Vetulus de Montanis und die Gebeine des Heiligen Sebastian - Michael Peters - E-Book

Vetulus de Montanis und die Gebeine des Heiligen Sebastian E-Book

Michael Peters

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Beschreibung

Die Assassinen im Wittelsbacher Land, das ist kaum vorstellbar. Gelingt es dem Badermeister Simon Schenk einen neuerlichen Mordfall zu lösen und eine furchtbare Katastrophe zu verhindern? Andernfalls werden Tod und Verderben über das gesamte Bayernland kommen. Dies ist der dritte historische Thriller in dem der Aichacher Badermeister und Ermittler Simon Schenk komplizierte Verbrechen aufklärt und den Leser in die Zeit des ausgehenden Mittelalters entführt.

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Für meine Mutter

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

1

Es mag kurz vor Mitternacht gewesen sein, als der Mann in schwarzer Kutte durch die Tür des Gasthauses auf den dunklen Marktplatz wankte. Die Kälte überfiel ihn wie ein Schlag. Eisige Winde trieben Schneeflocken durch die Nacht. Den Mond verdunkelten, das eine ums andere Mal, schnell dahinziehende, tiefhängende Wolken. Torkelnd suchte der einsame Zecher seinen Weg.

Der Unglückliche fühlte sich hundeelend. Er entleerte seinen Mageninhalt und die Blase in den frisch gefallenen Schnee neben einem Haus nahe der Stadtmauer. Er zuckte erschreckt zusammen, als sich unvermittelt eine Hand auf seine Schulter legte.

»Was ist mit dir, mein Bruder? Hast du den Wein nicht vertragen? War der Trunk ein wenig zu sauer? Ach nein, ich vergaß, du trankst ja Bier. Dann hat es sicher am Essen gelegen«, spottete der Hinzugetretene.

Der teuflische Verführer hatte auf ihn gewartet. Jetzt oder nie! Auf einen Schlag wurde er wieder nüchtern und nahm all seinen Mut zusammen: »Ich werde nichts von dem tun, was du von mir verlangst! Ich versündige mich nicht! Ich hatte es dir bereits gesagt. – Ohne mich! Tu so, als ob wir uns nie kennengelernt hätten. Und du solltest deine Pläne ebenfalls aufgeben, bevor du dich weiter ins Unglück stürzt.«

Sein Gegenüber lachte höhnisch auf. Ängstlich starrte der ernüchterte Zecher in die stechend schwarzen Augen. Auf der linken Stirnhälfte verunstaltete ein Feuermal das Antlitz, an jener Stelle, an welcher der Leibhaftige sein Horn trägt. In ähnlicher Gestalt erschien ihm der Teufel in den Albträumen, die ihn Nacht um Nacht peinigten.

»Es gibt für uns keinen Weg zurück! Die Sache ist zu weit vorangeschritten. Ich werde diesen Auftrag auf jeden Fall ausführen. Sie werden uns beide am höchsten Galgen baumeln lassen, wenn du dein geschwätziges Maul nicht hältst. Und vergiss nicht, da gibt es noch jemanden, der uns die Eingeweide aus dem Leib reißen wird, sollte die Sache schiefgehen. Schlag es dir aus dem Kopf! Denk lieber an die Träume und sehnlichsten Wünsche, die du dir in Zukunft erfüllen kannst. Du musst nichts weiter tun, als deine Klappe zu halten. Den Rest erledige ich und morgen verschwinden wir auf Nimmerwiedersehen.« Der Mann mit dem entstellten Gesicht schmeichelte und drohte gleichzeitig.

»Ich werde nicht vergessen, dass ich dem Herrn mein Leben geweiht habe. Für meine Sünden wartet auf meine Seele die ewige Verdammnis. Ich werde beichten und Gewissen erleichtern.«

»Bist du verrückt geworden? Einen Teufel wirst du tun!«

»Versündige dich nicht!«

»Was ist das für eine Narretei? Welch ein irrsinniger Gedanke, beichten zu gehen? Der Pfaffe rennt doch sofort zu seinem Bischof oder schlimmer noch, direkt zur weltlichen Obrigkeit und schwärzt uns an!«

»Die Beichte ist ein heiliges Sakrament, die du nicht verspotten darfst. Jeder, der das Geheimnis der Beichte verletzt, versündigt sich.«

»Ich bin es satt mit dir zu streiten! Du wirst mir meine Pläne nicht durchkreuzen. Du hast es nicht anders gewollt.«

Der ernüchterte Zecher starrte an sich hinunter. Aus seiner Brust ragte der mit Leder umwickelte Griff eines Messers. Verwundert stellte er fest, dass er trotz des heftigen Stoßes keinen Schmerz verspürte. Dunkelheit umfing ihn und er sah in der Ferne ein tiefrotes, bedrohlich flackerndes Licht, das sich Schritt für Schritt näherte. Züngelnde Flammen packten ihn und rissen ihn mit sich fort.

2

Dem regnerischen und viel zu kalten Herbst und Sommer des Jahres 1439 folgte ein langer und eisiger Winter. Zu den Gottesdiensten des Heilig-Drei-Königs-Tages stapften die Gläubigen durch kniehohen Schnee. Eingehüllt in wollene Umhänge, tief ins Gesicht gezogenen Kappen, Schals und Kopftücher drängten sich die Gottesdienstbesucher zum Altar. Sie hofften, dass ihnen wenigstens das Ewige Licht etwas Wärme spenden würde. Der neu ernannte Aichacher Stadtpfarrer Hanns Frankfurter, der dieses Amt in den vorangegangenen Jahren bereits als Vikar ausgeübt hatte, las die Messe mit fröstelnder Stimme und spendete den Leib des Herrn mit zitternden Fingern. Vorsichtig nippte er am Kelch mit dem in das Blut Jesu gewandelten Messwein, als ob er Angst hätte, dass es zu Eis erstarrt sein könnte.

