Vater und Sohn unterwegs - Heðin Brú - E-Book

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Heðin Brú

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Beschreibung

Heðin Brú, der wichtigste Autor der Färöer-Inseln, erzählt von dem alten Fischer Ketil, der Schulden von einer Walfleischauktion hat und alles Mögliche unternimmt, um sie zu begleichen. Er muss feststellen, dass der Fortschritt auch auf den abgelegenen Färöern Einzug hält und dass er nicht mehr recht Schritt halten kann. Trotzdem kämpft er einen tapferen Kampf um seine Ehre, die er sich nicht nehmen lassen will. Brú beschreibt kraftvoll und zugleich mit großem Einfühlvermögen Ketils persönlichen Spagat zwischen Tradition und Moderne.

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Das Buch

Ein kleines färöisches Dorf in den Dreißigerjahren: Im Fjord haben sich Grindwale verirrt, und eine Treibjagd steht bevor. Der alte Fischer Ketil ersteigert übermütig und vom Alkohol angestiftet für einen horrenden Preis einen Wal und verschuldet sich. Nun hat er bis zum Ende des Jahres Zeit, das Geld abzubezahlen. Gemeinsam mit seinem Sohn Kalvur, dem jüngsten seiner elf Kinder, sucht er Wege, seine Schulden zu begleichen. Am Ende muss er schweren Herzens und gegen den Willen seiner Frau seine einzige Kuh verkaufen.

Der spartanische und bodenständige färöische Alltag des Fischers und die Generationenkonflikte, denen er und seine Kinder ausgesetzt sind, werden im Roman erzählt. Dies geschieht zugleich auf brutal-harte und ebenso einfühlsame Weise und in klarer, präziser Sprache.

Der Autor

Heðin Brú (1901–1987), eigentlich Hans Jacob Jacobsen oder Hans Jákup í Stovuni, stammt aus dem Ort Skálavík, der am östlichsten Zipfel der färöischen Insel Sandoy liegt. Brú fuhr als junger Mann als Fischer zur See und arbeitete als Landwirtschaftsberater auf den Färöer-Inseln. Heðin Brú ist heute ein färöischer Klassiker, und es gelang ihm, die färöische Sprache auch als Literatursprache zu etablieren. Er schrieb neben einigen kurzen Romanen zahlreiche Erzählungen, war Mitherausgeber der Literaturzeitschrift »Varðin« und übersetzte u. a. William Shakespeare ins Färöische.

Heðin Brú

VATER UND SOHN UNTERWEGS

Aus dem Färoischen und mit einem Glossar von Richard Kölbl

Mit einem Nachwort von Klaus Böldl

Ullstein

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ISBN 978-3-8437-1387-0

© für die deutsche Ausgabe 2015 Guggolz Verlag, Berlin© des Originals für die Erben von Heðin Brú:Barður Jákupsson, HoyvíkGuggolz VerlagTitel der färöischen Originalausgabe:

Feðgar á ferð (Tórshavn, Varðin, 1940)

Umschlaggestaltung: zero-media.net, München, nach einer Vorlage von Mirko Merkel, unter Verwendung einer Zeichnung von Valeria Gordeew

E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

I

Es liegt eine Schule von Grindwalen im Seyrvágsfjord, eine Anzahl schweigender Wale, die ihre Kreise ziehen und zum offenen Meer streben, da hier ihr Revier nicht liegt; Männer haben sie von ihrer Zugbahn in die Ferne abgedrängt und in die Enge getrieben.

In Seyrvágur sind alle auf den Beinen. Autos, vollgepackt mit Menschen, kommen von der anderen Seite der Insel über den Berg herab und drängen sich hupend zwischen den Häusern, vollbesetzte Boote durchpflügen den Fjord und setzen ihre Passagiere an Land ab. Jeder Trampelpfad zwischen den Ortschaften ist gesäumt von Färingern, die im Laufschritt nach Seyrvágur streben. Aus allen Richtungen strömen Menschenmengen in dem sich füllenden Ort zusammen. Auf jedem freien Platz um die Häuser scharen sich die Massen. Sie fluten die Treppen hinauf in die Häuser, ergießen sich auf die Wege hinaus, auf die Landungsbrücken und die Boote. Eine große, tatkräftige Schar breitgewachsener Grindwalfänger.

