Verloren in Dubai - City of Money - Gaby Barton - E-Book

Verloren in Dubai - City of Money E-Book

Gaby Barton

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Beschreibung

"Geld regiert die Welt - und Frauen auch!" Nur des Geldes wegen quält sich die labile Detektivin Hekate Schmidt mit ihrem ersten Auftrag in Dubai. Schnell scheint der Fall klar. Die gesuchte junge Nora würde sie bei einem vermögenden Liebhaber finden. Das, was alle jungen hübschen Frauen sich in Dubai erträumen, oder? So hat Schmidt keine Eile mehr, denn mit jedem zusätzlichen Tag in der City of Money, kommt sie mehr aus ihren Geldschwierigkeiten heraus. Eine tote Person im Luxusapartment ändert alles. Schmidt stürzt in ein tiefes Loch. Und gerät in große Schwierigkeiten. Für Dubai Police sind die Fakten eindeutig. Sie darf das Emirat nicht mehr verlassen. Der Einzige, der helfen könnte, ist ein exzentrischer Engländer. Ein Privatier auf der Suche nach Geschäften und einem kleinen Abenteuer. Doch sie hat Erwartungen und Hoffnungen enttäuscht, hat mit falschen Karten gespielt und einem Vorurteil recht gegeben. Was kann sie nun erwarten? Die Zeit läuft gegen sie. Die Kriminalgeschichte greift wahre Vorfälle im exotischen Milieu dieser sehr beliebten Urlaubsregion auf. Wo viel Geld ist, sind Gier und Betrug nicht weit. Haben Gerechtigkeit und Freundschaft überhaupt einen Stellenwert in der City of Money? Von einer Dubai-Insiderin geschrieben. Auszüge aus dem 5*-Käuferfeedback: "Psychogram mit Spannungsbogen. Die Erfahrungen mit der dortigen Polizei überlassen wir gerne ... der Protagonistin." Von HJN am 22.11.17 "Drei Gründe, dieses Buch zu lesen. ... (3.) Barton schafft drei Männerfiguren, die ich sehr gut finde: den Hotelier, ... den Engländer, ...und den Kommissar der Dubai-Police, der diesem goldschürfenden Mob aus der Ersten Welt mal sagt, wie man sich im Ausland zu benehmen hat. Von Schreiberling am 28.12.17 "Tolles Lokalkolorit! Der Untertitel .. spiegelt einfach den faszinierenden Hintergrund der Boom-Town perfekt wider." Von Fennek am 1.12.17 "Eine spannende Kriminalgeschichte mit einer sympathischen Protagonistin. Ich freue mich auf die Fortsetzung." Von Sabeel am 17.12.17 Tauchen Sie ein in die Welt der einzigartigen Krimi Reihe. Fortsetzungen:: 7 Sterne Tod in Dubai City of Luxury & Stop Expo in Dubai City of Events

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Verloren

 

 

 

 

 

Verloren

 

in Dubai City of Money

 

 

1. Ermittlungsfall von Hekate Schmidt

 

 

Roman von Gaby Barton

 

 

 

Impressum

© 2017 Gabriele (Gaby) Barton, www.gabybarton.com

 

Design © Gaby Barton www.bbestpartner.net

 

Lektorat & Korrektorat: Michael Lohmann www.worttaten.de

 

E-Book Formate erhältlich.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlegers/Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

 

Vorbemerkung

Dies ist ein Roman. Er spielt an real existierenden Orten. Doch das Erzählte lässt keinen Rückschluss auf die Verhältnisse in Dubai, den VAE zu. Ebenfalls will der Roman nicht die Menschen dort und ihr Verhalten charakterisieren.

Bereits im Jahr 2006 hatte ich die Idee für dieses Buchprojekt. Nun einige Bücher weiter und mit mehr Erfahrung als Autorin ist es Realität geworden.

Das Buch ist all den Freunden und Bekannten gewidmet, die mir im Laufe meiner sechs Jahre in Dubai und später außerordentliche Erlebnisse, viel Freundschaft, Hilfe und interkulturelle Einsichten erlaubt haben.

Boris, Chris, Codrin, Deema, Doris, Elena, Elisabeth, Fadi, Fred, George, Gerda, Graham, Harini, Jasmin, Javed, Khodr, Kalil, K. K. B. S., Karin, Lucia, Majid, Mansour, Marie, Marina, Michael, Mike, Nasri, Nasser, Narzan, Petra, Philipp, Safwan, Shamsa, Sukumar, Szilvia, Sultan, Sunil, Surit, Willi und anderen mehr.

Und ganz besonders danke ich den sehr frühen Lesern des Manuskripts, E. J. E. in Wien sowie H. K. in Dubai, die mir in ihren Feedbacks vermittelten, dass es was werden könnte mit meinem allerersten Kriminalroman. Danke!

 

 

 

 

Mein Leben führt ins Nichts, Jemand …

Wer? – Hilf mir!

Niemand.

Hilf mir!

Mein Leben führt ins Nichts, Jemand …

Irgendjemand, hilf mir, doch!

Bei bei beim

Le-e-e-e-eben –

Bleib!

Prolog Verloren 1

Nein, nein, nein. Horror ergriff sie und ihr schwanden für Sekunden die Sinne. Blutverschmiertes Glas überall auf dem Boden. Das ... das ...

Sie sank auf die Knie in den hellroten See.

Duuh. Ich ... bin ... doch wieder ...

... hab ich nicht gewollt.

Streckte ganz vorsichtig ihre Finger aus, als hätte das noch Bedeutung. Zu deutlich sprach das blutleere, rot besprenkelte Gesicht: Zu spät. Viel zu ....

Spät.

Und ich, ich habe ... ich.

Das Handy in der Ecke auf dem Boden blinkte gefühlslos, Anruf verpasst. Und tot.

Wegen mir .... wenn ich nicht ... gleich ...

Sie stierte in das Rot.

In das vertraute wie fremde Gesicht. Entsetzen und Schuldgefühl überwältigten sie, ohnmächtig kippte sie zur Seite.

Prolog Verloren 2

Er sah Nora im riesigen Pool planschen. Ihre blonden Haare zu einem Dutt aufgetürmt. Hellblaues klares Wasser schwappte in kleinen Wellen um sie herum. Rote Lippen wie Farbtupfer mal da, mal dort ... Hinter dem Pool leuchteten goldgelbe Sonnenschirme zwischen hohen Palmen, dazwischen Kamele und Männer in weißen Umhängen und langen, rot-weiß gestreiften Kopftüchern. Sie riefen der jungen Frau etwas zu, amüsierten sich und versuchten, sie aus dem Wasser zu locken. Hinter ihnen auf einem riesigen Plakat lächelte die deutsche Sportlerlegende wohlwollend herab. In der Ferne verlor sich die dünne silberne Spitze des Burj Khalifa im flirrenden Dunst der Hitze. Der Sportler grinste auf ihn runter, höhnte: Du Looser! Verloren! Er stand stocksteif im Anzug schwitzend, in der Gluthitze.

 

Plötzlich am Poolrand, Araber und Plakat bedrohlich im Rücken. Nora hob sich abrupt aus dem Wasser bis zum Bauchnabel. Das rosafarbene Bikinioberteil blitzte in der Sonne, sie winkte. Ihm? Ihnen? Mit aller Kraft streckte er sich zu ihr hin. Im nächsten Moment tauchte sie mit einem gurgelnden Laut komplett im Pool unter, nur noch eine kleine Faust wirbelte über der Wasseroberfläche. Gellende Schreie »Gott ... sie ertrinkt!«, paralysierten ihn. Krampfhaft versuchte er, wegzukommen aus dieser unerträglichen Lage und sich aus der Starre zu reißen. Die Hilfe-Rufe wurden immer lauter. Er zog mehr und mehr, wollte los mit seinen Beinen; ein Araber hielt ihn fest, er fing an, um sich zu

schlagen. Und wieder ein Schrei. Da …

Mit einem Ruck saß er im Bett auf und befreite sich endgültig von der schweren Decke. Das Herz raste, der Kopf schmerzte. Mit der Hand fuhr er über schweißnasses Gesicht, wusste einen Moment lang nicht, wo er war. Dann quälte er sich steif aus dem Bett, der Seidenpyjama klebte als feuchter Lappen an seinem Körper. Die Heizung! Der Traum kehrte seit den letzten Monaten fast jede Nacht zurück. Während die Anstrengung langsam abnahm, traf er eine Entscheidung.

Es macht mich sonst noch krank.

Der Wind blies scharf. Kate, wie sie sich seit ihrer Kindheit nannte, versuchte, ihm und ihren Sorgen davonzurennen. Doch nach einer halben Stunde musste sie keuchend aufgeben und schlich die Treppe zu ihrer Altbauwohnung in Berlin-Charlottenburg hoch. Muss endlich abnehmen! Erst nach dem Duschen sah sie das Blinken an ihrem Smartphone. Mist! Sie pfefferte das Gerät zurück auf den Tisch, unbekannte Nummer. »Warum verdammt noch mal habe ich das Telefon nicht eingesteckt!«, schrie sie. Wie ich das hasse, hasse, hasse ... nichts tun, nur warten.