In den hinteren Reihen saß ein Besucher der Messe, der früher nur dann den Weg ins Gotteshaus gefunden hatte, wenn es nicht zu vermeiden war: Simon Schenk, der Badermeister. Er gehörte jetzt, zur großen Verwunderung seiner Frau und seiner Freunde, zu den regelmäßigen Kirchgängern. Der Pfarrer sah diese Läuterung mit Wohlwollen. Er war sich aber nicht sicher, welchen Grund es für diesen Sinneswandel gab, denn bei der Beichte sah er den Bader weiterhin nicht.

In der Nacht vor dem Drei-Königs-Tag plagten Simon Albträume, wie in vielen Nächten zuvor. Kriegsknechte stürmten sein Haus und verwüsteten die Räume. Wie gelähmt musste er zusehen, wie sie seinen Kindern Gewalt antaten. Als sich einer der Wüteriche über seine Frau hermachte, sah er diesem direkt in die hassverzerrte Fratze. Er zuckte zusammen. Es schien, als sähe er in einen Spiegel. Simon erkannte sich selbst. Schweißgebadet und schreiend wachte er auf. Seine Frau Barbara saß jammernd im Bett und schlug ihm mehrmals ins Gesicht.

»Simon, wach auf! Simon, was hast du bloß? Es wird jede Nacht schlimmer, sogar die Kinder bekommen Angst. Was hast du denn wieder Schreckliches geträumt? Ich bitte dich, erzähl mir von deinem Traum.«

Der Bader lag schweißüberströmt auf dem Rücken. Es war noch dunkele Nacht, und so konnte Barbara sein schreckensbleiches Gesicht nicht sehen. Er schüttelte den Kopf und stammelte: »Nichts ist – gar nichts.«

»Das kann doch nicht sein, du musst es mir erzählen. Dann geht es dir sicher besser.«

»Ich kann mich an nichts erinnern. Ich weiß nicht mehr, wovon ich geträumt habe. Erst dein Geschrei hat mich geweckt«, log Simon und rieb sich seine von den Ohrfeigen, geröteten Wangen.

Wie sollte er seiner Frau diese immer wiederkehrenden Albträume erklären? Konnte er ihr sagen, dass ihm jede Nacht die Toten erschienen, die ihn seit seiner Soldatenzeit im Bayrischen Krieg verfolgten? Sollte er ihr eingestehen, was er selbst dem Pfarrer nicht beichtete? Sollte er von den Bauern berichten, die sie so lange folterten, ihre Frauen und Töchter schändeten, bis sie ihnen ihr letztes Versteck verraten hatten? Sollte er ihr das Blutgeld zeigen, welches unter dem Küchenfeuer vergraben lag? Sollte er ihr von Gesa berichten, mit der er vor einem Jahr in Augsburg war, in die er sich unsterblich verliebt und mit der er die Ehe gebrochen hatte? Nichts von alledem würde er tun. Er musste dies mit sich und dem Herrgott alleine ausmachen.

Die Eheleute krochen wieder unter den Berg aus Schaffellen und Wolldecken, der sie vor der eisigen Kälte schützte, die durch die zahlreichen Ritzen der hölzernen Dachsparren ins Schlafgemach drang. Ein dünner Flaum aus Schneekristallen bedeckte alles. Das Ehepaar hoffte, erneut einschlafen zu können. Simon stopfte sich ein mit Schafwolle gefülltes Kissen in den Rücken und versuchte, im Sitzen Schlaf zu finden. Der Bader bemühte sich, an etwas Schönes zu denken, um damit die Angstzustände zu vertreiben. Er träumte von Gesa. Nun hatte er zwar wieder mit seinem schlechten Gewissen zu kämpfen, aber diese Gedanken waren tausendmal angenehmer als die Albträume von den Geistern, die das Leben seiner Liebsten bedrohten.

Am nächsten Morgen verspürte niemand aus der Baderfamilie das Bedürfnis, aufzustehen. Letztlich gab sich Simon einen Ruck und sprang aus dem Bettkasten. Die Kälte ließ ihn frösteln. Schnell streifte er sich die Beinkleider über, wickelte Fußlappen um die Beine, zog den Kittel an und schlang sich zusätzlich eine wollene Decke um die Schultern. Er fror immer noch jämmerlich, denn alle Kleidungsstücke außer denen, die er im Bett auf dem Leib trug, waren klamm. Der Bader hangelte sich die steile Treppe in den Wohnraum hinunter. Dort fachte er zuerst das Feuer unter dem eisernen Kessel mit der Brühe vom Vortag an. Wie jeden Morgen war noch ein Rest Glut vorhanden. Er musste nur ein wenig trockenes Reisig draufwerfen, damit die Flammen neue Nahrung fanden. Dann legte er weitere Holzscheite nach. Kurz darauf breitete sich angenehme Wärme aus. Nun folgte ihm Barbara in das Wohngemach. Die beiden Kinder ließen sie noch schlafen.

3

Ein dick vermummter Knecht des Gasthauses zum Goldenen Stern am Oberen Tor räumte den frisch gefallenen Schnee im Hof des Anwesens. Nachdem er den Weg zu den Stallungen und der Hütte, in der das Bier gebraut wurde, von der weißen Pracht befreit hatte, setzte er die Arbeit außerhalb des Grundstücks fort. Erst schaufelte er die Hofeinfahrt frei, damit das Tor geöffnet werden konnte. Im Anschluss stapfte er um den durch einen hohen, hölzernen Zaun begrenzten Besitz herum, um nach dem Rechten zu sehen. Der Brauknecht schlurfte links in Richtung des Oberen Tores und bog dann in die Gasse ein, die direkt an der Stadtmauer entlangführte. Am Abschluss des Grundstücks befand sich ein mit Büschen bewachsenes Gelände.

