Usus Belli - Thorsten Klein - E-Book

Usus Belli E-Book

Thorsten Klein

0,0

Beschreibung

"Usus Belli" ist das vierte Buch des Romans "PSYCHE". In PSYCHE haben die Nazis in vielen Ländern die Macht ergriffen und einen Weltkrieg ausgelöst. Es geht dabei um die weitere Existenz von PSYCHE. Denn inzwischen ist klar, dass die Selachii diese Welt vernichten wollen. Um dieses Ziel zu erreichen, verraten sie den Bewohnern PSYCHEs das Geheimnis der Atombombe. Nun forschen alle Kriegsparteien an dieser und an anderen Waffen, um den Krieg für ihre Seite zu entscheiden. Der Hohe Rat will den Krieg so schnell wie möglich beenden und sendet seine schärfste Waffe: Aidoneus, den Gott des Todes. 1.Buch:Imperium 2.Buch:Conversio 3.Buch:Omnipotens 4.Buch:Usus Belli 5.Buch:Pugnam Pugnare 6.Buch:Per Aspera Ad Astra

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 351

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Equidem ad pacem hortari non desino; quae vel iniusta utilior est quam iustissimum bellum.

Ich mahne unablässig zum Frieden; dieser, auch ein ungerechter, ist besser als der gerechteste Krieg.

Ad Atticum (Briefe an Atticus), VII, XIV, 3

Marcus Tullius Cicero (106 v. Chr. – 43 v. Chr.),

(Schriftsteller, Redner, Philosoph, römischer Senator, Konsul des Jahres 63 v. Chr.)

Meinen Töchtern Sophie und Vanessa gewidmet

Thorsten Klein

PSYCHE

4. Buch

Usus Belli

Roman

© 2020 Thorsten Klein

Umschlag, Illustration: Thorsten Klein

Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

Paperback

978-3-347-12171-3

e-Book

978-3-347-12173-7

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhalt:

Prolog: Sein und Bewusstsein

1. Kapitel Criminatio

2. Kapitel Para Bellum

Intermezzo 1

3. Kapitel Si vis pacem

4. Kapitel Cnventum

Intermezzo 2

5. Kapitel Blitzkrieg

6. Kapitel Hara-kiri

Intermezzo 3

7. Kapitel Barbarossa

8. Kapitel Winterkrieg

Intermezzo 4

9. Kapitel Walküre

10. Kapitel Operation Unthinkable

Intermezzo 5

Der Fluch des schwarzen Herzogs …

Sie kennen den schwarzen Herzog nicht? Der ist groß, blond und ein echter Gott. Er ist natürlich auch so mächtig, wie es echte Götter nun mal sind.

il caskar gab sich gern groß, blond und von göttlicher Macht durchdrungen. Aber bei ihm war das nur eine Maske, die seine Erbärmlichkeit verbergen sollte. Und seinen Mangel an echter göttlicher Macht.

Eine Maske, hinter der er sich nicht mehr verstecken konnte. Bcoto Kul Medem, seine ehemalige Mitkämpferin, hatte sie ihm heruntergerissen.

Auch aus diesem Grund konnte der Hohe Rat il caskar endlich verurteilen und bestrafen. Mit dem Entzug eines Großteils seiner göttlichen Kräfte und Fähigkeiten. Die sollte er wiedererlangen. Dazu musste er nur eine Aufgabe erfüllen:

Ein politisch stabiles, einheitliches Europa schaffen.

Der Herzog hatte sein letztes MindScript bei il caskars Verurteilung enden lassen und mich aufgefordert, daraus ein Buch zu gestalten.

Dessen Rohschrift hatte ich gestern beendet und damit auch die vom Herzog gesetzte Frist. Um ihn zu sprechen, versenkte ich mich in Trance.

Thorsten Klein Großenhain, 12.04.2015

Prolog:       Sein und Bewusstsein

Was ihr nicht tastet steht euch meilenfern,

Was ihr nicht fasst, das fehlt euch ganz und gar,

Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sei nicht wahr,

Was ihr nicht wägt, hat für euch kein Gewicht,

Was ihr nicht münzt, das, meint ihr, gelte nicht.

J.W. Goethe, „Faust – der Tragödie 2. Teil“, (Erde, 1832)

Ort:    Großenhain, Wohnung des Chronisten

Denn in Trance benötigt man keine Computertechnik, um den Verfasser eines MindScripts zu sehen. Ich rief ihn und sein holografisches Abbild erschien wie aus dem Nichts und nahm in einem meiner Sessel Platz.

Aber er erzählte nicht, sondern er grinste mich an.

„Ich hoffe, dein Grinsen bedeutet, dass du mir die Geschichte wirklich weitererzählen willst?“, fragte ich.

„Böse, dass ich an der spannendsten Stelle aufgehört habe?“

„Ich habe meine Geschichten immer an der spannendsten Stelle beendet“, erwiderte ich gelassen. „Es ist zwar keine Garantie, erhöht aber die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Fortsetzungen ebenfalls gelesen werden.“

„Und ich möchte selbstverständlich weitererzählen. Mein Inneres Programm verlangt das von mir.“

Dieses Geständnis beruhigte mich. Aber ich versuchte, es nicht zu zeigen. Ich wusste, dem schwarzen Herzog kam man besser mit Kratzbürstigkeit. Also griff ich das Thema auf, das ihn kratzen musste: „Ich hatte schon Angst, die Ehe, in die du dich so unerwartet gestürzt hast, hätte dir jeden Ehrgeiz genommen.“

„Wieder verkennt man mich. Für einen, der schon seit über zweieinhalb Jahrtausenden lebt, in dieser Zeit aber noch nie verheiratet war, gibt es doch kein größeres Abenteuer, als eine Ehe.“

„Lass das mal die Herzogin hören.“

„Ich glaube, die weiß das. Sie kennt mich und meine Unfähigkeit zur ehelichen Treue. Aber sie hat etwas, was ich nicht mehr missen möchte.“

„Deshalb hast du sie unsterblich gemacht?“

„Wir sind nicht unsterblich“, erwiderte er fast etwas barsch und fuhr gleich fort: „Nichts ist unsterblich. Ewig ist nur die ständige Veränderung und das, was sie hervorbringt. Aber wir leben viel länger als ihr.“

„Außerdem seid ihr ewig jung.“

„Neidisch? Alter hat auch etwas für sich. Was meinst du, wie lange ich benötige, um einem Menschen, der mich nicht kennt, meine Lebenserfahrung begreiflich zu machen? Für die Alten in den Welten, in denen wir uns aufhalten, zählt weder unser Wissen, noch unsere Erfahrungen, wenn sie uns nach unserem Äußeren beurteilen.“

„Deshalb kümmert ihr euch lieber um die Jugend?“

„Seit dem Krieg der Kinder ist das die alleinige Aufgabe des Hohen Rates. Wir sind Polizei und Jugendamt in Einem. Manchmal macht das sogar Spaß.“

