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"Das ist Victoire. "Victoire, und wie weiter?", hört man oft fragen. Darauf antwortet sie stets barsch: "Victoire, einfach Victoire." Dann dreht sie sich um, streicht sich durch ihr Haar und dreht sich einmal kurz um und ergänzt "Noire.", bevor sie sich wieder umdreht und weitergeht. Victoire Noire. Das ist ihr Name. [...] So ist Victoire. So ist Victoire Noire und so ist ihre Berufung: Victoire Noire ist eine Detektivin." Begleiten Sie Victoire bei all ihren Fällen, die sie zu lösen hat. Von "Blutdiamanten" bis"Victoires letzter Gang" erwarten Sie spannende Detektivgeschichten mit kniffligen Rätseln. Krimi und Spannung pur! 1. Buch: "Blutdiamanten": Victoire trifft im Schwimmbad auf zwielichtige Typen. Kurz darauf passieren ein Mord und ein Kunstraub seltener Leihgaben des Amsterdamer Rijksmuseums. Ein kniffliger Fall, bei dem es nicht nur um Blutdiamanten geht. 2. Buch: "Insektenstachel": Ein Imkermeister wird von einer Biene gestochen und stirbt. Das Bienengift ist kein gewöhnliches Gift, sondern Zyankali aus einer Roboter-Killerbiene. Weitere Opfer folgen. Victoire ermittelt verdeckt als Imkerin. 3. Buch: "Blanker Hans": Im Urlaub auf Hallig Hooge findet Victoire die Leiche eines ermordeten Manns am Strand. Was steckt dahinter und wer sind die seltsamen Polizisten Axel Schweiß und Simin Sheriotzadeh, die Victoire am Strand antrifft? Verbirgt etwa das versunkene Rungholt unter den Halligen ein düsteres Geheimnis? 4. Buch: "Gefährliche Geisterbahn": Fahrgäste einer Geisterbahn werden vom Gevatter Tod erst gemäht und dann ausgeraubt. Wer macht so etwas oder steckt etwas Tieferes hinter dem eigenartigen Rummel? Victoires Spürsinn schaut den Schaustellern gründlich auf die Finger. 5. Buch: "Millionenspiel": Max Brezel erfindet die Geschichte einer Erbschaft und wird entführt. Seine Eltern bitten Victoire um Hilfe. Während Rebecca versucht, das Lösegeld beim Millionenquiz zu erspielen, sucht Victoire eifrig nach dem Versteck der Entführer. Ein Wettlauf gegen die Zeit! 6. Buch: "Victoires letzter Gang": Ihr letzter Fall konfrontiert sie mit ihrer Vergangenheit. Wer ist die geheimnisvolle Schwarze Kralle, die 15 Jahre zuvor Raubzüge begann, den Schulpokal stahl und den Sportlehrer Nils Kronberg ermordete und nun zurückkehrt, um erneut Schätze zu stehlen und den Lehrer Horstmann zu ermorden? Um den Fall lösen zu können, muss sich Victoire mit ihrer Zeit als Abiturientin befassen, da sie den Mörder in ihrem Abijahrgang vermutet.