Der Knecht machte kehrt, um zurück ins Warme zu gelangen und stolperte. Vor seinen Füßen verbarg sich etwas Großes, Längliches unter der weichen, kalten Pracht. Er stieß mit dem Fuß mehrmals dagegen. Der von dem weißen Tuch überzogene Gegenstand widerstand dem Druck, ließ sich ein wenig wegschieben. Was mochte das nur sein? Der Mann bückte sich und schob den Schnee zur Seite. Es kam eine Hand und fünf steife, blassblaue Finger zum Vorschein. Der Brauknecht schnappte nach Luft und lief laut schreiend, mit den Armen wild herumfuchtelnd, zurück ins Gasthaus.

»Hilfe! Kommt schnell! Ich habe einen Toten gefunden. Da liegt eine Leiche hinterm Haus.«

Eine Stunde später hatte sich, trotz der eisigen Kälte am Ort an dem der Tote lag, eine große Menschenmenge versammelt. Die Stadtknechte hielten mit ihren Spießen die neugierigen Bürger zurück. Der Stadtbüttel Emmeran Wagner, Ludwig Kroiß der Hauptmann der Stadtwache und Aichachs Bürgermeister Chuntz Zellmaier untersuchten die Leiche und die nähere Umgebung. Den Schnee hatte in der Zwischenzeit irgendjemand zur Seite gefegt. Ein Mensch lag auf dem Bauch, mit einer schwarzen Kutte bekleidet, die durch einen dünnen Ledergürtel zusammengehalten wurde. Den Kopf verdeckte die mit dem Mönchsgewand vernähte Kapuze. Bleiche Waden ragten unter dem groben Stoff hervor. Die Füße steckten in dunkelbraunen, abgetragenen Schuhen. Emmeran Wagner und Ludwig Kroiß bückten sich, packten den Leichnam an den Armen und drehten ihn auf den Rücken. Jetzt sah man, dass sich unter dem Toten eine große rote, gefrorene Blutlache gebildet hatte. Diese haftete als dunkelrote, festgefrorene Eisplatte am Stoff über dem Brustkorb fest. Mit seinem Dolch schlug der Hauptmann der Stadtwache den Eispanzer in Stücke, die wie kleine, rote Bälle durch die Luft spritzten. Im Anschluss schnitt er den Stoff des Gewandes auf und legte eine daumenbreite Stichwunde frei.

Die Spitze eines Dolches oder Messers war genau zwischen der fünften und sechsten Rippe in den Körper eingedrungen und hatte das Opfer sofort getötet. Es war vermutlich nicht einmal mehr in der Lage gewesen zu schreien.

»Nicht schon wieder ein Mord«, stöhnte Chuntz Zellmaier. »Diese Geschichte wird dem Herzog zu Ohren kommen und ihm überhaupt nicht gefallen. Vielleicht verschiebt er sogar seinen Besuch, den er im Frühjahr geplant hat. Möglicherweise befürchtet unser Fürst, bei uns wären die Straßen nicht sicher. Hier finden inzwischen mehr Morde statt als in der Residenzstadt.«

»Das stimmt doch nicht! Außerdem konnten wir bisher alle Verbrecher fassen und ihrer gerechten Strafe zuführen. Auch in Ingolstadt geschehen Morde, von Augsburg ganz zu schweigen. Der Herzog hat immer seine Leibgarde dabei, die passen schon auf, dass ihm nichts geschieht. Und außerdem sind wir auch noch da«, versuchte der Hauptmann der Stadtwache den Bürgermeister zu widerlegen. »Du wirst sehen, den Kerl, der diesen Mönch auf dem Gewissen hat, fassen wir in Kürze.«

»Dein Wort in Gottes Ohr«, seufzte Chuntz Zellmaier. »Kennt einer diesen armen Teufel?« Er musste unpassenderweise lachen. »Teufel passt nicht wirklich, es scheint sich wohl um einen Mönch zu handeln. Es muss ein Fremder sein. Ich habe ihn noch nie vorher in der Stadt gesehen. Wisst ihr vielleicht, um wen es sich handelt?«

Die beiden Angesprochenen schüttelten die Köpfe und Emmeran Wagner antwortete: »Mir ist der Tote noch nie über den Weg gelaufen. Es könnte sein, dass der Herr Pfarrer den Mönch kennt. Er scheint dem Augustinerorden anzugehören.«

Mit lauter Stimme fragte Ludwig Kroiß die umstehenden Schaulustigen: »Hat jemand von euch diesen Mann schon einmal gesehen?«

Die Menge drängte sich ein Stück nach vorne, um einen besseren Blick auf die Leiche zu erhaschen. Nachdem ihn zuerst niemand zu kennen schien, meldete sich aus den hinteren Reihen eine Stimme zu Wort. »Wie er heißt, weiß ich nicht. Aber gesehen habe ich ihn schon einmal.«

»Komm nach vorne und berichte!«, forderte ihn der Bürgermeister auf. »Ach, der Korbinian! Also, du kennst den Toten?«

»Was heißt kennen?« Es war still geworden und die Umstehenden drängten sich dicht zusammen, um auch kein Wort zu versäumen.

Verärgert sah sich Ludwig Kroiß um. »Verschwindet, das geht euch gar nichts an.« Ein unwilliges Raunen ging durch die Menge, aber niemand machte Anstalten sich zu entfernen.

Korbinian Gulden, der Wirt des Gasthauses zum Goldenen Stern erklärte: »Lasst uns rüber ins Wirtshaus gehen, da sind wir ungestört. Außerdem ist es dort warm und ein Bier habe ich auch für euch.« Sie folgten dem Gastwirt. Derweil waren die Stadtknechte bemüht, die schaulustigen Bürger von dem Toten fernzuhalten.

