten und das Schleifen der Bahren waren zu vernehmen. Es waren die Krieger des Stammes der Smar, die von einer Schlacht heimkehrten. Einer Schlacht, die seit Generationen andauerte, in der es auf keiner Seite Gewinner gab, sondern nur Verlierer.
Die Männer schleppten sich müde in ihr Dorf und einige Frauen, die ihre Ankunft sehnlich erwarteten, traten aus ihren Schneckenhäusern. Eine von ihnen, mit roten Haaren, die ihr bis an die Knie reichten, lief zögernd zu einer der Tragen. Im bläulichen Mondlicht erkannte sie die Züge ihres toten Ehemannes. Das blasse Gesicht der Frau verzog sich voller Leid und ein lauter Schrei, der ihre ganze Verzweiflung und Trauer in sich barg, entfloh ihrer Kehle.
***
Kadlin schrak aus dem Schlaf hoch. In ihrem Bett sitzend, lauschte das achtjährige Mädchen mit großen Augen den dumpfen Stimmen, die von außen zu ihr in das Schneckenhaus drangen und ihr Angst machten. Das beklemmende Gefühl, das sie schon seit dem Morgen hatte, als ihr Vater und ihr Bruder sich schwer bewaffnet auf den Weg zum Schlachtfeld gemacht hatten, wuchs zu einer Panik an. Obwohl Kadlin nicht wusste, was die Männer in der Schlacht taten, war ihr klar, dass es etwas Schreckliches sein musste, denn keiner der Erwachsenen wollte es ihr erklären. Sie sprachen nur davon, die Unaru zu bekämpfen.
Die Unaru waren das Sinnbild des Bösen. Von klein an lehrte man die Kinder der Smar, dass die Unaru ihre Feinde waren. Es waren die Unaru, die ihre Hychna von den Weidegründen stahlen, die den Rindenwein von ihren Plantagen abzapften, die ihnen die Fische aus dem See wegangelten, die Fallen in ihren Wäldern aufstellten und die Kinder raubten, die nicht auf ihre Eltern hörten.
Ein kleiner Funzelstein warf sein grünliches Licht an die Perlmuttwände. Eilig strampelte Kadlin die Decke von ihren Beinen. Ihr Bruder, der fünf Jahre älter als sie war, schlief nach wie vor. Um ihn nicht zu wecken, tapste das Mädchen vorsichtig auf den Zehenspitzen die innere Windung ihres Hauses entlang, passierte den Essbereich und gelangte an den Eingang. Behutsam schob Kadlin das große Stück Leder beiseite, das ihre Behausung vor Regen und fremden Blicken schützte.
Im flackernden Schein des Lagerfeuers sah das junge Mädchen ihre Tante an einer Bahre knien und weinen, auf der ihr Onkel bewegungslos ruhte. Geronnenes Blut klebte an seinem Mundwinkel und sein Arm, der beinahe vollständig abgetrennt war, hing über den Rand der Trage.
Kadlins Atmung wurde immer schneller und trotz ihrer unbändigen Furcht ging sie auf die tuschelnde und klagende Menschenansammlung zu. Plötzlich öffnete sich vor dem kleinen Mädchen eine Lücke in der Menge und gab ihr den Blick auf eine weitere Bahre frei. Ein heiseres Gicksen erklang und das Kind fiel ohnmächtig zu Boden. Das Letzte, was Kadlin sah, waren die leblosen Augen ihres toten Bruders, in denen sich die Monde von Aret spiegelten.
Elf Jahre später
Die Sonne brannte unbarmherzig auf die nackten Arme des jungen Mannes nieder. Es war nicht allein die Hitze, die dem Smar den Schweiß auf die Stirn trieb, sondern auch die Arbeit, die er verrichtete. Die dunklen Flecken auf seiner Tunika wuchsen mit jedem weiteren Salzstein, den er auf die hüfthohe Mauer setzte. Das Salz der Steinmauer, das nach und nach vom Regen hinausgewaschen werden und in den Boden sickern würde, hielt die gefräßigen Riesenschnecken von ihren Weiden, Plantagen und dem Dorf fern. Zwar waren die Schnecken reine Pflanzenfresser und ungefährlich, aber durch ihre Größe reichte ein bloßes Passieren aus, um alles zu zerstörten, was sich ihnen in den Weg stellte. Nebenher fraßen sie dann noch jedes Blatt auf, das ihnen vor die Fühler kam. Deswegen war die Instandhaltung der Mauer eine der wichtigsten Arbeiten und unerlässlich für den Stamm.
»Ragnar?«
Der quengelnde Tonfall der Mädchenstimme brachte den gutaussehenden Mann dazu, skeptisch seine Stirn zu runzeln. Diesen Ruf und das Mädchen, welches ihn ausstieß, kannte er zur Genüge, um zu erahnen, was auf ihn zukam. Es hieß, dass sie entweder etwas von ihm haben wollte oder dass sie etwas angestellt hatte, was er auslöffeln sollte. Wie immer. Natürlich würde er ihr helfen, wie jedes vergangene und jedes weitere Mal, das noch folgen würde. Schließlich war sie seine einzige Schwester und er liebte sie viel zu sehr, als dass er ihr eine Bitte hätte abschlagen können.
Ragnar legte den Salzstein in die Lücke der Mauer, die die Weidegründe, die Plantagen und das Dorf weitläufig umgab. Stöhnend richtete er sich auf und rieb sich dabei mit dem Handrücken seine langen Haare aus dem verschwitzten Gesicht, die sich aus den dünnen Zöpfen gelöst hatten. Mürrisch musterte er das Mädchen, welches nun vor ihm stand und das er um einen guten Kopf überragte. Ungern gestand sich Ragnar ein, dass seine kleine Schwester zu einer schönen Frau herangereift war. Das glatte Haar, das ihre Hüften umspielte, glänzte blauschwarz wie der Omoc-See bei Nacht, der unweit ihres Dorfes lag. Was umso außergewöhnlicher war, da er selbst, wie sein verstorbener Bruder, braune Haare hatte und sie niemand auf den ersten Blick für Geschwister halten würde. Ihre kleine, gerade Nase lag zwischen ihren dunkelbraunen Augen, die von rußschwarzen Wimpern umsäumt waren. All dies, mit den fast zu voll geratenen Lippen, zog mehr Blicke der Männer auf sie, als gut für sie war. Gut für seinen Vater war.
