Vaterlos - Werner J. Kraftsik - E-Book

Vaterlos E-Book

Werner J. Kraftsik

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Beschreibung

Zwei Menschen büßen dafür, dass sich aus Liebe gnadenloser Hass entwickelt und sie Vaterlos aufwachsen müssen. Versöhnung? Aussichtslos! Oder? Ein Zufallstreffen eröffnet neue Chancen. Kann eine starke Liebe den gewachsenen Hass wirklich überwinden oder führt Indoktrination zu neuem nie enden wollenden Hass? Wer ist bei diesem Kampf Täter, wer Opfer? Es ist der Kampf zwischen der Liebe einer Mutter und der eines Vaters um die Liebe der gemeinsamen Kinder.

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Prolog

Wie viel schädlicher sind die Folgen von Wut und Trauer als die Umstände, die sie in uns hervorriefen!

Marc Aurel, Selbstgespräch, 11.18.8

»Wenn du dich in einem Loch befindest, höre auf zu buddeln«, lautet ein Sprichwort.

Das ist eine häufig missachtete Selbstverständlichkeit.

Wenn etwas schiefläuft, wenn etwas passiert oder etwas für uns Unerwartetes eintritt, machen wir es dadurch noch schlimmer, indem wir blind um uns schlagen und mit Wut oder mit Trauer reagieren, ohne dass wir stattdessen planvoll handeln.

Es wäre vermutlich klüger weder mit Wut noch mit Trauer oder negativen Gefühlen zu reagieren, sondern die Dinge so zu nehmen wie sie sind und einen Ausweg aus der Situation zu suchen und nach einem lösungsorientierten Plan vorzugehen.

Werner J. Kraftsik, Juni 2022 frei nach Ryan Holiday „DER TÄGLICHE STOIKER“

Eigentlich wollte ich nur einen Kaffee trinken, als ich in das nostalgisch wirkende Cafe´, das ich immer wieder gerne aufsuchte, hinein huschte. Es ist eines der ältesten Kaffeehäuser der Stadt mitten in der Innenstadt. Die Wände des Gastraumes sind mit Stoff bespannt und über der Raummitte befindet sich eine Kuppel, die den Gästen und Besuchern das Flair einer Zirkusmanege verleiht. Das Mobiliar dieses Cafés besteht aus Cocktailsesseln und Sofas und die gesamte Einrichtung sieht so aus, wie man es aus den fünfziger Jahren kennt. Ich suchte nach einem Platz, an dem ich in Ruhe meinen bisherigen arbeitsreichen Vormittag Revue passieren und mich innerlich auf die lästige, aber notwendige, Büroarbeit einstellen konnte.

Die junge Frau, deren dunkle, fast schwarzen, Haare zu einem dicken Zopf geflochten waren, der sich von ihrem Kopf abwärts um ihren Hals wie eine dicke dunkle Python schlängelte, die ihren Verdauungsschlaf hält, saß alleine am Tisch. Ihre ausgeprägten weiblichen Attribute, die vermutlich die Aufmerksamkeit vieler Männer auf sich gezogen haben dürften, fesselten meine Blicke über das übliche „Hinschauen“ und ich hielt sie für eine der zahlreichen Studentinnen, die man überall in Köln trifft und nahm sie deshalb zunächst nur als attraktive junge Frau wahr – bis ich sie erkannte.

Der mahagoniefarbene Caféhaustisch war durch einen Notizblock, ihre Kaffeetasse und einen kleinen Teller so drapiert, dass niemand auf die Idee gekommen wäre, nach dem verbliebenen freien Stuhl neben ihr als Sitzplatz anzufragen.

Ihre Sitz- und Körperhaltung drückte, selbst, als sie anscheinend gedankenverloren die unmittelbar neben ihrem Sitzplatz in einer bogenförmigen Wandnische als Dekoration platzierte Barockuhr intensiv zu betrachten schien und ihren Kugelschreiber zwischen Zeige-Mittelfinger und Daumen ihrer rechten Hand spielerisch hin und her wippen ließ, Ablehnung gegenüber jeglichen Kontaktversuchen aus.

