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"Du solltest dir ein heißes Liebesabenteuer gönnen, bevor du für den Rest deines Lebens an der Leine liegst …" Tessa ist auf Wolke sieben. In ein paar Tagen heiratet sie Morten, den umschwärmten Reitlehrer. Vivi, Tessas beste Freundin und erprobte Männer-Expertin, ist extra für die Hochzeit angereist und hilft bei der Wahl des Brautkleids. Nun kann nichts mehr schiefgehen, denkt Tessa, aber das Schicksal will es anders. Taylor, ein einfühlsamer Pferdeflüsterer aus Montana, taucht im Dorf auf und bringt alles durcheinander. Tessas Herz steht in Flammen, ihr harmonisches Familienleben ist in Gefahr und die Dorfbewohner laufen Sturm gegen den Fremden. Tessa muss sich entscheiden und stürzt ins Chaos, als sie herausfindet, wer Taylor wirklich ist.
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Seitenzahl: 275
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Verrückt vor Glück - Hochzeit auf Umwegen
Impressum
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© Karin Köster – alle Rechte vorbehalten.
Ich danke von Herzen
Tanja, Mareike, Regina, Ulrike, Marcus und Johannes –
1. Aufregende Abenteuer
2. Heiße Girls
3. Lauschangriff
4. Sicherheitsabstand
5. In der Klemme
6. Pralle Muskeln
7. Eine kleine Insel
8. Überraschung für Paps
9. Gerettet
10. Die ganze Wahrheit
11. Hochzeit auf Umwegen
1. Aufregende Abenteuer
„Das mit Morten und mir ist keine flüchtige Bettgeschichte“, erkläre ich meiner besten Freundin Vivi. „Es ist alltagstauglich und es ist für immer.“
„Ach du Scheiße! Wie sterbenslangweilig!“, stöhnt sie und verdreht die Augen zum Himmel.
Vivi und ich sind uns fast immer einig, aber in Liebesangelegenheiten kommen wir nicht auf einen Nenner. Sie folgt dem Tetra-Pack-Prinzip „Aufreißen, genießen, wegwerfen“ - und ich, ja, ich stehe kurz vor der Hochzeit mit meinem Jugendfreund Morten. Vivi ist seit gestern wieder im Lande, wir machen einen Ausritt, genau wie früher, als sie noch in unserem kleinen Dorf wohnte.
Sie grinst mich schelmisch an. „Stell dir mal vor, du begegnest einem ultraheißen Typen. Er hat einen Monsterbody, ein hinreißendes Lächeln und flüstert dir ins Ohr, was er gerne mit dir anstellen würde. Oh, und wie er dich anschaut! Er zieht dich regelrecht mit seinen Blicken aus!“
Ich beiße mir auf die Lippe, um nicht loszulachen.
„Wetten, dass du ihn dir schnappen würdest?!“, ruft sie triumphierend.
„Hmm ...“, gurre ich versonnen. „Ich weiß genau, was ich mit diesem scharfen Typen täte.“
Vivi reißt gespannt die Augen auf. „Und was?“
Ich kann mich nicht mehr beherrschen und pruste los: „Ich würde ihm deine Nummer geben.“
Sie macht ein Gesicht wie auf einer Beerdigung. „Tessa, du bist erst neunundzwanzig und wirst nie wieder ein sündiges Abenteuer erleben. Da kannst du dich auch gleich erschießen“, sagt sie mit Grabesstimme.
„Du übertreibst mal wieder maßlos“, entgegne ich kichernd.
Sie zieht nachdenklich die Stirn kraus. „Es sei denn, du betrügst Morten. Das ist natürlich auch eine Option.“
„Das würde ich niemals tun!“, entgegne ich im Brustton der Überzeugung.
Sie stößt einen abgrundtiefen Seufzer aus und mustert mich forschend. „Mal ehrlich, Tessa: Hast du Schmetterlinge im Bauch, wenn Morten dich ansieht?“
„Nun ...“ Wie soll ich meiner Freundin klarmachen, dass eine stabile Partnerschaft nicht aus Schmetterlingen besteht? Vivis Beziehungen halten maximal vier Wochen, wenn alles gutgeht.
„Prickelt es wie Champagner auf deiner Haut, wenn er dich berührt?“, schnurrt sie und lächelt verzückt.
Ich lache auf. „Vivian! Wenn deine Eltern dich hören könnten, würden sie einen Anfall kriegen.“ Vivis Vater Anselm Allerheiligen ist der Pastor unserer Gemeinde und Vivis Mutter Agnes die Tugendhaftigkeit in Person. Ihre Familie wohnt in dem kleinen Pfarrhaus in unserem Dorf.
Sie winkt großzügig ab. „Meine Eltern sollten sich inzwischen damit abgefunden haben, dass ich weder verklemmt noch spießig bin. Also was ist nun mit Morten? Bringt er dich auf Touren oder bringt er’s nicht?“
„Morten ist ehrlich und zuverlässig und er weiß, was er will. Wir sind ein gutes Team“, erkläre ich ihr geduldig.
„Gutes Team. Pfft.“ Vivi macht eine wegwerfende Geste. „Du hast seinetwegen deinen Beruf an den Nagel gehängt!“
„Das stimmt nicht“, widerspreche ich. „Ich habe meinen Job aufgegeben, weil mein Vater den Reitunfall hatte. Seitdem werde ich auf unserem Hof gebraucht.“ Morten hat viel für unsere Familie getan, ich bin ihm unendlich dankbar, dass er unseren Hof gepachtet hat. Damit hat er meinen Vater vor bösen finanziellen Schwierigkeiten bewahrt. Seine Reitschule läuft super, Paps wird hoffentlich irgendwann auf die Füße kommen und dann kann ich vielleicht wieder als Übersetzerin in Neustadt arbeiten.