Nachdem jeder einen Krug Bier vor sich stehen hatte und der Wirt die wenigen frühen Gäste vor die Tür gesetzt hatte, fuhr er mit seiner Schilderung fort. »Ich weiß nicht, wie er heißt. Aber er war gestern zusammen mit einem anderen Mönch bei mir in der Wirtschaft. Ich glaube, der zweite gehörte ebenfalls dem Augustinerorden an.«

»Was wollten sie?«, unterbrach ihn der Büttel.

»Ja, was meinst du? Was will jemand im Gasthaus? Essen wollten sie und etwas trinken, natürlich.« Der Wirt schüttelte geringschätzig den Kopf.

»Hast du etwas von dem aufschnappen können, was sie gesprochen haben? Sprich frei von der Leber weg«, ermunterte ihn der Bürgermeister.

»Also ich habe nichts mitbekommen. Sie saßen da hinten in der Ecke.« Er wies mit der Hand in eine dunkle Nische der Gaststube mit dem Ausgang zum Hof. »Sie unterhielten sich sehr leise. Wenn wir ihnen etwas gebracht haben, schwiegen sie, bis wir wieder außer Hörweite waren. Außerdem geht es jeden Abend bei uns hoch her und du verstehst manchmal dein eigenes Wort nicht mehr. Die beiden haben es sich schmecken lassen und dem Bier und Wein kräftig zugesprochen. Anfangs waren sie guter Dinge, später haben sie angefangen, sich zu streiten.«

»Hast du aufgeschnappt, um was es bei dem Streit ging?«, frage Ludwig Kroiß.

»Nein, ich habe keine Ahnung. Als Wirt siehst du sofort, wenn die Gäste beginnen sich zu streiten. Manchmal drangen auch Schimpfworte herüber, die ich zwei ehrbaren, frommen Kirchenmännern gar nicht zugetraut hätte.«

»Denk nochmal nach, vielleicht hast du irgendetwas aufgefangen«, ermunterte ihn Ludwig Kroiß.

»Ich sagte euch bereits, mein Schankraum war rappelvoll und es war laut. Ich musste die Gäste bedienen und konnte nicht jedem hinterherspionieren. Sie haben sich halt gestritten. Das kommt in meinem Gasthaus täglich vor. Das Außergewöhnliche war, dass sich zwei Kirchenmänner in der Wolle hatten.«

»Vielleicht hat einer der Gäste oder deiner Bediensteten etwas aufgeschnappt?«, Ludwig gab nicht auf.

»Das glaube ich nicht. Meine Leute hätten es mir erzählt und die meisten Gäste waren zu der Zeit, als die beiden Mönche in Streit gerieten, bereits stinkbesoffen. Ich spucke auch nicht in den Becher.«

»Korbinian, was taten die beiden nach ihrem Streit?«, der Bürgermeister setzte die Befragung fort.

»Eigentlich nicht mehr viel. Der eine Mönch stand auf, zahlte die gesamte Zeche und ging hinaus. Wenig später folgte der andere, der jetzt da hinten tot in der Gasse liegt.«

»Ist diesem noch jemand gefolgt oder hast du später etwas Ungewöhnliches bemerkt?« Emmeran Wagner war der Ansicht, dass er für die Befragung zuständig wäre.

»Nein, da war nichts mehr. Niemand ist dem Mordopfer gefolgt. Zu später Stunde sind die letzten Zecher dann aufgebrochen. Von den Saufbrüdern konnte kaum noch einer aufrecht gehen. Eine sichere Hand für einen gezielten Stich mit dem Dolch hatte bestimmt keiner mehr von denen.«

»Ist einer von den Geistlichen schon früher mal bei dir eingekehrt?« Emmeran fragte weiter.

»Nein, ich habe beide noch nie vorher gesehen.«

»Denke nochmal genau nach! Ist sonst noch etwas Besonderes an diesem Abend geschehen?«, wollte der Büttel wissen.

»Wartet mal, da fällt mir noch etwas ein. Der Ermordete zahlte mit einer Silbermünze, die er aus einem schweren Lederbeutel hervorholte, den er an seinen Zingu ...., an seinen Zingulu ... - an seinen Gürtel halt, gebunden hatte. Da war sicher ein Batzen Silber drin. Ich dachte immer, die frommen Männer müssten in Armut leben. An mehr kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern.«

»Denk nochmal nach, dir fällt sicher noch etwas ein.« Ludwig Kroiß ließ nicht locker.

»Nein, da gibt es nichts – ehrlich nicht! Der zweite Mönch, der nicht da draußen liegt, hatte sich die ganze Zeit die Kapuze seines Habits soweit über den Kopf gezogen, dass man kaum etwas vom Gesicht erkennen konnte. Das kam mir schon merkwürdig vor, denn meine Gaststube ist immer gut geheizt und man konnte eigentlich nicht frieren. Wartet! Jetzt fällt es mir wieder ein! Als die beiden sich stritten, rutschte einmal die Kapuze nach oben – da sah ich es!«

»Was?«, riefen alle drei gleichzeitig.

»Ja, das Mal!«

»Was für ein Mal?«

»Das Mal halt! Der Mönch hatte ein Mal auf der Stirn! Ein großes rotes Mal auf der linken Seite – feuerrot! Als ob jemand dem Teufel an dieser Stelle ein Horn abgebrochen hätte. Er verbarg es sofort wieder unter seiner Kapuze. Der Klosterbruder wirkte erschrocken, als er bemerkte, dass ich sein Gesicht gesehen habe. So, mehr weiß ich jetzt wirklich nicht!«

Nachdem die drei das Wirtshaus verlassen hatten, begaben sie sich ins Amtszimmer des Bürgermeisters. Dort besprachen sie, wie es weiter gehen sollte.

