Verdorben für jeden anderen - Jackie Ashenden - E-Book
SONDERANGEBOT

Verdorben für jeden anderen E-Book

Jackie Ashenden

0,0
3,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 3,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

"Ich brauche deinen Schutz!" Cat muss sich an ihren Kumpel Smoke wenden, denn ihr brutaler Ex will ihr die Tochter wegnehmen. Ihr bleibt nur, zum Schein eine Beziehung mit Smoke einzugehen, damit sie unter den Schutz des Rockerclubs "Knights of Ruin" gestellt wird. Schon bald werden die Nächte mit Smoke immer heißer, und Cat muss sich eingestehen, dass kein anderer Mann sie mehr verlocken kann. Aber ist der Biker wirklich ungefährlich für sie und ihre kleine Familie?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 284

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



MIRA® TASCHENBUCH

Copyright © 2018 by MIRA Taschenbuch in der HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

© 2018 by Jackie Ashenden Originaltitel: „Ruined“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: DARE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./SARL Übersetzung: Milena Schilasky Coverabbildung: shutterstock_VolodymyrTverdokhlib, GettyImages_Epifantsev

ISBN E-Book 9783955769147

www.harpercollins.de Werden Sie Fan von MIRA Taschenbuch auf Facebook!

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

WIDMUNG

Für Jenny.

Weil du so geduldig auf das Ende von Cats und Smokes Geschichte gewartet hast …

Hier kommt es endlich.

Ich hoffe, es gefällt dir. :-)

1. KAPITEL

Cat

Wenn man auf die Hilfe einer Outlaw Motorcycle Gang angewiesen ist, weiß man, dass man knietief in der Scheiße steckt. Besonders schlimm ist es, wenn man wirklich alles dafür tun würde, diese Hilfe auch zu bekommen.

Aber was soll man auch machen, wenn das eigene Kind in Gefahr ist? Dann stellt man sich jedem Dämon, kämpft gegen jeden Drachen – nur wird es schwierig, wenn man den Drachen nicht allein töten kann. Wenn man jemanden bezahlen muss, der es für einen tut.

Ich würde jeden Preis zahlen, um Annie von ihrem Vater fernzuhalten.

So bin ich also hier gelandet, vor dem Clubhaus der Knights of Ruin, im Regen, an einem Samstag um Mitternacht. Um mich herum fand eine der lautesten Partys statt, die ich jemals erlebt hatte.

Ich wollte nicht reingehen. Ich hatte mir immer geschworen, dass es nicht soweit kommen würde.

Aber wenn dein Kind sich in den Händen des Teufels befindet und die Polizei denkt, alles sei in Ordnung, was zur Hölle bleibt einem dann übrig?

Es gab nur einen Menschen, die mir helfen konnte, und der war leider da drinnen.

Dane Kingsolver, alias Smoke, seit der Kindheit mein bester Freund und Eintreiber für die Knights. Ach, und er ging nicht an sein verdammtes Handy.

Das Clubhaus befand sich in einer alten Lagerhalle aus Backstein, am Rande Brooklyns. Motorräder standen wie Spielzeuge aufgereiht vor dem Gebäude und wurden von ein paar Prospects bewacht, von denen auch einer vor der Tür stand. Der harte Bassbeat der Rocksongs dröhnte bis nach draußen. Ein paar Frauen redeten mit dem Prospect an der Tür. Ihre Haare waren zu kunstvollen Mähnen gestylt, und die Röcke reichten kaum über ihre Hintern. Alle auf der Suche nach ein bisschen Gefahr, nach einem Abenteuer.

Idiotinnen. Sie wussten ja gar nicht, in was für eine Gefahr sie sich wirklich begaben. Fast wollte ich rübergehen und es ihnen sagen, aber ich blieb stehen. Sie würden sowieso nicht zuhören. Ich hatte es schon oft genug versucht, um mir dessen sicher zu sein.

Als sie nach drinnen verschwanden, ging ich zu dem Prospect rüber, der mit den Händen in den Taschen seiner tief sitzenden Jeans vergraben dastand. Vermutlich hielt er sich für Gott, weil er entscheiden durfte, wer reinkam und wer draußen bleiben musste. Er war noch jung, hatte hübsche blaue Augen, und seine Lippen umspielte ein Hauch von Milde.

Das würde nicht mehr lange anhalten, denn bald würde er genauso ein Monster sein wie der Rest von ihnen.

Misstrauisch sah er mich an; offensichtlich hatte er keine Ahnung, wer ich war. Keine große Überraschung, denn wenn ich es irgendwie vermeiden konnte, ließ ich mich hier auch nicht blicken.

Ich fixierte ihn mit meinem Blick; einen Feind sollte man niemals aus den Augen lassen. „Ich muss mit Smoke reden.“

Meine Stimme klang monoton und eindeutig so, als sollte man sich nicht mit mir anlegen. Gib dir keine Blöße, denn sonst holst du dir schnell zwei blaue Augen und kniest zwischen den Scherbenresten deiner Würde und Stärke auf dem Boden.

Never ever. Never fucking ever.

Der Prospect beäugte mich noch misstrauischer. „Und wer bist du?“

„Cat. Cat Livingston.“

Der Junge taxierte mich, und ich wusste genau, was er sah: eine abgekämpfte Frau in Skinny Jeans und einem ausgeblichenen Ramones-Shirt. Ungeschminkt. Mit dreckigen Sneakers, von denen sich an einer Stelle die Sohle ablöste.

