Verbotene Gefühle - Barbara Cartland - E-Book

Verbotene Gefühle E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

Fedora Colwyn lebt mit ihrem Vater Alexander Colwyn auf dem Familiensitz der Mountsorrel, das eine hervorragende and sehr berühmte Gemäldesammlung aufweist. Leider hat der derzeitige Beisitzer nur einen Berg von Schulden geerbt und kann das Herrenhaus nicht in Stand halten. Er hat es sich jedoch zur Aufgabe gemacht, alle Gemälde zu restaurieren und hat sich damit unter den englischen Kunstsammlern einen Namen als Restaurator gemacht. Dies macht er jedoch aus Stolz immer unentgeltlich, was in der derzeitigen Situation nicht sehr hilfreich ist, da er auch noch erkrankt ist. Der Graf von Heversham sendet um Alexander Colwyn, um ihm bei seinem vor kurzem angetretenen Erbe behilflich zu sein - seine Gemäldesammlung wurde nicht in gutem Zustand gehalten. Fedora – ohne Wissen ihres Vaters – sagt zu, dass sie auf das Schloss des Grafen kommen werden. Sie bespricht auch mit dem Grafen, dass sie ohne ihres Vaters Wissen, ein Gehalt von ihm bekommen wird. Es stellt sich heraus, dass beide Familien denselben Van Dyck besitzen – welches wird sich als das Original herausstellen? Und wird Lady Sheelah – die Geliebte des Grafen - Fedora mit ihren Intrigen Vom Schloss und somit aus dem Leben des Grafen vertreiben können?

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Verbotene Gefühle

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2024

Copyright Cartland Promotions 1982

 

Gestaltung M-Y Books

www.m-ybooks.co.uk

1 ~ 1841

Fedora wischte im Wohnzimmer Staub, als Jim zur Tür hereinkam. Er war ein drahtiger kleiner Mann mit grauen Schläfen, die verrieten, dass er in die Jahre kam, und ehrlichen Augen, deren bekümmerter Blick seine junge Herrin an einen Spaniel erinnerte.

»Nichts zu machen, Miss Fedora«, sagte er. »Ohne Bezahlung rückt der Krämer nichts mehr heraus.«

Fedora seufzte. Was sie schon seit langem befürchtet hatte, war nun eingetreten. Ihre Schulden im einzigen Dorfladen waren mittlerweile zu einem solchen Berg angewachsen, dass sie sich scheute, auch nur um einen Laib Brot zu bitten.

»Wir müssen irgendetwas zu Geld machen«, murmelte sie vor sich hin.

»Ich könnte ein Gemälde nach London bringen, Miss Fedora«, schlug Jim vor. »Mit dem Erlös könnten wir uns eine Weile über Wasser halten.«

»Du weißt doch ganz genau, dass wir die Bilder nicht verkaufen dürfen! Sie gehören meinem Bruder. Was würde Philip wohl sagen, wenn er feststellen müsste, dass sie nicht mehr da sind?«

»Ihr Wohlergehen und das Ihres Vaters liegt ihm mehr am Herzen«, sagte der alte Diener überzeugt. »Was hat er von seinen Gemälden, wenn Sie beide im Grab liegen?«

Wieder stieß Fedora einen tiefen Seufzer aus. Natürlich musste sie Jim insgeheim recht geben, aber bisher hatte sie sich mit aller Kraft dagegen gewehrt, die einzigen noch im Haus verbliebenen Schätze zu veräußern, solange sich ihr Bruder im Fernen Osten aufhielt, wo er sein Glück zu machen hoffte. Es wäre ihr wie ein schändlicher Verrat vorgekommen, hätte sie sich von den kostbaren Gemälden, die viele Generationen von Colwyns über Jahrhunderte hinweg zusammengetragen hatten, getrennt.

Die Sammlung von Mountsorrel war berühmt und hätte gewiss noch mehr Aufmerksamkeit erregt, wenn die Colwyns es sich hätten leisten können, Gäste zu empfangen. Doch das konnten sie nicht. Fedora war es ohnehin ein Rätsel, wie ihr Vater es geschafft hatte, das große, aus der Zeit der Königin Elizabeth stammende Herrenhaus, das seitdem vom Vater auf den Sohn vererbt worden war, so lange zu halten. Denn er hatte außer dem Haus nur einen Berg Schulden geerbt, der ihm zentnerschwer auf der Seele lastete und der zu seinem Leidwesen eines Tages auch auf seinen einzigen Sohn übergehen würde.