„Du könntest Dolmetscherin in fernen Ländern sein! Du würdest Businesstypen oder Politiker bei ihren Meetings begleiten. Himmel, wie aufregend das wäre!“
Ich streiche zärtlich mit meiner Hand über den Hals meines alten braunen Wallachs Dundee. „Ich bin glücklich Vivi! Es gibt Wichtigeres im Leben, als aufregende Abenteuer.“
In stummer Verzweiflung schüttelt sie den Kopf. „Oh Mann, dir ist nicht zu helfen. Aber wenigstens brauche ich mir nicht vorzuwerfen, dass ich’s nicht versucht habe.“
Die Pferde heben erwartungsvoll die Köpfe. Vor uns liegt einladend der einzige verbliebene Sandweg unserer Gegend, eine ideale Trab- und Galoppstrecke. Die anderen Sandwege wurden in den letzten Jahren leider mit Schottersteinen aufgefahren oder zu Straßen ausgebaut. Kirchdorf ist kein beschauliches Bauerndorf mehr, sondern wird von schicken, neuen Häusern und einer Schnellstraße eingekesselt.
Dundee spitzt die Ohren und wartet auf mein Kommando, ich schnalze leise und er fällt in flotten Trab. Vivi legt die Schenkel an die Flanken ihrer Stute und trabt ebenfalls an. Der Sand unter den Hufen wirbelt auf, die Pferde schnauben vergnügt. Vivi und ich grinsen uns an. Hach, ist das schön, sie wieder hier zu haben! Sie hat mir so gefehlt! Vivi schreibt Reiseführer, und deswegen ist sie dauernd in fernen Ländern unterwegs. Jetzt ist sie für zwei Wochen zurückgekehrt, um mir bei den Hochzeitsvorbereitungen zu helfen.
Wir zwinkern uns zu und galoppieren gleichzeitig an. Dundee holt weit aus, um mit Vivis junger Stute mitzuhalten. Ich beuge mich im Sattel vor, finde mein Gleichgewicht in den Steigbügeln und lasse mich von den rhythmischen, kraftvollen Sprüngen des Pferdes davontragen. Ich spüre den Wind über meine Haut streichen, er spielt mit meinen Haaren und saust in meinen Ohren. Auf einmal galoppiere ich durch endlose Prärie. Statt schlanker Kiefern fliegen Kakteen an mir vorbei, die grünen Wiesen haben sich in bronzefarbenen Sand verwandelt. Neben mir reitet nicht Vivi, sondern ein Cowboy. Sein Gesicht ist sonnengebräunt und sein Lächeln so umwerfend, dass es mich fast aus dem Sattel katapultiert.
Dundees lange Mähne kitzelt in meiner Nase, ich muss niesen. Vivi, die Kiefern und das Gras sind wieder da und ich lache auf. Mannomann, ich hab echt zu viel Phantasie!
Wir ziehen eine Staubwolke hinter uns her. Der Boden ist ausgetrocknet, es ist ungewöhnlich warm für Mai und es hat lange nicht geregnet. Das östliche Baugebiet kommt in Sicht und kündigt das Ende des Sandweges an. Wir zügeln die Pferde, jauchzend, außer Atem und mit wild klopfenden Herzen. Dankbar schlinge ich meine Arme um den Hals meines geliebten Wallachs und flüstere ihm zu, dass er das allerbeste Pferd der ganzen Welt ist. Dann richte ich mich wieder auf und wende mich Vivi zu. Ihre Wangen sind rosa und ihre Augen glänzen.
„Das war herrlich!“, schwärmt sie und krault liebevoll das Fell ihrer Stute. In mir keimt die leise Hoffnung auf, dass sie es sich doch noch anders überlegt, und ab jetzt für immer in Kirchdorf bleibt. Das wäre einfach zu schön! Ich werde in den kommenden zwei Wochen oft mit ihr ausreiten. Vielleicht gelingt es mir ja, sie vom Fernweh zu kurieren.
Wir lassen die Pferde im Schritt nebeneinander gehen, geben ihnen die Zügel hin und wenden uns nach links in Richtung heimatlicher Hof. Die Hufschläge klingen hart auf dem schwarzen Asphalt.
Vivi fasst nach meiner Hand. „Geht es deinem Vater etwas besser?“, erkundigt sie sich.
Ich schüttle den Kopf. „Nicht wirklich. Ich fahre zweimal pro Woche mit ihm zur Krankengymnastik und muss jedes Mal mit Engelszungen auf ihn einreden, damit er hingeht. Er verbringt seine Tage auf dem Sofa vorm Fernseher und weigert sich, die Übungen zu machen, die sein Physiotherapeut ihm für daheim verordnet. Sein Bein ist nach wie vor steif, dabei müsste er laut der Diagnose der Ärzte längst wieder laufen können.“
Vivi drückt mitfühlend meine Hand. „Er war so ein großartiger Springreiter, ich hab ihn echt bewundert. Wie der seine Konkurrenten vom Platz gefegt hat! Es ist wirklich ein Jammer.“
In den Bäumen zwitschern die Vögel, irgendwo quakt ein Frosch. Die Luft ist schwül, kein Windhauch ist zu spüren. Dundee vertreibt eine penetrante Fliege mit seinem Schweif, schon kommt sie wieder angeflogen und er schüttelt unwillig den Kopf. Er mag keine Fliegen in seinen Ohren.