»Was wissen wir bis jetzt? Im Gasthaus stritten sich zwei Mönche, die bei uns niemand kennt. Heute Morgen lag einer von beiden erstochen in der Gasse und der andere, möglicherweise sein Mörder, hat ein rotes Mal auf der Stirn«, fasste Chuntz Zellmaier ihre Erkenntnisse zusammen.

»Das ist ziemlich wenig, aber ein bisschen mehr wissen wir schon. Es handelt sich vermutlich um Augustinermönche.« Der Hauptmann der Stadtwache krauste nachdenklich die Stirn.

»Und was hilft uns das? Gar nichts!«, stieß der Büttel ungehalten hervor.

»Doch, das hilft uns schon! Augustiner gibt es nicht so viele und in Aichach sowieso nicht. Außerdem können wir den Pfarrer fragen, ob er uns weiterhelfen kann. Wenn Männer des geistlichen Standes in der Stadt sind, werden sie sicherlich bei ihm vorgesprochen haben.«

»Gute Idee! So machen wir es! Ich gehe gleich zum Pfarrer.« Damit trennten sie sich. Der Bürgermeister machte sich auf den Weg zum Pfarrhof.

4

Hanns Frankfurter hatte sich, nachdem er die Frühmesse in der eiskalten Stadtpfarrkirche gelesen hatte, zurück ins warme Pfarrhaus begeben. Dort wollte er sich mit einem ausgiebigen Frühstück von den Anstrengungen der ersten Morgenstunden erholen. Es waren, wie zumeist unter der Woche, wenige Gläubige erschienen. Fast nur alte Frauen schleppten sich trotz der eisigen Kälte in die Kirche. Zusammen mit zwei Messdienern verrichtete er den frühen Dienst am Seelenheil der Stadt und ihrer Bürger.

Es pochte heftig an die Pforte des Pfarrhofs. Der Pfarrer dachte zuerst an irgendwelche morgendlichen Bittsteller, die beabsichtigten ihm seine kostbare Zeit zu stehlen. Dann öffnete sich die Tür und die Hauswirtschafterin ließ den Bürgermeister Chuntz Zellmaier herein. Überrascht sprang der Geistliche auf.

»Gelobt sei Jesus Christus«, grüßte der Eingetretene und klopfte sich den Schnee von seinem Umhang und den Stiefeln.

Missbilligend betrachtete der Geistliche die sich rasch ausbreitende Wasserlache, bevor er antworte: »In Ewigkeit – Amen! Du bist ein seltener Gast bei mir im Pfarrhaus. Es muss wichtige Gründe geben, die dich zu so früher Stunde zu mir führen. Was kann ich für dich tun? Bis du in Nöten und willst die Beichte ablegen? Oder ist in der Stadt etwas Schreckliches vorgefallen und du benötigst den Rat der Kirche?«

»Du scheinst es noch nicht gehört zu haben, aber es ist erneut ein Mord geschehen.«

»Nein, um Gotteswillen? Das höre ich zum ersten Mal. Nach der Frühmesse hat es mir keiner zugetragen. Hört das denn nie auf? Schon wieder ein Mord! Das Verbrechen nimmt überhand! Sitte und Moral verfallen, die Leute denken nur noch an das Hier und Jetzt und ihr irdisches Wohl. Um ihr Seelenheil besorgt sind nur noch die alten Weiber, die mir schon zur Frühmesse den Beichtstuhl belagern, obwohl sie von gestern auf heute kaum Gelegenheit hatten, Sünden zu begehen. Wer wurde denn umgebracht?« Der Geistliche wirkte einerseits betroffen, andererseits deprimiert über den vermeintlichen Verfall der Sitten.

»Leider kennen wir das Opfer nicht. Deshalb bin ich ja zu dir gekommen.«

»Ja, willst du eine Messe für den Toten lesen lassen? Für die Versehung mit den Sterbesakramenten ist es zu spät, dazu muss noch ein Hauch Lebens in einem Körper sein. Übrigens, seit wann kümmert sich die Stadt um so etwas?« Der Geistliche wirkte verwirrt.

»Da musst du keine Angst haben, die Stadt nimmt sich nicht der Aufgaben der Kirche an. Wir dachten uns, du kennst den Ermordeten, weil es sich um einen Augustinermönch handelt.«

Chuntz Zellmaier blickte in die vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen des Pfarrers, der erbleichte.

»Was sagst du da? Ein Mönch wurde ermordet?« Hanns Frankfurter bekreuzigte sich.

»Ja, so ist es! Am besten kommst du mit und schaust dir den Leichnam an. Vielleicht kennst du ihn und außerdem kannst du dich, da er ein Vertreter der Kirche ist, gleich um die Beisetzung kümmern.«

Am Oberen Tor traten der Bürgermeister, der Pfarrer und zwei Messdiener in die Gasse, zwischen dem Gasthaus zum Goldenen Stern und der Stadtmauer. Am Ende des Grundstücks war immer noch eine große Menschenmenge aus aufgeregt diskutierenden Bürgern versammelt. In diesen kalten Wintertagen gab es für die Bewohner der Stadt wenig Abwechslung. Umso größer war die klammheimliche Lust an Ereignissen, von denen man später noch seinen Enkelkindern erzählen konnte.

Der Bürgermeister drängelte sich fluchend durch die Menschenmenge, während der Pfarrer ein silbernes Glöckchen läutend mit seinen beiden Helfern hinterdrein hastete. Durch eine Gasse in der murrenden Menge erreichten sie den Ort des Verbrechens. Die Leiche war in der Zwischenzeit mit einer zerschlissenen, alten Pferdedecke bedeckt worden. Emmeran Wagner zog sie zur Seite. Nachdem Hanns Frankfurter einen Blick auf den gefrorenen Leichnam geworfen hatte, wurde er noch ein wenig blasser und bekreuzigte sich.

»Kennst du ihn?«, erkundigte sich der Bürgermeister.

»Ja… Ja, ich kenne ihn!«, stotterte der Geistliche.

