Unternehmerblut - Bernd Remmers - E-Book + Hörbuch

Unternehmerblut E-Book und Hörbuch

Bernd Remmers

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Beschreibung

Unternehmerblut ist besonders Blut. Es treibt Menschen an, die in unternehmerischem Sinn unternehmen, was andere unterlassen. Es sind Menschen mit Eigenschaften von Neugierde bis Leadership. Zehn dieser Eigenschaften beschreiben wir hier: Leichtfüssig und feuilletonistisch. Und mit 15 Unternehmerinnen und Unternehmern reden wir über das, was Unternehmerblut ausmacht: Regula Bührer Fecker, Silvio Denz, Alfred Gantner, tom hanan, Carole Hübscher, Georges Kern, Christine Leister, Roland Mack, Dieter Meier, Peter Spuhler, Daniela Steiner, Thomas Straumann, Thomas Sterchi, Monika Walser, Hans-Peter Wild. Von den besten Schweizer Unternehmerinnen und Unternehmern lernen, unternehmerisch zu denken und zu handeln.

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Seitenzahl: 250

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Zeit:6 Std. 0 min

Sprecher:Hagen Winterfels
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Bernd Remmers

Unter­nehmer­blut

Sauer­stoff für Erfolg

NZZ Libro

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2019 NZZ Libro, Schwabe Verlagsgruppe AG

Der Text des E-Books folgt der gedruckten 1. Auflage 2019 (ISBN 978-3-03810-364-6)

Umschlaggestaltung: James Communication AG, Zug

Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.

ISBN E-Book 978-3-03810-458-2

www.nzz-libro.ch

NZZ Libro ist ein Imprint der Schwabe Verlagsgruppe AG.

Inhalt

PrologÜber Unternehmerblut

1. NeugierdeDas staunende Kind im Unternehmer

Thomas Sterchi, Internetpionier und Multiunternehmer

2. EinfachheitDas Komplizierte muss ins Einfache

Carole Hübscher, Schreibwaren-Produzentin

Georges Kern, Uhrenfabrikant

3. GewinnermentalitätDen Sieger erkennst du am Start

Hans-Peter Wild, globaler Erfolgsunternehmer

Regula Bührer Fecker, digitale Werbeunternehmerin

4. KreativitätIch bin auch ein Kreativer

Dieter Meier, Multikreativer

5. IntuitionNur graue Mäuse verleugnen ihr Bauchgefühl

Silvio Denz, Unternehmer, Sammler, Geniesser

6. LeadershipOhne sie ist alles nichts

Christiane Leister, Maschinenbau-Unternehmerin

Tom Hanan, Unternehmer in der Digital Economy

7. OptimismusMein Glas ist immer halb voll

Monika Walser, Möbelfabrikantin

Roland Mack, Freizeitpark-Betreiber

8. MutWer nicht springt, kommt nicht weit

Daniela Steiner, Unternehmerin in der Digital Economy

Peter Spuhler, Hersteller von Schienenfahrzeugen

9. DurchhaltewillenMarathon Man ist mehr als ein Film

Thomas Straumann, Medtech-Unternehmer

10. MomentumEin guter Schuss trifft ins Schwarze

Alfred Gantner, Private Equity-Unternehmer

EpilogUnternehmerblut im Blut

AnhangReflexionsfragen

Kurzbiografien der Interviewpartner

Literatur

Der Autor

PrologÜber Unternehmerblut

Unternehmerblut. Archaisch das Wort. Archaisch der Stoff. Als Titel für dieses Buch: anschaulich. Denn hier geht es um das, was den Unternehmer ausmacht. Um die Eigenschaften, die diesen Menschen antreiben, der im unternehmerischen Sinn eben unternimmt, was andere unterlassen.

Am Anfang war nur dieses eine Wort. In die Runde geworfen von meinen erwachsenen Kindern Nina und Felix bei einer Diskussion über Unternehmertum beim Italiener in Zug. Dieses einprägsame Wort war dann nicht mehr zu verdrängen. Hatte sich festgekrallt in meinem Hirn – wohl auch, weil ich selber ein Berufsleben lang Unternehmer bin. Ich und meine Firma befähigen Unternehmer, Unternehmen und Mitarbeitende zu mehr Unternehmertum. Immer mit dem Ziel: Wie mache ich aus meinen Kunden in Gross- und Kleinfirmen bessere, erfolgreichere Unternehmer?

«Blut ist ein ganz besonderer Saft», heisst es in Goethes Faust. Es transportiert Sauer- und Nährstoff, wehrt Fremdkörper und schädliche Eindringlinge ab und fungiert im Organismus als Wärmeregulierung. Es besteht aus speziellen Zellen und proteinreichem Blutplasma, verbindet Herz mit Hirn, Hand und Fuss, ist Transportsystem und Verknüpfungselement in einem. Unternehmerblut ist besonderes Blut: Sinnbildlich verknüpft es das, was ein erfolgreiches Unternehmen ist. Den Kopf des Unternehmers mit dem Herzen, wo Leidenschaft und Firmenkultur zu Hause sind. Das Herz mit den Füssen, dem Fundament, mit den Händen, wo gearbeitet wird.

