Vaterstolz - Werner Kronenberg - E-Book

Vaterstolz E-Book

Werner Kronenberg

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Beschreibung

Noch ein Vaterbuch? 35 Jahre nach dem Tod des Vaters rekonstruiert der Autor dessen Lebenslauf (1921 – 1984) und erinnert an zentrale Momente zwischen Vater und Sohn, in denen sich die Gestalt eines der namenlosen Schmiede des Wirtschaftswunders verdichtete und in denen sich auch 30 Jahre Zeitgeschichte (1953 – 1984) spiegeln. Dabei vergewissert sich der Verfasser nach dem Ende seines Berufslebens seiner eigenen Herkunft, seiner sozialen Traditionen, wesentlicher Charakterzüge, letztlich seiner Identität im Spagat zwischen Arbeiterklasse und Bildungsbürgertum. Und löst damit ein Versprechen ein, das er dem Vater am letzten Tag seines Lebens gegeben hat: „Haalt mer en jood Aandenken“. Natürlich bleibt da auch die Hoffnung, dass diese Linie durch die eigenen Kinder und deren Kinder eine Fortsetzung findet. Wohin auch immer… The show must go on oder: Der Sinn des Lebens ist… das Leben!

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DAS BUCH BRAUCHT KEINE WIDMUNG.

ES IST EINE.

Alles, was ich erzähle, ist erfunden.

Einiges davon habe ich erlebt.

Manches, von dem, was ich erlebt habe,

hat stattgefunden.1

1 Mathias Brandt, Raumpatrouille, 2016

Inhalt

Vorwort: VATER unser

Einleitung: Von Vätern und Söhnen

I.

Ein Schicksalstag

II.

Biographisches

1.

Sagen Bilder mehr als Worte?

2.

Drei Lebensläufe

III.

Magic Moments – Große Stunden des kleinen Mannes

1.

Der Schock fürs Leben

2.

Wehr Dich!

3.

Berufswünsche

4.

Der Eismann kommt

5.

Feuerwehrfest – Im Jahre einmal

6.

Stalingrad und kein Ende

7.

Wir sind wieder wer!

8.

Erziehung Fehlanzeige?

9.

Der Vater als Sohn

10.

Hair! – Lange Haare, kurzer Sinn?

11.

Das Kind im Manne

12.

Nie mehr derselbe

13.

Exkurs: Und warum kein Mutterbuch?

Ausblicke: Wie der Vater, so der Sohn? – The show must go on!

Vorwort: VATER unser

M it Vätern kennt sich jeder irgendwie aus. Weil jeder einen hat/hatte. Das ist so ähnlich wie mit der Schule. Jeder hat eine feste oder gar vorgefasste Meinung und er/sie/es lässt niemand kalt.

Da ist es nicht weiter verwunderlich, dass in genuin patriarchalischen Gesellschaften trotz feministisch-matriarchalischer Umbrüche in den letzten fünf Jahrzehnten der VATER noch immer im allgemeinen Sprachschatz wie im gesellschaftlichen Bewusstsein wenn nicht mehr exklusiv und dominant, so doch noch fest verankert ist. Daran wird auch #metoo nichts ändern.

Ob nun religiös verbrämt mit dem StammVATER Abraham (der nicht mit der Wimper zuckte…; man erinnert sich schaudernd), dem KirchenVATER (den fast keiner gelesen hat), dem einst gefürchteten BeichtVATER (am liebsten ein unbekannter) oder gar dem Heiligen VATER (mein Vater saß Ostern immer vor dem Fernseher und nahm tiefernst den Segen Urbi et Orbi aus Rom entgegen). Oder ob umgekehrt säkular-ideologisch verpackt im VATER Staat, dem man die Steuern schuldet, oder gar dem VATERland, für das es sich angeblich zu sterben lohnt (dulce et decorum est pro patria mori). Da fühlte ich mich von Jugend an mehr den VATERlandslosen Gesellen oder gar den VATERlandsverrätern nahe, als die man uns Kriegsdienstverweigerer in den frühen 70-er Jahren diffamieren wollte.

Gern feierten wir in (post)pubertären Jahren mit Bollerwagen und Kölsch-Fässchen den VATERtag ohne jede Berechtigung, fühlten uns gleichzeitig rund um ‘68 in einer VATERlosen Gesellschaft nach dem politischen VATERmord an der Tätergeneration (Beate Klarsfelds Ohrfeige für Kurt Georg Kiesinger im Nov.1968 hatte für uns para-religiösen Kultstatus), bevor die neunmalklugen Söhne dann selbst zu Erzeugern wurden, VATERfreuden erleben durften, VATERschaftstest über sich ergehen lassen mussten, zum mehr oder weniger guten HausVATER mutierten oder sich gar als ÜberVATER fühlten, der dem Sohn vorwarf, kein Weltwissen mehr zu haben (mein Sohn antwortete darauf einmal lapidar: »Du hast von unserer Welt doch überhaupt keine Ahnung!«)

Ja, wie der VATER, so der SOHN!

