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Triest und das Triestiner Umland: Vom historischen Glanz des einstigen Emporiums ist hier nichts zu spüren, sehr viel aber von den sozialen Widersprüchen, von Willkür und Fremdenhass und vom täglichen Kampf um die Existenz, die diese Gesellschaft und ihre Akteure prägen. Dazu kommt das historisch belastete Verhältnis zwi¬schen Italienern und Slowenen, das es schwer macht, überkommene Nationalismen hinter sich zu lassen. Die bevorzugten Schauplätze sind Innenräume: das Krankenhaus, das Zimmer, die Automechanikerwerkstatt, und immer wieder das Auto, denn in diesem Roman wird viel gefahren. Das Schicksal eines jungen rumänischen Paares, das sich in Italien eine Existenz aufbauen will, bildet den Ausgangspunkt für die Erzählung, in der Gewalt und Abrechnung als Leitmotive figurieren. Bei einem unfreiwilligen Zwischenstopp in Triest gerät das Paar in die Fänge des psychopathischen Polizisten Gianfranco. Die Frau verliert ihr Kind, während ihr Mann, halb totgeschlagen, im Koma liegt. Eine slowenische Krankenschwester nimmt sich der Frau an und bringt sie zu sich nach Hause. Dort wohnt auch der greise Großonkel, der seit Jahrzehnten auf der Suche nach einem italieni¬schen Kriegsverbrecher ist. Auf der anderen Seite gruppieren sich die Geschichten um Gianfranco, der sich vorgenommen hat, die Stadt von den Fremden zu säubern und der immer mehr Menschen in seine verbrecherischen Machenschaften hineinzieht …
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Seitenzahl: 395
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PREGELJ · UNTER EINEM GLÜCKLICHEN STERN
SEBASTIJAN PREGELJ
Roman Aus dem Slowenischen von Erwin Köstler
DRAVA
Titel der Originalausgabe: Pod srečno zvezdo
Die Übersetzung dieses Werkes wurde gefördert duch die Slowenische Buchagentur JAK sowie durch ein Arbeitsstipendium der Kunstsektion des Bundeskanzleramtes Österreich.
DRAVA VERLAG · ZALOŽBA DRAVA GMBH
9020 Klagenfurt/Celovec
www.drava.at
© Copyright 2O15 by Drava Verlag
Umschlaggestaltung: Walter Oberhauser unter Verwendung eines Fotos von Stefano T./Dollar Photo Club
ISBN 978-3-85435-763-6eISBN 978-3-85435-787-2
Am siebenundzwanzigsten April erschien ein Komet am Himmel, dem der Sonnenwind einen ungewöhnlich langen Schweif verlieh. Er überflog ein Gutteil des Festlands und schien irgendwo hinterm Meer verschwinden zu wollen, als er über der Stadt plötzlich eine andere Richtung nahm und größer zu werden begann, als zöge ihn eine unbekannte Kraft zu Boden. Erst über den Dächern Triests blieb er stehen und kam endlich zur Ruhe. Es war fünf Uhr acht.
Seit damals strahlt der Himmelskörper allnächtlich über der Stadt, wie auf einer alten Weihnachtskarte mit dem goldenen Kometen darauf.
Nichts dergleichen hat man je gesehen. Der Stern mit dem Schweif schwebt über der Stadt!
Im Westen ist es noch völlig dunkel, während im Osten der Himmel bereits blaut und irgendwo dahinter das Licht zu ahnen ist, das in Kürze die Finsternis und mit ihr die dunklen Gedanken und bösen Erinnerungen vertreiben wird. Dumitru spürt, wie die Beklemmung in der Brust sich löst und er wieder aus voller Lunge atmen kann. Mit dem Ende der Nacht kommt die Erleichterung. Auch mir lächelt vielleicht hin und wieder das Glück, neigt er ein wenig den Kopf, auch mir kann hie und da etwas Gutes geschehen. Lachende Gesichter wird es nicht ewig nur auf Werbeplakaten und Fernsehbildschirmen geben. Auch meines wird einmal glücklich sein und lachen, und ebenso Luminiţas und alle Gesichter um uns herum! Auch unsere Welt kann gut und schön sein. Er nickt. Man braucht nur ein wenig Glück. Das ist alles. Und heute spüre ich, dass es ein guter Tag wird, ich spüre, dass das Glück uns nicht mehr lange meiden wird!
Solche Gedanken tummeln sich in Dumitrus Kopf, während er mit seinem alten Ford auf der Autobahn dahinsaust. Eigentlich saust er nicht, er fährt nur ein paar km/h über dem Limit, die ihn eine Kleinigkeit früher ans Ziel bringen würden, und gerade noch langsam genug, um nicht wegen Schnellfahrens von der Polizei angehalten zu werden. Das Gefühl zu rasen rührt vor allem vom Alter des Wagens her. Als Neuwagen war er für eine schnelle und dynamische Fahrweise vorgesehen, doch war er nach vier Jahrzehnten und neunhunderttausend gefahrenen Kilometern langsam geworden, wie es der Körper eines alten Menschen wird. Aber vorläufig geht es, nickt der Mann sich zu, vorläufig sieht es gut aus.
Auf den metallenen Planken, die die Autobahn vom Rest der Welt trennen, sind bis zum Abend Raubvögel gesessen. Die Autos überfahren genug kleine Tiere, und die Vögel brauchen nichts weiter zu tun, als auf den Planken zu sitzen und darauf zu warten, dass es passiert. Die Jagd haben sie längst aufgegeben, und es scheint, als bräuchten sie die Flügel nur mehr, um von der Planke auf die Fahrbahn zu fliegen und die Beute zurück auf die Planke zu bringen, wo sie in Ruhe ihre Mahlzeit einnehmen, während immer neue Mäuse, Ratten und Igel ihr Glück versuchen und sich vorbei an den Resten ihrer Vorgänger, die es nicht geschafft haben, auf die schönere Seite der Welt begeben.
Dumitru hat die Vögel beobachtet und eine Weile auch gezählt, bis er schließlich erkannt hat, dass es zu viele sind und dass es überhaupt keinen Sinn hat, sie zu zählen. Mit der Frau, die neben ihm sitzt, hat er nur wenige Worte gewechselt. Er hat sie schlafen lassen. Noch ein Glück, dass ihr nicht schlecht ist und dass sie schlafen kann, hat er sich gedacht und gehofft, sie würde es möglichst lange tun. Luminiţa ist schwanger. In der zweiunddreißigsten Woche sind sie noch ein letztes Mal vor der Entbindung zu einem Heimatbesuch nach Cluj aufgebrochen, und jetzt fahren sie nach Rom zurück.