Unscheinbar. So unscheinbar, dass es wehtat.

Aber das war mir scheißegal. Ich war schließlich nicht hier, um ihn zu beeindrucken, sondern um Smoke zu sehen. Um mein Kind zu retten. Denn eines wusste ich ganz sicher, und das war, dass Smoke die Kleine fast so sehr liebte wie ich und alles für sie tun würde. Auch für mich würde er alles tun. Wir waren immer füreinander da.

„Ja … Also, ich kenne dich nicht“, fing der Prospect an, „und ich denke verdammt noch mal nicht, dass du …“

„Was du denkst, interessiert mich nicht“, unterbrach ich ihn scharf. „Ich bin Smokes beste Freundin, und er wird ziemlich angepisst sein, wenn du mich nicht sofort reinlässt.“

Von Annie wollte ich ihm nichts erzählen. Ich kam mir schon dumm genug vor, ohne dass das Arschloch alles über meine Probleme wusste.

„Hey, pass auf was du sagst“, blaffte er aufgeblasen zurück. „Zeig verdammt nochmal ein bisschen Respekt.“

Super. Nun wurde ich also von einem Teenager-Arsch zurechtgewiesen, während mein gewalttätiger Ex mein Kind hatte. Und das alles wegen ein bisschen „Respekt“. Typisch Biker.

Gerade wollte ich ihm sagen, wo er sich seinen bescheuerten Respekt hinschieben sollte, als Tiger mit einer Zigarette in der einen Hand und einem Bier in der anderen durch die Tür kam. Tiger war groß, hatte drahtige Muskeln, wie Smoke, und war gut mit Smoke befreundet. Seine Haare waren fast schwarz, aber in bestimmtem Licht schimmerten sie rötlich, außerdem hatte er ungewöhnlich bernsteinfarbene Augen, weswegen er wahrscheinlich auch Tiger genannt wurde.

Er war zwar auch ein Arschloch, aber kein so großes wie dieser Idiot vor mir.

„Hey Cat“, sagte er in seiner tiefen Stimme, als er mich entdeckte. „Was treibt dich denn hierher?“

Den Prospect ignorierte ich und sah zu Tiger, der oben an der Treppe stand. „Ist Smoke da? Ich muss mit ihm reden. Es ist wichtig.“

Auch mit Tiger wollte ich nicht wirklich über Annie sprechen. Er hatte eigenartige Ansichten was viele Dinge anbelangte und Kinder gehörten dazu.

Tiger lehnte sich gegen den Türrahmen, hob sein Bier hoch und nahm einen Schluck. Er sah gelassen aus, aber das Funkeln in seinen Augen bewies das Gegenteil. „Ja, er ist hier. Aber ich weiß nicht, ob du ihn gerade sehen willst.“

„Wieso nicht? Wie gesagt, es ist dringend.“ Ich trat von einem Fuß auf den anderen, wollte aber nicht zu viel verraten. „Es geht um Leben und Tod … so ziemlich.“

„Mh-hm.“ Tigers Blick durchbohrte mich, obwohl er weiter lässig am Türrahmen lehnte. „Naja, er ist den Flur entlang, bei den Schlafzimmern.“

Das war alles, was ich wissen musste. Ich wollte nicht noch mehr Zeit verschwenden, also würdigte ich den finster blickenden Prospect keines Blickes, als ich zügig die Stufen nach oben ging. „Danke, Tiger“, murmelte ich und eilte an ihm vorbei durch die offene Tür.

Er lachte leise. „Bedank dich nicht bei mir. Denk lieber daran, dass das hier eine Party ist und gib nicht mir die Schuld, wenn du in etwas reinplatzt, was dir nicht gefällt.“

Ich hätte auf ihn hören sollen, tat es aber nicht. In meinem Kopf drehte sich alles nur um mein Kind und das Arschloch, das sie von der Schule abgeholt, nicht wie abgemacht zu mir zurückgebracht hatte und weder auf meine Nachrichten noch Anrufe reagierte.

Die Angst saß tief in meinen Knochen, aber ich versuchte nicht daran zu denken, als ich das Clubhaus betrat. Jetzt in Panik zu geraten würde niemandem helfen – am wenigstens Annie.

„Pass auf dich auf, Cat“, rief Tiger mir nach. „Du weißt, wie es auf den Partys der Knight abläuft. Eine Frau allein ist Freiwild.“

Ich wusste genaugenommen nicht, wie die Partys der Knights so waren, denn ich war noch nie auf einer gewesen. Aber Smoke hatte mir schon genug davon erzählt. Jede Menge Alkohol, Rauchen und laute Musik. Drogen. Sex.

Für mich klang das alles lächerlich, allerdings war ich auch kein Knight und ging nie auf Partys, daher konnte ich das wohl schlecht beurteilen.

Doch als ich durch den Flur ging und mir langsam auffiel, dass ich mitten drin war, ja, da verurteilte ich das Ganze.

Der Gemeinschaftsraum des Clubhauses sah aus, als wäre eine Studentenverbindung in der riesigen, zugigen Lagerhalle außer Kontrolle geraten. Es standen große schwarze Ledersofas rum, Bilder von Motorrädern und nackten Frauen hingen an der Wand, dazwischen standen noch ein paar Tische voller Bierflaschen. Es stank nach Zigarettenrauch, Joints und abgestandenem Bier.