»Kadlin, wenn du dein Haar schon offen trägst, dann versteck es wenigstens unter dem Skal«, befahl er barsch und nahm ihr den Lederbeutel ab, den sie ihm entgegenhielt. Während Ragnar gierig das kühle Wasser trank, beschwerte sich die junge Frau.
»Och, es ist so warm. Wir sind hier doch ganz allein, muss das sein?«
Ragnar wischte sich die letzten Wassertropfen vom Mund, gab seiner Schwester den Trinkbeutel zurück und begann erneut, die Mauer mit den Gesteinsbrocken auszubessern.
»Wir wissen nicht, ob Fremde in der Nähe sind. Wenn du schon das Zeichen deiner Weiblichkeit nicht ordentlich trägst, so wie es sich für eine Frau der Smar gehört, dann verhülle es wenigstens mit deinem Umhang.«
Ruckartig raffte Kadlin ihre Haarpracht zusammen, flocht eilig einen dicken Zopf und äffte dabei ihren Bruder lautlos nach, aber selbstverständlich so, dass er es nicht bemerkte. Erneut fing sie an, in dem bettelnden Tonfall zu sprechen, denn nicht umsonst hatte sie den ganzen Weg auf die Weiden zurückgelegt.
»Ragnar? Was weißt du über den Stamm der Ikol?«
Ein kurzes Lachen entfuhr ihrem Bruder. »Aha, hat man es dir also gesagt?«
»Du wusstest es?«
Ohne von seinem Werk aufzuschauen antwortete Ragnar: »Ja. Es wurde lange genug darüber gestritten. Vater trägt seit geraumer Zeit den Gedanken mit sich herum, allerdings war Mutter stets dagegen. Aber als er hörte, dass die Unaru eine Verbindung mit den Otulp eingehen, schlug er dem Ältestenrat seine Idee vor.«
Atemlos warf Kadlin ihre Überlegungen ein. »Und der war gleich Feuer und Flamme. Klar, die alten Knilche müssen ja auch keinen Wildfremden heiraten, den sie noch nie zuvor gesehen haben.« Schmollend fuhr sie fort: »Alle anderen Mädchen können sich mit siebzehn Jahren bei der Brautschau einen Mann aussuchen und ihn näher kennenlernen, nur ich nicht. Bloß, weil Vater mich an einen Clan seiner Wahl verheiraten will. Ich hasse es, eine Häuptlingstochter zu sein.«
Kadlin seufzte. Da war doch eindeutig etwas faul an der Sache, wenn ihre Mutter dagegen war. Ihr Vater, Eyvind, und die Alten des Rates hatten davon gesprochen, was für eine Ehre es für sie wäre, den Häuptlingssohn der Ikol zu ehelichen, dessen Ruhm und Ansehen im ganzen Land bekannt sei. Am liebsten hätte sie den zahnlosen Männern gesagt, dass sie ihn doch selbst heiraten sollten, wenn er so ein guter Fang wäre. Was sie aber natürlich nicht tat, denn es war ihr unumstößliches Schicksal als Tochter des Anführers, nicht aus Liebe zu heiraten, sondern zum Wohle des Clans. Das war ihre Pflicht und die allein zählte. Früh genug hatte man ihr das eingeschärft und trotzdem konnte sie sich mit ihrem vorherbestimmten Los nur schwer abfinden. Das Dasein einer Smar-Frau hatte drei Zwecke: durch Heirat eine Verbindung mit einem anderen Clan herzustellen, Nachfahren zu gebären und diese großzuziehen. Dennoch beunruhigte sie dieser Lobgesang der alten Männer auf den Häuptlingssohn der Ikol, und Ragnars Aussage, dass ihre Mutter, Sibbe, die Heirat ablehnte. Sie konnte förmlich riechen, dass die Sache einen Haken hatte.
»Du warst doch gestern anwesend, als die fremden Krieger kamen. War da mein Bräutigam auch dabei? Was macht ihr überhaupt bei diesem Lömsk?«
Ragnar schüttelte grinsend den Kopf, so dass seine langen Zöpfe und Haarsträhnen schlackerten. »Dafür, dass du im Haus bleiben sollst, wenn Fremde im Ort sind, weißt du ganz schön viel. Zu viel. Als Frau brauchst du nicht zu wissen, wie ein Lömsk abgehalten wird. Deine Neugierde bringt dich noch mal um Kopf und Kragen.«
Kadlin zog eine Schnute und setzte sich beleidigt auf die Mauer. Es stimmte, was Ragnar sagte, sie war schrecklich neugierig, aber daran ließ sich nichts ändern. Oft hatte sie versucht, vernünftig zu sein, aber es war wie ein Zwang, der ihr keine Ruhe ließ. Sie wusste nicht, woher er kam oder warum es so war. Aber irgendetwas trieb sie an, als müsste sie etwas Bestimmtes finden, von dem sie nicht einmal wusste, was es war, das sie da suchte. Deswegen würde sie irgendwann schon herausfinden, was es mit diesem Lömsk auf sich hatte, das nur den Männern vorbehalten war, ebenso wie das Berusat, das war auch so eine geheime Männersache. Ja, eines Tages würde sie das alles in Erfahrung bringen.
Das Lömsk-Zelt, welches am Seeufer lag, hatte Kadlin mit Lijufe, ihrer Freundin, schon heimlich inspiziert. Es war ganz anders als ihre Häuser, die sich spiralförmig wanden und deren Raum schmäler wurde, je weiter man ins Innere gelangte. Dagegen hatte das Zelt eine überschaubare Fläche, in deren Mitte eine kleine Grube eingelassen war, in der ein Haufen Steine ruhte.