Dumitru nimmt die Schachtel Zigaretten zur Hand, neigt sie und schlägt leicht auf den Rand des Lenkrads, bis eine herausschaut. Er nähert die Schachtel dem Mund und greift die Zigarette mit den Zähnen. Während er sie anzündet, drosselt er ein wenig das Tempo, damit der Wind, wenn er die Scheibe herunterdreht, nicht zu laut pfeift. Als er an der Kurbel zu drehen beginnt, erblickt er auf einer Mauer neben der Straße ein Graffiti, das ein rasender Lastwagen einen Moment lang beleuchtet. Auf der Mauer steht: Europa, wir sind deine weinenden Mäuse, Ratten und Igel. Dumitru zieht den Rauch ein und behält ihn in der Lunge. Er neigt den Kopf zur anderen Seite und beschleunigt ein wenig.
Schau, Angelo, was ich dir bringe! ruft der Mann mit rauer Stimme. Er schiebt einen Wagen, auf dem ein Sack mit einem Leichnam liegt. Angelo?! Ja, ja, ich bin hier, erscheint im ausgeleuchteten Korridor ein junger Mann mit schwarzem Schnurrbart. Ohne den Bart würde er aussehen wie ein Knabe, wie ein Kind. Schau dir das an. Der Mann, der den Leichnam gebracht hat, nimmt den Schieber des Reißverschlusses und öffnet den Sack. Sie ist schön, zwinkert er mit seinem hellblauen Auge. Das andere Auge fehlt. Dort, wo es sein müsste, ist eine tiefe Narbe. Über die Narbe und ihre Entstehung gibt es viele Geschichten. Die einen sagen, dass Ivan als Kind verunglückt ist, die andern, dass er das Auge im Krieg auf dem Boden des ehemaligen Jugoslawien verloren hat. Ivan sagt keinem, was wirklich geschehen ist. Er weiß, dass das Geheimnis ihn stark macht.
Sie ist schön wie ein Engel, pfeift Ivan, wie Männer Frauen nachpfeifen, die ihnen gefallen. Hör auf! sagt Angelo mit erhobener Stimme. Sie ist tot. Hab wenigstens ein bisschen Respekt. Sie ist tot, lächelt Ivan, darum hat sie nichts dagegen, wenn du sie ein wenig anschaust. Verstehst du? Wenn sie lebendig wär, hättest du keine Chance. Kannst mir glauben. Fick dich! packt Angelo den Wagen und zieht ihn am Griff hinter sich her. Unterschrift! ruft ihm der Mann, dem das Auge fehlt, nach. Ja, ja, bleibt Angelo stehen, zieht einen Kugelschreiber aus der Brusttasche und unterschreibt das Dokument, das ihm der Einäugige unter die Nase hält. Gib zu, dass dich hin und wieder eine reizt! sagt Ivan, während er das unterschriebene Dokument einsteckt. Bei mir wär’s so. Ist ja nichts dabei, gib’s doch zu! sagt er, dreht sich um und geht durch den Korridor ab. Fick dich! ruft Angelo ihm nach und fährt den Wagen mit dem Leichnam weg.
Der Raum, wo in der Mitte die Metalltische stehen, auf denen die Obduktionen vorgenommen werden, ist leer. Um elf Uhr abends ist Angelo allein in der Leichenkammer. Draußen ist der Pförtner, aber der Pförtner kommt nie herein. Die Leichen, die nachts gebracht werden, warten bis zum Morgen. Der Pathologe kommt um sieben.
Angelo schiebt den Wagen in den hinteren Teil, wo die Kühlzellen sind. Bevor er bei den glänzenden Metalltüren ist, schielt er in den Sack. Durch den Schlitz sieht er das Gesicht und das üppige Haar. Die Frau in dem Sack war eine Schönheit. Ivan hat recht, schluckt er. Er bleibt stehen und streckt vorsichtig die Hand aus, nimmt den Schieber und macht den Sack noch ein wenig auf. Jetzt sieht er das ganze Gesicht und die Schultern. Er denkt sich, dass der, der sie gehabt hat, glücklich war. War ihm überhaupt bewusst, was er da gehabt hat? Hat er sie mit Blumen und Geschenken überhäuft? Ich hätt’s getan, wenn sie mir gehört hätte, leckt er sich die gesprungenen Lippen. Wenn sie mir gehört hätte, wäre ich jetzt unendlich traurig.
Eine Weile schaut er sie mit offenem Mund an, dann macht er den Sack noch ein wenig auf. Sein Blick verweilt auf den großen Brüsten. Der Leichnam ist fast nackt. Angelo spürt, wie sein Herz zu klopfen beginnt, wie der Speichel in seinem Mund dick wird und wie sein Glied sich bewegt. Vor Aufregung steigen ihm die Tränen auf. Nicht böse sein, sagt er, legt die Schutzhandschuhe an und zieht den Sack auseinander. Was für ein Weib! Was für Titten! Er öffnet mit zitternden Fingern die winzigen Knöpfe. Vorsichtig berührt er die festen Brüste. Zuerst berührt er sie nur, dann beginnt er sie zu streicheln und sanft zu kneten. Er schließt die Augen. Er stellt sich vor, dass die Frau unter ihm lebendig ist und dass sie ihn will; er stellt sich vor, dass sie irgendwo anders sind, weit weg von der Leichenkammer und vom Tod.
Nach einer Weile schlägt sein Herz mit aller Kraft, als stieße ganz nah der Engel des Todes in seine Posaune und als würde er im nächsten Moment auf der Schulter den harten Griff dessen spüren, der ihn mit dem Leichnam erwischt. Er nimmt die Hände weit zurück. In seinen Schläfen pulsiert es wild, unter der Zunge brennt es. Seine Augen sind weit offen. Niemand ist da und nichts ist zu hören, trotzdem wird er das Gefühl nicht los, nicht allein zu sein. Er schluckt und entschuldigt sich, als wäre die Frau am Leben, als hätte er sie in der U-Bahn versehentlich gestoßen oder wäre ihr auf den Fuß getreten. Einige Male blinzelt er. Seine Hand fährt aus, um die Knöpfe und den Reißverschluss zuzumachen. Stattdessen greift er in die Manteltasche und holt sein Telefon heraus. Er aktiviert die Kamera, erhebt sich über den Leichnam und schießt ein paar Bilder.
Als er fertig ist, lässt er den Apparat wieder in den Mantel gleiten und macht mit zitternden Händen zuerst die Knöpfe der durchsichtigen Bluse und dann noch den Sack zu. Er zieht die Handschuhe aus und bekreuzigt sich. Der Satan hat Ivan geschickt, der Satan persönlich. Das ist passiert, murmelt er, macht weit die Metalltür auf und schiebt die Frau in die Kühlbox. Gute Nacht, und entschuldige.
Das Tor der Mechanikerwerkstatt steht weit offen, unter einem blauen Alfa liegt der Mechaniker. Würde er nicht hin und wieder die Füße bewegen, die unter dem Auto hervorlugen, würde es wirken, als schliefe dort einer, oder als läge sogar ein Toter dort.