„Wie bei il caskar?“

„Vor allem bei il caskar. Er ist doch eine Herausforderung für jeden, der dazu gezwungen ist, sich mit ihm zu befassen. Ich glaube, ich habe diese Herausforderung ganz gut gemeistert. Der Versuch, ihn zu bessern, ist auf einem guten Weg. Oder was meinst du?“

Ich schätze nie die Arbeit von Kollegen ein. Aber mir wurde durch diese Äußerung vieles klarer, was ich vorher nur vermutete. „Deshalb hat mich Richard Kummers MindScript als Chronisten ausgesucht? Wegen meiner beruflichen Erfahrungen?“

„Auch deshalb“, bestätigte er. „Du hast eine Geschichte gesucht, die du erzählen kannst. Also hat er dir eine angeboten. So ähnlich wie mit il caskar sind wir auf PSYCHE mit Peta verfahren. Das war dir doch klar, oder?“

„Er ist ein Heimatloser, der ein Zuhause sucht. Ihr habt ihm eins geschenkt, also wird er gut darauf aufpassen.“

„il caskar hingegen würde jede Welt zerstören, die man ihm bietet. Auch Psyche.“

„Vielleicht zerstört er damit aber sich selbst?“, lockte ich den schwarzen Herzog.

„Wie meinst du das?“, tat der, als verstünde er nicht.

„Du hast ihn doch verflucht. Ich weiß zwar nicht wie. Aber der Fluch könnte doch so gestaltet sein, wie der von Robert Severe? Ein bestimmtes Ereignis vernichtet den Auslöser dieses Ereignisses.“

„Ich bin doch kein Plagiator“, gab sich der Herzog beleidigt. „Ich bin viel geschickter im Verfluchen, als es Robert Severe je war. Mein Fluch sollte uns helfen. Deshalb haben seine Eltern diesen Fluch auch akzeptiert. Nach langen Diskussionen. Sie hätten ihn auch abschwächen können. Aber das wollte ich nicht.“

Er wollte mir also nicht verraten, wie er il caskar verflucht hatte. Ich startete noch einen Versuch: „Ihr habt euch geschickt angestellt. Erst il caskars Community auseinandergebracht. Dann habt ihr ihmseine Macht genommen. Scheint so, als wäre das nur auf Psyche möglich gewesen. So wie die Heilung Alexandras. Es ist also doch nur eine künstliche Welt für kranke Bewohner der Terra Nostra?“

„Eine Art Krankenhaus von der Größe eines Planeten?“, fragte der Herzog spöttisch zurück.

„Wäre doch möglich“, versuchte ich, ihn in meine Falle tappen zu lassen. „Peta ist jetzt noch der Meinung, es sei eine Art Computerspiel, eine MindGameMap. Bei seinen Fähigkeiten. Da kann er sich doch kaum in seinen Schlussfolgerungen täuschen. Oder?“

Der Herzog musterte mich eine Weile schweigend. Mit sehr ernstem Gesicht. Man konnte trotzdem sehen, wie es in ihm arbeitete.

Dann lehnte er sich zurück. Grinsend. „Ich hätte dir nicht verraten sollen, dass MindScripte nicht sehr helle sind. Du hast versucht, mich zu übertölpeln. Leider nicht sehr geschickt. Was auf Psyche geht, geht nur auf Psyche. Das ist richtig. Aber der Grund dafür ist ein anderer.“

„Ich weiß“, antwortete ich, während ich mich in meinem Sessel entspannt zurücklehnte.

„Was weißt du?“, fragte der Herzog misstrauisch.

„Alles über Psyches Geheimnis. Ihr hättet Bcoto nicht mit der Nase draufstoßen sollen“, deutet ich an.

„Stimmt, das haben wir. Damit sie endlich nachforscht. Das ist dir aufgefallen? Aber du hast nichts davon in deinen Büchern veröffentlicht.“

„Doch. Alles andere wäre meinen Leserinnen und Lesern gegenüber unfair. Es gibt kleine Andeutungen, größere im vorletzten Buch.“

„Aber mehr nicht?“

„Es passte noch nicht rein.“

„Wenn du dir so sicher bist, sag mir doch, was du geschlussfolgert hast“, forderte er mich auf.

Ich tat es. Das dauerte eine Weile, denn ich hielt die Sache für komplizierter, als sie wirklich war.

Danach schwieg er. Lange. Wahrscheinlich arbeitete es wieder in ihm. Schließlich war seine Erscheinung nichts weiter als die Personifizierung seines echten Ichs durch ein hochkomplexes Computerprogramm. Ein Programm, das weder an Raum noch an Zeit gebunden war, aber dadurch auch seine Grenzen hatte.

Sein beleidigter Gesichtsausdruck, nachdem sein „Nachdenken“ beendet war, befriedigte mich. „Ich gehe davon aus, dass ich der Wahrheit ziemlich nahegekommen bin?“, fragte ich nicht ohne Spott. „Keine Angst, ich verrate es niemanden. Eine solche Sensation hebt man sich immer fürs große Finale auf.“

„Mach doch, was du denkst. Ich werde zukünftig überlegen müssen, was ich dir erzähle“, war der Herzog immer noch beleidigt.

„Meinst du, du schaffst das? Wo doch ein MindScript nicht besonders helle ist.“

Er drohte mit dem Finger. „Nutze nur aus, dass ich unbedingt weitererzählen will.“

„Du musst erzählen und ich will zuhören. Wenn du darauf bestehst, entschuldige ich mich für den kleinen Spaß. Aber bitte erzähle.“

Er nickte nur gnädig und machte es sich in seinem Sessel wieder bequem. Die Zigarre, die er sich anzündete, ignorierte der Nichtraucher in mir. Die war imaginär, auch wenn sie noch so echt aussah und entsprechend stank. „Die Nazis wollten il caskar also auf der Flucht erschießen“, begann der Herzog, Zigarre paffend, an der Stelle, an der er das letzte Mal aufgehört hatte.

„Sakania und Takhtusho hatten aber etwas dagegen“, assistierte ich ihm. „Ist die Befreiung gelungen?“

„Selbstverständlich. Sakania hat viel beim Kummerritter gelernt. Allerdings war sie sehr stur und begab sich damit in Gefahr. Richard Renatus durfte ihr eigentlich nicht helfen, tat es aber trotzdem. Weißt du, was Arbiter Deus1 bedeutet?“

„Die wörtliche Bedeutung ist mir klar. Aber ich denke, bei euch hat das noch eine andere Bedeutung.“

„Richtig. Mein Vater ist Arbiter Deus. Nachdem er Jahrmillionen lang ein Gott war, hatte er das Recht, sich in höhere Sphären zurückzuziehen. Damit wird man für die anderen Götter unangreifbar. Hat aber gleichzeitig das Recht, über sie zu richten. Ein göttliches Schiedsgericht, sozusagen. Das hat damals auch Aidoneus verurteilt. Die Arbitri sahen nicht gern, mit welchen Zielen sich die neue Göttergeneration in Psyche einmischte. Sie hatten andere.“

„Götter haben Generationsprobleme?“ Ich lachte.