Diese kleine lexikalische Reise durch das Wort- und Spannungsfeld der Generationsbeziehungen mag reichen, um Relevanz und Dominanz des ganz speziellen Verhältnisses zu unserem biologischen, sozialen oder geistigen VATER zu unterstreichen.

Und alle betroffenen Männer machen dieselbe Erfahrung: VATER werden ist nicht schwer (meistens jedenfalls nicht!), VATER sein dagegen…? Na, wir werden sehen. Natürlich wäre alles leichter, wenn das Wörtchen »wenn« nicht wär, dann…

Das aber ist nicht der VATER des Gedankens, von dem dieses Buch ausgeht und zu dem es zurückkehrt. Wie schon viele andere vor ihm auch.

Einleitung: Von Vätern und Söhnen

Das Phänomen ist ebenso wenig neu wie das aus ihm resultierende Problem. »Qui suis-je, où vais-je, d’où suis-je tiré?«2 hat es Voltaire nach dem Erdbeben von Lissabon 1755 prägnant in eine Formel gebannt, die uns auf die gemeinsame Suche nach der Klärung unserer Identität zurückwirft: genealogisch (da liegt bei mir noch einiges im Dunkeln), psychologisch, ideologisch, sozial (dazu soll dieses Buch beitragen).

Was haben da die Söhne (und Töchter) nicht alles unternommen, um ihr Verhältnis zum eigenen Vater zu beschreiben, zu verarbeiten, ggf. zu bewältigen! Der folgende kurze Literaturbericht soll nur die Bandbreite sowie unterschiedliche Kategorien dieser schriftlichen/literarischen Verarbeitungen abstecken, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und eine wünschenswerte Vertiefung zu erheben. Der Leseprozess hat mir und meiner Erinnerung aber auf die Sprünge geholfen und Orientierung gegeben, um den eigenen, ganz persönlichen Zoom anzusetzen.

Wer dächte nicht zuerst an Franz Kafkas (nie abgeschickten) Brief an den Vater (1919), von dem man immer noch nicht weiß, ob es sich wirklich um die Abrechnung mit dem vermeintlich oder tatsächlich tyrannischen Hermann Kafka oder doch eher um eine masochistische Selbstanalyse des saft- und kraftlosen Sohnes Franz handelt, der eigenes Unvermögen jeglicher Art in das schuldhafte Handeln des Vaters projizierte.

Solche Anklagen und Generalabrechnungen sind Legion. Man denke an die schmerzhaften Auseinandersetzungen und Abgrenzungen der Söhne von NS-Verbrechern, deren Identitäten zeitlebens von den Schatten ihrer Herkunft belastet blieben: Wer hätte da je mit Wolf-Rüdiger Heß3, Martin Bormann junior4, Albert Speer junior5 oder Niklas Frank6 tauschen wollen? Für kein Geld bzw. Privileg der Welt, das sie in ihrer Kindheit genossen haben mögen.

Leichter ist das natürlich literarisch verarbeitet, d.h. fiktional verpackt, wie in Ulla Hahns Unscharfe Bilder (2003) oder Bernd Sülzers Vaterflucht (1995). Beide sind auf der Suche nach der vermuteten Schuld der Väter und arbeiten sich an der Mauer des Schweigens ab, bis ihnen eigene Zweifel kommen. Da kann der autobiographische Anteil getrost ungeklärt bleiben.

Dann ist es schon motivierender, das Leben der Opfer zu rekonstruieren wie in Wiebke Bruhns Buch über ihren Vater, den Widerstandskämpfer Hans Georg Klamroth: Meines Vaters Land (2004). Da muss man sich weder vor Gott noch den Menschen legitimieren. Im Gegenteil. Freispruch inbegriffen.

Im Schatten großer, wenn auch angesehener Väter haben auch Männer gestanden, die einfach – völlig unabhängig von der öffentlichen Position des Vaters – nach Liebe und Zuwendung gierten wie wir alle. Walter Kohl, Sohn des Jahrhundertkanzlers, hat ein (Klage)Lied davon gesungen: Leben oder gelebt werden: Schritte auf dem Weg zur Versöhnung, 2014. Eine Kindheit in Fremdbestimmung.