Voller Unruhe lief sie die Hundertacht-Quadratmeter-Wohnung ab, hin und her. Trank hintereinander fünf Yoga-Detox- und Antistress-Tees und verdrückte hektisch eine Tafel Nussschokolade, sicher würde ihr gleich schlechtwerden. Spekulierte mit Christopher, ob ihre halbherzigen Bemühungen, sich bei den alten Kunden und Kollegen wieder zu melden … ob das nun doch etwas gebracht hatte ... und dann …

»Dann habe ich das Telefon nicht dabei!«

Ruhig, ruhig, tief einatmen ... sei nicht so streng mit dir! Antwortete er oder war es Doktor Stender? Sie fasste an das blaue Band am linken Handgelenk und drehte es unglücklich. Vertrauen! Vertrauen!

Kurz nach drei Uhr war es, als das Stakkato des Telefons »Le, le, le, leeeben ...« Kate aufschreckte.

Der unbekannte Teilnehmer. Sie atmete tief durch. In den Bauch hinein. So wie sie es in der Reha geübt hatte. Noch einmal. »Le, le, le, leeeben ...«, tönte es lauter aus dem Telefon. Mit betont festem Tonfall: »Ermittlungen Schmidt.«

»Frau Schmidt? Sind Sie es?«, hörte sie eine schnarrende männliche Stimme.

Unangenehm! Das in den Berufsjahren geschulte Ohr vermittelte ihr sofort eine Idee davon, dass da ein kleiner Gernegroß am anderen Ende war.

»Ja, persönlich. Einen schönen guten Tag. Was kann ich für Sie tun, Herr ...?«

»Doktor Berthold. Guten Tag. Ich rufe Sie in einer heiklen Sache an. Ich hab mal ein bisschen im Internet recherchiert. Sie scheinen ja Spezialistin für ... familiäre Angelegenheiten zu sein.«

Meine Rettung, dachte Kate und versuchte einen selbstbewussten Tonfall. »Ja, schön, es stimmt. Worum geht es bei Ihnen?«

Sie hörte schweres Atmen, dann einen tiefen Seufzer. »Meine kleine Schwester. Ich habe keinen Kontakt mehr zu ihr. Sie ist verschwunden.«

Die professionelle Kate wurde jetzt hellwach: »Ihre kleine Schwester, seit wann vermissen Sie sie?«

»Sie meldet sich überhaupt nicht. Mir schwant da Unheil.« Unheil? »Sie ist nämlich nach Dubai gezogen.« Dubai! Kates Puls schoss in die Höhe.

»In diese Schein- und Glitzerwelt.« Das Schnarren von Bertholds Stimme konnte den Ärger kaum verhehlen. »Ich war dagegen. Aber das Fräulein tut ja immer, was sie sich in den Kopf gesetzt hat.«

»Ich höre daraus, dass Ihre Schwester volljährig ist?«

»Ja, formal, aber ... abhängig. Sie war mit dem Studium noch nicht fertig, dafür habe ich sie unterstützt. Bis sie eine Tätigkeit als Anwältin aufnimmt.«

»Aha, ich verstehe. Und dann hat sie sich mir nichts, dir nichts nach Dubai aufgemacht?«

»Ja, sehr gut beschrieben. Mir nichts, dir nichts.« Und jetzt sehr empört: »Sie hat mich einfach vor vollendete Tatsachen gestellt. Schickt mir eines Tages eine Karte, dass sie nach Dubai gezogen sei. Eine Kontaktadresse hatte sie mir natürlich nicht genannt. Oder sich mal gemeldet. Nichts. Aber dann habe ich mir gedacht, sie wird schon schnell merken, dass sie einen Fehler gemacht hat. Aus dem komfortablen Nest, wo sie alles hat, einfach ... alles zurückzulassen.«

Kate nickte, kannte solche Vorwürfe nur allzu gut.

»Wer wartet schon in Dubai auf sie? Ohne Studienabschluss, ohne Geld. Denn als ich die Karte von ihr bekam, habe ich die monatliche Geldüberweisung gestoppt. In Dubai, da dreht sich doch alles ums Geld. Was will sie da?«

Berthold redete sich immer mehr in Rage. »Ich war mir sicher, dass sie nach vier Wochen reuig vor meiner Tür stehen würde. Ich hab ein bisschen recherchiert, als Deutscher kann man sich mit einem Touristenvisum dreißig Tage in Dubai aufhalten.«

»Sie haben sie jetzt wie lange nicht mehr ...?«

»Vor zehn Monaten kam die Karte. Das war das letzte Mal, dass ich von ihr gehört hatte.«

Zehn Monate???

»Herr Doktor Berthold. Was denken Sie, wie Ihre ...« Tochter, hätte Kate jetzt fast gesagt, so wie das Gespräch auf sie wirkte, »... wie Ihre Schwester ohne Geld überhaupt so lange in Dubai bleiben konnte?«

»Was weiß ich denn!«, reagierte Berthold wütend. »Wahrscheinlich lässt sie sich da von einem dieser Scheichs aushalten. Die haben da alle eine Doppelmoral. Prostitution blüht. Blonde Frauen beliebt! Lug

und Trug ... Sie wissen doch, was da los ist! Oder?«

Puh, Kate kritzelte auf dem Notizblock ein fettes Arschloch und strich es sogleich wieder durch. Sie wollte jetzt vorsichtig sein und nicht den möglichen Auftrag gefährden. Doch solch ein arroganter Typ, mit Klischees und Vorurteilen ... Wie es sich anhörte, hatte Berthold sehr viel an der Schwester auszusetzen. Kein Wunder, dass sie aus dem Käfig ausbrach. Aber warum dann ausgerechnet nach Dubai?

Das Letzte, wo ich hinwollte ... Und zwei Jahre weg aus der Ermittlertätigkeit ... Kann ich überhaupt noch? Will ich noch? – Augen zu und durch!

Sie zwang sich mit dem Gedanken an die unbezahlten Rechnungen und ignorierte seine Frage wegen Dubai erst mal. »Herr Doktor Berthold, Sie haben recht. Ich kann Ihnen helfen. Ich kann herausfinden, was mit ihr ist. Und sie ...« Kate zögerte, weil sie es ihm nicht versprechen wollte, doch gab sich mit einem tiefen Atemzug einen Stups. »... möglicherweise zurück nach Deutschland holen kann.«

Bevor Berthold irgendetwas antworten konnte: »Gerade, weil ich eine Frau bin, kann ich mich diskret nach Ihrer Tochter, oh, Entschuldigung, nach Ihrer Schwester erkundigen, ohne dass es besonders auffällt.« Und angestrengt schmeichelnd: »Denn das wollen Sie ja sicher, ... diskrete Ermittlungen.«

Das Schnarren war wieder klar und dominant: »Ja. Diskret. ... Sehr diskret. Keine Anfragen an offizielle Stellen. Frau Schmidt, der Name Doktor Berthold & Partner zählt etwas bei einer sehr anspruchsvollen Klientel in besonderen Angelegenheiten. Man vertraut mir. Ich kann mir keinen Skandal leisten.«

Skandal? Schon fuhr er mit vor Wut bebender Stimme fort. »Meine Schwester ist zu allem fähig. Sie war der Nachkömmling, von Anfang an ein Dickkopf, schwer zu bändigen ...«

Als spräche er von der jungen Hekate ...

»Da ich fünfzehn Jahre älter bin als meine Schwester, habe ich nie viel mit ihr zu tun gehabt. Aber ...«, seine Stimme brach ab. Er räusperte sich ein paar Mal. Und mit einem Hüsteln: »Ich habe die Verantwortung. Ich muss wissen, was los ist. Übler Nachrede vorbeugen.«

Kate fand jetzt den Moment passend, um konkret über den Auftrag zu sprechen. »Ich habe aktuell keinen ... größeren Fall, nur eine Recherchesache«, log sie. »So kann ich für Sie sofort loslegen. Und nächste Woche schon nach ...«, alles zog sich in ihr zusammen. Mit einem tiefen Atemzug, »Dubai fliegen.«

Das schaffst du.

Schob mulmig hinterher: »Ich kenne Dubai, ...«

»Sie hatten dort einen Auftrag, das ist vorteilhaft.«

»Nein, das nicht.« Sie musste etwas zurückrudern. »Vor allem durch meinen Partner, der ist Architekt, ich ... habe ihn ... begleitet, als er sich für Projekte bewarb.« Nein. Sie waren gar nicht in Dubai gewesen, waren über die Planung nicht hinaus gekommen. Er hatte große Pläne in 2009, versuchte, sie zu begeistern. Da bist du am Meer, Kattie, das liebst du doch so! Aber dann wurde das Bauvorhaben der Jebel Ali Palm wegen der Finanzkrise auf Eis gelegt. Eine schwere Zeit für Christopher, aber sie, sie war erleichtert, dass sie in ihrem geliebten Berlin blieben.

