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Die Hauptverhandlung ist das "Kernstück" des Strafprozesses. Dies gilt auch nach Einführung der strafprozessualen Absprachen durch den Gesetzgeber, der dem klassischen "streitigen" Verfahren als weitere Verfahrensart das "konsensuale" Verfahren zur Seite gestellt hat. In beiden Fällen ist das in der Hauptverhandlung gefundene oder ausgehandelte Beweisergebnis die Grundlage der richterlichen Entscheidung. Die Hauptverhandlung ist auch der Ort, wo die gegensätzlichen Interessen der Prozessbeteiligten zum ersten Mal in unmittelbarer "Feindberührung" aufeinanderprallen. Auf der Grundlage jahrzehntelanger Erfahrung als Strafverteidiger vermittelt der Verfasser daher nicht nur die notwendigen strafprozessualen Kenntnisse, sondern legt besonderes Gewicht auf die verfahrenstaktischen und psychologischen Aspekte der Verteidigertätigkeit in der Hauptverhandlung. Zahlreiche Muster von Verteidigeranträgen und -erklärungen erleichtern die tägliche Arbeit im Gerichtssaal und bieten dem Berufsanfänger ebenso wie dem erfahrenen "Profi" wertvolle Anregungen für eigene Lösungswege zur bestmöglichen Wahrnehmung der Mandanteninteressen. Aus dem Inhalt: - Verteidigungsziele: Strategie und Taktik - Vorbereitung des Mandanten - Zuständigkeits- und Besetzungsrügen - Ablehnungsanträge - Strafprozessuale Verständigung - Beweisantragsrecht und Beweisverwertungsverbote - Die sog. Widerspruchslösung
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von
Dr. Klaus MalekRechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht in Freiburg i. Br.
5., neu bearbeitete Auflage
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Verteidigung in der Hauptverhandlung › Herausgeber
Praxis der Strafverteidigung
Band 18
Begründet von
Rechtsanwalt Dr. Josef Augstein (†), Hannover (bis 1984)
Prof. Dr. Werner Beulke, Passau
Prof. Dr. Hans-Ludwig Schreiber, Göttingen (bis 2008)
Herausgegeben von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Werner Beulke, Passau
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dr. Alexander Ignor, Berlin
Schriftleitung
Rechtsanwalt (RAK München) Dr. Felix Ruhmannseder, Wien
Verteidigung in der Hauptverhandlung › Autoren
Dr. Klaus Malek ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht in Freiburg im Breisgau
Kontakt: [email protected]
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Die im vorliegenden Band dargestellte Problematik der Verteidigertätigkeit in der Hauptverhandlung schließt sich thematisch an die von Bosbach gesondert erörterte „Verteidigung im Ermittlungsverfahren“ (Praxis der Strafverteidigung Band 3) sowie an die von Schlothauer behandelte „Vorbereitung der Hauptverhandlung“ (Band 10) an. Die Hauptverhandlung ist sozusagen das Kernstück des Strafverfahrens, denn hier entscheidet sich zumeist endgültig die Frage des Freispruchs oder der Verurteilung. Auch wenn bekanntlich viele wesentliche Weichen schon im Ermittlungsverfahren gestellt worden sind, darf doch die Bedeutung des Verteidigers in der Hauptverhandlung als Kontrolleur und im Einzelfall auch als Mitgarant eines verfassungs- und verfahrenskonformen Vorgehens der Strafverfolgungsorgane keinesfalls unterschätzt werden. Ein erfahrener und geschickter Anwalt vermag auch hier mehr zu bewirken, als es das auf den ersten Blick nicht sehr verteidigerfreundliche deutsche Strafprozessrecht vermuten lässt. Innerhalb der vorgegebenen prozessualen Rahmenbedingungen werden von Malek die in der Praxis bestehenden und vom Verteidiger zu nutzenden Handlungsspielräume herausgearbeitet und auf der Basis der breiten eigenen Erfahrung als Strafverteidiger gewürdigt.
Die vorliegende 5. Auflage hat eine umfangreiche Überarbeitung und Ausweitung erfahren. Intensiviert worden sind beispielsweise die Ausführungen zu Medien in der Hauptverhandlung (Rn. 38 ff.), zu psychologischen Mechanismen, die der Verteidiger bei der Erarbeitung eines bestimmten Verfahrensergebnisses kennen sollte (Rn 60 ff.), zur derzeitigen Rechtslage im Bereich strafprozessualer Verständigung nach Erlass der Grundsatzentscheidung des BVerfG vom 19.3.2013 und der darauf aufbauenden Judikate des BGH und des BVerfG, insbesondere zu den hochaktuellen Transparenz- und Dokumentationspflichten (Rn. 330 ff.), zum Gebot einer aktiven Verteidigung beim V-Mann-Einsatz nach Erlass der wichtigen Entscheidung des 2. Senats des BGH vom 10.6.2015 (Rn. 556 ff.) und zum auch unter Verteidigern kontrovers diskutierten Selbstleseverfahren (Rn. 610 ff.). Völlig neu sind die Hinweise zum Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen bei laufender Hauptverhandlung (Rn. 672 ff.) und erheblich ausgeweitet wurde auch die Darstellung der Berufungshauptverhandlung, insbesondere im Falle des Ausbleibens des Angeklagten, auf der Basis der Neuregelung des § 329 StPO als Folge der einschlägigen EGMR-Rechtsprechung (Rn. 777 ff.).
Eine Beherzigung der prozesstaktischen und prozesspsychologischen Hinweise des Autors – die vielfach auch eine gesonderte drucktechnische Hervorhebung erfahren haben – dürfte zu einer wesentlichen Effektivierung der Verteidigung beitragen. Die Ratschläge werden ergänzt durch konkrete und für den Berufsanfänger vielfach unerlässliche Muster für Schriftsätze, die ein guter Anwalt stets parat haben muss, um sie im Zuge einer Hauptverhandlung einsetzen zu können.
Im Februar 2017
PassauBerlin
Werner BeulkeAlexander Ignor
Vorwort der Herausgeber
Verzeichnis der Muster
Abkürzungsverzeichnis
Teil 1Vorbemerkung
Teil 2Allgemeines
I.Hauptverhandlung mit und ohne Verständigung – zwei Arten des Prozesses
II.Der Ablauf der Hauptverhandlung und ihre Stellung im Strafverfahren
III.Wesentliche Verfahrensgrundsätze in der Hauptverhandlung
1.Öffentlichkeitsgrundsatz
2.Mündlichkeitsgrundsatz
3.Unmittelbarkeitsgrundsatz
IV.Die Stellung des Verteidigers und sein Verhältnis zu den Prozessbeteiligten
1.Rechtsstellung des Verteidigers
2.Verhältnis zu Staatsanwaltschaft und Gericht
3.Verhältnis zum Angeklagten
4.Verhältnis zu Verteidigerkollegen, gemeinsame Verteidigung
5.Die Medien in der Hauptverhandlung
V.Verteidigungsziele – Strategie und Taktik in der Hauptverhandlung
1.Verteidigungsziele
2.Verteidigungsstrategie
3.Verteidigungstaktik
4.Exkurs: Ein wenig Psychologie
Teil 3Beginn der Hauptverhandlung
I.Verhinderung des Verteidigers
II.Verspätung des Verteidigers
III.Einlasskontrollen
IV.Sitzordnung
V.Fesselung des in Haft befindlichen Angeklagten
VI.Probleme mit der Amtstracht des Verteidigers
VII.Einwendungen gegen das Verfahren insgesamt
VIII.Zuständigkeitsrügen
1.Allgemeines
2.Rüge der sachlichen Zuständigkeit
3.Rüge der örtlichen Zuständigkeit
4.Rüge der funktionellen Zuständigkeit
5.Taktische Überlegungen
IX.Besetzungsrügen
1.Allgemeines
2.Besetzungsmitteilung
3.Unterbrechungsantrag zur Überprüfung der Besetzung
4.Überprüfung der Besetzung
a)Berufsrichter
b)Schöffen
5.Form der Besetzungsrüge
X.Ablehnungsanträge
1.Ablehnung eines Richters
a)Vorüberlegungen des Verteidigers
b)Ablehnungsgründe
aa)Ablehnung bei gesetzlichem Ausschluss
bb)Besorgnis der Befangenheit
(1)Allgemeines
(2)Konkrete Befangenheitsgründe
c)Ablehnungsberechtigte
d)Zeitpunkt der Ablehnung
e)Ablehnungsverfahren
f)Unaufschiebbare Amtshandlungen
g)Weiteres Verfahren bei begründetem Antrag
2.Ablehnung von Schöffen und Urkundsbeamten
3.Ablehnung von Sachverständigen und Dolmetschern
4.Ablehnung des Staatsanwalts
XI.Aussetzungsanträge
1.Aussetzung und Unterbrechung der Hauptverhandlung
2.Aussetzung wegen verspäteter Ladung
3.Aussetzung wegen verspäteter oder unvollständiger Akteneinsicht
4.Aussetzung zur Einziehung von Erkundigungen
5.Aussetzung wegen veränderter Rechtslage
6.Aussetzung wegen veränderter Sachlage
XII.Anregungen zur Verfahrenseinstellung
XIII.Sonstige Anträge bei Verhandlungsbeginn
1.Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidiger
a)Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung
b)Auswahl des Verteidigers
c)Zeitpunkt des Beiordnungsantrags
d)Form des Antrags
e)Verhalten des Verteidigers bei Ablehnung oder Widerruf der Beiordnung
2.Antrag auf Entpflichtung als beigeordneter Verteidiger
3.Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit
4.Antrag auf Zulassung von Tonaufnahmen
5.Antrag auf Zulassung einer Hilfskraft
6.Antrag auf Nichtverlesung des Anklagesatzes
XIV.„Opening statement“
Teil 4Der Angeklagte in der Hauptverhandlung
I.Vorbereitung des Mandanten durch den Verteidiger
II.Anwesenheitspflicht des Angeklagten
1.Grundsätzliche Anwesenheitspflicht, Entfernungsverbot