Interessanter, weil widersprüchlicher ist aber der Fall zweier Söhne eines anderen »ÜberVaters«, Willy Brandt, die sich sehr unterschiedlich erinnern und positionieren: Lars Brandts Kindheitserinnerungen Andenken (2006) und Matthias Brandts Kindheitsgeschichten in Raumpatrouille (2016). Während der eine (Lars) den V. (so die gängige Chiffre für W. Brandt) vorwiegend in seiner ganzen Ambivalenz erlebte (»ein siamesisches Widerspruchsgebilde, sich irgendwie zwischen Licht und Schatten verdoppelnd, zusammengewachsen an ungewisser Stelle, mit einer konkreten und einer abstrakten Hälfte«7), in der sich Vater und Sohn offenbar gut eingerichtet hatten8, schildert ihn der andere (Matthias) liebevoll ironisch als relativ lebensuntüchtigen, nicht des Radfahrens mächtigen (»Ich hätte besser auf ihn aufpassen sollen, dachte ich noch.«9) und oft schwer nahbaren Mann. Und dann doch diese ungeheuer zärtliche Liebeserklärung bei der Erinnerung an ein seltenes Vorlesen: »Irgendwo in meinem Bauch vibrierte seine Stimme, die noch besser klang als die von Pa aus Bonanza.«10 Mehr geht nicht!

Zunehmend häufig finden sich auf dem Markt die Verlust-Bücher von Söhnen oder Töchtern, deren Väter ihnen schon zu (deren) Lebzeiten entgleiten, weil sie in das Paralleluniversum der Demenz abdriften, wo sie letztlich weder die nachvollziehbare Enttäuschung (so Tilman Jens in Demenz. Abschied von meinem Vater, 200911) noch liebevolle Fürsorge (wie im Falle von Arno Geiger, Der alte König in seinem Exil, 2011) wirklich erreichen. Das ist mir (und meinem Vater) Gott sei Dank erspart geblieben, die einzige Gnade eines zu frühen Todes.

Auffallend sind Fälle von Vater-Sohn-Beziehungen, die ein Leben so dominieren wie das schriftstellerische Schaffen von H.-J. Ortheil. Keine Menschwerdung12 und keine Reise13 ohne des Vaters fürsorgliche Begleitung, Behütung, Anregung: »Ich wartete auf Vater, der bald kommen würde. […) Wenn Vater da war, war jedoch alles viel einfacher, ich war dann erleichtert, weil ich dann nicht mehr allein auf Mutter aufpassen musste.«14 Und das ist dann so geblieben: »Einen Moment, denke ich, dass es

ein Wunder ist, dass Papa jetzt erscheint«, so erinnert sich der Autor an die Gedanken des 14-Jährigen, »ich stehe auf und laufe ihm entgegen. Und dann umarme ich ihn mitten auf dem ovalen Platz15 fest und sage, dass ich mich freue, ihn wiederzusehen.«16 Obwohl ich Ortheil als Autor und Mensch/Lehrer17 sehr schätze, bleibt da ein Beigeschmack der Redundanz. Vielleicht tue ich ihm Unrecht. Wenn man – wie er – der dritte Sohn ist, dessen ältere Brüder im Bombenhagel umkamen, bevor er geboren wurde und dann auch noch mit der Mutter die Sprache verlor, dann ist das wohl unvermeidlich. Und darf so sein.

Natürlich ist das ganze Problemfeld auch längst wissenschaftlich beackert und von allen Seiten beleuchtet worden. Einen aktuellen Überblick findet man in dem klar strukturierten und detailliert mit Fallbeispielen aus dem Leben dokumentierten Buch: Väter und ihre Söhne: Eine besondere Beziehung (2017) von Alexander Cherdron. Der erfahrene Psychotherapeut bietet einen Reflexionsrahmen, der weit über das hier vorliegende Buch hinausgeht, ihm aber Orientierung und Konturen gegeben hat.

So unausweichlich das Verhältnis der Söhne zu ihrem Vater (und umgekehrt) also ist, so unterschiedlich ist es dann auch. Nur dass man ihm nicht entgeht.

Laios konnte dem vom Orakel geweissagten Schicksal (nämlich von seinem Sohn Ödipus getötet zu werden) trotz aller Bemühungen nicht entkommen.

Und doch gleicht kein Schicksal dem anderen, sowie alle Menschen per definitionem eben »anders« sind. Daraus bezieht dieses Buch Berechtigung und Ansporn.

