Vertraute der Sehnsucht - Lara Adrian - E-Book

Vertraute der Sehnsucht E-Book

Lara Adrian

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Beschreibung

Zwanzig Jahre sind vergangen, seitdem der Orden der Vampire seinen größten Gegner besiegt hat. Doch die Welt ist in Aufruhr, und die Vampirkrieger finden keine Ruhe. Unter den Kämpfern ist auch Mira, die von den Ordensvampiren aufgezogen wurde. Ihr einziges Ziel ist es, den Tod eines geliebten Freundes zu rächen, und so stürzt sie sich in jede Schlacht wie eine zornige Furie. Doch eines Tages wird sie mit einer Wahrheit konfrontiert, die alles infrage stellt, wofür sie gekämpft hat ...

Der elfte Band der erfolgreichen Midnight Breed-Reihe von Bestseller-Autorin Lara Adrian

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Seitenzahl: 523

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LARA ADRIAN

VERTRAUTE DER

SEHNSUCHT

Roman

Ins Deutsche übertragen von

Katrin Kremmler und Lisa Kuppler

Inhalt

1

2

3

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5

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8

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Epilog

Danksagung

Impressum

TAGEBUCHEINTRÄGE

Aus dem geheimen historischen Archiv des Ordens

Washington, D. C., Hauptquartier

26. Dezember

Das Jahr spielt keine Rolle mehr, ebenso wenig wie das Datum. Angesichts dessen, was derzeit in der Welt passiert, nehme ich an, dass die Geschichtsschreibung fortan nur noch von einem Davor und einem Danach sprechen wird. Bevor die Menschheit von der Existenz der Vampire erfuhr und danach. Nach jenem unheilvollen Moment, als ein machtbesessener Vampir namens Dragos Hunderte der todbringendsten Stammesvampire – wilde, blutrünstige Rogues – befreite und jene eingekerkerten Monster auf eine arglose und gänzlich unvorbereitete Menschheit losließ. Noch während ich das hier schreibe, kann ich selbst kaum fassen, was ich mit eigenen Augen sehe.

Das Gemetzel ist unbeschreiblich. Die Panik beispiellos. Ich kann den Blick kaum abwenden von den Grausamkeiten in den Nachrichten oder im Internet, die uns hier in Maine, im vorläufigen Quartier des Ordens, unablässig erreichen. Ausnahmslos jeder Bericht zeigt schreiende Männer, Frauen und Kinder – hysterische Menschenmengen in dunklen Gassen auf ihrer panischen Flucht vor den tödlichen Verfolgern, die kein Einziger von ihnen abschütteln kann. Städte, die in Flammen aufgehen, verlassene, ausgebrannte Autos inmitten qualmender Ruinen, Geschützfeuer und schwelendes Elend. Wo man auch hinblickt, nichts als Blutvergießen und Mord.

Lucan und die übrigen Krieger des Ordens haben sich in Boston mobilisiert, um gegen die Gewalt vorzugehen, doch unsere Soldaten sind nicht mehr als ein Dutzend Stammesvampire, die gegen die Hundertschaften von Rogues antreten, die weltweit in die großen Städte strömen und diese regelrecht überschwemmen. Wenn endlich ein neuer Morgen anbricht und die Rogues zurück in die Schatten drängt, mag die Anzahl der Opfer weit in die Tausende gehen. Und der unweigerliche Schaden, der inmitten jenes blutigen Chaos‘ entstanden ist – ein tiefes Misstrauen zwischen Menschen und Vampiren – wird vielleicht niemals zu beheben sein.

Jahrhunderte der Verschwiegenheit und des Friedens, in einer einzigen Nacht zunichtegemacht …

345. Tag, N. E. M.

Fast ein Jahr ist seit der Ersten Morgendämmerung vergangen. So wird sie genannt – die Dämmerung jenes ersten Morgens nach den blutigen Angriffen der Rogues, welche die Welt für immer verändert haben. Die Erste Morgendämmerung. Was für ein hoffnungsvoller, unschuldiger Begriff für einen solchen Moment des Grauens. Doch das Verlangen nach Hoffnung ist verständlich. Es ist unerlässlich, solange die Wunden jener entsetzlichen Nacht und des ungewissen Morgens danach immer noch frisch sind.

Niemand versteht das Bedürfnis nach Hoffnung besser als der Orden. Die Krieger haben zwölf harte Monate lang gekämpft, um einen Anschein von Ruhe, einen Anschein von Frieden herzustellen. Dragos existiert nicht mehr. Die Rogues, die ihm als persönliche Massenvernichtungswaffen dienten, sind ihrerseits vernichtet. Die Monate des Blutvergießen und der Panik sind vorüber. Doch Misstrauen und Hass schwelen auf beiden Seiten. Es sind prekäre Zeiten, und ein winziger Funken Gewalt könnte eine neue Katastrophe entfachen.

In zwei Wochen soll Lucan im Namen der Stammesvampire vor den versammelten Nationen der Welt sprechen. In aller Öffentlichkeit wird er für den Frieden plädieren. Im Stillen hat er uns jedoch gewarnt, dass Menschen und Vampire ebenso gut in einen neuerlichen Krieg gestürzt werden könnten …

4. August, 10 N. E. M.

Bisweilen kommt es mir so vor, als wären seit jener Ersten Morgendämmerung vor zehn Jahren an die hundert Jahre des Blutvergießens und des Tötens vergangen. Die Kriege dauern an. Allerorts eskaliert die Gewalt. Anarchie regiert in den meisten größeren Städten und begünstigt kriminelle Aktivitäten rebellischer Banden und militanter Gruppen, als wäre das unablässige Morden auf beiden Seiten noch nicht genug.