Vivi fächelt sich Luft zu und schaut hoch zum Himmel. „Da braut sich was zusammen“, meint sie.
Ich folge ihrem Blick. Blaugraue Wolken türmen sich zu bizarren Gebilden auf, der Himmel färbt sich dunkelviolett. Ein kräftiger Regenschauer kann nicht schaden, er macht die Luft wieder klar, wässert die Erde und vertreibt die Fliegen.
Wir haben den schmalen Weg erreicht, der zwischen unseren Wiesen hindurch zur Rückseite des Hofes führt, lösen unsere Hände und lassen die Pferde hintereinandergehen.
Mein Vater, Morten und ich leben auf dem Eichenhof in einem urigen alten Fachwerkhaus. Unser Haus hat rote Klinkersteinen, dicke dunkelbraune Balken und ein reetgedecktes Dach. Früher, als mein Opa noch lebte, war der Hof ein landwirtschaftlicher Betrieb mit Kühen, Schweinen und Hühnern. Vor einigen Jahren hat mein Vater eine Reithalle gebaut, im ehemaligen Kuhstall sind jetzt große, helle Pferdeboxen. An jede Box schließt ein Sandpaddock an, damit die Pferde genug Auslauf und frische Luft haben, wenn sie nicht auf der Weide sind. Außerdem gibt es eine Scheune für Heu und Stroh, den Hühnerstall und einen großen Garten.
Der Reitplatz liegt gleich neben der Halle, er ist von einem stabilen Holzzaun umgeben. Dort entdecke ich Morten, er steht in der Mitte und gibt Reitunterricht. Fünf Reiterinnen drehen ihre Runden im hellgelben Sand, er ruft ihnen Kommandos zu. Jetzt hält eine Reitschülerin neben ihm an, es ist Celina Roth, eine kurvenreiche, dunkelhaarige Schönheit aus einem der schicken neuen Häuser am Dorfrand. Morten prüft den Sattelgurt ihres Pferdes, sie beugt sich zu ihm runter und eröffnet ihm den freien Blick in ihren großzügigen Ausschnitt.
Vivi dreht sich zu mir um. „Findest du nicht auch, dass Männer in Reithosen ziemlich schwul aussehen?“
„Es gibt Ausnahmen“, merke ich an.
Sie setzt die Miene einer Expertin auf. „Ein Mann muss schon sehr gut gebaut sein, damit ihm eine Reithose steht. Solche Männer können alles tragen. Die sehen sogar in Feinripp-Unterwäsche sexy aus.“
Ich weiß nicht, von welchem Mann sie gerade träumt, aber von Morten ganz sicher nicht. Mit seinen schmalen Schultern und langen Gliedmaßen entspricht er nicht ihrem Beuteschema. Er ist fast einen Meter neunzig groß und hager, seine Haare sind dunkel, seine Augen braun und sein Lächeln umwerfend süß. Er ist kein Muskelprotz, sondern hat die schlanke, hochgewachsene Statur eines Dressurreiters. Ich bezweifle, dass ihm Feinripp-Unterwäsche stehen würde, aber in seinen Reithosen und den hohen Lederstiefeln sieht er echt klasse aus.
Morten erblickt uns, winkt zu uns rüber und wir winken zurück. Dann wendet er sich wieder Celina zu. Sie trabt einen Zirkel um ihn herum, ihr kohlrabenschwarzer Zopf und ihre vollen Brüste wippen im Takt um die Wette. Celina ist im fünften oder sechsten Sabbatjahr nach dem Abi. Sie will beruflich „irgendwas mit Pferden“ machen und hat - wen wundert’s - bislang keinen Ausbildungsplatz gefunden. Ihren Eltern gehört eine Reformhauskette, so dass sie sich während ihrer Findungsphase keine Gedanken um ihre Finanzen machen muss. Der wunderschöne Apfelschimmel unter ihrem wohlgeformten Hintern hat schlappe hunderttausend Euro gekostet.
Vorm Stall nehmen wir unseren Pferden die Sättel ab. Die Luft ist zum Schneiden dick. Mein T-Shirt klebt an meinem Rücken fest und meine Locken kräuseln sich über meiner Stirn.
„Wie weit bist du eigentlich mit den Hochzeitsvorbereitungen?“, erkundigt sich Vivi und zieht ihrem Pferd das Halfter über den Kopf.
„Wir haben alles bis ins Detail geplant“, berichte ich euphorisch. „Den Polterabend feiern wir ganz zünftig in unserer Scheune, mit Discjockey, Bier vom Fass und Bratwurst vom Grill. Am nächsten Tag geht's zum Standesamt und am darauffolgenden Tag ist dann die kirchliche Trauung mit anschließender Hochzeitsfeier in Borstelmanns Saal.“
Vivi zieht ein Gesicht, als hätte sie eine Zitrone zwischen den Zähnen. „Lass mich raten: Die Traurede hält Pastor Anselm Allerheiligen.“
„Du hast es erfasst“, entgegne ich grinsend. „Dein Vater hat versprochen, einen besonders schönen Gottesdienst für uns vorzubereiten.“
Sie rümpft die Nase. „Wenn ich jemals heiraten sollte, werde ich einen großen Bogen um die Kirche machen. Ich hab ne Phobie gegen Gesangbücher und Bibelsprüche.“
„Jaja, dein Kindheitstrauma“, sage ich kichernd.