„Das ist nicht lustig. Zumal Richard Kummer durch seine freiwillige Ermordung ebenfalls den Status eines Arbiters hatte. Noch dazu eines menschlichen Arbiters.“

„Verstehe. Einen menschlichen Arbiter gab es bis dahin nicht?“

Der Herzog schüttelte den Kopf.

„Das muss die alten Herrschaften sehr wütend gemacht haben.“

„Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr. Sie versuchten nun, alle Pläne des Neuen Hohen Rates zu hintertreiben. Und sie hatten Verbündete. Aidoneus natürlich. Der kochte immer sein eigenes Süppchen und musste in unendlich vielen Intrigen die Finger haben, um sich nicht zu langweilen. Aber es gab auch eine weitere Kraft in Psyche.Eine, die der Krieg der Kaiser erst geweckt hatte. Ein weiterer furchtbarer Krieg würde sie noch mächtiger machen.“

Die dreidimensionale Abbildung einer Gestalt erschien plötzlich.

„Der sieht dir sehr ähnlich. Ein Verwandter von dir?“

Der Herzog verzog das Gesicht. „Ein Ruhmesblatt meiner Memoiren ist er nicht. Riccardo Bellator ist der menschgewordene Geist Psyches. Eine sehr mächtige Gottheit. Und ein furchtbarer Feind. Wenn man ihn sich einmal zum Feind gemacht hat.“

*Latein: Gott als Lenker, Gott als Richter

1. Kapitel Criminatio*

Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern, dass er nicht tun muss, was er nicht will.

J. J. Rousseau (1712 – 1778)

Ort:    Psyche, Berlin, Sakanias Wohnung

Die Frau war fast zwei Meter groß. Schlank, durchtrainiert, muskulös und braun gebrannt.

Die beiden Männer wirkten dagegen blas. Obwohl sie größer und muskulöser waren als die Frau.

Alle drei waren nackt.

Das ist manchmal so, wenn man Sex hat.

Sakania versuchte verzweifelt, wegzusehen. Wer will seine eigenen Brüder schon in einer solchen Situation überraschen?

So sehr sie sich aber auch anstrengte, es gelang ihr nicht. Sie fühlte sich wie eingefroren und hatte keine Kontrolle über ihren Körper.

Wenn sie wenigstens in der Lage gewesen wäre, ihre Augen zu verschließen. Oder ihre Ohren.

Obwohl … Dann hätte sie vielleicht nicht die Stimme gehört, die plötzlich in ihrem Kopf dröhnte.

Die Stimme des schwarzen Herzogs?

Sie klang so. So ähnlich zumindest. Denn diese sprach, als sei ihr Inhaber im spanischen Sprachraum aufgewachsen. Dem Herzog hörte man in jeder Sprache an, dass er in Deutschland geboren und aufgewachsen war.

Die Menage a trois hatte wenigsten mit ihren gymnastischen Übungen aufgehört. Um ebenfalls der Stimme zu lauschen. Wie Schüler ihrem Meister

Der gab genaue Anweisungen, wie es auf Psyche weiterzugehen habe. Sie hatten keine Einwände gegen seine Vorschläge. Sakania hingegen fand das, was sie hörte, einfach nur abscheulich. Ihre Feiglinge von Brüdern protestierten nicht, sondern neigten die Köpfe und nickten ergeben.

Nur die Frau wagte etwas einzuwenden: „Was du vorhast, wird weder Sakania, noch Wihtania gefallen.“

Stimmt, dachte Sakania wütend, und wir werden alles unternehmen, diese Pläne zu durchkreuzen. Das Lachen darauf dröhnte so in Sakanias Kopf, dass sie glaubte, der würde zerspringen.

„Wenn die beiden Gören sich gegen uns stellen, werdet ihr doch wohl in der Lage sein, sie aufzuhalten. Oder?“

Was Sakania am meisten erboste, war die devote Zustimmung der drei. Das bekamen die auch zu hören, denn Sakania hatte endlich die Kontrolle über ihren Körper wieder. Sie anschreiend und fieberhaft nach ihrem Schwert suchend, stürmte sie auf ihre Brüder und deren Freundin zu.

Aber die verschwanden einfach in der RaumZeit, ohne sie zur Kenntnis zu nehmen.

Unsagbare Wut schüttelte Sakania.

Wut, die ständig ihren Namen rief?

Mit der Stimme Takhtushos?

Als sie die Angst in dessen Gesicht sah, war sie mit einem Schlag hellwach.

„Huldrich und Gerrich“, stotterte sie, „haben Furchtbares mit Psyche vor. Es wird einen schrecklichen Krieg geben und sie werden versuchen, den Psychanern für diesen Krieg die Macht des Atoms zu verschaffen.“

Takhtusho war erleichtert, dass Sakania endlich aus ihrem Alptraum erwacht war und mit ihm sprach.

Aber um den Inhalt ihrer Worte richtig zu verstehen, benötigte er, wie immer, sehr lange. Dann sah er sie ungläubig an. „Nuklearwaffen? Für diese Menschen? Die werden ihre Welt vernichten.“

„Das ist ihr Plan. Der Geist dieser Welt will es so.“

Takhtusho musterte Sakania aufmerksam. „Bist du dir sicher? Er riskiert seine eigene Existenz?“

„Das ist ja das unverständliche … Seine Stimme klang wie die des schwarzen Herzogs, nur in Nuancen anders“, versuchte Sakania sich an den Inhalt ihres Traumes zu erinnern, „also kann es nicht der Herzog gewesen sein. Aber wer war es dann?“

„Einer seiner Verwandten?“

„Da gibt es tausende, die in Frage kämen.“

„Aber nur wenige, die so mächtig sind, dass sie eine ganze Welt beherrschen könnten.“

Beide überlegten eine Weile.

„Paulos“, rief Takhtusho dann, um sofort von Sakania unterbrochen zu werden: „Paulos hat keine Macht.“

„Aber nur, weil ihm der Herzog diese entzogen hat, um ihn dann zu verbannen. Als Familienoberhaupt darf er das, ohne den Hohen Rat fragen zu müssen.“

„Das weiß ich doch. Ich habe zwar noch nicht gelebt, als ihr den Krieg der Kinder vom Zaun gebrochen habt, aber ich hatte bei Richard Kummer Geschichtsunterricht. Schon vergessen? Deshalb weiß ich auch, wo Paulos ist.“

„Hol ihn her“, schlug Takhtusho vor.

„Wenn das so einfach wäre“, erwiderte Sakania und überlegte. Eine ganze Weile. Dann erklärte sie Takhtusho ihren Plan.

Was sie verschwieg, war die Beteiligung der dritten Person an der Verschwörung. Jener Frau, die Sex mit Huldrich und Gerrich hatte.

Schon dafür gehörte sie bestraft. Allerdings durfte Takhtusho nie erfahren, dass es gegen seine Schwester ging. Vielleicht würde er dann die Seiten wechseln. Sie brauchte ihn aber. Nicht nur, weil sie ihn liebte. Er war auch der einzige, der Bcoto gewachsen war, sollten sie gegen sie kämpfen müssen.