Unternehmerblut verfügt neben evolutionär-biologischen Ingredienzien noch über ganz andere Eigenschaften. Ich habe diese in den 40 Jahren meines eigenen Unternehmertums und im Kontakt mit zahlreichen Unternehmern Schritt für Schritt entdeckt. Es sind Eigenschaften, die aus Blut erst Unternehmerblut machen. Zehn davon, gewissermassen die Top Ten aus dem tiefen Topf meiner Berufserfahrungen präsentiere ich in diesem Buch. Unternehmerblut besteht aus Neugierde, weil ein erfolgreicher Unternehmer ein Berufsleben lang wissbegierig bleibt wie ein kleines Kind. Oder aus einer Gewinnermentalität, die den Unternehmer, einem Spitzensportler gleich, zu permanenten Höchstleistungen antreibt. Und auch aus Leadership, einer Eigenschaft, ohne die im Unternehmen ohnehin nichts geht.

Am Schluss sind Unternehmer aber auch Menschen aus Fleisch und Blut. Vorbilder für andere. Für solche, die auch Unternehmer werden wollen. Menschen mit Eigenschaften also – mit diesen besonderen Eigenschaften, die das Unternehmerblut ausmachen. Wir haben über ein Dutzend, Frauen und Männer, zu diesen Eigenschaften befragt. Denn nichts hilft mehr, als von den Besten zu lernen. Unternehmerisches Denken benötigen Firmen im heutigen komplexen und kompetitiven Umfeld schliesslich auf allen Stufen. An der Spitze. In den Teams. Beim einzelnen Mitarbeitenden – überall macht Unternehmerblut den Unterschied aus. Dafür will dieses Buch das Bewusstsein schärfen. Nicht als Fibel mit guten Ratschlägen. Sondern als unterhaltsames Lesebuch, das die Eigenschaften von erfolgreichen Unternehmern, von Neugierde bis Momentum, unter historischen, psychologischen oder auch soziologischen Aspekten in feuilletonistischem Stil beschreibt und mit einprägsamen Beispielen veranschaulicht. Jede Unternehmerblut-Eigenschaft wird zudem noch durch ein Interview mit einer beispielhaften Unternehmerpersönlichkeit gespiegelt.

Zug/Cape Town, August 2019

Bernd Remmers

1. NeugierdeDas staunende Kind im Unternehmer

Vom Ersten wissen wir nicht viel, weil er der Menschheit keine direkten Niederschriften hinterlassen hat. Wir kennen aber immerhin seinen berühmten Satz: «Ich weiss, dass ich nicht weiss.» Der Zweite hat sich in knapp 100 Lebensjahren und drei Dutzend meist dicken Büchern seine Neugier von der Seele geschrieben und im Grunde immer nur die Antwort auf die eine Frage gesucht: Was macht erfolgreiches Unternehmertum aus? Was macht die Neu-Gier des Unternehmers aus? Der Dritte hat eine moribunde, einst stolze Industrie vor dem Tod gerettet und im Herbst seiner Karriere sein unternehmerisches Credo formuliert: Wer wirklich erfolgreich sein wolle, müsse sich die Neugier eines Sechsjährigen bewahren.

Ein Philosoph, ein Ökonom und ein Unternehmer. Ihre Lebensdaten sind verteilt über 2000 Jahre Menschheitsgeschichte: Sokrates, der griechische Philosoph. Peter Drucker, der noch in der k.u.k. Monarchie geborene Begründer der modernen Managementlehre, die Unternehmer-Ikone Nicolas G. Hayek, der der Schweizer Uhrenindustrie neues Leben eingehaucht hat. Würden wir das Trio heute auf ein Glas Wein zusammenführen, würde es sich vermutlich blendend verstehen.

Bei Sokrates ist die Koketterie mit seinem Nicht-Wissen im Grunde nichts weiter als das Bedauern über grenzenlos unbefriedigte Neugier. Zeitlebens ist er getrieben von unbändiger Neugierde, will den Dingen unter der Erde und am Himmel mit «extensivem Forscherdrang» nachgehen, urteilt der österreichische Philosoph Markus Riedenauer. Etwas derart Überflüssiges zu tun, sich in Fremdes einzumischen, bedeutet Frevel in sokratischer Zeit. Der Philosoph wird denn auch der Unzucht mit der Neugierde angeklagt und stirbt durch den Schierlingsbecher.

Für Peter Drucker ist seine Neugier gottlob nicht mehr lebensgefährlich: Die Aufklärung hat säkularisierend gewirkt, die Götter sind besänftigt. Masslos ist der Mensch aber auch im Industriezeitalter geblieben: Die Gier nach immer Neuem hält das Rad des Wettbewerbs in Bewegung und treibt die Unternehmen ohne Pause vor sich her. Nicolas G. Hayek wiederum, der gegen den Ansturm der Asiaten eine simple Plastikuhr auf den Markt wirft, führt die menschliche Neugier wieder auf evolutionären Kern zurück: «Wer Neues sehen will, muss staunen können wie ein Kleinkind», meint er einmal.

