Versteh einer die Deutschen! - Firas Alshater - E-Book

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Firas Alshater

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Beschreibung

Seit fünf Jahren lebt der syrische Flüchtling und YouTube-Star Firas Alshater in Deutschland. Er hat so ziemlich jede Region bereist, und auch wenn er mittlerweile mit vielem vertraut ist, bleiben ihm andere Dinge vielleicht ewig ein Rätsel, besonders wenn nicht mal die Deutschen selber sie verstehen: Zum Beispiel, wer denn jetzt bitteschön "die Deutschen" sind? Bio-Deutsche? Naja, sie lieben Bio - aber warum streiten sie dann mit den Gutmenschen? In solchen Fällen kann nicht mal Firas' Freund Jan großartig helfen - aber sie können gemeinsam lachen, über sich, alle anderen und die kleinen Sternstunden, die Deutsche und Nicht-ganz-so-Deutsche in ihrem gemeinsamen Land ja dann doch immer wieder erleben können. Wenn sie denn wollen.

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Versteh einer die Deutschen!

Der Autor

Firas Alshater, geboren 1991 in Damaskus, studierte Schauspiel. In der Revolution gegen Baschar al-Assad begann er als Journalist und Kameramann für ausländische Nachrichtenagenturen zu arbeiten. Er wurde mehrfach verhaftet und brutal gefoltert. Seit 2013 lebt er in Berlin. Gemeinsam mit Jan Heilig drehte er den Dokumentarfilm Syria Inside sowie diverse YouTube-Videos für die Webserie Zukar. Firas Alshater studiert derzeit an der Filmhochschule in Babelsberg. Von Firas Alshater ist in unserem Hause außerdem erschienen:Ich komm auf Deutschland zu

Das Buch

Freiheit und Demokratie – hier in Deutschland eine Selbstverständlichkeit. Doch in seiner Heimat Syrien hat Firas Alshater vergeblich dafür gekämpft. Umso mehr genießt er es nun, unbehelligt durch seine neue Wahlheimat Berlin zu radeln und als Student und YouTuber seiner Kreativität freien Lauf zu lassen.Doch auch Deutschland ist nicht frei von Widersprüchen und kleinen Ungerechtigkeiten im Alltag. Freiheit bedeutet auch, dass Firas Alshater einen gewohnt augenzwinkernden, aber auch immer mal wieder ernsten Blick auf all das wirft, was ihm in Deutschland fremd vorkommt. Er berichtet von den vielen positiven, aber manchmal auch seltsamen Erfahrungen, die er auf seinen unzähligen Lesereisen durch ganz Deutschland gesammelt hat. Und ist nach wie vor fest davon überzeugt, dass ein Zusammenwachsen und Zusammenleben möglich ist.

Firas Alshater

Versteh einer die Deutschen!

Firas erkundet ein merkwürdiges Land

Ullstein

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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage Oktober 2018 (1)© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2018Umschlaggestaltung: zero-media.net, Münchennach einer Vorlage von Lutz Jäkel Titelabbildung: © Lutz JäkelE-Book-Konvertierung powered by pepyrus.comISBN 978-3-8437-1869-1

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Inhalt

Der Autor / Das Buch

Titelseite

Impressum

Vorwort

Am Checkpoint

1. Reise durch das Land: Schaut über den Tellerrand

2. Wie findest du Deutschland?

3. Syrisches Frühstück und vegetarisches Steak

4. Kultur & Liebe

5. Kultur & Hass

6. Sei ein Kartoffelheld

Danksagung

Social Media

Cover

Titelseite

Inhalt

Vorwort

Vorwort

Bist du Deutscher? Kauf dieses Buch – ist doch immer spannend, was andere von einem halten.

Bist du nicht Deutscher? Kauf dieses Buch – hier bekommst Du Erfahrungen aus erster Hand.

Und falls Du Hunde magst …Kauf dieses Buch. Denn dann sind wir schon zwei.

Sogar Drei, wenn man Zucchini mitzählt, meine Chihuahua-Prinzessin.