Da sieht man alte, gedrungene Männer, die von Kopf bis Fuß in zweifach übereinander gezogener Lodenmontur stecken, hartgewalkt, eine Kapuzenhaube um die Schultern, ein Tuch um die Schuhe und mit Schlagseite von schweren Schlachtmessern. Das sind die, die mit Rudern und auf den Trampelpfaden zwischen den Ortschaften aufgewachsen sind. Für sie war jedes Verlassen ihrer Ortschaft eine weite und gefahrvolle Reise in die Fremde. Sie sind für gefährliche Kämpfe auf See gerüstet, und ein Hauch von schlechten Zeiten umgibt sie. Diese Männer stapfen schwer drein, machen wenig Lärm, brauchen wenig Worte.

Dort sieht man junge Männer in Pullover und Overalls gekleidet, mit Schirmmützen auf dem Kopf. Sie sind so, wie sie gerade waren, von zu Hause aufgebrochen, denn es war ja bloß ein Ausflug zum Grindwalfang nach Seyrvágur. Sie sind es, die die Straßen und die Landungsstege angelegt haben und die gelernt haben, mit Motoren umzugehen und Decks in Boote einzuziehen. Diese Männer messen Zeiten und Strecken anders als die Alten. Ihre Wege sind schneller zurückgelegt und die Tage ausgefüllter als die der Alten. Und diese Männer treten leichter auf und haben ein heitereres, unbefangeneres Gemüt als die Alten.

In Seyrvágur springen alle Türen auf, und freundlich dreinblickende Seyrvinger stehen auf den Treppen und laden ein: »In Gottes Namen steht nicht draußen herum, kommt herein und esst was.« Und so füllten sich die schmalen Räume der Häuser, aber die Räume im Herzen fühlten keine Enge.

An dem Morgen, an dem die Nachricht von den Grindwalen kam, standen Ketil und sein Sohn Kálvur auf der Wiese bei der Heuernte. Als sie die Rufe hörten, warfen sie augenblicklich ihre Sensen beiseite und eilten zum Haus. Längst waren da schon die Motoren der Autos angelassen, und am Landungssteg tuckerten die Motorboote. Ketil aber war der Meinung, dass sie zu Fuß gehen sollten: »Das Geld können wir woanders besser gebrauchen«, meinte er. Kálvur gefiel die Aussicht, über die Berge zu gehen, gar nicht, doch Ketil versuchte ihn zu überzeugen: »Du bist doch dumm bist du, Geld für diese Autos da auszugeben.« Er strich mit der Hand den Oberschenkel hinunter und breitete die Arme aus: »Wenn wir das Geld sparen, um davon Grindwalfleisch zu kaufen, dann bekommen wir ein Stück Walspeck, so dick wie von hier bis da.« Das wühlte Kálvur ordentlich auf und er war bereit zu gehen.

Sie ziehen sich warm an, binden sich einen Fanghaken, einen Walspeer sowie Leine, Treibsteine und Harpunen um und dann los.

»Vater, sieh wie schnell die Autos fahren«, sagt Kálvur voller Neid und geht gebückt unter seiner Last.

»Denk an den Speck, mein Kind, und beklage dich nicht, wir werden schon nach Seyrvágur kommen, auch der bedächtig geht, kommt weit. Jetzt werden wir schön langsam zum Bergpass Hálsur hinaufsteigen. Wir haben keine Eile. Gewöhnlich gehts auch mit der Grindwaljagd im Seyrvágsfjord nicht eins-zwei-drei.«

»Sollen wir nicht lieber doch den richtigen Weg nehmen, Vater?«, fragt Kálvur und stößt mit den Zehen an einen Stein.

Nein, das wollte Ketil nicht. »Dieser alte Pfad ist mein Lebtag gut genug gewesen, so wird er uns auch heute taugen.«

Kálvur lässt sich überzeugen, und so schleppen sie sich unter ihrer Last weiter voran. Ketil seufzte tief und stöhnte: »Oh gebe der Herr, dass man diese Grindwale erlegt, darum bete ich. – Nein, ich hab keine Kraft mehr, die Füße zu rühren, es ist völlig sinnlos, ich bin schweißgebadet. – Oh gebe der Himmel, dass die Grindwale erbeutet werden, das wünschte ich. Oh ja, dies wird das letzte Mal sein, dass ich zur Grindwaljagd reise, das seh ich.« So jammert der Alte vor sich hin und schleppt seine schwere Bürde den Berg hinauf, aber den ordentlichen Weg nehmen – im Leben nicht!

Sie kommen nach Seyrvágur und hinunter auf einen Anleger. Hier wird ein Boot gerade mit Wurfsteinen zum Waltreiben beladen: »Können wir mit euch mit?« »Aber klar!« So hieven sie ihre Lasten in das Boot und packen mit an.