 

Ort:    Psyche, Dai Nippon, Tokio

Die beiden Kämpfer standen sich gegenüber. Jeder hatte ein Schwert in der Hand. Die Klingen waren aus Bambus und die traditionellen Visiere ihrer Samuraihelme verbargen ihre Gesichter. Der Gaijin musterte sie mit Kennermiene. Das gefiel seinem Begleiter überhaupt nicht. Er wollte dem eingebildeten Deutschen mit diesem Besuch einer japanischen Kampfschule eigentlich zeigen, die Japaner seien die besten Kämpfer der Welt. Japanische Samurai sowieso.

Der tat, als kenne er sich aus. Wie sollte er? Nur, weil er fehlerfrei japanisch sprach? Gut, auch mit ihren Traditionen kannte er sich aus. Aber beim Kämpfen?

Die beiden Schwertkämpfer zeigten eine knappe halbe Stunde, was sie bereits gelernt hatten. Dieser kleine Einblick in den Kenjutsu schien den Fremden ebenfalls nicht zu beeindrucken.

„Diese Schüler waren gut, aber sie müssen noch viel lernen. Vor allem Geduld. Sie wussten, dass ich zusehe, nicht wahr?“

Ozaki Hotsumi2 wurde nicht schlau aus diesem Mann, den er gern als seinen Freund sehen würde. Der gab sich als Russe aus, arbeitete aber für eine renommierte deutsche Zeitung in deren Sprache.

Hotsumi verneigte sich vor dem Wissen des Gaijin und antwortete: „Sie wussten, dass Sie ein Reporter sind. Deshalb ihre Aufregung.“

„Aufregung beim Kampf ist immer ungünstig. Es sei denn, man macht sie sich zum Verbündeten. Ihr Lehrer ist Shigetada Tōgō. Richtig?“

„Sie kennen Shigetada Tōgō?“

„Wir sind uns ein paar Mal begegnet. In einem früheren Leben. Er war Lehrer in Jigen-Ryū. Ich konnte ihm ein paar Tricks mit dem Katana beibringen. Zur Belohnung zeigte er mir seine Kampfkunst.“

„In einem früheren Leben? Haben Sie unser Leben so verinnerlicht, dass Sie zum Hinduismus übergetreten sind?“

„Weil ich weiß, das Leben ist eine beständige Wanderung zwischen Geburt, Tod und Wiedergeburt? Nein. Die Palingenese ist kein asiatisches Monopol. Auch die Jünger des Pythagoras aßen keine Bohnen, da sie glaubten, die Seelen Verstorbener könnten darin wohnen. Ich allerdings ziehe die Körper von Menschen als Behausung meines Geistes stets vor.“

Hotsumi verstand den Sinn dieser Antwort nicht. Er glaubte aber, eine Gelegenheit gefunden zu haben, sich dem Fremden erkenntlich zu zeigen. „Ich kann Sie dem Meister vorstellen. Ich hatte selbst einige Zeit die Ehre, sein Schüler zu sein.“

„Darum wollte ich dich gerade bitten.“

„Unter welchem Namen? Wenn ich Ihren damaligen Namen benutze, erkennt er Sie vielleicht aus Ihrem früheren Leben wieder.“

„Höre ich da Spott in deiner Stimme? Ich habe in dieser Welt nur einen Namen. Stell mich also bitte als Richard Sabota vor.“

Ort:    Psyche, Berlin, vor dem Reichstag

„Richard Sabota lebt natürlich noch. Den habe ich ja nicht umgebracht?“, gab il caskar zu.

„Kann es sein, dass Richard Kummers Geist in sein östliches Alter Ego geflüchtet ist und jetzt in Richard Sabotas Körper lebt?“, fragte Takhtusho.

„Das ist nicht möglich“, widersprach il caskar. „Denk doch an Alexandra Al Kahira. Die Geister zweier Vollbürger in einem Körper verursachen schwere psychische Krankheiten. Richard Sabota ist geistig gesund und so mächtig wie eh und je. Aber für uns ist er keine Gefahr, da er nur im Osten herrscht.“

„Dann solltest du dich zuerst einmal mit der Frage beschäftigen, was Richard Kummers Geist anstellt, eh du versuchst, in der Nazipartei Macht zu erlangen“, brachte Takhtusho seine Bedenken nochmals auf den Punkt.

„Ich habe keine Vollbürgerkräfte mehr. Hast du das vergessen? Ich bin fast so ein Nichts, wie die Ureinwohner dieser Welt. Der Hohe Rat hat mich schwach gemacht, weil er Angst vor mir hat. Also muss ich schnell wieder stark werden. Das geht am schnellsten durch die Macht des Faschismus. Schließlich habe ich den erst mächtig gemacht.“

„Deswegen haben sie dich doch verurteilt. Wenn du weiter mit den Nazis zusammenarbeitest, zeigst du, dass du das Urteil nicht annimmst und gibst ihnen das Recht, dich doch auf eine einsame Welt zu verbannen.“

„Meinst du?“, fragte il caskar nachdenklich.

„Ich denke, der Herzog wollte genau das. Er tat so, als komme er dir entgegen. Dabei hofft er auf dein Scheitern, um dich dann doch noch für Jahrhunderte unschädlich zu machen. Nach dem Krieg der Kinder hat es doch auch geklappt.“

il caskar sah seinen großen Freund überrascht an. „Du hast recht. Das könnte sein Plan sein. Dann müssen wir anders vorgehen.“

„Aber wie?“

„Nun lass mich doch erstmal überlegen.“ Das tat il caskar dann auch. Lange.

„Ich habe doch die Aufgabe, Psyches Europa wirtschaftlich und politisch zu einigen“, begann er dann das Ergebnis seiner Überlegungen mitzuteilen.

„Stimmt. So steht es im Urteil.“

„Da steht aber nicht drin, wie. Also bedeutet das, in dieser Frage habe ich freie Hand.“

„Kann man so interpretieren“, war Takhtusho nicht ganz überzeugt.

„Kann man nicht, muss man.“ il caskar hatte wie immer keine Zweifel. „Die Nazis wollen ganz Europa erobern. Daraus machen sie ja keinen Hehl, auch wenn das die Politiker der anderen Länder ignorieren. Wir helfen ihnen und bleiben dabei immer schön im Hintergrund. So können die Nazis diesen Plan umsetzen und ich erfülle damit die Auflagen meines Urteils.“

Nun überlegte Takhtusho eine ganze Weile. Länger, als il caskar. Wer ihn bereits aus den vorherigen Büchern kennt, weiß noch, Denken war noch nicht so seine Stärke. Kämpfen eher. Mit Kämpfen hatte il caskars Plan wenig zu tun. Aber viel mit dem, was der Hohe Rat seit Jahrhunderten auf Psyche machte. Also stimmte er seinem Freund zu und versprach, zu helfen.