 

»Chaotische Szenen brachen vor dem Strafgericht aus, als zwei Frauen, die der Prostitution beschuldigt waren, wütend ihre dunkelgrüne Gefängniskleidung runter rissen und sich auf den Boden warfen. Der Richter hatte soeben den Fall vertagt. Sein Hinweis, er werde sein Urteil am Donnerstag verkünden, hatte die Stimmung zur Explosion gebracht. »Welcher Donnerstag?«, schrien die Frauen ihm hinterher. Und weigerten sich, in ihre Zellen zurückzukehren. Inmitten der Tritte gegen die Bewacher und Schreie fielen Sätze wie »Die Emirat sind ein schlechter Ort« und »Ich gehe nicht zurück ins Gefängnis – ich bleibe hier«. »Wo ist Gerechtigkeit?« Den Beamten gelang es nach zehn Minuten, die beiden Halbnackten auf dem Boden zu überwältigen, hochzuziehen und aus dem Gerichtssaal zu schieben.

Die beiden Aufsässigen gehörten zu einer Gruppe von sieben, die wegen Prostitution angeklagt wurden. Fünf Nigerianerinnen, zwei Chinesinnen, eine Russin – Sie alle waren auf der Straße vor einem Hotel festgenommen worden, nachdem die Polizei bei einer Routinekontrolle in den Handtaschen eine verdächtige Menge Bargeld und Kondome gefunden hatte.

Im Gerichtssaal wiesen alle Frauen die Vorwürfe der Polizei lautstark zurück.

Eine Frau hatte sich sogar auf den Boden gekniet, als sie den Richter ansprach. »Mylord, ich bin keine Prostituierte, warum bin ich im Gefängnis?«, rief sie lauter, als der Übersetzer sie aufforderte aufzustehen. »Ich esse nicht, ich erbreche jeden Tag, ich bin schwanger, ich leide, schau auf meine zitternden Hände. Bitte, ich möchte nicht in den Emiraten sterben, ich bin gekommen, um mein Leben zu genießen, ich habe Ihr Land im Fernsehen gesehen, warum stecken Sie mich ins Gefängnis?«

Eine andere Frau übernahm empört: »Ich bin zum Shoppen gekommen, sehr viel wollte ich einkaufen, bin ich deshalb schuldig?«

Als der Richter fragte, wo sie verhaftet worden sei, sagte sie, sie könne sich nicht erinnern. Dann fing sie an zu schreien: »Ich habe nicht einmal Kondome.«

Die Frauen versuchten, sich gegenseitig mit ihren Argumenten zu übertönen. Dies veranlasste den Richter, schlagartig die Anhörung zu beenden und ohne ein weiteres Wort zu verschwinden. Auch die bestellten Übersetzer überließen das hitzige Getümmel eilig der Polizei. ...«

 

Kate wunderte sich über diesen Bericht im Newsblatt der Emirate. Was hatte Berthold gesagt, »Doppelmoral. Prostitution«. Sollte er Recht haben, war Nora da in was rein geraten? Vielleicht doch nicht so ein einfaches Pflaster für eine allein reisende junge Frau … Kate wollte den Browser schließen, da blieb ihr Blick an einer Archivmeldung vom November 2013 hängen.

»Dubai bekommt Expo 2020. Damit erhält erstmals ein arabisches Land den Zuschlag für eine Weltausstellung. Beim Mitbewerber Russland sowie in der Türkei und Brasilien ist die Enttäuschung groß. Unter dem Motto »Connecting minds, creating the Future« will sich das Emirat 2020 als moderne Metropole mit zukunftsweisender Entwicklung und Vision präsentieren.«

Sie riss sich von der Lektüre los. Sie hatte nach Informationen gesucht, wieviel sie der Aufenthalt in Dubai kostete. Und musste jetzt ein Angebot für Dr. Berthold schreiben. Morgen würde sie ihn treffen.

Ihre Recherchen ergaben dass »Dubai günstig« auch in 2014 immer noch möglich war. 2009 wollten Christopher und sie nicht gleich am Anfang viel Geld ausgeben und hatten Hotels der Ein-Stern-Kategorie herausgesucht. Aber vor fünf Jahren waren wir zu zweit, ein Paar ... Konnte sie nun allein als Frau das auch riskieren, in der billigsten Hotelklasse abzusteigen? Dubai galt als eines der sichersten Reiseziele. Doch offenbar durfte man sich nicht selber auffällig verhalten. Sie musste also vorsichtig sein bei ihrer Ermittlung … Vielleicht konnte sie als Geschäftsfrau auftreten, die waren akzeptiert. Auch die einheimischen Frauen waren gleichgestellt. Keine Gesichtsverschleierung. Ja! Das war ihr schon bei der Planung 2009 wichtig gewesen: Sie hätte Christopher nie zugestimmt, in ein Land zu gehen, in dem Frauen unterdrückt wurden und sich verschleiern mussten. So wie in Saudi Arabien. Dort war einer Frau noch nicht mal erlaubt selber Autozufahren.

Mit dem Angebot plagte sie sich. Es schien ihr so viel länger her als diese zweieinhalb Jahre, dass sie eines erstellt hatte. Am Ende wollte sie für ihre Leistung zweitausendachthundert Euro pro Woche als Festbetrag berechnen. Wenn sie bei den Auslagen sparen würde, könnte sie unterm Strich noch mehr zurücklegen. Mit leichter Euphorie klappte sie den Laptop zu.

 

 

Der Mann vor ihr bestätigte ihr gerade, dass sie immer noch weit entfernt war von ihrer früheren Fähigkeit, Menschen auch am Telefon nach wenigen Minuten richtig einschätzen zu können. Eleganter Seidenanzug, gepuderte Stirnglatze, hoch aufgeschossen. Er signalisierte durch seine Statur: Ich hab alles im Griff. Die schnarrende Stimme vollendete das Bild von Kompetenz und Führung für die Vermögenden dieser Welt. Doktor Manfred Berthold war das Abbild eines sympathischen, vertrauenswürdigen Wirtschaftsanwaltes. Das Bäuchlein, das sich unter dem blütenweiß gestärkten Hemd blähte, machte das perfekte Bild nur etwas menschlicher.

Doch warum empfand sie seinen Blick stechend? Und trotz Plateausohle von sechs Zentimetern sich noch kleiner, als sie mit ihren eins sechzig war? Sie hatte sich bemüht, seinen Vorstellungen von ihr als Spezialistin gerecht zu werden, sich in ihr klassisches schwarzes Kostüm mit den dünnen dunkelblauen Streifen und den Goldknöpfen gezwängt, das sie nur für solche Gelegenheiten gekauft hatte. Außerdem die dazu passenden mattschwarzen Pumps rausgesucht. Dass sie die Jacke momentan nicht zuknöpfen konnte, kaschierte sie mit ihrer großen ›Mandarina Duck‹-Tasche. Den für sie obligatorischen hellroten Lippenstift als Kontrast zu ihrem hellen Teint hatte sie draußen vor der Tür abgewischt. Sie nahm an, dass er etwas gegen geschminkte Frauen hatte.

Berthold hatte die Unterlagen, die sie ihm gestern Abend geschickt hatte, ausgedruckt vor sich auf dem Mahagonischreibtisch liegen. Kate erwartete, dass er diese nun genauestens mit ihr durchging. Angespannt streckte sie Rücken und Kinn. Er räusperte sich zweimal, blickte sie scharf an.

»Also gut, Frau ... Schmidt. Ich gehe jetzt mal davon aus, dass Sie Ihr Geld wert sind. Ich halte das für zielführend, wenn Sie sich als Frau auf die Spuren von Nora begeben. Viele Frauen gibt es ja nicht in Ihrer Branche. Vor allem keine im reifen Alter.«

Er will gar nicht über das Honorar verhandeln?

Er räusperte sich wieder, trank einen Schluck Wasser aus seinem Glas. Dabei fiel Kate auf, dass er ihr nichts zu trinken angeboten hatte. Ihm fiel das immer noch nicht auf.

»Ich gehe davon aus, dass Sie nicht länger als vier Wochen brauchen, um Nora zu finden. Ich möchte, dass Sie mir genauestens berichten, wo und unter welchen Umständen sie lebt. Wovon sie ihren Lebensunterhalt bestreitet ... Sie sollten sie auch treffen. Bewirken, dass sie nach Berlin kommt. Oder mich wenigsten anruft. Verstehen Sie? Das ist doch Ihre Spezialität, das Psychologische.«

Er seufzte schwer, mit den Fingern seiner Rechten klopfte er auf den Vertrag. »Ich lasse für Sie noch heute eine Überweisung vornehmen. Fliegen Sie von mir aus morgen los, das könnten Sie doch, hatten Sie mir gesagt?«

»Frühestens übermorgen«, erklärte sie, versuchte dabei ihr freundlichstes Lächeln.

Zuerst brauche ich dein Geld auf dem Konto.

»Je eher, je besser. Ich muss bald Klarheit haben.« Mit diesen Worten beugte er sich schwerfällig vor. Er holte aus einer unteren Schublade zwei Fotos seiner Schwester. Und eine Kopie ihres Passes. Das eine Porträtfoto zeigte eine gut aussehende Frau mit langen blonden Haaren, die zu einer Hochfrisur gesteckt waren. Ihr Blick war selbstbewusst, das Lächeln ... spöttisch, herausfordernd? Sie wirkte jedenfalls älter als die vierundzwanzig Jahre, die sie laut Pass war.