An einer Seite befand sich eine Bar, wo gerade ein Typ auf dem Bauch eines fast nackten Mädchens kleine Gläser mit Alkohol füllte. Dabei lachte die junge Frau so doll, dass die Gläser fast herunterfielen.

Ich ging weiter, direkt durch die Tür, ohne stehenzubleiben oder mich umzusehen, um die Aufmerksamkeit der ganzen Biker nicht auf mich zu ziehen, die auf den Sofas saßen oder um die Bar herum standen. Ein paar waren an einem Pooltisch, wo zwei so gut wie nackte Frauen die Queues trugen. Wieder andere schienen sich ernsthaft zu unterhalten, abgesehen von der einen Frau, deren Hand zwischen den Beinen des einen Mannes ruhte, während sie sich ebenfalls mit dem daneben vergnügte.

Mein Gott. Smoke hatte wirklich nicht gelogen, was die Partys anging.

Ich war vorher nur ein paar Mal im Clubhaus gewesen, aber ich wusste, wo die Schlafzimmer waren und machte mich direkt auf den Weg, den Blick starr auf die Tür gerichtet, die dorthin führte. Dann hielt mich aber ein massiger Kerl auf, der über und über tätowiert war, einen schwarzen Vollbart trug und die auffälligsten hellgrünen Augen besaß, die ich je gesehen hatte.

„Big Red“ stand auf seinem Aufnäher. Der VP, Vize-President der Knights. Ich kannte ihn noch nicht, aber Smoke hatte mir von ihm erzählt. Der fieseste Wichser seit Dschingis Khan, angeblich.

Natürlich musste ich genau ihn jetzt treffen.

„Hey, Süße, was machst du hier?“, fragte er beiläufig. „Dich habe ich noch nie im Clubhaus gesehen.“

Ich versuchte freundlich zu sein und lächelte. „Ich will zu Smoke. Tiger meinte er wäre hier.“

Super. Erst dieser Prospect und jetzt der hier. Könnte der Abend noch besser werden?

Ich lächelte noch etwas breiter. „Vielleicht komme ich danach nochmal zu dir?“

Er lachte und kniff mir ins Kinn, was mir überhaupt nicht gefiel. „Smoke ist im Moment beschäftigt, Süße.“

„Wieso? Was macht er denn?“

Wieder lachte Big Red. „Hannah ist bei ihm. Er will bestimmt nicht gestört werden.“

Natürlich war eine Frau bei ihm. Naja, jeder hier hatte eine – wieso sollte er keine haben?

Wut breitete sich langsam in meiner Magengrube aus. Ich war also nicht nur gezwungen, hierher zu kommen und um Hilfe zu bitten, während gerade diese verdammte Party ablief, ich musste jetzt auch noch meinen besten Freund beim Sex unterbrechen. Und das alles nur, weil mein beschissener Ex, Justin, Annie nicht wie versprochen nach Hause gebracht hatte.

Ich packte die Wut und hielt daran fest. Wut war auf jeden Fall besser als die verdammte Angst, die darunter lag.

Mit dem Lächeln weiter im Gesicht, ging ich an dem enormen VP vorbei. „Ach, ich denke er hat nichts dagegen, wenn ich dazustoße“, sagte ich noch und zwinkerte ihm zu.

Big Red ließ ich zurück und ging durch die nächste Tür in einen weiteren Flur. Hier war es leiser, man hörte nur den Beat von House aus einem Zimmer und Stöhnen aus einem anderen.

Oh Gott, hoffentlich ist er nicht in dem Zimmer.

Ich ging weiter den Flur entlang und fragte mich, wo zum Teufel er wohl steckte und ob ich langsam anfangen sollte, an Türen zu klopfen und mich zu blamieren, als ich um die Ecke ging.

Und stehenblieb.

Wie angewurzelt.

Ein großer Mann lehnte an der Wand. Ein mir vertrauter Mann. Eins zweiundneunzig. Breite Schultern. Schmale Hüften. Haare so dunkel wie schwarze Tinte und sehr kurz geschnitten. Wangenknochen, um die ihn selbst Gott beneiden würde. Einen starken, definierten Unterkiefer. Gerade Nase und gerade schwarze Augenbrauen. Außerdem ein Mund der nur Sünde kannte – jedenfalls laut ein paar von meinen Freunden.

Smoke. Die Person, die ich auf der ganzen Welt am besten kannte und der mich auch am besten kannte. Den ich seit meinem fünften Lebensjahr kannte; er war damals sieben, und wir wohnten nebeneinander. Schon vom ersten Moment an waren wir befreundet, als er auf sein Skateboard sprang, der kleine Junge in kaputten Jeans mit aufgeschürften Knien, der das Mädchen von nebenan beeindrucken wollte.

Er konnte richtig zaubern, auf diesem Board. Er war wie der Wind – geschmeidig, wendig, aber dennoch stark. Selbst mit sieben Jahren. Genau in dem Moment entschied ich, dass ich ihn heiraten würde.

Aber das tat ich natürlich nicht.