2.Zwangsmittel gegen den ausgebliebenen Angeklagten
3.Ausnahmen von der Anwesenheitspflicht
a)§ 231 Abs. 2 (Eigenmächtige Entfernung)
b)§ 231a (Herbeigeführte Verhandlungsunfähigkeit)
c)§ 231b (Entfernung wegen ordnungswidrigen Benehmens)
d)§ 231c (Beurlaubung)
e)§ 232 (Ausbleiben trotz ordnungsgemäßer Ladung)
f)§ 233 (Entbindung vom Erscheinen)
g)§ 247 (Vorübergehende Ausschließung)
III.Anwesenheitsrecht des Angeklagten
IV.Äußerungen des Angeklagten
1.Vernehmung zur Person
2.Vernehmung zur Sache
a)Schweigen
b)Schriftliche Äußerungen des Angeklagten
c)Einlassung durch Zustimmung zur schriftlichen Verteidigererklärung
d)Inhalt der Sacheinlassung des Angeklagten
e)Geständnis des Angeklagten
f)Sacheinlassung mit dem letzten Wort
V.Erklärungen des Angeklagten nach § 257 Abs. 1
VI.Einführung und Verwertung früherer Angaben des Angeklagten in der Hauptverhandlung
1.Aufgaben des Verteidigers
2.Art der Beweiserhebung
3.Beweisverbote hinsichtlich früherer Angaben
4.Widerspruch des Verteidigers
VII.Exkurs: Der ausländische Angeklagte in der Hauptverhandlung
1.Allgemeines
2.Verständigung mit dem Angeklagten
a)Anspruch auf Zuziehung eines Dolmetschers
b)Auswahl des Dolmetschers
c)Art und Umfang der Übersetzung und deren Kontrolle durch den Verteidiger
d)Ablehnung des Dolmetschers
3.Anspruch des ausländischen Angeklagten auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers
Teil 5Die strafprozessuale Verständigung
I.Vom „Deal“ bis zum „Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren“
II.Die Verständigung in der Struktur der Strafprozessordnung
III.Der Inhalt der gesetzlichen Regelung
1.Ziele des Gesetzes
2.„Geeignete Fälle“
3.Der Gang des Verständigungsverfahrens
a)Vor der Hauptverhandlung
b)Die Verständigung „in“ der Hauptverhandlung – Theorie und Praxis
4.Der Gegenstand der Verständigung
a)Überblick
b)Zulässiger Inhalt
c)Unzulässiger Inhalt
d)Das Geständnis
5.Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts
6.Die Bindungswirkung der Verständigung und deren Wegfall
a)Die Voraussetzungen des Wegfalls der Bindungswirkung
b)Die Folgen des Wegfalls der Bindungswirkung
c)Kontrollmöglichkeiten der Verteidigung hinsichtlich der Bindung des Gerichts
d)Belehrung des Angeklagten
7.Transparenz- und Dokumentationspflichten
IV.Der Verteidiger im Verständigungsverfahren
1.Die Beratung des Mandanten
2.Die Berücksichtigung psychologischer Faktoren
3.Taktische Erwägungen
Teil 6Beweisaufnahme
I.Begriff und Gegenstand der Beweisaufnahme
II.Gerichtliche Beweiserhebungs- und Aufklärungspflicht
III.Beweisverbote
1.Allgemeines
2.Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote
3.Praxisrelevante Einzelfälle
a)Private Aufzeichnungen des Angeklagten
b)Verteidigungsunterlagen des Angeklagten
c)Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201 StGB)
d)Überwachung des Verteidigertelefons
e)Schweigen des Angeklagten oder Zeugen
f)Äußerungen des Angeklagten in der Untersuchungshaft
g)Verbotene Vernehmungsmethoden
h)Verletzung von Benachrichtigungspflichten
i)Verletzung des Rechts auf Verteidigerkonsultation
j)Rechtswidrige prozessuale Maßnahmen
IV.Die sogenannte Widerspruchslösung der Rechtsprechung
1.Die Widerspruchslösung als Präklusionsregel
2.Kritik an der Widerspruchslösung
3.Der Widerspruch im Einzelnen
a)Zeitpunkt des Widerspruchs
b)Antrag auf Gerichtsbeschluss
c)Begründungspflicht
4.Konsequenzen für die Verteidigung
V.Beweisantragsrecht
1.Vorüberlegungen des Verteidigers
2.Inhalt des Beweisantrags
a)Beweistatsache
b)Beweismittel
c)Konnexitätserfordernis
3.Form des Beweisantrags
4.Zeitpunkt der Antragstellung
a)Prozessuales
b)Taktische Überlegungen
5.Beweisantragsmuster
6.Bedingter Beweisantrag, Hilfsbeweisantrag
7.Beweisermittlungsantrag, Beweisanregung
8.Ablehnungsbeschluss: Form, Inhalt und Zeitpunkt der Entscheidung
9.Ablehnungsgründe
a)Unzulässigkeit der Beweiserhebung
b)Offenkundigkeit der Beweistatsache
c)Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache
d)Erwiesensein der Beweistatsache
e)Völlige Ungeeignetheit des Beweismittels
f)Unerreichbares Beweismittel
g)Verschleppungsabsicht
h)Wahrunterstellung
i)Ablehnung des Beweisantrags auf Vernehmung eines Sachverständigen
j)Ablehnung des Beweisantrages auf Einnahme eines Augenscheins
k)Ablehnung des Beweisantrags auf Vernehmung von Auslandszeugen
10.Sonderregelungen bei präsenten Beweismitteln
VI.Beweiserhebung in der Hauptverhandlung
1.Zeugenvernehmung
a)Begriff und Bedeutung des Zeugen im Strafprozess
b)Gegenstand des Zeugenbeweises
c)Vernehmung des Zeugen
aa)Befragung zu den persönlichen Verhältnissen und zum Wohnort
bb)Befragung zur Sache
cc)Unzulässige Fragen
d)Zeugenbefragung durch den Verteidiger, Vernehmungstechnik und -taktik
aa)Recht der Verteidigung auf ungestörte Zeugenbefragung
bb)Vorbereitung der Befragung
cc)Zeitpunkt der Befragung
dd)Allgemeine Hinweise zu Art und Umfang der Befragung
ee)Vernehmungstaktische Fragen
e)Audiovisuelle Zeugen-und Sachverständigenvernehmung gemäß § 247a
aa)Bedeutung und Zweck der Vorschrift
bb)Zulässigkeitsvoraussetzungen
cc)Aufzeichnung der Aussage
dd)Subsidiaritätsgrundsatz
ee)Ort der Vernehmung
ff)Ausgestaltung der Vernehmung
gg)Unanfechtbarkeit der Anordnung
f)Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte
aa)Relevanz für die Verteidigung
bb)Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen (§ 52)
cc)Zeugnisverweigerungsrecht aus beruflichen Gründen (§§ 53, 53a)
dd)Zeugnisverweigerungsrecht für Richter und Beamte (§ 54)
ee)Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55
ff)Verwertungsprobleme, Revision
g)V-Leute und Verdeckte Ermittler
aa)V-Mann-Einsatz nach geltendem Recht
bb)Einsatz Verdeckter Ermittler nach § 110a
cc)Aufgaben des Verteidigers
h)Verhörspersonen als Zeugen
i)Vernehmung des Polizeibeamten
j)Vereidigung und Entlassung des Zeugen
k)Würdigung der Zeugenaussage
2.Sachverständigenvernehmung
a)Begriff und Aufgaben des Sachverständigen
b)Gegenstand des Sachverständigenbeweises
c)Aufgaben und Möglichkeiten des Verteidigers
d)Vereidigung des Sachverständigen
e)Ablehnung des Sachverständigen
3.Urkundenbeweis
a)Begriff des Urkundenbeweises
b)Beweiserhebung durch Verlesung
c)Selbstleseverfahren
aa)Gesetzliche Regelung
bb)Rechtsbehelfe
cc)Taktische Überlegungen
d)Zulässigkeit des Urkundenbeweises
aa)Grundsatz der umfassenden Zulässigkeit
bb)Grenzen der Zulässigkeit
cc)Ersetzungsverbot des § 250
dd)Ausnahmen vom Ersetzungsverbot
e)Aufgaben des Verteidigers
4.Vorführung einer Videoaufzeichnung gemäß § 255a
a)Bedeutung und Zweck
b)Voraussetzungen der Vorführung
aa)Allgemeine Verwendung gemäß § 255a Abs. 1
bb)Vorführung bei Vernehmung von Zeugen unter 18 Jahren gemäß § 255a Abs. 2
c)Ergänzende Vernehmung des Zeugen
d)Verfahren
5.Augenscheinsbeweis
a)Begriff des Augenscheins
b)Aufgaben des Verteidigers
6.Gegenüberstellung und andere Identifizierungsmaßnahmen
a)Rechtsgrundlagen
b)Grundsätze der Gegenüberstellung und Beweiswert der Identifizierung
c)Besonderheiten der Gegenüberstellung in der Hauptverhandlung
d)Aufgaben des Verteidigers
Teil 7Hauptverhandlungsprotokoll – Möglichkeiten der Sachverhaltsfestschreibung in der Hauptverhandlung
I.Hauptverhandlungsprotokoll
1.Prozessuale Bedeutung
2.Inhalt des Protokolls
3.Beweiskraft des Protokolls
4.Protokollberichtigung, Rügeverkümmerung
II.Sachverhaltsfestschreibung in der Hauptverhandlung
1.Zweck der Sachverhaltsfestschreibung
2.Mittel der Sachverhaltsfestschreibung
a)Wörtliche Protokollierung gemäß § 273 Abs. 3
b)„Affirmative“ Beweisanträge
c)Einlassung des Angeklagten
d)Sonstige Erklärungen und Anträge
Teil 8Haftbefehl und Beschleunigungsgrundsatz bei laufender Hauptverhandlung
I.Problemstellung
1.Änderung der Haftfrage durch den Gang der Hauptverhandlung
2.Verletzung des Beschleunigungsgebots
a)Beschleunigungsgrundsatz
b)Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes im Hauptverfahren
II.Die Aufgaben des Verteidigers: Von der Haftbeschwerde zur Verfassungsbeschwerde
III.Die Verfassungsbeschwerde
1.Zulässigkeitsvoraussetzungen
2.Begründetheit
3.Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
Teil 9Plädoyer des Verteidigers
I.Prozessuale Fragen
II.Möglichkeiten und Grenzen des Schlussvortrags
III.Vorbereitung des Schlussvortrages während der Hauptverhandlung
IV.Inhaltliche Gestaltung des Plädoyers
1.Aufbau des Verteidigerplädoyers
2.Rolle der Rhetorik im Schlussvortrag
3.Visualisierung des Inhalts
4.Einzelfragen
Teil 10Das letzte Wort des Angeklagten
I.Prozessuale Fragen
II.Das letzte Wort – Falle oder Verteidigungswaffe?