„Ganz genau. Ich setze keinen Fuß mehr in ein Gebäude, an dem ein Kreuz hängt.“
„Für meine Trauung wirst du eine Ausnahme machen müssen“, verkünde ich fröhlich, nehme eine weiche Bürste zur Hand und streiche damit über Dundees braunes Fell. „Aber die Hochzeitsfeier wird dich entschädigen, versprochen! Wir haben eine vierköpfige Tanzband engagiert. Die Jungs sind echt klasse, ich hab sie auf Youtube entdeckt. Es gibt ein leckeres Drei-Gänge-Menü, ach, und hab ich dir schon von den schönen Tischkarten erzählt? Die muss ich noch zusammenbasteln, vielleicht hilfst du mir dabei?“
„Wie viele Leute habt ihr denn eingeladen?“
„Hundertfünfundachtzig haben bisher zugesagt, ein paar Antwortkarten fehlen noch.“
„Hilfe, da kommt ja das halbe Dorf zusammen!“
„Und ob! Ist das nicht toll?“ Ui, ich freu mich schon so, ich kann’s kaum erwarten, mit Morten vorm Altar zu stehen. Willst du, Tessa Stürmer, den hier anwesenden Morten Morisse zum Ehemann nehmen, ihn lieben und ehren, in guten wie in schlechten Tagen, bis dass der Tod euch scheidet? Ja, ich will!!!
„Das sind ne Menge Tischkarten“, ächzt sie.
Sie säubert den rechten Vorderhuf ihres Pferdes, lässt ihn sinken und richtet sich auf. Ihre Augen blitzen. „Und was ist mit deinem Brautkleid? Das ist doch das Allerwichtigste an der ganzen Veranstaltung. Wie sieht es aus, ich meine, außer dass es weiß ist?“
Ich lege die Bürste zurück in die Utensilienbox und hebe die Schultern. „Keine Ahnung, ich hab noch keines.“
Ihr fallen fast die Augen aus dem Kopf. Der Hufkratzer landet mit einem metallischen Klirren auf dem Betonfußboden. „WAS? Das ist nicht dein Ernst! Deine Hochzeit ist in zwei Wochen und du hast noch kein Kleid?“
„Ich habe damit gewartet, bis du zurück bist. Ich will es mit dir zusammen aussuchen, das ist mir sehr wichtig.“
„Ach Tess, das ist so süß von dir“, sagt sie gerührt, umarmt mich überschwänglich und gibt mir einen Schmatzer auf die Wange. „Wir werden das schönste Traumkleid der Welt für dich kaufen, darunter läuft gar nichts!“
Wir bringen die Pferde in ihre Paddockboxen, ich gebe Dundee scherzhaft einen Kuss auf seine weichen Nüstern und im Gegenzug pustet er mir ins Gesicht. „Du verrückter Kerl“, sage ich lachend und kraule ihm die Stirn.
Vivi und ich verabreden uns für morgen zum Brautkleidkauf, dann bleibt genug Zeit, falls es noch für mich geändert werden muss. Sie fährt mit den Fingern durch ihre moderne Strubbelfrisur und klopft den Staub von ihrer Jeans. „Ich muss los, meine Oma hat mich zum Essen eingeladen.“ Sie wirft mir eine Kusshand zu. „Bis morgen!“
„Bis morgen, Vivi!“ Ich greife zum Besen und fege die Stallgasse, anschließend bereite ich die Abendmahlzeit für die Pferde vor und als ich damit fertig bin, kommt Morten vom Reitplatz. Seine Reitschülerinnen dackeln hinter ihm her, allen voran die schöne Celina. Ihre hohen Lederstiefel glänzen mit seinen um die Wette. Sie klemmt sich neben ihn und streckt den Busen raus, was wirklich nicht nötig ist, denn ihre Brüste sind auch ohne Rausstrecken beneidenswert üppig. Trotz der drückenden Hitze ist sie wie aus dem Ei gepellt, perfekt frisiert und kein bisschen verschwitzt. Wie macht sie das bloß? Sie hat den Zügel ihres Pferdes lässig über ihren Arm geschlungen und wirft mir im Vorbeigehen einen flüchtigen Blick zu. „Hey“, macht sie emotionslos.
„Hallo Celina“, entgegne ich freundlich.
Morten lächelt mich an, seine braunen Augen zwinkern mir fröhlich zu. Mit seinem Lächeln könnte er jeden Eisblock zum Schmelzen bringen, es breitet sich im Sekundenbruchteil über sein ganzes Gesicht aus und wirft niedliche Fältchen in seine Augenwinkel. „Wie war euer Ausritt, hattet ihr Spaß?“, erkundigt er sich und gibt mir einen schnellen Kuss auf die Wange.
„Und wie! Dundee hat richtig Gas gegeben, um mit Priscilla mitzuhalten.“
Celina bleibt stehen, schiebt ihr rechtes Bein samt dazugehöriger Hüfte vor und wölbt den Rücken. Ihre vollen Lippen sind leicht geöffnet, ich erblicke eine rosa Zungenspitze.
„Unser Rentner erlebt wohl seinen zweiten Frühling, wie?“, scherzt Morten.
Celina gackert, als hätte er den Witz des Jahrhunderts gerissen. „Aaaah, Morten, du bist so lustig!“, japst sie.
