Vertrackte Affären - Günter Kunert - E-Book

Vertrackte Affären E-Book

Günter Kunert

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Beschreibung

Erzählen, das heißt für Günter Kunert, dem Leser die Wahrheit zumuten. Seine pointierten, bösartigen und immer ungeheuer komischen Geschichten halten der menschlichen Spezies einen Spiegel vor, in dem diese sich nicht immer gern erkennt. In seinen Geschichten aus Ost und West, von gestern und morgen, erzählt er vom Alltäglichen und vom Ungewöhnlichen – und vom Ungewöhnlichen im Alltäglichen. „Günter Kunert ist ein bemerkenswert bissiger Chronist, der das Ungeheuerliche nicht übersieht, sondern es benennt“, so charakterisierte ihn das Deutschlandradio. Für die deutschsprachige Literatur der Gegenwart ist dieser Erzähler unverzichtbar.

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Seitenzahl: 282

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Über das Buch

Erzählen, das heißt für Günter Kunert, dem Leser die Wahrheit zuzumuten. In seinen Geschichten aus Ost und West, von gestern und morgen, erzählt er vom Alltäglichen und vom Ungewöhnlichen – und vom Ungewöhnlichen im Alltäglichen. »Günter Kunert ist ein bemerkenswert bissiger Chronist, der das Ungeheuerliche nicht übersieht, sondern es benennt«, so charakterisierte es das Deutschlandradio.

Günter Kunert ist einer der ganz großen Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur, und auch mit über achtzig Jahren erweist er sich »als Meister des wachen Denkens und der knappen, treffenden Sprache, die ihn seit je ausgezeichnet haben« (NZZ am Sonntag). Für die Gegenwart ist dieser Erzähler unverzichtbar.

Hanser E-Book

Günter Kunert

Vertrackte Affären

Geschichten

Herausgegeben vonHubert Witt

Carl Hanser Verlag

ISBN 978-3-446-25200-4

© 2016 Carl Hanser Verlag München

Umschlag: Peter-Andreas Hassiepen, München

Bild: Fritz Schwegler, EN 9663© VG Bild-Kunst, Bonn 2015

Satz: Greiner & Reichel, Köln

Unser gesamtes lieferbares Programm und viele andere Informationen finden Sie unter www.hanser-literaturverlage.de

Erfahren Sie mehr über uns und unsere Autoren auf www.facebook.com/HanserLiteraturverlage oder folgen Sie uns auf Twitter: www.twitter.com/hanserliteratur

Datenkonvertierung E-Book: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Für Erika,die Ungeduldige

Abschied ist arm an Worten

Regiert der Imperativ als triviale Kurzformel (»Das war’s!«) den Rest des Lebens, das sich resigniert oder niedergeschlagen solcher Formel unterwirft? Oder widersetzt es sich der trostlosen Feststellung, indem es sie zur Frage auflockert: Das soll’s gewesen sein? Wie immer man die eigene, ausklingende Gegenwärtigkeit betrachten mag, Grund zur Freude bietet sie kaum. Und kommt als Steigerung der Trübsal eine bedrückende Umgebung hinzu, dann sehnt man sich an die vormaligen Stationen seines Daseins zurück, selbst wenn diese Gefahren enthielten.

So wie allen Leuten in ähnlicher Situation erging es Herrn O. in seinem Heimatort, einem Sammelsurium halb verfallener Häuser, durchweht von Menschenleere und Gestank aus offenen Abwasserrinnen beidseits holpriger Bürgersteige. Je länger seine Heimkehr zurücklag, desto häufiger kamen ihm die überstandenen Leiden wie unterhaltsame Abenteuer vor. Mit den einsamer werdenden Jahren war für O. die Langeweile zu einer schwer ertragbaren Last geworden, zum Taedium vitae, das zum Gedankenspiel mit dem Suizid einlud. Wenn er sich, aus dem schmutzigen Gasthaus vom Essen kommend, träge nach Hause begab, von einem halben Liter Wein sowohl angeregt wie leicht umnebelt, sehnte er sich nach den Schrecknissen seiner unverwechselbaren Vergangenheit. Waren die Tod verheißenden Bedrohungen nicht doch besser, das heißt, vitalisierender gewesen als dieser triste Alltag, von dem man keineswegs behaupten konnte, er sei die Krönung eines außerordentlichen Lebens gewesen, gar der Lohn für eine allgemein als »gewaltig« anerkannte Karriere?