Denn dann wäre ich jetzt sicherlich nicht hier, im Clubhaus der Biker, und würde ihm dabei zusehen, wie er seine langen Finger in den dunklen Haaren der Frau vergrub, die vor ihm kniete und ihm offensichtlich einen blies.

Mich überkam eine seltsame Hitzewelle. Er hatte immer Frauen um sich herum und ich habe auch öfter gesehen, wie er mit ihnen rummacht, es hatte mich nie gestört. Aber irgendetwas an dieser Situation gerade traf mich plötzlich wie ein Schlag ins Gesicht.

Er war immer eher der ruhige, zurückhaltende Typ. Ließ nie jemanden seine Gedanken erkennen, hielt alles unter Verschluss. Selbst mir gegenüber. Wenn man versuchte, ihm etwas über sich zu entlocken, warf er einem nur ein paar Standardsätze vor und fing dann an, selbst Fragen zu stellen, was ihn zu einem guten Zuhörer machte.

Deswegen nannten sie ihn Smoke. Man konnte sich nie ein deutliches Bild von ihm machen, um ihn herum blieb es immer etwas trüb, wie als würde man ihn durch Nebenschwaden ansehen. Oder Rauch.

Aber jetzt war dieser Nebel nicht da, und sein Gesichtsausdruck …

Mir war immer bewusst gewesen, dass er ein wunderschöner Mann war, aber vorher hatte ich es nie wirklich gespürt. Doch jetzt zog mich diese Intensität, die sich auf seinem Gesicht widerspiegelte, in ihren Bann. Genau wie das Verlangen, das ihn seinen Kiefer anspannen und die Muskeln am Nacken hervorstehen ließ.

Seine Aufmerksamkeit lag ganz auf der Frau, als wäre jede ihrer Bewegungen unheimlich wichtig, und seine Lippen bewegten sich, während er ihr Sachen zuflüsterte, die ich nicht hören konnte. Ich ertappte mich dabei wie ich mich fragte, was für ein Ausdruck wohl in seinen dunklen Augen lag. Ob sein Blick dasselbe gierige Verlangen zeigen würde wie seine anderen Gesichtszüge.

Und wie es wohl wäre, wenn er dich so ansehen würde.

Scheiße. Den Gedanken schob ich schnell beiseite. Heftig. Soweit waren Smoke und ich nie gegangen, und dazu würde es auch nie kommen. Einmal, ich muss ungefähr sechszehn gewesen sein, war ich unsterblich in ihn verknallt, aber er gab mir keinerlei Hinweise, dass es ihm ähnlich ging. Nicht einen einzigen.

Also verdrängte ich das Thema und vergaß die ganze Sache. Ich wollte ganz sicher nicht, dass all die alten Gefühle jetzt wieder hochkamen, verdammt.

Ich liebte Smoke, er war mein bester Freund. Aber wenn es um Sex ging, hatte man mit Männern nur Schwierigkeiten, und ich wollte, was das angeht, nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Vielleicht für immer.

Dann, als ob er meine Anwesenheit gespürt hätte, schoss sein Kopf hoch, und der Blick aus seinen schwarzen Augen traf meinen.

Die seltsame Hitze, die mich durchfuhr, wurde noch penetranter.

Scheiße. Irgendetwas in seinem Blick ließ meine Knie für einen Moment weich werden, und mir wurde schummrig. Ich vergaß komplett, wer ich war.

Als ob er mich zum ersten Mal in seinem Leben sah und tatsächlich wahrnahm.

Es fühlte sich gleichzeitig falsch und merkwürdig an, ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Daher schaute ich weg, mein Gesicht schien jeden Augenblick in Flammen aufzugehen.

„Cat?“

Normalerweise klang seine Stimme ruhig und tief, aber jetzt hatte sie etwas Raues, Heiseres an sich, das mich Zittern ließ.

„Verdammt, was machst du hier?“

Ich konzentrierte mich auf die Wand gegenüber. „Sorry, ich wollte nicht stören. Aber … ich brauche deine Hilfe.“

„Meine Fresse, ich bin hier … beschäftigt …“

„Es geht um Annie.“

Er verstummte. Kurz später murmelte er der Frau, die vor ihm kniete, etwas zu. Man hörte das Rascheln von Stoff, das Klimpern der Ketten die an Smokes tiefsitzender Jeans hingen und dann wie ein Reißverschluss geschlossen wurde.

Würde doch nur das Rot aus meinen Wangen verschwinden und mein Herz nicht so schnell schlagen. Ich hatte keine Ahnung, was eigentlich mit mir los war, aber was auch immer es war, dafür hatte ich gerade keine Zeit.

Die Frau huschte an mir vorbei und warf mir noch einen angepissten Blick zu. Sie mochte es offensichtlich auch nicht, unterbrochen zu werden.

„Was ist los?“, wollte Smoke direkt wissen.

Ich versuchte mich kurz zu beruhigen und sah dann wieder zu ihm.

Sein Gesichtsausdruck war wieder wie immer – verschlossen, wachsam. Nichts drang durch die dicke Wand hinter seinen dunklen Augen. Der wilde, leidenschaftliche Blick war verschwunden, als hätte es ihn niemals gegeben. Ein Teil von mir war darüber traurig, wollte diesen Ausdruck wiedersehen.