»Sag schon, wer ist der Ermordete?«, bedrängte ihn Chuntz Zellmaier.

»Der Ärmste, es ist so furchtbar. Es handelt sich um Bruder Anselm der Augustiner Chorherren des Klosters Indersdorf. Wie schrecklich! Welche Sünde, einen Mann der Heiligen Mutter Kirche zu ermorden.«

»Da hast du sicherlich recht. Aber jeder Mord ist eine Todsünde, auch wenn er an einem armen Bettler begangen wird. Weißt du, was der Augustiner bei uns wollte?«, löcherte der Bürgermeister den Stadtpfarrer.

»Er überbrachte mir eine Botschaft des Abtes.«

»Kann das etwas mit seinem Tod zu tun gehabt haben?«

»Nein, das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Ich beabsichtige, wenn der Winter vorbei ist, dem Abt und dem Kloster Indersdorf einen Besuch abzustatten.«

»Euer Bruder Anselm traf sich am gestrigen Abend im Gasthaus mit einem zweiten Mönch, vermutlich ebenfalls einem Augustiner. Es gab einen heftigen Streit zwischen den beiden. Ist dir ein weiterer Augustinermönch bekannt, der sich in unserer Stadt aufhält?«

»Ich weiß nichts über einen zweiten Mönch in meiner Pfarrei. Bruder Anselm hat keinen erwähnt und auch niemand von meinen Gläubigen. Es ist zudem nicht üblich, dass sich zwei Männer der Kirche in aller Öffentlichkeit, noch dazu in einem Wirtshaus, besaufen und herumstreiten.«

»Du kannst ja in aller Ruhe darüber nachdenken. Vielleicht fällt dir später noch etwas ein, was hilfreich sein könnte, um Licht in diese abscheuliche Angelegenheit zu bringen.«

»Dieses schreckliche Verbrechen lässt mich sicher in nächster Zeit nicht zur Ruhe kommen. Ich werde mich um den Toten kümmern. Wir lassen eine Messe in unserer Pfarrkirche für ihn lesen und sorgen dann dafür, dass sein Leichnam in das Kloster nach Indersdorf überführt wird.«

5

Der Badermeister Simon Schenk richtete am folgenden Morgen seine Badestube für die tägliche Arbeit her. Immer öfter geriet er mit seiner Frau wegen seiner ständigen Niedergeschlagenheit und Desinteresses an den alltäglichen Dingen des Lebens in Streit. Er riss sich nun zusammen. Simon versuchte, seinem Tageswerk so nachzukommen, wie er es seit eh und je getan hatte. Er wollte seiner Gemahlin keinen Ansatzpunkt für neuerliche Auseinandersetzungen liefern. Das Feuer unter der Kochstelle verbreitete wohlige Wärme in dem Raum, in dem sie sich tagsüber aufhielten, das Essen zubereiteten und arbeiteten. Es klopfte an der Tür.

Simon wunderte sich, dass zu dieser frühen Stunde jemand seine Hilfe benötigte. Möglicherweise quälten einen Aichacher nachts die Zähne oder zwickte ein anderes Gebrechen. Er begab sich zur Haustür und öffnete sie einen Spalt, damit die mollige Wärme im Haus blieb.

Er stand wie vom Donner gerührt und stammelte: »Ihr?«

»Gelobt sei Jesus Christus!«

»Ihr?«

»Ja, ich!« Der Stadtpfarrer Hanns Frankfurter wirkte genervt. »Willst du mich nicht hereinbitten oder lieber weiter in der Kälte warten lassen? Das Grüßen scheinst du auch verlernt zu haben.«

»Ja, selbstverständlich! In Ewigkeit! Amen! Kommt doch schnell herein! Ihr seid natürlich jederzeit herzlich willkommen! Hochwürden, bitte entschuldigt meine Respektlosigkeit! Ich war einfach überrascht.«

Simon schossen tausend Gedanken durch den Kopf. »Was zum Teufel will der Pfarrer hier? Hatte seine Frau sich bei der Beichte verplappert? Hatte der Geistliche etwas über sein sündiges Vorleben erfahren? Das konnte nicht sein, darüber wusste außer Ludwig Kroiß niemand in Aichach Bescheid und der würde sich eher die Zunge abbeißen, als seinen Freund zu verraten.«

Der Bader war heilfroh, dass er schon angekleidet war. Er zog die Beinlinge hoch und strich seinen Kittel glatt. Mit den Fingern ordnete er das zerzauste Haar und wischte sich eine Strähne aus dem Gesicht. Simon räumte schnell die schmutzigen Teller, Holzlöffel und Becher vom Tisch, die noch vom Abendessen herumstanden. Er versteckte seine grauen, übelriechenden Fußlappen, die auf einem der beiden Holzstühle lagen, hinter dem großen Kasten im Raum. Dann bat er den Besucher, Platz zu nehmen. Hanns Frankfurter blickte sich angewidert um und ließ sich auf der vorderen Kante der Sitzgelegenheit nieder.

»Was kann ich für Euch tun, Hochwürden? Wir sind nicht auf Besuch eingerichtet und deshalb kann ich Euch nur wenig anbieten. Ich habe nur noch abgestandenes Bier vom Vortag und frisches Wasser. Es tut mir sehr leid.«

Der Geistliche schüttelte sich innerlich bei dem Gedanken, hier bewirtet zu werden. »Danke, lass es gut sein, mein Sohn. Ein Diener des Herrn ist mit wenig zufrieden. Ich habe heute Morgen schon eine Kleinigkeit zu mir genommen und bin gekommen, um mit dir zu sprechen.«

Sofort waren bei Simon alle Sinne auf Vorsicht eingestellt. »Der Kerl will etwas von dir! Du musst auf der Hut sein! Das kann nichts Gutes bedeuten!«

»Ich freue mich, dass Ihr meinem bescheidenen Heim einen Besuch abstattet. Was kann ich für Euch tun?«

Barbara, die Geräusche vernommen hatte, kam die Treppe herunter. In dem Moment, als sie den Besucher erblickte, blieb sie wie angewurzelt auf der untersten Stufe der Stiege stehen. Sie trug noch ihr Nachtgewand.