Trotzdem war der derzeitige Besitzer von Mountsorrel unbändig stolz auf sein Erbe und hätte auch dann weiter dort gewohnt, wenn Mountsorrel nur ein Erdloch gewesen wäre. Viel mehr war ihre Behausung auch jetzt nicht; Alexander Colwyn und seine Tochter bewohnten nur wenige Räume in dem großen Haus. Die übrigen Zimmer waren verfallen - die Decken eingestürzt, die Wandverkleidung von Ratten zerfressen und die Fenster undicht. Und die Löcher im Dach wurden auch von Jahr zu Jahr größer.

Die Einrichtung in den Zimmern, die sie benutzten, hätte nicht armseliger sein können. Abgetretene Teppiche bedeckten notdürftig den morschen Fußboden, die Gardinen an den Fenstern bestanden nur noch aus Fetzen, und die wenigen Stühle, die es noch gab, waren so wackelig, dass man sich nicht draufzusetzen wagte. An den Wänden hingegen hing ein Vermögen, wunderschöne Gemälde von unschätzbarem Wert, die die schäbige Umgebung zu überstrahlen schienen.

Philip würde sie eines Tages erben, danach würden sie auf seinen Sohn, seinen Enkelsohn und die darauffolgenden Generationen übergehen, und sie alle würden diesen kostbaren, uralten Familienbesitz in Ehren halten - wie der gegenwärtige Besitzer, der die Pflege der Bilder zu seiner Lebensaufgabe gemacht hatte.

Gedankenvoll betrachtete Fedora die kostbaren Bilder, deren Anblick sie jedes Mal in ehrfürchtiges Staunen versetzte, erkannte sie doch, dass jedes Museum der Welt sich darum gerissen hätte, wenigstens eines davon in seinen Besitz zu bringen. Den Holbein zum Beispiel, der das unnachahmliche Einfühlungsvermögen des Künstlers in die menschliche Natur widerspiegelte und dessen Farbgebung und einzigartiger Stil auf bemerkenswerte Weise mit dem Hogarth neben ihm harmonierten. Ihr Blick wanderte weiter zu dem zauberhaften Fragonard, der auf unvergleichliche Art und Weise realistische und abstrakte Stilelemente in sich vereinte, wie ihr Vater ihr einmal erklärt hatte. Alexander Colwyn pflegte oft vor dem Bild zu stehen und es lange zu betrachten. Sie hätte es nicht übers Herz gebracht, ihm diese Freude zu nehmen, indem sie das Bild verkaufte. Ebenso erging es ihr mit dem Raeburn, dessen robuste Farbgebung und tiefer Einblick in die Charaktere besonders beeindruckend waren.

»Was für ein Künstler!« hatte ihr Vater erst in der vergangenen Woche wieder ausgerufen. »Und er hat nie Skizzen gemacht, sondern gleich auf Leinwand gemalt!«

‚Es ist hoffnungslos,‘ dachte Fedora verzweifelt. ‚Ich könnte mich von keinem dieser Meisterwerke trennen.‘ Ihr Blick wanderte zu dem Van Dyck hinüber, dem Porträt eines früheren Besitzers von Mountsorrel, der vor seinem Haus stand, den Hut auf dem Kopf und einen Spazierstock in der Hand, als wolle er einen Spaziergang durch den Garten machen oder einen Teil seines Besitzes inspizieren. Auch darauf würde sie nicht verzichten können. Die Ahnengalerie muss vollständig bleiben, entschied sie und sagte mehr zu sich selbst als zu dem neben ihr stehenden Jim: »In diesem Zimmer dürfen wir nichts anrühren.«

»Nebenan lehnt ein ganzer Stapel Bilder an der Wand«, sagte Jim.