Was das Jahrtausende später für Folgen haben kann, hat der deutsch-englische Neugier-Forscher Carl Naughton in eine Kürzest-Formel gegossen: «Ohne Neugierde kein Ketchup» – die in ihrer Urform 1869 geborene Kraft Heinz Company ist heute Weltmarktführer der roten Sauce. Die Gründerzeit ist prallvoll von solchen Neugier-Success-Storys. Ohne Neugier keine Lindt-Schokolade, keine Maggi-Würfel, keinen Gerber-Käse. Und heute keine Swatch, keinen Apple-Computer. Immer stehen energetische Persönlichkeiten am Anfang eines Unternehmens, die gesegnet sind mit einer Konstante: der Neugier. Und dem Drang, Unverwechselbares in die Welt zu pflanzen, auch wenn der Weg dahin mitunter mit Hindernissen gepflastert ist. Antoine Le Coultre etwa, Mitgründer der nach seinem Namen benannten Uhrenmanufaktur Le Coultre & Cie. Vier Mal muss er einen unternehmerischen Neuanfang bewerkstelligen. Für die perfekte Uhr aber sind ihm zeitlose Erfindungen gelungen. Und er stirbt wie wohl jeder Erfinder zu sterben wünscht. Antoine Le Coultre hatte gerade in wochenlanger Fronarbeit mit über 77 Jahren eine Spezialmaschine zum Fräsen von Zahnrädern für Uhrwerke entwickelt – nicht seine erste dieser Art, aber kein anderes Gerät auf der Welt schafft es, ähnlich präzise, auch kleinste Zahnräder herzustellen. «Die Anstrengung war zu viel für sein Alter», schreibt seine Gattin, «er erlitt einen Schlaganfall. Am 26. April 1881 wurde mir mein geliebter Gatte im Alter von 78 Jahren und zehn Tagen genommen.»

Seine Neugierde macht Antoine Le Coultre zu einem Tüftler und sein berufliches Leben zu einer Berg- und Talfahrt. Mit elf Jahren fertigt er in der väterlichen Schmiede im waadtländischen Le Sentier kleine Klingen und Taschenmesser; mit 13 Jahren klingende Kämme für Musikdosen. Mit etwas über 20 entwickelt er eine neue Methode zum Härten von Stahl und konstruiert Bohrer und Fräsen, die präziser arbeiten als alle anderen Werkzeuge.

Nach einer Schnupperlehre reift bei Antoine Le Coultre die Erkenntnis, dass die Qualität einer Uhr von der Präzision der Zahnräder im Uhrwerk abhängt – und er erfindet zum ersten Mal eine Maschine, die Zahnräder in hoher Qualität und grossen Stückzahlen mit zuverlässig gleichmässigen Zähnen schneidet – ein Quantensprung für die Uhrmacher, die diese Komponente noch von Hand herzustellen pflegen. «Antoine Le Coultres Zahnräder waren von einer Vollkommenheit, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte», urteilt der Schweizer Schriftsteller Alex Capus in seinem Buch Patriarchen – Zehn Portraits, «die Fachwelt war begeistert.»

Le Coultres Neugierde alimentiert jedoch einen viel unbescheideneren Traum. Die Unruh, die Hemmung und das Gehäuse – alles will er selber anfertigen, zusammenbauen und zu guter Letzt seinen Namen vorne auf dem Zifferblatt sehen. Später entwickelt er den Millionometer: Erstmals ist es möglich, einen Tausendstelmillimeter zu messen – für die Uhrmacherei ein noch nie gekannter Qualitätsstandard. Andere kommen bei diesem von Neugierde getriebenen Tempo nicht mehr mit. Von seinem Vater trennt er sich geschäftlich im Streit, später ebenso vom Bruder, schliesslich vom Schwiegersohn. Immer folgt ein Absturz ins Nichts. Immer droht die Pleite.

Wir wissen nicht, wie oft Antoine Le Coultre von der Angst gepackt wurde, es nicht zu schaffen. Zu scheitern beim Versuch, seine Neugier in ein unternehmerisch nachhaltig erfolgreiches Produkt zu übersetzen. Anzunehmen ist, dass ihm ein ganzes Berufsleben lang diese Angst im Nacken gesessen hatte. Nach jedem geschäftlichen Rückfall hat ihn aber seine Neugierde immer wieder aufstehen lassen und bis an sein Lebensende vorangetrieben. So hat er auch sein höchstes Ziel erreicht: Le Coultre steht heute noch auf Zifferblättern von zeitlosen Zeitmessern.

Diese ungezügelte Neugierde, die Antoine Le Coultre bei seinem Tun an den Tag legt, hat der Argentinier Alberto Manguel schriftstellerisch umrissen: «Das sichtbarste Zeichen unserer Neugierde – das Fragezeichen, das in den meisten westlichen Sprachen als ein in sich selbst verfangener Schnörkel am Ende eines Interrogativsatzes sich gegen den Hochmut des Dogmatismus emporreckt»: eine wunderbar ziselierte Wortfolge, mit integrierter Kurzdefinition dessen, was uns hier umtreibt. Formuliert von einem, der selber derart vom Bazillus der Neugierde befallen ist, dass er einen 500-Seiten-Wälzer über Eine Geschichte der Neugier zu Papier gebracht hat. Als ersten Satz in seinem Opus über die Neugierde schreibt der Kosmopolit Alberto Manguel: «Ich bin neugierig auf die Neugierde.»