Mein Vater hat bis auf sein Testament, das er nie schreiben wollte (s.u., III, 12), (fast) keine schriftlichen Spuren hinterlassen. Er war keine öffentliche Person18, eher einer der namenlosen Schmiede des Wirtschaftswunders, durch die Nazis um die Jugend und durch den frühen Tod um den Ruhestand betrogen.

Es ist Zeit, von ihm zu sprechen und zu schreiben. Und wenn es nur für mich selbst wäre…

Ein Wort noch zur Erzählperspektive:

Ich habe mit mir gerungen, ob ich es ausschließlich aus der Vergangenheit heraus autobiographisch und auch fiktional erzählen oder doch eher gegenwartsgenetisch, mit dem Rückblick von heute aus angehen sollte. Wenn ich mich häufig für letzteres entschieden habe, dann v.a. deshalb, weil ich mit so großem Abstand heute erinnere, was und wie mein jetziges Ich vom Erinnerten und Erzählten geprägt worden ist. Daher möge mir der Leser meine augenzwinkernden Querverweise auf unsere Gegenwart und meinen damit verbundenen bisweilen mündlichen Sprachstil nachsehen.

Weil wir wurden, was wir sind, werden wir vielleicht noch anders.

»Du wirst eines Tages bestimmt ein guter Vater sein, Bart.«

»Du eines Tages vielleicht auch.«

(Bart Simpson im Dialog mit seinem Vater Homer).

2 Wer bin ich, wohin gehe ich, wo komme ich her?

3 Wolf-Rüdiger Hess, Mord an Rudolf Hess? Der Tod meines Vaters in Spandau, 1991

4 Martin Bormann junior: Leben gegen Schatten: gelebte Zeit – geschenkte Zeit , Begegnungen, Erfahrungen, Folgerungen, 1996

5 Albert Speer junior: Hitler war für uns ein netter Onkel, Interview mit der Süddeutschen Zeitung, 20.05.2010

6 Niklas Frank: Der Vater. Eine Abrechnung, 2005

7 Lars Brandt, Andenken, 2006, S. 23

8 Lars Brand, ibid., S. 93: « Mir gefiel die Basis unseres Verhältnisses nicht schlecht : V.s Leben war seines, und meines gehörte mir. Eigentlich traf sich sein Verständnis der Rolle eines Vaters mit meiner Sicht der Angelegenheit als Sohn.«

9 Matthias Brandt, Raumpatrouille, S.118

10 Ibid., S.172

11 woraufhin ihm das bundesdeutsche Feuilleton – m.E. völlig zu Unrecht – »Vatermord« an Walter Jens vorwarf

12 H.-J. Ortheil, Die Erfindung des Lebens, 2009 – Der Stift und das Papier: Roman einer Passion, 2016

13 H.-J. Ortheil, Die Moselreise, 2012 – Die Berlinreise, 2014 – Paris, links der Seine, 2017 – Die Mittelmeerreise, 2018

14 H.J. Ortheil, Die Erfindung, S.9

15 Place Contrescarpe in Paris; Anm. W.K.

16 H.-J. Ortheil, Paris, S.311

17 Unvergessen bleibt mir ein wunderbares Schreibseminar unter seiner Leitung als Gastdozent an der Kunsthochschule für Medien in Köln im WS 2015/16

18 Obwohl das auch nicht ganz stimmt, vgl. III,5

I Ein Schicksalstag

»Das bedeutsamste Ereignis, der einschneidende Verlust im Leben eines Mannes ist der Tod des eigenen Vaters.«

(S. Freud, Traumdeutung)

A ls ich am 12. April 1984 im Laufe des Vormittags mehr routinemäßig als besorgt das Krankenhaus in Lindlar betrat, um kurz nach meinem Vater zu sehen, ahnte ich nicht, was für ein schicksalhafter, schmerzhafter Tag dies werden würde. Ich kam aus einem Baumarkt, um kurz nach ihm zu schauen, nachdem er – wie schon öfter zuvor – mit akuten Herzbeschwerden zwei Tage vorher dort eingeliefert worden war. Mein Vater litt seit Jahren an Herzmuskelschwund zu einer Zeit als die Herzchirurgie noch keine Therapie dagegen kannte (außer einer morgendlichen Hand voll Tabletten, deren Anblick bei Gesunden zu akutem Brechreiz führte) und die Stammzellenforschung noch nicht erfunden war. Er war aber offenbar dem Tod mal wieder von der Schippe gesprungen, laut Ärzten in stabilem Zustand und so sollte mein Besuch auch nur der kurzen Aufmunterung dienen.

»Oh Jott, Jung, dat is ävver joot, dat de küss. Ich dunn hüt die jruuße Rees. Werner, haalt mer en joot Aandenken!«19