Fedora sah ihn entsetzt an. »Daran arbeitet Papa gerade. Er würde sofort merken, wenn eins fehlte.«

Jedem Fremden, der das Haus zum ersten Mal betrat, musste auffallen, dass sich die Bilder an den Wänden in der schäbigen, verwahrlosten Umgebung wie blankpolierte Schmuckstücke ausnahmen. Das war Alexander Colwyn, Fedoras Vater, zu verdanken. Er hatte sein völlig heruntergekommenes Erbe bereits als sehr junger Mann angetreten und damals schon beschlossen, sich der vernachlässigten Gemäldesammlung anzunehmen. Die Bilder sahen damals schlimm aus. Einige quollen aus den Rahmen, bei anderen blätterte die Farbe ab oder hatte sich im Alter verdunkelt, so dass man ihre ursprüngliche Schönheit nur noch erahnen konnte.

Während seines Studiums in Oxford hatte Alexander Colwyn einen Mann kennengelernt, der ein großes Haus, eine erlesene Gemäldesammlung und dazu noch einen hohen Adelstitel und ein beträchtliches Vermögen geerbt hatte, das ihm ermöglichte, seine Kunstschätze sorgsam zu pflegen und instand zu halten.

Alexander Colwyn hatte von diesem Kunstliebhaber den Namen des besten Restaurators im Land erfahren, diesen in London aufgesucht und dazu überredet, ihn als Schüler aufzunehmen und in die Geheimnisse seiner Kunst einzuweihen, die er vollendet beherrschte. Danach war er imstande gewesen, seine Gemäldesammlung so gründlich zu restaurieren, dass die Kunstwerke wieder in ihrer ursprünglichen Schönheit erstrahlten.

Das machte ihm solchen Spaß, dass er seine Kunstfertigkeit zu seinem Hobby erhob, das er bald beinahe berufsmäßig betrieb. Seine Fertigkeit sprach sich herum, und Freunde und Bekannte traten an ihn heran und baten ihn, die in ihrem Besitz befindlichen Gemälde zu restaurieren. Alexander kam ihrer Bitte nur zu gern nach und konnte sich vor Aufträgen bald nicht mehr retten, zumal er kein Honorar verlangte, sondern sein ganzes Geld für Material ausgab, um die Kunstschätze reicher Leute zu restaurieren - wie Fedora verbittert feststellte - während zu Hause Schmalhans Küchenmeister war.

Seit dem vergangenen Jahr fühlte sich Alexander Colwyn gesundheitlich angeschlagen und konnte keine Restaurierungsarbeiten mehr übernehmen. Da er Fedora in seine Kunstfertigkeit eingewiesen hatte, weil er ihre Hilfe benötigte, hatte sie mit dem Gedanken gespielt, selbst Aufträge gegen Bezahlung auszuführen. Sie konnte sich jedoch lebhaft vorstellen, dass ihr Vorhaben bei ihrem Vater blankes Entsetzen ausgelöst hätte. Sein Ehrenkodex ließ es nicht zu, dass sie sich derart erniedrigte. Also hatte sie die Idee wieder verworfen.

Doch jetzt waren sie am Ende der Sackgasse angelangt. Wenn es ihr nicht gelang, auf irgendeine Weise Geld zu beschaffen, würde ihr stark geschwächter Vater sterben. Er litt an Unterernährung, weil sie ihm die vom Arzt verordnete, kräftigende Nahrung nicht beschaffen konnte. Als ihr Bruder Philipp noch zu Hause gewesen war, hatte er Kaninchen und Wildenten geschossen und dafür gesorgt, dass immer etwas Nahrhaftes im Kochtopf war. Doch Philip war nicht mehr da, und Jim war kein besonders guter Schütze, abgesehen davon, dass sie es sich nicht leisten konnten, Patronen zu kaufen. Sie hielten sich einige Hühner, um Eier zu haben, und Jim baute im Garten Gemüse an. Doch das alles genügte nicht, um den Kranken wieder auf die Beine zu bringen; seine Genesung ließ auf sich warten, und Fedora machte sich schreckliche Sorgen um ihn.

»Sehen wir uns einmal oben um, Jim«, sagte sie aus ihren Gedanken heraus. »In meinem Zimmer hängt ein Fra Filippo Lippi. Vielleicht würde es Papa nicht auffallen, wenn das Bild verschwunden wäre.« Gleichzeitig wurde ihr schmerzlich bewusst, dass ein Verkauf des zauberhaften Gemäldes, das die Jungfrau Maria zeigte, die liebevoll ihr Kind in ihren Armen hielt, ein großes Opfer für sie bedeuten würde, denn es war wie ein Teil von ihr. Oft pflegte sie davorzustehen und die zarte Farbgebung und die künstlerische Ausdruckskraft zu bewundern, die sie immer wieder aufs Neue zutiefst beeindruckten.