Der Mechaniker würde wahrscheinlich noch eine ganze Zeit unter dem Auto liegen, doch stört ihn die Ankunft eines Mannes in ausgetretenen Schuhen. Der Mechaniker ist es gewohnt, unter einem Auto hervorzuschauen. Er erkennt die Leute an der Gangart und am Geräusch, das der Sand unter ihren Schuhen macht. Der Mann, der über den Hof schreitet, ist nicht von hier, er ist nicht mal Italiener. Er ist Ausländer. Aber das ist nichts Neues. Ausländer gibt es hier immer mehr, und immer weniger davon sind Touristen. Der Mechaniker wartet, bis der Besucher beim Auto ist, dann zieht er sich darunter hervor, steht auf und grüßt. Dumitru grüßt in hartem Italienisch zurück.
Botticelli, wie der Mechaniker genannt wird, mustert den Ausländer mit stechendem Blick. Der Name ist dem Mechaniker geblieben, weil alle wissen, dass er mit der Werkstatt und der Reparatur von Autos seine Brötchen verdient, in Wahrheit aber, wie er selbst sagt, ein Künstler ist, ein Maler. Im Unterschied zu anderen Malern malt er nicht auf Leinwand oder Papier, sondern auf Karosserieblech, und im Unterschied zu den zeitgenössischen Malern sind seine Kunstwerke allen verständlich. Wenn er jemanden in der Werkstatt hat, der zuzuhören bereit ist, spricht er von der reinen Schönheit und erwähnt dabei oft den Frühling und die Geburt der Venus, die auch seine erste Schöpfung war und von der ihm der Name Botticelli geblieben ist. Nicht nur aus Triest und Venedig, auch aus Mailand und Turin kommen Leute zu ihm, damit er ihre Autos bemalt, und in letzter Zeit waren sogar ein paar Österreicher und Deutsche da.
Botticelli nimmt sich für jeden Wagen Zeit. Es kann auch mehrere Wochen dauern, bis eine Bemalung fertig ist. Seine Mama und seine Frau sind darüber verärgert und poltern in einem fort wie die Klappermühlen, dass er anfangen soll, die Bemalungen zu verrechnen, wie es sich gehört, damit sie anständig leben können, oder dass er die Malerei eben bleiben lassen soll, doch der Mann beharrt darauf, es nicht für Geld zu machen. In dem Moment, wo ich anfange, für Geld zu malen, ist die Inspiration futsch und dann bin ich ein gewöhnlicher Mechaniker! Ihr Frauen versteht das nicht, und ein Mann erwartet nicht, dass ihr das je versteht.
Während er den Ausländer mustert, wischt er sich die verschmierten Hände an der Hose seines Overalls ab und fragt, was es gebe. Dumitru antwortet, dass ihm das Auto krepiert sei. Es liegt nicht am Benzin, nicht am Wasser und nicht an der Batterie. Es ist stehengeblieben und rührt sich nicht mehr. Der Mechaniker fragt, wo das Auto stehe. Dumitru zeigt mit der Hand Richtung Westen. Gut, nickt ihm der Mechaniker zu, holen wir es, geht zu dem Pickup, der mitten im Hof steht, und winkt dem Ausländer, reinzuhüpfen.
Zwanzig Minuten später sind sie wieder da. Im Pickup, der einen gelben Ford Capri Mk I, Baujahr 73, zieht, sitzt neben dem Mechaniker und dem Ausländer eine schwangere Frau, die Frau des Ausländers, die sich mit beiden Händen den riesigen Bauch hält. Der Mechaniker schiebt das Auto des Ausländers in die Werkstatt und öffnet die Motorhaube. Schon vorher, als sie zum Auto gekommen sind, hat er es sich genau angesehen. Es war fast nicht zu glauben. So ein Auto hat er mindestens zehn, ach was zehn, fünfzehn Jahre nicht auf der Straße gesehen! Freilich ist es an mehreren Stellen verbeult, freilich rosten die Tür und der Boden, freilich sind daran Teile, die nicht original sind, aber trotzdem, wir reden von einem Ford Capri Mk I! Aus diesem Kübel ließe sich ein anständiges Auto machen, anständig genug, um es für schönes Geld zu verkaufen.
Der Mechaniker schaut sich eine Weile den Motor an, dann hebt er den Kopf und sagt, dass es nicht gut aussehe. Dumitru tritt nervös auf der Stelle. Er redet davon, dass seine Frau am Termin sei, dass sie rechtzeitig daheim zu sein hätten und er ihnen das Auto reparieren müsse, sonst könne wer weiß was passieren. Der Mechaniker beugt sich über den Motor. Es kann ein durchgebranntes Ventil sein, murmelt er, es kann eine defekte Zylinderkopfdichtung sein. Es kann irgendwas sein, sagt er, setzt sich ans Steuer und versucht zu starten. Nichts. Er wiederholt es ein paarmal, aber alles umsonst. Er geht wieder zum Motor und greift sich unterwegs ein neues Werkzeug. Es dauert eine Stunde, zwei.
Die Sonne brennt wie mitten im Sommer, obwohl erst Anfang Mai ist. Dumitru und Luminiţa bewegen sich mit dem Schatten über den Hof. Draußen ist es nicht auszuhalten, in der Werkstatt ist es ein wenig besser. Schließlich bleibt Luminiţa auf dem Stuhl sitzen, den ihr der Mechaniker hingeschoben hat, und schaut sich die Bilder an, die die Wände der Werkstatt schmücken. Hauptsächlich sind es nackte Frauen, aber keine Plakate aus Männermagazinen, sondern Reproduktionen von Bildern, die sie aus ihrer Studienzeit gut kennt. Ihr Mann lehnt in der Zwischenzeit an der geschlossenen Hälfte des Eisentors und raucht eine Zigarette nach der anderen.
Ich weiß nicht, was wir machen sollen, sagt der Mechaniker nach drei Stunden. Er denke, es könne am Verteiler liegen, oder an der Spule. Dein Auto ist tot, nichts zu machen. Er schaut den Ausländer an. Tot? Dumitru lässt die Zigarette fallen und tritt sie aus. Schau sie an! deutet er mit dem Kopf auf seine Frau. Bald ist auch sie tot, wenn du nichts unternimmst. Verstehst du? Du musst uns helfen. Kauf ein anderes Auto, antwortet der Mechaniker. Ein Stück weiter ist ein Gebrauchtwagenhändler. Ich kann euch hinbringen. Ich kenne ihn. Er wird dir einen guten Preis machen. Wenn er nichts Vernünftiges hat, bringe ich euch auf die andere Seite der Stadt. Dort gibt es noch ein paar andere. Nein, nein, nein. Dumitru schüttelt den Kopf. Wir haben kein Geld. Dann weiß ich nicht, sagt der Mechaniker und schleppt den Ford des Ausländers aus seiner Werkstatt. Dann weiß ich wirklich nicht, zuckt er die Achseln und wischt sich die schweißnasse Stirn mit dem Ärmel ab.