Ich bin jetzt eine ganze Weile in Deutschland und weiß natürlich, wie hoch die Wogen gehen, sobald man hier das Wort Flüchtling / Migrant / Asyl oder veganer Milchkaffee sagt. Man darf das nicht unterschätzen.

Aber meine Erfahrung ist: Alle Menschen lachen in derselben Sprache – und fast alle stehen auf süße Hunde. Das ist doch schon was, das wir gemeinsam haben. Ich nehme dich mit auf eine Reise durch ein Land so wie ich es kennengelernt habe. Mit vielen witzigen Momenten, manchmal auch einfach nur absurden Augenblicken – und hoffe, dass wir uns dabei besser kennenlernen werden. Man kann nur mögen, was man kennt.

Außer, wenn man Zucchini ist – dann mag man alles.

Am Checkpoint

Ich gehe am Flughafen Stuttgart durch den Check-out. Ein Routineflug zu einer Buchlesung irgendwo in Deutschland, für mich inzwischen Alltag. Es ist jetzt fünf Jahre her, seit ich zum ersten Mal einen deutschen Flughafen betreten habe. Damals, im Mai 2013, kam ich aus der Türkei hierher, hatte Folter und Verfolgung in Syrien hinter mir und war durch einen unglaublichen Zufall für ein Filmprojekt von einem Deutschen engagiert worden, der mir mit viel Mühe ein Visum besorgt hatte. Das war Jan, der mittlerweile ein guter Freund ist. Damals hatte mich die Polizei am Berliner Flughafen auf Herz und Nieren kontrolliert, die Beamten hatten meine Parfümflaschen auf Sprengstoff untersucht. Ein Syrer mit Bart – höchst verdächtig! Am liebsten hätten sie mich wohl gar nicht durchgelassen, aber es war eben doch nur Parfüm und ich kein Terrorist. Heute ist das anders. Also nicht dass ich mittlerweile Terrorist wäre, sondern heute kann ich mich frei bewegen, bin sogar vielerorts bekannt und werde von Wildfremden um Autogramme oder ein gemeinsames Selfie gebeten. Der Riesenerfolg mit meiner Comedy-YouTube-Serie Zukar, meine Auftritte im Fernsehen und auch mein erstes Buch Ich komme auf Deutschland zu – all das hat mein Leben verändert und die Wahrnehmung vieler Menschen gleich mit. Die Erkenntnis, dass ein Geflüchteter auch lustig sein kann, war offenbar so überwältigend, dass sie weltweit für Schlagzeilen gesorgt hat, nicht nur in Deutschland. Ab und zu sehe ich mir den Beitrag im chinesischen Staatsfernsehen von 2016 noch einmal an – ein Land wohlgemerkt, in dem Youtube gesperrt ist. Dennoch berichteten sie über diesen Youtuber »Fira-hashen Alchaten-her« (so ungefähr klingt mein Name mit chinesischem Akzent). Ich muss mich dann immer wieder zwicken, um mir klarzumachen: Das ist die Realität und nicht nur ein hübscher Wunschtraum. Heute reise ich landauf, landab und werbe für Verständigung, halte Buchlesungen ab und mache meine Witze, denn mein Motto hat sich seit damals nicht geändert: »Alle Menschen lachen in derselben Sprache.« Und das versuche ich, der Syrer im Exil, den Einheimischen hier in Deutschland nahezubringen. Mit Humor erreicht man Stellen, die politisch unerreichbar sind. Es ist keine leichte Aufgabe, denn noch immer herrschen in der Gesellschaft große Ängste, nicht zuletzt der Aufstieg der AfD und ihr Einzug in den Bundestag mit über 12 Prozent bringen das deutlich zum Ausdruck. Doch mein Bauchgefühl sagt mir, dass wir das schon hinbekommen werden – und nicht nur in dieser Hinsicht hat mein Bauch Gewicht. Immerhin werde ich am Flughafen nicht mehr aussortiert und verhört, nur weil ich Syrer bin.