III.Vorbereitung des letzten Wortes
Teil 11Aufgaben des Verteidigers nach dem Schlussvortrag
I.Vor der Urteilsverkündung
II.Während der Urteilsverkündung
III.Nach der Urteilsverkündung
Teil 12Die Hauptverhandlung im Berufungsverfahren
I.Vorüberlegungen
II.Das Rechtsmittel der Berufung im Überblick
1.Die Zulässigkeit der Berufung
2.Das Verschlechterungsverbot und seine Grenzen
3.Die Berufungseinlegung
4.Die Beschränkung der Berufung
5.Die Zuständigkeit des Berufungsgerichts
6.Die Berufungsfrist
7.Die Berufungsbegründung
8.Die Berufungsrücknahme
a)Zulässigkeit
b)Wechselseitige Rücknahme durch Verteidigung und Staatsanwaltschaft
c)Wirkung der Rücknahme und der Zustimmung
III.Die Vorbereitung der Berufungshauptverhandlung
1.Kenntnis des Prozessstoffes
2.Taktik und Strategie in der Berufung
3.Anträge auf wiederholte Vorladung von Zeugen oder Sachverständigen
IV.Die Durchführung der Hauptverhandlung
1.Grundsatz der Neuverhandlung
2.Verwerfungsurteil bei Ausbleiben des Angeklagten
a)Grundsätzliches
b)Die allgemeinen Voraussetzungen für die Berufungsverwerfung
aa)Zulässigkeit der Berufung
bb)Keine Verfahrenshindernisse
cc)Ordnungsgemäße Ladung des Angeklagten
dd)Ordnungsgemäße Bestellung und Ladung des Verteidigers
c)Die besonderen Voraussetzungen für die Berufungsverwerfung
aa)Überblick über die Neuregelung
bb)Die Verwerfung nach § 329 Abs. 1 S. 1
(1)Das Ausbleiben des Angeklagten
(2)Die fehlende Entschuldigung
(3)Kein ordnungsgemäß bevollmächtigter Verteidiger anwesend
cc)Die Verwerfung nach § 329 Abs. 1 S. 2 Nr. 1
dd)Die Verwerfung nach § 329 Abs. 1 S. 2 Nr. 2
ee)Die Verwerfung nach § 329 Abs. 1 S. 2 Nr. 3
3.Berufungshauptverhandlung ohne Angeklagten
a)Überblick
b)Verhandlung ohne Angeklagten mit vertretungsbevollmächtigtem Verteidiger
c)Besonderheiten bei der Berufung der Staatsanwaltschaft
d)Das Verhalten des Verteidigers bei unentschuldigtem Ausbleiben des Angeklagten
4.Der Gang der Verhandlung
5.Verständigung in der Berufung
a)Anwendbarkeit des Verständigungsgesetzes
b)Fortwirkungen einer erstinstanzlichen Verständigung
aa)Der Angeklagte als ausschließlicher Berufungsführer
bb)Die Staatsanwaltschaft als Berufungsführerin
6.Richterausschluss und Befangenheit
7.Vernehmung des Angeklagten und Beweisaufnahme
8.Plädoyer des Verteidigers
9.Das letzte Wort des Angeklagten
Literaturverzeichnis
Stichwortverzeichnis
(Die Muster finden Sie jeweils unter den hier aufgeführten Randnummern)
Rn.
Muster 1
Antrag auf Zuweisung eines angemessenen Sitzplatzes für den Angeklagten
Muster 2
Einstellungsantrag wegen fehlender Prozessvoraussetzung
Muster 3
Rüge der örtlichen Zuständigkeit
Muster 4
Rüge der funktionellen Zuständigkeit
Muster 5
Unterbrechungsantrag zur Besetzungsüberprüfung
Muster 6
Antrag auf Einsicht in den Geschäftsverteilungsplan
Muster 7
Antrag auf Einsicht in die Schöffenwahlunterlagen
Muster 8
Besetzungsrüge bezüglich der Berufsrichter
Muster 9
Besetzungsrüge bezüglich eines Schöffen
Muster 10
Antrag auf Ablehnung eines Berufsrichters
Muster 11
Antrag auf Ablehnung eines Schöffen
Muster 12
Antrag auf Auswechslung des Staatsanwalts
Muster 13
Aussetzungsantrag wegen verspäteter Ladung des Verteidigers und des Angeklagten
Muster 14
Aussetzungsantrag wegen verspäteter Akteneinsicht
Muster 15
Aussetzungsantrag zur Einziehung von Erkundigungen
Muster 16
Aussetzungsantrag wegen Veränderung der Sach- und Rechtslage
Muster 17
Aussetzungsantrag wegen veränderter Sachlage
Muster 18
Mündlich vorgetragene Anregung zur Verfahrenseinstellung
Muster 19
Antrag auf Beiordnung als notwendiger Verteidiger
Muster 20
Antrag auf Rücknahme der Verteidigerbestellung
Muster 21
Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit während der Vernehmung des Angeklagten
Muster 22
Antrag auf Zulassung der Anfertigung von Tonaufnahmen
Muster 23
Antrag auf Zulassung einer Hilfskraft des Verteidigers
Muster 24
Antrag auf Nichtverlesung des Anklagesatzes
Muster 25
Beurlaubungsantrag gemäß § 231c
Muster 26
Widerspruch gegen die Beweiserhebung
Muster 27
Verteidigerschreiben zu den Umständen der Verständigung
Muster 28
Ladungsschreiben an einen Zeugen
Muster 29
Ladungsauftrag an den Gerichtsvollzieher
Muster 30
Beweisantrag auf Zeugenvernehmung
Muster 31
Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens
Muster 32
Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins
Muster 33
Beweisantrag auf Verlesung einer Urkunde
Muster 34
Bedingter Beweisantrag
Muster 35
Hilfsbeweisantrag
Muster 36
Beanstandung einer ungeeigneten Frage
Muster 37
Antrag auf Aufhebung einer Sperrerklärung
Muster 38
Antrag auf Ablehnung eines Sachverständigen
Muster 39
Antrag auf wörtliche Protokollierung
Muster 40
Verfassungsbeschwerde wegen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot
Muster 41
Unterbrechungsantrag zur Vorbereitung des Plädoyers
Muster 42
Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit während der Urteilsverkündung
a.A.
anderer Ansicht
a.a.O.
am angegebenen Ort
abl.
ablehnend
Abs.
Absatz
AG
Amtsgericht
Alt.
Alternative
a.M.
anderer Meinung
Anm.
Anmerkung
Art.
Artikel
BayObLG
Bayerisches Oberstes Landesgericht
Bd.
Band
BGH
Bundesgerichtshof
BGHSt
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen
BORA
Berufsordnung für Rechtsanwälte
BRAK
Bundesrechtsanwaltskammer
BRAO
Bundesrechtsanwaltsordnung
BtMG
Betäubungsmittelgesetz
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
Bundesverfassungsgerichtsentscheidung (Band, Seite)
BZRG
Bundeszentralregistergesetz
confront
Confront – Zeitschrift für aktive Strafverteidigung (online)
DAV
Deutscher Anwaltverein
ders.
derselbe
DRiZ
Deutsche Richterzeitung
ebd.
ebenda
ff.
folgende
FG
Festgabe
FS
Festschrift
GA
Goltdammer's Archiv für Strafrecht
GG
Grundgesetz
GVG
Gerichtsverfassungsgesetz
h.M.
herrschende Meinung
HRRS
Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht (onlinezeitschrift)
Hrsg.
Herausgeber
hrsg.v.
herausgegeben von
i.S.
im Sinne
i.S.d.
im Sinne des/der
i.S.v.
im Sinne von
i.w.S.
im weiteren Sinne
JA
Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift)
JASP
Journal of Applied Social Psychology (Zeitschrift)
JBlRP
Justizblatt Rheinland-Pfalz
JGG
Jugendgerichtsgesetz
JR
Juristische Rundschau (Zeitschrift)
JZ
Juristenzeitung
KG
Kammergericht
KUG
Kunsturhebergesetz
LG
Landgericht
m. abl. Anm.
mit ablehnender Anmerkung
m. Anm.
mit Anmerkung
MDR
Monatsschrift für Deutsches Recht (Zeitschrift)
MRK
Menschenrechtskonvention
MschrKrim
Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform
m.w.N.
mit weiteren Nachweisen
m. zust. Anm.
mit zustimmender Anmerkung
NJ
Neue Justiz (Zeitschrift)
NJW
Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift)
Nr.
Nummer
NStE
Neue Entscheidungssammlung für Strafrecht
NStZ
Neue Zeitschrift für Strafrecht
NStZ-RR
Neue Zeitschrift für Strafrecht – Rechtsprechungs-Report
NZWiSt
Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht
OLG
Oberlandesgericht
PdSt
Praxis der Strafverteidigung
PSPB
Personality and Social Psychology Bulletin (Zeitschrift)
RG
Reichsgericht
Rn.
Randnummer
Rspr.
Rechtsprechung
S.
Seite
s.
siehe
s.o.
siehe oben
sog.
sogenannte/sogenannter
StGB
Strafgesetzbuch
StPO
Strafprozessordnung
str.
strittig
StRR
Strafrechtsreport (Zeitschrift, ab 2015 online)
StraFo
Strafverteidiger Forum (Zeitschrift)
st.Rspr.
ständige Rechtsprechung
StV
Strafverteidiger (Zeitschrift)
s.u.
siehe unten
u.a.
unter anderem
vgl.
vergleiche
VRS
Verkehrsrechts-Sammlung
wistra
Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht
z.B.
zum Beispiel
Ziff.
Ziffer
ZIS
Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik (online)
ZStW
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
z.T.
zum Teil
zust.
zustimmend
1
Die vorliegende Arbeit will möglichst praxisorientiert einen Überblick über die in der Hauptverhandlung auftretenden Probleme geben und dem Verteidiger Lösungswege zur bestmöglichen Wahrnehmung der Mandanteninteressen aufzeigen.