Deren Gestalten meldeten sich bei beginnendem Mittagsschlaf in O.’s Kopf, insbesondere dieser gewaltige Einäugige, dem es das Auge auszustoßen galt, oh, welch Geschrei und Gebrüll, Entsetzen und Flucht, Angst und Triumph, als man, gemeinsam mit den Kameraden entronnen, die tobende Gestalt hinter dem Horizont verschwinden sah. Ob er noch leben mag, fragte sich Herr O. eindämmernd, und die Zauberin, na, wie hieß sie bloß noch, so was traf man nicht alle Tage, hoho, oho, da war was dran gewesen, beim Zeus, mit einem Wort »orgiastische« Monate damals, und er selber in seiner Blüte auf dem schaumumkränzten winzigen Eiland.

Und im Traume gar befiel ihn ein tränentreibendes Bedauern, dass er mit den Freiern, mit den geilen Hausfreunden seiner Frau Tabula rasa gemacht hatte. Nun fehlten sie ihm zum Zeitvertreib. Ohne Feinde ist das Leben ebenso stumpf wie ohne Freunde! Arm dran, wer nichts besitzt außer archiviertem Ruhm: magere Kost, die nicht mehr die Seele sättigt.

Als er erwachte, lauschte er einem Geräusch nach, etwas wie verklingende Schritte, als hätte ihn jemand während seines Schlafes besucht: hallte nicht auch noch in seinem Ohr ein Klirren wie von Schild und Lanze, ein Eulenruf oder dergleichen? Solch ein Gefühl, im Zustand schnarchender Bewusstlosigkeit visitiert worden zu sein, befiel ihn oftmals, und obwohl er sich stets vornahm, gleich nach dem Erwachen aufzuspringen und eilig zur Tür zu rennen, noch den Schatten des Gastes zu erhaschen, blieb er doch immer auf der Matratze liegen, zu lethargisch, die Absicht auszuführen. Insofern war es eigentlich ein Wunder, dass er eines Tages, als ein Bus, ein mobiles Reisebüro von »Olympic Airways« im Ort hielt, stehenblieb, sogar eintrat – anfänglich nur aus Unterhaltungsbedürfnis, und sich nach einer Tour zur Insel Malta erkundigte. Zufällig gab es preisgünstige Flüge, inklusive Mietwagen, und wenn Herr O. hinterher auch davon überzeugt war, der halbe Liter Wein beim Essen habe Mitschuld an seiner Unterschrift auf dem Vertrag, so musste er sich doch eine wachsende Neugier eingestehen.

Seine Erinnerungen färbten das Gestern immer bunter, schufen immer betäubendere Szenen, und nicht nur vor oder nach dem Mittagsschlaf, sondern auch, wenn er mitten in der Nacht aufschreckte und nicht wieder einschlafen konnte, euphorisiert von seinen Phantasien. Wenig später fand er sich in Valletta wieder, einer durchwindeten Hafenstadt, von wo aus die Autofähren nach Gozo abgingen, hin zu jenem Stück Fels in den verschmutzten Fluten »seines« Meeres, wie er es bei sich nannte. In weniger als einer Stunde schob sich der schwerfällige Eisenkasten an die Reede. Herr O. hatte die ganze Überfahrt an Deck verbracht, und als fern die ersten düsteren Zacken auftauchten, wurde ihm wunderlich zumute, obwohl keine Wiedererkennungsgewissheit sich einstellte. Graues Gestein wie einst, doch jetzt seltsam verheißungsvoll. Erhöhte Pulsfrequenz beim Anblick. Beim Näherkommen wirkten die salzwasserzerfressenen Uferbrocken wieder fremder, obschon sie sich ja seit seinem letzten Aufenthalt kaum verändert haben dürften.