Die andere Aufnahme zeigte sie ganz und in einer posierenden Haltung: Arme und Busen vorgestreckt, die Hände lasziv auf den Hüften, die langen Haare offen um ihren Hals drapiert. Sie trug löchrige Jeans, Stiefeletten sowie ein Holzfällerhemd, das nur halb zugeknöpft war und ziemlich viel Spitze des BH freigab. So lässig die Kleidungsstücke aussahen, Kate erkannte, dass es sich um teure Designerklamotten handelte. Nora war stark, allerdings gut geschminkt.

Nein, als angehende Anwältin sehe ich dich gar nicht. Kein Wunder, dass du vor den Plänen deines Bruders Reißaus genommen hat. Hast doch was anderes im Kopf als die trockenen Paragrafen.

Aus diesem Gedanken riss sie Berthold: »Tja, da sehen Sie’s, mein Fräulein Schwester. Nur Mode und das leichte Leben im Sinn. Wovon sie sich das mal leisten will ...« Seine Stimme empört, krächzend.

Dann kam ihm etwas in den Sinn und er beugte sich wieder zur Schublade. Er zeigte Kate eine Postkarte. »Das ist das letzte Zeichen, das ich von Nora bekommen habe.« Vorne auf der Karte war ein Kreisverkehr abgebildet, der in einem sandigen Umfeld lag, nur wenige Bauten drumherum. Ein weißer Hochhauskasten am Rande der Kreuzung dominierte die Szene. Nicht weit davon stand eine farbige Säule mit einer großen Kugel darauf. Kate meinte, die als Weltkugel zu erkennen. Wo sieht es denn noch so unverbaut in Dubai aus? Aber sie schwieg, wollte sich keine Blöße mit Unkenntnis geben.

Sie drehte die Karte um und las die wenigen Zeilen: »Hi, Manni, ich bin ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten gezogen, du weißt schon. Mir geht’s gut. Ich will jetzt meinen eigenen Weg gehen. Ich hab alles abgemeldet. Brauchst nix zu machen. xxx NeNe.«

»NeNe?«

»Das ist ihr Spitzname, von Kleinkind an, weil sie zu allem immer ›ne ne …‹ sagte und ihren Kopf durchsetzen wollte.«

»Die Zeilen ... ist das ironisch gemeint? Oder was meint sie mit ›unbegrenzten Möglichkeiten und du weißt schon‹?«

»Ja ironisch, natürlich, sie will mich ärgern«, beeilte sich Berthold, ihre Vermutung zu bestätigen. »Wissen Sie was?« Dabei kippte seine Stimme vollends in eine Heiserkeit. »Das ist der Grund, warum ich mich so lange nicht gerührt habe. Sollte sie doch meinetwegen ...« Er suchte offensichtlich nach einem passenden Ausdruck, bremste sich dann und schimpfte stattdessen: »Warum schickt sie mir nur eine kurze Karte? Sie scheint mir nicht nur dumm, sondern auch boshaft.« Er schaute Kate mit vor Wut geröteten Augen an, Schweißperlen auf der Stirn.

»Die Postkarte hat keine Briefmarke und ist nicht abgestempelt?«

»Sie muss wohl in einem Briefschlag gekommen sein.«

»Sie wissen das gar nicht?«

»Die Karte kam, als ich zehn Tage auf Geschäftsreise war. Mein Büro macht immer die Post auf und legt sie mir fortlaufend in die Mappe. Mein Fräulein Schwester hat ihre Abreise gut geplant ... Sie hatte Kenntnis, dass ich zu der Zeit auf Geschäftsreise war. Da sehen Sie mal, wie boshaft sie ist.«

Umph. Kate verkrampfte sich, wäre am liebsten aufgesprungen und hätte diesem Doktor ihre Meinung offen ins Gesicht gesagt. Sie entschied sich für die neue Variante und sprang auf. »Entschuldigen Sie mich für einen Moment? Darf ich mal Ihre Toilette benutzen?«

Im Toilettenraum machte sie ein paarmal ihre Atemübungen, tief ein, tief aus und bis zwanzig zählen. Sie stellte sich dabei diesen freundlichen immer lächelnden Doktor Stender vor. Danach konnte sie weitermachen als distanzierte professionelle Ermittlerin Schmidt.

Zurück vor dem Schreibtisch von Berthold sah sie, dass der in derselben angespannten Position mit klopfenden Fingern saß.

»Nora hatte doch sicher beste Freundinnen. Haben Sie mal mit denen gesprochen oder ihr Facebook-Profil gecheckt? Wenn ich mir die Bilder hier anschaue, ich kann mir nicht vorstellen, dass Ihre Schwester einfach verschwindet, ohne davon jemandem zu erzählen. Vielleicht ist Nora ja immer noch ...«

Kate hätte sich am liebsten jetzt selbst auf den Mund gehauen, unterbrach wenigstens den Satz, den sie äußern wollte. Bloß nicht diesen lukrativen Auftrag gefährden! Am Ende war Nora wirklich noch in Berlin. Oder schon zurückgekehrt. Hatte ihren Bruder möglicherweise auf eine falsche Fährte gelockt, um Ruhe vor seinen Einmischungen zu haben. Sie schaute erneut auf die Fotos, diesem Gesicht war das zuzutrauen.

Ja, da bin ich mir eigentlich sicher, eine gefakte Spur!

Zu Kates Erleichterung sponn Berthold ihren Gedanken nicht weiter. »Ich kenne keine Leute, mit denen Nora sich abgegeben hatte. Sie hat auch nie jemanden mitgebracht in unser Haus, zumindest nie in meiner Anwesenheit. Diese Fotos habe ich von ihrer Pinnwand genommen. Andere von Freundinnen ... oder Freunden, ein Adressbuch, ein Tagebuch ... kaum Persönliches habe ich mehr in ihrem Zimmer gefunden. Sie scheint mir wirklich weg. Sollte ich zur Uni gehen, dort herumlaufen und wen fragen? Das kann ich mir in meiner Position gar nicht erlauben. Berlin ist ein Dorf, wie schnell da Gerüchte kursieren. Außerdem ...«

… wärst du dir wie ein Trottel vorgekommen.

Nach einer Weile, in der beide schwiegen und nur das Trommeln seiner Finger zu hören war, sagte er: »Sie, Frau Schmidt, Sie sollen das ja tun. Für mich Erkundigungen einholen. Solange Sie sich nur diskret verhalten. Und nirgends sagen, dass ich Sie beauftragt hätte. Das ist wohl klar, das bleibt zwischen uns.« Dabei schaute er sie scharf und direkt an. Sie nickte. Wieder lauter und mit unverhohlener Wut krächzend: »Fliegen Sie nach Dubai, da werden Sie sie finden. Luxus, Geld, der schöne Schein, da fühlt sie sich wohl.«

Mit diesen Worten holte er einen ganzen Stapel von Informationsbroschüren über Dubai hervor, knallte sie auf den Tisch. In einem zerlesen wirkenden Magazin steckten Lesezeichen. Einige der obenliegenden Hefte schob er schnell zusammen und reichte sie Kate rüber: »Hier, die neuesten Informationen, die können Sie besser gebrauchen.«

Auf ihre fragende Miene fügte er hinzu: »Die hab ich mir von der Tourismusmesse holen lassen. Aber nach Dubai, da fahre ich sowieso nicht hin. Jetzt nicht, auch in Zukunft nicht.«

Er verfiel in einen belehrenden Ton: »Das ist nicht mein Land. Solch ein Disney World!« Mit abschätziger Handbewegung: »Auf Lug und Betrug gebaut! Meinetwegen soll sie bleiben, wo der Pfeffer wächst. Das Studium abschließen, das wird sie nicht mehr können nach so einer langen Zeit. Ich muss aber wissen, wo sie ist. Das bin ich schuldig.« Er stand mit diesem Eingeständnis abrupt auf, um Kate zu verabschieden. »Und dass sie den guten Namen Berthold nicht in den Dreck zieht. Sagen Sie ihr das!«

Er besann sich, nahm die Auftragskopie, die für sie vorgesehen war, noch einmal in die Hand und schrieb eine Nummer darauf. »Meine private Mobilnummer. Halten wenigstens Sie mich auf dem Laufenden. Jede Woche Rapport. Darum bitte ich, Frau Schmidt. Dann avisiere ich, wenn nötig, die nächste Überweisung.« Eine Hand gab er ihr nicht.

 

Kate verließ mit gemischten Gefühlen und völlig überanstrengt das Büro von Manfred Berthold.

Jede Woche Rapport. Sonst kein Geld, oder was?

Sie haderte, dass sie nicht widersprochen hatte. Regelmäßiges Reporting hatte sie immer erfolgreich abgelehnt. Ihre Auftraggeber bekamen zur rechten Zeit das zu hören, was sie für richtig hielt. Okay, wenn eine Behörde mit im Spiel war, dann ließ sie die gesammelten Ergebnisse von Christophers Sekretärin aufbereiten. Das systematische Kleinklein war nichts für die Energie von Hekate. Und Rapport abgeben erst recht nicht. Und nun wöchentlich. Und dann auch noch in Dubai. So weit war es mit ihr gekommen, dass sie keine Wahl hatte. Und dieser unsympathische Typ ... Die schmerzhafte Klammer in ihrem Rücken kam nicht nur durch den Erfolgsdruck. Die signalisierte noch was anderes. Und sie war sicher. Er verheimlichte ihr etwas. Jedenfalls war er verdammt wütend.