»Sind Sie Herr Alshater?« Überrascht drehe ich mich um. Ein Polizeibeamter steht vor mir, groß, mit Schussweste und schweren Stiefeln. Mit einem Schlag sind alle Erinnerungen wieder da. Woher kennt der meinen Namen? Werde ich etwa gesucht? Gab es irgendwo einen Anschlag? Und alle Araber stehen wieder unter Generalverdacht? Aber das hätte ich doch mitbekommen. Was ist bloß los? Bin ich verdächtig? Er verzieht keine Miene, und ich antworte unsicher:

»Ähm, ja, der bin ich.«

»Kommen Sie bitte mit.« Er führt mich durch die Sicherheitskontrolle und ein paar Gänge entlang. Wie damals bei meiner Einreise geht es auch jetzt in die hinteren Dienstzimmer, er winkt mich in einen kleinen Raum ohne Fenster und verschließt sorgfältig die Tür. Ich kann die Schweißtropfen auf meinem Rücken spüren. Dann greift er in die Tasche und holt ein Smartphone heraus.

»Bitte entschuldigen Sie, Herr Alshater, aber es war mir vor meinen Kollegen einfach zu peinlich. Dürfte ich ein Selfie mit Ihnen machen? Ich bin ein Riesenfan!«

Am Abend habe ich eine Buchlesung. Zweihundert Menschen sind gekommen. Menschen, die mich empfangen wie einen guten Freund, das überwältigt mich immer wieder. Es gibt an solchen Abenden viel zu lachen, viel zu erzählen und vor allem viele Fragen. Viele Menschen begegnen zum ersten Mal bewusst einem Geflüchteten. Und wir alle wissen ja, dass der erste Eindruck zählt – also bemühe ich mich, dass ich einen guten mache.

Das ist seit zwei Jahren mehr oder weniger mein Beruf, und glücklicherweise kann ich mittlerweile sogar davon leben. Dabei fühle ich mich inzwischen eigentlich immer weniger als Geflüchteter –, und wenn ich darüber nachdenke, sogar nicht mehr 100 Prozent als Syrer. Denn dieses Land, mein Heimatland, hat mich nicht gewollt. Zwar besteht ein Land natürlich immer aus mehr als nur seinem politischen System, aber in diesem Fall handelt es sich um eine Diktatur – wer dort von Freiheit träumt, der ist in der eigenen Heimat ein Fremder und in Gefahr. Wäre ich dort geblieben, wäre ich irgendwann im Gefängnis zu Tode gefoltert worden. Bevor das geschehen konnte, bin ich geflohen. Eine andere Wahl hatte ich nicht.

Aber diese Flucht macht natürlich nur einen kleinen Teil meiner Identität aus, und ganz sicher nicht den wichtigsten. Albert Einstein zum Beispiel ist auch vor einer Diktatur geflohen, aber wir betrachten ihn nicht in erster Linie als Flüchtling, obwohl seine deutsche Heimat ihn nicht wollte und er in die USA gehen musste. Zuvor war er fünf Jahre lang auf eigenen Wunsch staatenlos, dann Schweizer, dann Österreicher, dann wieder Deutscher und ab 1940 US-Amerikaner. Ob er sich vielleicht auch mal irgendwann gefragt hat, was er denn nun eigentlich sei? Hat er sich beim Kaffeetrinken wehmütig an seine Heimat erinnert? Wer von euch zum ersten Mal amerikanischen Kaffee trinkt, wird genau verstehen, was ich meine (seid froh, wenn ihr überhaupt etwas schmeckt, so schwach wie der ist!). So geht es mir immer, wenn ich deutschen Kaffee trinke – dann merke ich, dass ich etwas verloren habe, denn dann denke ich sehnsüchtig an diesen leckeren Sud von damals, aus dickem Kaffeesatz, Kardamom und Gewürzen, Zucker und am besten noch ein bisschen mehr Zucker. Vielleicht ist das, was am längsten in Erinnerung bleibt, unsere Ess- und Trinkkultur? Denn überlegt mal: wenn Deutsche ins Ausland fahren, dann vermissen sie immer ihr geliebtes deutsches Brot. Die Franzosen vermissen ihre Croissants, und so sind wir alle kleine kulinarische Nationalisten. Darum gibt es in diesem Buch auch ein längeres Kapitel über Essen und Trinken – ich habe festgestellt, dass man sehr viel über andere Menschen lernt, wenn man einmal mit ihnen gemeinsam zu Tisch war. Nicht nur Liebe geht durch den Magen, auch Integration und Völkerverständigung.