Der Schwung meines Eintritts in das Café stoppte abrupt und reduzierte sich auf ein kleines, zögerliches Fuß vor Fuß setzen in ihre Richtung, sodass sie die ohnehin durch den im gesamten Café verlegten orangeroten und mit sternartigen Verzierungen versehenen Teppich gedämpften Schrittgeräusche bei meiner Annäherung genauso wenig bemerkte wie meinen starren Blick, mit dem ich sie fixierte.

Die Überraschung sie hier anzutreffen, erhöhte meine Verlegenheit, weshalb mein »Guten Tag Katharina« wie in einer fremd anmutenden Sprache bei ihr angekommen sein musste.

Eine Vorstellung war überflüssig, ihr Blick und die Veränderungen ihrer Körperhaltung bestätigten, dass ihr schlagartig klar war, wer da an ihrem Tisch vor ihr steht:

Joachim, ihr Vater!

Sie brauchte kaum einen Wimpernschlag, um mich zu taxieren. Ihre Pupillen verengten sich, und jede Entspannung entwich ihrem Gesicht und verwandelte sich zu einer Maske aus Zorn, Wut, Empörung und Überraschung. Dass sie zornig und wütend sein konnte, damit hatte ich gerechnet.

In dieser Verfassung war sie eine Kopie ihrer Mutter Nicole, so wie ich Nicole kennen und ursprünglich lieben gelernt hatte.

Einen Moment lang fühle ich mich um mehr als 20 Jahre jünger. Katharinas Erscheinung, ein Déjà-vu, darauf hoffend, dass ich auf Katharina jünger wirke, als ich tatsächlich bin.

Katharina blickt offensichtlich leicht irritiert, weil ich etwas unschlüssig vor ihrem Tisch stehe und sie erwartungsvoll anblicke. Mein Alter ist ihr bekannt, doch sie scheint trotzdem überrascht. Vielleicht weil ich, wie man mir oft erklärt hat, jünger aussehe, als man sich vielleicht sonst Männer meines Alters vorstellt. Ich bin auch nicht im sonst üblichen Rentneroutfit gekleidet, sondern wirke wie jemand, der gerade aus einem Büro in das Café für eine kurze Kaffeepause hineinschneit.

»Was willst du?«, herrscht sie mich an. »Hältst du das für eine gute Idee, mich einfach hier anzuquatschen?

Das hättest du früher machen können, aber du hast es ja vorgezogen wegen deiner Sekretärin, oder was diese Schlampe sonst so ist, die Mutter deiner Kinder, uns zu verlassen und dir ein schönes Leben zu machen! Lass mich einfach in Ruhe! Hau ab und sprich mich nicht an, wir haben uns nichts zu sagen!«

Ihre Pupillen sind nahezu schwarz und unterstreichen die Wut, mit der sie ihre Sätze herausschleudert.

Ruhig bleiben, Joachim, ruhig, ganz ruhig:

»Katharina, es ist reiner Zufall, dass ich dich hier treffe, und ich habe auch nicht die Absicht, etwas zu sagen oder zu tun, was du nicht willst, aber wir haben nie niemals miteinander gesprochen.«

»Und warum soll ich ausgerechnet jetzt und hier mit dir reden wollen« – blafft sie mir entgegen.

»Du kennst nur eine Seite, deine Seite. Willst du nicht nach mehr als 20 Jahren vielleicht auch die andere Seite mich zumindest hören, mir einfach nur zuhören? Wenn du mich danach immer noch für ein Arschloch hältst OK, – dann ist das so, und du wirst nie wieder von mir angesprochen oder sonst etwas hören.«

An ihrem Hals entstehen rote Flecken – Wutflecken.

