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Die Geburt ist der Anfang des Lebens und weit mehr als der rein physiologische Geburtsvorgang. Für eine entspannte und vertrauensvolle Geburt ist das innere Wissen um die eigenen Kraftquellen entscheidend, sowie sichere Räume und eine Begleitung, die unterstützt, ohne einzuengen oder zu ängstigen. Der Chefarzt Dr. med. Wolf Lütje kennt aus 30 Jahren Erfahrung in der Geburtshilfe die Vorteile einer natürlichen Geburt für Mutter und Kind und warnt vor einer Überbetonung der Risiken. Stattdessen macht er Frauen und ihren Partnern Mut, stärkt sie in ihrer Kraft und führt sie weg von der Angst hin zu Vertrauen, Liebe und Glück.
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Seitenzahl: 162
Über das Buch
Die natürliche Geburt, ohne medizinische Intervention, ist ein essenzieller Vorgang mit vielen Vorteilen für Mutter und Kind. Doch die Risiken werden dabei oft überbetont. Dieses Buch macht Schwangeren und ihren Partnern Mut und nimmt ihnen die Angst vor den Schmerzen und dem Unkontrollierbaren.
Der renommierte Chefarzt Dr. med. Wolf Lütje
• klärt über die Kraftquellen auf, die in jeder Schwangeren liegen,
• beschreibt, wie eine sichere Umgebung aussieht, in der sich Gebärende gut aufgehoben fühlen,
• zeigt, wie Geburtsbegleitung wirklich hilft,ohne einzuengen oder zu ängstigen.
Eine große Unterstützung, um die Geburt zu einem gelungenen Lebensanfang für Ihr Kind zu machen.
Wolf Lütje
Vertrauen in die natürliche Geburt
Gelassen und entspannt in den Kreißsaal
Unter Mitarbeit von Theresia Maria de Jong
Kösel
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Copyright © 2016 Kösel-Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlag: Weiss Werkstatt, München
Umschlagmotiv: © plainpicture / Cultura / Emma Kim
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-18493-3V001
www.koesel.de
Für all die Frauen,welche mir Mann die Augen und den Sinn für die Geburt geöffnet haben.
Inhalt
Vorwort
Die Geburt – eine Kraftquelle für Mutter und Kind
Die Weisheit des Körpers bei der Geburt
Vertrauen und Hingabe: Wie die Angst überwunden werden kann
Die abwartende Gelassenheit oder der positiven Überraschung die Tür öffnen
Was Ihre eigene Geburtsgeschichte mit der Geburt Ihres Babys zu tun hat
Was das Körpergedächtnis alles speichert
Lieben, was IST – die Heilung eigener Wunden
Wie eine geglückte Bindung einen Schutzraum für das ganze Leben gibt
Eine Entscheidungshilfe: Klinik, Geburtshaus oder Hausgeburt
Die Geburt zu Hause
Die Geburt im Geburtshaus
Die Geburt in der Klinik
Damit es keinen Schnitt im Leben gibt – Sinn und Unsinn des Kaiserschnittes
Welche Gründe gibt es für einen Kaiserschnitt?
Warum der Kreißsaal zum Hochsicherheitstrakt werden kann
Risiken, Nebenwirkungen und Folgen für Mutter, Kind und Gesellschaft
Gibt es einen »sanften« Kaiserschnitt?
Wie Ihr Baby die Geburt erlebt
Im Vorraum zur Welt – Schwangerschaft von innen betrachtet
Willkommen im Leben – Geburt als Übergang
Wie es eine gute und glückliche Geburt werden kann
Den Reservetank gut füllen
Dem Körpergefühl vertrauen
Das Bauchgefühl wieder beleben – unser sechster Sinn
Ambivalenzen zulassen und aushalten
Die Stimme als Unterstützung nutzen (singen und tönen)
Den Schmerz umarmen lernen
Unterstützende Geburtspositionen
Geburt im Wasser: fließen und fließen lassen
Leben ist Rhythmus – so wie die Wehen
Auf eine gute Begleitung kommt es an
Eine Geburt ist intim und privat
Wenn aus Männern Väter werden – und wie sie die Geburt begleiten können
Eine friedliche Geburt für eine friedliche Gesellschaft
Quellenangaben
Hilfreiche Adressen
Vorwort
Eine Geburt ist mehr als der rein physiologische Geburtsvorgang. Die Geburt ist der Anfang des Lebens und als solcher prägend für den gesamten weiteren Weg eines Menschen.