Warte. Dumitru geht ihm nach. Warte ein wenig. Hörst du?! Der Mechaniker bleibt stehen und sieht ihn an. Er weiß nicht, was der Ausländer vorhat, aber Ausländern ist nicht zu trauen. Er überlegt, wo das nächste Werkzeug liegt, damit er sich wehren kann, wenn der Ausländer ihn überfällt. Er hat schon genug solche Geschichten gehört, und er ist nicht naiv. Es hat damit angefangen, dass sie auf der Autobahn Autos angehalten haben. Sie haben um Hilfe gewunken, und wenn jemand stehengeblieben ist, um ihnen zu helfen, haben sie ihn ausgeraubt. Weitergegangen ist es mit Raubzügen auf den Tankstellen. Sie sind mit drei oder vier Kleinbussen gekommen, und auf einmal war alles voll mit Erwachsenen und Kindern. Wer sich nicht in sein Auto eingesperrt hat, dem haben sie abgenommen, was sich einem auf die Schnelle abnehmen lässt, wer sich eingesperrt hat, dem haben sie die Antenne abgebrochen oder die Scheibe eingeschlagen oder beides. Und so weiter.
Was ist mit dem Fiat dort? Dumitru deutet mit dem Kopf. Ist das deiner? Ja, sagt der Mechaniker, meiner. Eigentlich gehört er meiner Frau, aber bezahlt hab ich ihn, und das Service mach auch ich, darum gehört er mir. Wie viel willst du dafür? fragt Dumitru und geht zu dem Fiat. Den verkauf ich nicht, schüttelt der Mechaniker den Kopf. Ist nicht viel wert, sagt Dumitru, der zweimal um das rote Auto herumgeht. Ich lass dir den Ford da, und du gibst mir den Fiat. Oja, nickt der Mechaniker, ich kann’s kaum erwarten. Du lässt mir ein Auto, das nicht fährt, zum Tausch gegen eines, das funktioniert wie neu. Warte ein wenig. Dumitru bleibt stehen. Ich sage das nicht zum Spaß. Du kriegst den Ford. Und du kriegst noch zweihundert Euro drauf. Du weißt genau, wie viel der Ford wert ist, und du weißt auch, dass ich keine Wahl habe. Was sagst du? Was ich sage?! stemmt der Mechaniker die Hände in die Taschen. Lass mir den Ford und fünfhundert Euro. Fünfhundert Euro?! schaut Dumitru ihn an. Ich gebe dir dreihundert, wenn du den Tank füllst. Okay, sagt der Mechaniker und geht zu dem roten Fiat. Also abgemacht.
Dumitru dreht sich zu Luminiţa, die noch immer in der Werkstatt sitzt, und ruft sie. Während er auf sie wartet, zieht er das Geld aus dem Hosensack und blättert dem Mechaniker dreihundert Euro hin. Damit es uns nicht wie Josef und Maria in Bethlehem geht, lächelt er. Aber wenn du mich verarscht hast und wenn das Auto die siebenhundert Kilometer nicht schafft, dann komm ich mit Maria und dem kleinen Jesus zurück. Das weißt du? Weiß ich, sagt der Mechaniker. Dann also abgemacht, sagt Dumitru.
Das ist heute völlig normal, sagt der Polizist und stellt sich breitbeinig neben das Nachtkästchen. Es ist völlig normal, wenn du ein Auto anhältst, voller Ausländer, die keine gültigen Papiere haben, dafür aber Waffen. Aber zum Glück passen auch wir uns schnell an. Zum Glück weiß ich genau, wen man anhalten und wo man suchen muss. Der Mann öffnet mit der rechten Hand den breiten Gürtel, an dem die Tasche mit der Pistole hängt, und legt sie neben das Bett. Siehst du, Liebling, wenn es solche wie mich nicht gäbe, ich weiß wirklich nicht, wo das alles hinführen würde. Die Frau auf der anderen Seite des Bettes schweigt.
Gleich als ich das Auto gesehen habe, war mir klar, dass da was nicht stimmt, darum hab ich es unter der Brücke angehalten, beginnt sich der Polizist das Hemd aufzuknöpfen. Der Mann, der gefahren ist, hat zwar Italienisch gesprochen, aber ich hab auf den ersten Blick gesehen, dass er ein Ausländer der übelsten Sorte ist. Ausländer erkenne ich sofort, wenn es sein muss von Weitem, lächelt er. Früher hat sie die Stimme verraten, man hat ihnen angehört, wie sie zittern und dass sie Angst haben. Aber, Liebling, das hat sich geändert. Der Mann wirft das Hemd über den Stuhl, auf dem schon die Polizeikappe liegt. Sie haben keine Angst mehr. Sie sind arrogant und frecher geworden als unsere Halunken aus dem Süden.
Die Frau, die neben dem Fahrer gesessen ist, hat einen großen Bauch gehabt, redet der Mann weiter. Zum Kotzen, Liebling, das sind alte Tricks, älter als ich. Erst mal hab ich die Papiere überprüft. Ich hab erwartet, dass sie keine Genehmigungen haben, und gesehen, dass sie keine Touristen sind. Dann hab ich noch das Auto überprüft. Mit dem Auto war auf den ersten Blick alles in Ordnung, aber das hat getäuscht. Ich bin nicht dumm, sagt der Mann und schüttelt den Kopf. Wenn Gianfranco dumm wäre, klopft er sich mit dem Zeigefinger an die Stirn, wäre er längst schon tot. Aber Gianfranco hat Instinkt. Den Instinkt zum Überleben. Den Instinkt für Ausländer, die Scherereien machen.
Ich hab ihnen gesagt, dass sie aussteigen sollen. Der Mann hat mich dauernd gefragt, was nicht stimmt. Er hat wiederholt, dass seine Frau schwanger ist und dass sie einen langen Weg vor sich haben. Oja, hab ich genickt, ihr habt einen langen Weg vor euch. Immer langsam. Ich hab das Halfter aufgemacht und die Hand auf die Pistole gelegt. Als sie draußen waren, hab ich zu ihm gesagt, dass er den Kofferraum aufmachen soll. Der Mann hat immer weitergeredet, obwohl ich ihn gar nichts gefragt habe. Er hat den Kofferraum aufgemacht und mir gesagt, dass die Reisetasche alles ist, was sie haben. Oja, hab ich genickt, die Reisetasche ist alles, was ihr habt.
Und dann, naja, ich hab ja nichts anderes erwartet. Die Frau hat sich mit beiden Händen den Bauch gehalten und angefangen zu stöhnen. Der Mann hat sie und mich angeschaut, er hat mir gesagt, dass es angefangen hat und dass sie Hilfe brauchen. Hilfe, ja, hab ich genickt. Schön der Reihe nach. Stell die Tasche raus, wie ich dir gesagt habe. Die Frau hat gejammert, aber, Schätzchen, ich kenne alle Tricks, und der ist wirklich alt.