Tag für Tag erreichen uns hier im Hauptquartier in D. C. ernüchternde Berichte aus den regionalen Kommandozentralen, die über die ganze Welt verstreut sind. Der Krieg verschärft sich weiter. Und beide Seiten üben sich in Schuldzuweisungen, die die Spannungen nur noch vertiefen und Öl auf eine ohnehin schon lodernde Flamme gießen. Unsere Hoffnungen auf einen dauerhaften Frieden zwischen Menschen und Stammesvampiren erscheint unwahrscheinlicher denn je.

Wenn ich mir den Zustand des Konflikts nach zehn Jahren ansehe, frage ich mich mit Grauen, was die Zukunft wohl bringen mag …

1

Menschen.

Die Nacht war voll von ihnen.

Sie verstopften die dunklen Gehsteige und Straßenecken im alten Bostoner Viertel North End, strömten aus den offenen Eingängen von Dance-Clubs und Cocktailbars. Sie schlenderten umher, blieben stehen, unterhielten sich und füllten die mitternächtlichen Straßen mit zu vielen Stimmen und zu vielen schwitzenden Körpern in der ungewöhnlich heißen Juninacht.

Und sie ließen einem zu wenig Platz im Gewühl, als dass man die nervösen Seitenblicke hätte ignorieren können – diese unzähligen schnellen Blicke von Leuten, die so taten, als hätten sie die vier Ordenskrieger nicht bemerkt und als wären sie kein bisschen schockiert, sie jetzt mitten durch die ehemalige Sperrzone der Stadt stapfen zu sehen.

Mira, die einzige Frau der Einheit, die jetzt nach Dienstschluss unterwegs war, ließ ihren harten Blick über die Menge der Homo-sapiens-Zivilisten schweifen. Zu schade, dass sie und ihre Kameraden Straßenkleidung und diskret verborgene Waffen trugen. Ihre Kampfmontur und ein Arsenal schwerer automatischer Waffen wären ihr lieber gewesen. Dann hätten die guten Bürger von Boston wirklich einen Grund gehabt, sie in offenem Entsetzen anzustarren.

»Seit zwanzig Jahren wissen die Menschen von unserer Existenz, und die meisten glotzen uns immer noch an, als wären wir gekommen, um ihre Halsschlagadern zu plündern«, sagte einer der drei Stammesvampire, der neben ihr ging.

Mira warf ihm einen ironischen Blick zu. »Sperrstunde ist erst um Mitternacht, bis dann dürft ihr noch legal Nahrung zu euch nehmen, also rechnet hier nicht mit einem begeisterten Empfang. Außerdem kann es nicht schaden, wenn sie Angst vor uns haben, Bal. Besonders wenn wir mit ihrer Spezies zu tun haben.«

Balthazar, ein muskulöser Riese mit olivfarbener Haut, begegnete ihrem Blick mit einem grimmigen Verständnis in seinen goldenen Adleraugen. Der dunkelhaarige Vampir war vor fast zwei Jahrzehnten zum Orden gestoßen, in den finsteren ersten Jahren nach der sogenannten Ersten Morgendämmerung, der Zeit, als die Menschen erfuhren, dass nicht sie das größte Raubtier auf diesem Planeten waren.

Mit dieser Tatsache hatten sie sich nicht gerade problemlos abgefunden. Und genauso wenig kampflos.

In der Zeit danach hatte es auf beiden Seiten zahlreiche Todesopfer gegeben. Unzählige Jahre, geprägt von Tod und Blutvergießen, Kummer und Misstrauen, waren gefolgt. Sogar jetzt noch war der Waffenstillstand zwischen den Menschen und dem Stamm brüchig. Während die Regierungsoberhäupter beider Völker der Erde, der Menschen und der Vampire, versuchten, durch Verhandlungen einen dauerhaften Frieden zum Wohle aller zu schaffen, gab es in beiden Lagern immer noch private Fehden und Konflikte. Der Krieg zwischen Menschheit und Stamm war noch nicht vorüber, aber er hatte sich in den Untergrund verlagert, inoffiziell und illegal, aber deshalb nicht weniger tödlich.

Ein dumpfer, kalter Schmerz erfüllte Miras Brust bei dem Gedanken an all den Kummer und das Leid, die sie in den Jahren seit ihrer Kindheit unter dem Schutz des Ordens mit angesehen hatte und dann auch noch während ihrer knallharten Kampfausbildung, die sie zu der Kriegerin gemacht hatte, die sie heute war. Sie versuchte, den Schmerz zu verdrängen, aber es wollte ihr kaum gelingen, und schon gar nicht heute Nacht.

Und dieser persönliche Teil des Krieges, der ihr so vertraut war wie nichts anderes in ihrem Leben, verlieh ihrer Stimme jetzt einen rauen, schneidenden Unterton. »Die Menschen sollen ruhig Angst um ihre Hälse haben. Dann sind sie vielleicht weniger geneigt, die Radikalen in ihren Reihen zu tolerieren, die den ganzen Stamm vernichtet sehen wollen.«

Hinter ihr ertönte das tiefe, leise Lachen eines ihrer Kameraden. »Hast du je eine PR-Karriere in Erwägung gezogen, Captain?« Sie zeigte ihm über die Schulter den gestreckten Mittelfinger und ging weiter, ihr langer blonder Zopf schlug wie ein Schwanz gegen ihren lederbekleideten Po. Webbs Lachen wurde lauter. »Okay, dachte ich auch nicht.«

Wenn jemand für diplomatische Missionen geeignet war, dann Julian Webb. Schön wie ein Adonis, liebenswürdig, mit einwandfreien Manieren und einem betörenden Charme, wenn er ihn anknipste. Dass Webb der kultivierten, privilegierten Stammeselite entsprang, war offensichtlich, auch wenn er seine Familie nie erwähnte. Seine Herkunft und seine Gründe, dem Orden beizutreten, waren ein Geheimnis, das er nur mit Lucan Thorne geteilt hatte, und der Gründer und Anführer des Ordens behielt es für sich.