„Sakania wird bestimmt auch mitmachen. Sie hat sich über deine Verurteilung gefreut und gesagt, vielleicht besserst du dich, damit sie dich irgendwann mal leiden kann.“

„Über Sakania reden wir später. Können wir wieder über Heinrich Ether reden?“

Wegen Heinrich Ether war il caskar nämlich im nächtlichen Berlin unterwegs. Er wollte herausfinden, was dieser hochgestellte Nazi mitten in der Nacht in Berlin zu tun hatte.

il caskar glaubte, ein Treffen Ethers mit Richard Kummer gesehen zu haben. Eines sehr jungen Richard Kummers, zugegeben. Dieser Kummerritter schien auch nicht sehr helle gewesen zu sein, meinte il caskar. Aber das Gesicht war unverkennbar.

„Schade, dass ich nicht dabei war“, bedauerte Takhtusho.

„Ja, du hättest mir helfen können, die beiden gefangen zu nehmen.“

„Nein, ich hätte mir seine Aura ansehen können. Du kannst das ja nicht mehr. Dann wären wir sicher gewesen, ob es wirklich Richard Kummer ist. Sakania sucht ihn, seit er gestorben ist. Sie hätte sich über ein Wiedersehen mit ihm gefreut.“

„Wir suchen ihn doch. Er muss hier irgendwo sein. Hilf mir, ihn zu finden, dann kannst du seine Aura nicht nur scannen, sondern ihn gleich gefangen nehmen und deiner kleinen Freundin apportieren.“

„Ich hatte für heute Abend eigentlich andere Pläne“, maulte Takhtusho.

„Du kannst deine Schöne ficken, wenn wir ihn gefunden haben. Glaub mir, sie wird viel williger sein, wenn du ihr den Kummerritter bringst.“

Ort:    Psyche, Dai Nippon, Tokio

Ozaki Hotsumi brachte Richard Sabota also zu dem berühmten Kampfkunstlehrer. Erstaunt war er nicht nur über dessen Begrüßung des Gastes, sondern auch darüber, dass sich der Lehrer in seinem Gespräch dem Fremden sofort unterordnete. Als sei er dessen Untergeber. Im Japanischen erkannte man das bereits an der Art und Weise der Wortwahl und der Gesprächsführung. Sabota ging mit dem Lehrer um, als sei er dessen Fürst, der einem von ihm besonders geschätzten Samurai die Ehre eines Gespräches erwies.

Danach versammelte der seine Schüler. Die kurzen Befehle, die er sprach, erstaunten Ozaki Hotsumi noch mehr. Es sollte einen Kampf geben. Der Fremde gegen alle Schüler. Damit es nicht unfair sei, sprach der Meister, würde der Fremde unbewaffnet kämpfen. Den Schülern gestatte der Fremde alle Waffen, die ihnen genehm seien. Auch scharfe.

Der Fremde hatte sich derweil seiner gesamten Kleidung entledigt und stand nackt im Zentrum der Tatami.

Er versprach dem Schüler, der als letzter gegen ihn bestehen würde, die Ehre eines Zweikampfes.

Die Schüler musterten den Fremden nach diesem Angebot, das so sehr nach Prahlerei klang, noch wesentlich aufmerksamer als vorher. Er bestand nur aus durchtrainierten Muskeln, das mochte schon sein. Aber für einen Gaijin war er nicht sehr groß. Und gegen ihre Gruppe hatte er sowieso keine Chance. Glaubten sie.

Ort:    Psyche, Berlin, vor dem Reichstag

il caskar glaubte bereits zum wiederholten Male, Richard Kummer erkannt zu haben.

Takhtusho fand das nicht mehr lustig, sondern betrachtete seinen Freund mit Besorgnis. Hatte der Hohe Rat gepfuscht? War ihnen ein Fehler unterlaufen, als sie il caskar seiner Kräfte beraubten? Nach einer Weile schlug er sich gegen den Kopf. Was war er doch immer noch für ein Idiot. Trotz der erfolgreichen mentalen Ausbildung durch Sakania.

„Gib mir deine Hand“, forderte er il caskar auf.

„Ich kann schon allein laufen. Auch im Dunkeln“, antwortete der gewohnt unfreundlich.

Also ergriff Takhtusho einfach il caskars Hand und forderte ihn auf: „Erinnere dich an das Bild des Menschen, den du für den Kummerritter gehalten hast. Sieh mich nicht so bescheuert an. Mach einfach.“

il caskar machte einfach. Takhtusho sah dabei aus, als würde er mit glasigen Augen träumen. Dann nickte er und wies vor sich. „Wir müssen in die Richtung“, sagte er.

„In den Reichstag?“

„In den Reichstag. Und entsichere deine Pistole. Du kannst dich auf einen Kampf gefasst machen.“

Das hatte il caskar befürchtet.

Ort:    Psyche, Dai Nippon, Tokio

Ozaki Hotsumi hatte befürchtet, sein ausländischer Freund würde nicht lange in diesem Kampf bestehen. Nun befürchtete er, die Schüler könnten den Kampf nicht lange genug bestehen, um die Lehre zu verstehen, die ihnen der fremde Meister erteilen wollte.

Dass es um eine solche ging, war Hotsumi nach wenigen Augenblicken des Kampfes klar.

Richard Sabota bewegte sich rasch. Musste er auch. Bei so vielen Gegnern. Aber er griff dabei auch an. Zu allererst die, die ihn mit einer scharfen Waffe bedrohten. Geschickt schlug er die so, dass sie sich mit ihren Waffen selbst verletzten. Nicht gefährlich, aber schmerzhaft.

Immerhin zeigten die Verletzten so viel Mut und innere Festigkeit, selbständig die Tatami zu verlassen, um den noch kämpfenden Schülern nicht im Wege zu sein.

Aber auch die wurden immer weniger. Schließlich stand, wie von dem Fremden angekündigt, nur noch ein Gegner vor ihm. Der griff nicht an, sondern lauerte auf eine Gelegenheit dazu.

Mit allem gebotenen Respekt, was Hotsumi für vernünftig hielt. Jetzt keinen Respekt vor dem Fremden zu haben, wäre eine gefährliche Überheblichkeit.

Richard Sabota, der des gegenseitigen Belauerns müde schien, griff nun seinerseits an. Zum Teil mit Finten, die die Schüler nicht einmal bei ihrem Meister gesehen hatten.

Nun verstand Hotsumi auch den Respekt, den der Meister diesem Fremden entgegenbrachte. Der Respekt des unterlegenen Kampfkünstlers.

Die anderen Schüler sahen mit Erstaunen sowohl die Angriffe des Fremden, als auch das Ausweichen und Verteidigen ihres Mitschülers. Den hatten sie bisher ob seiner Zurückhaltung beim Kampf für ein Weichei gehalten. Nun sahen sie, was er konnte.

Hotsumi vermutete, genau das habe Richard Sabota beabsichtigt. Denn plötzlich, nach einem letzten Angriff, den er nicht zum siegreichen Ende führte, trat er einen Schritt zurück und verneigte sich vor seinem Gegner. Wie ein Meister, der die Leistung seines besten Schülers anerkennt.