Eben als sie alles verladen haben, wird es an Land lebhaft, man hört erregte Stimmen vom Ort her und von Stórá eilt eine Menschenmenge heran. Während sich die Menge den Weg Bakki entlangbewegt, schließen sich ihr immer mehr an, und als sie bei den Bootshäusern angekommen sind, ist das ganze Dorf dabei. An der Spitze geht der Grindwal-Anführer, ein stattlicher, kräftiger Mann aus Seyrvágur. In einer Hand hat er einen Walspeer, in der anderen einen Lammschenkel. Er hats recht wichtig, schreitet gravitätisch und fest einher, er hat eine schwere Arbeit vor sich, nun gilt es zu zeigen, was er sowohl als Grindwalfänger als auch als Mann aus Seyrvágur taugt. Er springt ins Boot und stößt ab: »Jetzt fahren wir zu dem Treiben.«

Die Boote setzen sich in Bewegung. Die Motoren schnurren, die Dollen knarren, Segel blähen sich im Wind. So fährt die gesamte Flotte hinaus zu den Grindwalen.

Ketil und Kálvur sind in einem Boot für sechs Männer untergekommen, das Trøllið, der Troll, heißt. Der Alte ist vom Fußmarsch völlig erschöpft und bittet die Bootsleute, ihn vom Rudern auszunehmen. – Das ist doch klar. – Dann lässt er sich auf den Hecksitz nieder, spuckt über das Wasser hinweg in ein anderes Boot und sagt: »Setzt mich an Land ab, sobald ihr beim Hólmi draußen seid. Beim Schlachten werd ich wohl zu nichts mehr gut sein können. Aber wenn mir ein Wal am Strand vor die Füße kommt, dann könnt es schon sein, dass ich ihn in die ewigen Jagdgründe befördere.«

»Ans Land bringen wir Euch noch«, versicherten die Männer. Einer bittet ihn um ein Priem. »Ja, ja, natürlich«, er fängt an, in seiner Westentasche zu suchen, »das Stück Kautabak an Bord gehört in solchen Fällen allen.«

Die Männer sitzen da und wägen ihre Erfolgsaussichten bei den Grindwalen ab. Kálvur sitzt nur dabei und lauscht gespannt ihren Gesprächen, beteiligt sich aber nicht daran. Wenn sie ihn ansprechen, antwortet er leise, senkt den Blick und läuft rot an. Er hätte ja zu gerne gewusst, wo der Grindwal nun war, aber er brachte die Frage nicht heraus, denn vielleicht wars ja seltsam, vielleicht wussten es alle sowieso schon, oder vielleicht war es komisch, danach zu fragen, wo die Grindwale waren – aber sie waren doch nicht immer am selben Ort. Nein, besser wars, sich zurückzuhalten und nichts zu sagen, denn das waren fremde Männer. Stellte er eine dumme Frage, würde er sich noch zum Gespött machen. Er konnte es sich schon ausmalen, was sie ihm geantwortet hätten: »Die Grindwale sind bei Seyrvágur«, hätten sie gesagt. »Das weiß ich, aber wo bei Seyrvágur?« – »Im Fjord«, worauf sie in schallendes Gelächter ausgebrochen wären. Ein anderer hätte hinzugefügt: »Nein, droben im Ort sitzt unser Grindwal, mit verschränkten Armen am Haus Ólavsstova.«

Kálvur ärgerte sich im Stillen, als Fremder auf diese Art behandelt zu werden: »Dann hätten sie mich doch besser gar nicht erst mit aufs Boot genommen, ich wär schon auch bei anderen als diesem groben Haufen untergekommen.«

Die Grindwalschule treibt still vor Selvík, als die Boote sie erreichen. Der Bezirksvorsteher fährt zu denen hinaus, die tagsüber Wache gehalten hatten, kehrt anschließend zurück, und die Boote bringen sich in Position für die Treibjagd.

Die Walschule schwingt mit den Wellen auf und ab, dicht aneinandergedrängt halten die Wale ihre bulligen Köpfe aus dem Wasser, dümpeln senkrecht dahin, sinken wieder zurück, heben sich zum Atmen heraus, sinken wieder zurück, so geht es die ganze Zeit. Manchmal werden sie ein wenig zueinandergetrieben und scheuern sich aneinander. Dann knarzt die Walhaut und die alten Männer spitzen die Ohren, um dieses Geräusch besser zu hören, dieses wunderbare, verheißungsvolle Geräusch von der reichen Beute, die von dem mächtigen, geheimnisvollen Meer zu ihnen hereingekommen ist.