Ich bin nach fünf Jahren hier im Land also nicht mehr so ganz ein Geflüchteter und auch nicht mehr so ganz nur ein Syrer – denn immerhin bleibe ich bei roten Fußgängerampeln inzwischen stehen, unabhängig von der aktuellen Verkehrslage. Aber ein Deutscher bin ich ja auch nicht. Oder vielleicht doch ein bisschen? Wer bin ich eigentlich, hier in diesem neuen Leben, in diesem neuen Land, das mir immer vertrauter wird? Ich habe in Deutschland nicht nur die deutsche Sprache gelernt, sondern auch eine Menge über Aberglauben, Alkohol, Bürokratie, ein wenig über Christentum, Elektro, Hunde, Islamisten, Katzen, Laktoseintoleranz, Mietspiegel, Patchworkfamilien, Veganer und ZDF (in alphabetischer Reihenfolge) und mir natürlich so meine Gedanken gemacht über Alltag und Kultur hier in Deutschland – auch darum wird es in diesem Buch gehen. Wobei es ein paar Dinge gibt, an die ich mich wohl nie gewöhnen werde. Zum Beispiel erinnere ich mich noch gut an meinen ersten Eindruck damals, als ich aus dem Flughafen in Berlin trat und endlich an einem Ort angelangt war, an dem die Sonne der Freiheit herrschte. Nur dass sie nicht schien, die Sonne. Auch die nächsten Wochen nicht. Mein Eindruck lässt sich in einem Wort zusammenfassen: A****kalt! Inzwischen habe ich natürlich gelernt, dass es in Berlin nicht IMMER regnet. Sondern eigentlich nur dann, wenn ich gerade mit dem Fahrrad unterwegs bin. Aber die Frage an sich beschäftigt mich doch immer mehr:

»Jan, bin ich deutsch, wenn ich dauernd über das Wetter schimpfe?«

»Nein, dann bist du Berliner.«

»Aber die Berliner schimpfen über alles.«

»Das ist der Trick: Damit kommen sie einfach allen anderen zuvor.«

»Sympathisch!«

Witzigerweise kann man tatsächlich leichter Berliner werden als Deutscher. Es gibt Orte, da zählt etwas anderes als deine Nationalität. Andere Dinge als das, was in deinem Pass steht oder wo du geboren wurdest und von wem. Berlin gehört mit Sicherheit zu diesen Orten. Doch ich habe inzwischen sehr viel mehr gesehen als nur die deutsche Hauptstadt: Ich habe knapp 100 Lesereisen hinter mir, weit über zehntausend Menschen bin ich dabei begegnet, habe jedes Bundesland besucht – vielleicht habe ich mehr von Deutschland gesehen als mancher Deutsche in seinem ganzen Leben. Von diesen Reisen möchte ich erzählen, denn es ist wirklich eine bunte Republik, die mehr als nur eine Facette hat, und das macht sie mir so sympathisch. Denn genau so bin ich auch: einer dieser bunten Menschen, die man schwer in eine Schublade stecken kann, auch wenn das in Deutschland manchmal ein beliebtes Spiel ist. Aber es macht einfach mehr Spaß, wenn man sich wirklich kennenlernt, statt sich gegenseitig wie Socken in einem Kleiderschrank abzulegen. Und vielleicht sind diese Label »Deutscher« oder »Syrer«, »Geflüchteter« oder »Einheimischer« viel weniger wichtig als zum Beispiel »Witzbold«, »Drama-Queen« oder »YouTuber«. Wenn mich jemand fragt, wer oder was ich denn nun eigentlich bin, antworte ich meistens einfach: Ich bin Firas!