»Ja, um Himmels Willen, der Herr Pfarrer!«, rief sie nach einer Schrecksekunde, drehte sich um und flüchtete in die oberen Räumlichkeiten zurück. Beide schauten Barbara erstaunt hinterher.

»Ja mein Sohn, ich möchte dich um einen kleinen Gefallen bitten.«

»Gerne, Herr Pfarrer. Ich werde mein Möglichstes tun, um Euch zufrieden zu stellen. Soll ich Euch den Bart stutzen oder die Tonsur rasieren? Habt Ihr ein Gebrechen, das Euch quält, vielleicht sogar an einer unschicklichen Stelle? Ich kann schweigen wie ein Grab. Geld würde ich von einem Mann der Heiligen Mutter Kirche natürlich niemals annehmen.«

Der Stadtpfarrer blickte den Bader entrüstet an. »Nichts von alledem. Ich möchte dich darum bitten mir in einer Angelegenheit zu helfen, die Verschwiegenheit und einen klugen Kopf erfordert.«

»Aha ....«

»Du hast doch sicher schon vom Mord an dem Augustinermönch gehört, den sie am Oberen Tor gefunden haben.«

»Sicher darüber haben meine Kunden gesprochen. Was habe ich damit zu tun?«

»Du könntest mir in einer schwierigen Angelegenheit behilflich sein.«

»Habe ich Euch richtig verstanden? Ausgerechnet ich soll Euch helfen?«

»Genau darum bitte ich dich.«

»Ich wundere mich, Ihr wart doch in der Vergangenheit immer der Meinung, ich sollte mich nicht in diese kriminalistischen Vorgänge einmischen. Das wäre die Aufgabe des Büttels und der Männer des Herzogs, aber nicht die eines Badermeisters. Ihr überrascht mich.«

»Das dachte ich auch einmal. Jedoch haben mich deine Erfolge überzeugt, dass du der geeignete Mann für die Aufgabe bist, die ich dir antragen möchte.«

»Verstehe ich Euch richtig? Soll ich den Mörder finden? Kommt Ihr im Auftrag der Stadt?«

»Nein, das sollst du nicht. Der Büttel wird sich darum kümmern, dass der Verbrecher seine gerechte Strafe erhält. Dich benötige ich für etwas anderes.«

»Ihr mögt mich für begriffsstutzig halten, aber ich kann Euch nicht folgen.«

»Ich möchte, dass du für mich auf eine Reise gehst.«

»Auf eine Reise?«

»Ja, auf eine Reise!«

»Aha… und wozu soll das gut sein?«

»Das will ich dir gerne erklären. Ich möchte, dass du den Leichnam des verstorben Bruder Anselm in sein Kloster nach Indersdorf überführst und ihn dort dem Propst Erhard Prunner übergibst. Du erhältst ein Fuhrwerk und zwei Knechte, die dich begleiten.«

Simon hatte es die Sprache verschlagen. Er zitterte vor Wut und Empörung. Es gelang ihm nur mühsam, sich zu beherrschen.

»Simon, bleib ruhig! Reg dich nicht auf! Wenn du den Pfarrer beleidigst, wirst du nie mit der Kirche ins Reine kommen. Außerdem gefällt es Barbara bestimmt, wenn du dem Pfaffen zu Diensten bist. Der will nur dafür sorgen, dass du dich nicht in die Ermittlungen in dem Mordfall einmischen kannst. Ganz raffiniert, der Kerl. Da steckt irgendeine große Sauerei dahinter«, dachte der Bader.

Bevor er antworten konnte, kehrte seine Ehefrau Barbara zurück und kam die Treppe herunter. Simon und der Geistliche staunten. Sie hatte sich das Gewand angezogen, dass sie sonntags zur Messe trug und ihr Haar mit einem Kopftuch züchtig verhüllt. »Grüß Gott! Was für eine Überraschung, der Herr Pfarrer in unserem bescheidenen Heim? Womit haben wir die Ehre verdient?«

»Grüß Gott, Baderin! Ich habe mit deinem Mann etwas zu besprechen.«

»Hat er Hochwürden irgendetwas angeboten?.... Nein?... Ja, Simon so geht das nicht, was soll Hochwürden denn von uns denken?«

»Baderin, mach dir keine Umstände, ich möchte nichts essen oder trinken, ich bin nur gekommen, um deinen Mann um einen Gefallen zu bitten.«

Barbara blickte den Pfarrer zweifelnd an und wollte sich zu ihnen setzen.

»Ich möchte mit deinem Mann alleine sprechen!«, fügte der Geistliche energisch hinzu. Barbara erhob sich beleidigt und entschwand erneut ins Obergeschoss.

Simon hatte durch die Unterbrechung Zeit gewonnen, um sich zu beruhigen. »Hochwürden, ich verstehe Euch nicht. Ich soll den Leichnam nach Indersdorf überführen? Ist es nicht sinnvoller, dass ihn ein Vertreter des geistlichen Standes begleitet, der auf dem ganzen Weg für sein Seelenheil betet? Als Bader hätte ich ihm vielleicht helfen können, solange er noch am Leben war, aber jetzt doch nicht mehr.«

»Nein, ich möchte, dass du die Aufgabe übernimmst.«

»Ich habe ein Geschäft und viel zu tun, außerdem habe ich eine Familie mit zwei Kindern zu versorgen. Wie soll das gehen?«

»Es ist eine Plage mit euch Aichachern, ihr denkt immer zuerst an den schnöden Mammon. Ist dir der Lohn Gottes nicht genug dafür, dass du eine gute Tat für einen seiner unglücklichen Diener verrichtest?«

»Hochwürden, ich will nicht unbotmäßig sein, aber mit dem Lohn Gottes wird meine Familie nicht satt und bei einer Reise mit einer Leiche auf dem Buckel bin ich frühestens in einer guten Woche wieder zurück.«

»Du bekommst ein Ochsenfuhrwerk gestellt und zwei Knechte mit auf den Weg.«

»Damit geht es auch nicht schneller und hinter mir herziehen werde ich den Sarg bestimmt nicht.« Dafür erntete er einen erbosten Blick des Geistlichen.