Der schien froh zu sein, so aus dem Kampf zu kommen, und verneigte sich tiefer, als es der Respekt erfordert hätte.

Ort:    Psyche, Berlin, im Reichstagsgebäude

il caskar bekam Respekt vor Takhtusho. Nur zähneknirschend zwar, aber immerhin Respekt. Dieses Gefühl ließ er nur langsam zu.

Immerhin hatte Takhtusho Fähigkeiten, die il caskar immer mehr vermisste. Kein Wunder, dass der besser war, als er. Er hatte auch diesen Menschen entdeckt, der dem Kummerritter so ähnelte. Mitten im Sitzungssaal des Reichstages. Und trotz der Dunkelheit.

„Ob der den Fußboden reinigt?“, fragte il caskar. In der Hoffnung, Richard Kummers Reinkarnation sei als Reinigungskraft in diese Welt zurückgekehrt.

„Mit Benzin? Wohl kaum.“

„Das ist Benzin? Will der die Bude abfackeln?“

„Sieht so aus.“

„Wir nehmen ihn fest, präsentieren ihn der Polizei und sammeln Pluspunkte. Bei den Nazis, den Bullen und beim Hohen Rat.“

Takhtusho hielt il caskar zurück. „Hast du vergessen, dass die SS jetzt die Polizei ist. Der Typ hat mit Ether gesprochen. Ether ist die SS. Die wissen also Bescheid. Ich glaube kaum, wir bekommen mit dieser Enthüllung bei irgendjemandem Pluspunkte. Sakania sagt immer, der Hohe Rat surfe auf den Ereignissen, ohne sie zu beeinflussen.“

„Sakania sagt …“, maulte il caskar. „Mag sein, du machst nur, was Sakania sagt. Aber ich muss nicht auf deine kleine Prinzessin hören.“

„Und warum nicht? Wenn sie doch recht hat. Dieser Mensch scheint ein schweres Verbrechen begehen zu wollen. Wären wir nicht da, würde es seinen Lauf nehmen. Also lass ihn machen und wir überlegen, was sich daraus machen lässt.“

„Einverstanden“, stimmte il caskar nach kurzem Überlegen zu. „Wir nutzen es zu unseren Gunsten.“

 

Ort:    Psyche, Berlin, im Polizeipräsidium

„Wie wollen Sie das zu Ihren Gunsten nutzen, Herr Polizeipräsident? Es sind doch nur Fotos.“

Jörgensen, ehemals Chef der Berliner politischen Polizei und jetzt Polizeipräsident von Berlin, sah den Kriminalrat Renatus verdattert an. „Ja aber … Erkennen Sie denn die Frau auf den Fotos nicht, Renatus?“

Der schüttelte den Kopf und der Polizeipräsident seufzte. „Sie müssen mehr in die Gesellschaft gehen, Renatus. Sie kapseln sich ab. Diese Frau, die hier nackt zu sehen ist, hat letztes Wochenende geheiratet.“

„Dann muss man ihr gratulieren. Jetzt wird sie solche Bilder nicht mehr nötig haben. Obwohl das schade ist. Sie ist sehr schön. Vor allem nackt.“

Der Polizeipräsident drohte mit dem Finger. „Ich weiß nicht, ob die Sitte bei Ihnen in den richtigen Händen ist, Renatus. Die vielen leichtlebigen Frauen, die Sie alle anschmachten. Wer soll da stark bleiben?“

„Sie vergessen, lieber Graf, dass ich bereits mit zwei Frauen verheiratet bin. Das ist Weiblichkeit genug.“

Der Polizeipräsident lachte. Dieser Renatus und seine Witze. Der war der eingefleischteste Junggeselle, den man sich vorstellen konnte. Und der begehrteste. Ohne das scheinbar zu merken. „Geben Sie mir die Fotos“, bat er stattdessen. „Ich bin mit dem Reichsführer SS zum Essen verabredet. Die werde ich ihm zeigen. Er wird prächtig verdauen, wenn er sie gesehen hat.“

Nur Renatus Lächeln zeigte, dass genau das seine Absicht gewesen war, als er die Bilder übergab.

Ort:    Psyche, Berlin, Grunewald, Villa Eberbach

il caskars Mutter übergab die Bilder.

Die andere Frau betrachtete sie.

il caskars Mutter betrachtete derweil diese Frau.

Die sah wie ihr eigenes Ebenbild aus. Nur älter.

Diese Ähnlichkeit würde der Psychanerin jedoch verborgen bleiben. Genau wie die Gleichheit der Namen, die beide Frauen trugen. Beide waren sie Gattinnen eines Generalobersts von Eberbach. Der Gatte der älteren Frau war Kommandant des Berliner Wehrkreises. Der der jünger aussehenden, einer der mächtigsten Götter des Hohen Rates. Und il caskars Vater.

Nun galt es, il caskar auf Psyche Eltern zu verschaffen.

Es passte alles, dachte il caskars Mutter. Vielleicht also eine Chance, den Fluch des Herzogs zu kompensieren?

Wenn die andere Frau von Eberbach mitspielte.

Die betrachtete die Fotos schon eine ganze Weile. „Sind Sie sich sicher?“, fragte sie.

Die lächelte. „Hören Sie auf Ihre innere Stimme. Sagt die Ihnen nicht, das könnte Ihr Sohn sein?“

„Leider bin ich nie in der Lage gewesen, meinem Mann Söhne zu schenken“, bedauerte die Psychanerin.

Die jüngere Frau lächelte. Die Kinderlosigkeit dieser Ehe war ihr vertraut. Schließlich lag die in ihrer Verantwortung. Sie war die Göttin des weiblichen Herdfeuers. Und der weiblichen Fruchtbarkeit. Überall im Multiversum. Manchmal können Götter auch Dinge zu ihrem Vorteil nutzen, die sie nie geschehen ließen. Hier war das dringend notwendig.

Nicht im Interesse der Psychanerin. Aber im Interesse der Göttin.

„Er wird Sie auf jeden Fall als Mutter erkennen“, warb die Göttin bei der Sterblichen um Unterstützung. „Sie ähneln seiner Mutter verblüffend. Vertrauen Sie mir einfach.“

„Und mein Mann? Was soll ich dem sagen, wenn wir plötzlich ein erwachsenes Kind haben.“

„War es nicht ihr Mann, der nicht auf die Hochzeitsnacht warten konnte? Dann wird er auch den Rest der Geschichte verstehen.“

„Welcher Geschichte?“

Die jung scheinende Frau erzählte sie ihr. Eine Geschichte, die in Zeiten, die nur verheiratete Mütter tolerierte, oft vorkam. Eine Geschichte, die alles erklärte.

Frau von Eberbach lauschte immer erstaunter dieser unbekannten Dame und erkannte: Genau so könnte es gewesen sein. In vornehmen Familien kommt so etwas manchmal vor. Sie kam aus einer der vornehmsten. Ihr Mann ebenfalls. Also musste er es verstehen.