Der Mann besitzt ja auch 30000 Bücher, besticht durch «ungeheure Belesenheit», urteilt Die Zeit, und sagt von sich: «Meine Erfahrung des Lesens ist meine Erfahrung der Welt.» Kein Unternehmer kann es sich leisten, dem Drang solch ungezügelter Neugierde nachzuhängen. Seine Neugierde kreist zwanghaft um sein Unternehmen wie die Erde um die Sonne. Im Licht steht nur, was erdanziehend wirkt für die Firma. Ausserhalb dieses Mikrokosmos herrscht die Finsternis von Desinteresse.

Das mag auch auf einen wie Antoine Le Coultre zutreffen. Und der grosse Pionier, gewissermassen der Prototyp des Unternehmensgründers, ist damit in bester Gesellschaft. Wer je das Vergnügen hatte, einem heutigen Start-up-Event beizuwohnen, konstatiert: Seit Le Coultre sind über anderthalb Jahrhunderte vergangen, und es sitzen keine betagt aussehenden Jungunternehmer im Vatermörder und Schlips mehr am Tisch, sondern «Young Entrepreneurs» in Turnschuhen. Eines freilich ist gleichgeblieben: Mit geradezu animalischer Urgewalt und einer auf ihre individuelle Geschäftsidee reduzierten, selektiven Neugierde versuchen auch heutige Jungunternehmer, ihre Firma mit aller Kraft in diese Welt zu pflanzen.

Was aber geschieht, wenn der von Neugier getriebene Gründer-Unternehmer abtritt? «Die erste Generation schafft das Vermögen, die zweite verwaltet es, und die dritte studiert Kunstgeschichte», notierte die Neue Zürcher Zeitung einmal. Was zumindest die These stützt: Bei den Generationen nach dem Gründer versiegt die Neugierde nicht zwingend. Aber sie verbreitert sich, entwickelt sich weg vom Unternehmen und landet im Extremfall bei der Kunstgeschichte. Oder beim Golf auf dem Green. Bei der Oldtimer-Sammlung. Möglicherweise ist das sogar menschlich. Nicht jedermann will die Fron vom Unternehmertum schultern, und nicht jedermann ist aus dafür geeignetem Holz geschnitzt. Das muss kein Beinbruch sein. Sofern auch nach dem Gründer die Neugier auf Neues seinen privilegierten Kraftort behält im Unternehmen.

Ist dies nicht der Fall, kann das dramatisch enden. Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Clayton M. Christensen beschreibt in seinem Bestseller The Innovator’s Dilemma den Fall Kodak – wohl der grösste Sündenfall einer Firma, bei der die Neugier, die Gier nach Neuem, in unteren Chargen zwar noch vorhanden, aber in der Teppichetage längst abgewürgt ist.

Die 1892 gegründete Eastman Kodak Company ist eine stolze amerikanische Firma. Mit allem, was mit Fotografie zu tun hat, verdient sie über viele Jahrzehnte gutes Geld: ob Kamera, Film, Dunkelkammergeräte, Chemikalien oder Fotopapier. Es existiert in dem Unternehmen auch eine geheime Dunkelkammer für die Entwicklung neuer Technologien. Hier, im Kodak-Labor in Rochester im US-Staat New York werkelt in den 1970er-Jahren ein junger Ingenieur namens Steven J. Sasson an der Kamera der Zukunft, die digital werden soll. Das Resultat ist ähnlich seltsam wie die ersten Apple-Computer. Das Objektiv ist einer Super-8-Filmkamera entwendet, der Datenspeicher ist eine Audiokassette und das Bild wird auf einen TV-Schirm projiziert: die erste Digitalkamera der Welt. Sie wird unter der Patentnummer US4131919A registriert.

Als der Erfinder jedoch mit seiner neuartigen Kamera in einem Kodak-Meeting Fotos schiesst und das Resultat seinen Chefs präsentiert, herrscht grosse Ratlosigkeit. Kein Mensch würde je ein Foto auf einem TV-Bildschirm sehen wollen, hallt es von oben herab. Steven J. Sassons Geistesblitz wird von den Chefs in einen Giftschrank weggesperrt – sie wollen ihr angestammtes Geschäft nicht durch so etwas nebulös Neues konkurrenzieren. «Im Jahre 2003 werden weltweit erstmals mehr Digital- als Filmkameras verkauft», konstatiert Clayton M. Christensen in seinem Bestseller, und Kodak versucht verzweifelt, noch auf diesen Zug aufzuspringen. Zu spät. Die Aktie fällt auf unter einen Dollar. 2012 stellt die Firma einen Insolvenzantrag. Kodak war in die disruptive Falle getappt, weil die Oberen die Neugier von unten getötet hatten. Ein Verrat der Manager am Unternehmertum, ein Kniefall gutbesoldeter Angestellten vor dem Erbe des Firmengründers.