»Wozu soll das gut sein? Ich weiß alles über dich und weiß, wie beschissen du dich benommen hast, uns Kindern und unserer Mutter gegenüber, und was für ein armseliges Leben wir führen mussten, ohne dass du uns jemals geholfen hättest. Du hast dich nicht blicken lassen, du hast nichts bezahlt, du hast uns nie unterstützt und selbst ein fröhliches Leben geführt, mit tollen Urlauben und allem, was dazu gehört. Du hast es dir gut gehen lassen und uns einfach ignoriert und vergessen und dich geweigert, für uns aufzukommen. Geh einfach weg, es tut nur weh und ich mag überhaupt nicht mehr daran denken, wie mies du uns alle behandelt hast.«

Mit einer heftigen, ruckartigen Kopfbewegung wendet sie ihren Kopf zur Seite, sodass der Zopf peitschenartig zur Seite schnellt, sich auf die mir zugewandte Gesichtshälfte legt und eines ihrer Augen verdeckt, während sie wütend und heftig atmend auf einen imaginären Punkt vor sich hin starrt.

Jetzt bloß keine Szene; nicht dass sie aufsteht und geht.

Diese Zufallschance, nach mehr als 20 Jahren endlich mit der erwachsenen Tochter alleine reden zu können und vielleicht ein Ende des jahrelangen Schweigens zu erreichen, – das darf nicht schiefgehen – ruhig, Joachim, ganz ruhig – rede mit ihr. Schwierige Verhandlungen, bei denen es oft um zum Teil viel Geld ging und unter Umständen sogar Existenzen gefährdeten, habe ich berufsbedingt schon oft geführt, aber diese Chance, endlich für Klarheit zwischen Katharina, meiner Tochter und vielleicht auch mit meinem Sohn, ihrem Bruder Yannick und mir zu sorgen, muss ich nutzen.

Die Ablehnung und der Hass müssen endlich aufhören.

Nein, Nicole darf jetzt keine Rolle spielen, – versuche es rede!

»Katharina Lea« - die Anrede mit ihrem kompletten Namen verwirrt sie – »bitte, du hast dir eine Meinung über mich gebildet. Diese Meinung habe, musste ich immer respektieren, auch wenn ich sie nicht geteilt habe. Nein, das ist kein Vorwurf, nur eine Feststellung, und in all den Jahren habe ich mir immer wieder die Frage gestellt, warum es nicht dazu kam, dir und deinem Bruder die Situation aus meiner Sicht zu schildern?«

Genau so heftig, wie sie weggeschaut hatte, dreht sie den Kopf, sodass der Zopf in einer weiteren Runde schwingend um sie herum kreist.

»Was gibt es da zu erklären? Du hast uns im Stich gelassen, weil wir dir lästig und unbequem waren! Du hast dich nicht darum gekümmert wie es uns geht, ob wir überhaupt zu-rechtkamen, ob wir überhaupt überleben konnten. Meine Mutter hat alles dafür getan, dass es uns gut geht. Sie hat gearbeitet, um ein Minimum an Lebensqualität zu erreichen und wenn uns die Familie, vor allem mein Urgroßvater, nicht unterstützt hätten, wer weiß wo wir gelandet wären?«

»Katharina, das ist mir bekannt und ich habe versucht, das, was in meinen Möglichkeiten stand, zu tun.«

»Was glaubst du habe ich empfunden, als du plötzlich von einem Tag auf den anderen nicht mehr da warst?

Ich hatte ja keine Ahnung und wusste überhaupt nicht, was passiert ist. Mein Tagesablauf war plötzlich ein anderer.

Es fing schon damit an, dass das gemeinsame Frühstück nicht mehr stattfand. War der Tagesanfang vorher oft lustig und mit Spielereien erfüllt, weil du mit mir schon am Frühstückstisch Spaß gemacht hast, fehlten mir diese Augenblicke und ich saß alleine mit meiner Mutter am Tisch, deren Hauptaugenmerk darauf lag, dass ich so schnell wie möglich frühstückte, um nicht zu spät in den Kindergarten zu kommen.«

»Katharina, bist du sicher, dass es so gewesen ist?