Na, Schätzchen, komm näher, winkt der Polizist der Frau. Komm her da, Gianfranco hat nicht viel Zeit. Draußen ist alles voller Halunken, die auf mich warten. Das weißt du doch? Das weißt du, oder? Als die Frau zu dem Polizisten kommt, umfasst er mit der Rechten ihre Taille und packt sie am Arsch. Wir werden uns ein wenig vergnügen. Gianfranco muss sich entspannen. Und das ist das Mindeste, das du für die Polizei tun kannst, die dich vor den Halunken schützt. Er packt sie mit der anderen Hand am Hals und drückt zu, dass ihr die Stirnader hervortritt. Die Polizei kann auf deine Mitarbeit zählen, oder? Die Frau nickt ihm erschrocken zu. Natürlich kann sie, lächelt der Mann. Du bist ein gutes Mädchen. Vielleicht gefallen dir die Halunken, aber die Polizei magst du lieber. Du bist ein gutes Mädchen.
Tu nicht so verschämt, lässt der Mann sie los und knöpft sich die Hose auf. Du weißt doch, was Gianfranco am liebsten mag. Die Frau geht auf die Knie. Hör zu, was dann war. Der Polizist macht die Augen halb zu. Ich hab zu ihm gesagt, er soll mir das Reserverad zeigen. Das hab ich zu ihm gesagt, ja. Und was war unter der Haube? Eine Pistole, Liebling, was denn sonst! Neben dem Reserverad hat der Schweinehund eine Pistole versteckt gehabt. Eine Pistole und einen Schlagring aus Messing.
Zärtlich, Liebling, zärtlich. Der Polizist öffnet die Augen und stoppt die Frau mit der rechten Hand. Erst langsam und zärtlich, dann kannst du auch schneller und grob. Verstehst du? Du musst mit Gefühl arbeiten. Das ist wie bei der Musik. Wenn kein Gefühl dabei ist, ist das nichts. Er packt mit der Linken ihre straffe Brust.
Der Polizist schweigt ein paar Augenblicke, dann redet er weiter: Der Mann hat gesagt, dass die Waffe nicht ihm gehört. Er hat mir weismachen wollen, dass er das Auto eine knappe Stunde vorher von einem Mechaniker in der Vorstadt gekauft hat. Natürlich, nicke ich. Er hat mich gebeten, Hilfe für seine Frau zu rufen. Hilfe, ja, nicke ich, natürlich. Die Frau hat immer lauter gejammert, aber, Liebling, das hab ich schon zu oft gesehen. Sie gehen mir echt auf den Sack.
Wie auch immer, Hilfe hab ich gerufen. Luca und Clemente sind gekommen. Wart ein wenig, Liebling, das geht zu schnell, packt der Mann die Frau am Kopf. Ich hab nicht viel Zeit, aber so eilig hab ich’s auch wieder nicht. Schön langsam, mit Gefühl, in Ordnung? sagt er und schaut an ihr hinunter. Wenn du das bei den andern so machst, ist es mir recht. Wenn du schnell arbeitest, bist du ein fleißiges Mädchen, aber für mich, Liebling, für mich nimmst du dir Zeit.
Wo waren wir? leckt sich der Polizist die trockenen Lippen und tastet mit der Hand nach ihrer Brust. Schöne Titten hast du, lächelt er. Das hab ich dir schon gesagt, oder? Und wahrscheinlich bin ich nicht der Einzige. Naja, ist ja egal, sagt er und seine Stimme fängt zu zittern an. Clemente und Luca waren schnell da. Dem Ausländer haben wir zwei Möglichkeiten angeboten. Wir können euch auf den Polizeiposten bringen, aber das wird lange dauern, hab ich zu ihm gesagt, wir können aber auch hier reden, unter der Brücke. Er hat gesagt, dass er lieber reden möchte. Und das haben wir getan. Wir haben ihn wie einen Hund geprügelt, den verfluchten Drecksack. Mit seinem Schlagring, damit er sich merkt, wo er nicht mehr hingehen soll. Weil wir keine Probleme wollen. Wir wollen die beschissenen Ausländer nicht! sagt der Polizist mit erbebender Stimme, die Frau aber neigt sich ein wenig zur Seite.
Gestern haben wir im Krankenhaus vielleicht einen Zirkus gehabt! sagt die mollige Frau, während sie mit der Friseuse auf dem rückwärtigen Balkon eine raucht. Der Frisiersalon ist vorn, und Maria, so heißt die mollige Frau, ist nach dem Dienst zu Slava gekommen, um sich die Haare machen zu lassen. Slava sieht sie an und wartet, was ihr Maria erzählen wird. Für gewöhnlich redet sie über ihren Mann Gianfranco, aber Slava hat die Geschichten über den Polizisten satt, nur dass sie der Molligen nicht sagen will, dass sie aufhören soll, über ihn zu reden, weil er eine Drecksau ist. Alle wissen, dass Gianfranco Prostituierte erpresst und nagelt, es heißt sogar, er sei im Frauen- und Drogengeschäft, man weiß, dass er mit den größten Schurken in der Stadt arbeitet, einzig Maria will das nicht sehen und tut so, als wäre nichts. Sie schminkt sich für ihn, sie kocht für ihn und bedient ihn, er aber lobt sie nicht einmal, gar nicht zu reden davon, dass er sie einmal ordentlich bumsen würde. Aber das kann ihr Slava nicht sagen.
Na, hör zu, sagt Maria und stippt die Zigarette ab. Meine Schicht war fast um, als sie zwei Ausländer im Krankenhaus eingeliefert haben, einen Mann und eine Frau. Der Mann war entstellt, bei der Frau war ein Kind unterwegs. Wenn ich sage unterwegs, streicht sich die Frau eine Braue glatt, dann meine ich unterwegs. Verstehst du? Das Wasser war schon längst gebrochen, das Kind war halb heraußen, ich weiß nicht, wo sich die Unglückliche herumgetrieben hat. Aber so, wie der Mann beieinander war, würd ich sagen, dass ihnen was dazwischen gekommen ist. Wahrscheinlich ist da was gelaufen. Du weißt ja, wie es mit den Ausländern ist, du weißt, wie es mit den Rumänen ist, oder?! Wir fürchten uns ja langsam alle vor ihnen, weil es mit ihnen nur Scheiße gibt. Kommen zu uns, ihre Sitten und Gebräuche aber lassen sie nicht vor der Tür. Und wir, die wir sie großzügig aufgenommen haben, müssen noch den Abschaum akzeptieren, den sie mitschleppen! Wir müssen akzeptieren, dass unsere Gassen, Straßen und Höfe wegen der Ausländer auf einmal unsicher sind und dass unsere Kinder nicht mehr unbesorgt draußen spielen können, wie wir es getan haben. Zum Verrücktwerden!