Während das Zelt aus Ästen und Lederlappen gebaut war, stammten ihre Häuser von den toten Riesenschnecken, die sie auf deren Friedhof vorfanden. Sobald die Schnecken spürten, dass sie starben, suchten sie nämlich ein und denselben Ort auf, wo sie verendeten. Die leerstehenden Schneckenschalen wurden dann von den Smar auf den dafür vorgesehenen Platz, ins Dorf, gebracht. Bevor die jeweilige Familie ihr Haus bezog, wurde dieses mit Salzwasser von innen und außen gewaschen. Gewöhnlich wurde im breiten Eingangsbereich der Behausung auf Strohkissen gegessen, der mittlere Abschnitt diente den Kindern als Schlafplatz und der innerste Bereich blieb den Eltern vorbehalten. Durch die Krümmung des Raums war sowohl den Alten als auch den Jungen ein wenig Privatsphäre gegönnt. Meist suchten sich die Smar helle Schneckenhäuser aus, da tagsüber nur wenige Funzelsteine ausreichten, um sie im Inneren auszuleuchten. Das Lömsk-Zelt war allerdings dermaßen dicht mit dickem Leder abgedichtet, dass keinerlei Licht eindringen konnte.
Was trieben die Männer da im Finsteren, mit einem Berg Steine und einer Grube? Sie sollte sich jedoch lieber auf ihre Fragen zu den Ikol konzentrieren, sagte sich Kadlin. Auf gar keinen Fall würde sie Ragnar ihr Wissen über das Lömsk-Zelt auf die Nase binden, indem sie ihn danach fragte und sich einen weiteren Rüffel einfangen, denn sonst würde er ihr nichts mehr verraten.
»Kennst du diesen Häuptlingssohn nun oder nicht?«
»Ja, ich kenne Hadd.«
»Und, wie ist er? So rede doch, Ragnar, und lass dir nicht jede Kleinigkeit aus der Nase ziehen!«
Der Blick von Kadlins Bruder wurde nahezu tödlich, weswegen sie ein kleinlautes »Bitte!« hinterher schob.
Ragnar schnaufte. »Er ist ein stattlicher Mann, mutig und tapfer. Er hat alles, was einen Krieger ausmacht.«
»Aber?«, fragte Kadlin drängend.
»Was 'aber'? Da gibt es kein 'aber'«, entgegnete der junge Smar zu eilig und zu ungehalten, als dass Kadlin ihm glauben konnte, dass da tatsächlich nichts wäre, was sie interessieren könnte.
Bekümmert beobachtete Kadlin die gebräunten und kräftigen Hände ihres Bruders, die weiter ihre Arbeit verrichteten. Sie ahnte, dass er etwas vor ihr verheimlichen wollte.
»Ragnar, ich kenne dich. Was ist es, was du an ihm nicht magst und mir nicht sagen willst?«
Mit einem Mal wirkte ihr sonst so selbstsicherer Bruder unschlüssig. Ächzend gab er schließlich auf und setzte sich neben sie. Eindringlich blickte er sie an und suchte nach den richtigen Worten.
»Die Riten und Sitten der Stämme unterscheiden sich und die Ikol sind darin keine Ausnahme. Bei uns haben Frauen einen geringeren Wert als ein Mann, das weißt du. Aber bei den Ikol … zählt eine Frau weniger als ein Hychna.«
Verstört sah Kadlin ihren Bruder an. Ein Hychna war ein Nutztier und bei den Smar hatten die Hychna einen sehr hohen Stellenwert, denn sie gaben den trüben Tau ab, der vielseitig verwendbar war. Man konnte den Tau trinken, wenn man ihn jedoch stehen ließ, wurde er dick und sauer. So gereift, wurde er dann gerne mit Gemüse oder Früchten gegessen. Oder man schöpfte davon das Geronnene ab, wickelte dieses in die Blätter des Mykos-Strauches und lagerte es einen Monat lang in einem Erdloch, was ihm ein besonderes Aroma verlieh und ihn zu einer gefragten Delikatesse machte. Außerdem galten die Eier der weiblichen Hychna als die besten. Selbst die Mistkugeln, welche die Hychna ausschieden, wurden nach dem Trocknen als Brennstoff verwendet. Gut, wenn man die Hychna-Eier nicht regelmäßig einsammelte, konnten sie sich ziemlich schnell zu einer regelrechten Plage entwickeln, der man nicht mehr Herr werden konnte, denn eine einzige Hychna legte innerhalb einer Woche an die hundert Eier.
Allerdings käme nie ein Smar auf den Gedanken, dass eine Frau weniger wert wäre als ein Tier, selbst wenn es ein Hychna war. Was hatte das zu bedeuten?
»Wie meinst du das?«, fragte Kadlin deshalb.
»Sobald eine Frau einen Ikol heiratet, kann dieser mit ihr tun, was er will. Er kann sie sogar töten, ohne dass er dafür von seinem Stamm bestraft wird. Mit der Hochzeit geht sie in seinen Besitz über und wird dadurch mit jedem anderen Gegenstand, der ihm gehört, gleichgesetzt. Es ist bei den Ikol ebenso üblich, dass die Männer mehrere Frauen haben.«
Alles Blut sackte in Kadlins Magen und ihre Kehle wurde staubtrocken. Ihr Mann konnte sie töten und hatte sogleich einen Ersatz für sie? Was erzählte Ragnar da? Nie und nimmer … Warum sollte ihr Vater ihr sowas antun? Aber … war das der Grund, warum ihre Mutter dagegen war? Bei den drei heiligen Monden, genau so musste es sein.
»Weshalb gibt mich Vater solch einem Stamm? Es ist mir klar, dass es ihm um das Verbindungen knüpfen geht, aber warum ausgerechnet mit diesem?«
Ragnar schlug die Augen nieder. »Du weißt, bei unserem Rudam müssen die Jünglinge für ein halbes Jahr den Clan verlassen und alleine in der Wildnis überleben, um als vollwertige Krieger zu gelten. Bei den Ikol besteht der Rudam aus einem Tag. Ein Jüngling wird bei ihnen zum Mann, wenn er den Mondtanz durchsteht.«
»Was ist der Mondtanz?«
»Sie treiben sich Holzspieße durch ihre Haut, am gesamten Oberkörper, die an Seilen hängen, welche an einem Pfahl befestigt sind. Einen Tag und eine Nacht müssen sie um diesen Pfahl tanzen. Je mehr Narben sie bei diesem Ritus davontragen, desto angesehener sind die Männer bei ihnen.«
Mit tränenden Augen schüttelte Kadlin angewidert den Kopf. »Das kann nicht stimmen, was du da sagst, es ist zu grausam.«
»Ich habe beim Lömsk Hadds Körper und den seines Vaters gesehen, Kadlin. Sie sind vollkommen von Narben entstellt.«
Kadlin schüttelte es vor Entsetzen, doch Ragnar sprach weiter.