Simon kam eine Idee, wie er aus dieser Geschichte wieder herauskommen könnte und schlug vor. »Ich werde mir Euer Angebot noch einmal durch den Kopf gehen lassen und morgen früh gebe ich Hochwürden Bescheid.«

»Das ist zu spät! Ich wünsche, dass du sofort aufbrichst! Der Ermordete soll so schnell wie möglich seinen Frieden finden und von seinen Klosterbrüdern in geweihter Erde würdevoll bestattet werden.«

»Aber ....«

»Nichts, aber! Wir werden dir deinen Verdienstausfall ersetzen und dem Herrgott solch einen Dienst zu tun wird dir am Tag des Gerichts angerechnet werden.«

Der Bader dachte nach. Wenn er ein gutes Werk verrichten würde, könnte dafür ein Teil seiner Sünden getilgt werden. Es wäre sinnvoll zu fragen, was er für seine Dienste herauszuhandeln könnte. »Also, ihr würdet mir einen Ablass gewähren?«, erkundigte sich der Bader scheinheilig.

»Glaubst du, ich wäre der Heilige Vater in Rom?«

»Verzeiht mir! Ich dachte nur .....«

Der Pfarrer war sofort misstrauisch geworden: »Hast du gesündigt, mein Sohn? Ich habe dich noch nie bei mir im Beichtstuhl gesehen.«

»Natürlich lege ich regelmäßig die Beichte ab, aber in der Spitalkirche. Es gibt immer wieder lässliche Sünden«, er blickte die Stiege hinauf, wo seine Frau verschwunden war. »Man sieht ein hübsches Frauenzimmer und hat dann schon mal unkeusche Gedanken. Aber mehr ist nicht gewesen.«

Der Bader nahm an, dass die neuerlichen Lügen sein Sündenkonto nur wenig erhöhen würden.

»Lieber Simon, wenn du zurückgekehrt bist, bei mir gebeichtet hast und aufrichtig bereust, werde ich dir im Namen des Heiligen Vaters einen Ablass deiner Sünden gewähren.« Der Geistliche freute sich, ein reuiges Schaf seiner Gemeinde auf den rechten Weg zurückgeführt zu haben.

Der Bader rieb sich innerlich die Hände. So einfach war es also, von den Seelenqualen erlöst zu werden. Ein kleiner Zweifel blieb, ob sich der Allmächtige so leicht übers Ohr hauen ließ. »Hochwürden, ich habe mich mit freudigen Herzen entschieden. Es ist eine große Ehre für mich, diese Aufgabe für Euch und die Heilige Mutter Kirche zu leisten und die sterblichen Überreste des Mönchs zurück zu seinen Brüdern im Kloster Indersdorf zu bringen. Diese Reise wird für mich wie eine Wallfahrt sein, die ich zum Gebet und innerer Einkehr nutzen werde. Ich muss nur noch ein paar Sachen packen und mich von Frau und Kindern verabschieden. Dann kann es losgehen.«

Simon stand auf und erwartete, dass der Pfarrer jetzt aufbrechen würde. Hanns Frankfurter druckste auf einmal herum. »Da wäre noch etwas, was ich mit dir besprechen müsste. Außerdem habe ich eine wichtige Botschaft an Erhard Prunner den Propst des Klosters, die du ihm nur persönlich übergeben darfst. Vorher musst du mir aber auf die Heilige Schrift schwören, dass du alles, was du nun von mir erfährst, für dich behältst und mit niemandem darüber sprichst. Gerade deinen Spezln gegenüber hast du Stillschweigen zu bewahren, dem Bürgermeister Chuntz Zellmaier und dem Hauptmann der Stadtwache. Schwörst du mir das?«

»Jetzt scheint es ja richtig spannend zu werden«, dachte der Bader. »Natürlich könnt Ihr Euch auf mich verlassen. Das schwöre ich beim Leben meiner Mutter. Meine Lippen werden verschlossen sein, wie ein Grab.«

»Deine Mutter ist vermutlich schon lange tot«, knurrte der Pfarrer.

»....dann eben auf alles, was mir heilig ist!«

»Du schwörst auf die Heilige Schrift und alle Heiligen!«

»Natürlich tue ich das. Ihr könnt Euch auf mich verlassen!«

»Das will ich dir dann auch geraten haben. Die Baderzunft ist ja nicht gerade für ihre Verschwiegenheit bekannt. Solltest du den Schwur brechen, so wird deine Seele der ewigen Verdammnis anheimfallen«, drohte der Geistliche.

»Ich sagte doch, Ihr könnt mir vertrauen. Also, wie lautet die Botschaft, die ich überbringen soll?«

»Ich muss dir erst ein paar Dinge erklären, damit du die Nachricht verstehst. Der Propst des Augustiner Stiftes Indersdorf hat den Bruder Anselm zu mir geschickt. Er führte ein Schreiben mit sich, in welchem stand, dass Erhard Prunner mir behilflich sein wollte, Reliquien des Heiligen Sebastian für die hiesige Stadtpfarrkirche zu beschaffen.«

»Aha?« Simon verstand nichts.

»Du weißt doch, dass der Heilige Sebastian der Schutzheilige der Stadt Aichach ist.« Er sah den Bader fragend an.