Dummerweise gibt es natürlich auch Leute, die gar nicht fragen, sondern einem ihre Meinung über alles und jeden und über einen selber ganz ungefragt hinwerfen, geschmacklos wie ein alter Kaugummi, schon hundertmal durchgekaut, und jetzt eigentlich nur noch für eines gut: für die Tonne. Und damit meine ich nicht nur die klassischen Gegner der deutschen Flüchtlingspolitik – um es neutral auszudrücken –, sondern auch die andere Seite, die Gutmeinenden, die Engagierten und all diejenigen, die denken, sie wüssten Bescheid. Mir sind oft Leute mit großem Mitgefühl begegnet, die mir ihr letztes Hemd gegeben hätten, um dem armen Flüchtling in seinem Elend zu helfen. Dabei verdiene ich inzwischen wirklich ganz gut, vielleicht mehr als diese Leute selber, und fühle mich bei solchen Beileidsbekundungen fast genauso unangenehm berührt wie bei den weniger netten Kommentaren. Nur dass ich mich noch hilfloser fühle, denn dummen Hass kann man ja ignorieren, aber was macht man bei dieser etwas aufdringlichen Hilfsbereitschaft? Die ja gut gemeint ist. Aber wisst ihr: Niemand ist gerne Bettler, egal ob er Almosen tatsächlich nötig hat oder nicht. Ja, es gab Zeiten, in denen ich obdachlos war und tatsächlich hilfsbedürftig. Doch es nimmt einem beides die Würde, das sage ich also auch aus eigener Erfahrung. Mein Rat: Am besten einfach erst mal fragen, ob der andere Hilfe benötigt. Das lässt deinem Gegenüber nämlich die Wahl. Und wenn es ein Araber ist, besser dreimal fragen, denn aus Höflichkeit wird er zunächst IMMER ablehnen. Aber auch das ist vielleicht ein Vorurteil, denn wer bin ich, dass ich für alle Araber sprechen könnte? Probiert es einfach aus.

Unter den »Gut meinenden« gibt es eine weitere, wirklich sehr unangenehme Gruppe: die Verteidiger der heiligen Wahrheit. Die frommen Muslime, für die ein Araber mit einem Piercing ein Gräuel und eine Schande ist. Dazu gehören auch die Syrer, für die der Diktator Assad der Messias ist und die mich einen Landesverräter schimpfen – da können sie übrigens den Nazis unter meinen Hasskommentatoren die Hände schütteln, die mir nämlich genau dasselbe vorwerfen.

Ich bin weder praktizierender Moslem noch Politikwissenschaftler, und ich will auch ganz sicher nicht eine Diskussion mit den geistig Festgefahrenen eröffnen, egal aus welchem Lager sie mir ihren Kaugummi hinspucken – Gehirn haben und Gehirn nutzen sind ja zwei Paar Schuhe. Aber ich möchte euch gerne einen Einblick in die Kultur meiner Heimat geben, auch zum Thema Frömmigkeit. Darum erzähle ich in diesem Buch auch davon, wie Islam in meiner syrischen Heimat praktiziert wurde, von den Jungfrauen im Paradies und was eine fromme Muslima dort eigentlich zu erwarten hat.