Sonst kam nur noch ein anderes Gemälde in Frage, zu dem sie ebenfalls eine sehr persönliche Beziehung hatte. Nach dem Tode ihrer Mutter hatte sie.es in ihrem Zimmer aufgehängt. Es war ein Van Dyck und hieß ‚Rast auf der Flucht aus Ägyptern‘. Ihr Vater hatte die Muttergottes, die zärtlich das Jesuskind an die Brust drückte, stets mit der Frau verglichen, die er geheiratet hatte. Ihre Mutter hatte das Kompliment angenommen, denn es war tatsächlich eine große Ähnlichkeit vorhanden. Später, als Fedora größer war, hatte ihre Mutter zu ihr gesagt: »Mag sein, dass ich der Madonna ähnlichsehe, mein Liebling, aber du gleichst ihr so sehr, als wäre es ein Porträt von dir.«  Diese Vorstellung faszinierte Fedora, und jedes Mal wenn sie sich von da an im Spiegel betrachtete, bildete sie sich ein, dass die Züge der Madonna mit den ihren verschmolzen. Sie hatte das gleiche dunkle Haar, das in weichen Wellen das gleiche ovale Gesicht mit der hohen Stirn umfloss, die gleiche gerade kleine Nase, die gleichen großen, unschuldigen Augen. ‚Niemals könnte ich mich von meinem Lieblingsbild trennen,‘ dachte sie verzweifelt und wandte sich, von Gefühlen überwältigt, dem Fenster zu, um auf den völlig verwilderten Garten zu starren, der sich in einen Dschungel verwandelt hatte, weil kein Gärtner den wild wuchernden Pflanzen und Sträuchern Einhalt gebot.

»Es hilft alles nichts, Miss Fedora«, hörte sie Jim hinter sich sagen. »Wir müssen einfach etwas unternehmen, sonst gibt’s eine Katastrophe.«

»Ich weiß, Jim«, erwiderte sie seufzend. »Es bedrückt mich, dass du das ganze Elend miterleben musst, aber ich wüsste nicht, was ich ohne dich tun sollte!« Der treue Diener hatte schon seit einem Jahr keinen Lohn mehr bekommen und hungerte mit ihr, wenn es galt, ihrem Vater eine kräftige Mahlzeit zukommen zu lassen, die ihn wieder auf die Beine bringen sollte.

»Ich habe mich entschieden«, erklärte Fedora schließlich fest. »Sobald Papa eingeschlafen ist, verpacken wir ein Bild und schicken es nach London zu Mr. Lewenstein. Er wird uns einen fairen Preis bezahlen.«

Der Kunsthändler hatte schon mehrfach Verständnis für ihre prekäre Lage bekundet und Fedoras Vater gebeten, einige Gemälde, die in der Galerie in der Bond Street zum Verkauf angeboten werden sollten, gegen angemessene Bezahlung zu restaurieren. Doch Alexander Colwyn hatte das Ansinnen entrüstet von sich gewiesen. Er könne sein Geld behalten, hatte er Lewenstein sehr von oben herab erklärt. Ein Colwyn nehme keine Almosen.

‚Wenn man so in Not ist wie wir,‘ dachte Fedora bitter, ‚sind Stolz und Standesdünkel fehl am Platze,‘ und mit einem Mal empfand sie keine Skrupel mehr, ohne Einwilligung ihres Vaters eines der Bilder zu Geld zu machen.

Ein lautes Klopfen an der Haustür riss sie aus ihren Gedanken. Jim war in die Küche gegangen, um irgendetwas Essbares für sie alle zu zaubern, und würde das Klopfen nicht hören. Also musste sie öffnen.

Fedora legte den Staubwedel auf den Tisch und trat in die Halle hinaus. Zur Zeit ihres Großvaters hatten der Marmorfußboden, der geschwungene Treppenaufgang mit dem handgeschnitzten Geländer und die rautenförmigen, bis zur Decke reichenden Fenster zu beiden Seiten der Haustür noch einen imposanten Anblick geboten. Jetzt wirkte alles schäbig und heruntergekommen. Nur die Bilder an den Wänden hielten die Erinnerung an bessere Zeiten wach und leuchteten wie kostbare Schmuckstücke in billiger Fassung.