Dieser Anspruch ist leider sogleich in zweierlei Hinsicht einzuschränken. Zum einen setzt die Praxis Grenzen. Nicht jedes Problem, das im Verlauf eines so komplexen Vorgangs entsteht, wie ihn eine Hauptverhandlung mit ihrer Vielzahl von Verfahrensbeteiligten und deren jeweils unterschiedlichen Zielen und Interessen und den sich daraus entwickelnden Konflikten und Interaktionen darstellt,[1] kann vorgeplant und vorausgesehen werden. Mehr noch als in anderen Bereichen juristischer Tätigkeit gilt im Strafprozess, dass sich kaum zwei völlig identische Fälle finden lassen. Zu den rein juristischen Fragen gesellen sich meist psychologische und verfahrenstaktische Verwicklungen, die eine eindeutige Lösung erschweren. Gleichsam abgespeicherte und jederzeit abrufbare Verhaltensmuster für den Verteidiger, die unabhängig wären vom konkreten Fall, können daher kaum angeboten werden. Engagierte und kompetente Strafverteidigung ist, so wichtig gute rechtliche, psychologische und taktische Kenntnisse zwar auch sind, eben nicht ausschließlich am Schreibtisch erlernbar; sie bedarf vielmehr der ständigen Erfahrung und Übung unter „Feindberührung“ sowie einer guten Portion Phantasie und des richtigen Gespürs für die konkrete Situation.
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Andererseits verbietet sich die ausführlichere Behandlung mancher Themen durch den notwendigerweise eingeschränkten Umfang eines Ratgebers, der keine weitere Kommentierung zur Strafprozessordnung darstellen soll, sondern als Hilfsmittel bei der täglichen Arbeit bequem in den Gerichtssaal mitgenommen werden kann. Er ersetzt auch nicht die intensive Beschäftigung mit der Spezialliteratur, insbesondere nicht die Lektüre der Kommentare und der aktuellen Fachzeitschriften,[2] sowie den regelmäßigen Besuch der Homepage des Bundesgerichtshofs[3] mit den dort seit dem Jahr 2000 vollständig zum Download angebotenen Entscheidungen.
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Der Strafprozess, und damit auch die Verteidigung in der Hauptverhandlung, haben in den letzten zwei Jahrzehnten einschneidende Änderungen erfahren. Zwar hatte Schünemann bereits im Jahr 1993 die „Wetterzeichen einer untergehenden Strafprozesskultur“ ausgemacht und die „falsche Prophetie des Absprachenelysiums“[4] angeprangert. Dahs stellte ein Jahr später resignierend fest, dass eine effiziente Strafverteidigung unter den herrschenden Bedingungen nicht mehr möglich sei, und meldete Zweifel an, ob die Strafprozessordnung weiterhin „taugliche Grundlage für die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege in ihrer Gesamtheit sein“ könne.[5] Doch sollten noch weitere 15 Jahre vergehen, bis (auf deutliche „Erinnerung“ des Bundesgerichtshofs[6]) durch das Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren vom 29.7.2009[7] die Struktur des Strafverfahrens grundlegend verändert wurde. Was sich lange Zeit als „Deal“ in einer rechtlichen Grauzone, meist außerhalb der Hauptverhandlung, abgespielt hatte, hatte nunmehr als „Verständigung“ eine gesetzliche Grundlage mit dem Schwerpunkt in der Hauptverhandlung (§ 257c StPO) erhalten.[8] Sie hatte im bisherigen gesetzlichen Strafverfahrensrecht keine Entsprechung und bildet praktisch neben dem klassischen Strafprozess eine alternative, in sich geschlossene Verfahrensordnung.[9] Diese bedurfte einer gesonderten Darstellung (Rn. 330 ff.). Eine enge praktische Verbindung besteht zu der allgemeinen Kronzeugenregelung in § 46b StGB, da häufig die Aufklärungshilfe durch den Angeklagten erst die Grundlage für eine Verständigung schafft. Der Verteidiger sieht sich hier, sei es auf Seiten des Aufklärungsgehilfen, sei es auf Seiten des Beschuldigten, vor ganz neue Aufgaben gestellt.[10]
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Doch nicht nur der Gesetzgeber hat zur Veränderung des Strafverfahrens beigetragen. Auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in den ersten 10 Jahren des neuen Jahrtausends hat den Strafprozess in einer Weise geprägt und neu akzentuiert, die den Interessen einer effektiven Verteidigung massiv zuwider läuft. So ist die in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 27.2.1992[11] begründete Widerspruchslösung ständig ausgeweitet worden (hierzu Rn. 410 ff.). Heute genügt der einfache Widerspruch nicht mehr; er ist vielmehr zu konkretisieren und substantiiert zu begründen.[12] Die dadurch gesteigerte Verantwortung erfordert vom Verteidiger nicht nur gute Kenntnis der Rechtsprechung, sondern auch stete Aufmerksamkeit und Durchsetzungswillen gegenüber dem Instanzgericht, um sich die Rügemöglichkeiten der Revision zu erhalten. Mit der Entscheidung des Großen Senats vom 23.4.2007 zur sogenannten Rügeverkümmerung[13] wurde zudem die Jahrzehnte lang geltende höchstrichterliche Rechtsprechung aufgegeben, wonach durch eine Protokollberichtigung einer bereits in zulässiger Weise erhobenen Verfahrensrüge nicht der Boden entzogen werden durfte.[14] Diese Entscheidung, die unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zum lückenhaften Protokoll[15] nicht völlig überraschend kam, hat in der Literatur zu heftigen Diskussionen geführt.[16] Für die Verteidigung in der Hauptverhandlung ist das Problem insoweit relevant, als der Verteidiger von einer negativen Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls i.S.d. § 274[17] in Zukunft nicht mehr ausgehen kann. Über diesen Einzelfall hinaus hat er zu gewärtigen, dass die bisher in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch weitgehend respektierte Formenstrenge der StPO erheblich an Wert eingebüßt hat.
5
Bereits in die Vorauflage wurde die Darstellung der Hauptverhandlung im Berufungsverfahren (Rn. 737 ff.) aufgenommen, wobei der Schwerpunkt auf den taktischen Überlegungen des Verteidigers bei der Durchführung der Berufung liegt. Der umfassenden Neuregelung des § 329 im Jahr 2015 war in der Neuauflage Rechnung zu tragen.
6
Soweit sich die nachfolgenden Ausführungen auf die Hauptverhandlung erster Instanz beziehen, so ist zunächst das Verfahren bei der Großen Strafkammer gemeint. Sie haben jedoch – soweit sich nicht aus der Sache selbst etwas anderes ergibt – ebenso Geltung für das Verfahren beim Strafrichter und beim Schöffengericht. Durch die Möglichkeit der Sprungrevision gegen amtsgerichtliche Urteile gilt dies auch für revisionsrechtlich relevante Fragen.
7
Dem Ziel eines Praxisratgebers entsprechend liegt der Schwerpunkt der darstellenden Teile auf der Rechtsprechung, insbesondere der des Bundesgerichtshofs und der Obergerichte. Rechtswissenschaftliche Auseinandersetzungen und abweichende Ansichten sollen nur dort in den Vordergrund treten, wo sich entweder noch keine herrschende Meinung in der Praxis gebildet hat, oder ein Anliegen engagierter Strafverteidigung gerade darin liegen muss, einer verteidigungsfeindlichen Rechtsprechung entgegen zu treten.
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Eine letzte Anmerkung noch: An verschiedenen Stellen habe ich bei der 5. Auflage den ehemaligen Berliner Strafkammervorsitzenden F.-K. Föhrig zu Wort kommen lassen. Dass dies nicht früher geschah, liegt daran, dass ich sein im Jahr 2008 erschienenes „Kleines Strafrichterbrevier“[18] trotz der prominenten Herausgeberschaft zunächst als Satire,[19] später dann als die Geschichte eines lebenslangen Leidens an der falschen Berufswahl missverstanden hatte,[20] und erst nach einigen Gesprächen mit erfahrenen Berufsrichtern und Berufsrichterinnen, als zwar launigen, aber ernstgemeinten Ratgeber für seine an der strafrichterlichen Praxis ebenfalls leidenden Berufskollegen verstanden habe. Nachdem ich nun der Überzeugung bin, dass „der Föhrig“ nicht nur ernst genommen werden wollte, sondern auch ernst genommen wird, scheint der eine oder andere Hinweis auf seine hemdsärmeligen Äußerungen, insbesondere seine Bewertung der Rechte des Beschuldigten,[21] der Aufgabe der Verteidigung und seine Vorschläge zu deren Bekämpfung, doch angebracht.
Auch heute immer noch lesenswert hierzu Schumacher StV 1995, 442.
Zu diesen gehören zumindest NStZ, NStZ-RR, StV, StraFo und die Online-Zeitschrift HRRS, die den Vorteil hat, kostenlos im Internet bezogen werden zu können, sowie die erklärtermaßen praxisorientierte StRR (ab 2007); für Spezialgebiete stehen wistra und Kriminalistik, für strafrechtstheoretische Auseinandersetzungen insbesondere GA und ZStW zur Verfügung. Eine vollständige Aufzählung ist an dieser Stelle nicht möglich.
Siehe www.bundesgerichtshof.de.
Schünemann StV 1993, 657.
Dahs NJW 1994, 909.
BGHSt 50, 40, 64.
BGBl. I, 2353.
Vgl. zum Ganzen die monographische Darstellung von Niemöller/Schlothauer/Weider.
Niemöller/Schlothauer/Weider Vorwort, S. V.
Hierzu ausführlich Malek StV 2010, 200 ff.
BGHSt 38, 240.
BGHSt 52, 38, 42.
BGHSt 51, 298.
Vgl. BGHSt 34, 11, 12; st. Rspr.
Etwa BGH NJW 2001, 3794.
Zustimmend etwa Fahl JR 2007, 340.
§§ ohne Gesetzesangabe sind solche der Strafprozessordnung.
Föhrig Kleines Strafrichterbrevier, 2008 (hrsg. von Clemens Basdorf, Monika Harms und Andreas Mosbacher).
Wie anders sollte man unvoreingenommen denn den folgenden Satz verstehen: „Ärgerliche Verzögerungen der Hauptverhandlung sind einzig und allein anwaltlicher Obstruktion geschuldet“ (Föhrig S. 47).