Manchmal fragte sich Mira, ob das der Grund war, warum Lucan persönlich Webb letztes Jahr ihrem Team zugeteilt hatte – damit er sie für ihn und den Rat im Auge behielt und sicherstellte, dass die Zielvorgaben des Ordens eingehalten wurden ohne irgendwelche … Probleme. Nach ihrer demütigenden Verwarnung wegen Ungehorsam durch den Rat vor achtzehn Monaten wäre Mira absolut nicht überrascht, wenn Lucan Webb damit beauftragt hätte, ihre eventuellen Patzer als Anführerin des Teams auszubügeln. Aber sie hatte sich nicht halb totgearbeitet und bis zum Umfallen trainiert für diesen Posten im Orden, nur um ihn jetzt wegzuwerfen.

Es war höchst ungewöhnlich – tatsächlich praktisch nie vorgekommen –, dass eine Frau im Orden zum Captain eines Krieger-Teams aufgestiegen war. Dieser Gedanke erfüllte sie jetzt noch mit Stolz. Sie hatte sich als kompetent und würdig erwiesen, sich gnadenlos geschunden, um sich den Respekt der Ältesten des Ordens und der anderen Krieger zu verdienen, mit denen sie trainierte – Respekt, den sie schließlich durch Blut, Schweiß und sture Entschlossenheit errungen hatte.

Mira war keine Stammesvampirin. Sie verfügte nicht über die übernatürliche Geschwindigkeit oder Kraft der Spezies und auch nicht über deren Unsterblichkeit, die sie als Stammesgefährtin – die Tochter einer Homo-sapiens-Mutter und eines Vaters von noch ungeklärter genetischer Abstammung – durch die Blutsverbindung mit einem Stammesvampir erlangen konnte. Wurde eine solche Verbindung nicht eingegangen, alterten und starben Mira und die anderen Stammesgefährtinnen genau wie Normalsterbliche.

Mit neunundzwanzig und ohne Blutsverbindung begann sie die körperlichen und mentalen Folgen ihrer kräftezehrenden Laufbahn bereits zu spüren. Die Wunde, die sie seit acht Jahren in ihrem Herzen trug, machte es auch nicht besser. Zudem hätte ihr Disziplinarverfahren vor anderthalb Jahren für Lucan eigentlich ein Grund sein müssen, um ihr wieder einen Schreibtischjob zuzuteilen. Aber noch hatte er es nicht getan, und sie würde verdammt sein, wenn sie ihm noch mehr Gründe dafür lieferte.

»Sturm zieht auf«, murmelte das dritte Mitglied ihres Teams neben ihr. Mira wusste, dass Torin nicht vom Wetter redete. Wie ein Löwe, der seine neue Umgebung in Augenschein nahm, legte der riesige Vampir seinen dunkelblonden Kopf in den Nacken, sah zum wolkenlosen Nachthimmel auf und atmete tief ein. Zwei Zöpfe mit winzigen eingeflochtenen Glasperlen rahmten seine rasiermesserscharfen Wangenknochen und seine wie gemeißelt wirkenden Züge – ein unkonventioneller, exotischer Look für einen so tödlichen Krieger und ein Hinweis auf Torins Vergangenheit als Besucher. Die glitzernden Zöpfe schwangen leicht gegen den Rest seiner dichten, schulterlangen Mähne, als er ausatmete und seinen eindringlichen Blick auf Mira richtete. »Keine gute Nacht, um hier unten zu sein. Da liegt was Finsteres in der Luft.«

Sie spürte es auch, sogar ohne Torins übersinnliche Fähigkeit, Veränderungen des Energiefeldes um ihn herum zu erkennen und zu interpretieren.

Der Sturm, den er spürte, tobte in ihr.

Er hatte einen Namen: Kellan.

Die Silben seines Namens rollten wie Donner durch ihren Sinn. Es tat immer noch weh, an ihn zu denken, sogar nach all der langen Zeit. Seit seinem Tod wurde der Aufruhr der Gefühle, den er hinterlassen hatte, immer heftiger in Mira, besonders um diese Jahreszeit. Ob aus Kummer oder weil sie seinen Tod immer noch nicht wahrhaben wollte – sie klammerte sich mit Zähnen und Klauen an ihre Erinnerungen an Kellan. Das war mit Sicherheit ungesund, aber die Hoffnung konnte grausam und hartnäckig sein.

Es gab immer noch einen Teil von ihr, der darum betete, dass das alles nur ein böser Traum gewesen wäre, aus dem sie irgendwann wieder aufwachen würde. Eines Tages würde sie aufblicken und der junge Stammesvampir würde von einer Mission heimkehren, gesund und munter. Eines Tages würde sie seine tiefe Stimme an ihrem Ohr hören, die sie beim Sparring im Trainingsraum spielerisch herausforderte, ein heiseres Knurren mit nur mühsam gezügeltem Verlangen, wenn sie im gespielten Zweikampf ineinander verschlungen auf der Matte landeten.

Sie würde wieder die Kraft seines Kriegerkörpers spüren: riesig, solide und unverwundbar. Sie würde in seine grüblerischen haselnussbraunen Augen sehen, seine zerzausten Locken berühren, die kupferbraun schimmerten wie ein alter Penny und sich in ihren Fingern weich wie Seide anfühlten. Sie würde wieder seinen würzigen Geruch nach Leder riechen, spüren, wie sein Puls sich beschleunigte, die heißen bernsteinfarbenen Funken in seinen Augen aufblitzen sehen und das weiße Schimmern seiner Fänge, die herausschossen, wenn ihn das Verlangen überwältigte, das er sonst so fest unter Kontrolle hatte.