Fedora öffnete die Haustür. Draußen stand der Briefträger, ein älterer Mann, der trotz seines steifen Beins immer noch seinen anstrengenden Beruf ausübte. »Guten Tag, Miss Fedora«, grüßte er freundlich. »Da ist ein Brief für Sie.«

»Danke. Wie geht’s Ihrer Frau? Hoffentlich besser.«

»Das warme Wetter tut ihr gut, und den Kindern auch.« Er gab ihr den Brief, tippte grüßend an die Kappe und hinkte davon.

Bestimmt wieder eine Rechnung, dachte Fedora verzagt. Hin und wieder bekamen sie Briefe aus London, in denen angefragt wurde, ob nicht die Möglichkeit bestünde, dass irgendwelche Schulden, die ihr Vater oder dessen Vater vor langer Zeit hinterlassen hatten, beglichen werden könnten. Da die Antwort immer gleich ausfiel, gaben es die meisten Händler oder Geschäftsleute mit der Zeit auf, Mahnschreiben zu schicken; einige von ihnen waren verstorben, ohne vorher ihre Schulden eingetrieben zu haben.

Doch dann erkannte Fedora, dass dieser Brief keine Rechnung enthielt, Der Umschlag bestand aus teurem Pergamentpapier und war mit einem imposanten Kronsiegel versehen. Obwohl der Brief an ihren Vater adressiert war, zögerte Fedora keinen Augenblick, ihn mit dem Brieföffner aufzuschlitzen. Sie hatte sich angewöhnt, alle unangenehmen Dinge von ihrem Vater fernzuhalten und ihm jede Aufregung zu ersparen. Deshalb nahm sie sich die Freiheit, seine Post zu öffnen.

Sie entnahm dem Umschlag einen gefalteten Bogen aus edlem Büttenpapier, dessen Kopf ebenfalls eine Krone zierte, und überflog die mit gestochen schöner Handschrift geschriebenen Zeilen.

Seine Gnaden, der Ehrenwerte Graf von Heversham, erhielt Kenntnis von Ihren außerordentlichen Fähigkeiten, Gemälde zu restaurieren. Gewiss ist Ihnen die einzigartige Gemäldesammlung auf Schloss Heversham bekannt, die nach der des Königshauses als wertvollste im ganzen Land gilt.

Seine Gnaden bittet Sie, so rasch wie möglich aufs Schloss zu kommen und einige seiner Gemälde, die dringend einer Überholung bedürfen, zu restaurieren. Das von Ihnen geforderte Honorar wird selbstverständlich akzeptiert werden. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir umgehend mitteilten, wann wir Sie bei uns erwarten können, und verbleibe mit vorzüglicher Hochachtung

Ebenezer Jenkins

Sekretär des Grafen von Heversham

Fedora stockte der Atem. Sie konnte es nicht fassen, dass ihrem Vater die einmalige Gelegenheit geboten wurde, die berühmte Heversham-Sammlung, die Mr. Lewenstein in den höchsten Tönen gelobt hatte, kennenzulernen.

»Der Graf hat mehr Van Dycks als Sie, Mr. Colwyn«, hatte sie den Londoner Kunsthändler einmal zu ihrem Vater sagen hören, »und doch kann sich nicht eines der Bilder mit dem brillanten Porträt Ihres Vorfahren messen.« Ähnlich hatte er sich zu den Rembrandts im Besitz des Grafen geäußert. »Wenn ich die Wahl hätte, Mr. Colwyn, würde ich das Gemälde in Ihrem Schlafzimmer allen anderen Rembrandts vorziehen.«

Trotzdem hätte es Fedora brennend interessiert, weitere Werke dieses weltberühmten Künstlers anschauen zu können.

Leider bestand jedoch kaum eine Möglichkeit, der Einladung nach Schloss Heversham jemals nachzukommen. Nicht nur die Krankheit ihres Vaters sprach dagegen, sondern vor allem sein verletzter Stolz darüber, vom Sekretär des Grafen wie ein gewöhnlicher Handwerker ins Schloss zitiert worden zu sein.

Sie seufzte bedauernd. Es wäre eine herrliche Gelegenheit gewesen, die Welt außerhalb von Mountsorrel, das sie während der letzten Jahre, wie ein Gefängnis ohne Gitter empfunden hatte, kennenzulernen.