Basdorfs Hinweis in seiner biographischen Notiz (Föhrig S. 131), Föhrig habe seinen Richterberuf geliebt, er sei „mit ganzer Seele Strafrichter“ gewesen, hatte ich dabei übersehen. Er ist sicherlich glaubhaft. Leider fehlt es aber an Erfahrungsberichten und Untersuchungen dazu, welche psychischen Mechanismen einen gebildeten und mit guten Examina ausgestatteten Menschen dazu veranlassen, die Bestrafung anderer nicht als gesellschaftlich notwendiges Übel zu sehen (was es zweifellos ist), sondern als lebenslange Aufgabe „mit ganzer Seele“ zu lieben. Der Komponist liebt die Musik, der Dichter das Wort und den Gedanken, der Rennfahrer liebt die Geschwindigkeit, der Schuster seine Schuhe, der Koch sein gutes Essen … All das erscheint plausibler.
Seine – vermutlich weit verbreitete – Auffassung „Ablehnungen sind Verzögerungswaffen für Anwälte“ (Föhrig S. 58) sollte man beispielsweise zur Kenntnis nehmen.
I.Hauptverhandlung mit und ohne Verständigung – zwei Arten des Prozesses
II.Der Ablauf der Hauptverhandlung und ihre Stellung im Strafverfahren
III.Wesentliche Verfahrensgrundsätze in der Hauptverhandlung
IV.Die Stellung des Verteidigers und sein Verhältnis zu den Prozessbeteiligten
V.Verteidigungsziele – Strategie und Taktik in der Hauptverhandlung
Teil 2 Allgemeines › I. Hauptverhandlung mit und ohne Verständigung – zwei Arten des Prozesses
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Spätestens seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Verständigung im Strafverfahren[1] (im Einzelnen hierzu Teil 5 Rn. 330 ff.) enthält die Strafprozessordnung zwei alternative Verfahrensordnungen: Einerseits die Regelung des „klassischen“ Strafprozesses mit einer Hauptverhandlung, in der unter Anwendung beweisrechtlicher Vorschriften versucht wird, die für die Gesetzesanwendung notwendigen Tatsachen möglichst wahrheitsgemäß festzustellen, um eine Grundlage für eine gerechte Entscheidung zu finden, andererseits die Regelung der strafprozessualen Verständigung mit der für die Hauptverhandlung zentralen Vorschrift des § 257c, für die normalerweise das Geständnis des Angeklagten wesentlicher Bestandteil ist. Es sei dahingestellt, welche Position der Verteidiger generell in Bezug auf die Möglichkeit verfahrensbeendender Absprachen einnimmt; gegenüber seinem Mandanten ist er in jedem Fall verpflichtet, sich mit der Neuregelung zu befassen und ihm diese zu vermitteln. Die Verpflichtung zur Belehrung des Mandanten ergibt sich aus dem Mandatsverhältnis, sei es durch Übernahme durch Vertrag oder durch gerichtliche Bestellung im Falle der notwendigen Verteidigung. Neben den Interessen des Beschuldigten sollte der Verteidiger dabei sein eigenes Haftungsrisiko nicht aus dem Auge verlieren: Unterlässt er die Belehrung seines Mandanten über die Möglichkeiten einer Verständigung und versäumt er dadurch, ein für den Angeklagten günstigeres Verfahrensergebnis zu erzielen, kann er sich schlimmstenfalls sogar wegen positiver Vertragsverletzung schadensersatzpflichtig machen. Es ist anzunehmen, dass die Anforderungen an den Nachweis der Kausalität durch den Mandanten im Falle einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung nicht allzu hoch angesetzt würden.[2]
Vom 29.7.2009, BGBl. I, 2353.
Vgl. hierzu die Grundsätze, die das OLG Nürnberg in seiner Entscheidung vom 29.6.1995 (StV 1997, 481) über die Haftung wegen fehlerhafter Beratung aufgestellt hat; Ähnliches dürfte für die unterlassene Belehrung über die Möglichkeiten der Aufklärungshilfe i.S.d. § 46b StGB zu befürchten sein, vgl. Malek StV 2010, 200, 203.
Teil 2 Allgemeines › II. Der Ablauf der Hauptverhandlung und ihre Stellung im Strafverfahren
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Alles, was schon früher geschah,geschah nur zum Zwecke der Hauptverhandlung.Alles, was noch geschehen wird,kann nur als Resultat derselben geschehen(Vargha Die Vertheidigung in Strafsachen, 1879, § 245)
Der Gang der Hauptverhandlung ergibt sich aus den §§ 243, 244 Abs. 1, 258 und 260. Sie beginnt mit dem Aufruf der Sache durch den Vorsitzenden (§ 243 Abs. 1 S. 1), der feststellt, ob der Angeklagte und sein Verteidiger anwesend und die geladenen Zeugen und Sachverständigen erschienen sind (§ 243 Abs. 1 S. 2). Nachdem die Zeugen den Saal verlassen haben (§ 243 Abs. 2 S. 1), vernimmt der Vorsitzende den Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse (§ 243 Abs. 2 S. 2). Es folgt die Verlesung des Anklagesatzes (§ 243 Abs. 3). Anschließend wird der Angeklagte darauf hingewiesen, dass es ihm freistehe, sich zu der Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen (§ 243 Abs. 5 S. 1). Sollten bereits Erörterungen des Verfahrensstandes gemäß § 160b oder § 202a stattgefunden haben, die die Möglichkeit einer Verständigung ergeben haben, oder hält das Gericht das Verfahren für geeignet, durch eine Verständigung beendet zu werden, so können bereits an dieser Stelle Gespräche zwischen den Verfahrensbeteiligten aufgenommen werden.[1] Geschieht dies, so ist der wesentliche Ablauf und Inhalt der Erörterung gemäß § 273 Abs. 1a zu protokollieren. Im Anschluss an die Belehrung oder an die Verständigungsgespräche wird der Angeklagte, falls er aussagebereit ist, zur Sache vernommen (§ 243 Abs. 5 S. 2). Es folgen die Beweisaufnahme (§ 244 Abs. 1) und die Schlussvorträge von Staatsanwaltschaft und Verteidigung (§ 258 Abs. 1). Der Angeklagte ist sodann zu befragen, ob er selbst noch etwas zu seiner Verteidigung anzuführen habe (§ 258 Abs. 3); ihm gebührt das letzte Wort (§ 258 Abs. 2). Die Hauptverhandlung schließt mit der auf die Beratung folgenden Verkündung des Urteils (§ 260 Abs. 1). Wörtlich genommen findet die nach § 35a notwendige Rechtsmittelbelehrung, im Falle einer Verständigung die qualifizierte Belehrung gemäß § 35a S. 3, also nicht mehr in der Hauptverhandlung statt.
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Die Hauptverhandlung ist der auf das Vor- und Zwischenverfahren folgende Teil des Strafprozesses, in dem der angeklagte Sachverhalt verbindlich aufgeklärt und als Grundlage für das Urteil festgestellt werden soll. Sie gilt gemeinhin als das „Kernstück“ des Strafprozesses,[2] denn während die vorangehenden Verfahrensabschnitte nur zur Vorbereitung der Sachverhaltsaufklärung in der Hauptverhandlung dienen, ist für das Urteil des Gerichts allein das Ergebnis der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung selbst maßgebend (§ 261). Die außerhalb der Hauptverhandlung gewonnenen und nicht prozessordnungsgemäß in diese eingeführten Erkenntnisse dürfen dagegen ebenso wenig verwertet werden wie Erkenntnisse nach Schluss der Verhandlung.[3] Ein Verstoß hiergegen kann die Revision begründen.[4]
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Diese prozessuale Situation führt häufig gerade bei unerfahrenen Strafverteidigern dazu, die Bedeutung des Ermittlungsverfahrens für den Ausgang des Prozesses in sträflicher Weise zu unterschätzen. Bosbach beklagt zu Recht, dass die prägende Kraft des Ermittlungsverfahrens – vor allen Dingen durch die Untersuchungen von Peters[5] über die Fehlerquellen im Strafprozess – mittlerweile zwar Allgemeingut sei, und in der Praxis das Ermittlungsverfahren „einen zentralen Bereich der Wirkkraft einer effektiven Verteidigung“ darstelle, dass aber die Strafverteidigung in diesem Verfahrensstadium trotzdem immer noch ein „Mauerblümchendasein“ führe.[6] Als Gründe hierfür seien in Betracht zu ziehen die schlichte Unkenntnis der rechtlichen Möglichkeiten des Verteidigers im Ermittlungsverfahren, die auf fehlender praktischer Erfahrung basierende Fehleinschätzung der Risiken in der Hauptverhandlung, Probleme mit der angemessenen Honorierung, schließlich auch die taktische Überlegung, sein Pulver nicht vorzeitig zu verschießen und zuletzt auch die Erwägung, den spektakulären Auftritt in der Hauptverhandlung der unauffälligen Arbeit im Ermittlungsverfahren vorzuziehen.[7] Wie dem auch sei: Keine der genannten Erwägungen rechtfertigt es, die Verteidigung im Ermittlungsverfahren schleifen zu lassen oder auf die leichte Schulter zu nehmen. Fehler und Unterlassungen, die der Verteidiger im Ermittlungsverfahren begangen hat, sind in der Hauptverhandlung meistens gar nicht, und in seltenen Fällen gerade noch mit Glück zu bereinigen.
So wenig wie die Hauptverhandlung im Hinblick auf das Ermittlungsverfahren als „Vergangenheitsbewältigung“ missverstanden werden darf, so sehr hat sie im Hinblick auf das Revisionsverfahren der „Zukunftsplanung“ zu dienen. Auch wenn dem Verteidiger in erster Linie daran gelegen sein muss, ein für seinen Mandanten günstiges Ergebnis bereits in der Tatsacheninstanz zu erreichen, so hat er doch auch an den Fall zu denken, dass er auf einen ungünstigen Verfahrensausgang mit der Durchführung der Revision reagieren muss. Als Grundregel muss gelten: Wer in der Tatsacheninstanz untätig geblieben ist, insbesondere keine Anträge gestellt hat, hat in der Revision kaum eine Chance. Hauptbetätigungsfeld der Verteidigung in der Hauptverhandlung ist im Hinblick auf die Revision das Beweisantragsrecht, aber auch die „Sachverhaltsfestschreibung“ durch Wahrnehmung von Erklärungsrechten oder Protokollierungsanträgen bietet revisionsrechtliche Möglichkeiten. Zu bedenken ist weiter, dass die Untätigkeit der Verteidigung in zahlreichen Fällen den Rügeverlust in der Revision zur Folge haben kann. Im Grunde genommen gibt es kaum ein Prozessverhalten des Verteidigers oder des Angeklagten, das bei richtiger Ausübung keine revisionsrechtliche Relevanz erlangen könnte. Der Verteidiger tut gut daran, diese Auswirkungen im Auge zu behalten und bei seiner Verteidigungsführung zu beachten.