Sind das wirklich deine Erinnerungen? Oder hat man dir erzählt, dass es „früher so war“? Du kannst mir glauben, ich habe alles in meinen Kräften und Möglichkeiten Stehende getan, damit es dir und deinem Bruder einigermaßen gut geht.«

»So?! Und warum mussten Rechtsanwalt und Jugendamt eingeschaltet werden, damit du überhaupt reagierst?«

»Diese Frage Katharina kann ich dir nicht mit einem Satz erklären, weil es viel komplizierter ist, als du es dir vorstellen kannst. Ich hätte es dir auch schon längst erklärt, wenn ich die Chance gehabt hätte, dass du oder dein Bruder, dass ihr mir zuhört. Willst DU mir wenigsten heute zuhören?

Nimmst DU meine Erklärungen zur Kenntnis? Mit Erklären meine ich nicht entschuldigen. Nur wenn du und Yannick, wenn ihr die ganze Geschichte, also auch meinen Teil kennt, werdet ihr verstehen und dann könnt ihr mich beurteilen, wenn ihr wollt, auch verurteilen. Wenn das dann so sein sollte, werde ich mich eurem Urteil beugen. Gibst du mir die Zeit? Hast du die Geduld? Wir wären jetzt und hier ungestört.«

Ich hole tief Luft, will Zeit gewinnen, innerlich ruhig zu werden.

»Es geht mir nicht um irgendwelche Entschuldigungen, – ich will versuchen zu erklären, vielleicht kannst du mich danach besser verstehen. Wir haben schon so viel Zeit versäumt und was ist unser zufälliges Treffen hier gegen die Jahre, die wir uns nicht gesehen oder gehört haben? Bitte, lass uns reden!

Jetzt! Vielleicht ist es für uns die letzte Möglichkeit?«

Wie zwei Dolche blitzen ihre Augen bei der Frage:

»Was willst du mir denn sagen? Mach es kurz, ich habe keine Lust, mich hier von dir voll labern zu lassen, um doch immer nur das zu hören, was ich schon lange kenne!«

Ich trete näher, drehe den Stuhl, an dessen Lehne ich bisher nur meine Hand gelegt habe, sodass ich mich setzen könnte – näher zu mir.

Nach meinem »Darf ich?« rutsche ich langsam auf den Stuhl und schaue in ihr wütendes und abweisendes Gesicht.

»Weißt du, wie ich deine Mutter kennengelernt habe und wie wir zusammengekommen sind?«

»Ja! Hat sie mir erzählt. Du hast sie, obwohl du verheiratest warst, während einer Karnevalsfeier angemacht, nach Hause gebracht und danach wart ihr zusammen und du bist bei ihr in der Mühlenstraße eingezogen.«

Der Film in meinem Kopf lässt mich diesen Abend, wie schon so oft, immer wieder erleben:

Den ganzen Abend hat die kleine, etwas dralle, sehr weibliche Dunkelhaarige mich nicht aus den Augen gelassen, immer wieder mit mir getanzt und keinen Zweifel daran gelassen, dass sie an mehr als dem Tanzen mit mir interessiert ist.

Ich kenne Sie - Nicole. Sie ist die Tochter einer entfernten Bekannten, die sich zu einer jungen Frau entwickelte, die sich ihrer Wirkung auf die Männerwelt bewusst ist und ihre Weiblichkeit gezielt einsetzt.

»Bringst du mich noch nach Hause?«, fragt sie mit unschuldigem Augenaufschlag, als die letzten Tänze von der Band angekündigt werden und schaut mich erwartungsvoll an.»Klar, ich kann dich doch nicht nachts alleine durch die Stadt laufen lassen«, kommt es rau aus meiner Kehle.

Dass diese 20-Jährige so direkt fragt, macht mich nervös, aufgeregt, aber gleichzeitig auch stolz.

Für mein Alter bin ich durch regelmäßigen Sport gut in Form, diese junge Frau empfinde ich als eine Herausforderung.