„Kommst du pünktlich zum Abendessen rüber?“, frage ich ihn.
Er schaut auf seine Armbanduhr, sein Blick wandert zu Celina und dann zurück zu mir. Er schaut ein bisschen zerknirscht drein. „Warte lieber nicht mit dem Essen auf mich, ich hab noch zu tun.“
„Soll ich dir helfen?“
„Nö, brauchst du nicht. Dein Vater freut sich bestimmt, wenn du ihm Gesellschaft leistest.“ Sein Grinsen fällt schief aus. „Auch wenn er das natürlich niemals zugeben würde, der alte Muffelpott.“
„Natürlich nicht“, gebe ich lachend zurück. „Dazu müsste er ja über seinen Schatten springen.“
Morten setzt sich wieder in Bewegung, Celina drängt sich neben ihn und ich höre, wie sie sich über die steife Hinterhand ihres Pferdes beschwert. Sie spricht mit rauer Stimme und gibt dem Wort „steif“ eine anzügliche Betonung. Herrje, sie winkt so offensichtlich mit dem Zaunpfahl, dass es echt peinlich ist! Morten setzt sein ernstes Reitlehrer-Gesicht auf und schlägt ihr Einzelunterricht vor, um an der mangelnden Durchlässigkeit ihres Pferdes zu arbeiten. Sie ist prompt einverstanden.
Celina ist nicht die Einzige, die für Morten schwärmt, ihm liegen so ziemlich alle Reitschülerinnen zu Füßen. Ich grinse in mich hinein und bin megastolz, dass ich diejenige bin, die ihn heiraten wird.
Ich gehe über den Hofplatz zu unserem Haus, streife an der Tür meine Reitstiefeletten ab und trete ein. In der Diele ist es herrlich kühl. Der Boden ist mit alten blau-weißen Kacheln belegt, an den Wänden hängen gerahmte Fotografien aus Großvaters Zeiten. Den wuchtigen Eichenschrank habe ich letzte Woche im Chabby-Chic angepinselt. Er ist jetzt kreideweiß statt dunkelbraun, und dadurch wirkt unser Eingangsbereich noch freundlicher. Auf dem Beistelltisch entdecke ich einen kleinen Stapel Briefe, was bedeutet, dass Paps ausnahmsweise die Post reingeholt hat. Das ist ein gutes Zeichen. Vielleicht fängt er ja endlich an, sich etwas mehr zu bewegen. In zwei Wochen ist unsere Hochzeit, und da kann er wohl kaum sein Sofa mitnehmen.
Er liegt im Wohnzimmer auf der Couch, hat ein paar Kissen in seinen Rücken gestopft und eine Decke über den Knien ausgebreitet. Vorletzten Monat ist er siebenundfünfzig geworden. Die drahtigen, von silbernen Strähnen durchzogenen Haare stehen ihm vom Kopf ab, seine breite Stirn ist von Querfalten durchzogen, die buschigen Augenbrauen über seinen grünen Augen wirken wie ein durchgehender Balken. Er hat einen kleinen Höcker auf der Nase, weil er sich als junger Mann mit einem Nebenbuhler um meine Mutter geprügelt hat.
Mit finsterem Blick starrt er auf den Fernseher, wo eine Frau erklärt, wie Erdbeereis hergestellt wird. Die Vorhänge sind zugezogen, die Luft ist furchtbar stickig und auf dem Tisch steht eine Flasche Whisky.
Ich öffne das Fenster eine schwül-warme Brise drückt herein. „Hi Paps. Danke, dass du die Post reingeholt hast. Wie war dein Tag?“
„Die Siemsen war schon wieder hier“, knurrt er. Carola Siemsen ist Mortens Tante und die liebenswerteste Frau, die ich kenne. Sie hat immer ein offenes Ohr und hilft unserer Familie, wo sie nur kann. Carola ist Mitte fünfzig und vor ein paar Jahren Witwe geworden. Seit Vaters Unfall kommt sie fast täglich her, um nach ihm zu sehen und ihm Neuigkeiten aus dem Dorf zu erzählen.
„Über ne Stunde war die hier“, beschwert er sich. „Die hat Sitzfleisch, das muss man ihr lassen.“
Ich hocke mich auf einen Sessel. „Du solltest froh sein, dass sie sich von deiner kodderigen Art nicht abschrecken lässt. Sie ist die Einzige, die dich überhaupt noch besuchen kommt.“
„Die soll’n mir bloß alle vom Acker wegbleiben“, murrt er, als handele es sich bei den Dorfbewohnern um aggressive Schädlinge.
Ich fächle mir Luft zu. „Du hast ein ausgeprägtes Talent entwickelt, die Leute vor den Kopf zu stoßen“, stelle ich mit deutlich sarkastischem Unterton fest.
„Ich will meine Ruhe haben, weiter nichts. Kann doch wohl nich so schwer zu kapieren sein“, murrt er.
Mein Blick fällt auf das gerahmte Foto an der Wand gegenüber. Darauf ist eine wunderschöne junge Frau zu sehen, sie lacht verschmitzt in die Kamera. Ihre Locken fallen bis über ihre Schultern, sie hat ebenmäßige Gesichtszüge, volle Lippen und hohe Wangenknochen. Meine Mutter Isabel. Wenn ich mich doch bloß an sie erinnern könnte! Aber da ist nichts, nicht einmal ein klitzekleiner Erinnerungsfetzen. Ich war ein Baby, als sie starb, und kenne sie nur aus den Erzählungen meines Vaters und der Dorfleute.