Eines Tages würde sie die Augen öffnen und Kellan Archer würde wieder nackt neben ihr in ihrem Bett schlafen, wie damals in der Nacht, bevor er im Kampf von menschlichen Rebellen getötet worden war.

Hoffnung, dachte sie sarkastisch, ist eine herzlose Schlampe.

Wütend auf sich selbst, auf ihre Schwäche, ging sie zügiger weiter, auf die nächste Ecke zu, wo eben ein halbes Dutzend Menschenpaare aus einer trendigen Hotelbar gekommen waren und jetzt an der roten Ampel standen. Auf der Straßenseite gegenüber nahm sich eines der allgegenwärtigen Faceboards der Stadt die Freiheit, ihre Netzhäute zu scannen, und spielte dann eine nervige Werbung ab, die genau auf die Zielgruppe abgestimmt war, die gerade am Zebrastreifen auf Grün wartete.

Mira stöhnte auf, als eine digitale 3-D-Version des Business-Tycoons Reginald Crowe, eines der reichsten Männer des Planeten, die Paare mit ihren Namen ansprach und ihnen einen günstigen Sonderpreis versprach, wenn sie in Häusern seiner Luxushotelkette übernachteten. Crowes Gesicht war dieses Jahr überall, in der Presse und in Talkshows, auf Unterhaltungsblogs und Nachrichtenseiten im Internet … anscheinend gab es überall eine Webcam oder ein Kamerateam, vor dem er sich über seine neueste Zuwendung im Bereich technologischer Forschungen auslassen konnte – den bedeutendsten Wissenschaftspreis seiner Art. Es musste den Milliardär ärgern, dass weder diese Story noch die Ankündigung, dass Crowe den bevorstehenden Gipfel des Rates der Globalen Nationen unterstützte, dasselbe Medieninteresse erregte wie seine kürzlich erfolgte Scheidung von Ehefrau Nummer sechs.

»Gehen wir weiter«, sagte sie und trat vom Bordstein, um dem Warten an der Ampel zu entkommen.

Sie führte ihr Team die Straße hinauf zum Asyl, einer Eckkneipe und Bar, die in den letzten Jahren ein inoffizielles neutrales Gebiet für eine gemischte Klientel von Vampiren und Menschen geworden war. Sie wollten sich dort heute Nacht mit einer anderen Einheit des Ordens treffen. Mira war nicht besonders nach Gesellschaft – schon gar nicht in dieser Stadt, in dieser Nacht –, aber die beiden Teams hatten sich eine kleine Siegesfeier verdient. Die letzten fünf Monate hatten sie alle hart an einer gemeinsamen Mission gearbeitet. Bei der verdeckten Operation hatte es sich um genau die Art von Spezialeinsatz gehandelt, die in den letzten beiden Jahrzehnten zum Markenzeichen des Ordens geworden war.

Dank der vereinten Anstrengungen von Miras Einheit und der des anderen Teams, das sie jetzt an einem Tisch im hinteren Teil des Asyl erwartete, gab es eine internationale Paramiliz weniger, die dem Rat der Globalen Nationen Ärger machte. Das Timing für diesen Sieg konnte nicht besser sein: In nur einer Woche würden sich Regierungsoberhäupter, Würdenträger und VIPs aus der ganzen Welt, Repräsentanten der Menschheit und des Stammes, zu einem Gipfel in Washington, D. C., versammeln und dort einen Medienzirkus über Frieden und Solidarität veranstalten. Alle Ältesten des Ordens würden daran teilnehmen, inklusive Miras Adoptiveltern, Nikolai und Renata.

Zu Hause in Montreal wartete das blutsverbundene Paar immer noch auf ihre Rückmeldung, ob sie sie begleiten würde. Obwohl beide nichts gesagt hatten, wusste Mira, dass Nikolai und Renata sie in der Hoffnung eingeladen hatten, dass sie etwas unter die Leute kam und dort vielleicht jemanden kennenlernte, der als zukünftiger Partner infrage kam. Außerdem war es ein gut gemeinter, wenn auch plumper Versuch, sie vom Schlachtfeld fernzuhalten, wenn auch nur für eine kleine Weile.

Sie musste ein finsteres Gesicht gemacht haben, als sie mit ihrem Team am Tisch ankam, denn als sie sich setzte, warf ihr der Captain der anderen Einheit, der ihr gegenübersaß, einen besorgten Blick zu.

»Alles okay?« Nathans Stimme war ausdruckslos und kaum zu verstehen bei der wummernden Musik und dem Lärm, der von der Bar und der Tanzfläche des Asyl herüberdrang. Seine blaugrünen Augen unter dem militärisch kurz geschorenen schwarzen Haar blickten sie unverwandt an. »Ich war mir nicht sicher, ob du das packen würdest.«

Nicht sicher, ob sie es verkraften würde, wieder zurück in Boston zu sein. Besonders an Kellans Todestag.

Sie verstand, was er meinte, auch ohne dass er es aussprach. Er kannte sie zu gut, war einer ihrer ältesten, besten Freunde. Er kannte sie fast so lange wie Kellan – länger sogar, jetzt, wo Kellan seit acht Jahren tot war. Auch Nathan war damals dabei gewesen, direkt neben Mira. Er hatte sie von dem Feuer und den fallenden Trümmern zurückgehalten, als das Lagerhaus in den dunklen Nachthimmel explodiert war. Und er hatte an ihrem Krankenbett gestanden, als sie Tage später aufgewacht war und erfahren musste, dass keine Spur von Kellan oder dem menschlichen Rebellenabschaum gefunden worden war, dem er in das verminte Gebäude gefolgt war. Es war eine tödliche Falle gewesen.