Langsam nähern sich die Grindwalfänger, die Treibsteine in der Hand, dann werfen sie die Steine, um die Wale vor sich herzutreiben. Die Wale schrecken zusammen, schlagen ihre Fluken hoch über den Rücken und tauchen ab. Die Boote halten an: »Wo werden sie wohl wieder heraufkommen?« – Ah dort, draußen bei Múli kamen sie wieder in Sicht und hielten auf den Fjordausgang zu. Die Boote setzten ihnen nach, die Schule strebte mit unvermindertem Tempo auf die enge Bucht an dem kleinen Felseiland Tindhólmur zu, aber so schnell, dass ihr kein Boot folgen konnte. Als die Wale die Landnähe wahrnahmen, drehten sie langsam wieder meerwärts, doch dort schnitten ihnen die Boote den Weg ab und konnten sie so aufhalten. Darauf wandte sich die Walschule erneut landwärts und bewegte sich an der Längsseite des Felseilands entlang. Das Land war gesäumt von Leuten, die mit großen Augen zuschauten. Ein wunderschöner Anblick, die Wale elegant und schnell vorübergleiten zu sehen, dicht an dicht, alle gleich schnell, alle auf demselben Kurs.

Die gedrungenen Köpfe tauchten aus dem Wasser auf, man hörte ihr Blasen, die Finne schoss aus dem Wasser, sie ragte am Rücken auf, man konnte sie von weit her über dem Meer erkennen. Man hörte es rauschen, die Wellen brachen sich an ihren Stirnen und ihre Vorderflossen wühlten bläuliche Schaumstreifen im Meer auf, dann tauchten sie für eine Weile wieder unter, so ging es eine ganze Zeit lang. So zielstrebig und sicher bewegen sie sich, dass es einem vorkommt, als wähnten sie sich nunmehr wieder im offenen Meer, als hätten sie die Engstelle vergessen und träten jetzt wieder ungehindert ihren Weg in die Weite des Meeres an. Aber da stand ihnen der Fels im Weg, sie mussten am westlichen Schärengebiet meerwärts. Und abermals waren da Boote, und die Grindwalschule drehte noch einmal dieselbe Runde. Dieses Mal fuhr ihnen ein Boot in hohem Tempo entgegen, der Mann richtete sich auf, ging nach vorne, warf die Harpune und traf. Der Nachzügler der Schule ließ eine gewaltige Wasserfontäne aufsteigen, tauchte blitzschnell ab, eine Blutspur hinter sich herziehend, und drängte sich in die Gruppe vor ihm. Das schreckte die Walschule auf, machte sie rasend wild und sie nahm gehörig Fahrt landeinwärts auf. Die Küstenlandschaft bei Tindhólmur ist aber so beschaffen, dass nichts an den Strand gelangt, Felsen stehen im Weg, deshalb mussten die Wale wieder meerwärts hinaus. Diesmal kamen sie rasend vor Erregung zurück. Doch da eilte ihr die innerste Bootsreihe entgegen, worauf sich die Schule erneut zurück landwärts wandte. Diesmal griffen alle Boote an und stachen mit den Waffen in der Hand auf sie ein.

Ketil saß auf einem Hügel und verfolgte das Geschehen. Er war höchst angespannt, die Augen so weit wie möglich aufgerissen, und er fuchtelte mit den Armen in der Luft herum. Jedes Mal, wenn die Grindwale sich landwärts wandten, stärkte das sein Vertrauen: »Der Herrgott wirds uns schon recht machen. – Stecht zu, Männer, gut so, stecht zu! Wo ist Trøllið, wieso folgen sie ihnen nicht auf die Fluke? Herrgott, jetzt gehen die Wale ja wieder rein zum Strand.« Da stach der erste zu. Ketil richtete sich auf: »Mach hin, hau ihm das Eisen hinein, gib ihm den Rest«, schreit er mit erhobenen Armen und stampft mit den Hacken auf. Da sah er, dass das Blut in Strömen floss: »Da kannst du mal sehen, gut getroffen. Das waren ganz sicher Männer aus Vestmanna.« Und dann verlangte er lautstark, dass die anderen die Vestmanna-Leute ganz nach vorne ließen, da sie die flinksten mit der Harpune seien. Und er war so völlig außer sich vor Aufregung, dass er auf dem Gras herumrutschte und ganze Büschel aus der Erde riss. Aber als die Grindwale dann wieder wie rasend meerwärts zogen, raubte ihm das alle Zuversicht, und er betete, dass alle guten Geister ihm beistünden, dass die Beute nicht wieder ins Meer hinaus entkommen möge: »Ach, der gottgesegnete Speck.«