Zu Recht weisen Meyer-Goßner/Schmitt § 257c Rn. 1 darauf hin, dass die Regelung der Verständigung an falscher Stelle in das Gesetz eingefügt worden ist. Sie hätte vor und nicht hinter die Vorschriften zur Beweisaufnahme gehört.
Z. B. Meyer-Goßner/Schmitt Vor § 226 Rn. 1.
Grundlegend zum Inbegriff der Hauptverhandlung BGH B. v. 21.1.2016, 2 StR 433/15.
BGH StV 1996, 80.
Fehlerquellen im Strafprozess. Eine Untersuchung der Wiederaufnahmeverfahren in der Bundesrepublik Deutschland, 1. Bd. 1970, 2. Bd. 1972, 3. Bd. 1974.
Bosbach Einleitung S. 1 f.
Bosbach Einleitung S. 2.
Teil 2 Allgemeines › III. Wesentliche Verfahrensgrundsätze in der Hauptverhandlung
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Die tragenden strafprozessualen Prinzipien in der Hauptverhandlung klassischer Prägung sind die Grundsätze der Öffentlichkeit, der Mündlichkeit, aus dem das Prinzip der Verhandlungseinheit folgt, und der Unmittelbarkeit.
Teil 2 Allgemeines › III. Wesentliche Verfahrensgrundsätze in der Hauptverhandlung › 1. Öffentlichkeitsgrundsatz
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Die Öffentlichkeit der Verhandlung stellt einemächtige Gewähr der Vertheidigung dar. Vor den Augenaller Bürger fällt es schwer, die Bürgerrechte imAngeklagten zu verletzen(Vargha Die Vertheidigung in Strafsachen, 1879, § 445)
Gemäß § 169 GVG ist die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse öffentlich. Die staatstheoretische Begründung, wonach die Öffentlichkeit die Rechtsprechung der Gerichte kontrollieren und dem Angeklagten Schutz vor Willkür bieten soll, sollte die Verteidigung nicht gänzlich aus dem Blick verlieren, wenngleich diese nach heute vorherrschender Auffassung ihre Bedeutung im Wesentlichen verloren hat und ganz überwiegend das Informationsinteresse der Allgemeinheit („Massenmedienöffentlichkeit“) im Vordergrund steht.[1]
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Der Öffentlichkeitsgrundsatz gilt für alle Hauptverhandlungen, nicht jedoch für andere Verhandlungen im Strafverfahren, z.B. die kommissarische Vernehmung von Zeugen, und solche, die außerhalb der Hauptverhandlung vorgenommen werden dürfen,[2] etwa Verhandlungen über Ablehnungsanträge.[3] Der Grundsatz postuliert die jedermann zustehende Möglichkeit, sich ohne Schwierigkeiten Kenntnis von Ort und Zeit der Verhandlung sowie im Rahmen der räumlichen Möglichkeiten und örtlichen Verhältnisse[4]Zutritt zur Verhandlung zu verschaffen.[5] Dies ist z.B. nicht der Fall, wenn die Verhandlung gegen einen Angeklagten nicht auf einem im Gerichtsgebäude für jedermann erkennbar angebrachten Terminzettel vermerkt ist, oder wenn die Hauptverhandlung in einem Raum stattfindet, in dem sich nur ein einziger Sitzplatz für Zuhörer befindet und weitere Personen auch stehend allenfalls in drangvoller Enge Platz finden könnten.[6] Hat das Gericht durch Anordnung der vorherigen Durchsuchung von Prozessbesuchern selbst bewirkt, dass sich deren Zutritt zum Sitzungssaal verzögert, so darf es mit der Verhandlung erst beginnen, wenn den zum vorgesehenen Verhandlungsbeginn erschienenen Personen der Zutritt gewährt worden ist.[7] Die Zuhörer müssen auf jeden Fall noch als Repräsentanten einer Öffentlichkeit angesehen werden können, die keiner besonderen Auswahl unterliegt.[8] Nicht zu beanstanden ist es, wenn selbst bei beengten Verhältnissen einige (aber nicht alle!) Plätze für Pressevertreter freigehalten werden.[9] Findet die Hauptverhandlung außerhalb des Gerichtsgebäudes statt, so ist es notwendig, dass durch eine Hinweistafel im Gerichtsgebäude auf Ort und Zeit der Weiterverhandlung hingewiesen wird.[10] Allerdings soll es für den Fall der Fortsetzung der Verhandlung außerhalb des Gerichtsgebäudes ausreichen, wenn Ort und Zeit der Fortsetzung in der Verhandlung bekannt gegeben werden und dort nicht anwesenden Interessenten Auskunft erteilt wird.[11]
16
Eingeschränkt ist der Grundsatz der Öffentlichkeit durch § 48 Abs. 1 JGG, wonach die Verhandlung gegen Jugendliche nicht öffentlich ist, es sei denn, dass auch Heranwachsende oder Erwachsene in demselben Verfahren angeklagt sind. Ist die Öffentlichkeit gem. § 109 Abs. 1 S. 4 JGG im Interesse des Heranwachsenden ausgeschlossen worden, so umfasst die Ausschließung, soweit das Gericht nichts anderes bestimmt, auch die Verkündung des Urteils.[12] Sind Gegenstand der Anklage Taten, die der Angeklagte teils als Jugendlicher, teils als Heranwachsender begangen hat, so findet die Hauptverhandlung auch dann noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, wenn in ihrem Verlauf das Verfahren wegen der Taten, die er als Jugendlicher begangen hat, nach § 154 Abs. 2 vorläufig eingestellt worden ist.[13]
17
Die Öffentlichkeit kann auch aus den in den §§ 171a (Ausschluss der Öffentlichkeit in Unterbringungssachen), 171b (Ausschluss der Öffentlichkeit zum Schutz der Privatsphäre) und 172 GVG genannten Gründen durch Gerichtsbeschluss ausgeschlossen werden. Dieser Beschluss ist gem. § 174 Abs. 1 S. 3 GVG zu begründen, wobei die Angabe des Ausschließungsgrundes mit dem Gesetzeswortlaut oder der Gesetzesvorschrift nur dann ausreichend ist, wenn damit der Grund der Ausschließung eindeutig gekennzeichnet ist, etwa weil die maßgebliche Gesetzesbestimmung nur einen einzigen Ausschließungsgrund enthält.[14] Darüber hinaus will der 1. Strafsenat des BGH einen Verstoß gegen § 174 Abs. 1 S. 3 GVG verneinen, wenn der Ausschließungsgrund des Schutzes der Privatsphäre des Opfers (§ 171b GVG) oder der Gefährdung der Sittlichkeit (§ 172 GVG) oder beider zusammen für die Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit durch den sich aus dem Beschluss selbst ergebenden Hinweis auf den Verfahrensabschnitt „zweifelsfrei erkennbar ist“.[15] Schließt das Gericht die Öffentlichkeit während der Dauer der Vernehmung des Angeklagten nach § 171b Abs. 1 GVG aus, so umfasst diese Maßnahme auch die sich aus der Einlassung des Angeklagten ergebende Erörterung von Strafmaßerwartungen sowie Fragen einer Verständigungsmöglichkeit.[16] Die genannten Ausschließungsvorschriften sind eng auszulegen und abschließend. Unzulässig ist daher z.B. die Bitte des Vorsitzenden an alle Zuhörer, den Raum zu verlassen.[17] Ein solches Vorgehen verletzt den Öffentlichkeitsgrundsatz und stellt einen absoluten Revisionsgrund gemäß § 338 Nr. 6 dar.
18
Der Ausschluss nach § 171b GVG kann auch für die Dauer der Verlesung des Anklagesatzes erfolgen, denn auch hier können Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten, Zeugen oder durch eine rechtswidrige Tat Verletzten zur Sprache kommen, die einen Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171b I 1 GVG zu rechtfertigen vermögen, weil deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde, ohne dass das Interesse an der öffentlichen Erörterung dieser Umstände überwiegt.[18] Dasselbe gilt für die Schlussvorträge.[19] Nach § 171b Abs. 3 S. 2 GVG ist für die Schlussanträge in Verfahren wegen der in § 171b Abs. 2 GVG genannten Straftaten (§§ 174-184h, 211-222, 225, 232-233a StGB) die Öffentlichkeit zwingend auszuschließen, ohne dass es eines hierauf gerichteten Antrags bedarf, wenn die Verhandlung nach § 171b Abs. 1 oder Abs. 2 GVG oder nach § 172 Nr. 4 GVG ganz oder zum Teil unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat. Ein Verstoß gegen diese Bestimmung kann mit der Revision gerügt werden. Zwar ist der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO nicht gegeben, weil diese Vorschrift bei einer unzulässigen Erweiterung der Öffentlichkeit nicht anwendbar ist.[20] Durchgreifend ist aber der relative Revisionsgrund (§ 337 StPO), wobei in der Regel zumindest der Rechtsfolgenausspruch auf dem Rechtsfehler beruhen kann, da nicht auszuschließen ist, dass der Angeklagte über seine Einlassung hinaus in seinem letzten Wort weitere sich zu seinen Gunsten auswirkende Umstände angesprochen hätte, wenn er nicht der besonderen Belastung der öffentlichen Hauptverhandlung ausgesetzt gewesen wäre.[21]
Teil 2 Allgemeines › III. Wesentliche Verfahrensgrundsätze in der Hauptverhandlung › 2. Mündlichkeitsgrundsatz
19
Der Grundsatz der Mündlichkeit, der sich aus den §§ 261, 264 ergibt,[22] besagt, dass nur der in der Hauptverhandlung mündlich vorgetragene und erörterte Verfahrensstoff dem Urteil des Gerichts zugrunde gelegt werden darf.[23] Hiermit ist es schwerlich zu vereinbaren, dass es zulässig sein soll, den Schöffen in der Hauptverhandlung „zum besseren Verständnis der Beweisaufnahme“ beim Anhören von Tonbandaufnahmen aus einer Telefonüberwachung Protokolle als „Begleittext“ zur Verfügung zu stellen.[24] Dienstliches Wissen des Richters darf nur nach der Vernehmung der Auskunftsperson in der Hauptverhandlung (oder durch Vorhalt) verwertet werden.[25] Das Mündlichkeitsprinzip umfasst auch den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, der z.B. in den §§ 257 Abs. 1, Abs. 2, 258 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 eine Konkretisierung in der Strafprozessordnung gefunden hat. Zwei für die Verteidigung wichtige Durchbrechungen des Mündlichkeitsprinzips sind das Selbstleseverfahren gemäß § 249 Abs. 2 (vgl. im Einzelnen hierzu Rn. 610 ff.) und die Anordnung schriftlicher Antragstellung gemäß § 257a (vgl. im einzelnen Rn. 439 ff.).