Mira räusperte sich, hatte nach all den Jahren immer noch den Geschmack von Asche und Rauch im Mund. »Nein, ist schon okay. Mir geht’s gut.« Er glaubte ihr kein Wort. Sie wandte sich von seinem prüfenden Blick ab und sah in die Runde der Krieger, die um den Tisch versammelt war. »Falls ich es nicht schon gesagt habe: gute Arbeit, von euch allen. Wir haben zusammen wirklich was geleistet.«

Torin und Webb nickten zustimmend, doch Bal warf den drei Mitgliedern von Nathans Team ein schiefes Grinsen zu. »Der Captain hat recht. Ist ein Vergnügen, mit euch Mädels zu arbeiten. Schließlich braucht jeder gute Chirurg jemanden, der das Blut und die Eingeweide aufwischt und ihm die Instrumente reicht.«

»Ich zeig dir gleich mein Instrument«, witzelte Elijah zurück, Nathans Vize, ein braunhaariger Stammeskrieger mit dem rauen Look eines Cowboys, einem strahlenden Lächeln und der langsamen, gedehnten Sprechweise der Texaner. »Und was chirurgische Präzision angeht, haben wir euch um Längen geschlagen. Habt ihr Jax da drüben gesehen? Das reinste Gedicht. Zwei von diesen Scheißrebellen waren so dumm, das Feuer auf uns zu eröffnen, aber Jax hat sie beide gleichzeitig mit seinem japanischen Wurfstern erwischt.« Eli fuhr erst sich und dann seinem Teamkameraden Rafe, der neben ihm saß, mit dem Finger quer über die Kehle und machte dabei ein leises Pfeifgeräusch. »Das war echt der Hammer, Jax.«

Jax nahm das Lob mit einem milden Nicken entgegen. Der riesige, schwarzhaarige Halbasiate war bekannt für seine tödliche Grazie und seine Zielsicherheit mit den rasiermesserscharfen Wurfsternen, die er selbst herstellte und immer mit sich führte. Mira brauchte nicht nachzusehen, um zu wissen, dass Jax auch jetzt etwa ein halbes Dutzend seiner Shuriken am Körper trug.

Auch sie führte ihre speziell für sie angefertigten Dolche immer mit sich, seit sie gelernt hatte, damit umzugehen. Sie waren immer griffbereit, obwohl der Einsatz von Waffen jeder Art in den zivilen Sektoren der Stadt verboten war. Nur uniformierte Beamte der Joint Urban Security Taskforce Initiative Squad, JUSTIS, der Polizeitruppe der Regierung, die aus handverlesenen Vampiren und Menschen bestand, waren berechtigt, offen Waffen zu tragen oder in nicht militärischen Situationen tödliche Gewalt anzuwenden.

In Gedanken wieder bei den Einzelheiten ihrer erfolgreich abgeschlossenen Mission nickte Mira Nathans anderem Teammitglied, dem blonden, blauäugigen Xander Raphael zu. »Das war erste Klasse, wie du uns Deckung gegeben hast, damit wir das Hauptquartier der Rebellen stürmen konnten«, sagte sie zu ihm. »Ohne dich hätten wir das nicht geschafft. Du bist verdammt gut, Kleiner.«

»Danke.« Rafe war schon lange kein Kind mehr, aber Mira hatte ihn schon als Baby gekannt. Er war der letzte Neuzugang der Gruppe, die jetzt um den Tisch saß, und hatte erst vor zehn Monaten seine Ausbildung abgeschlossen. Mira war fast zehn Jahre älter als er, aber der junge Stammesvampir war absolut kompetent und erstaunlich klug für sein Alter. Er war der Sohn eines Ordensältesten, Dante, und seiner Gefährtin Tess. Wie alle Stammesvampire hatte Rafe die übernatürliche Gabe seiner Mutter geerbt. Tess’ Fähigkeit, durch Berührung zu heilen, bedeutete einen Konflikt für ihren Sohn, der auch den Mut und die praktisch beispiellose Kampffähigkeiten seines Vaters geerbt hatte.

Rafes anderes mütterliches Erbe waren sein helles Haar und seine blauen Augen. An Tess wirkten die honigblonden Locken und die aquamarinblauen Augen umwerfend, unendlich feminin. Und nach Rafe mit seinen fast zwei Metern und dem schlanken, muskulösen Körper drehte sich jede Frau in seiner Nähe um.

So auch die Brünette Anfang zwanzig, die ihren Tisch von der Bar aus mit einer Gruppe von Freundinnen beobachtete. Sie tat gerade alles, um Rafes Aufmerksamkeit zu erregen, und hatte es endlich geschafft. Zweifellos wusste er, was das hübsche Mädchen ihm anbieten würde. Mira sah den Funken männlicher Arroganz aufblitzen, als der Krieger den Mundwinkel hob, bevor er und einige andere Männer am Tisch sich zu ihr umsahen und sie ansprachen.

»Hi«, sagte die junge Frau zu ihnen, und ihr Blick verweilte am längsten auf Rafe. Sie hatte ihre Wahl getroffen, daran bestand kein Zweifel.

»Selber hi«, antwortete Eli für den Rest des Tisches. »Wie heißt du, meine Schöne?«

»Ich bin Britney.« Sie lächelte ihn und die anderen Männer flüchtig an, dann kehrte ihr Blick wieder zu Rafe zurück. »Meine Freundinnen haben gewettet, dass ich mich nicht traue, zu euch rüberzukommen.«

Rafe lächelte. »Ach ja?« Seine Stimme war tief und lässig, die Stimme eines Mannes, der sich seiner Wirkung auf das andere Geschlecht vollkommen bewusst war. Oder, in diesem Fall, auf eine andere Spezies.