Die Wale zogen immer engere Kreise zwischen den Booten, wobei mehr und mehr von ihnen einen Stich abbekamen und dicke Blutströme hinter sich herzogen. Das Meer färbte sich allmählich rot, Schlamm wurde vom Grund aufgewirbelt, und nicht lange, da verlor die Grindwalschule die gemeinsame Bewegung, die Wale irrten jeder für sich hierhin und dorthin. Den Männern klebte die schweißdurchnässte Kleidung am Körper und sie stachen immer wieder zu. Je mehr Blut sich ins Wasser mischte, umso erregter wurden sie, schleuderten die Harpunen so weit sie konnten, und als die Wale dann unter das Boot gerieten, rammten die Männer die Harpunen noch tiefer hinein und zogen sie anschließend wieder heraus. Manche Wale bekamen so schwere Stiche ab, dass sie nur einmal zuckten und gleich an dem Treffer verendeten. Die meisten jedoch starben nicht sofort: Sie bekamen einen Stich ab, tauchten unter, kamen wieder hoch, bekamen noch einen Stich ab, irrten zwischen den Booten umher und wurden regelrecht zerschunden. Manche Wale sinken vor zunehmender Entkräftung ohne einen Laut auf den Grund hinab; andere kämpfen sich vorwärts, ziehen dabei ihre Eingeweide hinter sich her, sie treiben tief, weil sie voll Meerwasser sind, ihr Blasen gleicht einem langsamen Gurgeln, und schäumendes Blut quillt aus den zahllosen Stichwunden. Bei einem solchen Wal ergreift Mitleid die Grindwaljäger: »Lasst ihn uns erlösen«, sagen sie, löschen sein flackerndes Lebenslicht aus und verkürzen ihm so das Leiden. Die Leute oben am Land werden schweigsam, trotz der Fangfreude befällt sie ein Unbehagen wegen des Mordens, es liegt ihnen schwer auf der Seele, die Wale so zerschunden zu sehen, dieselben Wale, die sie noch kürzlich in solcher Schönheit und geschmeidiger Schnelligkeit hatten kommen sehen und die von der Weite und der Lebendigkeit des Ozeans Zeugnis ablegten. Man sieht Wale, die mit wütender Heftigkeit zwischen den Booten umhertoben, halb aus dem Wasser stehen und plötzlich davonjagen, vor niemandem zurückweichen und sich so rasend gebärden, dass sie wie eine Schäre in der Brandung einen Schaumkranz um sich aufwirbeln. Das sind die gefährlichen Wale, die Schäden und Verluste an Boot und Mannschaft anrichten.

Als das Schlachten allmählich dem Ende zuging, tobten nur noch wenige solcher Wale. Jedes Mal, wenn sie sich den Booten näherten, bekamen sie einen Stich und tauchten ab, plötzlich aber kracht einer halb aus dem Wasser herausstehend gegen die Seitenwand des Trøllið und klatscht mit voller Wucht tot aufs Boot hernieder. Alle sprangen von Bord und retteten sich in andere Boote, nur nicht Kálvur, der war zu langsam und ging mit dem Boot unter.

Das war zu viel für die Leute an Land, die Frauen wandten sich ab und weinten, die Männer versuchten es mit Fassung zu nehmen, aber die Sprache verschlugs ihnen doch und die Augen wurden starr.

Gerade in diesem Moment schalt der am Ufer sitzende Ketil einen jungen Mann aus, der versuchte, einem Wal den Nacken durchzuschneiden, aber er setzte den Schnitt zu weit hinten an, sodass es nicht ging, wie es sollte; das regte den Alten auf. Um seinen Sohn machte er sich keine Sorgen, wenn der am Meeresgrund angelangt wäre, würde er sich schon wieder hinaufstoßen, davon war er überzeugt. »Was für ein Tolpatsch bist du«, ruft er dem Mann zu, der am Nacken des Wals herumstocherte, »trägst ein Messer mit dir herum und schaffst es nicht einmal, einem Wal den Nacken ordentlich durchzuschneiden, säbelst ewig herum wie ein halber Trottel.« Die Grindwaljagd bringt Ketil derart in Wallung, dass er nicht stillsitzen und zusehen kann, wie einem Wal der Nacken unsachgemäß durchschnitten wird, er rutscht übers Gras hinunter und zwischen den Felsen am Ufer hindurch: »Weg da von dem Wal, lass mich schneiden, du Stümper.« Aber der Alte war so ungeschickt und übereifrig, dass ihm das Messer abrutschte und mit der Klinge über einen Stein glitt: »Oh zum Teufel, jetzt habe ich mir das Messer verdorben.«

»Fluch nicht so«, kommentiert ein Missionar, der dabei steht.