Ganz anders Apple. Dort hockt praktisch um die gleiche Zeit ein ähnlich junger Typ, ein tüftelnder Unternehmer namens Steve Wozniak an einem Gerät, das den Namen Apple II erhalten wird. Ein Teufelswerk, der letzte von einem einzigen Menschen erfundene und in Serie hergestellte Computer im schicken Plastikgehäuse, mit Vier-Kilobytes-Speicher und TV-Monitor. Im April 1977 kommt der Apple II auf den Markt, nach zwei Jahren sind 35000 Stück verkauft, und nach zwei weiteren Jahren geht die Firma an die Börse – 4,6 Millionen Apple-Aktien zum Preis von 22 Dollar sind binnen Minuten verkauft. Heute ist Apple nach den Financial Times Global 500 das wertvollste Unternehmen der Welt.

Kodak und Apple: zwei Pioniere, zwei Branchen. Der eine ist gestorben, weil Managern nach einer gloriosen Geschichte die Gier nach Neuem abhandengekommen ist und sie dieses Schmiermittel der unternehmerischen Evolution aus jeder Ritze der Firma geschrubbt haben. Das Resultat ist eine sauber polierte Fassade, hinter der schon der Sensenmann lauert. Der andere, Apple, hat keine Geschichte zu verlieren. Mit geradezu darwinistischer Lebenskraft drängt das Start-up ans Licht, angetrieben von einer charismatischen Führerfigur namens Steve Jobs. In seiner autorisierten Biografie heisst es über den Gründungsakt von Apple II: «Der nächste Apple, so beschloss er, musste ein tolles Gehäuse und eine eingebaute Tastatur haben und mit allem ausgestattet sein, vom Netzteil über die Software bis zum Monitor. ‹Meine Vision war es, den ersten Computer zu entwickeln, der all dies vereinte›, erinnerte er sich. ‹Unsere Zielgruppe waren nicht mehr die Handvoll Hobbybastler, die gern ihre eigenen Computer zusammenbauten. Ihnen standen Tausende von potenziellen Käufern gegenüber, die ein fertiges Produkt haben wollten.›» Das Resultat ist keine Firma mit polierter Fassade. In diesen Gründerjahren weht bei Apple der Wind des Provisorischen. Alle Sensoren sind auf dieses eine, grosse, von Steve Jobs definierte Ziel gerichtet.

Steve Jobs, der geniale Unternehmensgründer ist seit 2011 tot. Jetzt, wo der Motor der Neugierde nicht mehr ist und angestellte Topmanager das Erbe verwalten: Kann aus Apple über kurz oder lang ein Fall Kodak werden? Opfer einer fast naturgegebenen schöpferischen Zerstörung, wie das der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter nennen würde? Niemand weiss das.

Die Angst, die versiegende Kraft der Neugier könnte den Tod des gesamten Organismus nach sich ziehen, ist gerade in disruptiven Zeiten allgegenwärtig in den Firmen. Bei Unternehmern jedoch, die mit ihrem Geld, mit Hirn, Herz und den eigenen zwei Händen ihren Betrieb aufbauen, ist die Angst vor dem Scheitern in jeder Stunde ihres Tuns ein ständiger Begleiter. «Die Dinge, vor denen ich ständig Angst habe, wechseln. Ich mache mir Sorgen, dass unausgereifte Produkte eingeführt werden und ein Misserfolg werden. Ich bin beunruhigt über Betriebsstätten, die keine gute Leistung haben, und darüber, zu viele Produktionsstätten zu betreiben. Ich bin besorgt, die richtigen Mitarbeiter einzustellen. Und ich mache mir Sorgen, dass die Arbeitsmoral nachlässt. Und natürlich bin ich über Wettbewerber beunruhigt. Ich mache mir Sorgen, dass andere lernen, das, was wir produzieren, besser oder preiswerter herzustellen, und uns bei unseren Kunden verdrängen.» Diese sorgenvollen Worte schreibt Intel-Mitbegründer Andrew S. Grove in seinem Management-Bestseller Nur die Paranoiden überleben. Er bringt damit einen tief sitzenden Wesenszug jedes Unternehmensgründers auf den Punkt, der gleichzeitig dessen grösste Antriebsfeder darstellt: die Angst-Paranoia, andere könnten besser werden als er selber. Die Angst auch, die Neugier könnte ihm plötzlich abhandenkommen – jenes Elixier also, das die stets präsente Angst in Schach hält.

Die Neugierde, heisst es neuerdings in hastig gedruckten Management-Büchern, müsse deshalb «operationalisiert werden». Es gilt, schleunigst Neugier-Management zu betreiben. Eine Neugier-Kultur zu implementieren, die neugierige Mitarbeiter fördern und anziehen soll. Und natürlich hat die noch junge Disziplin der Neugierwissenschaft auch bereits erforscht, dass der Neugier-Quotient einer Firma über Sein oder Nichtsein entscheidet – das ist die Summe des Neugierverhaltens aller Mitarbeiter. Und selbstverständlich lässt sich dieses Verhalten, der Einfluss menschlicher Neugier auf arbeitsrelevantes Verhalten in den Betrieben, inzwischen auch messen. So wie sich heute alles messen lässt.