»Du bist so süß, Danke«, haucht Nicole mich an und drückt mir einen intensiven Kuss auf den Mund, während sie sich mit ihrem ganzen Körper an mich drückt und mit ihrer Zunge in meinen Mund drängt. Die Wirkung bleibt nicht aus, ich fühle mich wie unter Strom stehend, was meinem Zustand ziemlich genau entspricht. Um weiteres Aufsehen zu vermeiden, schicke ich Nicole voraus: »Geh‘ schon mal zu meinem Auto, ich muss noch zahlen und will mich noch verabschieden« und lasse sie stehen.

»Woher weiß sie, wo mein Auto steht?«, frage ich mich »egal, wir finden uns schon«, beeile mich mit dem Bezahlen, winke einigen Bekannten verabschiedend zu und haste zu meinem Auto. Nicole strahlt mich schon von Weitem an die Arme weit geöffnet, will mich umarmen. »Lass mal, steig ein, es ist kalt, oder willst du dir hier den Tod holen?«, weise ich sie ab und mit einem zirpenden Ton fordert die Autotür zum Einsteigen auf. Ihr Versuch, ebenfalls auf der Fahrerseite einzusteigen, scheint schief zu gehen, gelingt schließlich trotz des Rockes, der erst an der Gangschaltung hängen bleibt, bis sie ihn hochzieht und mit angezogenen Schenkeln auf den Beifahrersitz rutscht, um sich sofort Richtung Fahrersitz zu drehen.»Hey, sportlich«, spöttele ich noch, so hat sich noch niemand in mein Auto gesetzt«, was sie mit einem lasziven Grinsen quittiert.

»Dann wird sie dir auch erzählt haben, dass wir uns schon lange vorher kannten, weil sie mit den Schneiders befreundet war und sie sich bei Uschi Schneider oft ausgeheult hat.«

»Davon weiß ich nichts, und was hat das jetzt mit uns zu tun?«, kommt es schnodderig und etwas zu schnell aus Katharina heraus.

»Weil ich eure Mutter, Nicole, dort kennengelernt habe und sie erzählte, dass sie mit ihrem Vater, deinem Opa Franz, ziemliche Probleme hat.Welche Probleme das genau waren, habe ich erst viel später erfahren, als ich mit ihr zusammen war«.

Die ältere Frau, die als Bedienung des Café mich von meinen vorherigen Besuchen noch zu kennen scheint, schlurft heran, genau im falschen Augenblick.

»Heute nur einen Kaffee«, bestelle ich hastig, »sonst nichts«.

Sie geht, weil ich sonst meist einige freundliche Worte mit ihr wechsele, offenbar irritiert von meiner hektisch ausgeführten Bestellung, kopfschüttelnd weg.

»Deine Oma Helga, kannte ich schon länger von früher, weil ich in Bornheim als 20-jähriger mit einer Frau verheiratet war, die in Helgas Alter ist und mit Helga gemeinsam in der Grundschule war.«

»Hast du deine erste Frau auch schon betrogen?«, schnauzt sie, als direkte Reaktion mir entgegen.

»Nein Katharina, das habe ich nicht.Weil ich Schwierigkeiten mit meinen Eltern hatte, habe ich mich als gerade mal zwanzigjähriger in diese Ehe geflüchtet, und das dann sehr schnell als Fehler erkannt, den ich rasch korrigiert habe.

Diese Ehe wurde nach noch nicht einmal einem Jahr geschieden – Kinder gab es keine. Dieser Teil meines Lebens hat mit Nicole und mir nichts zu tun, – auch wenn du vielleicht davon „gehört hast“ und deshalb denkst, dass es zu meinem Charakter gehört, Menschen unglücklich zu machen. Deine Mutter verbrachte damals relativ viel Zeit bei den Schneiders, mit denen ich geschäftlich zu tun hatte, aber auch befreundet war. Deswegen war ich häufiger dort zu Besuch, sei es bloß für einen Kaffee oder wegen einer geschäftlichen Sache und so haben deine Mutter Nicole und ich uns das erste Mal gesehen, ein richtiges Kennenlernen war das nicht.«

Später erfuhr ich von Uschi Schneider, dass Nicole ein Faible für „ältere Männer“ und sie anscheinend etwas für mich geschwärmt hat.