»Fluch nicht so«, äfft Ketil ihn nach und starrt ihn an, »ich kann gar nichts anderes mehr als fluchen. Was soll ein richtiger Grindwaljäger denn sonst tun, wenn er seinen Hintern nicht mehr hochbekommt? Still dasitzen vielleicht und nichts dazu sagen, wenn diese Grünschnäbel die Gottesgabe wieder aus ihren Händen dahinfahren lassen? Hab mir außerdem das Messer verdorben, die ganze Schneide ist stumpf geworden.« Aber er schaffte es doch noch, den Wal zu töten.

Das Schlachten war vorbei. Der letzte Wal sank auf den Grund. Eine einsame Blase stieg langsam von ihm auf und verging. Die Männer wischten sich den Schweiß vom Gesicht und setzten die Schutzhülsen auf die Harpunenspitzen. Vom Ozean draußen füllte die Flut die enge Bucht mit frischem Meerwasser, strömte über die toten Wale und wusch ihnen die Wunden sauber. Der aufgewirbelte Schlamm sank ab und legte sich ruhig auf den Meeresgrund. Es klarte auf, die Sonne brach durch und schien über das stille Wasser, über die Insel Vágar, fernblaue Berge und über den grünen Tindhólmur.

Eine Bootsflotte fuhr den Seyrvágsfjord entlang landeinwärts, eine Flotte mit fröhlichen Männern, deren Brust sich stolz schwellte und denen das Herz weit war. Sie brachten die Nachricht über den Jagderfolg in den Ort.

Nun kam der große Auftritt der Schadensgutachter, ihre hohen Stirnen legten sich in behördliche Falten und ihre Ausdrucksweise wechselte zu knappem Amtsfäröisch. Ein Grindwaljäger zeigte ein zerbrochene Schutzhülse für die Harpune vor: »Hier, das ist durch und durch neuwertiges Material, eben abgebrochen, seht ihr.« Das Gedränge war so groß, dass jeder, der hineinwollte, die Menge drinnen noch dichter zusammenschieben musste. Es kam denn auch einer von draußen herein und wollte den mit der Hülse zur Seite drängen, der aber wollte nicht weichen, wurde gar noch böse. Der andere fasste ihn an der Schulter: »Ich glaub, da gibts gute Gründe, dass du mich durchlässt: Ich bin vom Trøllið.« Das sah der mit der Hülse ein und ließ ihn vorbei.

Wieder ein anderer stand da mit einer angeblich zerrissenen Hose: »Ihr seht selbst, eine nigelnagelneue Hose, eine Harpunenspitze hat sie am Hosenbein der Länge nach aufgerissen.« Der alte Schadensgutachter erwiderte: »Gotts Unglück« und begann zu schimpfen: »Ich muss schon sagen, ich bin in meinem ganzen Leben nie so einem Ausbund an Armseligkeit begegnet: nach einer Grindwaljagd Schadensersatz für ein bisschen Stoff zu verlangen.« Der Mann verdrückte sich in der Menge.

Kálvur sprach nicht beim Schadensgutachter vor, obwohl ihm die Schulter aus dem Gelenk gesprungen war und er deshalb sogar zum Arzt hatte gehen müssen. Um Geld zu bitten, kam ihm ausgesprochen seltsam vor: »Keiner weiß, wie sie das aufnehmen, vielleicht krieg ich ja zu hören, dass es meine Schuld sei: Niemand hat dich aufgefordert, den Wal auf dich draufspringen zu lassen. Da mach ich mich vor den vielen Leuten nur zum Gespött.«

Vater und Sohn gingen von Haus zu Haus und schnupperten hinein, versuchten herauszufinden, wo man wohl Grindwal zubereitete, sie wussten nämlich, dass einige Boote einen Kochtopf voll davon mit nach Hause genommen hatten.

Da kommen zwei Männer daher und erzählen, dass sie vom Bezirksvorsteher beauftragt sind, Wale aufzufischen, aber sie sind zu wenig, ob die beiden nicht mitkommen wollten. »Doch, doch, wir sind gerne dabei«, meint Ketil, »aber könntet ihr eine winzige Weile warten, wir wollten gerade eben hineingehen und etwas zu uns nehmen, wir sind so eilig von zu Hause los, dass uns keine Zeit blieb, etwas mitzunehmen.«

»Essen sollt ihr bekommen«, sagten die Männer und zeigten sich gastfreundlich, »kommt mit uns nach Hause.« Dort bekamen sie Brei.