Aber den Teil unterdrückte ich und riss mich zusammen. „Tut mir leid, ich wollte wirklich nicht herkommen. Aber es ist wegen Justin. Er hat Annie von der Schule abgeholt und sollte sie vor vier Stunden wieder zu mir bringen, hat er aber nicht. Jetzt geht er nicht an sein Handy und antwortet nicht auf meine Nachrichten, und …“

Meine Stimme brach ab, ich merkte, wie Panik in mir aufstieg. Ich wollte jetzt nicht zusammenbrechen, und der Gedanke, dass Smoke da war, dass er mir helfen würde, der brachte mich wieder runter.

„Hey“, fing er leise an, in seiner vertrauten, tiefen Stimme, bei der alle Panik aus meinen Gedanken wich. „Alles gut, wir holen sie zurück. Hast du noch jemandem davon erzählt?“

„Nein.“

„Wie bist du hergekommen? Mit dem Auto?“

„Ja.“ Die kurzen, prägnanten Fragen beruhigten mich noch mehr.

„Gut.“ Er fuhr sich mit der Hand über seine kurz geschnittenen Haare. „Fuck. Okay. Ich will, dass du nach Hause fährst und da wartest. Ich hole Annie.“

Ich wusste, dass er mir helfen würde, wie immer. Und trotzdem musste ich mich vor Erleichterung erstmal an die Wand lehnen um nicht zusammenzusacken. Aber so war es immer, wenn ich mich um etwas kümmern musste. Dann war ich erstmal nur auf die Lösung fixiert und schob dabei alles andere zur Seite, auch meine eigenen Gefühle. Gefühle kommen einem sowieso nur in die Quere.

Der Nachteil daran war allerdings, dass wenn ich mich erstmal um alles gekümmert hatte, danach alle unterdrückten Emotionen gleichzeitig auf mich einprasselten. Wahrscheinlich war es auch nicht besonders gesund, so mit Problemen umzugehen, aber es hatte mir schon oft aus blöden Situationen geholfen, also blieb ich dabei.

Smoke musterte mich aufmerksam. Er erkannte sofort, wenn ich drohte zusammenzubrechen.

„Soll dich jemand nach Hause bringen? Ich kann Tiger sagen, dass er es übernehmen soll.“

Ich wäre gern mit Smoke mitgekommen, aber ich wusste, dass er etwas dagegen hätte, und ich sowieso nur im Weg wäre. Aber ich wollte auch nicht wie eine Vollidiotin hier zusammenbrechen.

„Nein, ist in Ordnung. Ich habe mein Auto.“ Mein Hals schnürte sich zu, und Angst lag schwer in meinem Bauch. „Ich will sie nur wiederhaben, Dane. Bitte.“

Aus Panik benutzte ich seinen richtigen Namen, und obwohl er es hasste, sah er mich mitfühlend an.

Dann hob er eine seiner großen, warmen Hände und berührte mich an der Wange, nur ganz leicht, flüchtig. „Alles gut, Kitten. Ich bringe sie dir zurück.“

Kitten. Wenn ich ihn Dane nannte, nannte er mich Kitten. Ein dummer Witz zwischen uns.

Doch zum ersten Mal überhaupt lösten der Kosename und die Berührung etwas in mir aus. Ein ungewohnter Schauer schoss durch meinen Körper.

Es schien ihm aber nicht aufzufallen, und er ließ seine Hand wieder fallen. „Verdammt, wieso macht er das auch? Er weiß, dass ich ihn umbringe, sollte er Annie auch nur ein Haar krümmen.“

Den nächsten Schauer ignorierte ich erstmal, für diesen Abend reichte es mir an Merkwürdigkeiten.

„Ich weiß es nicht. Er wirkte normal, als er sie letzte Woche nach Hause gebracht hat.“

Seit ein paar Wochen verhielt sich Justin inzwischen schon ruhig; die Androhung der einstweiligen Verfügung hielt ihn in Schach. Er war selbst Anwalt und tönte immer groß davon, wie er ein Schlupfloch finden könnte, aber getan hatte er glücklicherweise nichts.

Wenn nun allerdings Smoke bei ihm aufschlug, um Annie zu holen und irgendein Scheiß passieren würde …

„Mach aber nichts Dummes, ja?“

Ich hakte mit einem Finger unter eine seiner Gürtelschlaufen um ihn festzuhalten, sollte er auf die Idee kommen, loszurennen, ohne mich ausreden zu lassen. Das tat er zwar nie, aber ich wollte nur sichergehen. Annie war für ihn wie eine Tochter und sein Beschützerinstinkt daher auch enorm.

„Ich weiß, dass Justin ein Wichser ist, aber er kann dir das Leben echt schwer machen.“ Ich verkniff mir noch zu sagen, dass er den ganzen Knights das Leben schwer machen könnte, aber das brauchte ich auch gar nicht aussprechen.

Smoke sah zu mir runter, sein Gesichtsausdruck hart. „Er bekommt, was er verdient hat, Cat. Dagegen kannst du nichts tun. Erst recht, wenn er nochmal versucht so eine Scheiße abzuziehen.“

Ich musste schlucken, plötzlich war mein Hals ganz ausgetrocknet. „Um ihn mache ich mir keine Sorgen.“

Irgendetwas an seinem Blick veränderte sich, aber ich konnte es nicht ganz entziffern.

„Ja, ich weiß. Mach dir keine Gedanken.“

Er lächelte, aber ich wusste, wie wütend er war. So lächelte er nur, wenn er wirklich rasend war.