Plötzlich hatte sie eine Idee, die ihr zunächst so verwegen schien, dass sie sie gleich wieder verwerfen wollte. Doch dann war ihr, als sei der Brief wie ein Sonnenstrahl durch eine düstere Wolke ausgerechnet an dem Tag, an dem sie sich von einem ihrer geliebten Gemälde hätte trennen müssen, in ihr Leben gedrungen.

Mit dem Brief in der Hand lief sie zu Jim in die Küche. Er rührte gerade etwas in einem Topf um, das köstlich duftete und Fedora daran erinnerte, dass ihr Magen knurrte. Doch im Augenblick war sie viel zu aufgeregt, um an ihren Hunger zu denken. Sie las Jim den Brief vor und sah ihn, erwartungsvoll an.

Der grauhaarige Diener lachte spöttisch. »Ihrem Vater wird das gründlich missfallen!« prophezeite er. »Ich nenne es eine Unverschämtheit, aber er wird bestimmt noch drastischere Worte finden!«

»Ich zeige ihm den Brief gar nicht«, erwiderte Fedora hastig, »aber ich habe eine Idee, Jim.«

»Und die wäre?«

»Du fährst, wie vereinbart, morgen nach London, aber nicht, um Mr. Lewenstein ein Bild zu verkaufen, sondern um ihm diesen Brief zu zeigen und ihn zu bitten, uns Geld für die Reise nach Schloss Heversham und für Lebensmittel und Medizin zu leihen, die Papa benötigt, um reisefähig zu sein.«

Jim ließ den Kochlöffel in den Topf fallen und sah seine junge Herrin fassungslos an.

Sie nutzte seine Sprachlosigkeit, um fortzufahren: »Du versprichst ihm, dass er das Geld zurückbekommt, sobald wir das Honorar für die Restaurierungsarbeiten auf dem Schloss kassiert haben.«

»Ihr Vater wird kein Geld annehmen, Miss Fedora, das wissen Sie doch genau«, sagte Jim kopfschüttelnd. »Zudem ist er viel zu schwach, um die Arbeit durchführen zu können!«

»Sicher ist er das«, gab Fedora ihm recht, »aber ich kann den Auftrag doch übernehmen. Wenn sie uns ein Arbeitszimmer zur Verfügung stellen, brauchen sie doch gar nicht zu erfahren, von wem die Restaurierungsarbeiten durchgeführt werden.«

Jims Miene verriet ihr, dass er begriffen hatte, worauf sie hinauswollte. »Da Papa niemals Geld annehmen würde«, fuhr sie fort, »könnte ich den Grafen um eine Unterredung unter vier Augen bitten und um sein Verständnis für unsere Lage werben. Gewiss wird er erkennen, dass Papa ein Gentleman ist, und ihm seine Achtung nicht versagen.«

»Das ist anzunehmen, Miss Fedora.« Jim nickte.

»Wir dürfen diese einmalige Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen«, erklärte Fedora entschlossen. »Es würde Philip das Herz brechen, wenn er auf eines seiner Bilder verzichten müsste.«

Sie war sicher, dass dieses Argument den alten Diener überzeugen würde. Er hing mit ebenso abgöttischer Liebe an Philip wie an ihrem Vater und an ihr. In einem besinnlichen Augenblick hatte er ihr einmal gestanden: »Es klingt vielleicht vermessen, Miss Fedora, aber ich betrachte Sie alle als meine Familie, wohl weil ich nie eine eigene hatte. Meine Mutter ist kurz nach meiner Geburt gestorben, und meinen Vater habe ich nicht gekannt. Sie behandeln mich so gut und geben mir das Gefühl, zur Familie zu gehören.«

»Das tust du doch auch, Jim«, hatte Fedora ihm versichert. »Du weißt doch, wie sehr Mama an dir gehangen hat, und ich wüsste nicht, was wir ohne dich tun sollten.«

Daraufhin bekamen seine blauen Augen einen verdächtig feuchten Schimmer. Um keine Rührung aufkommen zu lassen, fügte sie lächelnd hinzu: »Bin ich nicht ein Glückspilz, gleich von drei Männern, von Papa, Philip und dir, beschützt zu werden? Kann sich eine Frau mehr wünschen?«

»Eines Tages werden Sie einen eigenen Mann haben, Miss Fedora, und uns nicht mehr brauchen.«

Fedora entgegnete, er solle nicht solchen Unsinn reden, dann mussten sie beide lachen, und Jims sentimentale Anwandlung war vorüber.