Die Verweigerung der Akteneinsicht gegenüber den Schöffen als Ausfluss des Mündlichkeitsprinzips ist durch die Verständigungspraxis und deren gesetzliche Regelung hochproblematisch geworden, ohne dass dies in Rechtsprechung oder Literatur der praktischen Bedeutung angemessen thematisiert worden wäre.[26] Eine Verständigung erfolgt gem. § 257c durch „das Gericht“, nicht durch den Vorsitzenden und nicht durch die Berufsrichter. Dies bedeutet, dass die Schöffen in vollem Umfang und mit vollem Stimmrecht an einem verständigungsbasierten Urteil beteiligt sind. Wer die Praxis kennt, weiß, dass Verständigungsgespräche häufig – mit dem Ziel einer Beschränkung der Beweisaufnahme – zu Beginn der Hauptverhandlung geführt werden. Zu diesem Zeitpunkt sollen die Schöffen aber außer dem verlesenen Anklagesatz keine Kenntnis des Verfahrens haben. Wie sollen sie aber beurteilen können, ob der Sanktionsvorschlag des Gerichts (tatsächlich der des Vorsitzenden), der sich stets daran orientieren wird, welches Ergebnis eine streitig durchgeführte Hauptverhandlung erbringen würde, sachgerecht ist? Wie sollen sie die Werthaltigkeit eines Geständnisses ohne Kenntnis der Sache beurteilen können? Alleine in der (ohne Aktenkenntnis völlig unkontrollierten) Unterrichtung der Schöffen durch den Vorsitzenden über die Beweissituation und die Strafzumessungsgesichtspunkte oder den „Plädoyers“ im Beratungszimmer kann ein gleichwertiger Ersatz für die Beweisaufnahme nicht gesehen werden.
20
Aus dem Mündlichkeitsprinzip leitet sich auch der Grundsatz der Verhandlungseinheit her, der die ununterbrochene und gleichzeitige Gegenwart sämtlicher Richter, eines Vertreters der Staatsanwaltschaft und eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle in der Hauptverhandlung fordert (§ 226). Die Besetzung des Gerichts darf daher bis zur Urteilsverkündung nicht wechseln; andernfalls muss die ganze Hauptverhandlung wiederholt werden.[27] Allerdings können gem. § 192 Abs. 2 GVG bei Verhandlungen von längerer Dauer Ergänzungsrichter zugezogen werden, die der Verhandlung beiwohnen und im Falle der Verhinderung eines Richters für ihn eintreten. Dies gilt auch für Schöffen (§ 192 Abs. 3 GVG). Allerdings müssen die Ergänzungsrichter, um wirksam eintreten zu können, von Anfang an der Hauptverhandlung beigewohnt haben.[28] Staatsanwälte und Urkundsbeamte der Geschäftsstelle können dagegen nebeneinander und nacheinander tätig werden (ausdrücklich für die Staatsanwaltschaft: § 227). Die (ununterbrochene) Anwesenheit eines Verteidigers ist nur in den Fällen der notwendigen Verteidigung zwingend.[29] Ergeben sich deren Voraussetzungen erst während der Hauptverhandlung, und wird nunmehr ein Verteidiger bestellt, so muss die Hauptverhandlung in dessen Anwesenheit in ihren wesentlichen Teilen wiederholt werden.[30] Hierzu gehören jedenfalls die Vernehmung des Angeklagten zur Person und Sache,[31] die Verlesung des Anklagesatzes und des Eröffnungsbeschlusses,[32] die Beweisaufnahme,[33] die Feststellung der Vorstrafen,[34] die Schlussvorträge[35] und die Verlesung der Urteilsformel.[36] Für andere Verfahrensbeteiligte, etwa Nebenkläger, Dolmetscher oder Sachverständige ist die ununterbrochene Anwesenheit nicht vorgeschrieben.
Teil 2 Allgemeines › III. Wesentliche Verfahrensgrundsätze in der Hauptverhandlung › 3. Unmittelbarkeitsgrundsatz
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Der Grundsatz der Unmittelbarkeit im Strafprozess gebietet, dass das erkennende Gericht die Beweise selbst erhebt, um von ihnen durch eigene Wahrnehmung Kenntnis zu erlangen, und dass es zu seiner Überzeugungsbildung solche Beweismittel verwendet, deren Benutzung an die Ermittlung des Sachverhalts am nächsten heranführt. § 250, der nur für Wahrnehmungen von Zeugen und Sachverständigen im Strengbeweisverfahren gilt,[37] postuliert den grundsätzlichen Vorrang des Personalbeweises vor dem Urkundenbeweis.[38] Eine wesentliche Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes stellt die gemäß § 255a bestehende Möglichkeit dar, unter bestimmten Voraussetzungen in Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder gegen das Leben oder wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen die Vernehmung eines Zeugen unter 18 Jahren durch die Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung seiner früheren richterlichen Vernehmung zu ersetzen (vgl. hierzu im einzelnen Rn. 626 ff.).
Vgl. Franke StraFo 2014, 362.
BGH NStZ 2002, 106.
BGH NStZ 1996, 398.
BGH NJW 2006, 1220.
BVerfG NJW 2002, 814; BGH 21, 72, 73.
BayObLG StV 1982, 62; OLG Köln NStZ 1984, 282.
BGH StV 1995, 116.
BGHSt 5, 75, 83.
BGH NStZ 1981, 311; OLG Hamm StV 2000, 659; StV 2002, 474.
BGH NStZ-RR 2006, 261.
BGH NStZ 1998, 53 m. abl. Anm. Eisenberg NStZ 1998, 53.
BGH NStZ 1998, 315.
BGH StV 1996, 134.
BGH NStZ 1999, 92.
BGH NStZ 2016, 118.
BGH StV 1993, 460; OLG Braunschweig StV 1994, 474.
BGH NStZ 2013, 51.
KK-Diemer § 171b GVG Rn. 5.
BGH NJW 2006, 1220; BGH B. v. 17.9.2014, 1 StR 212/14.
BGH NStZ 2016, 180 (2. Senat); zur Beruhensfrage bei Nichtausschluss während Zeugenvernehmung dagegen eher kritisch BGH StV 2016, 788 (4. Senat).
Roxin § 44 A I.
Vgl. BGH NStZ 1990, 229; Pfeiffer Einl. Rn. 7.
So jedoch BGH StV 1997, 450 m. – zurecht – abl. Anm. Lunnebach StV 1997, 452.
OLG Jena StraFo 2007, 65.
Eine Ausnahme stellen die Ausführungen von König in Strafverteidigung im Rechtsstaat, S. 623 ff. 627 f., dar, der als Folge des „Absprachewesens“ völlig zu Recht eine Abwertung des Schöffensystems ausmacht und tendenziell dessen Abschaffung prognostiziert.
RG 62, 198.
BGH NJW 2001, 3062.
BGHSt 15, 306.
BGHSt 9, 243.
BGH NStZ 1983, 375.
BGHSt 9, 243, 244.
BGHSt 15, 306; 21, 332, 334; BGH NStZ 1981, 449; 1985, 375; 1986, 564.
BGH NJW 1972, 2006.
OLG Hamburg StV 1984, 111.
BGHSt 8, 41; BGH NStZ 1989, 284; nicht jedoch der Urteilsgründe BGHSt 15, 263.
Meyer-Goßner/Schmitt § 250 Rn. 1.
BGHSt 15, 253, 254.
Teil 2 Allgemeines › IV. Die Stellung des Verteidigers und sein Verhältnis zu den Prozessbeteiligten
Der Widerspruch ist der Prüfstein der Wahrheit.Die Rolle dieses nach Wahrheit strebenden Widerspruchs ist es,welche der Vertheidigung im Strafprocesse zufällt(Vargha Die Vertheidigung in Strafsachen, 1879, § 184)
Teil 2 Allgemeines › IV. Die Stellung des Verteidigers und sein Verhältnis zu den Prozessbeteiligten › 1. Rechtsstellung des Verteidigers
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Die Rechtsstellung des Strafverteidigers ist, durch das Fehlen einer gesetzlichen Begriffsbestimmung begünstigt, immer noch heftig umstritten.[1] Während die Rechtsprechung und die herrschende Meinung in der Literatur[2] den Verteidiger als selbständiges, dem Gericht und der Staatsanwaltschaft gleichgeordnetes Organ der Rechtspflege bezeichnen, der bei seiner Tätigkeit weder der Kontrolle des Gerichts[3] noch den Weisungen seines Mandanten unterliegt,[4] der allerdings dessen Rechte auch nicht unparteilich, sondern einseitig zu seinen Gunsten wahrzunehmen hat,[5] sieht die extreme Gegenmeinung den Verteidiger als reinen Interessenvertreter des Angeklagten, der sich streng an dessen Weisungen zu halten habe.[6] Es ist hier nicht der Ort, den grundsätzlichen Streit fortzusetzen oder auch nur in Einzelheiten darzustellen, zumal die praktischen Konsequenzen weitaus geringer sind, als von den Teilnehmern der Diskussion dargestellt.[7] Dass sich ein Verteidiger durch das Gericht unter Hinweis auf seine Stellung als Organ der Rechtspflege „disziplinieren“ ließe,[8] erscheint kaum glaubhaft, wenn man hierunter eine aus der Sicht des Gerichts erfolgreiche Beeinflussung oder Verhinderung des Verteidigerverhaltens versteht. Wer sich durch eine derartige Belehrung ins Bockshorn jagen lässt, sollte seine Berufswahl ernsthaft überprüfen. Allzu ängstliche Gemüter sind jedenfalls als Strafverteidiger kaum geeignet. Im Übrigen könnte in einem solchen Fall der Hinweis an das Gericht weiterhelfen, dass die Rechtsprechung die Stellung des Verteidigers nicht nur als Organ der Rechtspflege, sondern als selbständiges, dem Gericht und der Staatsanwaltschaft gleichgeordnetes definiert.