„Ich bringe ihn nicht um.“

Und zum zweiten Mal an diesem Abend erzitterte ich.

2. KAPITEL

Smoke

Für die Kleine würde ich töten. Für Cat würde ich töten.

Und als ich aus dem Clubhaus raus zu meinem Bike ging, wollte ich das auch. Ich wollte diesem Wichser Justin meine Hände um den Hals legen und die Scheiße aus ihm herauswürgen.

Sowas wie das hier hatte er noch nie gebracht, und ich wusste, dass es ein schlechtes Zeichen war. Bisher hatte er die Finger von Annie gelassen, aber es war nur eine Frage der Zeit. Arschlöcher wie er waren alle gleich. Da ich mit so einem aufgewachsen war, wusste ich das auch ziemlich genau.

Als ich dann den Ständer meines Motorrads hochklappte, kam Tiger zu mir rüber. Er sah ziemlich bekifft aus. Kein Wunder, bei der Graswolke rund um den Eingang des Clubhauses.

„Wo willst du hin?“

„Cat hat ein Problem mit Annie“, antwortete ich knapp. „Darum kümmere ich mich schnell.“

„Brauchst du Hilfe?“

„Nein.“

Je weniger Leute mit reingezogen wurden, desto besser. Besonders wenn dieser verdammte, eitle Anwalt anfängt, den Dicken markieren zu wollen. Der einzige Grund, weshalb er noch rumlaufen und atmen konnte, war, dass er der Sohn des Chiefs der Polizei hier war.

Keep, President der Knights, wollte nicht, dass wir mit den Bullen aneinandergerieten, denn wir hatten sie seit ungefähr einem Jahr in der Tasche. Hie und da ein paar Gefallen, und sie ließen uns in Ruhe.

Wenn nun aber der Sohn des Chiefs sterben würde, wäre der Deal wohl geplatzt.

Für mich echt verdammt schade.

Cat hat er schon mal wehgetan, ziemlich doll sogar. Allein dafür hätte ich ihn umgebracht und auf die Abmachung geschissen, hätte sie mir nicht gesagt, dass ich es nicht tun soll.

Das habe ich zwar nie verstanden, aber sie war meine Freundin, und ich wollte ihr Leben nicht noch schlimmer machen als es sowieso schon war.

„Sicher?“

Tiger wollte immer dabei sein, wenn irgendetwas passierte, aber heute sollte er lieber hierbleiben. Er hatte sowieso schon zu viel geraucht.

„Ja.“ Ich ließ den Motor meiner Harley an, das Getöse erfüllte die ruhige Nacht. „Aber behalte dein Handy im Auge, falls ich doch noch Verstärkung brauche.“

Er salutierte mir mit zwei Fingern zu, und ich fuhr los, raus auf die Straße.

Wo Justin lebte, wusste ich schon. Manchmal fuhr ich an seinem Stadthäuschen vorbei, nur um ihn daran zu erinnern, dass ich noch da war und nur auf einen Grund wartete, ihn zu erledigen. Als Warnung, damit er sich von den beiden Menschen fernhielt, die mir am allermeisten bedeuteten.

Was zur Hölle er mit Annie vorhatte, wusste ich nicht. Aber er hatte den größten Fehler seines Lebens begannen, da war ich mir sicher.

Ich muss Glück gehabt haben oder sowas, denn als ich vor seinem Haus auf den Bürgersteig fuhr, öffnete sich gerade die Tür und der Wichser kam raus – Annie in einem Arm, mit dem anderen zog er einen riesigen Koffer holpernd die Treppe herunter.

Erst bemerkte er mich gar nicht: Offensichtlich hatte er es recht eilig, das Kind und den Koffer in seinen schicken BMW zu wuchten, daher ließ ihn ein paar Minuten lang noch denken, er würde damit davonkommen. Dann stieg ich von meinem Bike und ging rüber zum Auto, gerade als er hinter sich die Tür zuzog. Ich riss sie wieder auf, noch bevor sie in Schloss fiel.

„Was zum Teufel?“

Vom Fahrersitz schaute er zu mir hoch, das Gesicht verzerrt vor Wut. Aus dieser Wut wurde allerdings schnell Angst, als ich mich entspannt mit einer Hand am Autodach abstützte und mit der anderen an der Tür, sodass er nicht aussteigen konnte.

„Hey, Justin“, sagte ich mit einem Lächeln. „Wohin geht’s denn?“

Er verzog sein Gesicht. „Verschwinde vom Auto oder ich rufe die Polizei.“

Ich lachte. „Ja … weißt du, ich glaube nicht, dass das eine gute Idee wäre.“

„Smoke!“, Annie zappelte in ihrem Kindersitz herum. Sie war erst sechs und wusste noch nicht, was für ein Arschloch sie als Vater hatte. „Was machst du hier? Es ist schon spät und wir machen einen Ausflug, nur Daddy und ich!“

„Na, Kleine.“ Meine Stimme blieb ruhig und freundlich, gleichzeitig scannte ich sie kurz ab. Es schien ihr gut zu gehen, sie grinste mich genauso an wie immer, als wäre sie überglücklich. „Wie läuft’s dahinten?“

Sie kicherte. „Hier läuft nichts. Kommt Mommy gleich?“

„Bald, Süße.“

Ich sah wieder zu ihrem Vater. Der Typ war außer sich, die Lippen zu einer harten Linie zusammengepresst. Einmal hatte Cat mir erzählt, dass er ihrer Meinung nach gut aussah, aber ich konnte es nicht verstehen.