Auf Philip war der alte Diener so stolz, als wäre er sein eigener Sohn, und als der junge Mann Mountsorrel verlassen hatte, um in der Fremde sein Glück zu versuchen, hatte Jim seine Tränen kaum zurückhalten können.

Philip hatte in den folgenden zwei Jahren regelmäßig geschrieben, doch jetzt waren sie bereits seit sechs Monaten ohne Nachricht von ihm.

»Vielleicht ist er schon auf der Heimreise«, versuchte Fedora ihren Vater zu trösten, der seinen Sohn sehr vermisste, aber insgeheim machte sie sich große Sorgen um Philip und malte sich aus, dass er krank sein oder sich in irgendeiner Gefahr befinden könne. Es war aber auch möglich, dass ihm das Geld ausgegangen war und er nicht wusste, wie es weitergehen sollte. Manchmal quälte sie der Gedanke, ihn nie wiederzusehen. Dann suchte sie Trost im Gebet und hoffte, dass ihr Flehen erhört und ihr Bruder bald heil und, gesund zurückkehren würde.

Ihre Hauptsorge galt jedoch ihrem Vater, der von Tag zu Tag schwächer und hinfälliger wurde.

»Ich fahre nach London und sorge dafür, dass Mr. Lewenstein uns genügend Geld leiht, damit wir alles Nötige besorgen können, Miss Fedora«, sagte Jim mit fester Stimme. »Für den Aufenthalt im Schloss braucht Ihr Vater unbedingt ein paar neue Hemden. Seine alten sind völlig verschlissen.«

»Aber das können wir uns nicht leisten, Jim!« gab Fedora zu bedenken. »Wir können uns von dem geliehenen Geld wirklich nur das Allernötigste kaufen!«

»Nur zwei neue Hemden, Miss Fedora«, bettelte Jim. »Ich kann jeden Abend eins waschen und an der Luft trocknen lassen, so dass er morgens immer ein frisches zur Verfügung hat. Außerdem wird er auf dem Schloss seinen Abendanzug benötigen. Also sollte ich ihn besser heraushängen und ausbürsten.«

»Passen wird er ihm bestimmt«, murmelte Fedora vor sich hin. Ihr Vater war so abgemagert, dass ihm alle Sachen, die Jim sorgfältig im Garderobenschrank des Schlafgemachs auf bewährte, in dem seit dreihundert Jahren das Oberhaupt der Colwyn-Familie zu schlafen pflegte, eher zu weit sein würden.

Plötzlich fiel ihr ein, dass sie sich auch neu einkleiden musste, wenn sie ihrem Vater keine Schande machen wollte. Und das können wir uns ganz bestimmt nicht leisten, dachte sie traurig, dann verdrängte sie diesen Gedanken.

»Am besten schlachtest du noch ein Huhn, bevor du zu Bett gehst«, sagte sie zu Jim. »Dann kann ich es morgen rupfen und für Papa zubereiten, damit es ihm an nichts fehlt, bis du mit dem Geld zurückkommst.«

»Geht in Ordnung, Miss Fedora«, erwiderte Jim, und seine Stimme klang optimistischer als zuvor.

Auch Fedora schöpfte neue Hoffnung, dass sich vielleicht doch noch alles zum Guten wenden werde. Zudem empfand sie das, was vor ihr lag, als aufregendes Abenteuer, das sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht hätte ausmalen können.

‚Ich werde die berühmte Heversham-Sammlung zu sehen bekommen!‘ dachte sie triumphierend und hätte singen und tanzen mögen. Sie hörte Jim in der Küche fröhlich pfeifen und bildete sich ein, die Bilder am Treppenaufgang lächelten ihr zu, als sie ihnen zurief: »Vorläufig habe ich euch davor bewahrt, euren Stammplatz verlassen zu müssen!«

Obwohl sie die ganze Nacht vor Aufregung kaum ein Auge zugetan hatte, war sie am nächsten Morgen pünktlich zur Stelle, um Jim zur Postkutsche zu begleiten. Er trug den Brief aus Schloss Heversham bei sich, dazu ein Schreiben von Fedora an Mr. Levenstein.