Paps folgt meinem Blick. „Deine Mama hatte dich Tag und Nacht im Arm“, murmelt er. „Sie schaukelte dich sanft hin und her und sang dich in den Schlaf.“
Ich kenne die Geschichte in- und auswendig, Paps hat sie mir schon tausend Mal erzählt, aber ich höre sie mir immer wieder gerne an. Außerdem bin ich froh, dass er ausnahmsweise mal nicht auf den Fernseher starrt.
Er reibt sich die Augen. „Hätt ich se man nich goon loten“, brummelt er. Manchmal, wenn er bewegt ist oder den Schroffen mimt, fällt er ins Plattdeutsche.
Mein Herz läuft über vor Zärtlichkeit. „Gegen den Tod kann niemand etwas ausrichten“, sage ich und schlinge meine Arme um ihn. Sein Körper fühlt sich weich und schlaff an. Vor dem Unfall hatte er starke Muskeln und wettergegerbte Haut von der Arbeit an der frischen Luft. Ich gebe ihm einen Kuss auf die kratzige Wange und richte mich auf.
Er starrt wieder auf die Mattscheibe. „Ich hab keine Tabletten mehr. Hab schon überall gesucht.“
Verdammter Mist, ich habe ganz vergessen, das blöde Rezept einzulösen! Ich werfe einen hektischen Blick zur Uhr, die von zwei handgeschnitzten Pferdeköpfen eingerahmt wird und oben auf der Glasvitrine thront. Paps hat die Uhr als Ehrenpreis beim Springcup gewonnen. Die Vitrine droht vor lauter Pokalen und Kelchen zusammenzubrechen, obwohl sie nur ein Bruchteil der Trophäen beherbergt. Der Rest ist übers ganze Haus verteilt und lagert in Kartons auf dem Dachboden.
Es ist kurz nach halb sechs, um sechs macht die Apotheke zu. Ich muss mich sputen, sonst schaffe ich es nicht rechtzeitig nach Neustadt.
„Ich fahre zur Apotheke und besorge dir neue“, verspreche ich, und er lässt ein zustimmendes Brummen hören. Ich schlüpfe in Sandalen, nehme die Autoschlüssel vom Haken und flitze rüber zum Carport. Dort parkt Vaters leicht ramponierter, zwanzig Jahre alter Mercedes. Mortens todschicker weinroter Geländewagen steht hinten an der Reithalle bei den Pferdeanhängern.
Der Himmel ist bleigrau, in der Ferne erklingt Donnergrollen. Die Luft hat sich kein bisschen abgekühlt. Mein Blick geht rüber zum Pferdestall, aber Morten ist nirgends zu sehen. Die Zeit drängt, ich muss losfahren, ohne mich von ihm zu verabschieden.
2. Heiße Girls
Wie immer nehme ich über die Abkürzung über den Wirtschaftsweg. Er beginnt hinter dem südlichen Neubaugebiet, und führt kilometerlang parallel zur Schnellstraße durch Niemandsland. Irgendwann endet er bei einer Ansammlung verlassener Blechhallen, geht als asphaltierte Straße an einer Baumschule vorbei und mündet schließlich in die Zufahrtsstraße nach Neustadt. Von hier aus sind es nur noch knappe zehn Minuten bis zum Stadtrand.
Ich löse das Rezept ein, werfe Vaters Tabletten auf die Ablage und mache mich auf den Rückweg. Noch immer ist kein einziger Tropfen vom Himmel gefallen. Die Luft ist so brütend heiß wie in einer Dampfsauna und legt sich bleischwer auf meine Lunge. Meine Klamotten kleben schweißnass an meiner Haut, mein Nacken juckt und meine Füße haben den Siedepunkt längst überschritten.
Die Baumschule und die verrosteten Blechhallen liegen hinter mir, ich gondele gerade durchs Niemandsland, da erblicke ich einen Cowboy. Ah ja, schon klar! Meine Phantasie geht mal wieder mit mir durch.
Ein Blitz zuckt am bedrohlich dunklen Himmel, er wird von einem dumpfen Donnerschlag begleitet. Der Cowboy ist immer noch da. Er spaziert am Wegesrand entlang. Ich blinzle verwirrt.
Ich habe Cowboys schon immer geliebt. Bis zu meinem vierzehnten Lebensjahr war ich fest entschlossen, entweder einen Cowboy zu heiraten, oder gar keinen Mann. Dabei kenne ich Cowboys leibhaftig nur von den Karl-May-Festspielen, die ich einmal mit Vivi und ihren Eltern besucht habe. Und natürlich kenne ich sie aus dem Fernsehen. Cowboys strotzen nur so vor Willenskraft, Vitalität und Wildheit, und sie scheinen auf eine geheimnisvolle Weise mit Tieren verbunden zu sein.
Ich nehme den Fuß vom Gas, tuckere an ihm vorbei und verrenke mir fast den Hals. Der Cowboy trägt einen Stetson, seine hellbraunen, gewellten Haare fallen bis auf den Kragen seines Hemdes. Er hat die Ärmel hochgeschoben, kräftige Unterarme kommen darunter zum Vorschein. Seine dunkelblaue Wrangler sitzt perfekt über seinen Hüften und schließt mit einer silbernen Gürtelschnalle ab. An den Füßen trägt er robust wirkende Westernstiefel. Mir bleibt komplett die Spucke weg. Wow, wow, WOW!!!