Grundsätzlich sollte die Geburt als Willkommensgruß verstanden und gefeiert werden. Damit dies möglich ist, braucht es für die Gebärende eine sichere Umgebung, in der sie sich fallen lassen kann. Es braucht ein Wissen um die eigenen Kraftquellen und eine Begleitung, die unterstützt, ohne einzuengen oder zu ängstigen.
Heutzutage wird von schwangeren Frauen vielfach der Wunsch nach einem Kaiserschnitt geäußert. Neben einer Angst vor den Schmerzen und dem Unkontrollierbaren besteht der Grund dafür häufig darin, dass die Risiken einer natürlichen Geburt überbetont werden. Wer seinem Kind einen guten Start ins Leben ermöglichen möchte, sollte den Kaiserschnitt nur für den Notfall aufheben.
Dieses Buch will Frauen und ihren Partnern Mut machen, sich auf eine natürliche Geburt einzulassen. Es möchte die Vorteile einer natürlichen Geburt für Mutter und Kind verdeutlichen und gleichzeitig aufzeigen, welche Folgen ein Kaiserschnitt haben kann.
Dr. med. Wolf Lütje
Hamburg, im Juni 2016
Über die Geduld
Man muss den Dingen
die eigene, stille
ungestörte Entwicklung lassen,
die tief von innen kommt
und durch nichts gedrängt
oder beschleunigt werden kann,
alles ist austragen – und
dann gebären.
Reifen wie der Baum,
der seine Säfte nicht drängt
und getrost in den Stürmen des Frühlings steht
ohne Angst,
dass dahinter kein Sommer
kommen könnte.
Er kommt doch!
Aber er kommt nur zu den Geduldigen,
die da sind, als ob die Ewigkeit vor ihnen läge,
so sorglos, still und weit …
Man muss Geduld haben
Mit dem Ungelösten im Herzen,
und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,
wie verschlossene Stuben,
und wie Bücher, die in einer
sehr fremden Sprache geschrieben sind.
Es handelt sich darum, alles zu leben.
Wenn man die Fragen lebt,
lebt man vielleicht allmählich,
ohne es zu merken,
eines fremden Tages
in die Antworten hinein.
Aus: Rainer Maria Rilke, »Briefe an einen jungen Dichter«
Die Geburt – eine Kraftquelle für Mutter und Kind
Geburt ist ein Bauchthema. Und zwar im doppelten Sinn. Unser »Bauchhirn« weiß oft mehr als unser »Kopfhirn«, und es gibt ein Wissen des Körpers, das gerade bei der Geburt ungemein nützlich ist. Doch unser Körper spricht seine ganz eigene Sprache. Diese wird in unserer technisierten Alltagswelt kaum noch wahrgenommen und verstanden. Heutzutage hört man eher auf die Botschaften von Laborberichten, Ultraschall und anderer Diagnostik – und das, obwohl es nach wie vor der Körper der Frau ist, der für die Geburt zuständig ist. Seit Jahrtausenden gebären Frauen Kinder. Die Menschheit hätte nicht überlebt, hätten die Körper dieser Frauen nicht gewusst, was zu tun ist. Wie vertraut sind Frauen heute mit der Sprache ihres Körpers? Es würde sich lohnen, ihn schon lange vor einer Schwangerschaft verstehen zu lernen, um bei einer Geburt auf seine Weisheit zurückgreifen zu können.
Bei der Geburtsvorbereitung geht es heute fast ausschließlich um Wissensvermittlung. Über jede Phase der Schwangerschaft lässt sich etwas nachlesen, für alles gibt es Hinweise, alles scheint verstanden, geregelt und kontrolliert zu sein. Vernachlässigt wird dabei allerdings das persönliche Wissen der Generationen von Frauen, die geboren haben. Dieses kollektive Unbewusste wird nicht mehr gefüttert und nur noch selten abgerufen. Die Hälfte der Frauen weiß fast nichts über ihre eigene Geburt, geschweige denn über die Geburt der Mutter. Das Wissen rund um den Kaiserschnitt und die PDA, kurz um Interventionen, wird dagegen immer größer.