»Sie werden wegen ihrer Körperbeherrschung gefürchtet und gelten als erbarmungslose Krieger. Ihre Waffenkunst ist unserer weit überlegen. Außerdem ist ihr Clan beinahe so zahlreich wie der der Nutas. Das sind die Gründe, warum Vater und die Ältesten unbedingt eine Verbindung mit ihnen wollen.«
»Nur damit wir die Unaru eines Tages besiegen können?«, krächzte Kadlin. »Über kurz oder lang wird es wieder auf eine Schlacht hinauslaufen, nicht wahr?«
Ragnars vielsagendes Schweigen ließ die Bilder von jener unglückseligen Nacht vor elf Jahren in Kadlins Erinnerung aufsteigen. Nie würde sie Skard, ihren Bruder, vergessen. Er war ein junger, kräftiger Krieger gewesen, der mit seinen achtzehn Jahren gerade vom Rudam heimgekehrt war. Er war ein Mann, dessen freundliches Lachen jeden ansteckte, dem sich keiner entziehen konnte, dessen Augen vor Tatendrang sprühten und stets lustig funkelten, der seine kleine Schwester vor den älteren Knaben beschützte, die sie ärgerten, weil sie die Häuptlingstochter war. Und dann kam die Stunde, in der Skards Lebenslicht erlosch, in der seine Augen ihr Leuchten für immer verloren. Nie würde ihr Bruder erfahren, wie es war, eine Frau zu lieben, Vater zu werden und seine Söhne aufwachsen zu sehen. Ein ganzes Menschenleben hatte man Skard geraubt und er war zu Asche zerfallen. Kalte Asche, die nun über die pinke Steppe von Aret wehte.
Kadlin holte zitternd Luft und Tränen liefen über ihre Wangen. Noch immer schmerzte sie der Verlust ihres Bruders – und noch mehr die Ungerechtigkeit der Götter. Sie verstand die Monde nicht. Denn womit hatte Skard es verdient, so jung zu sterben? Warum musste ausgerechnet er in dieser Schlacht niedergemetzelt werden?
Immer wieder gab es diese Gefechte zwischen den Smar und den Unaru, immer wieder starben Menschen. Auf beiden Seiten. War die Erde denn nicht genug vom Blut der Gefallenen getränkt? Reichte es immer noch nicht? Wie viele Menschen mussten noch sterben, damit es endete?
Sie schluchzte auf. »Es wird nie aufhören, Ragnar. Du und Vater … Ich werde auch euch verlieren. Man wird dich, wie Skard, blutüberströmt auf einer Bahre heimtragen.«
Kadlins Schultern bebten und Ragnar zog sie tröstend in die Arme.
»Nein, mein kleiner Spatz, das wird nicht passieren.«
»Doch, das wird es, wenn ich diesen Ikol heirate.«
Ragnar trocknete Kadlins Wangen und seine gütigen Augen, deren Grün dem der Funzelsteine glich, spendeten ihr Trost. »Ich verspreche es dir. Nichts dergleichen wird geschehen.«
Kummervoll schniefte Kadlin: »Das kannst du nicht versprechen. Die Unaru sind gute Kämpfer, meist verloren wir bei den Schlachten mehr Krieger als sie.«
Ragnar schmunzelte traurig. »Deswegen ist die Verbindung mit den Ikol umso wichtiger, da auch die Unaru neue Verbündete haben.«
»Könnt ihr nicht beim gegenseitigen Plündern und Rauben der Weidegründe und Plantagen bleiben? Ich meine, … man hat ja auch davon abgelassen, die Dörfer zu überfallen und zu brandschatzen. Warum muss man trotzdem immer wieder von neuem die Fehde mit Blut entfachen? Könnte man nicht mit den Unaru Frieden schließen?«
Ragnar schüttelte voller Groll den Kopf. »Dazu ist viel zu viel Blut geflossen. Außerdem kann man den Unaru nicht trauen oder hast du die Geschichte unseres Vaters vergessen, wie alles begann?«
Kadlins Mund verzog sich abwertend. »Wie könnte ich? Oft genug musste ich mich über die Hinterhältigkeit der Unaru belehren lassen.«
O ja, sie kannte die Geschichte auswendig. Einer ihrer Ahnen verliebte sich in eine Frau, die einem Unaru versprochen war. Die Frau musste den Unaru auf Druck ihres Clans jedoch heiraten, obwohl sie den Smar liebte. Schließlich ließ sie dem Smar ausrichten, dass sie ihn noch immer liebe und nie vergessen würde. Dieser forderte daraufhin den Unaru heraus, den er in einem fairen Kampf tötete. Doch die Unaru gaben die Frau nicht heraus, obwohl es ihre Pflicht gewesen wäre. Die Smar zogen sich unwillig, aber friedlich zurück. Auf dem Nachhauseweg starb der Smar allerdings an einer leichten Verletzung, die vom Messer des Unaru herrührte, welches offensichtlich vergiftet gewesen war, da sich seine Wunde schwarz verfärbt hatte. Die Smar hatten daraus eine Redewendung gemacht: Lieber würde man sich die Hand abhacken, als sie einem Unaru zu reichen.
Ein Friedensvertrag, der nur auf Worten beruhte, würde nie zustande kommen. Nein, dem Pakt musste etwas Stärkeres zu Grunde liegen … So etwas wie eine Verbindung. Doch das war undenkbar … Obwohl … So seltsam und verrückt es auch klingen mochte: Sie konnte doch nicht die Einzige sein, der dieses Blutvergießen zuwider war? Sicherlich gab es Mütter und Ehefrauen unter den Unaru, die das ebenso sahen. Bei den Männern war es jedoch eine andere Sache. Männer liebten den Krieg und den Kampf.
»Kleiner Spatz, was heckst du aus? Deine Miene lässt mich das Schlimmste vermuten«, unterbrach Ragnar die Gedanken seiner Schwester.