„Wenn er es aber nicht versteht?“, äußerte sie ihren letzten Zweifel.

Die Göttin lächelte. „Wenn er es nicht versteht, dann ist er nicht ihr Mann. Das wird also nicht geschehen. Aber zu Ihrer Sicherheit verspreche ich Ihnen: Versteht er es nicht, werde ich Ihnen die Hilfe geben, die Sie von ihm erwarten konnten.“

Das beruhigte die Frau.

Ort:    Psyche, Berlin, Grunewald, Villa Kowalski

„Es beruhigt mich ungemein, dass du mir hilfst, eine bessere Kämpferin zu werden als Bcoto“, sagte Ala Skaunia.

Keuchend. Sie war nackt und sie war außer Atem. Aber nicht, weil sie mit Kowalski Sex hatte, der ebenfalls nackt und außer Atem war. Nein. Beide kämpften. So etwas kommt in einer ehelichen Gemeinschaft schon mal vor. Aber sie bewarfen sich nicht mit Haushaltsgegenständen, sondern übten sich in echter Kampfkunst. Mit Schwertern, Äxten und anderen geeigneten Gegenständen.

Ala Skaunia war inzwischen viel schlanker und sportlicher, als zu ihrer Zeit in der Community il caskars. Auch wegen solcher Übungen.

Der Keller der Villa Kowalski war erstaunlich, hatte sie festgestellt. Es gab ein Schwimmbecken und eine große Tatami. Auf der stand Kowalski auch noch nach Beendigung der Kampfübungen, während Ala Skaunia bereits ins Schwimmbecken gesprungen war. Ihre Fähigkeiten zu schwimmen waren so gut, dass sie ihre Nacktheit Kowalski wie auf einem Bett liegend darbieten konnte.

Der wusste, was unweigerlich geschehen musste, wenn er auch ins Becken sprang. „Bist du nicht erschöpft vom Kampftraining“, fragte er in einem Ton, als hoffe er darauf.

„Du kannst wohl nicht mehr? Das, was ich mit dir vorhabe, kann ich immer.“

„Dann bist du ja stark genug, nach Bcoto zu suchen, um mit ihr zu kämpfen“, stichelte Kowalski.

„So stark bin ich noch nicht. Mit dir nehme ich es aber allemal auf.“ Dabei zeigte sie Kowalski die möglichen Schlachtfelder an ihrem Körper.

„Tut mir leid“, bedauerte der, „der Oberstleutnant Kowalski ist noch nicht kampfbereit.“

Ala Skaunia war näher herangeschwommen, um den potenziellen Gegner in Augenschein zu nehmen. Ging aber nicht. Kowalski hatte die Hände davor. Also zog sie die weg. „Von wegen, nicht kampfbereit“, neckte Ala Skaunia. „Deine Armee ist groß genug. Du bist nur zu feige, dich dem Kampf zu stellen.“

Ort:    Psyche, Berlin, Parteizentrale der Nazis

„Er wird sich der Polizei stellen?“, fragte der Reichsmarschall erstaunt.

Ether nickte. „So ist es ausgemacht. Er wird sich an die Abmachungen halten. Der Mann ist ein kompletter Idiot. Warum der nicht in der Klapsmühle ist, weiß ich nicht. Umso besser für uns.“

„Es darf keine Fehler geben, Ether. Der Führer vertraut uns.“

„Das weiß ich, Reichsmarschall. Haben wir dieses Vertrauen schon mal enttäuscht? Nein.“

„Die Listen sind fertig?“, fragte der Reichsmarschall.

Ether nickte. „Die Listen ja, die Lager noch nicht ganz. Es werden erst einmal Provisorien sein, in die wir unsere Feinde sperren. Und das ist gut so.“

„Das ist gut so?“, wunderte sich der Reichsmarschall.

Ether lächelte. „Improvisieren heißt nicht, Möglichkeiten zur Flucht zu haben. Die sind ausgeschlossen. Die Lager werden die Gefangenen selbst errichten. Das spart uns Zeit und Geld. Bei der Bewachung sind wir uns einig? Die übernimmt die SS? Gut. Dann muss ich meine Truppe weiter ausbauen. Für so viele Aufgaben habe ich zu wenige Männer.“

„Dann bauen Sie Ihre Truppe aus. Das wollten Sie doch schon immer, Ether.“

Ort:    Psyche, Berlin, Villa Krüger

„Nicht nur Ether weiß davon, der Reichsmarschall auch“, bestätigte Takhtusho. „Ich habe sie belauscht. Ether war beim Reichmarschall. Sie zu belauschen, war nicht weiter schwer.“

„Was haben die für einen Plan?“, fragte il caskar.

Takhtusho erklärte es.

„Der könnte glatt von mir sein“, nickte il caskar anerkennend, als er alles gehört hatte.

„Ist er aber nicht. Sie sind von ganz allein darauf gekommen. Bosheit können Menschen auch ohne uns. Dazu benötigen sie keine göttliche Inspiration.“

„Spricht da Sakania oder Takhtusho?“

„Beide.“

„Du findest es nicht gut, was sich in Deutschland anbahnt? Konzentrationslager und so.“

„Hattest du das auf Terra Nostra auch vor?“

„So etwas Mickriges? Nein. Was ich vorhatte, war viel größer. Zuerst sollten alle Halblinge ausgemerzt werden. Götterkinder, die nicht länger als ein- oder zweihundert Jahre leben können und dabei auch noch altern, sind lebensunwert und müssen sterben. Haben wir die vernichtet, müssten alle Götter daran glauben, die sich meiner Meinung in den Weg stellen.“

„Gegen die hättest du schon vorher kämpfen müssen. Meinst du, sie hätte sich den Tod ihrer Kinder gefallen lassen? Eigentlich kämpfen wir schon lange gegen die anderen Götter. Und wir haben diesen Krieg schon verloren, denn von unserer Community gibt es nur noch dich und mich.“

„Und unsere Community auf der Terra Nostra?“

„Die Gruppe hat sich aufgelöst.“

„Die hat sich aufgelöst? Die Schweine haben einen heiligen Eid geschworen. Auf meinen Hammer.“

„Dein Hammer hat sich auch aufgelöst. Weißt du noch? Bcoto hat ihn kaputt gemacht.“

„Und damit meine Community zerstört?“ Das wurde il caskar erst jetzt bewusst. Wir wissen ja, er sah nur, was er sehen wollte. Für ihn Unangenehmes gehörte nicht dazu. Es sei denn, jemand stieß ihn mit der Nase hinein, wie Takhtusho gerade.

il caskar ging ans Fenster und sah hinaus. Wütend, aber auch ratlos. „Das wird sie mir büßen“, murmelte er nach einer Weile. „Mit ihrem Leben wird sie die Vernichtung meiner Community bezahlen.“

Er sah noch in der Scheibe, dass Takhtusho plötzlich hinter ihm stand. Danach hatte er einen viel besseren Blick aus dem Fenster. Von ganz weit oben. Von Takhtushos ausgestrecktem Arm aus. „Wage es, meine Schwester auch nur anzufassen. Du bist schwach. Sie ist stark. Ich bin stark. Vergiss das nie.“

Es krachte, als il caskar im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Boden der Tatsachen und auf dem seiner guten Stube ankam.