Dann: von der Fähre über verölten Beton und hinaus auf die asphaltierte Straße, von der hier und da primitive Schotterwege abrupt in die Ödnis abbogen. Obgleich Herr O. fast im Schneckentempo dahinrollte, aufgeregt nach den Seiten auslugend, deckte sich nichts von der Umgebung mit der Landschaft in seinem Gedächtnis, und doch musste es der Platz sein, an dem er sich jahrelang aufgehalten hatte. Und hätte nicht an einem offensichtlich morschen Pfahl ein handgemaltes, schon ausgeblichenes Schild mit der englischen Aufschrift »Circe’s Cavern« und einem plumpen, weisenden Pfeil gehangen, er von sich aus hätte sich überhaupt nicht zurechtgefunden.

Zum Glück (und daher vermutlich so billig) war er hier in der Nachsaison eingetroffen, so dass der Mangel an Touristen es ihm erlaubte, direkt vor dem Höhleneingang zu parken. Kaum ausgestiegen, musterte er bewegt die Verlassenheit ringsum.

Hatten da nicht früher Ölbäume gestanden? Vögel genistet? Ziegen an Halmen geknabbert? Neben dem übermannshohen, mit Zement zu einem ungeschickten Rundbogen zusammengeschmierten Eingang rottete eine entfärbte, hölzerne Kabine vor sich hin; kaum leserlich das Wort »Kasse«, das Glas des für den Kartenverkauf vorgesehenen Fensters gesprungen und mit Klebestreifen gesichert. Alles wie ausgestorben, bis Herr O. einen Schatten in dem kistenartigen Gehäuse wahrnahm. Gleich darauf klappte die Brettertür auf und stieß dumpf an die Seitenwand: der Schatten materialisierte sich beim Heraustreten, wurde zu einer rundlichen, untersetzten Gestalt, weiblich, brünett, in ein Gewand gehüllt, das eine Toga kopieren sollte, aber kürzer war und ein erstaunlich strammes Bein bis zum Knie sehen ließ. In der Hand hielt die Materialisation ein Ticket und einen bunten Prospekt und brachte beides, nebst einem freundlich-routinierten Lächeln, dem Besucher entgegen.

War sie es? Sie war es doch – oder? Oder war sie es etwa nicht? Voller Unsicherheit und Ungewissheit, dennoch von seinen Affekten überrumpelt, hob O. die Arme und rief: »Kirke! Ich bin es! Kennst du mich nicht mehr?« Sie ließ die Objekte ihres ärmlichen Geschäftes fallen und erwiderte strahlend und im gleichen hohen Ton: »Du bist wiedergekommen! Ich habe es gewusst! Wie ich mich freue, Philemos!« Worauf sie ihn energisch umarmte, so dass er ihren kaum zu leugnenden vorgewölbten Bauch, an den er sich nicht erinnerte, wie eingepasst in seiner Magengrube spürte. Er war enttäuscht, und es war ihm etwas peinlich, sagen zu müssen: »Nein, nein – ich bin nicht Philemos …« Doch ehe er seinen Namen nennen konnte, jauchzte sie frisch drauflos: »Ja, ja – jetzt erst erkenne ich dich! Du bist … Du bist mein …« Sie zögerte, und das tat ihm leid, einerseits seinetwegen, denn er hatte immer gemeint, den feuermetaphorisch bezeichneten »unauslöschlichen Eindruck« zurückgelassen zu haben, was sich mit großer Verspätung als Irrtum herausstellte, andererseits ihretwegen, denn ganz offenkundig zeigte ihr Gedächtnis schon Alterslücken. Oder, so ein unerwartet folgender Verdacht: waren nach seiner Abreise noch derart viele männliche Gäste bei ihr gewesen, dass sie die Übersicht verloren hatte? Freilich: ihr Vorwürfe zu machen, wär er nicht berechtigt, und so gab er sich zu erkennen, was ihm diverse Küsse auf Wangen und Mund eintrug und den Anhauch einer reichlich mit Knoblauch gewürzten, vergangenen Mahlzeit.