»Deine Mutter war Anfang zwanzig eine attraktive, sehr weibliche Erscheinung, offenbar vielseitig interessiert und wusste, was bei manchen Frauen ihrer Altersklasse eine eher seltene Fähigkeit ist, über viele Dinge Bescheid. Man konnte sich mit ihr wirklich gut unterhalten, was ich gelegentlich mit Freude gemacht habe. Ich fand sie intelligent und interessant und das spielte gewiss eine erhebliche Rolle, sie war eine gut aussehende junge Frau.«

Es macht den Eindruck, als wolle Katherina das kommentieren, aber sie schweigt und schaut mich mit ihren dunklen Augen fragend an.

»Ja, ich war zu dem Zeitpunkt verheiratet, arbeitete ziemlich erfolgreich als Finanz- und Versicherungsmakler mit einem umfangreichen Kundenstamm und kümmerte mich mehr um das Geschäft als um mein zu Hause.

Nach der Geburt meines Sohnes Sebastian hatte ich mich selbstständig gemacht und meine damalige Ehefrau Doris half mir im Geschäft. Das Geschäft, Geldverdienen, Kontakte herstellen usw. war mein Lebensinhalt geworden.

Dass dabei mein Privatleben langsam, aber sicher vor die Hunde ging, habe ich erst bemerkt, als es eigentlich schon zu spät war. Meine Frau und ich gingen mehr oder weniger eigene Wege. Doris beschrieb unser Leben so, dass sie das Gefühl hatte, ständig hinter mir her hecheln zu müssen, bei all den Aktivitäten, die ich vor allen wegen der Geschäftskontakte anstieß.«

»Ach, jetzt kommt die Leier von der „bösen Ehefrau“, die dich nicht verstanden hat und du dich woanders „ausheulen“ musstest.«

»Keineswegs, aber ich habe einen Weg eingeschlagen, ohne über die Konsequenzen nachzudenken. Während einer der zahlreichen Karnevalssitzungen habe ich mit deiner Mutter Nicole den ganzen Abend getanzt, getrunken, gefeiert und sie nach Hause gebracht.Wir landeten schließlich im Bett, aus dem ich in den frühen Morgenstunden mit schlechtem Gewissen herausgeschlichen und zu meinem Haus mit Frau und Kind zurückgekehrt bin.«

Mein Kopfkino läuft weiter: Die Fahrt in die Mühlenstraße ist kurz und Nicoles Hand liegt mit sanftem Druck auf meinem rechten Oberschenkel. Angekommen sagt sie nur: »Kommst du noch mit rein?« In mir tobt der Kampf zwischen Lust auf das Abenteuer, gepaart mit der Angst, dass ich auffalle und mich jemand sieht, ich denke überhaupt nicht an meine Frau, sondern nur daran, dass die Geschichte meinem Geschäft schaden könne.

»OK, aber nur kurz.«Der Eingang zu Nicoles Wohnung liegt direkt hinter der Haustür, die sie leise aufschließt und mich rasch hinein zieht. Nicole reicht mir gerade bis zur Schulter, sie umklammert mich herausfordern küssend. Ich zerre ihr die bunte Karnevalsbluse vom Körper und befreie sie von sämtlichen, jetzt hinderlichen Kleidungsstücken, während sie mir das Jackett von den Schultern reißt, mein Hemd und meine Hosen öffnet und wir schließlich gemeinsam wie im Rausch, nackt auf das Bett stürzen.

Es bleibt keine Zeit für eine gegenseitige Erkundung, ich tauche schnell in die heiße Feuchtigkeit ein und wir treiben uns gegenseitig auf den Gipfel unserer Lust, bis wir schließlich schwitzend und erschöpft zur Ruhe kommen.

»Ich kann dir nicht mehr sagen, welche Ausrede ich für meine späte Heimkehr gebrauchte, – aber dieses Ereignis war der Auslöser, gewissermaßen der entscheidende Sargnagel für das Ende meiner Ehe. Ich war wie ein Pennäler in Nicole verliebt. Mein Leben geriet völlig aus den Fugen.