»Ich habe ihnen gesagt, dass ich keine Angst habe«, fuhr Rafes Verehrerin fort. »Ich habe ihnen gesagt, dass ich neugierig bin, wie es sich wohl anfühlt …« Sie warf den Kopf zurück, nervös, aber kokett. »Ich meine, wie du dich wohl anfühlst …«

Bissgeile Normalsterbliche, dachte Mira und verdrehte amüsiert die Augen. Trotz der ständigen bewaffneten Konflikte zwischen den Menschen und dem Stamm gab es jede Menge Frauen – und auch Männer –, die für den erotischen Kick eines Vampirbisses nur allzu gerne bereit waren, ihre frischen roten Zellen zu spenden.

Balthazar kicherte. »Sehr mutig von dir, ganz alleine zu uns rüberzukommen, Whitney.«

»Britney.« Sie kicherte, nervös, aber entschlossen. »Wie auch immer, sie sagten, ich solle es tun, also … hier bin ich.« Sie leckte sich die Lippen und schob sich langsam näher an Rafe heran. Dann strich sie sich ihr langes braunes Haar über die Schulter zurück und entblößte ihren zarten weißen Hals, und Mira spürte, wie die instinktive Reaktion von mehr als einem Stammesvampir am Tisch die Luft zum Vibrieren brachte.

»Deine Freundinnen brauchen gar nicht so schüchtern zu sein.« Miras Sinne waren im Winterschlaf, aber Torins Stimme war so rauchig, dunkel und einladend, dass sogar sie ein elektrisches Prickeln spürte. Als er durch die geöffneten Lippen Atem holte, waren die perlweißen Spitzen seiner Fänge zu sehen. »Ruf sie rüber, und dann sehen wir mal, ob sie auch so mutig sind wie du, Britney.«

Als das Mädchen die anderen aufgeregt herwinkte, stand Mira vom Tisch auf. Die Krieger hatten eben eine Mission erfolgreich abgeschlossen und sich eine Belohnung verdient. Sie hatten ein Recht darauf, das unmoralische Angebot anzunehmen, das ihnen hier gemacht wurde. Aber das bedeutete nicht, dass sie zuschauen musste.

»Die legale Frist für eure Nahrungsaufnahme läuft um Mitternacht aus, Jungs. In genau zehn Minuten, falls einer von euch sich wegen der Gesetze Sorgen macht.«

Jetzt stand auch Nathan auf, der einzige Vampir, den es offenbar kaltließ, dass sich ihnen mehrere warme, hübsche junge Frauen für heute Nacht als Blutwirtinnen zur Verfügung stellten. »Wo willst du hin?«

»Ich lasse euch trinken. Bin in ein paar Minuten wieder da.«

Er runzelte die Stirn. »Ich komme mit …«

»Nein, bleib nur.« Sie hob eine Hand und nickte in die Richtung der Frauen, die eben zu ihnen herüberkamen. »Diese dummen Jungs kann man weiß Gott nicht ohne erwachsene Aufsicht alleine lassen.«

Mit dieser Stichelei erntete sie die gespielte Empörung von Eli, Bal und den anderen, aber Nathans Blick blieb düster. Als er seine breiten Lippen zusammenpresste, streckte sie die Hand aus und legte sie an seine Wange. Sie spürte, wie er sich unter der Berührung anspannte, und plötzlich wünschte sie, sie könnte die sanfte Geste wieder zurücknehmen. »Amüsier dich nur, Nathan. Du hast es dir auch verdient, weißt du.« Sie entfernte sich vom Tisch. »Zehn Minuten«, rief sie über die Schulter. »Und irgendjemand ist bitte so nett und sorgt dafür, dass hier ein Drink auf mich wartet, wenn ich zurückkomme.«

Alles war gut, bis sie den Ausgang erreichte. Dann senkte sich die Last, gegen die sie die ganze Nacht angekämpft hatte, wie Blei auf ihre Brust und heiße Tränen traten ihr wie Nadeln in die Augen.

»Scheiße. Kellan …« Sein Name entfuhr ihr mit einem heiseren Keuchen, als sie sich gegen die Außenwand des Clubs sinken ließ, einige Meter neben dem Getümmel am Eingang. Gott, sie hasste es, wie sehr es wehtat, an ihn zu denken. Sie hasste es, dass es ihr immer noch nicht gelungen war, sich von der Erinnerung an ihn zu befreien, die sie immer noch in ihrem Griff hatte. Nein, durch seinen Tod war auch etwas in ihr gestorben. Etwas tief in ihr war zerbrochen, an einem Ort, den nur er hatte berühren können, vorher und seither.

Mira ließ den Kopf hängen und machte sich nicht die Mühe, die blonden Haarsträhnen zurückzustreichen, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatten und ihr jetzt wie ein Schleier ins Gesicht fielen. Sie stieß einen leisen Fluch aus und versuchte, sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Mit zitternden Fingern wischte sie sich die Tränen von den Wangen und stieß einen frustrierten Seufzer aus. »Verdammt. Reiß dich zusammen, Kriegerin.«

Der wütende Selbsttadel nützte immerhin so viel, dass sie die Schultern straffen konnte. Aber es war das hohe Gekicher eines Menschen aus der Menge neben ihr, das sie wirklich aus ihrem Selbstmitleid riss. Dieses wiehernde Lachen würde Mira überall wiedererkennen. Allein schon bei dem Geräusch brannten ihre Adern heiß vor Verachtung.

Sie erspähte den Kopf des jungen Mannes – seine lächerliche rote Irokesenfrisur wippte in einer Gruppe von kleinen Dieben und Unruhestiftern auf und ab. Sie gingen gerade an der Menge vorbei, die am Clubeingang auf Einlass wartete. Dieser hellrote Haarkamm, zusammen mit seiner typischen Lache, hatte dem Kleinkriminellen seinen Spitznamen eingebracht: Rooster, der Gockel.

Scheißkerl.