Eine Million Fragen sausen mir durch den Kopf. Wo kommt er her? Was macht er in unserer Gegend? Warum ist er zu Fuß unterwegs? Wo ist sein Pferd? Hat er ein Lasso dabei?
Ich beobachte ihn im Rückspiegel. Er bewegt sich so geschmeidig wie eine Raubkatze. Das drohende Gewitter scheint ihn überhaupt nicht zu beunruhigen. Aber mich! Hier draußen gibt es außer ein paar mickrigen Bäumen nichts, wo er sich unterstellen könnte. Vor meinem geistigen Auge sehe ich schon die Schlagzeile in den Nachrichten: Der einzige Cowboy, der sich jemals in Kirchdorf blicken ließ, wurde vom Blitz erschlagen. Ich springe auf die Bremse, lege den Rückwärtsgang ein und lasse die Scheibe runter. Das Getöse der nahen Schnellstraße dringt an mein Ohr, es wird von dicht hintereinander folgenden Donnerschlägen übertönt.
Er tippt an die Krempe seines Hutes und lächelt mich an. „Hi.“
Oh mein Gott! Seine Augen sind unglaublich, sie sind von einem so intensiven Grün, wie man es normalerweise nur im Katzenreich findet. Ich starre ihn total fasziniert an und kriege keinen Ton raus.
„Ist dies die Straße nach Kirchdorf?“, fragt er in perfektem Deutsch mit leichtem, unverkennbar amerikanischem Akzent.
Er muss meine Preisklasse sein, also so um die dreißig. Sein Gesicht ist sonnengebräunt, sein Dreitagebart gepflegt, er hat schöne weiche Lippen und ein kräftiges Kinn. Was in Gottes Namen will er bloß in unserem Dorf? Womit wir wieder bei den vielen Fragen wären, die mir unter den Nägeln brennen.
„Äh, ja“, stottere ich. Als würde ich nicht sowieso schon in meinem eigenen Schweiß baden, bricht nun auch noch eine Hitzewelle in meinem Unterleib aus. Ich gebe ein albernes Kichern von mir, das von einer Achtjährigen zu kommen scheint.
„Gibt es in Kirchdorf ein Hotel?“
„Ein Hotel in unserem Dorf?“, pruste ich los, begleitet von diesem bescheuerten Kichern.
Es sind nicht nur seine Augen, die mich magnetisch anziehen. Mir kommt es vor, als wäre ich auf einer unsichtbaren Schwingungsebene mit ihm verbunden. So als würde ich ihn schon ewig kennen, was natürlich absoluter Blödsinn ist. Er schaut mich abwartend an und mir wird plötzlich klar, dass ich ihm noch immer keine Antwort auf seine Frage gegeben habe. Ich kneife kräftig in meinen Oberschenkel, damit ich aufhöre zu kichern. „Wir, äh, haben eine kleine Ferienwohnung, sie ist gerade frei.“ Zumindest bis zu unserer Hochzeit. Dann kriegen wir Besuch von Inge und Gerd Morisse, das sind Mortens anstrengende Eltern.
„Perfekt“, sagt er. Seine weichen Lippen sind weder zu schmal noch zu voll. Er lächelt und entblößt dabei schöne weiße Zähne. Ich entdecke ein kleines Grübchen mitten auf seinem Kinn, es wird von seinem hellbraunen Dreitagebart fast verdeckt.
Seine grünen Augen blitzen mich an. Heiliger Bimbam! Bei diesem Blick wird jede Frau schwach, garantiert ausnahmslos jede! Mein Unterleib vibriert wie verrückt und mein Herz klopft so laut, dass ich befürchte, er könnte es hören.
Ein Kanonenschlag lässt mich zusammenzucken. Der Himmel ist jetzt fast schwarz und plötzlich, von einer Sekunde auf die nächste, öffnet er seine Schleusen. Dicke Regentropfen klatschen auf die Erde, aufs Autodach und die Windschutzscheibe. Und auf den Cowboyhut.
„Steig ein“, rufe ich und mache schnell das Seitenfenster zu.
Er umrundet die Motorhaube, öffnet die Beifahrertür und stellt einen Ledersack in den Fußraum. Dann gleitet er auf den Sitz und schließt die Tür. Die Regentropfen wurden von seinem Hemd aufgesogen und glänzen auf seinen kräftigen Unterarmen.
„Danke, das ist sehr nett von dir“, sagt er mit warmer Stimme und reicht mir die Hand. „Ich heiße Taylor Cooper.“ Seine Finger sind lang, fest und stark.
Zögernd lege ich meine Hand in seine und prompt habe ich das Gefühl, als würde ich geradewegs in eine Steckdose fassen. Hilfe! Mein ganzer Arm steht unter Strom. Gleich werden elektrische Funken sprühen, meine Augen werden wie Glupscher hervortreten und mein Kopf wird sich in der Runde drehen.
„Tessa“, japse ich.
Sein Daumen streicht an der Innenseite meines Handgelenkes entlang, als sich unsere Hände voneinander lösen. Mein ganzer Körper ist hellwach und in meinem Unterleib bricht ein brasilianischer Karneval los. Unzählige heiße Mädels in bunten Federboas und knappen Glitzer-BHs tanzen Samba, als gäb’s kein Morgen mehr.