Bei Fanatikern aller Couleur habe ich häufig erstaunliche Parallelen gefunden, auch zu den sehr national gesinnten Menschen in Deutschland. Die Deutschen sind im Ausland bekannt für etwas, das man kaum übersetzen kann: die »German Angst«. Okay, ein Völkchen, das sogar seine Brillen versichert, mag für den Außenstehenden durchaus etwas überängstlich erscheinen, und leider kann man mit Angst Menschen wunderbar manipulieren – oder in den Bundestag einziehen. Auch dazu soll es in diesem Buch ein paar Gedanken geben – ich meine jetzt weniger die Gefahr, sich auf seine Brille zu setzen, sondern eher diese Scheuklappenängste, die einen Blick aufs Wesentliche versperren, denn eigentlich wünsche ich uns allen – den Neuen und denen, die hier geboren wurden – ein Land, in dem niemandem mehr der Zutritt zu einem Club verwehrt wird, nur weil er einen Bart trägt und dunklere Haut hat. Und der beste Weg, um das zu erreichen, wäre es, Ängste abzubauen. Auch »German Ängste«.

Doch wenn ich ganz ehrlich bin, fange ich langsam selbst an, die ein oder andere Phobie zu entwickeln, die mir früher völlig unbekannt war. In Syrien dachte ich nicht über das Morgen nach, denn ich war mit dem Heute schon genug beschäftigt. Inzwischen kenne ich Sorgen um die Zukunft, obwohl es mir besser geht als je zuvor. Färbt Deutschland langsam auf mich ab? Und wie könnte eine gelungene gemeinsame Zukunft für uns alle aussehen? Aber das erst im letzten Kapitel. Jetzt geht’s erst mal los mit unserer Reise durch Deutschland.

1. Reise durch das Land:Schaut über den Tellerrand

»Sie sind doch dieser Flüchtling, oder?« Ich sehe mich verwundert um. Eine Frau mittleren Alters sieht mich über ihre regenbeschlagene pinkfarbene Brille neugierig an, und ihre Freundin neben ihr korrigiert sie sofort:

»Das heißt ›Geflüchteter‹!« Die beiden, die zu meiner Buchlesung ein bisschen zu früh erschienen sind, könnten kaum deutscher sein. Nur hier im Land der Dichter, Denker und Deutschlehrer hat man so viel Lust an politisch korrekter Ausdrucksweise und daran, andere zu korrigieren. Die pinke Brille sieht mich betroffen an und entschuldigt sich sofort für dieses offenbar unangebrachte Wort. Stimmt schon, hier in Deutschland ist man nicht »Flüchtling«, sondern »Geflüchteter«, besser nicht »Migrant«, sondern »Zugewanderter«, und auf gar keinen Fall nennt man jemanden »Neger«, no – never – nie! »Farbiger« geht gerade noch, man will ja niemandem auf den Schlips treten. Auch nicht den Hartz-IV-lern, die sich nicht mal einen Schlips leisten können. Das sind dann »Unterstützungsleistungsempfänger«. Vermutlich von der Donaudampfschifffahrtsgesellschaft? Hach! Mit dem richtigen Wort auf dem Etikett, am besten in Beamtendeutsch, ist alles besser, oder? Mein Problem dabei bleibt diese Schublade, in der ich so fest stecke wie eine vergessene Wintersocke im Hochsommer. »Flüchtling« an sich ist keine Beleidigung für mich, aber dass ich für viele eben NUR Flüchtling zu sein scheine, das macht mich traurig. Ich bin noch viel mehr: Youtuber, Buchautor, Berliner, Komiker, Schauspieler, Koch, Moderator, Filmstudent, Syrer, Vegetarier (seit Kurzem), DJ (ab und zu), Aktivist, Hipster, Chaot, Anime-Fan, Selfie-Verrückter, Technik-Freak, Theaterliebhaber, Hundepapa und diese Liste geht noch lange weiter. Ja, in meiner Vergangenheit musste ich tatsächlich flüchten – vor Folter und Tod. Das war wie eine Art Unfall für mich, aber es sagt nichts darüber aus, wer ich bin. Ich war dazu aber nicht vorherbestimmt, und gewollt hab ich das ganz sicher ebenso wenig. Ich bin einfach ein Opfer der Umstände gewesen, als Journalist und Filmemacher drohte mir Gefahr, so wie vielen anderen auch. Stellt euch doch mal vor, ihr wärt im Skiurlaub in eine Lawine geraten. Drei Tage verschüttet und dann ausgegraben worden, mit hundert anderen. Und seitdem würden alle nur noch sagen:

»He, sind Sie nicht dieses Lawinenopfer?« Und dann schüttelt ein besonders Korrekter den Kopf und hebt mahnend den Finger: »Das heißt ›Winterkatastrophen-Befreiter‹!« Na, das ist ja so viel besser … Ich kann inzwischen das Problem von Menschen mit Behinderungen gut nachvollziehen: Sie sind doch auch so viel mehr als nur eine Querschnittslähmung oder eine Trisomie 21. Man kann natürlich darüber streiten, welcher Ausdruck so jemanden am freundlichsten stigmatisiert. Doch ich glaube, der Unterschied ist verschwindend gering, ob ich nun zu jemandem »Behinderter« oder »Mensch mit Behinderung« sage, zu einem Menschen mit dunkler Haut nun »Schwarzer« oder »Farbiger« oder was auch sonst. Ich denke, er oder sie freut sich viel mehr, wenn ich nach dem Namen frage, mich erinnere, dass er Eisenbahnliebhaber, Final-Fantasy-Crack, Hamburger, Musiker, Jurist oder einfach nur mein Nachbar ist. Die krampfhafte Suche nach der richtigen Bezeichnung ist unnötig.

Ich hatte jetzt fünf Jahre Zeit, die Menschen hier in Deutschland besser kennenzulernen. Auch die Hamburger, die Juristen, und die Damen mit pinkfarbener Brille. Ich habe gelernt, manche ihrer Eigenheiten gernzuhaben, bei anderen denke ich mir: Muss ich mich wohl noch dran gewöhnen, das braucht einfach ein bisschen Zeit – und Begegnung. Genau deshalb mache ich meine Reisen und nutze die Gelegenheit: Ich lächle die Frau mit der pinkfarbenen Brille fröhlich an und antworte:

»Ich bin Firas.« Und dann gehe ich auf die Bühne.

Bunte Republik

Inzwischen habe ich mit meinem ersten Buch im Gepäck über hundert Lesungen in ganz Deutschland gehalten und bin dabei weit über zehntausend Menschen begegnet. Es ist ein bisschen so wie mit dem ersten Youtube-Video »Wer sind diese Deutschen?«, das schlagartig bekannt wurde. Einfach, weil es offenbar so selten vorkommt, dass ein »Geflüchteter« mal Humor einsetzt und unterhaltsam ist. Auf einmal wurde ich für nationale Videopreise nominiert, Kamerateams internationaler Medien gaben sich die Klinke in die Hand, und es wurde richtig eng bei uns im winzigen Filmstudio am Berliner Ostkreuz. Buchverlage und Veranstalter meldeten sich, der Trubel war unbeschreiblich. Noch jetzt, zwei Jahre danach, kommen fast täglich aus allen Teilen der Republik Anfragen. Dabei bin ich nicht mal der einzige YouTuber mit einer Flucht-Biografie. Aber noch immer bin ich für viele Menschen der erste Geflüchtete, dem sie bewusst begegnen, obwohl es in ihrer Stadt natürlich auch welche gibt. Denen sieht man das aber oft nicht an. Es gibt keinerlei Kennzeichnungspflicht mit irgendwelchen Stoffetiketten, auf denen »Geflüchteter« steht. Zum Glück ist so etwas Geschichte. Aber es fühlt sich bei vielen dieser Auftritte trotz dem ganzen Spaß und den wunderbaren Begegnungen dann doch manchmal so an, als wäre ich ein exotisches Insekt in einer Wanderausstellung. Die Frau mit der pinkfarbenen Brille wirkte sogar ganz kurz ein wenig enttäuscht, weil ich eigentlich nicht absonderlicher aussehe als das junge Berliner eben so tun – Bart, Piercing, moderne Turnschuhe, Hoodie-Jacke, Armbänder und immer ein Grinsen im Gesicht. Vielleicht sollte ich mir bei den zukünftigen Auftritten ein drittes Auge auf die Stirn kleben oder so?