Aber hör zu. Maria dämpft die Zigarette aus und zündet sich gleich eine neue an. Das Kind ist nicht richtig gelegen. Es ist verkehrt rum rausgekommen. Wenn die Frau rechtzeitig gekommen wäre, dann hätte sich noch was machen lassen. Verstehst du? Ist ja nicht so arg, hin und wieder passiert es, dass ein Kind mit dem Steiß voran rauskommt. Das lässt sich alles machen, man kann es drehen, man kann einen Kaiserschnitt machen. Aber ich weiß nicht, wo die arme Frau war. Als sie sie gebracht haben, hat schon das halbe Kind rausgeschaut! Was haben wir tun können?! Nichts, meine liebe Slava, gar nichts! Wenn die Frau rechtzeitig gekommen wäre, kein Problem, so aber haben wir kaum sie durchgebracht. Das Kind ist krepiert. Das Kind war verloren, bevor sie gekommen ist.
Aber hör zu, sagt Maria und bläst dicken Rauch aus der Nase, es gibt genug arme Schweine auf der Welt. Vielleicht ist es besser so. Gott möge mir vergeben, aber vielleicht ist es sogar besser so. Hungerleider gibt es, so viele du willst. Man muss sie nicht suchen, weil es jeden Tag mehr sind. In letzter Zeit muss man vor die Füße schauen, damit man nicht über einen stolpert oder auf ihn drauftritt! Sag, was für ein Leben hätte die Unglückliche ihrem Kind bieten können? Wäre es immer frisch gewickelt gewesen oder hätte es die ganze Zeit eine entzündete Haut gehabt? Hätte sie es regelmäßig zur Untersuchung gebracht und dafür gesorgt, dass es gegen die gefährlichen Krankheiten geimpft wird? Hätte es Spielzeug gehabt oder hätte es mit den Sachen gespielt, die andere weggeworfen haben? Hätte sie es hin und wieder auf den Spielplatz oder in den Tiergarten gebracht? Was für ein Mensch wäre aus ihm geworden? Hätte sie dafür gesorgt, dass es fleißig zur Schule geht und die Hausaufgaben macht, oder hätte sie sich wegen der Schule nicht den Kopf zerbrochen und zugesehen, wie das Kind den ganzen Unterricht von der Volksschule an hauptsächlich schwänzt und seine Zeit auf der Straße mit den größeren Halunken verbringt, mit denen es rauft und stiehlt? Wahrscheinlich, meine liebe Slava, wahrscheinlich, ja. Du siehst sie ja! Sie haben keine Möglichkeiten und keine Zukunft, aber sie machen Kinder, als wären sie Millionäre, die ihnen einen goldenen Löffel in die Hand drücken können! Nein, schüttelt die Frau den Kopf, das verstehe ich nicht. Dann verstummt sie, dämpft die Zigarette aus und zündet eine neue an. Das ist die letzte, sagt sie.
Na, hör zu, setzt sie ein paar Augenblicke später die Erzählung fort. Während wir auf der Entbindungsstation die Frau gerettet haben, haben sie im OP ihren Mann zu retten versucht. Wie viel Mühe, bis er schließlich außer Lebensgefahr war! Sein Zustand ist noch immer kritisch, aber meiner Meinung nach wird er es schaffen. Solche wie er kommen immer davon. Wie die Tiere. Unsere haben normalerweise nicht so viel Schwein. Die Leute mit Berufen, Familien und Verantwortungen kommen meistens nicht davon. Die Wilden aber schon. Die Frau zuckt die Achseln. Ich weiß nicht, was der liebe Gott denkt. Ich verstehe ihn nicht. Jeden Sonntag bin ich in der Messe, Gott aber verstehe ich immer schlechter. Manchmal kommt es mir vor, als wäre er zu ihrem Gott geworden. Als wäre er nicht mehr unserer, sondern ihrer. Ja, meine liebe Slava, wenn ich sehe, was vor sich geht, habe ich das Gefühl, dass er uns verlassen hat.
Bevor Maria weiterredet, ist vom Hof der Klang eines Automotors zu hören. Das ist Gianfranco, nimmt die mollige Frau noch einen Zug. Ich gehe, damit er nicht wartet, sagt sie, dämpft die Zigarette aus, berührt Slavas Wange mit der ihren, als küssten sie sich, und läuft durch die offene Tür in den Salon. Slava geht ihr nicht nach. Sie steht auf dem Balkon und wartet, bis Maria weg ist. Sie wartet, bis Gianfranco ihren Hof verlassen hat.
Angelo bumst nur die besten Weiber. Aber er hat’s leicht, weil er in der Großstadt lebt. Er verdient gut und hat keine Verpflichtungen. Würde er einer ein Kind machen, wär’s anders, aber Angelo ist vernünftig und bumst keine Zuwanderinnen, Italienerinnen, Spanierinnen, Slowakinnen, die schnell heiraten wollen. Angelo bumst Frauen aus der Stadt, und mit ihnen ist es anders. Sie wollen was vom Leben haben. Sie halten es nicht für das Wichtigste, sich schnell einen Mann zu angeln und am laufenden Band zu gebären. Zuerst wollen sie genießen.
Angelo ist unter einem glücklichen Stern geboren. Seine Eltern sind noch vor seiner Geburt nach Österreich gezogen. Klar, er ist Italiener, aber je weiter du nach Norden kommst, umso mehr stehen die Frauen auf die dunklen Typen aus dem Süden, weil sie uns irgendwie exotisch finden und für ein wenig gefährlich halten. Botticelli seufzt, während er sich auf dem Monitor das Foto einer Frau ansieht, das ihm am Vortag sein Cousin geschickt hat. Er hat ihm geschrieben, dass er auf der Motorhaube das Bild dieser Frau haben möchte. Auf welcher Motorhaube, verdammt noch mal?! Vorigen Sommer, als er da war, hat er zwar gesagt, dass er einmal so ein Auto haben wird, wie er sie in seiner Werkstatt und auf den Fotos im Album gesehen hat. Er hat gesagt, dass er ihn dann bitten wird, ihm das Auto zu bemalen, denn er will etwas Besonderes haben und für ihn besteht kein Zweifel, dass er der Beste ist. Jetzt schreibt er, dass er ihm einen anständigen Wagen besorgen soll, und hängt das Foto einer Frau an, die er auf der Motorhaube haben will.