»Dass ich dich noch einmal wiedersehe …« sprach sie, in die Hände klatschend wie ein Kind, dem ein prächtiges Geschenk gemacht ward. Mit dem Ringfinger der Rechten machte sie eine Geste, als wische sie etwas Sekret aus den Augenwinkeln.

»Komm, komm, mein Lieber … Komm in meine Höhle …«

Schweigend ließ er sich führen, stolperte über eine ebenfalls hässlich zementierte, teils schon wieder zerbröckelte Schwelle, wobei ihm nicht mehr einfiel als »Du wohnst also noch immer hier …?«

Drinnen betätigte sie einen Schalter, und eine Reihe schirmloser Glühbirnen, von unterschiedlicher Watt-Zahl, wie er gleich bemerkte, bemühte sich vergebens, den von unzähligen Besucherschuhen geglätteten Boden auch nur ahnen zu lassen. An den Stalagmiten und Stalagtiten blinkte hier und da unerwartet ein Kristall auf, da die locker baumelnden Birnen durch den Luftzug in Schwingung gerieten.

»Du übernachtest natürlich bei mir!« hörte O. ihre Stimme aus der Düsternis, geblendet von den grellen Lichtern, und sogleich glaubte er, ihre Bauchwölbung an seinem Körper zu verspüren. Ehe er zur Antwort ansetzen konnte, folgte im nüchternen Ton: »Möchtest du Kaffee? Oder Tee? Wein? Alles vorhanden … Wie in alten Zeiten …«, doch wenn er etwas genau wusste, so die Tatsache, dass damals weder Tee noch Kaffee in dieser Höhle, falls es die echte war, ausgeschenkt wurde. Sie machte sich an einem kleinen Beistellherd zu schaffen, neben dem gefährlich nah die rote Kuppel des Butan-Gasbehälters glänzte. Herr O. nahm mehr akustisch denn optisch wahr, wie seine Gastgeberin mit Geschirr hantierte, indessen er eine plötzliche Müdigkeit empfand, wie nach einer schweren Arbeit. Seine Beine drohten den Körper nicht mehr zu tragen, so dass er, ohne um Erlaubnis zu bitten, auf der Lagerstätte Platz nahm: eine einfache Matratze mit einem Deckengewirr zu seinen Füßen. Die Anstrengung der Reise, der Abfall der inneren Spannung, die Erleichterung, angekommen zu sein, alles überwältigte ihn. Es bedeutete schon Mühe, den Arm zu heben und die Tasse Kaffee (oder Tee: der Geschmack ließ keine Identifizierung zu) in Empfang zu nehmen. Hoffentlich kein Zaubertrank, dachte er flüchtig.

»Weißt du noch?!« mit dieser Beschwörung hebt jeder Abstieg in den Hades des Gestern an, und auch Herr O. eröffnete das Gespräch mit diesem Spruch. Er redete über seine Gefährten, die zu Schweinen geworden seien, sich wie Schweine benommen hätten, ja tatsächlich als Schweine umhergegrunzt und sich gesuhlt und geschubbert, und die Gastgeberin bekicherte heftig seine Gedächtnisleistung, wobei er sich fragte, ob ihrer beider Vorstellungen die gleichen wären. Vielleicht hatte sie das alles schon vergessen, weil es zu lange her war, und er trank aus Höflichkeit eine zweite Tasse, ohne dadurch munterer zu werden. Im Gegenteil, die Lider schlossen sich willenlos, die kichernde Stimme klang leiser und leiser, bis er überhaupt nichts mehr vernahm und nicht merkte, wie er sacht zur Seite sank, auf die zerknäulten, von der Höhlenluft klammen Decken.