Sie hatte ihn seit Jahren nicht gesehen, und ihr Blut kochte, als sie ihn jetzt entdeckte. Dieser bekannte Sympathisant der Rebellen stolzierte hier mit seinen einschlägig vorbestraften Kumpels herum, obwohl er doch in irgendeinem Knast verrotten sollte. Oder noch besser: Er sollte zuckend an den Spitzen ihrer Dolche verenden.

Als der rote Hahnenkamm mit seinen vier Freunden um die nächste Straßenecke verschwand, zischte Mira einen Fluch. Nicht ihr Problem, was Rooster gerade im Schilde führte. Nicht ihr Zuständigkeitsbereich, sogar wenn sich herausstellte, das er wie üblich auf illegale Machenschaften aus war.

Und trotzdem …

Aus einem Impuls heraus ging sie los, sogar wider besseres Wissen. Rooster belieferte manchmal bewaffnete Milizen der Menschen und Rebellensplittergruppen, und diese gelegentlichen Bündnisse machten ihn zu Miras ständigem Feind. Sie folgte ihm und seinen Freunden vorsichtig aus sicherer Entfernung. Die dicken Gummisohlen ihrer Stiefel waren lautlos auf dem Asphalt, als sie zu ihnen aufholte.

Die Männer schlurften bis zur nächsten Straßenecke und betraten den Seiteneingang eines anderen Clubs, der vor langer Zeit eine beliebte Adresse in North End gewesen war. Die ehemalige neugotische Kirche war jetzt alles andere als heilig und viel heruntergekommener als noch vor zehn Jahren. Graffiti und alte Einschusslöcher aus den Kriegen hatten das verblassende Schild mit dem Namenszug LaNotte an der Seitenwand des alten roten Klinkerbaus fast unlesbar gemacht. Heute pulsierte der Club nicht mehr von seidigem Trance und Synth, denn der aktuelle Eigentümer bevorzugte Electro-Industrial-Bands mit wildem Schreigesang – bestens geeignet, um das raue Gegröle und die blutdürstigen Anfeuerungsrufe der Gäste im Kellergeschoss des Etablissements zu übertönen, wo sich die illegale Kampfarena befand.

Zu diesem Teil des Clubs waren Rooster und seine Kumpels jetzt unterwegs, und Mira folgte ihnen. Beißender Zigarettenqualm und Alkoholdunst hingen wie dicker Nebel in der Luft. Am unteren Ende der steilen Treppe herrschte dichtes Gedränge, und hinter dem Eingang und um die riesige stahlvergitterte Kampfarena in der Raummitte wurde es noch enger.

Im Stahlkäfig umkreisten einander zwei riesige Stammesvampire in blutigem Nahkampf. Rund um die Arena standen Dutzende rufende und johlende menschliche Zuschauer, die Wetten auf ihren Favoriten abgeschlossen hatten. Der Kampf dauerte offenbar schon eine Weile, der Blutmenge im Ring und der aufgepeitschten Stimmung der Zuschauer nach zu urteilen. Mira hatte solche illegalen Kämpfe schon früher gesehen und verzog keine Miene beim Anblick der beiden Vampire, die wie Gladiatoren nur Ledershorts und stählerne U-förmige Halsringe trugen. Die Knöchel ihrer fingerlosen Lederhandschuhe waren mit Titanspikes besetzt, die bei jedem Schlag Fleisch und Muskeln zerfetzten.

Rooster und seine Kumpels blieben stehen und sahen zu, wie einer der Kämpfer hart am Brustbein getroffen wurde. Roosters wieherndes Gelächter drang durch die Menge, als der Vampir mit dem Rücken gegen das Stahlgitter krachte. Er war schon übel zugerichtet und trat gegen einen bisher unbesiegten Kämpfer an, der immer für viel Publikum und hohe Wetteinsätze sorgte. Jetzt, Blut spuckend und würgend von der Wucht des letzten Schlages griff der Verlierer verzweifelt nach dem Notschalter im Käfig. Rooster und der Rest der Zuschauer pfiffen und buhten ihn aus, als der Kampf durch diese Bitte um Gnade kurz unterbrochen und dem dunkelhaarigen Gegner des verletzten Kämpfers ein grausamer elektrischer Schlag versetzt wurde. Der riesige Kämpfer steckte ihn so mühelos weg wie einen Bienenstich und bleckte die Fänge mit einem kalten Lächeln, das einen weiteren Sieg für seine Kampfstatistik verhieß.

Der Käfig wurde erneut von brutalen, donnernden Schlägen erschüttert, als der Kampf wieder aufgenommen wurde, aber Mira ignorierte das furchtbare Spektakel. Ihr Blick war völlig auf ihre Zielperson fixiert. Ihr eigener Wunsch, grausam zu strafen, kochte wie Säure in ihren Adern, als sie Rooster durch das Gewühl verfolgte.

Sie dachte an Kellans letzte Minuten, als sie den Rebellensympathisanten kichern und johlen sah. Er und die anderen Menschen bejubelten jeden Schlag, wollten noch mehr vergossenes Stammesblut sehen.

Sie wusste nicht, wann sie ihre Dolche aus den Scheiden auf ihrem Rücken gezogen hatte. Sie spürte das kalte, handgeschmiedete Metall in ihren Händen, ihre Fingerspitzen auf den Zierornamenten der Griffe. Ihre Instinkte kribbelten, drängten sie, die Klingen fliegen zu lassen, als Rooster plötzlich einen Blick in ihre Richtung warf.

Er sah sie und erkannte sofort, dass sie ihn im Visier hatte. Etwas blitzte in seinen Augen auf, als ihre Blicke sich trafen. Panik, mit Sicherheit. Aber Mira sah auch Schuld in diesem besorgten Blick. Tatsächlich schien sein »Ach du Scheiße«-Blick zu sagen, dass sie die allerletzte Person auf Erden war, die er erwartet hatte oder die er gerade sehen wollte. Er duckte sich hinter einen seiner Ganovenkumpels, als würde sein feuerroter Haarschopf ihn nicht verraten.