Teil 2 Allgemeines › IV. Die Stellung des Verteidigers und sein Verhältnis zu den Prozessbeteiligten › 2. Verhältnis zu Staatsanwaltschaft und Gericht
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In letzter Linie ist es immer der Vertheidiger, der für eineunwürdige Behandlung verantwortlich erscheint, welche seinClient von irgend einer Seite zu erleiden hat(Vargha Die Vertheidigung in Strafsachen, 1879, § 226)
Für das generelle Verhältnis des Verteidigers zur Staatsanwaltschaft und zum Gericht gilt gegenüber dem Vor- und Zwischenverfahren nichts Besonderes. Zweifellos ist jedoch gerade die Hauptverhandlung besonders konfliktträchtig, weil informelle „bilaterale“ Gespräche zwischen den Verfahrensbeteiligten nur noch begrenzt möglich sind, Auseinandersetzungen daher in der Regel öffentlich ausgetragen werden, also auch mit Gesichtsverlusten für die eine oder andere Seite verbunden sein können, und weil der Verfahrensausgang unmittelbar bevorsteht. Gerade in dieser Situation gilt es für den Verteidiger, Prinzipientreue zu wahren. Korrektheit in der Form, Härte und Kompetenz in der Sache und Verlässlichkeit in den Äußerungen sind Eigenschaften des Verteidigers, die nicht nur im Vorverfahren, sondern gerade auch in der Hauptverhandlung notwendig sind.
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Die Frage, ob der Verteidiger zugunsten seines Mandanten (auch in der Hauptverhandlung) lügen darf, oder ob er einem Lügeverbot unterliegt, ist seit vielen Jahren zum Gegenstand von Auseinandersetzungen in der Literatur geworden. Der rigorosen Haltung des Bundesgerichtshofs, der die „Beratung bei der Lüge“ untersagt,[9] steht diametral die Auffassung von Kleine-Cosack entgegen, der das Lügeverbot für unangebracht hält, soweit Rechtsanwälte (nicht nur Strafverteidiger) mit ihren „Falschaussagen“ einen „legitimen – rechtsstaatlich vertretbaren Zweck“ verfolgten.[10] Dem widerspricht die h.M. (unter Beteiligung namhafter Strafverteidiger) und bestreitet ein „Recht zur Lüge“.[11] Dem ist zuzustimmen. Zum einen würde das Bewusstsein auf Seiten des Gerichts, vom Verteidiger angelogen werden „zu dürfen“ dessen Position und Glaubwürdigkeit schwächen. Selbst die Beteuerung des Verteidigers, die Wahrheit zu sagen, könnte dann nicht mehr ernst genommen werden, denn auch diese Beteuerung wäre, legt man die Kriterien von Kleine-Cosack zugrunde, vom „Lügerecht“ gedeckt. Gillmeister[12] weist auf einen zweiten, nicht weniger wichtigen Aspekt hin. Wenn der Verteidiger lügen darf, dann wird er, wenn es dem Mandanten nützt, zur Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten logischer Weise auch lügen müssen. Wenn man bedenkt, dass hierzu in letzter Konsequenz auch die Erfindung und Ausarbeitung wahrheitswidriger, aber nützlicher Einlassungskonstrukte gehören würde, wird die Absurdität des „Lügerechts“ offenkundig. Das Lügeverbot ist daher auch ein Schutz gegen die Verpflichtung des Verteidigers zu lügen.[13]
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Staatsanwalt und Gericht müssen allerdings auch spüren, auf wessen Seite der Verteidiger steht. Wer es z.B. zulässt, dass sein Mandant von anderen Verfahrensbeteiligten mit Umgangsformen bedacht wird, die sich der Grenze zur Beleidigung nähern, darf sich nicht wundern, wenn er als Verfahrensgegner nicht mehr ernst genommen wird. Gerade in der Hauptverhandlung, in der meist die erste direkte Konfrontation des Angeklagten mit Staatsanwaltschaft und Gericht stattfindet, erweist sich die Wichtigkeit des couragierten Verteidigerbeistandes für den Mandanten. Der Verteidiger muss daher gegenüber der Staatsanwaltschaft und dem Gericht mit dem Anspruch und dem Bewusstsein eines gleichgeordneten Verfahrensbeteiligten auftreten. Insbesondere unterliegt die Art seiner Verteidigungsführung nicht deren Kontrolle.[14] Im Verhältnis zum Staatsanwalt gilt der Grundsatz der Waffengleichheit zwischen Anklagebehörde und Verteidigung, der aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK herzuleiten ist, und der gewährleisten soll, dass den Beteiligten eines Strafverfahrens nicht ohne sachliche Notwendigkeit unterschiedliche Rechtspositionen im Prozess eingeräumt werden.[15] Dass die StPO selbst zahlreiche Regelungen enthält, die einem solchen Anspruch nicht gerecht werden,[16] sollte den Verteidiger nicht daran hindern, in geeigneten Situationen an die Existenz dieses Grundsatzes zu erinnern.
Von Seiten mancher Strafverteidiger wird der Staatsanwaltschaft vorgehalten, sie bezeichne sich gerne selbst als „objektivste Behörde der Welt“.[17] Mit diesem Vorwurf sollte man vorsichtig sein, denn er ist nicht zutreffend. Selbst wenn der Begriff ursprünglich von einem Staatsanwalt gekommen sein sollte,[18] so wurde diese für den Praktiker überraschende Etikettierung doch erst populär durch einen Vortrag des Strafrechtslehrers Franz von Liszt am 23.3.1901 beim Berliner Anwaltsverein, der sie allerdings als leicht erkennbare „Entgleisung“ bezeichnet hat![19] Neuere Äußerungen von Angehörigen der Strafverfolgungsbehörden sind hierzu nicht bekannt geworden.[20]
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Der am Interesse des Angeklagten orientierte Verteidiger muss prinzipiell auch bereit sein, eine harte Verteidigungslinie zu führen, wenn dies dem Mandanten nützt. Er darf, wenn nötig, auch heftige Auseinandersetzungen nicht scheuen. Dies gilt auch und gerade im Zeitalter der konsensualen Verfahrenserledigung. Engagement und Konfliktbereitschaft in diesem Sinne bedeuten jedoch nicht Theaterdonner und Lautstärke um jeden Preis, wie dies leider von manchen Kollegen verstanden und von vielen Angeklagten als besonders energische Interessenvertretung missverstanden wird. Im Gegenteil: Korrekte Form verträgt sich sehr wohl mit Härte und Konsequenz in der Sache und kann diese sogar in ihrer Wirkung verstärken.[21]
Die Bereitschaft zur harten, aber an der Sache orientierten Auseinandersetzung sollte sich der Verteidiger auch nicht durch den Vorwurf miesmachen lassen, er betreibe „Konfliktverteidigung“. Wenn die Beschreibung des typischen „Konfliktverteidigers“ durch den ehemaligen Strafkammervorsitzenden Föhrig, der hier unus pro omnibus in die Verantwortung genommen werden soll,[22] der Gefühlswelt des Strafrichters im Allgemeinen entspräche, dann gehörten zu dieser Art der Verteidigung auch „beständige Unterbrechungen zur Abgabe (sinnloser) Erklärungen“ (§ 257 Abs. 2), „zahllose Anträge, vornehmlich auf Beweiserhebungen“ (§§ 246 ff.) und die Richterablehnung wegen Befangenheit (§§ 24 ff.).[23] „Alles Derartige still zu erdulden, allem nachzugeben, verzögert das Verfahren ersichtlich bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag“, meint Föhrig, und empfiehlt seinen Kollegen „ständige Unterbrechungen, Spötteleien, Diskurse“, um den Verteidiger („Anwälte sind auch – nur – Menschen“) „aus dem Fahrwasser“ zu bringen.[24] Zeige sich der Verteidiger „beratungsresistent“, so sei sein Verhalten durch „stilles Mitschreiben“ zu protokollieren und dieser Protokollteil der Anwaltskammer auf dem Dienstweg zu übersenden.[25] Dem sei nichts hinzugefügt.
Die praktische Erfahrung zeigt, dass die Bereitschaft der Verteidigung, durch einseitige Nachgiebigkeit, etwa durch ein frühes Geständnis des Angeklagten ohne Taktieren und ohne die Vorteile einer Vereinbarung nach § 257c, dem Gericht die Arbeit zu erleichtern, in der Regel nicht honoriert wird. Über die Gründe für diese Erfahrung (von der es selbstverständlich Ausnahmen gibt!) kann nur spekuliert werden: Möglicherweise „verbindet“ eine lange dauernde Hauptverhandlung auch die Kontrahenten eines Strafverfahrens in dem Sinne, dass eine harte Bestrafung des Gegners schwerer fällt als in einem sprichwörtlich „kurzen Prozess“; vielleicht ist es in psychologischer Hinsicht auch einfacher, jemanden zu bestrafen, dessen Täterschaft durch das eigene Geständnis „einwandfrei“ feststeht und nicht nur aufgrund der gerichtsbekannt irrtumsanfälligen Würdigung von Indizien und Beweismitteln. Der Verteidiger darf sich deshalb bei Richtern, die er nicht kennt und nicht einzuschätzen vermag, nicht etwa durch mehr oder weniger deutliche Versprechungen ködern lassen („diese Kammer weiß ein Geständnis stets zu würdigen“[!]) und der naheliegenden Versuchung erliegen, durch eine „weiche“ Verteidigungslinie die Milde des Gerichts einhandeln zu wollen.
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Es ist nützlich, sich über Eigenarten und Besonderheiten von Richtern zu erkundigen, mit denen der Verteidiger noch nicht zu tun hatte.[26]