Wenig später suchte ihn ein Traum heim, auf den er sich nach dem Aufwachen am nächsten Morgen deutlich erinnerte. Er hatte nämlich geträumt, dass er da, wo er lag, eingeschlafen sei und dann nachts aufgewacht, weil auf seinem rechten Arm und diesen einklemmend, ein schweres Gewicht ruhte. Blind von der völligen Finsternis wie ein Grottenolm tastete er vorsichtig mit bebenden Fingerspitzen, wie er träumte, den Gegenstand ab, der sich so eng an ihn drängte. Er berührte etwas Glattes, Weiches, Strammes, dessen Temperatur der seinen nahezu gleich war, und das ihn, wofür er sich jetzt genierte, zu fleischlichem Verlangen veranlasste. Er berührte eine Haut, schmiegsam, doch etwas fettig wie eingesalbt, und presste seinen eigenen Körper dichter an die reglose Masse. Plötzlich geschah es: er ließ sich hinreißen, und schon nach einigen zuckenden Bewegungen wurde ihm Befriedigung zuteil. Er atmete schwer aus, bevor er träumte, dass er erneut einschlief und dabei überlegte, wie seltsam es eigentlich sei, von einem Traum zu träumen. Er führte diese Verschachtelung von »realem« Traum, wenn man das so nennen konnte, mit einem fiktiven auf die besondere Atmosphäre zurück, auf das Erlebnis einer Rückkehr in seine festgelegte Biografie – was ja auch so etwas wie eine Duplizität war, eine phasenverschobene Wiederholung.

Herr O. hockte auf der Decke zwischen der Gestalt am Herd und dem lockenden Sonnenlicht vor dem Höhleneingang, dessen Abglanz die Düsternis des Felsengemaches aufheiterte, und überlegte, ob er der ihm fremd gewordenen Frau von seinem Traum erzählen solle, oder ob sie das möglicherweise für eine Aufforderung zum faktischen Nachvollzug halten würde. Er war sich nicht sicher, ob es ihn danach gelüstete. Ob es sich überhaupt wiederholen ließe, was zwischen ihnen gewesen war. Ob es nicht besser war, die Erinnerungsbilder zu bewahren, statt sie durch einen läppischen Akt zu überlagern.

Er nahm den ihm gereichten Kaffee (oder Tee) dankbar entgegen, doch ehe er noch von seinem Traum anzuheben vermochte, wurde ihm eine Mitteilung gemacht, die ihn verstörte.

»Ich hatte vergessen, dich vorzubereiten, mein Freund, aber sie läuft draußen frei herum, sucht sich ihre Nahrung und kommt auch manchmal herein, wenn es ihr zu kalt wird, dann verlangt es sie nach menschlicher Nähe … Darum schlafe ich auch dahinten …« Und die Gastgeberin wies hinter sich ins Halbdunkel, wo nun eine schlaff baumelnde Hängematte hing. Herr O. begriff nicht, auf wen sich die Erklärung bezog; sein Ausdruck von Verständnislosigkeit wandelte sich in Betroffenheit, als er erfuhr, wer die Streunerin sei: eine ausgewachsene Sau, aber noch nicht gänzlich schlachtreif, die die Gastgeberin nebenbei aufzog, ihren Lebensunterhalt aufzubessern. Das Tier, und sie sagte sogar wörtlich »das gute Tier«, sei so zahm, und es habe so friedlich neben ihm geschlummert, dass sie weder ihn noch das gute Tier habe wecken wollen.