Sie fand es befremdend, dass er so lange gewartet hatte. Und obwohl er den ganzen Schreibtisch voll mit Katalogen über Dubai hatte, angeblich nicht einmal dort gewesen war. Stimmte das? Warum schickte er sie direkt dort hin? Wo doch auch ihm der Gedanke gekommen sein könnte, dass diese merkwürdige Postkarte eine falsche Fährte war und Nora noch in Berlin lebte? Es wäre nicht das erste Mal, dass sie als Privatermittlerin missbraucht werden würde, um mit ihrem Engagement die Auftraggeber bei linken Machenschaften zu unterstützen. Wenn Sie schon am Anfang den Eindruck hatte, hier sollte nicht wirklich ein Problem gelöst, sondern nur Daten und Informationen gesammelt werden, um jemandem zu schaden. Dann lehnte sie ab. Den Dubai Auftrag jetzt konnte sie nicht ablehnen. Sie hasste sich dafür.

Wenn sie Nora schnell dort finden würde, dann musste sie sogar dafür sorgen, dass es langwieriger aussah. Um mehr abrechnen zu können. Die wachsende Wut beschleunigte ihre Schritte.

»Jede Woche Rapport. Dann wenn nöhötieg«, äffte sie seine schnarrende Stimme nach, »die nächste Überweiheisung!«

Scheiße, das wird schwierig.

Mindestens acht Wochen das hatte sie sich ausgerechnet, besser noch mehr Honorarzahlungen brauchte sie, um die dringendsten Schulden zu begleichen. Der Aufenthalt in der psychosomatischen Rehabilitationsklinik war eigentlich zu teuer für sie gewesen. Aber sie hatte sich dafür entschieden. Auch wenn sie bis jetzt noch immer nicht wusste, warum.

Dubai. Übermorgen fliegen. Sie spürte ihren Herzschlag im Bauch. Und den Druck. Wer weiß, was da auf sie wartete.

Chrissi, hörst du! Nur Geld. Darum gehe ich nach Dubai. Nur wegen dem Geld jetzt. Wenigstens diese drängendste Frage lösen. Sie stöhnte.

Danach müsste sie aufhören wegzulaufen. Vor der Realität. Zwischen Chrissi und ihr lief immer weniger seit dem Klinikaufenthalt. Sie müsste ihn ziehen lassen. Irgendwann, ja. Sie verstand nicht, warum sie sich so daran klammerte, dass da am Rande ihres Lebens noch Christopher war.

Kate zwang sich zur Planung der Reise. Mit den Katalogen von Berthold konnte sie nichts anfangen. Die zeigten das luxuriöse, teure Dubai. Das musste sie sich sparen. Buchen! Sie erinnerte sich an die Buswerbung von gestern Morgen, Air Berlin, und ging auf die Website. Später schrieb sie dem ›Imperial Palace Hotel‹ eine E-Mail, ob sie noch was frei haben.

Und dann das Schwierigste. Packen.

Was soll ich denn anziehen?

 

 

 

 

 

Das war knapp! Sie hatte sich zu lange mit der Verabschiedung von Christopher aufgehalten. Am Dienstag, 15. April 2014, 17:50 Uhr startete Kate abgehetzt und mit mulmigem Gefühl zu ihrem allerersten Aufenthalt in Dubai. Mit Qatar Airways und Umsteigen in Doha war das so kurzfristig die beste Verbindung zum günstigsten Tarif. Mit der Maschine von Doha nach Dubai erschienen ihr die meisten Passagiere deutlich eleganter und teurer angezogen. Selbst die Economy-Class war sehr viel geräumiger und moderner, obwohl der Flug nur noch eine Stunde dauerte. Sie hatte sofort einen Fensterplatz besetzt und linste nach dem Vollmond.

Vor dem Nachbarsitz erschien ein hochgewachsener schlanker Mann in einer Art Marineuniform. Er deutete steif eine Verbeugung an, und fragte Kate auf Englisch: »Darf ich?«

»Bitte.«

Ein herbes Parfüm wehte in ihre Nase. Er nickte sie lächelnd mit blitzweißen Zähnen und aus stahlblauen Augen an und stellte sich höflich als David, David Higgins, Offizier der Royal Army im Ruhestand vor.

»Hekate ... Schmidt.« Das kam stammelnd.

»Ah, sehr angenehm, Mrs Smith, ein sehr häufiger Name auch bei uns. Entschuldigung Sie, darf ich Sie das fragen, Sie kommen aus Deutschland?«

»Ja, Berlin.«

»Ich vermutete es, nach Ihrem sehr sympathischen Akzent!« Und er lächelte wieder breit, strich sein weißes Haar nach hinten. Ein überproportionierter Goldring blitzte am linken kleinen Finger, den er bei allem, was er ergriff, leicht abspreizte.

Kate fühlte sich übernächtigt und unattraktiv, geradezu schmuddelig neben diesem elegant angezogenen, gut duftenden Mann mit den perfekten Manieren. Sie war überhaupt nicht vorbereitet darauf, schon im Flugzeug vielleicht für Dubai einen wichtigen Kontakt zu machen. Während des Toilettenbesuchs beim Umsteigen hatte sie weder ihren schwarzen Haaren, die strohig vom Kopf abstanden, Aufmerksamkeit geschenkt noch Lippenstift nachgezogen. Nora, dachte sie ärgerlich über sich, die hätte jetzt hier nicht so schlampig im weiten T-Shirt, schwabbelig und ohne BH gesessen.

David schien hocherfreut, dass Kate gerade aus Berlin kam, und fuhr fort mit Small Talk, während er es sich immer noch im Sitz bequem machte. Kate hatte Mühe, seinem Akzent-Englisch zu folgen. Der Ärger über sich und die Müdigkeit hatten sie im Griff. Auf die Frage, ob sie Urlaub machen würde, gab sie ein sehr einsilbiges »Auch« zur Antwort. Er drängte nicht weiter in sie, zog aber eine Visitenkarte hervor.

»Vielleicht haben Sie mal Zeit und würden mir die Ehre erweisen, mich für eine Tasse englischen Tees im One & Only Royal Mirage, Arabian Court, Samovar Lounge zu treffen? Ich hoffe, Sie mögen Tee! Wenn nicht, dann ...«

One ... Royal ... Samovar? Die Worte zauberten Fantasien von Tausendundeiner Nacht, Orient, Luxus in ihre Gedanken. Flirtete dieser Mann mit ihr? Der ist mindestens zehn Jahre älter als ich. Sie nickte nur. Und er ließ sie nun in Ruhe.

Als sie sah, dass er ein englischsprachiges Immobilienmagazin durchblätterte, schaute sie verstohlen genauer auf seine Karte, die sich dicker als üblich anfühlte. Der Hochglanz unterstrich die Botschaft – ›Royal Property Investments UAE – UK‹.

Aha, alles klar, er will mir bestimmt was verkaufen.

 

Nach der Landung blieb David immer auf ihrer Höhe, ohne dabei aufdringlich zu sein. Er überragte ihre kompakte Statur um einiges, so passte er den Schritt seiner langen Beine ihrem an. Begleitet zu sein bei der allerersten Ankunft in Dubai, lenkte Kate von ihrer leichten Trauerstimmung ab. Bei seiner Frage, wo sie abgestiegen sei, tat sie so, als sei ihr der Name des Hotels gerade entfallen.

»Aber ich werde ja abgeholt.« Es wäre zu peinlich gewesen, wenn er die wohlklingende Bezeichnung ›Imperial Palace‹ als Ein-Stern-Hotel identifiziert hätte. Das wollte sie nicht riskieren.

Vielleicht rufe ich ihn später mal an, aber jetzt erst mal in Ruhe ankommen.

Der Fußweg vom Finger in die Ankunftshalle schien endlos. Als David sich zur Herrentoilette entschuldigte, nahm sie die Gelegenheit wahr und rannte in Richtung Passkontrolle. Jetzt zahlte sich aus, dass sie Sneakers gegenüber den Pumps den Vorzug gegeben hatte. Heftig atmend und schweißnass kam sie in der breiten Ankunftshalle an. Dutzende Kontrollschalter, an denen ein bis zwei Beamte saßen. Die Männer von Kopf bis Fuß in ihrer weißen Tracht, die Frauen dagegen in Schwarz mit dem traditionellen Kopftuch.

Ein Emirati hatte sie angehetzt kommen sehen und winkte sie tatsächlich gleich zu einem Schalter. Der Beamte dort fragte ohne großes Interesse, wo sie wohnen würde, und machte ein Foto von ihr. Danach haute er einen Stempel irgendwo in der Mitte ihres Passes rein. »Welcome to Dubai.«

Warum nimmt er nicht die nächste freie Seite von vorne? Blöd.

Bevor sie zum Gepäckband ging, blickte sie zurück. Mit leichtem Bedauern konnte sie David nirgends erkennen.