Kann ein derart kanalisiertes, uniformes, wissenschaftlich durchleuchtetes und empirisch anwendbares Neugier-Management Medizin sein gegen versiegende Lebenskraft der Neugier in Unternehmen? Oder ist all das nur teures Placebo für Verunsicherte? Vor allem, wenn dem Unternehmensgründer nachfolgende Manager Medizin schlucken wollen zur Absicherung ihrer gut besoldeten Position? Der grosse Physiker Albert Einstein, der Materie, Zeit und Raum erforscht hat, hat die Antwort gegeben, die von Unternehmerblut zeugt: «Ich habe keine besonderen Talente», sagte er einst, «ich bin nur leidenschaftlich neugierig.»

«Seine Neugier war unersättlich und er hörte nie auf, Fragen zu stellen.»

Alan G. Lafley, Präsident Procter & Gamble, über Peter Drucker

«Das Internet zwingt uns, neugierig zu bleiben.»

Thomas Sterchi, Internetpionier und Multiunternehmer

In frühen Jahren kam er zufällig mit dem uferlosen World Wide Web in Berührung – diese Neugierde machte ihn zum erfolgreichen Unternehmer.

Sie sind ein Unternehmer im eigentlichen Sinn des Wortes. Sie unternehmen, indem sie laufend Neues anstossen. Was treibt Sie an? Neugierde, wie uns scheint?

Thomas Sterchi: Was mich antreibt? Habe ich mir noch nie überlegt. Neugierde ist schon ein sehr wichtiges Element. Ich stosse auf ein Thema. Beginne mich damit auseinanderzusetzen. Dann kommt der Punkt, an dem ich mich als Unternehmer wirklich hineinknien will. Als ich mich mit 23 selbstständig machte, war ich in dieser Hinsicht noch blauäugig, um nicht zu sagen naiv.

Wie kamen Sie von der Naivität zum Erfolg?

Wir begannen in den 1990er-Jahren mit einer gedruckten Zeitung für Jobangebote und endeten schliesslich als Internetunternehmer mit dem ersten digitalen Jobportal der Schweiz. Viele Unternehmergeschichten nehmen einen insofern ähnlichen Ausgangspunkt, als dieser mit dem späteren Geschäftserfolg kaum mehr etwas zu tun hat. Nehmen wir Netflix: Gestartet ist die Firma als Online-Videothek. Heute ist das Business TV-Serien im Internet. Weil die Filmstudios in Hollywood die Abgabe von Content verweigerten, hat Netflix aus der Not den Schritt in die Eigenproduktion gewagt. Etwas weniger spektakulär, aber ähnlich, ist es auch bei uns gelaufen.

Inwiefern?

Wie gesagt: Wir haben zunächst mit einer abonnierten Job-Zeitung begonnen. Das hat nicht richtig funktioniert. Wir betreuten dann Job-Rubriken für Drittkunden. Es kamen Fachmagazine zu Arbeitsmarkt und Human Relations hinzu sowie ein Jahrbuch Porträts Schweizer Personalberater. Mit dem beginnenden Internet stellten wir diese Publikation 1998 dann online. Im Endeffekt ist es die Neugierde, die auch uns geholfen hat, die richtige Spur zu finden.

Wohin führte diese Spur der Neugierde?

Wir haben uns immer überlegt, welche Zusatznutzen wir den Kunden bieten könnten. Relativ schnell war die Idee geboren, Personalberater direkt mit Homepages bei ihren Stellenausschreibungen zu unterstützen und das unter dem Dach von jobs.ch. Das war der entscheidende Schritt zum grossen Durchbruch.

Im Rückblick: Was war das Rezept?

Es war wohl ein stetes neugieriges Abtasten von Möglichkeiten. Von Interessen, die uns zwangen, uns immer auf Neues einzulassen und das Business dadurch immer weiterzutreiben. Neugierde hat ja mit Offensein zu tun. Mit Antennen, die ausgefahren sind. Immer geht es auch darum, Informationen zu verknüpfen. So entstehen neue Ideen – sozusagen als Fusionsprodukt von Gedanken und Inputs aller an einem solchen Entwicklungsprozess Beteiligten. Ein Unternehmer und eine Firma, die offen und neugierig bleiben, erkennen immer neue Chancen.

War es für Sie immer klar: Ich will Unternehmer werden?

Solange es für mich stimmig war, habe ich gerne für andere gearbeitet. Ich hatte jedoch immer viele Ideen im Kopf, denen ich nachhängte. Einmal wollte ich mich sogar als Briefträger bewerben, in der Meinung ich hätte dann mehr Zeit für meine Tagträumereien. Irgendwann sagte ich mir: meine beste Idee setze ich jetzt um. Ich verspürte eine sehr starke Lust zum Gestalten. Einen Partner, der im Gegensatz zu mir etwas Geld gespart hatte, überzeugte die Idee ebenfalls. So konnten wir loslegen. Neugierde und Gestalten – das bringt mich vorwärts.