Ketil murmelte in seinen Bart: »Das ist ein Ding, die ganze Lauferei, das Wasser läuft einem im Mund zusammen vor lauter Grindwal – und dann kriegt man bloß Brei.« Aber sie löffelten ihre Mahlzeit auf, dann gingen sie hinunter zum Boot.

Nun dämmert es und es gießt wie aus Kübeln. Sie steigen in ein kleines Ruderboot und hissen das Segel. Es geht eine leichte Brise, sodass sie rasch fjordauswärts gelangen: »Das kommt uns gerade recht«, meinen die Männer und machen es sich bequem, »wir haben keine Lust zu rudern«, stützen ihre Ellenbogen auf die Knie, um zu plauschen. Einer fragt, ob sie nicht in Grindwal für das Auffischen entlohnt würden. Doch, einer wusste zu berichten, dass sie zwei Drittel von einem skinn bekämen. »Oder ist es ein halbes skinn pro Mann, ich erinnere mich nicht mehr.«

Diese Aussicht machte Kálvur so froh, dass er etwas dazu sagen musste: »Da wird es ein gutes skinn für uns beide zusammen, Vater.« Er lachte.

Die Männer im Boot schauten mit großen Augen, sagten aber nichts. Ketil lenkte das Gespräch ab: »Wie ist es mit dir, hast du noch Schmerzen in der Schulter?«

Nein, er hatte keine Schmerzen.

Die Männer fragen, ob er sich bei der Jagd verletzt habe. »Nein, nicht direkt dabei, er ging mit dem Trøllið auf Grund und da ist das Schultergelenk herausgesprungen, aber der Doktor hats wieder eingerenkt. – Und der Doktor war so freundlich, er wollte keine Bezahlung dafür haben.«

»Ja«, sagt einer der Männer auf dem Boot, »das ist er zweifellos, aber er wird nicht von allen geschätzt. Bevor wir losfuhren, habe ich mit einem gesprochen, der war bei ihm gewesen und hatte ihn um ein wenig Spiritus gebeten, aber da hieß es nur: Nie und nimmer.«

»Sein Vorgänger, der war ganz gut, wenn er einen kannte, kriegte man Sprit, wenn man darum bat. Aber der war vielleicht teuer, das kannst du mir glauben.«

Sie erreichen die Bucht Pollin und beginnen aufzufischen; da war die Dämmerung schon weit fortgeschritten und die Flut hatte ihren höchsten Stand erreicht. Es wimmelte bereits von Booten. Sie hatten Fischspeere bei sich, um damit aufzufischen, an den meisten Stellen war es gerade so tief, dass sie mit einer gewöhnlichen Angelrute den Grund erreichten. Andere Stellen waren doppelt so tief. Sie hatten drei Fischspeere mit an Boot, der vierte Mann war fürs Rudern zuständig. Es war zu dunkel, um den Grund erkennen zu können, aber sie ruderten langsam und stakten dabei die ganze Zeit, tasteten sich auf diese Weise vorsichtig vorwärts.

Zuerst stocherten sie mit den Stangen in höchster Anspannung, während der Alte ruderte. Eine Stunde verging, aber sie fanden nichts. Da verloren sie die Lust und Kálvur schlief ein, den Kopf auf die Bootsreling gelegt.

»Schäm dich, Sohn«, tadelt Ketil, »du kannst doch hier nicht schlafen, du bist mit Fremden auf einem Boot, du machst uns Schande.« Er versetzt ihm einen Hieb auf die Schulter. Kálvur schreckt auf, rammt den Fischspeer in den Meeresgrund und erwischt einen Wal. Da kam wieder Leben in ihn: »Halt an, Vater, halt an, ich habe einen Wal getroffen«, und er müht sich ab, die Leine einzuholen. Die anderen halten sich zum Zupacken bereit, haben sich weit über die Reling gebeugt. Da schoss ein großer Wal von unten herauf. In der Finsternis konnten sie ihn nur in seiner ganzen Länge erahnen, so dunkel wie er war, sie rammten ihm die Fischhaken in den Leib und trieben sie mit Steinschlägen weiter tief in ihn hinein. Unvermittelt tauchte aus der Dunkelheit ein Bootssteven auf und hielt direkt auf sie zu. Auf dem anderen Boot trat ein Mann nach vorne und meinte: »Da hätte jetzt aber was Schlimmes passieren können.«

»Nein, nein, das macht nichts, man muss beim Grindwalauffischen mit so was rechnen, und es ist so dunkel, dass man nicht weiter als bis zur eigenen Reling sieht.« Dann war das fremde Boot wieder verschwunden.