 

 

Endlich. Einmal mehr hatte Kate den Standort ihres Hotels verflucht. Zwanzig Minuten hektisch in der heißen Sonne winkend hatte sie am Straßenrand gestanden. Wenn denn mal ein Taxi vorbeikam, war es schon besetzt. In Deira, einem alten Stadtteil Dubais, eng bebaut mit Towern voller Büros, Appartements und kleinen Malls, lag ihre winzige 1-Sterne-Herberge. In den Straßen reihten sich weitere Shops, Hotels, Banken und Restaurants aneinander. Gemessen an der Dichte von geschäftigen Menschen waren offenbar viel zu wenige Taxis unterwegs.

Aber dann, aus dem Gewimmel von Fahrzeugen heraus, erschien ein freies weißes Taxi und hielt zwei Meter vom Bordstein entfernt an – und den Verkehr auf. Kate sah aus den Augenwinkeln, dass auch ein indischer Geschäftsmann auf den Wagen zueilte. Kate schaffte es, als Erste die Tür aufzureißen: »Sorry!«

Puh! Sie wich vor dem unangenehmen Geruch zurück, der ihr entgegen schwallte. Das Auto, der Fahrer? Aber sie war schon viel zu spät dran und drückte sich schnell rein.

Der Verkehr war dicht, stockend. Sie würde es nicht schaffen. Es war das zweite Mal heute, dass sie das vertraute Gefühl von aufsteigendem Ärger spürte. Sie hieß den Fahrer, alle Fenster zu öffnen und versuchte es mit tiefem Atmen, presste sich dabei fest in das Rückenpolster. Sie fühlte sich erschlagen.

Scheiß Dubai!

Die lärmende Klimaanlage in ihrem Zimmer ließ sich nicht abstellen und raubte ihr den Schlaf. Das Doppelbett war durchgelegen. Ihren Frust wegzujoggen neben der Hauptverkehrsstraße – das hatte sie nach dem ersten Versuch aufgegeben. Und nun auch das noch. Dabei war das Treffen mit Friederike so wichtig!

Noch in Berlin hatte sie zwei Nächte lang an ihrem Laptop gehangen. Recherchiert, während sie auf Bertholds Zahlungseingang gewartet hatte, um den Flug buchen zu können. Zu Nora hatte sie nur Infos im eingestellten StudiVZ Portal gefunden. Natürlich jahrealt. Kein Facebook-Eintrag und auch sonst nichts Aktuelles in den sozialen Medien. Wahrscheinlich war sie dort mit einem gefakten Profil unterwegs, um anonym ein anderes Leben zu führen als das, was für sie vorgesehen war. Dann hatte Kate Recherchen über die deutschsprachige Community in Dubai angestellt. Im Portal Xing hatte sie verschiedene Gruppen zu Dubai oder den Emiraten als Ganzem gefunden und sich gleich in allen als interessiertes Mitglied angemeldet.

Nur beim ›Netzwerk‹ war ihre Mitgliedschaft schon am darauffolgenden Tag bestätigt. Sie hatte sich dort als jemand vorgestellt, der nach neuen Jobmöglichkeiten in Dubai schauen wollte, dafür einige Wochen vor Ort sei. Wer hätte Zeit, sich mit mir in den kommenden Tagen zu treffen, um ein bisschen aus dem Nähkästchen zu plaudern? Ja, Friederike, die Praktikantin eines Pharmaunternehmens, hatte Zeit. Jetzt war sie auf dem Weg zu ihr in das Café im ›Fairmont Hotel‹. Es lag im neuen Dubai, direkt gegenüber den Messehallen.

Kate musste erst mal dort ankommen. Das war zeitaufwendiger, als sie gedacht hatte. Sie brauchten lange, um aus dem engen Gewirr der Straßen von Deira heraus zu kommen. »Clock Tower«, erklärte der Taxifahrer ohne Aufforderung, als sie sich endlich in einen zentralen Kreisverkehr einfädelten. In der Mitte der Kreuzung saß auf riesigen Bögen eine große Uhr im englischen Stil. Danach erst fuhren sie auf die Brücke zu, die sie über den Creek auf die andere Seite von Dubai Stadt bringen sollte. Sie hätte jetzt schon bei ihrer Verabredung sein sollen und verfluchte sich, dass sie nicht früher aufgebrochen war. Viel zu viel Zeit hatte sie gebraucht, sich wieder ins Internet einloggen zu können. Das WLAN des Hotels gab es für die Gäste nur in der Lobby, leider permanent überlastet. Aber sie wollte prüfen, ob es auf ihre Anfragen in den Dubai-Gruppen neue Rückmeldungen gab. Nein, niemand hatte zurückgeschrieben. Umso wichtiger war jetzt das Gespräch mit Friederike. Hoffentlich würde sie warten.

Sie fingerte ihr iPhone aus der Tasche und wies den Taxifahrer barsch an, den Singsang im Radio abzustellen. Das geht mir so was von auf den Nerv ...

Gestern hatte sie sich eine lokale SIM-Karte besorgt für den zweiten Slot in ihrem Gerät. Wenigstens das hatte so unkompliziert funktioniert wie bei ihren Reisen in die USA oder Europa. In einem dieser zahlreichen, mit Ware vollgestopften Handyshops hatte sie ihren Pass vorgelegt und bekam dann die SIM-Karte mit einem Startguthaben.

Friederike wirkte zu Kates Erleichterung entspannt am Telefon: »Ach, gar kein Problem, mach dir keinen Stress, ich bin eh hier den ganzen Nachmittag, um zu arbeiten.«

Zu arbeiten?

»Gott sei Dank, super. Danke.« Kate fühlte, wie etwas Druck von ihr wich. Nun bemerkte sie, dass der Kopf des Taxifahrers während dieses Stop-and-go-Verkehrs mehrfach nach unten fiel. Schläft er ein? Sie verwickelte den Fahrer, einen Pakistani, in Small Talk. Lenkte sich selbst von der Verstimmung über Geruch und Verspätung ab.

»Ja, zwölf Stunden Schicht. Eine noch ... Ja, so lange müsste er immer fahren.« Kate war schockiert. Und das in diesem Horrorverkehr! Aber warum sollte es ausgerechnet in Dubai anders sein als bei uns ... Dann wollte er wissen, woher sie komme. »Germany? Gutes Land.« Er schwärmte von schönen Bergen und noch einigem mehr, was er meinte, von Deutschland zu kennen, ohne je da gewesen zu sein.

»Berlin?« Kannte er nicht. Kate schaute auf glitzerndes Wasser, wo sie zahlreiche der alten Holzschiffe sah.

»Creek«, gab der Fahrer zum Besten, während er sich weiterhin in Stop-and-go-Geschwindigkeit auf die fünfspurige Brücke einfädelte, die Al Maktoum Bridge.

Das schaff ich nie, in diesem Irrsinn selbst zu fahren. Das kann ich mir abschminken.

Nach weiteren zwanzig Minuten Fahrt durch das alte Bur Dubai tauchte plötzlich vor ihr das charakteristische weiße Hochhaus auf, das sie kürzlich erst gesehen hatte. Sie reckte ihren Kopf, ihr Blick wanderte umher. Aber wo? Die Erinnerung blieb schwach. Am Kreisverkehr mussten sie wieder lange wegen einer roten Ampel warten. An der Seite erblickte sie eine Säule mit einer farbigen Weltkugel.

Genau, Noras Karte!

Hier ist es, wurde ihr schlagartig klar. Und dass es ansonsten anders aussah. Der Kreisverkehr war komplett zugebaut. Sie fragte nun den Fahrer nach dem Hochhaus und der antwortete »Trade Center, Exhibition.«

Ja, sie hatte gelesen, dass dort hinten die Messehallen lagen, also dann war der weiße Wolkenkratzer das World Trade Center. Deshalb auch die Weltkugel als Symbol. Klar! Warum hatte Nora ihrem Bruder eine so alte Karte geschickt?

So wie ich es schon in Berlin dachte, sie wird gar nicht in Dubai sein, die Postkarte ist Irreführung für ihren verhassten Bruder. Eigentlich auch nicht schlecht, wenn ich sie hier nicht finde, dann kann ich vielleicht den Auftrag in Berlin weiterführen. Bald zurück, Chrissi!

Die Ampel schlug um auf Grün und sie fuhren jetzt auf das ›Fairmont‹ zu. Kate war erleichtert und betrachtete das Gebäude. Ein hoher, quadratischer Klotz. Türmchen mit Spitzdächern auf jeder Ecke des Daches gaben dem Hotel ein charakteristisches Aussehen. Chrissi, das würde dir gefallen ... Mir auch.

Mit einer Dreiviertelstunde Verspätung fuhr ihr Taxi die Auffahrt zum Eingang hoch. Der Taxifahrer verlangte sechsundfünfzig Dirham. Kate rechnete sofort um, rund elf Euro, und fand, Gott sei Dank!, bestätigt, dass Taxis nicht so teuer waren wie in Berlin. Dankbar gab sie dem Fahrer zwanzig Dirham Trinkgeld. Der zeigte sich hoch erfreut. Kate nickte gönnerhaft, war sie doch überzeugt, dass der Mann wenig verdiente – trotz seines langen Tags.