Es gab eine Zeit, da hörten Schwangere von ihren Müttern Sätze wie diese: »Die Wehen, die Geburt, sind wie ein Sturm. Du wirst ihn überstehen. Lass ihn über dich herziehen, er geht vorbei. Und glaub mir: Du wirst dadurch nur noch stärker. Danach bist du gut gewappnet für den wahren Sturm in deinem Leben: dein Kind!«
Bei der Geburt erlebt man tatsächlich wie im Zeitraffer, was es heißt, ein Kind zu haben. Sie bereitet auf eine anstrengende Zeit vor – sie ist sozusagen das Vorspiel für eine Phase völliger Anpassung und Hingabe, fern von Perfektionismus und Kontrolle. Die Geburt kann auch als lebenslange Ressource dienen, wenn sie selbstbestimmt erlebt wurde. Eine Frau, die den Sturm der Geburt gemeistert hat, hat ein Wissen um ihre Kraft, das sie durch alle anderen schwierigen Lebenssituationen tragen kann – für das Kind gilt übrigens das Gleiche.
Die Zeit der (neuen) Elternschaft ist eine Zeit der Veränderung und der Bereitschaft dazu. Nie sind Menschen so empfänglich für Fragen der Gesundheit, der Pädagogik und der Rollenadaption wie in den ersten Monaten und Jahren als Eltern. Schwangerschaft ist die erfolgreichste Suchtprävention und -behandlung: weniger Zigaretten, Alkohol, Kaffee und andere Drogen, keine Medikamente. Gebrauchsanweisungen aller Art werden abgeheftet, und auf den Nachttischen von Eltern und solchen, die es werden, stapeln sich Ratgeber und Internetausdrucke. Männer mutieren durch ihre Vaterschaft zu einer ganz neuen Spezies und hören zu wie sonst nie.
Physisch wie körperlich ist die Geburt ohne Frage eine der größten Herausforderungen, die man sich vorstellen kann. Die Sehnsucht, diesen Akt gerade deswegen möglichst sanft zu gestalten, ist ebenso verständlich wie schwer erfüllbar. Gebären ist und bleibt anstrengend. Das kann und soll man nicht schönreden. Doch anstrengend heißt nicht automatisch belastend, überfordernd und kränkend. Auch eine Bergtour ist anstrengend. Unter dem Gesichtspunkt des Lohns für die Anstrengung sieht die Bilanz für eine Geburt aber besser aus – so viel Glück und Erfüllung gibt es nur selten im Leben. Natürlich werden Sie einwenden, dass man auch mit einer Seilbahn auf einen Berggipfel kommen kann. Das ist richtig und für Menschen, die nicht laufen können oder schon erschöpft sind, sicher eine gute Lösung. Das Glücksgefühl am Gipfel ist jedoch nach einer erfolgreichen Besteigung größer, als wenn man diese umgangen hat.
Verantwortlich für dieses Glücksgefühl sind Endorphine, Glücksbotenstoffe, die besonders nach Anstrengungen ausgeschüttet werden. Das ergibt auch biologisch betrachtet Sinn: Überleben war und ist anstrengend, da braucht es Belohnung. Bei einer Geburt sind es positive Emotionen wie Erfüllung, Stolz und Freude, die alles, was davor war, vergessen machen. Wir nennen das Mutterglück – Elternglück. Vielleicht ist es die unmittelbare Erfahrung und das Erleben des Wunders der Geburt. Die Tatsache, das Kind selbst »gebracht zu haben«, in einer Zeit der Fremdproduktion, in der alles ins Haus geliefert wird: aus der Steckdose, dem Internet und vom Tiefkühldienst. Eine Geburt ist da nicht nur ein ganz besonderes Erlebnis, es ist auch eines, das den Frauen vorbehalten ist. Männer gehen heute anders auf die Jagd, Frauen sammeln anders als früher, aber ihnen ist (noch) ein Merkmal in der Genderdiskussion geblieben, was sie unverwechselbar macht: die Fähigkeit zu gebären. Interessanterweise werden Frauen von Männern darum nicht beneidet, eher bemitleidet. Vielleicht ist das aber auch gut so, denn wenn Männer im Gebären eine erstrebenswerte Herausforderung sehen würden, hätten sie das auch noch irgendwie möglich gemacht. So aber bleibt es ein potenziell zutiefst weibliches Ermächtigungsritual.