Mira spürte, wie ein Knurren in ihrer Kehle aufstieg. Der Scheißkerl wollte abhauen. Und in der Tat, er verzog sich.

»Scheiße!« Sie drängte sich unsanft durchs dichte Gewühl, versuchte, ihre Beute nicht aus den Augen zu verlieren, während sie sich für eine günstige Wurfposition in Stellung brachte.

Jemand sah ihre gezogenen Waffen und stieß einen Warnschrei aus. Die Leute machten ihr eilig den Weg frei – und sie bekam ihre Chance, Rooster festzunageln. Sie ergriff sie, ohne zu zögern. Ihre Zwillingsdolche sausten durch die Luft, trafen ihr Ziel mitten in der Bewegung und nagelten ihn an die Wand auf der anderen Raumseite, je ein Dolch steckte bis zum Heft in seinen dünnen Oberarmmuskeln.

Er heulte – das Lachen war ihm vergangen, jetzt wo ausnahmsweise er es war, der Schmerzen zu erleiden hatte. Mira stieß ein paar übrig gebliebene Gaffer zur Seite und näherte sich ihm, ihre Wut brannte heiß in ihren Adern. Sie hatte hier heute Nacht schon gegen ein Gesetz verstoßen, und da sie den Verbündeten der Rebellen nun auf Armeslänge vor sich sah, war sie versucht, ihrem Sündenregister einen Mord hinzuzufügen.

Eine starke Hand legte sich auf ihre Schulter.

»Tu’s nicht, Mira.«

Nathan. Er und die anderen Krieger standen jetzt hinter ihr, Missbilligung in den harten Gesichtern.

Erst jetzt registrierte sie, wie still es im Club geworden war. Der illegale Zweikampf im Käfig war vorüber und die Zuschauer hatten sich um den neuen versammelt, den Mira begonnen hatte. Der menschliche Clubeigentümer und einige seiner Stammeskämpfer kamen aus anderen Ecken des Clubs herbei. Ihre bloße bedrohliche Präsenz verhieß noch größeren Ärger, wenn die Dinge weiter eskalierten.

Scheiße. Mira wusste, dass sie dieses Mal zu weit gegangen war, aber ihr Blut kochte immer noch, und alles, woran sie denken konnte, war Gerechtigkeit für Kellan. Ein gottverdammter Rebell weniger heute Nacht wäre ein guter Anfang.

»Lass es«, sagte Nathan, seine Soldatenstimme war kühl und emotionslos, so wie sie ihn tausend mal hatte reden hören, selbst im schwersten Gefechtfeuer. »So bist du nicht ausgebildet worden. Das weißt du.«

Sie wusste es, und trotzdem schüttelte sie Nathans Hand ab und machte einen Satz auf Rooster zu, der wie am Spieß jaulte und sich unter ihren Dolchen wand. Nathan trat ihr in den Weg. Seine Bewegungen waren schneller als ihre Wahrnehmung, und er stellte sich zwischen sie und den Menschen. »Geh mir aus dem Weg, Nathan. Du weißt, mit wem dieser Abschaum gemeinsame Sache macht – mit den Rebellenschweinen. Meiner Definition nach macht ihn das auch zu einem.«

»Helft mir doch!«, heulte Rooster. »Jemand soll die Bullen rufen! Ich bin unschuldig!«

Mira schüttelte den Kopf und hielt dem missbilligenden Blick ihres Teamkollegen stand. »Er lügt. Er weiß etwas, Nathan. Ich sehe es ihm an. Ich spüre es. Er weiß, wer für Kellans Tod verantwortlich ist. Verdammt, ich will, dass jemand dafür bezahlt, was mit ihm passiert ist!«

Nathan knurrte einen Fluch. »Verdammt, Mira.« Seine Augen blickten intensiv, aber sanft und mit einem Mitgefühl, das sie noch nie zuvor bei ihm gesehen hatte und jetzt weiß Gott nicht sehen wollte. »Die Einzige, die noch dafür bezahlen wird, was mit Kellan passiert ist, bist du selbst.«

Die Wahrheit seiner Worte traf sie wie eine Ohrfeige. Sie absorbierte den Schlag in verblüfftem Schweigen und sah zu, wie der Rest ihres und Nathans Teams sie umringte.

»Wir sollten hier abhauen«, sagte Webb zu Mira und Nathan, als keiner von ihnen einen Rückzieher machte. »Wenn wir nicht bald verschwinden, könnte das ziemlich hässlich werden.«

Bal stieß einen leisen Fluch aus. »Zu spät.«

Von draußen stürmten etwa zwanzig schwarz gekleidete Beamte der städtischen Polizeitruppe JUSTIS in den Keller des Clubs, schwer bewaffnet, in voller Kampfmontur. Mira konnte nur zusehen – und nur sich allein die Schuld dafür geben –, als die Beamten sie umringten und ihre automatischen Waffen auf sie und ihr Team richteten.

2

Lucan Thorne konnte sich hundert Dinge vorstellen, die er um ein Uhr früh lieber getan hätte, als müßig an seinem Schreibtisch im globalen Hauptquartier des Ordens in Washington, D. C., zu sitzen, Schreibkram zu erledigen und seine Videomail durchzusehen. Am liebsten wäre er jetzt mit seiner Stammesgefährtin Gabrielle in ihrem gemeinsamen Bett gewesen und hätte ihre warmen, weichen Rundungen unter sich gespürt.

Nein, dieses Verlangen hatte sich auch in all der Zeit nicht gelegt, die sie nun schon zusammen waren. Gerade mal um die zwanzig Jahre mit seiner Frau, und immer noch beherrschte sie seine Gedanken und Gefühle wie sonst nichts in den über neunhundert Jahren seines Lebens.

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