Sie durchquerte eilig eine großzügige Lobby mit vielen gemütlichen Sofas und Sesseln. Überall saßen Menschen vor Laptops. Wie beschrieben fand sie hinten ein offenes Café. Genauso voll besetzt. Die einzige Frau, die dort allein vor einem Laptop an einem Zweier-Tisch saß, musste Friederike sein. Die sah jetzt hoch, lächelte sie an. Kate ließ sich angespannt und völlig erschöpft in den Stuhl fallen und entschuldigte sich nochmals.

»Ach, Verspätungen sind hier normal.«

Friederike war so auskunftsbereit, wie Kate es gehofft hatte. Als Kate ihr die Fotos von Nora zeigte, antwortete sie, wie Kate es jetzt erwartete: »Ich kann mich nicht daran erinnern, diese Frau gesehen zu haben. Allerdings, das will nichts heißen, die Menschen kommen und gehen hier. Da merkt man sich nicht jeden. Seitdem Dubai letztes Jahr den Zuschlag zur Weltausstellung bekommen hat, da ist wieder der Teufel los. Wie vor der Finanzkrise.«

»Der Teufel los?«

»Na ja, so eine Art Goldgräberstimmung. Die Regierung investiert sehr viel, man will mit der Expo zeigen, wie innovativ und dynamisch Dubai ist. Und jeder will hier von diesem leckeren Kuchen etwas abhaben.«

Friederike genoss es offensichtlich, einer Frau, die ihre Mutter hätte sein können, eine Einführung in Dubai zu geben. Sie schob sich ein Stück vom Brownie in den Mund.

Da hätte ich jetzt auch Lust drauf. Kate kämpfte mit widerstreitenden Impulsen.

»Deswegen bist du doch sicher jetzt hier, oder?«

»Na ja, weißt du ...« Kate kramte die Geschichte vor, die sie sich für ihre neuen Dubai-Kontakte zurechtgelegt hatte. »Ich musste länger pausieren in meinem Beruf. Und nun dachte ich, nicht einfach wie früher weiterzumachen, sondern mich einmal ein wenig umzuschauen ... Weißt du, ich mag die Wärme sehr, Sonne, das Meer ... Architektur. Und in Berlin ...«

»Du bist Architektin?«

»Ja.«

»Aber vielleicht möchte ich ja mal was ganz Neues machen«, ergänzte Kate, um nicht zu sehr festgelegt zu wirken.

»Mmh ... Trotz der vielen geplanten Projekte, ich glaub, es ist nicht einfach, da reinzukommen. Große Konkurrenz aus aller Welt. Wir sind zwar als Deutsche hier sehr beliebt. Aber deswegen allein bekommt keiner einen Auftrag oder Job.«

»Davon hatte ich gehört. Noch mal zurück, zu meiner Bekannten Nora ...«

»Bist du sicher, dass sie hier ist?«

»Ehrlich gesagt, keine Ahnung. Deswegen meine Frage an dich, wo trifft man sich denn so?«

»Am kommenden Wochenende beim traditionellen Osterfeuer der christlichen Kirche hier am besten draußen in der Wüste mit Picknick.«

Osterfeuer hier?

»Danke, ich hab’s nicht so mit der Kirche.«

»Ist auch eher was für die Familien. Aber zur Osterparty zu Rolf, da musst du kommen. Großer Netzwerker! Lange schon hier. Hier braucht man solche Kontakte.«

Außerdem wusste Friederike von einer Villa in Jumeirah 3, wo vorübergehend ein Zimmer zur Untermiete frei würde.

»Doch das ist sicher nichts für dich. Die Unternehmen mieten solch billige Wohnmöglichkeiten für uns Praktikanten. Jumeirah ist zentral. Die Treffen der Expatriates finden in den großen neuen Hotels statt. Außerhalb der alten Innenstadt, wo du vorhin hergekommen bist.«

»Seit heute verstehe ich, warum. Ich kann’s mir ja mal ansehen ... Vielen lieben Dank, Friederike, du hast mir sehr geholfen.«

»Ja, im Ausland müssen wir doch alle zusammenhalten. Ich werde in einigen Wochen nach Deutschland versetzt, da gebe ich gern mein Wissen hier noch weiter. Wir sehen uns dann am 22.?«

»Ganz sicher.«

Aber bevor Kate das Hotel verließ, wollte sie die Gelegenheit des freien WLAN nutzen. Sie hatte auch noch etwas anderes verstanden. Das ›Fairmont‹ als Messehotel, hatte Friederike mit Blick auf die zahlreichen Gäste um sie herum erklärt, hätte eines der besten und schnellsten Internetverbindungen. Und das zum Nulltarif. Auch Nicht-Hotelgäste könnten sich kostenfrei einloggen in das hausinterne Netz. Deswegen sei das Erdgeschoss des Hotels zu jeder Tages- und Nachtzeit bevölkert von am Laptop arbeitenden Menschen wie Friederike, die kein eigenes Büro oder eines mit zu wenig Platz und schlechtem Internet hatten. Gute Büroräume seien sehr teuer. Wohnungen auch.

 

Einen Tag später saß Kate im Living Room einer alten, sehr großen Villa. Sie war überrascht vom chinesischen Stil, lebte hier doch ein syrisches Ehepaar mit seinen Untermietern. Sie hatte soeben zugestimmt, vorübergehend ein Zimmer im ersten Stock zu mieten. Gerade zog eine junge Frau aus, deren Praktikum bei einer deutschen Niederlassung zu Ende gegangen war. In zwei Monaten würde eine neue Praktikantin dieser Firma nach Dubai kommen. Bis dahin war das Zimmer Kates Reich. Es war mit dem nötigsten, allerdings billigstem Mobiliar aus Holz eingerichtet: niedriges Bett, Nachttisch, Schrank, ein Tisch und Stuhl, Spiegel. Grell leuchtende Deckenlampe. Orientalische Gemütlichkeit ist was anderes, dachte Kate, die sich mit Geschmack- und Stillosigkeit nie arrangieren mochte. Nebenan lag das Badezimmer mit Toilette, Bidet und Dusche, auch sehr einfach, aber immerhin sauber. Das Bad musste sie sich allerdings mit der Bewohnerin des anderen Zimmers gegenüber teilen, mit Lucy, einer Engländerin. Die hatte einen dicken, hochbeinigen Kater, der sich sofort in Kates Herz schnurrte. Wenn der Kater so umgänglich ist, wird die Frau auch nicht übel sein. Kate dachte daran, dass sie sich auch den An- und Ausschalter für die Klimaanlage in den Zimmern mit ihr teilte.

Kates Erfahrungen mit Wohngemeinschaften lagen fünfundzwanzig Jahre zurück. Sie hatte ausgerechnet, dass sie für diese Unterkunft nicht weniger als für das Ein-Stern-Hotel zahlen würde. Dennoch hatte es unbestreitbare Vorteile: Sie war im Kontakt mit anderen. Sie war näher an den Orten, in denen die Leute aus dem Westen sich trafen. Und sie hatte WLAN auf dem Zimmer, sodass sie unkompliziert zu jeder Zeit recherchieren konnte. Weniger Stress, mehr Zeit, ... Krauleinheiten.

Umgerechnet achthundertfünfzig Euro musste sie für einen Monat bezahlen, inklusive Putzfrau. Als sie ihrem Vermieter Zafer gleich fünfhundert Dirham als Anzahlung gab, Friederike hatte ihr das geraten, erklärte er, dass sie, auch wenn sie ihm Geld zahle, nur Gast in seinem Hause sei. Wer immer sie fragen würde, sie sollte nur sagen, sie sei Gast, zu Besuch. Kate konnte sich keinen Reim darauf machen, vermutete allerdings, dass es nicht legal war, was er da tat. Eigentlich egal, denn sie blieb ja eh nur kurz.

Da sie wusste, dass ihr Vermieter mehrere Villen in der Straße betrieb, zeigte sie ihm die Fotos von Nora. Er zögerte, nahm dann das Porträtfoto in die Hand und ging damit in die Küche, wo seine Frau das Abendessen vorbereitete. Dann kam er zurück und meinte: »Vor einigen Monaten hat eine junge Frau ein Zimmer in der hintersten Villa bewohnt. Die sah so ähnlich aus.«

Kate konnte diese Wendung gar nicht fassen.

»Sie ist weg?«

»Ja.«

Zafer erinnerte sich, dass sie zwar ihre Miete bezahlt, aber nur kurz dort gewohnt hatte. »Ja. Das passiert manchmal«, erklärte er. »Die Leute versuchen hier, einen Job zu finden oder sich was aufzubauen. Wenn’s schiefgeht, das Geld ausgeht ... Dann verschwinden sie wieder. Und lassen ihre Sachen in Dubai einfach zurück. Nichts Besonderes.«

Aber er sei ehrlich. Er hebe die Dinge erst mal auf. Falls derjenige sich doch noch meldet, kann ich die zurückgeben. »Keiner soll schlecht über mich reden.«

»Das Zimmer ist wahrscheinlich neu vermietet?«

»Ja, ja. Sind auch schon ein paar Monate her. Was ist mit dieser Frau, eine Verwandte von dir?«

»Bekannte. Ich wollte sie hier in Dubai eigentlich wiedersehen und wundere mich, wo sie abgeblieben ist. Kannst du mir ihre Sachen zeigen, die du aufgehoben hast.«

Kate fügte hinzu: »Dann weiß ich, ob sie es wirklich ist.«

»Warum nicht. Ich muss die nur finden, der Lagerraum ist voll. Alle lassen immer was zurück.«

»Wie lange ist das denn her, dass sie hier gewohnt hat?« Er deutete auf das Büchlein, in das er einen Eintrag von Kates Namen und Geldzahlung gemacht hatte.