In unserer Kultur wird es als normal angesehen, dass eine Geburt etwas Gefährliches ist und deshalb engmaschig überwacht werden muss. Auch wird vorausgesetzt, dass Frauen dazu Hilfe benötigen. Und zwar so viel, wie technisch machbar ist. Dies ist eher eine männliche Sicht auf die Dinge, die im Übrigen auch nach hinten losgehen kann. Natürlich können Geburtsinterventionen im Notfall ein Segen sein, doch bei einer normalen Geburt können sie verhindern, dass Frauen das Potenzial ihrer ureigenen Kraft ausschöpfen. Die Überzeugung, dass Frauen unter der Geburt möglichst viel Hilfe benötigen, baut auf einem Frauenbild auf, das der weiblichen Kraft nicht gerecht wird. Eine Geburt rührt allerdings auch an die tiefsten kollektiven, oft unbewussten Ängste. In jeder Ahnenreihe sind in der Vergangenheit Babys oder Mütter unter der Geburt gestorben. Diese kulturelle Angst vor der Geburt verstärkt das individuelle Geburtstraumata. Doch dazu später mehr.
Was bei all dieser (Vor-)Sorge übersehen wird, ist die Tatsache, dass eine »gute« Geburt das Leben einer Mutter für immer verändern kann. Und damit auch das Leben des Kindes. Von einer innerlich starken Mutter wird es selbstverständlich profitieren. Abgesehen davon wird das Baby unter einer natürlichen Geburt mit der genau richtigen Dosis all der wichtigen Hormonen versorgt, die es für das Überleben außerhalb des Leibes der Mutter dringend braucht. Doch nicht nur für das Baby, auch für die Mutter sind diese Geburtshormone wichtig.
Die Weisheit des Körpers bei der Geburt
Der weibliche Körper ist darauf ausgerichtet, eine Geburt zu meistern. Bei einer gesunden Frau, die sich in Sicherheit dem natürlichen Geburtsvorgang hingeben kann, schützen körpereigene Botenstoffe und Opiate Mutter und Kind. Da diese Regelkreise jedoch extrem störanfällig sind, ist es wichtig, in die natürlichen Vorgänge so wenig wie möglich einzugreifen. Jeder Eingriff in ein in sich funktionierendes und hochkomplexes System zieht Veränderungen nach sich, die dazu führen können, dass die Selbstregulation zusammenbricht.
Das Mengenverhältnis und das Zusammenspiel der Geburtshormone haben einen wesentlichen Einfluss auf den Verlauf der Geburt. Diese Hormone werden im »archaischen« Gehirnstamm gebildet, dem alten »Säugerhirn«. Damit dieser ungestört arbeiten kann, ist es notwendig, Ablenkungen, die den Vorderhirnbereich (Sitz des analytischen Verstandes) aktivieren, möglichst gering zu halten. Die Gebärende muss die Möglichkeit haben, ihren eigenen »Geburtsplaneten« zu betreten. Auf diesem stellt sich ihr gesamtes Körpergeschehen darauf ein, ein Kind sicher auf die Welt zu bringen.
Folgende Hormongruppen sorgen unter der Geburt für einen guten Verlauf.
Oxytocin
Oxytocin wird auch als Liebeshormon bezeichnet. Es spielt überall da eine Rolle, wo es um Liebe, Bindung, Berührung und Lust geht und ist das Geburtshormon schlechthin. Im Zusammenhang mit einer Geburt von Lust zu sprechen, scheint zunächst befremdlich – aber das zeigt nur, wie weit wir uns von der Weisheit des Körpers abgekoppelt haben. Vielleicht sind die Gedanken meiner amerikanischen Kollegin Christiane Northrup ja ein Impuls, die Geburt anders zu sehen: »Viele Frauen beschreiben eine Geburt in natürlicher Umgebung als erotisch. Ina Mae Gaskin schreibt, Frauen müssten während einer Geburt wie Göttinnen behandelt werden. Anderswo habe ich die Auffassung gelesen, dass die Geburt die Krönung des Aktes der Liebe, der Empfängnis, der Schwangerschaft und schließlich der Wehen ist. Durch den Akt des Gebärens schließt sich der Kreis.«1
Oxytocin wird im Gehirn gebildet, aber schon kurz vor Beginn der Wehen setzt durch ein organspezifisches Oxytocinsystem die Ausschüttung des Hormons im Uterus selbst ein. In dieses uterine Oxytocin speist auch der Embryo Oxytocinvorstufen, die in seinen Nebennieren gebildet werden.