Kadlin atmete auf. »Ich hecke nichts aus. Ich dachte lediglich, dass ihr Männer euren Hang zum Kämpfen nie aufgeben werdet.«
Ragnars Gelächter hallte über die Weide, doch dann wurde er nachdenklich. »Ich weiß nicht, mag sein. Aber … Ich glaube, um das Leben meiner Kinder zu schützen, wäre ich bereit dazu.«
Kadlins Brauen zogen sich zusammen. »Warum denkt Vater nicht so wie du?«
»Jeder Krieger hat seine eigenen Prinzipien, für die er sterben würde. Und jeder Häuptling hat seine eigene Art, den Clan zu führen und zu schützen.«
Lange sah Kadlin ihren Bruder an. Ragnar schien ihr mit seinen vierundzwanzig Jahren manchmal weiser als ihr Vater zu sein. Und in diesem Moment begriff die junge Smar den Plan der drei heiligen Monde: Skard hatte stets seinem Vater nachgeeifert, der für ihn das Maß aller Dinge war. Vielleicht hatte Skards Tod doch einen Sinn?
»Weißt du, dein Bruder ist ein richtiges Honigstückchen. Mit herrlichen Muskeln und einem Gesicht, das …«
»Lijufe, hör auf! Er ist mein Bruder. Ich will das wirklich nicht hören«, unterbrach Kadlin angewidert ihre beste Freundin.
Sie saßen auf einem flachen Felsen im Flussdelta des Omoc-Sees, das nahe bei ihrem Dorf lag. Ihre Beine baumelten ins schwach strömende Wasser. Kadlin schüttelte den Kopf und betrachtete das Mädchen mit den braunen Locken, das verschmitzt lächelte und sich eine verirrte Strähne hinters Ohr strich.
Ihre Skals hatten die beiden Mädchen ausgezogen und in Reichweite liegen, damit sie diese schnell überziehen konnten, falls ein Stammesmitglied vorbeikam. Frauen und Männer aller Stämme trugen außerhalb des Hauses ihren Umhang, aus ganz bestimmten Gründen. Die Skals schützten nicht nur vor Sonne, Kälte oder Regen, sondern dienten als Decke oder Kissen, wenn man in der Wildnis unterwegs war. Aber vor allen Dingen nutzte man sie als Erkennungszeichen der Zugehörigkeit und des familiären Standes.
Die Umhänge der Smar waren außen blau und schwarz gestreift auf weißem Grund und hatten innen die weiße Grundfarbe. Jeder Clan hatte seine eigenen Farben und sein eigenes Muster, woran er sofort zu erkennen war. Wenn eine Frau zu Besuch in ein fremdes Dorf ging, musste ihr Umhang mit der Musterung nach innen zeigen, die Grundfarbe nach außen. Wie der Skal getragen wurde, deutete den Familienstand an, was sowohl für Männer als auch für Frauen galt. War man verheiratet, wurden die Öffnung und die Brosche, die das Kleidungsstück zusammenhielt, mittig nach vorne getragen. War man ledig, musste die rechte Schulter unbedeckt bleiben und die Brosche auch auf dieser Seite befestigt werden. War man jedoch verwitwet, ließ der Skal die linke Schulter frei und das Schmuckstück musste dort angebracht sein. Das alles sagte dieses Stück Webstoff aus und war deswegen so wichtig.
Aber nichtsdestotrotz legte Kadlin den Skal ab, sobald es möglich war. Obwohl sie mit diesem Kleidungsstück aufgewachsen war, es ihr in Fleisch und Blut hätte übergehen müssen, fühlte sie sich an manchen Tagen eingeengt. Einerseits behütete der Skal die Trägerin vor äußeren Einflüssen, wie dem Wetter oder den frechen Blicken von Männern, und machte jedem Fremden klar, welcher Stamm hinter ihr stand. Doch andererseits war er wie eine Fessel: Alles wurde offengelegt und man unterwarf sich den Regeln der Clangemeinschaft.
Und heute war so ein Tag, an dem Kadlin ihn am liebsten im Fluss versenkt hätte, denn er erinnerte sie an ihre Pflicht als Häuptlingstochter. Umso mehr genoss sie es zu fühlen, wie die Sonne ihre Arme wärmte und wie ihr Haar, das sie eigentlich zu einem Zopf zusammenbinden sollte, ungehindert sanft im Wind tanzte. Sie schloss die Lider und wandte ihr Gesicht dem blauen Himmel zu.
»Ich erzähle dir, dass ich in einen fürchterlichen Stamm einheiraten muss und du schwärmst mir von meinem Bruder vor. Eine schöne Freundin bist du.«
Lijufe kicherte. »Du erzählst mir nichts Neues. Ich weiß, dass ich schön bin.«
»Du bist unmöglich«, grinste Kadlin amüsiert und schubste ihre Freundin mit der Schulter.
Das war Lijufe, wie sie leibte und lebte. Bewundernswerterweise verlor sie nie ihren Humor. Obgleich sie mit ihren achtzehn Jahren den Haushalt ihrer fünfköpfigen Familie führte, seit ihre Mutter vor vier Jahren gestorben war, war ihr das Lachen nicht abhandengekommen. Vielleicht waren aber genau diese Umstände der Grund dafür, warum sie den wenigen unbeschwerten Momenten des Lebens voller Freude entgegentrat.
»Ha, ich bin unmöglich? Dass ich nicht lache. Wer sprach gerade von der verrücktesten Idee, die eine Smar je hatte: Einen Unaru zu heiraten?«, erwiderte Lijufe lauthals.