Angelo ist noch ein Kind, seufzt Botticelli. Ohne den Schnurrbart würde man meinen, er sei vierzehn, aber trotzdem bumst er nur die besten Weiber. Ich weiß nicht, wie er das schafft. Aufs Wort würde er ihm nicht glauben, aber Angelo hat dem Cousin in letzter Zeit schon einige Fotos geschickt. Fotos lügen nicht, und die Frauen würden sich mit ihm ganz sicher nicht einfach so ablichten lassen, aus Barmherzigkeit, schon gar nicht mit verschmierter Schminke, zerraufter Frisur, dürftig oder fast gar nicht bekleidet. An den Fotos sieht man, dass er den Frauen nahesteht und dass sie ihm vertrauen, oder aber, dass er ihnen völlig egal ist. Aber so was geht in der Großstadt, bei uns läuft der Hase anders. Wenn Angelo hier lebte, ließe ihn vielleicht irgendeine verpickelte Mittelschülerin ran, vielleicht irgendeine ältere Frau mit zu großem Hintern und verwelkten Brüsten, aber er würde nie so ein Weib kriegen wie das auf dem Foto. Denn so was gibt es hier gar nicht.
Angelo hält mich für einen tollen Typen, weil ich aus jeder Kiste ein solides Fahrzeug machen kann, und er findet mich noch toller, weil ich jede Karosserie so anmalen kann, dass sie direkt in eine Galerie gehört. Glaubt er, ich fahre tagelang in der Gegend herum, und die Frauen, denen ich begegne, machen gleich die Beine breit, weil jede hofft, dass ich sie eines Tages auf eines der Autos malen und so ihre Schönheit vor dem Alter bewahren und der Ewigkeit vermachen werde? Angelo ist überzeugt, dass mein Leben aufregend ist und dass er mir mit seinen Frauen nicht bis zu den Knien reicht. Er ist überzeugt, dass ich ein großer Künstler bin. In Wirklichkeit bin ich nur ein Mechaniker, presst Botticelli die Lippen zusammen, dass sie hell werden, nur ein Mechaniker, der träumt. Die Bilder auf den Autos haben nichts mit meinem wirklichen Leben zu tun. Meine Frau wird von Tag zu Tag dicker, von Tag zu Tag wird sie unleidlicher und gleicht mehr ihrer Mutter. Ich habe keine Geliebte, und ich kenne auch sonst nicht so viele Frauen, weil ich nicht ausgehe, und in die Werkstatt kommen keine Frauen. Aber wenn Angelo meint, dass ich Frauen habe, so viele ich will, und dass die Leute meine Arbeit bewundern, soll es dabei bleiben.
Angelo wird ein prächtiges Auto haben, denkt sich Botticelli und nickt. Mit ihm wird er sich noch mehr Frauen angeln.
Am Himmel ist kein Wölkchen, und die Luft ist so weich, wie sie es nur am Meer ist. Sie riecht nach Frühsommer, obwohl erst Mitte Mai ist, wo die Sonnentage freilich heiß sind, die Nächte aber kühl bleiben. Luminiţa steht am Fenster und schaut hinaus. Sie schaut den Möwen zu, die auf grauweißen Schwingen segeln. Hin und wieder sticht eine nieder, ins Meer, wo sie einen Fisch packt. Manchmal haben die Fische auch Glück, und die Möwe fliegt mit leerem Schnabel wieder nach oben, zwischen die Vögel, die geduldig Kreise ziehen und auf die nächste Gelegenheit warten. Luminiţa schaut ihnen zu, bis sie am Ende das Gefühl hat, auch selbst ein Vogel hoch oben am Himmel zu sein. Sie spreizt die Arme ein wenig vom Körper ab und bewegt sie kaum merklich, als wären sie Schwingen, die sie in der Luft halten.
Luminiţa würde noch eine ganze Weile am Fenster stehen, wenn nicht am Gang die Frau in dem weißen Mantel erschiene. Als sie bei ihr ist, bleibt sie stehen und schaut mit ihr ein paar Augenblicke hinaus, bevor sie sagt: Es ist alles geregelt. Sie können gehen. Luminiţa schaut sie an. Doktor Sandra Morini hat vom ersten Tag an für sie gesorgt. Sie hat nicht versucht, sie zu trösten, als sie geschluchzt und geweint hat, sie hat nicht versucht, sich ihr zu nähern, sie hat aber genau die Befunde studiert und miteinander verglichen, Arzneidosen festgelegt und den Schwestern auf die Finger gesehen, als wäre Luminiţa eine Patientin, der die beste Pflege zuteil werden muss.
Die Ärztin denkt sich, dass Luminiţa sie nicht verstanden hat, darum sagt sie etwas langsamer und deutlicher: Es ist alles in Ordnung. Sie können gehen. Ich kann gehen, spricht Luminiţa ihr nach, weil sie nicht will, dass die Ärztin meint, sie verstehe nicht. Seit sie mit Dumitru in Italien ist, bemüht sie sich, die Leute, mit denen sie zu tun haben, nicht merken zu lassen, dass sie Ausländer sind. Einerseits ist es schwer, weil Ausländer immer anders sind, andererseits aber sind auch die Leute aus dem Süden Italiens so anders, dass sie als zwei davon durchgehen können. Luminiţa ist praktisch. Zu Dumitru hat sie gesagt, dass es so leichter sein würde. Wenn sie wissen, dass du ein Ausländer bist, sind die Leute reserviert und misstrauisch, und du kriegst kaum eine Chance. Wenn sie denken, dass du einer von ihnen bist, ist es in jeder Hinsicht leichter. Wir müssen praktisch sein.
Ein halbes Jahr, bevor sie nach Italien gegangen sind, hat sie begonnen, die neue Sprache zu lernen, und sie hat sie auch gelernt, weil sie für Sprachen begabt ist. In der Schule hatte sie gerade bei Fremdsprachen die besten Noten. Sie hätte Sprachen studieren können, aber sie entschied sich für Musikwissenschaft. Papa und Mama sagten zu ihr, dass sie schwer eine Arbeit kriegen werde, aber Arbeit kriegt man in jedem Fall schwer; Arbeit kriegst du, wenn du jemanden kennst oder dich sonst wie zurechtfindest. Luminiţa und Dumitru kannten niemanden und fanden sich auch sonst nicht zurecht, darum beschlossen sie, ins Ausland zu gehen. Dort gibt es mehr Möglichkeiten. Man muss aber die Sprache und die Gewohnheiten lernen, sonst ist man nicht besser dran als die Legionen ungebildeter armer Schlucker, die nach Norden und Westen strömen und glauben, dass sie dort nur deshalb ein schöneres Leben erwartet, weil sie bereit sind, jede Arbeit zu machen und von Morgen bis Abend, und wenn es sein muss auch in der Nacht, zu schuften, ohne freie Sonn- und Feiertage; weil sie bereit sind, in giftigen Staubwolken ohne Atemmasken und Schutzkleider zu arbeiten. In Wahrheit verstehen sie von den Dingen und der Sprache nicht einmal genug, um nach dem Schlüssel zur goldenen Tür zu greifen, wenn er ihnen angeboten würde. Kein Wunder, wenn sie verschlossen bleibt, sagte Luminiţa, als sie die Lehrbücher der italienischen Sprache mit nach Hause brachte. Bald begann sie auch italienische Filme und Zeitschriften heimzubringen. Sie war überzeugt, dass es so leichter und schneller geht. Dumitru wehrte sich anfangs gegen das Lernen, doch Luminiţa fand eine Art, ihn zu überzeugen. Wenn er am Abend Liebe mit ihr machen wollte, musste er tagsüber Italienisch reden. Anders war es, wenn sie sich am Morgen liebten.