Und dann haben Sie 2007 das Resultat ihrer Neugierde, das Jobportal jobs.ch für 150 Millionen Franken an einen amerikanischen Investor verkauft. Der Deal hat Sie finanziell unabhängig gemacht und Grossverlage wie Tamedia oder Ringier gingen leer aus: Diese hätten doch Interesse haben müssen!

Zunächst: Den guten Deal muss ich relativieren. Viele haben gratuliert und ich habe mich gefragt: Haben die mir zum neuen Reichtum gratuliert? Oder zu was sonst? In meinem Selbstverständnis war ich ja auch ohne diesen Deal schon finanziell abgesichert. Ich wusste ja über den Wert der Firma Bescheid. In einem ersten Gespräch mit meinen Beratern habe ich drei Bedingungen für einen allfälligen Verkauf gestellt. Erstens: Unter 150 Millionen Franken wird nicht verkauft. Zweitens: Es dürfen keine Mitarbeiter entlassen werden. Und drittens: Die Strategie, wie ich sie meinen Kunden und Partnern über Jahre verkauft habe, gilt es so weiterzuführen. So wollte ich die Zukunft der Firma unter den neuen Besitzern sicherstellen. Dass das ein Finanzinvestor und kein Schweizer Grossverlag war, lag daran, dass Letztere kein Interesse an einem Kauf zeigten. Es fehlten ihnen wohl die Fantasie, die Neugierde und die Vorstellungskraft dafür, dass ihre bislang gedruckten Job-Inserate ins Netz abwandern könnten.

Später kauften diese dann doch noch … viel teurer akquirierten sie dann jobs.ch von diesem Finanzinvestor.

Das Unternehmen hat bis zum Wiederverkauf an Tamedia und Ringier um das Zweieinhalbfache an Wert zugelegt, was auch ungefähr meiner Prognose entsprach. Wenn es für mich um den besten Deal gegangen wäre, hätte ich das Unternehmen noch ein paar Jahre länger betreiben müssen. Ich hatte jedoch bereits andere Ideen im Kopf.

Mit dem Verkauf von jobs.ch hatten Sie dann auch Spielgeld, ihre Neugier zu befriedigen?

Ja, der Verkauf hat neue Möglichkeiten geschaffen. Bereits länger fand ich Film, Musik oder Gastronomie sexy. Also stieg ich bei diesen Themen unternehmerisch ein. Und ich musste wieder einmal feststellen: Neugierde allein reicht nicht.

Wie meinen Sie das?

Ich dachte: Ich steige vorsichtig ein und doch war es erneut etwas blauäugig. Dabei fühlte ich mich weder übermütig noch zu wenig geerdet.

Was war das Problem?

Aus der Erfahrung mit jobs.ch nahm ich die Vorstellung mit: Ich betraue Mitarbeiter mit einer Aufgabe und dann kommt das schon gut und würde für den Erfolg reichen. Dafür musste ich gleich mehrfach teures Lehrgeld bezahlen. Klar kann der Unternehmer an der Spitze nicht alles selber machen. Märkte aber, in denen er sich als Unternehmer bewegen will, muss er persönlich verstehen. Sonst kann er niemals ein ernsthafter Sparringpartner seiner Mitarbeiter sein.

Was waren die Fehler?

Einer der Fehler war gewiss, dass ich verschiedene Sachen gleichzeitig und ohne tiefere Kenntnisse gestartet habe. Ich wurde Opfer meiner verzettelten Neugier, wenn Sie so wollen. Weiter habe ich zu schnell delegiert, ohne die Projekte vorher konsequent und leidenschaftlich durchdacht zu haben. Unüberlegte Personalentscheide sind hinzugekommen. Man muss den Markt kennen, ihn verstehen, sonst erfasst man die wirklichen Gelegenheiten gar nicht. Ich zitiere gerne den Spruch von Seneca, der sinngemäss lautet: «Glück ist, wenn Vorbereitung und Gelegenheit sich treffen.»

Was haben Sie aus dem Statement des römischen Philosophen für sich selber gelernt?

«Preparation» bedeutet für mich heute: Ich muss mir ein gewisses Wissen über einen Markt aneignen. Von diesem Ausgangspunkt aus und gepaart mit meiner Neugierde studiere ich dann den Markt in alle Richtungen. Überlege mir, wohin die Reise gehen könnte. Welches die Chancen sind. Was für die Kunden wünschbar wäre. Und wie sich die Wettbewerber darin bereits bewegen. Dabei schiele ich nicht auf die Mitbewerber per se, sondern überlege in erster Linie: Wohin bewegt sich der Markt? Falls die Symbiose all dieser Überlegungen eine Chance eröffnet, nach Markteintritt exponentiell zu wachsen, erst dann kann es losgehen.

Wie stark interessieren Sie sich danach dann noch für das Detail?

Ich funktioniere mit dem grossen Pinsel. Nehmen wir das Beispiel des Musikfestivals «Zermatt unplugged», das ich seinerzeit mit einem Partner gegründet hatte. Die strategisch wichtigen Pflöcke haben natürlich die Gründer eingeschlagen. In der Umsetzung sind andere dann viel besser als ich – insbesondere auch, was Finanzen anbelangt. Ich kümmere mich jedoch akribisch um alles, was Flair und Stimmung schafft. Bei allem, was ich anpacke, ist zentral, dass es mir gelingt, die richtigen Menschen zusammenzubringen, mit denen die gemeinsame Strategie erarbeitet, die gesteckten Ziele erreicht werden können.