»Das sollte darin stehen.« Er fing schon an, weiter vorzublättern. Dann rief seine Frau zum Abendessen. Kate war herzlich eingeladen, am mit Schüsseln und Platten vollgedeckten Tisch Platz zu nehmen. Sie zögerte.

Zafer holte eine Flasche Wodka aus dem Unterschrank.

»Willkommen!« Kate wollte nicht unhöflich sein, setzte sich, ließ sich in das Schnapsglas aber nur wenig einschenken. »Danke.« Zafer hob sein Glas: »Na sdorowje. Wohl bekomms!«

Auch seine Frau erhob ihr Glas. Kate brachte in stammelndem Englisch ihre Verwunderung zum Ausdruck, dass sie ein russisches Wort benutzten. Nun lächelte Zafer und begann von seiner Familie zu erzählen. Dass ihre Wurzeln in Aserbaidschan lägen, es ja früher eine Handelsroute gegeben hatte zwischen Aserbaidschan, Armenien und Syrien. Fast wie aufgerufen trat nun ein untersetzter Mann mit Halbglatze und rundlichem Gesicht in die Küche. Zafer stellte ihn als Georgi vor. Er hätte zwar eigentlich einen anderen Namen, aber der sei hier unaussprechlich. So hätte sich eingebürgert, dass alle zu ihm Georgi sagen, denn er und seine Frau stammten aus Georgien. Sie bewohnten im ersten Stock das größte Zimmer. Zafer war sichtlich stolz, ihm wieder eine neue Mieterin aus Deutschland präsentieren zu können. Kate war es unangenehm, dass sie, nur weil sie Deutsche war, so von allen anderen hofiert wurde. Auch Georgi setzte sich an den Tisch und hieß sie mit einem ebenfalls sehr vollen Glas Wodka willkommen.

Das Gelage zog sich weiter in den Abend rein. Kate fand es immer anstrengender, die ganze Zeit Englisch zuzuhören. Und sich dem permanenten Angebot von Wodka zu widersetzen. Für passende Bemerkungen oder Fragen brauchte sie eine Weile, um in ihrem bescheidenen Vokabular die richtigen Wörter zu finden. Je später der Abend, desto nervöser fühlte sich Kate. Ihr dämmerte, dass sie heute keine Informationen mehr zu Nora bekommen würde.

Ich hab doch keine Eile. Geld einnehmen durch Hiersein. Scheint ja in der Villa von Zafer ganz nett.

Auch wenn es sehr ermüdend war, dem Gespräch zu folgen, fühlte sie sich in dieser warmherzigen Geselligkeit wohl. Sie gab ihren Diätplan vollends auf und füllte noch mal ihren Teller.

 

Schon am nächsten Tag zog Kate ein, konnte Zafer aber nicht antreffen. Seine Frau erklärte, er sei auf Geschäftsreise.

»Warum hat er mir das verschwiegen? Ich wollte mir doch heute die zurückgelassenen Sachen anschauen.«

Djamila zuckte zusammen angesichts ihres scharfen Tons und schaute sie betreten an. In einigen Tagen sei er wieder zurück, inshallah! Nein, um die Vermietung kümmere sich ihr Mann, sie könne ihr jetzt nicht helfen. So sympathisch Djamila ihr war, musste Kate akzeptieren, dass sie noch ganz in der traditionellen Frauenrolle stand und die wichtigen Dinge ihrem Mann überließ. Warten, warten, warten! Noch erregt stapfte sie die Stufen zu ihrem Zimmer rauf. Wenigstens war morgen schon die Party von Rolf.

Und wenn ich dort doch Nora treffe ...

Sie zog die gelben Sneakers für einen Erkundungsgang an. Die Hitze des Tages war auf mildere fünfundzwanzig Grad zurückgegangen. Nach einem Zickzack durch kleine Straßen kam sie tatsächlich an den beschriebenen Strand, gesäumt von Palmen und Büschen. Das erste Mal nach dem Landeanflug, dass sie das Meer sah. Sie lief direkt auf einen unglaublich großen Mond zu. Hallo, Freund! Da übermannte sie Erschöpfung, Überforderung und die Einsamkeit mit Wucht.

Sie nahm den erstbesten krummen Stock auf und schlug, während sie dem Mond entgegen stolperte und losheulte, hart gegen Büsche und Boden.

»Dududu uhuhhh. Ich kann nicht mehr! Jawoll, du. Du da oben. Warum? Warum? Warummm? Bumm. Bumm. Fuck. Chrissi!«

Sie war blind vor Tränen. Ein hoher Drahtzaun stoppte sie. Dahinter erkannte sie, schwach erleuchtet, Strandliegen unter Palmwedeldächern. Sie drehte um. Und stand direkt vor einem Jogger, einem großen, arabisch aussehenden Mann mittleren Alters. Sie duckte sich instinktiv in eine gespannte Haltung, sie war bereit, ihn mit voller Wucht zu treten. Er schaute sie schräg an und hob abwehrend die Hände. Zögernd fragte er auf Englisch, ob sie Hilfe bräuchte. Kate lehnte brüsk ab, zeigte ihm den Stinkefinger, beschleunigte ihren Schritt an ihm vorbei. Keine Autos, dafür Lauscher! Aber sie fühlte sich besser. Und in ihrem neuen Zimmer ließ sie sich vom Kater überreden, nichts mehr am Computer zu recherchieren, sondern sich einfach aufs Bett lang zu strecken und ihn zu kraulen.

 

 

Schlussendlich hatte sie sich großartig gefühlt in ihrer weiten Leinenhose und der weißen Tunika. Kleidungsstücke zum Schnüren, nichts kniff, umschmeichelten locker ihre Figur. Aus der guten Laune heraus hatte sie die kinnlangen schwarzen Haare wild toupiert. Jugendlich flott. Genau passend für eine große Netzwerkparty, auf der sie wichtige Kontakte knüpfen musste.

Doch sie erreichte Rolfs Villa nur genervt. Die unverbaute fantastische Aussicht rüber auf die beleuchtete Skyline des Burj Khalifa und die umgebenden Hochhäuser konnte sie kaum versöhnen. Die Fahrt hierhin war wieder sehr anstrengend, da der Taxifahrer nicht viel anzufangen wusste mit der Adresse, die Kate ihm gezeigt hatte. Es war ihr nichts übrig geblieben, als Friederike anzurufen und sie mit dem Fahrer sprechen zu lassen. Offenbar konnte sie ihm bekannte Örtlichkeiten in der Nähe nennen, die er dann anfuhr. Dann war wieder Schluss, und Kate musste erneut anrufen. Beim zweiten Mal war es nicht einfach, Friederike sofort zu erreichen. Die Party war schon losgegangen und Friederike zu abgelenkt, um auf ihr Handy zu achten.

Diese jungen Dinger!

Kate blaffte sie an. Als sie endlich verspätet ankam, war sie immer noch stinksauer. Über den Taxifahrer. Das anstrengende, heiße Dubai, in dem sie sich nicht zutraute, selbst zu fahren. Wo sie gar nicht sein wollte. Über Friederike, die nicht gleich ranging ans Handy, sie hängen ließ, ihr Alleinsein.

Chrissi! Mit dir wäre hier alles anders!

Sie sah die Partylichter und die vielen Menschen hinter der Mauer und fühlte sich hundeelend und außerstande, dort jetzt einfach reinzugehen. Im letzten Tageslicht und mit ausholenden Schritten wollte sie die Straße runterlaufen, die sie gerade mit dem Taxi raufgekommen war: ein geteerter Streifen, entlang eines unbebauten, lang gestreckten Sandareals. Doch im Gegensatz zu früher wurde sie schnell kurzatmig. Sie stoppte, schrie ihre Überforderung raus.

Du musst da jetzt reingehen. Vielleicht triffst du Nora, alles ist geklärt, und du kannst wieder nach Hause fliegen. Oder jeden Tag an den Strand gehen. Und sonst nichts.

Widerstrebend trat sie durch die große Eisentür. Auf dem harten Sandboden vor dem Anwesen waren lange Bänke und Holztische aufgestellt. Der an der Seite war beladen mit allerlei Essbarem. Nicht weit entfernt loderte ein Feuer in einer Erdkuhle für den Grill, bewacht von einem jungen Inder mit Turban. Ringsherum standen und saßen Menschen meistens in kleinen Grüppchen zusammen und beachteten kaum Neuankömmlinge wie Kate. Überall hörte sie Englisch, die verbindende Sprache aller. Kate lief langsam an den Gästen vorbei, erstaunt, wie viele Bier- und Weinflaschen sie hier sah. Einige der Anwesenden nickten ihr automatisch freundlich zu. Da entdeckte sie Friederike, die am Buffettisch stand mit einem Mann und ihr jetzt zuwinkte.

Gott sei Dank, ist sie nicht beleidigt.

---ENDE DER LESEPROBE---