Die Ärztin packt mit der einen Hand den kleinen Koffer, der zu Luminiţas Füßen steht, mit der anderen nimmt sie behutsam die junge Frau am Arm, bereit, sofort loszulassen, wenn sie spüren sollte, dass die Berührung sie stört. Langsam gehen sie Richtung Ausgang. Während sie sich der Tür nähern, überlegt sie, was aus der jungen Frau jetzt wird. Wohin wird sie gehen und wie? Wahrscheinlich hat sie hier niemanden. Am wahrscheinlichsten hat sie schwarz bei irgendeiner Familie in Mailand oder Rom gearbeitet, wenn überhaupt. Hier in Triest nicht. Hier geht es schon länger schlecht. Die meisten Dienstmädchen und Helferinnen haben die Arbeit verloren, weil kein Geld da ist. Aber auch wenn sie bei einer Familie gearbeitet hat, kann sie dort höchstwahrscheinlich nicht anrufen. Dann ist da noch ihr Mann, wischt die Ärztin die Haare zur Seite, die ihr in die Augen gefallen sind. Wahrscheinlich möchte sie bei ihm sein, obwohl es nicht gut aussieht und keiner prognostizieren kann, ob es besser wird und wann. Vorläufig sieht es schlecht aus. Und schließlich ist da noch alles, was an dem Tag passiert ist, an dem man sie eingeliefert hat, obwohl keiner weiß, was genau passiert ist. Das weiß die Rumänin, die darüber nicht reden will, und das weiß ihr Mann, den Maschinen am Leben erhalten.
Ich könnte ihr sagen, dass sie auf mich warten soll, denkt Sandra Morini. Bis zum Ende der Schicht sind es keine zwei Stunden. Sie kann im Warteraum auf mich warten, oder auf einer Bank vor dem Krankenhaus. Dann gehen wir zu mir, wo sie sich satt essen wird, ich gebe ihr ein Kleid von meiner Tochter, etwas Geld, von mir aus kann sie ein paar Tage bleiben, wenn sie nicht weiß, wohin. Die Worte liegen ihr auf der Zunge, aber sie spricht sie nicht aus, als wären sie mit Haken an dem Muskel befestigt, für den Fall, dass sie das Urteilsvermögen verliert. Würde sie versuchen, die Worte mit Gewalt aus dem Mund herauszureißen, dann würde die Zunge bluten.
Die Frauen kommen zur Tür und bleiben stehen. Luminiţa schaut die Ärztin an, bedankt sich noch einmal für alles, was sie für sie getan hat, und nimmt den Koffer, den ihr diese reicht. Dann tritt sie hinaus und entfernt sich mit raschen Schritten, als würde sie auf der Straße erwartet oder als wüsste sie, wohin sie muss. Sandra Morini denkt im ersten Moment daran, hinauszugehen, ihr nachzurufen und ihr zu sagen, dass sie warten soll. Jetzt ist noch Zeit. Wenn sie die junge Frau nicht hört, kann sie ihr nachlaufen, sie ist noch nicht weit. Aber schließlich dreht sie sich um und geht durch den Korridor zur Stiege und zu den Liften. Sie sagt sich, dass es besser ist, möglichst rasch zu vergessen. Ich kann mich nicht in fremde Leben einmischen. Ich kann nicht allen helfen. Ich kann die Welt nicht ändern. Für die Menschen kann ich am meisten als Ärztin tun. Sie beschleunigt ihre Schritte.
Botticelli liegt unter dem gelben Ford. Er verbringt schon seit Tagen alle Zeit, die ihm bleibt, unter dem Wagen. Wenn seine Frau ihm zuhören wollte, würde er ihr erzählen, dass er eine Vision gehabt habe und dass das Gefühl, das ihn in jener Nacht im Traum erfasste, noch nicht abgeebbt sei, dass es auch nicht danach aussehe, als würde es das, bevor sich erfüllt hat, was ihm beschieden ist. Und beschieden ist ihm keine Lappalie!
Dem Mechaniker war im Traum der gelbe Ford Capri Mk I erschienen, doch das Auto stand nicht im staubigen Hof oder in der Werkstatt, sondern auf einer weißen Wolke, oben, über der Werkstatt und dem Haus, vielleicht sogar hoch über der Stadt. Schwer zu schätzen, wie hoch die Wolke mit dem Auto schwebte, denn Botticelli hatte im Traum nicht die Augen und den Verstand eines Menschen, er war eher ein Geist, der für kurze Zeit den Körper verließ. Und übrigens ist das nicht so wichtig, wie hoch die Wolke mit dem Auto schwebte. Wichtiger ist, dass das Auto, das auf der weißen Wolke stand, nicht verbeult und rostig war wie in Wirklichkeit, sondern dass es glänzte, wie an jenem Tag vor Jahrzehnten, als es vom Fließband kam, nur dass das Auto im Traum unmöglich aus einer normalen Ford-Fabrik stammte, vielmehr aus einer recht speziellen, die im hinteren Teil ein Atelier hat, in dem der große Meister die Autos mit für menschliche Augen fast zu schönen Bildern bemalt.
Botticelli musste im Traum vor lauter Schönheit zuerst schluchzen und dann weinen. Es drückte ihn in der Brust, der Bauch tat ihm weh und es zwickte in seinen Eingeweiden. Als er mitten in der Nacht aufwachte, war sein Kissen tränennass, und sein erschöpfter Körper troff vor Schweiß. Er stand vorsichtig auf und ging aufs Klo. Er setzte sich auf die Muschel und schloss die Augen. Er saß noch lange, nachdem er zu pissen aufgehört hatte. Die Luft, die durch das kleine angelehnte Fenster zog, trocknete zuerst die Tränen auf den haarigen Wangen und anschließend das nassgeschwitzte T-Shirt. Dann ging er wieder ins Schlafzimmer. Er legte sich nieder, schloss die Augen und hoffte, dass der Traum weitergehen würde, doch bis zum Morgen schlief er tief und traumlos. Trotzdem fühlte er beim Aufwachen im ersten Frühlicht, dass alles anders war als am Abend, als er sich hingelegt hatte, vor allem er selbst war anders. Er hatte zum Frühstücken keine Zeit, sondern eilte sofort in den Hof und schob den gelben Ford in die Werkstatt.