Sie rudern mit dem Wal im Schlepptau an Land, ziehen ihm eine Leine durch den Unterkiefer und befestigen diese wiederum an einer Sammelleine, die zwischen den Felsen aufgespannt ist. Dann fahren sie wieder hinaus, um weiter aufzufischen.

Mittlerweile war es kohlrabenschwarze Nacht, der Regen prasselte in der Windstille senkrecht herab. Es gibt nichts, woran man sich orientieren könnte, außer den Bergsilhouetten, die sich gegen den Himmel abzeichneten, und den Lichtern, die einige Boote im Vordersteven angebracht hatten, sowie den blassen Schein der schäumenden Brandung beim meerseitigen Schärengürtel, die ein wenig die Dunkelheit erhellt und im ewigen, nie abklingenden Auf und Ab des Meeres tanzt.

Ketil rudert mit langen, bedächtigen Schlägen. Die regennasse Nacht, das Klatschen der Riemenblätter und das Knarren in den Riemendollen, all das ruft Fantasien in ihm hervor, es war ihm so, als ruderte er eine große Ladung Speck. Ein Boot nähert sich mit einer Laterne vorne, es ist die Frau, die gekommen ist, sich nach ihm zu erkundigen: »Gut gehts, alles steht zum Besten.« – »Du hast ein so schweres Boot, bist du noch immer mit Treibsteinen beladen, du Armer?« – »Mit Treibsteinen, nein, das ist Walspeck, Alte, der reine Walspeck.« – »Das dachte ich mir«, freut sich die Frau, »ich weiß es doch, dass du nicht mit leeren Händen zurückkommen würdest.«

Die anderen beugen sich höchst gespannt hinaus, suchen das Meer ab, tasten am Grund, spüren es, wenn sie sich im Tang verhaken, auf große Felsen stoßen, in die Spalten dazwischen geraten oder in Grundsand stechen. Erspähen sie etwas Helles im Meer, rufen sie jedes Mal Ketil zu, er solle anhalten, es könnte vielleicht ein Wal sein, dem die Eingeweide heraushängen. Der Alte bremst dann augenblicklich ab, aber wenn sie nur Schirmquallen oder von Seepocken übersäte Felsen vorfinden, blinzelt er in den Regenhimmel, saugt sich das Wasser aus dem Bart und macht sich geduldig daran, gegen das Abtreiben anzurudern.

Im Verlauf der Nacht holen sie mehrere Wale ein, finden einen Kurs, auf dem sie immer wieder auf einen Wal stoßen, rudern mit zwei oder drei im Schlepptau an Land zurück und werden mit jedem Mal fiebriger, rufen den anderen Booten Scherzworte zu und brauchen an der Sammelleine am Felsen mehr und mehr Platz.

Als sie einmal eben einen Wal gelandet haben, steigt Ketil an Land, tastet sich die Felsen entlang und verschwindet. Als er wieder zurückkommt, trägt er sein Ölzeug zusammengerollt unter dem Arm.

»Wir haben schon befürchtet, man hört von Euch nichts mehr.«

»Ich hatte schon vermutet, es würde etwas dauern. Bei alten Männern geht das nicht so eins-zwei-drei, sich ein wenig zu erleichtern.«

Er verstaut seine Jacke sorgsam unter der Ruderbank und macht sich wieder ans Rudern. Er war abseits gegangen und hatte sich eine Grindwalniere herausgeschnitten, die er dem Doktor zukommen lassen wollte, dafür, dass dieser Kálvur geholfen hatte.

Als sie wieder nach Seyrvágur kamen, war es heller Tag. »Ketil und Kálvur, kommt mit uns«, sagten die Männer.

Wieder gab es Brei. Sie fluchten heftig im Stillen, hassten alle im Haus von Herzen, trotzdem löffelten sie sich satt. Dann gingen sie hinaus und versuchten in anderen Häusern Grindwalfleisch zu bekommen.

Später am Vormittag begeben sich Vater und Sohn zum Doktor hinauf, klopfen an, wünschen einen guten Tag. Ob der Doktor zu Hause sei?

»Ja, kommt herein, er wird gleich da sein«, sagt das Hausmädchen, »tretet ein in die Stube und nehmt Platz.«

Sie blickten hinunter auf ihre Lederstiefel und zögerten, waren aber andererseits davon überzeugt, ein so großartiges Geschenk mitzubringen, dass es wohl nichts schadete, wenn sie auf dem Teppich ein paar Spuren hinterließen. Also setzten sie sich gleich bei der Tür.

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