Er drehte sich zu Takhtusho um. Der sah erschreckend aus in seinem Zorn. Er schien noch größer als sonst zu sein und seine dunklen Augen loderten.

il caskar verfluchte es, so schwach zu sein. Nicht einmal Takhtusho konnte er beherrschen? Dann lächelte er. Dazu brauchte man keine körperliche Stärke. Nur geistige.

„Ich freue mich, dass du immer noch die Loyalität besitzt, die dich einst in unsere Gruppe brachte“, strahlte er ihn an.

Takhtushos ausdrucksstarkem Gesicht war deutlich anzusehen, dass er il caskars Reaktion nicht verstand. „Loyalität?“, fragte er nur.

„Dieses Fremdwort sagt nichts anderes, als das man zu denen hält, die einem wichtig sind. Deine Schwester ist dir wichtig. Das weiß ich. Also habe ich dich provoziert, indem ich sie bedrohte. Bin ich dir noch wichtig?“

„Wenn du Bcoto wehtust, bist du es nicht.“

„Siehst du sie irgendwo? Bedrohe ich sie? Nein. Also, bin ich dir wichtig?“

„Ja.“

„Gut, das wollte ich hören. Ich brauche dich viel mehr, als deine Schwester. Ich bin schwach. Du bist stark. Also beschütze mich.“

„Wo willst du hin?“

il caskar lächelte.

„Dorthin, wo alles beginnen wird.“

Ort:    Psyche, Berlin, Villa Eberbach

„So hat es begonnen? Weil ich nicht auf die Hochzeitsnacht warten konnte?“

Sie nickte.

„Wir haben also einen Sohn, den deine Familie vor mir versteckt hat, weil wir noch nicht verheiratet waren, als er geboren wurde? Deine Familie hat ihn dir weggenommen und später auf eine Kadettenanstalt geschickt?“

„Sie hatten Angst, du heiratest mich nicht, wenn du es erfährst“

Generaloberst von Eberbach nahm seine Frau in den Arm. „Es tut mir leid. Ich wusste nicht, was du durchgemacht hast. Aber ich bin stolz auf dich.“

Mit dieser Reaktion hatte sie überhaupt nicht gerechnet. „Du bist stolz, dass ich ein uneheliches Kind habe? Das ist eine große Schande für deine Frau und damit auch für dich.“

„Wir werden die Sache gemeinsam zu einem guten Ende bringen. Indem wir es legitimieren, sollten wir es finden. Er ist dein Sohn. Er ist mein Sohn.“

„Sicher?“

Er hielt sie ganz fest. „Du hast mich noch nie belogen. Da bin ich mir ganz sicher. Außerdem liebst du mich, also kommt ein anderer Mann als Vater des Kindes nicht in Frage.“

„Weil ich nicht schön genug für andere Männer bin?“, fragte sie kokett.

Diese Frage hatte der General oft beantwortet. Immer mit der gleichen Antwort: „Du bist die schönste Frau, die ich kenne.“

„Obwohl ein stattlicher Offizier wie du so oft von schönen Frauen angeschmachtet wird, die sich leicht erobern ließen.“

„Leichte Eroberungen haben mir noch nie gefallen. Du warst mein schwerster Sieg.“

„Trotz der vielen Schlachten, die du geschlagen hast?“

„Die anderen waren rein militärisch und deshalb leicht zu gewinnen.“

„Keine Frauen?“

„Keine Frauen.“

Die innige Zweisamkeit der beiden wurde durch das Läuten des Telefons unterbrochen. Telefone haben bekanntlich die Angewohnheit, sich genau solche Situationen auszusuchen, um sich bemerkbar zu machen.

Der General nahm den Hörer ab und sagte knapp: „Generaloberst von Eberbach.“

Dann lauschte er eine ganze Weile der aufgeregten Stimme am anderen Ende der Leitung. Zwischendurch fragte er: „Und der Stadtkommandant von Berlin oder die Berliner Polizei?“ Hörte aber wahrscheinlich eine verneinende Antwort, denn er versicherte: „Gut, ich gebe meinem Fahrer Bescheid und bin so schnell wie möglich bei Ihnen. Bitte? Sie holen mich ab? Einverstanden. Was, Sie fahren Ihren Wagen selbst, Kowalski? Wie Sie wollen. Ich warte draußen auf Ihre Ankunft.“

„Du musst noch mal weg?“, fragte sie besorgt, als sie sah, wie ihr Gatte nach seinem Mantel griff.

„Irgendeine große Schweinerei ist in Berlin im Gange. Nein, ich weiß auch nicht, was für eine. Kowalski hat gesagt, ich solle rausgehen. Man könne es sehen.“

Seine Gattin folgte ihm, als er nach Draußen ging.

Kowalski hatte recht. Berlin war viel heller als sonst in der Nacht. Ein gewaltiges, unstetes Licht erhellte den Berliner Nachthimmel.

Die Stirn des Generals verfinsterte sich. „So ein Licht kenne ich aus dem Krieg. Es ist das Licht einer brennenden Stadt.“

Seine Frau sah ihn erschrocken an. „Du meinst, jemand hat Berlin in Brand gesteckt?“

Ort:    Psyche, Berlin, vor dem Reichstag

„Dass er den Reichstag in Brand stecken wollte, ist ja nun keine Überraschung“, maulte Takhtusho, der il caskars Begeisterung über diese Tat nicht teilen konnte.

„Mehr konnte man von diesem Spasti nicht erwarten. Ganz Berlin anzuzünden wäre besser gewesen. Aber der Reichstag, das Symbol der Demokratie … Wer jetzt nicht versteht, dass es mit der zu Ende geht, ist selbst schuld.“

„Ich denke eher, mit dir geht es zu Ende“, kam die Antwort. Aber nicht von Takhtusho.

il caskar drehte sich auf diese Worte erstaunt um. „Ala Skaunia. Du weißt gar nicht, wie ich mich freue, dich zu sehen. Möchtest du uns nicht vorstellen?“, fragte er mit Blick auf den Oberstleutnant, der in voller Uniform neben seiner Exfrau stand.

„Darf ich dir den ehemaligen Oberstleutnant von Krüger vorstellen, Schatz? In unserer Welt nennt er sich il caskar. Was er als Gott der Krieger verstanden wissen will. Aber er ist bei Weitem kein so großer Krieger wie du.“

Der sah nur stumm auf den mittelgroßen Mann mit mittelblondem Haar, das in der Mitte gescheitelt war. Er fand nichts Großes an ihm, eher nur mittelmäßiges. Und er konnte sich nicht vorstellen, was Ala Skaunia an ihm einmal gefunden hatte.