„Annie muss jetzt nach Hause“, sagte ich bestimmt. „Du schnallst sie jetzt ab, gibst sie mir und dann passiert auch nichts.“

„Als ob.“ Justin griff nach den Autoschlüsseln. „Sie ist meine verdammte Tochter, und ich mache mit ihr, was ich verdammt nochmal will!“

Fuck. Der Wichser hörte wirklich nicht zu, oder?!

Ich beugte mich runter und griff nach den Schlüsseln, bevor er reagieren konnte, zog sie aus der Zündung und schmiss sie so stark ich konnte rüber auf die andere Straßenseite. „Fang, Hurensohn.“

Justin sah aus, als würde er jeden Moment platzen. „Fass sie an und …“

„Und was?“, unterbrach ich ihn, langsam hatte ich genug von dem Scheiß. „Rennst du dann zu Daddy? Versteckst dich hinter den beschissenen Gesetzen? Oder stehst du zur Abwechslung mal deinen Mann und legst dich mit mir an?“

In dem Moment hoffte ich, er würde mich schlagen. So dringend suchte ich nach einem Grund, ihm in die Fresse zu hauen, es tat schon beinahe weh.

Aber es war, als wüsste er das genau, als könne er mir ansehen, wie sehr ich das wollte, denn plötzlich lehnte er sich zurück und jegliche Anspannung wich aus seinem Gesicht.

„In Ordnung“, fing er an. „Bring sie halt nach Hause. Aber du kannst Cat gleich ausrichten, dass ich wiederkomme.“ Der Arsch hatte die Frechheit, mich anzulächeln. „Mit einem Gerichtsbeschluss.“

Ich wollte ihn auf der Stelle so sehr würgen, aber das konnte ich natürlich nicht. Keep würde mich umbringen, wenn ich den Deal mit den Bullen versaute, und so dumm war ich nicht. Selbst ein Schlag in sein Gesicht wäre zu viel.

Ein Schauer lief mir über den Rücken.

Bisher hatte Justin nie damit gedroht, das alleinige Sorgerecht für Annie zu beantragen. Laut Cat, weil er sie sowieso von Anfang an nicht bekommen wollte. Dass er nur auf sein Umgangsrecht bestand, um Cat zu ärgern, was ich ihr auch glaubte. Der Typ war enorm kontrollsüchtig, was ich genau wusste, weil ich das gleiche Problem hatte.

Einen entscheidenden Unterschied gab es allerdings zwischen uns: Ich würde niemals einer Frau wehtun so wie er es getan hatte, oder ein Kind benutzen, wie er Annie.

Ich warf ihm ein Grinsen zu – eins, das ihm einen frühen Tod versprach. „Tu das, wenn du denkst, dass du damit durchkommst.“

Er hielt das wohl für seinen Trumpf oder sowas, denn er lächelte inzwischen ziemlich eingebildet.

„Oh, das ist kein Problem. Jeder Richter im Land wird mir das alleinige Sorgerecht zusprechen. Besonders gegen eine alleinstehende Mutter mit einem gefährlichen Biker als Freund.“

Nur dank dem intensiven Antrainieren von Selbstkontrolle, konnte ich mein Gesicht ruhig halten und die Hand von meiner Waffe lassen. Ansonsten hätte ich ihm eine Kugel in seinen verfickten Kopf gejagt.

Er wollte mich also gegen Cat verwenden.

Du wusstest doch, dass das passieren würde.

Ja, das hatte ich schon immer gewusst. Dass irgendwie, irgendwann die Kacke am Dampfen wäre.

Cat hatte den Club von Anfang an gehasst, gehasst, dass ich ein Knight war, und das konnte ich auch verstehen, bei ihrer Geschichte. Aber bis jetzt hatte es aber nie wirklich zwischen uns gestanden, da sie nichts mit dem Club zu tun hatte.

Aber jetzt …

Scheiße. Irgendwie komisch, dass mich daran am meisten ärgerte, dass ich nicht mal ihr Freund war. Obwohl alles in mir genau das sein wollte.

Tief in meinem Bauch brodelte langsam die Wut und bahnte sich den Weg durch meine Adern. Bald müsste ich sie rauslassen, aber da hatte ich schon meine Möglichkeiten. Jetzt lächelte ich erstmal das eingebildete Stück Scheiße in seinem Wagen weiter an und stellte mir seinen baldigen Tod vor.

„Tu das, Justin.“ Ich ging sicher, dass er das Drohen in meiner Stimme hörte. „Dann kriegst du, was du verdienst. Ganz sicher. Ach so, wohin sollte es denn überhaupt gehen? Du weißt doch, dass es gegen das Gesetz ist, das Sorgerecht zu brechen, oder?“

Er lachte nur. „Das wird schon bald anders aussehen. Hey, Annie, willst du jetzt zu Mommy, Schatz?“

Annie, die ganz ruhig auf der Rückbank saß, nickte. Was los war, hatte sie natürlich nicht verstanden, aber schon gemerkt, dass irgendetwas nicht stimme. Sie war ein sehr aufmerksames Kind.