Ich reiße mich von Taylors grünen Augen los und denke an Morten, an unsere Hochzeit und daran, dass ich ihn liebe. Energisch schalte ich den Scheibenwischer und das Gebläse auf die höchste Stufe und lege den ersten Gang ein. Ich starre angestrengt durch die Scheibe - und sehe verschwommenes, graues Wischiwaschi. Der Wirtschaftsweg ist verschwunden und die Welt drumherum ebenfalls.
Seufzend drehe ich den Zündschlüssel. „Wir müssen abwarten, bis das Unwetter weiterzieht“, murmele ich. Die Samba-Girls blasen begeistert in ihre Tröten und wirbeln ihre Beine in die Luft.
Taylor nickt. „Es ist besser, sich auf die Dinge einzustellen, als dagegen zu kämpfen.“
Seine Worte hallen wie ein Echo in meinem Kopf. Was meint er damit? Hat er das so ganz allgemein dahergesagt oder ist das seine Lebensphilosophie? Ist er etwa ein angepasster Typ ohne Rückgrat, der zu allem Ja und Amen sagt? Mein ehemaliger Kollege Ulf war so einer, der ist den Chefs in den Hintern gekrochen, das war schon nicht mehr feierlich. Taylor wirkt kein bisschen angepasst, ganz im Gegenteil. Er wirkt wie ein Mann, der sich durch nichts von seinem Ziel abbringen lässt. Vor meinem geistigen Auge sitzt er lässig im Sattel, treibt eine Rinderherde vor sich her und fängt Mustangs mit dem Lasso ein. Mein verstohlener Blick streift seinen Ledersack. „Hast du ein Lasso dabei?“
Ach du Scheiße, hab ich ihn das wirklich gefragt? Wie peinlich ist das denn? Eigentlich wollte ich mich höflich erkundigen, was ihn nach Kirchdorf führt. Er wird ja sicher einen Grund haben, warum er ausgerechnet unser Dorf ansteuert. Was soll er jetzt bloß von mir denken?
„Äh, ich meine, ich habe mich gefragt, ob du wohl ein echter Cowboy bist, so mit allem Drum und Dran“, stottere ich und breche hilflos ab. Tessa, halt um Himmels willen die Klappe! Du hast ihm gerade unterstellt, dass er sich bei einem Kostümverleih bedient hat.
Er lacht, ein wunderbar tiefes Lachen. „Na klar hab ich ein Lasso. Willst du’s mal sehen?“ Er macht sich an seinem Ledersack zu schaffen.
Ich komme mir vor wie Anastasia Steele in Shades of Grey. Ich erröte und bin mir ganz furchtbar unsicher, ob ich mich nun von Christian fesseln lassen will oder nicht. Hallo?! Jemand zu Hause???
„Und ein leichtes Knotenhalfter hab ich auch dabei.“ Er hält mir eine Handvoll dünner Seile vor die Nase. Sie riechen schwach nach Pferd.
„Bist du jetzt überzeugt?“ Er macht sich garantiert über mich lustig, das ist nur zu verständlich. Seine weichen Lippen formen ein amüsiertes Lächeln und entblößen seine strahlendweißen Zähne. Mir wird schwindelig und ich bin heilfroh, dass ich sitze.
„Ähem, ja.“
Der Regen trommelt aufs Dach, und die Scheiben sind so beschlagen, als würden wir in einer Nebelglocke sitzen.
So cool wie möglich sage ich: „Du sprichst sehr gut deutsch“, und bügle damit meinen Fauxpas hoffentlich wieder aus.
„Ich war in einer deutschen Schule in Montana. Meine Mutter bestand darauf. Sie war Amerikanerin, aber mein Vater war Deutscher. Äh, ist Deutscher“, korrigiert er sich.
Ein Schatten ist über sein Gesicht gehuscht, als er seine Mutter erwähnte, das habe ich genau beobachtet. Seine Mutter ist also auch tot, genau wie meine. Bei ihm scheint der Schmerz noch frisch zu sein. „Wann ist sie denn gestorben?“, erkundige ich mich anteilnehmend.
„Vor ein paar Wochen“, murmelt er. Sein Gesicht ist ganz weich geworden und seine Augen schimmern dunkel. In seinem Blick spiegelt sich die Traurigkeit eines Menschen, der einen schweren Verlust noch nicht verwunden hat.
Mein Herz quillt über vor Mitgefühl. Impulsiv fasse ich nach seiner Hand. „Das tut mir sehr leid, Taylor“, sage ich sanft. „Weißt du, meine Mutter ist auch tot, und wenn ich traurig bin, dann rede ich einfach mit ihr, so als ob sie noch da wäre. Das hilft mir, und vielleicht hilft es dir ja auch.“
Er schaut mich ein wenig verwundert an. Eine Ameisenschar krabbelt über meine Haut und ich bemerke, dass ich immer noch seine Hand festhalte.
„Erzähl mir von deiner Mutter“, bittet er mich.
„Ich war noch ein Baby, als sie starb, und leider kann ich mich nicht an sie erinnern. Aber mein Vater und alle Dorfleute, die sie gekannt haben, sagen nur Gutes über sie. Sie hat mich ständig auf ihrem Arm herumgetragen, anstatt mich ins Bettchen zu legen, weil sie nicht wollte, dass ich mich einsam fühle.“ Ich seufze auf. „Ich wünschte wirklich, ich würde mich an sie erinnern.“
Er drückt sanft meine Hand. „Du musstest früh erwachsen werden“, schlussfolgert er.
Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Vermutlich hat er recht.