»Psst, nicht so laut. Es ist ja nur ein Gedanke. Aber wie gesagt, wenn Ragnar so denkt, dass er für seine Kinder den Krieg beenden würde, wäre es doch möglich, dass der Häuptling der Unaru oder sein Sohn die Ansicht teilen.«
Zweifelnd hoben sich Lijufes Brauen. »Und wie willst du das rausfinden? Willst du an sein Zelt klopfen und fragen: ›Hallihallo, ich bin die Tochter von Eyvind, eurem Erzfeind, aber vielleicht hast du ja nichts Besseres zu tun, als mich zu heiraten?‹«
Leicht beleidigt versuchte Kadlin sich zu verteidigen. »Wohl kaum, aber …«
Lijufes strahlend blaue Augen verengten sich. »Oh, nein! Nein, nein – schau mich nicht so an!« Nach einem resignierten Seufzer fragte sie jedoch: »Was brütest du aus in deinem Spatzenhirn?«
»Demnächst ist das Sonnenfest, mit dem Fastmö.«
Lijufe erstarrte. »Moment mal! DU wirst bei der Brautschau gar nicht mitmachen, weil DU nämlich schon einen Bräutigam hast. Hadd, schon vergessen? Ich dagegen schon. Endlich. Mit einem ganzen verdammten Jahr Verspätung. Aber jetzt, wo Vater die Witwe heiratet, kann ich auf Männersuche gehen.«
Kadlin schmunzelte zufrieden. »Das braucht ja keiner zu erfahren, dass ich auf dem Fastmö bin. Oder hast du vergessen, dass dabei keine Skals getragen werden und man die obere Gesichtshälfte unter einer Augenbinde verbirgt?«
Lijufe schnappte nach Luft. »Du bist wirklich unglaublich und treibst den Sinn dieses Brauchs auf die Spitze dessen, wozu er ursprünglich gedacht war.«
»Genau. Es sollte den Jungen die Möglichkeit gegeben werden, einen Partner zu finden, ohne sich von dem Zwang der Stämme leiten zu lassen. Nicht umsonst heißt der Pfahl, wo sich die Partner am Schluss wählen und ihren Stamm preisgeben müssen, Baum der Verbindung.«
Lijufe neigte ihr Haupt zur Seite. »Woher willst du aber wissen, welcher der maskierten Männer der Sohn des Unaru-Häuptlings ist? Selbst wenn du es herausfinden solltest, ist nicht gesagt, dass er dich wählt. Und außerdem gibt es da noch immer das kleine Problem: Du hast schon einen Bräutigam!«
Genervt schnaubte Kadlin aus. »Ich gebe ja zu, der Plan hat einige Lücken, die wir jedoch überwinden könnten. Stell dir vor: Nie wieder Krieg! Der Vorteil dieser Ehe würde meinen Vater bestimmt überzeugen. Hadd könnte dann getrost einpacken. Wenn wir es allerdings nicht ausprobieren, kann der Plan gar nicht glücken, oder?«
Erschrocken weiteten sich Lijufes Augen. »Wir?! Was heißt hier wir?«
»Willst du mich das Abenteuer etwa alleine bestehen lassen?«
Lijufe grummelte. »Ich weiß, dass ich das später bereuen werde … Also, wie genau hast du dir das vorgestellt?«
***
Schon während des Flugs sah Kadlin, dass sich zahlreiche Stämme zum Sonnenfest am anderen Ende des Omoc-Sees eingefunden hatten. Unzählige Zelte bedeckten bereits das Tal, das von oben wie ein bunter Flickenteppich aussah.
Kadlin flog mit Lijufe auf einer kleinen Optera, die ihr gehörte. Die Optera gab es in verschiedenen Größen und Farben. Je größer sie waren, desto mehr konnten sie tragen. Die Smar besaßen zwei Dutzend Maxi-Optera, die ein Vielfaches ihres Eigengewichts transportieren konnten und mit deren Hilfe sie auch die leeren Schneckenhäuser ins Dorf brachten. Alle Optera hatten den gleichen Körperbau. Vier Beine trugen einen langen Flachkörper, der auf jeder Seite zwei übereinanderliegende, nahezu durchsichtige Flügel hatte. Ihr Kopf war im Verhältnis zum schmalen Körper riesig und die Facettenaugen machten den größten Teil von ihm aus. Die kleinen Optera zeichneten sich, im Gegensatz zu ihren großen Artgenossen, durch ihre Schnelligkeit und ihre Wendigkeit im Flug aus, weswegen sie gern fürs Reisen oder Jagen verwendet wurden. Was Kadlin jedoch am meisten an den Tieren liebte, waren ihre schillernden Farben. Von Giftgrün-getigert über helles Lila bis Quietschorange-gestreift war jede Färbung denkbar. Kadlins Optera hatte einen schwarzen Körper und metallisch blau schimmernde Flügel mit schwarzen Tupfen.
Vorsichtig zog sie am Zügel und das Tier landete neben dem ihres Vaters. Jeder Clan hatte von jeher seinen angestammten Platz bei dem dreitägigen Fest, an dem er sein Lager aufschlug.
Nachdem die Mädchen beim Auspacken geholfen hatten, wollten sie den ersten Teil ihres Vorhabens in die Tat umsetzen. Aber Eyvind hielt sie auf, als sie im Begriff waren, den Zeltplatz zu verlassen.
»Kadlin, wo wollt ihr hin?«
Lijufe, deren Gesichtsausdruck eindeutig ein ›Verdammt! Erwischt!‹ verriet, versteinerte augenblicklich. Kadlin versuchte mit ihrer einstudierten Unschuldsmiene Eyvind vom ungewohnten Verhalten ihrer Freundin abzulenken. »Ach, wir wollten uns bloß ein wenig umschauen.«
Streng musterte der grauhaarige Anführer seine Tochter. »Du wirst den Skal wie eine verheiratete Frau tragen, verbirg auch deinen Zopf, Kadlin. Halte dich von den Männern fern, denn du gehörst nun nicht mehr zu den Freien. Und vor allem –«
»… meide ich das Lager der Unaru. Ja, Vater, genauso wie jedes Jahr.« Sie grinste und drückte dem Häuptling einen Kuss auf die Wange, woraufhin sich diesem ein kleines, fast unmerkliches Lächeln ins Gesicht stahl.
Kadlin hakte sich bei Lijufe unter und Eyvind sah, wie die Mädchen kichernd zwischen den Zelten verschwanden.
»Eyvind, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Weshalb bist du beunruhigt?« Sibbe betrachtete das gebräunte Profil ihres Mannes, dessen Sorgenfalten sich mit den Jahren immer tiefer ins Gesicht gegraben hatten.