Oxytocin setzt die Wehentätigkeit in Gang, es sorgt für effektive Kontraktionen der glatten Muskulatur und senkt den Blutdruck. Unter der Geburt steigt die Oxytocinausschüttung im Körper der Gebärenden auf Spitzenwerte an. Und auch nach der Geburt spielt Oxytocin eine wichtige Rolle: Es regt die Plazentaablösung an und unterstützt den Aufbau der Mutter-Kind-Bindung. Mutter und Kind »verlieben« sich intensiv ineinander. Ein hoher Oxytocinspiegel fördert die Prolaktinproduktion und damit den Milchspendereflex. Bei jedem Stillvorgang erhöhen sich die Oxytocinwerte erneut. Sogar für die Paarbeziehung ist Oxytocin segensreich, denn es fördert auch die Bindung zwischen Sexualpartnern. Das ist in der ersten Zeit nach der Geburt durchaus hilfreich. Auch Väter, die sich um ihr Kind kümmern, und viel Hautkontakt mit diesem haben, produzieren vermehrt Oxytocin. Hohe Oxytocinwerte lassen Wunden schneller heilen und sie machen vergesslich. So können auch starke Geburtsschmerzen »vergessen« werden, was die Angst vor einer erneuten Schwangerschaft und Geburt senkt.
Adrenalin, Noradrenalin
Das Stresshormon Adrenalin regt die Muskeln an, sich zusammenzuziehen. In der Eröffnungsphase können dadurch der Blutdruck erhöht, und die Wehen geschwächt werden. In der Austreibungsphase jedoch kann Adrenalin dafür sorgen, dass der Austreibungsreflex erhöht wird. Gleichzeitig sorgt es dafür, den Schmerz besser ertragen zu können.2 Kurz bevor der Kopf des Babys heraustritt, gibt Adrenalin der Gebärenden einen enormen Kräftekick. Bei starker und steigender körperlicher und psychischer Belastung schüttet der Körper vermehrt Katecholamine (zu denen auch das Adrenalin gehört) aus. Diese sorgen wiederum dafür, dass die Endorphinproduktion (siehe unten) angekurbelt wird. Auch das Baby profitiert von der Adrenalindusche. Sie bewirkt, dass die Flüssigkeit in seinen Lungen besser abgeführt wird. Außerdem sind Mutter und Kind dadurch direkt nach der Geburt sehr wach – sie schauen sich in die Augen und dies fördert ihre Bindung. Den wachen und weisen Blick ihres Neugeborenen vergessen Eltern oft ein ganzes Leben lang nicht!
Endorphine
Endorphine können Menschen in andere Bewusstseinszustände, in eine Art von Trance versetzen. Sie beruhigen bei Angst und fördern Wohlgefühle, Euphorie und Befriedigung. Diese Glückshormone sind im Grunde körpereigene Opiate, also richtige, erstklassige Schmerzmittel, und hemmen auch die Aktivität des Neokortex, des rationalen Gehirnteils, sodass die Frau sich fallen lassen und sich dem Geburtsvorgang »überlassen« kann. Endorphine sind regelrechte Wunderhormone. Sie sind auch dafür verantwortlich, dass sich Frauen nach einer Geburt so zufrieden und erfüllt fühlen. Und auch sie begünstigen die Mutter-Kind-Bindung. Beim Stillen werden nämlich auch Endorphine ausgeschüttet, nicht nur Oxytocin. Diese Hormonflut hilft, die Strapazen der Geburt und der ersten Zeit mit einem Baby besser zu bewältigen.
Prostaglandin
Prostaglandin ist ein Gewebshormon, das unter der Geburt vermehrt ausgeschüttet wird und dafür sorgt, dass der Muttermund weich wird und sich öffnet. Es unterstützt ebenfalls die Wehentätigkeit positiv.