Ich war von ihr fasziniert, schließlich war ich mit 48 Jahren stolz wie ein Gockel, dass eine damals 23-Jährige jemanden wie mich wollte, mich begehrte und mir vor allem sexuell vieles erfüllte, was ich schon lange nicht mehr erlebt hatte.«

»Jetzt erzähl mir nicht, dass das Ganze für dich nur ein sexueller Egotrip gewesen sei, dann kannst du dich hier gleich verabschieden, schießt es zornig aus ihr heraus.«

»Nein, so habe ich das damals nicht verstanden und begriffen. Es war für mich wie ein neues Leben. Erst später begriff ich, dass das meine Midlife-Crisis war. Ich bin aus meinem Haus ausgezogen, habe Ehe, Familie, Haus und Geschäft aufgegeben, eine kleine Wohnung bezogen und meine Selbstständigkeit beendet.«

»Soll man dich deshalb loben oder bedauern?«, kommentiert Katharina meine Zustandsbeschreibung ironisch.

Ich übergehe ihren Sarkasmus und fahre fort:

»Was ich vorher für undenkbar hielt, trat ein: Ich wurde wieder ein Angestellter, was nach so langer Selbstständigkeit mit all den Veränderungen, die ich dadurch bewältigen musste, radikale Einschnitte in meinem Leben bedeuteten.

Das musste ich bewältigen, mich ungewohnten Problemen stellen und sie verantworten, vor allem vor mir selbst.

Dieser neuen Situation habe ich mich gestellt und wusste nicht, wie und ob es gut ausgeht. Aufgrund meiner Ausbildung und des bis dahin als Selbstständiger gut verlaufenden Geschäftes konnte ich als Angestellter die Leitung eines Vertriebszentrums übernehmen und mit einem komfortablen Gehalt in die neue Tätigkeit einsteigen.

Nur so war es wirtschaftlich überhaupt möglich, einen neuen Lebensabschnitt zu wagen.

Nicole wurde mit dir schwanger und sie machte mir den Vorschlag, in die Mühlenstraße zu ziehen, was mehr Nähe, aber auch geringere Kosten versprach.«

Katherina hat während meiner Beschreibung der Situation mehrfach die Stirne gerunzelt, so als ob ich etwas Neues erzählen würde. Stellenweise habe ich den Eindruck, als wolle sie mir Zusatzfragen stellen, aber die Fragen bleiben aus, sie hört sich alles schweigend an.

»Ich wohnte mit ihr mit euch zusammen und alles schien auf eine gemeinsame Zukunft hinaus zu laufen.

Es gab nur ein Problem: Nicole war als Studentin der Erziehungswissenschaften eingeschrieben, sie wollte ja ursprünglich Lehrerin werden und ich habe sie mehr als einmal dazu ermuntert, aufgefordert, sie regelrecht beschworen, ihr Studium nicht abzubrechen, damit sie auf jeden Fall eine abgeschlossene Ausbildung hat. Das war mir auch wegen unseres Altersunterschieds wichtig.

Sie dachte anders, ging aber zunächst scheinbar auf den Vorschlag, weiter zu studieren ein. Ihre Besuche der Uni fanden erst unregelmäßig und schließlich überhaupt nicht mehr statt. Nicole wollte das Studium nicht zu Ende führen, sie wollte, wie sie sagte, selbstständig sein, als Selbstständige arbeiten und vor allem wollte sie ein weiteres Kind von mir. Die Frage, wie das praktisch funktionieren solle, tat sie mit einer wegwerfenden Handbewegung ab:

„Ich weiß, dass ich das kann und ich werde das auch schaffen, immerhin bin ich jung und habe einen starken Willen“.«

Wie zur Bestätigung des starken Willens ihrer Mutter reagiert Katharina mit einem kaum erkennbaren, zustimmenden Nicken ihres Kopfes.

»Meine Versuche, sie davon zu überzeugen, dass das nur dann Sinn macht, wenn sie ihr Studium erfolgreich beendet, blieben erfolglos. Die Vorschläge, erst das Studium zu beenden, um danach eventuell darüber zu entscheiden, ob Selbstständigkeit oder Lehrerjob, stießen auf taube Ohren.