»Ihr Wissensdurst war von je her groß, doch nun ist sie eine neugierige, junge Frau, was gepaart mit ihrer Schönheit eine gefährliche Kombination ist. Beim letzten Berusat hatte ich Visionen von ihr, Sibbe.«
Erschrocken nahm die Smar die Ratlosigkeit in den Augen ihres Ehemannes wahr. »Du hast mir nie davon erzählt?«
»Sie schienen so abwegig, dass ich sie beiseiteschob. Aber mit jedem Tag, der neu anbricht, drängen sie sich in mein Bewusstsein zurück. Ich sah Kadlin voller Furcht vor etwas fliehen. Ich sah sie kämpfen wie ein Mann. Ich sah sie im Moor der Flammen.«
Die ältere Frau schluckte und ihr Blick trübte sich vor Kummer. »Sahst du ihren Tod?«
»Ich fühlte den Tod, aber ich weiß nicht, ob es ihrer war.«
Besorgt schüttelte Sibbe den Kopf. »Diese Heirat mit Hadd wird uns Unglück bringen, ich spüre es.«
Eyvind schloss die Lider, um sie gleich wieder zu öffnen. »Es ist zu spät, wir können nichts mehr daran ändern. Kadlin ist dem Ikol versprochen. Die Monde haben längst über ihr Schicksal bestimmt, schon lange bevor sie uns geschenkt wurde.«
***
Lijufe lief neben Kadlin entlang der engen Gassen der Zeltstadt, die sich in Ringen um einen gigantischen Festplatz zog. Auf diesem leerstehenden Platz fand unter anderem am letzten Tag das Fastmö statt.
Es war faszinierend, das unterschiedliche Leben der Clans zu beobachten. Da waren die Stämme aus dem Süden, die breite, flache Zelte hatten, die mit vielen, kunstvoll verzierten Decken und Kissen ausgelegt waren. Stämme aus dem Norden hatten lediglich Lederstücke gespannt, hinter denen ihre Schlafplätze aus Pelz lagerten.
Überall rannten Kinder herum, deren Skals im Wind flatterten. Während die Frauen beisammensaßen und tratschten, tranken die Männer gemeinsam Rindenwein und fachsimpelten über ihre Waffen. Familien aßen vor ihren Zelten, Wäsche wurde aufgehängt, es wurde gesungen und gelacht. Es war ein lebhaftes Treiben und an jeder Ecke gab es etwas Neues zu bestaunen. Hinter jeder Biegung roch es anders, mal süß nach dem Honig der Waldbienen, in dem Mandeln gebrannt wurden, mal deftig, nach gegrilltem Kaninchen. Es war ein Fest für Augen, Nase und Ohren.
Bei dieser Gelegenheit der Zusammenkunft wurde auch reger Handel betrieben. Jeder Stamm besaß ein besonderes Talent oder Wissen zur Herstellung eines Gutes, für das er bekannt geworden war. Und diese Waren verkauften sie an ihren Ständen. So waren die Smar berühmt für den Hychnakäse. Die Ikol schmiedeten die besten Klingen. Wo man die grünen Funzelsteine und große Salzbrocken fand und wie man diese aus der Erde barg, wussten die Otulp. Die Nutas, deren Gefilde an der Küste lagen, boten das kostbare rote Salz und seltene Fische feil. Die Knarz kamen aus den nördlichen Wäldern, aus denen auch ihr schmackhafter Speck und das Leder stammte, das so zart wie Blütenblätter war. Und die Unaru, so hörte Kadlin es von ihren Stammesmitgliedern, lobte man für den Rindenwein, den sie von den Plantagen der Smar stahlen.
Es war ein Ort, an dem das Leben in allen Facetten pulsierte – und das friedlich. Beim Fest der Sonne und einen Monat danach herrschte nämlich striktes Kriegsverbot. Jeder Clan, der sich nicht daran hielt, galt fortan als ehrlos und wurde ausgestoßen. Es wurde ihm für zehn Jahre verwehrt, am Sonnenfest teilzunehmen, was meist zum Ruin des Stammes führte, denn keiner wollte mehr mit ihm handeln, geschweige denn eine Verbindung mit ihm eingehen. Die Stämme, die das Kriegsverbot missachtet hatten, waren über Generationen hin gebrandmarkt und mussten ihren angestammten Lagerplatz am Fest abgeben. Nach Ablauf der Strafjahre durften sie wieder am Fest teilnehmen, mussten aber im äußersten Ring des Zeltplatzes lagern.
Je näher das Stammeslager am Zentrum war, desto angesehener war ein Stamm. Das Lager der Smar und das der Unaru waren im gleichen Ring, allerdings lagen sie sich gegenüber, durch den Festplatz voneinander getrennt. In dessen Richtung ließen sich nun Lijufe und Kadlin mit der Menge treiben.
»Also, willst du als erstes deinen Bräutigam suchen oder den Unaru?«, fragte Lijufe leise im Gedränge und klammerte sich an Kadlins Oberarm, um sie nicht im Strom der Menschen zu verlieren.
»Zu allererst müssen wir uns andere Skals besorgen. Ich will schließlich nicht, dass Vater erfährt, dass ich im Lager der Ikol war oder – noch schlimmer – bei den Unaru.«
»Gut, und wo bekommen wir die her?«
Kadlin grinste breit. »Heute ist der erste Festtag und was ist da?«
Lijufes Augen wurden groß. »Natürlich. Wie konnte ich das vergessen? Das Turnier der drei Spiele beginnt heute.« Ein Strahlen trat auf das hübsche Gesicht des Mädchens. »Lauter halbnackte Männer, die sich mit ihren verschwitzten Leibern ins Getümmel stürzen.«
Das Jauchzen ihrer Freundin veranlasste Kadlin mit den Augen zu rollen. »Ja, das auch. Aber am Rande des Platzes liegen ihre Skals, auf die kein Mensch achten wird.«
»Warum sollte man auch auf die doofen Stofffetzen achten, wenn es doch auf dem Spielfeld viel Ansehnlicheres gibt?« Lijufe grinste, als hätte sie gerade einen ganzen Berg ihrer Lieblingsspeise entdeckt.
»Könntest du dich vielleicht einmal auf das Wesentliche konzentrieren? Heilige Hychna, reiß dich wenigstens für einen Moment zusammen!«, schimpfte Kadlin sie neckisch.
Je näher sie dem Turnier kamen, umso dichter drängten sich die Menschen und desto lauter wurden die Stimmen.