Um es neudeutsch zu sagen: Sie sehen sich als Enabler.

Ja, schon. Früher vermochte ein Patron den allermeisten vielleicht noch etwas vorzumachen. Zumindest dürfte das seine Vorstellung gewesen sein. Doch diese Zeiten sind schon lange vorbei. Auf jedem Gebiet braucht es heute qualifizierte Mitarbeiter und Spezialisten. Das Zusammenspiel von Menschen und Kompetenzen ist äusserst komplex. Alleingänge sind zum Scheitern verurteilt. Ich als Unternehmer kann den Rahmen schaffen und Mitarbeiter für ihre Aufgaben begeistern. Damit setze ich Energien frei. Aber nur wenn Kultur und Kommunikation klar sind, jeder Mitarbeitende weiss, wohin die Reise geht.

Gab es Umwege, bis Sie zu dieser Erkenntnis gekommen sind?

Nein. Ich will Ideen realisieren mit Menschen, mit denen ich Spass habe. Ideen müssen eigenständig sein, eine Faszination ausstrahlen und wirtschaftlich Sinn machen. Und das Unternehmen darf auch ein Stück Heimat für die Mitarbeitenden sein – mich eingeschlossen. Wenn sie so wollen: auch eine Heimat für die Neugierige.

Geld verpflichte, Neues zu versuchen, haben Sie einmal gesagt. Warum diese Unrast?

Ich hätte als knapp 40-Jähriger aufhören können zu arbeiten. Doch dann kamen mir Neugierde und Gestaltungswille in die Quere. Ich hatte an Erfahrung zugelegt, gewisse Talente und auch ein persönliches Netzwerk entwickelt. Warum sollte ich mich also auf die faule Haut legen? Ich wollte mich ja weiterentwickeln. Und noch etwas ist mir wichtig: Bei allen unternehmerischen Engagements strebe ich eine gewisse Einzigartigkeit an.

Bei Ihnen dreht sich vieles um Ideen. Wie steht es mit Visionen, ohne die ja kaum eine Firmenpräsentation auskommt?

Letzteres ist ein grossartiger Begriff, der jedoch längst an Bedeutung verloren hat und weiter verlieren wird. Heutige dynamische Märkte, und ich kenne keine anderen, schliessen Visionen praktisch aus. Selbst Grosskonzerne, die gewiss ganz anders funktionieren als meine überschaubaren Unternehmen, machen inzwischen diese Erfahrung. Die Digitalisierung fordert alle zum Umdenken. Machbar und nötig ist hingegen, eine Richtung zu definieren. Dann heisst es, agil und neugierig zu bleiben und den Weg laufend zu überprüfen, um keine Abzweigung zu verpassen, die für den künftigen Erfolg vielleicht entscheidend ist.

Auf welche Entwicklungen ist Ihre Neugierde besonders ausgerichtet?

Ich bin gespannt, wie sich die Power der Tech-Giganten in Bezug auf Artificial Intelligence und Robotik in den kommenden Jahren auf Wirtschaft und Gesellschaft auswirken wird – und welche Gegentrends dadurch ausgelöst oder verstärkt werden.

2. EinfachheitDas Komplizierte muss ins Einfache

Er hat alles gehabt: viele Frauen und einen Nobelpreis. Er gilt als grosser Existenzialist und gehört zur Pariser Intelligenzija. Und er gibt sich als Bohème im Look eines Humphrey Bogart. Und doch sehnt sich der französisch-algerische Starphilosoph Albert Camus zeitlebens nach seiner kargen Jugend im Maghreb zurück, dem Ideal der Einfachheit – so lautet denn auch der Titel einer Camus-Biografie, die zu dessen 100. Geburtstag erschienen ist.

Er hat das Grösste erreicht: Das Wunder von Bern. Sepp Herberger, ehemaliger Reichstrainer im Dritten Reich, der als Bundestrainer nach dem Krieg die geschundene deutsche Nation über die schönste Nebensache der Welt wieder in den Reigen der zivilisierten Nationen zurückführt. Das reichlich kompliziert anmutende Spiel namens Fussball, bei dem 22 Männer einem einzigen Ball nachhecheln, reduziert der Weltmeister-Trainer des Jahrs 1954 auf seinen simplen Kern: «Das Runde muss ins Eckige.»

Camus und Herberger wären heute Propheten des «no bullshit». Der Universalgelehrte Leonardo da Vinci hat schon vor mehr als 500 Jahren Gleiches gemeint und notiert: «Einfachheit ist die höchste Form der Vollendung.» Und der Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry, Autor des unsterblichen kleinen Prinzen, kommt zu einem ähnlichen Schluss: «Vollkommenheit entsteht nicht dann, wenn man nichts mehr hinzufügen kann, sondern wenn man nichts mehr wegnehmen kann.» Wer den Diskurs um die Einfachheit des Seins