„Fahren wir jetzt doch nicht weg?“

„Nein“, antwortete ich bevor Justin etwas sagen konnte. „Willst du eine Runde auf meinem Motorrad mitfahren?“

„Jaa!“

Ich holte Annie selbst aus dem Wagen und beachtete ihren Vater nicht, der sich noch verabschiedete. Dann schnappte ich mir ihren Rucksack und verstaute ihn in der Satteltasche meines Bikes. Justin durfte die Straße nach seinen Autoschlüsseln absuchen.

Annie setzte ich vor mich auf den Sitz, wo sie sich direkt von allein an meinen Armen festhielt. Sie war schon mit mir auf der Harley mitgefahren, als sie noch nicht einmal sprechen konnte. Sie wusste also, was sie tun musste.

Cat schrieb ich noch kurz eine Nachricht, um Bescheid zu sagen, dass ich Annie hatte und wir losfuhren.

Fünfzehn Minuten später kamen wir bei Cats heruntergekommenem Wohnhaus an. Es war vielleicht nicht der beste Ort, um ein Kind großzuziehen, aber sie hatte nette Nachbarn, und die Wohnung selbst war sauber und aufgeräumt. Sie war eine tolle Mutter – und das ist doch sowieso alles, was für ein Kind zählt. Annie hatte immer frische Klamotten, Essen, ein Bett und Menschen um sich, die sie liebten. Menschen, die nicht die Scheiße aus ihr rausprügelten. Das war verdammt viel mehr als einige andere Kinder hatten.

Cat wartete schon draußen. Die Hände tief in den Taschen ihrer Jeans vergraben versuchte sie, gelassen zu wirken, aber ich wusste, dass sie es ganz und gar nicht war. Als ich angefahren kam, rannte sie die Treppe herunter, zwei Stufen auf einmal.

„Hey, Süße“, begrüßte sie Annie und hob sie hoch. „Wie war es bei Daddy?“ Sie wirkte gar nicht panisch, aber ich konnte es dennoch in ihrer Stimme hören.

Es schien Annie aber nicht aufzufallen; sie plapperte einfach davon, was sie am Nachmittag gemacht hatten.

Zu mir sagte Cat nichts, aber das war auch nicht notwendig. Der eine Blick aus diesen großen grünen Augen sprach Bände.

Ich folgte ihnen die Treppe hoch in ihre Wohnung, nachdem ich Annies Zeug aus der Satteltasche meines Bikes geholt hatte. Cat machte sich gar nicht die Mühe, mir irgendwelche Fragen zu stellen, sondern war damit beschäftigt, Annie zuzuflüstern, dass sie ihren Schlafanzug anziehen und sich die Zähne putzen sollte, weil es schon spät war.

Ich ließ sie erst das ganze Kinderzeug erledigen und ging stattdessen in die winzige, penibel geputzte Küche und schaute in den Kühlschrank. Normalerweise hatte sie immer ein paar Dosen von meinem Lieblingsbier da – und siehe da, im Fach standen welche. Ich nahm mir ein Bier, ging zurück ins Wohnzimmer, öffnete das Bier und ließ mich auf das ausgeblichene Chintz-Sofa fallen, das sie mit irgendwelchen indischen Decken überhangen hatte.

Vor mir stand ein niedriger, hölzerner Couchtisch, auf den ich wie immer meine Füße legte, und einen Schluck vom Bier nahm, während ich mich zurücklehnte.

Mir gefiel es bei Cat. Ich selbst hatte ein Zimmer im Clubhaus der Knights, das war auch cool, aber ich hatte keine Wohnung oder sowas. Das war meine eigene Entscheidung, vor einer ganzen Weile schon, aber das hieß ja nicht, dass ich nicht gern bei Cat war und hier rumhing.

Cats Wohnung wirkte immer gemütlich, trotz des abgenutzten Teppichs und der schmutzigen Tapete, mit der ganzen Deko und dem Scheiß, den sie mochte. Das wichtigste war allerdings, dass Cat da war.

Deswegen gefiel es mir. Deswegen kam ich immer wieder her.

Seit ich sieben war, waren wir schon befreundet, und mit etwas Glück blieb das auch für den Rest meines Lebens so.

Solange ich es nicht versaue.

Bisher war ich brav gewesen, seit Jahren schon, es gab also keinen Grund zu denken, dass sich das jetzt ändern würde.

Nach fünfzehn Minuten kam Cat endlich ins Wohnzimmer, die Hände wieder in ihren Hosentaschen vergraben. Das machte sie immer, wenn sie nervös war, als würde sie denken, ihre Hände würden sie verraten oder sowas.

Ihr schwarzes Haar hatte sie zu einem tiefen Pferdeschwanz zusammengebunden; es glänzte und schimmerte, wie Öl an einem heißen Sommertag. Aber sie sah blass aus. Müde. Unter ihren grünen Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab, und durch die Erschöpfung hatten sich leichte Fältchen um ihren hübschen Schmollmund gebildet.

Ja, selbst übermüdet und erledigt sah sie noch so verdammt schön aus.

Aber das tat sie immer schon.

Sie setzte sich in einen verschlissenen Sessel gegenüber vom Sofa, ohne mich anzusehen. Es wirkte sogar so, als würde sie versuchen, meinen Blicken komplett auszuweichen.