Solche Gespräche führten erst zum Streit, um später zur Versöhnung im Bett zu landen.

– Mach mir ein Kind, – ich liebe dich so – bitte!«

Es gab keinen Tag und keinen Ort, an dem ich nicht mit diesem für sie so dringenden Wunsch konfrontiert wurde.

Fast täglich kaum war Katharina gefüttert und frisch gewindelt, folgte fast allabendlich das gleiche Ritual:

Gespräche wurden, wenn sie geführt wurden, nur körperlich eng geführt. Gemeinsames Fernsehen erfolgte meist mit gleichzeitig innigen und ständig heftiger werdenden Umarmungen mit sich anschließendem Sex – meist schon im Wohnzimmer, weil „nebenan“ Katharina schlief und durch unsere heftigen und ungestümen Spielchen wahrscheinlich geweckt worden wäre.

Nicht nur einmal wurde ich, nachdem ich erschöpft eingeschlafen war, nach ein, zwei Stunden wach, weil Nicole sich noch einmal um mich „heftig bemühte“, rittlings auf mir saß, meine Männlichkeit „wiederbelebte“ mich in sich aufnahm, mich aufsaugte.

»Das hat mir, ich gebe es unumwunden zu gefallen und ich habe mich bei Nicole nie darüber beschwert. Das ist aber keine Entschuldigung, – es ist die Erkenntnis, dass ich als Mann eine „allzeit bereite Geliebte“ nicht ablehnen konnte, was ich aus Bequemlichkeit, nein Lust nicht tat, aber besser getan hätte. Die reichlichen und umfangreichen, jeden Tag neuen sexuellen Offerten habe ich ohne Rücksicht auf zu erwartende Folgen angenommen, so wie jemand, der hauptsächlich mit seinem Geschlechtsteil denkt und auch so handelt.«

Katharina schaut mich während dieser umfangreichen Ausführungen nur stumm und intensiv an.

»Einwände von deinen Großeltern Franz und vor allem von Helga, wurden von ihr nicht zur Kenntnis genommen und wenn darüber doch gesprochen wurde, rigoros abgelehnt.

Freunde aus dem Bekanntenkreis trauten sich kaum etwas zu sagen, und wenn, dann war ihre Reaktion in gleichem Sinn und Ton.

Erfolglos!

Nicole wollte nicht weiter studieren, – ich hatte einen gut bezahlten Job, der uns ein einigermaßen gutes Leben, trotz meiner Unterhaltsverpflichtungen an meine geschiedene Frau und für meinen Sohn garantierte.

Dachte ich – und klammerte mich an die Aussicht und Hoffnung, dass die beruflichen Umstände so blieben oder zumindest nicht schlechter würden.

Diese Hoffnung wurde zunächst tatsächlich erfüllt – ich stürzte mich in meine neuen beruflichen Aufgaben, weil ich dachte und damit rechnete, dass mir mein Erfolg weiterhin treu bleibt.«

»Dann bist du ja noch ein größeres Schwein, für das ich dich sowieso schon gehalten habe. Du hast meine Mutter benutzt, um deine Gelüste zu befriedigen! Du,… ich weiß nicht, wie ich meine Abscheu ausdrücken soll – du widerst mich an!«

»KATHARINA, das ist nicht fair. Bedenk‘ bitte, dass ich nur das angenommen habe, was mir angeboten wurde. Nicht mehr, aber auch nicht weniger!«

Katharinas Abneigung gegen meine Aussagen zeigt sich in ihrer Atmung, die unkontrolliert in eine Art von Schnapp-Atmung übergeht. Ich spreche trotzdem, wenn auch langsamer und leiser weiter:

»Als der Ältere, der lebenserfahrenere, dachte ich, dass diese Lust, diese Gier nach Leben, sich irgendwann legt und ich mit deiner Mutter ein ganz normales Leben, auch ein ruhigeres Sexualleben, würde führen können.«