»Also«, schloss sie ihre Erläuterung, »warum trinkst du nicht in Ruhe deinen Tee, mein guter Xylandros?« Doch dem so fälschlich Angesprochenen war nicht nur der Durst, es war ihm auch die Lust zur Namenskorrektur vergangen. Vergeblich forschte er in den jetzt nur noch bruchstückhaft vorhandenen Traumresten nach einem Hinweis auf ein wirkliches Geschehen, vor dem es ihn bei wachem Bewusstsein gegraust hätte. Er hoffte inständig, dass der Körperkontakt mit dem Geschöpf bloß einen Traum bewirkt habe und nichts weiter. Als er die Sprache wiederfand, konnte er nur sagen: »Wie spät ist es? Ich darf die Fähre nicht versäumen …« Denn es trieb ihn nun, so schnell wie es ging, diese bedenkliche Stätte, den Ort einer von allen Göttern verfluchten Tat, einer ihm hinterlistig angetanen, ihm nicht bewusst gewordenen Schmach zu verlassen – wenn denn sein Traum keiner gewesen war.

Er brachte das lauwarme Getränk nicht über die Lippen, rappelte sich mühsam hoch und schritt steifbeinig nach draußen, gefolgt von der Schweinehirtin, die ihn zum Bleiben bewegen wollte. Als sie einsehen musste, dass ihn kein Bitten, keine einladende Andeutung aufhielte, eilte sie, bevor er in den Wagen stieg, zu ihrer Kassenbude und kam mit dem Prospekt »Gozo and Circe’s Cavern« zurück. Lächelnd reichte sie ihm das Faltblatt, das er hastig in seine Jackentasche schob. Dann zwängte er sich auf den Fahrersitz. Doch ehe er die Tür zuschlagen konnte, beugte sie sich zu ihm nieder und sagte:

»Ein Pfund zwanzig, mein Lieber Eutomos …« Herr O. wühlte in seiner Tasche, fand einen Schein, den er ihr in die Hand drückte, die sich unerwartet um seine schloss:

»Ich danke dir, dass du mich nicht vergessen hast. Komm bald wieder …« raunte sie ihm zu. Er zögerte, seine Hand zurückzuziehen, schuldig, wie er sich fühlte, weil er sie jetzt einfach verließ, grundlos in ihren Augen, zum zweiten Mal aufgegeben, wissend, er würde sie und die Insel niemals mehr wiedersehen. Endgültige Abschiede sind immer wortarm.

Zwar wollte Herr O. ein, zwei Sekunden lang aus dem Wagen steigen, aber dann betätigte er den Zündschlüssel, gab Gas und fuhr rascher werdend auf und davon. Zu einem Blick in den Rückspiegel fehlte ihm der Mut. Es wäre ja auch nichts weiter zu sehen gewesen als eine ältere, rundliche Frau, die ihm nachwinkte.

An der Anlegestelle im Hafen war er der erste Passagier: viel Zeit zum Nachdenken, wie er meinte, doch seine Gedanken verflüchtigten sich haltlos, auch die Intensität des Traumes ließ nach, und am Ende kam ihm der Verdacht, sein Ausflug zu einem Punkt seiner berühmten Lebensbeschreibung sei doch eine Art Entdeckungsreise gewesen zu der Nichtigkeit seines eigentlichen Ursprungs.

1992

Olympia

Stets, wenn sie nicht weiterwusste, sagte ihre etwas blecherne Stimme: »Frag mich was anderes!« Oder: »Wiederhole deine Frage in anderer Formulierung!« Manchmal machte ich mir einen Spaß daraus, sie mittels semantischer Kniffe, der changierenden Bedeutung von Wörtern in Verlegenheit – oder wie man das bei ihr nennen mochte – zu bringen, so dass sie einfach aussetzte. Der Spaß hielt jedoch nie lange vor, da ich ihr ja anschließend wieder die Sicherung einsetzen musste. Direkt über ihrem Gesäß und etwas tiefer in der konvexen Wölbung des Rückens befand sich, geschützt durch eine fleischfarbene Klappe, jene Stelle: Hatte ich die herausgesprungenen roten Knöpfe hineingedrückt, pflegte ich die Klappe sanft zu schließen, wobei ich sie immer dasselbe fragte:

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