Prolaktin
Damit die Mutter bereit und in der Lage ist, sich nach der Geburt ganz und gar auf das Baby einzulassen und eigene Bedürfnisse hintanzustellen, gesellt sich noch ein weiteres Hormon hinzu: Prolaktin. Prolaktin unterstützt – gemeinsam mit dem Oxytocin – die Fähigkeit, Liebe zum Baby aufzubauen und zu halten – über alle Anstrengungen hinweg. Diese Hormone fördern mütterliches Verhalten, das heißt, die Bedürfnisse des Babys werden erkannt und haben für die Mutter oberste Priorität. Prolaktin setzt die Milchbildung in Gang und hält sie auch aufrecht. Auch wenn eine Mutter ihr Baby weinen hört (manchmal reicht sogar schon das Weinen eines anderen Babys), setzt dies Prolaktin frei und Milch tritt aus. Dieses Hormon ist auch dafür verantwortlich, dass der Schlaf der Mutter nur leicht ist, damit sie jedes Geräusch des Babys mitbekommt und es beschützen kann.
Ich meine, dass Frauen nach einer Geburt unerschütterbar werden können. Sie lernen mit all den Unwägbarkeiten des Lebens gut zurechtzukommen. Sie bekommen ein Repertoire an Bewältigungsstrategien geliefert, mit dem sie fast jede Lebenskrise meistern können. Und vielleicht ist gerade das der Sinn dieser unglaublichen Herausforderung, die sich Geburt nennt: befähigt zu werden, all das, was folgt, bewältigen zu können. Vielleicht sind Schmerz, Angst und Anstrengung die biopsychosozialen Fitmacher für eine kompetente Lebensbewältigung mit Kindern.
Die Länge einer Geburt lässt sich niemals im Vorfeld bestimmen. Es ist eben ein zutiefst individuelles Geschehen. Und jede Intervention löst wie gesagt eine Kaskade von Veränderungen aus, die ebenfalls niemals vorher absehbar sind. Es wäre ein Segen, die geschätzten Geburtszeiten von vorneherein zu verdoppeln. Denn nichts ist in dieser Situation ungünstiger als Ungeduld. Und manchmal ist auch ein kurzeitiger Stillstand sehr gewinnbringend. Es kann nämlich vorkommen, dass die natürliche Oxytocinproduktion irgendwann ausgereizt ist. Was dann geschieht, ist im Grunde ein Wunder. Alles schläft ein, auch die Wehen. Dies ist ein wunderbarer Zustand, denn es ist wie eine Erholungszeit vor dem Endspurt. Wenn in dieser Phase, um die Geburtsvorgänge wieder anzukurbeln, Oxytocin gespritzt wird, versetzt das die Gebärmutter in einen wahren Gewittersturm, den dann niemand mehr stoppen kann. Eine solche Situation kann zur vorzeitigen Ermüdung der Mutter führen. Deshalb: Abwarten ist eine der wichtigsten Tugenden eines Geburtshelfers und Geduld macht sich auf lange Sicht bezahlt. Zurückhaltung heißt nicht Tatenlosigkeit. Alles zur rechten Zeit im rechten Maß.
Vertrauen und Hingabe: Wie die Angst überwunden werden kann
Frau S. ist Angstpatientin und schon jahrzehntelang in Therapie. Sie glaubt, für ihre Vergehen in der Kindheit irgendwann einmal bestraft zu werden. Nun ist sie unerwartet mit Zwillingen schwanger. Sie geht fest davon aus, bei irgendeiner Komplikation rund um die Geburt zu sterben.
Im Rahmen einer Psychotherapie gelingt es, die Patientin so weit zu stabilisieren, dass sie die Schwangerschaft aushalten kann. Allerdings erlebt sie täglich mehrere Panikattacken, bei denen sie sich alle möglichen Horrorszenarien rund um die Geburt zusammenfantasiert. Dies lässt sich therapeutisch kaum auflösen. Glücklicherweise liegt eine völlig unkomplizierte Zwillingsschwangerschaft vor und paradoxerweise bessern sich Angst und Panik mit dem Auftreten der ersten Anzeichen für die anstehende Geburt. Frau S. bringt schließlich ohne Komplikationen zwei gesunde und reife Zwillinge normal zur Welt. Beide Kinder werden voll gestillt. Der Wochenbettverlauf ist komplett unauffällig.