An diesem ersten Tag wurde, wie immer, das erste der drei Spiele abgehalten, das Egnirierd. Drei fünfköpfige Mannschaften spielten gleichzeitig gegeneinander. Jedes Team hatte ein Tor in Form eines Ringes, das auf einem langen Stab angebracht war, durch das die Gegner einen runden Lederbeutel werfen mussten. Traf ein Spieler außerhalb einer Linie, die in einiger Entfernung um das Tor aufgemalt war, bekam seine Mannschaft drei Punkte. Wurde innerhalb der Linie ein Tor geworfen, gab es einen Punkt. Sobald die Mannschaften eine Gesamtpunktanzahl von dreißig erspielt hatten, endete das Spiel. Man wusste also nie genau, wie lange ein Egnirierd ging und manchmal gewann der vermeintliche Verlierer mit dem letzten Wurf. Die Männer maßen auf diese Weise Schnelligkeit, Taktikvermögen und Kraft, was grundsätzlich nicht ohne Blessuren vor sich ging.
Als Kadlin und Lijufe beim Spielfeld ankamen, keilten sich fünfzehn kräftige Krieger um einen hässlichen Ledersack, während die Zuschauer völlig aus dem Häuschen gerieten. Wie Lijufe vorhergesagt hatte, spielten sie lediglich in ihren Hosen, da Gesicht und Oberkörper mit der Farbe ihrer Mannschaft bemalt waren. Die Skals und Tuniken der Männer lagen, wie Kadlin gehofft hatte, auf einem Haufen am Rande des Felds. Und der war ihr Ziel. Die Mädchen platzierten sich zwischen den Leuten, die neben den Kleidungsstücken das Egnirierd verfolgten.
Aufgeregt zischte Lijufe im Stillen: »Bei Sari, siehst du die Farben der Skals?«
Verwundert über den Ausruf ihrer Freundin, sah Kadlin die Umhänge genauer an.
»Verdammter Mist! Blaue und grüne Streifen auf schwarzem Grund? Unaru-Krieger spielen da gerade!«, platzte es aus der Smar heraus.
Sofort wanderte ihr Blick zu den Spielern. Welche von ihnen waren die Feinde der Smar? Die eine Gruppe war rot bemalt, die andere gelb und die dritte blau. Kadlin vermutete, dass die blauen Spieler die Unaru sein mussten. Die einzelnen Spieler waren im Grunde kaum voneinander zu unterscheiden, sie waren alle groß und breitschultrig, außer einem. Dieser überragte alle Männer. Er hatte braune Haare und einen Vollbart. Sein Körperbau war beängstigend, denn er war nicht nur groß, sondern bestand aus Muskelbergen, die ihresgleichen suchten.
Wie nicht anders zu erwarten, stellte sich der Riese dem Spieler des gegnerischen Teams in den Weg, der im Ballbesitz war. Mit einer Leichtigkeit, als würde er einem Kleinkind das Spielzeug wegnehmen, griff er sich den Ledersack und lief damit in Richtung eines der Ringe. Jeder, der ihm in die Quere kam, wurde ohne Rücksicht auf Verluste umgerannt. Die Männer flogen im Bogen nach rechts und links durch die Luft. Doch dann passte der Riese überraschenderweise den Ball an einen blondmähnigen Mitspieler, der noch im Sprung, außerhalb der Linie, gekonnt einen Treffer im gegnerischen Tor landete.
Die Zuschauer klatschten begeistert. Als die Spieler der Punkte erringenden Mannschaft sich johlend umarmten, sah Kadlin die weißen Zähne des Torwerfers in dessen blau gefärbtem Gesicht aufblitzen. Einen kurzen Moment war sie verwirrt. Dieser Krieger war beinahe so stattlich, wie der Riese, der sich mit ihm freute und jubelte.
»Halloo, hast du jetzt genug geglotzt oder sollen wir noch ein paar Minuten hierbleiben, bis du dich sattgesehen hast? Ich hab die Skals. Bevor es jemand merkt, sollten wir uns schleunigst verdrücken. Sag mal …? Du stehst da und gaffst so, wie nur ich es tun sollte.« Lijufe schmunzelte über den beschämten Gesichtsausdruck ihrer Freundin und ging davon.
Kadlin stolperte ihr perplex hinterher. »Ich habe doch nur … Ich wollte doch bloß wissen, welche von ihnen die Unaru sind«, entschuldigte sich Kadlin bedröppelt.
Hinter einem Zelt, wo es ruhiger war und sich weniger Leute aufhielten, grunzte Lijufe abfällig: »Sicher. Während du den Jungs hinterher geschmachtet hast, habe ich die Gunst des Moments genutzt, als das Tor fiel.« Stolz zeigte sie Kadlin ihre Beute.
»Und wessen Skals haben wir?«, fragte diese.
Ratlos schaute Lijufe das grüngelbe Streifenmuster auf dem schwarzen Umhang an. »Keine Ahnung, aber sie gehören weder den Smar, noch den Ikol oder den Unaru. Und das ist das Wichtigste.«
Das fliederfarbene Mammutgras der Steppe, welches bei Weitem die Höhe eines Mannes überragte, wurde vom blauen Schilfrohr abgelöst, das sich im Sumpfgebiet am See ausbreitete. Dieses stille Meer der Halme war ein herrliches Versteck und erinnerte mit seinen Trampelpfaden an ein geheimnisvolles Labyrinth. Tagsüber war es der Spielplatz der Kinder und des Nachts der Treffpunkt für verliebte Paare.
Die erbeuteten Skals unter ihren eigenen verbergend, schlichen die Mädchen durch das hohe Gras, in Richtung Seeufer. In diesem Irrgarten fand man immer ein verschwiegenes Örtchen, wo man allein war und genau dies suchten die jungen Smar-Frauen.
»Was tust du denn jetzt schon wieder?«, fragte Lijufe ungeduldig und beobachtete ihre Freundin, die stehen geblieben war und auf Zehenspitzen balancierte.
»Ich verknote an jeder Abzweigung, die wir wählen, zwei Halme miteinander, damit wir das Versteck wiederfinden.«
»Kadlin, du bist ein gewitztes Luder«, staunte Lijufe frech und wartete, bis ihre Freundin die Markierung gesetzt hatte.
In einer leerstehenden Sackgasse rollten sie ihre Smar-Umhänge zusammen und verbargen sie im Dickicht des Grases. Mürrisch beäugte Lijufe, wie Kadlin die Öffnung des fremden Skals mittig über der Brust platzierte. »Können wir nicht als Freie gehen? Warum als Verheiratete? So lerne ich nie irgendeinen Krieger kennen.«
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