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Seitenzahl: 658
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1. Buch: Blutdiamanten
1. Kapitel: Ein gewöhnlicher Tag im Schwimmbad
2. Kapitel: Eine ungewöhnliche Nacht im Schwimmbad
3. Kapitel: Die Spur führt ins Museum
4. Kapitel: Das Gras vom Lohberg
5. Kapitel: Tulpen aus Amsterdam
6. Kapitel: Dinner gut, alles gut
7. Kapitel: Ein verhängnisvoller Anruf
8. Kapitel: Abendlicher Kunstdiebstahl
9. Kapitel: Lieber auffem Gasometer im Sturmesbrausen
2. Buch: Insektenstachel
1. Kapitel: Honig aus der Scheune
2. Kapitel: Die Imkerei der Familie Kirchner
3. Kapitel: Angriff der Killerbienen
4. Kapitel: Die Imkerei Bergmann
5. Kapitel: Sommerabend
6. Kapitel: Ein neuer Morgen in der Imkerei
7. Kapitel: In der Apotheke
8. Kapitel: Die Gesichtsmaske
3. Buch: Blanker Hans
1. Kapitel: Barfuß durchs Watt
2. Kapitel: Der Tote am Strand
3. Kapitel: Grootvaders Seemannsgarn
4. Kapitel: Zurück zum Strand
5. Kapitel: Die Bibliothek und das Museum
6. Kapitel: Die Höhle
7. Kapitel: Die Heimreise
4. Buch: Gefährliche Geisterbahn
1. Kapitel: Auf die Kirmes, fertig, los
2. Kapitel: Der Sensenmann
3. Kapitel: (K)ein Einzelfall?
4. Kapitel: Die Tiefgarage
5. Kapitel: Der Tunnel
6. Kapitel: Der Coup
7. Kapitel: Nosferatu
5. Buch: Millionenspiel
1. Kapitel: Eine verhängnisvolle Lüge
2. Kapitel: Feierabend zu zweit
3. Kapitel: Ein neuer Morgen
4. Kapitel: In der Schule
5. Kapitel: Im Quizstudio
6. Kapitel: Eine heiße Spur und ein heißer Kredit
7. Kapitel: Im Quizstudio II
8. Kapitel: Das Erpresservideo
9. Kapitel: Im Quizstudio III
10. Kapitel: Max‘ Verließ
6. Buch: Victoires letzter Gang
1. Kapitel: In der Rechtsmedizin
2. Kapitel: Das Open-Air-Konzert
3. Kapitel: Wieder zur Schule
4. Kapitel: Die Schwarze Kralle schlägt wieder zu
5. Kapitel: Feind aus der Vergangenheit?
6. Kapitel: Kolaschowski
7. Kapitel: Die Elster
8. Kapitel: Wer früher stirbt, ist länger tot
9. Kapitel: Im Milchkeller
10. Kapitel: Die Beerdigung
Epilog
Das ist Victoire. »Victoire, und wie weiter?«, hört man oft fragen. Darauf antwortet sie stets barsch: »Victoire, einfach Victoire.« Dann dreht sie sich um, streicht sich durch ihr Haar und dreht sich einmal kurz um und ergänzt »Noire«, bevor sie sich wieder umdreht und weitergeht. Victoire Noire. Das ist ihr Name. Und ein so seltsamer Name? Oder ist es nicht ihr wirklicher Name? Nun, das scheint sie selbst auch nicht zu wissen. Doch das ist ganz ihre Art. Ja, so ist sie: Das ist Victoire. Sie ist 1,52 m groß und hat lange dunkelbraune Haare, die länger als kinnlang, aber kürzer als schulterlang sind und den Kopf wie eine Glocke umschließen und dabei so ordentlich herunterfallen, als wären sie eine gusseiserne Kirchenglocke, aus der ihr Hals wie ein Glockenklöppel herausragt. Nur ein ganz feiner Riss in dieser perfekten Glocke aus Haaren gibt den Blick auf ihr Gesicht frei. Aus der Mitte ihres Gesichtes, das nicht ganz von den Haaren verdeckt wird, ragt eine große dreieckige spitze Nase heraus, die ringsherum von tausend roten Sommersprossen umgeben ist, die Victoires weiße Gesichtshaut mit einem schönen leuchtenden Muster schmücken. Über der Nase blicken zwei grüne Augen ganz klar und zielgerichtet durch die Haare und können trotz dieses gitterartigen Schleiers die Welt ganz scharf und klar erkennen. Und so scharf wie ihr Blick sind auch Victoires roter Mund mit leuchtenden Lippen und einer ebenso scharfen Zunge.
Aber scharf ist vor allem Victoires scharfer Verstand, der sie nie, niemals im Stich lässt und oft mehr sieht als Victoires Augen.
Zuhause trifft man sie immer so auf: Victoire trägt eine rosafarbene Joggings-Trainingsanzugshose in Kombination mit einem weißen Hoodie und läuft barfuß auf und ab in der Wohnung herum und blickt dabei stets aufmerksam, starr und scharfsinnig um sich und achtet auf jede noch so kleine Ungereimtheit, was selbst ihrem einzigen Mitbewohner Jonas Pützmann oft recht unheimlich erscheint.
Draußen trifft man sie zwar nicht barfuß im Trainingsanzug an, dafür aber in allen möglichen Kleidern, Schuhen und sogar manchmal Mützen und Hüten, die sie allesamt mehrmals wechselt, als wäre sie eine Schlange, die sich täglich häutet, und trotz der vielen unterschiedlichen Kleider ist das Auftreten der Person, die die Kleider verschleiern sollen, immer dasselbe: ein aufmerksamer, starrer und scharfsinniger Blick, dem selbst jede noch so kleine Ungereimtheit nicht verborgen bleibt. Und wenn sie dann eine solche entdeckt, entfacht das ein Feuer in ihr und sie muss dieser Sache auf den Grund gehen. So ist sie. So ist Victoire. So ist Victoire Noire und so ist ihre Berufung: Victoire Noire ist eine Detektivin.
Es ist ein sehr heißer, sonniger Sommertag. Victoire trägt ein dottergelbes mit Stiefmütterchen übersätes Sommerkleid und dazu zwei kamelbraune Römersandalen Typ Riemchensandalen und macht sich mit einem Rucksack voller Badesachen auf dem Rücken auf dem Sattel ihres Fahrrades auf den Weg ins nächste Schwimmbad. Der Aquapark soll es sein. Darum radelt sie den Rhein-Herne-Kanal entlang. Das nicht ganz günstige Hallenbad in ihrer Heimatstadt Oberhausen passt gut zu ihrer Gegend, denn es bietet neben kühlem Nass eine Wasserrutschbahn mit Bergbauambiente.
»Wasserrutschen wie unter Tage«, denkt sie sich, »ist doch herrlich.«
Ja, herrlich ist es bestimmt und darauf hat sie sich schon die ganze Woche gefreut. Nachdem sie wieder jeden Tag tagein, tagaus in dem Supermarkt, wo sie jobbt, die Regale ein- und ausgeräumt hat, kommt nun der wohlverdiente und arbeitsfreie, aber vor allem sommerlich heiße Sonntag, wo sie endlich mal wieder schwimmen gehen kann. Jonas hätte sie gerne begleitet, doch er hat sich mit einem Kumpel zum Angeln an diesem Wochenende verabredet. Auch ihre beste Freundin Rebecca, die von ihr liebevoll stets »Becky« genannt wird, hat keine Zeit, um schwimmen zu gehen. So radelt Victoire also alleine zum Schwimmbad ihrer Freude. Gerade kommt sie mit dem Fahrrad an der großen grauen Tonne vorbei, die am Ufer des Rhein-Herne-Kanals wie ein hochgewachsener Stangenspargel in den Himmel hervorragt. Diese graue Tonne ist der Oberhausener Gasometer und er ist weniger ein Spargel als eine gigantisch große Dose, die auf den Rhein-Herne-Kanal herabschaut. Wie in alten Tagen das alte Industriedenkmal der Aufbewahrung von Scheibengas diente, so dient es in heutigen Tagen der Ausstellung aller möglichen Objekte aus Kunst und Wissenschaft und ist die höchste Ausstellungs- und Veranstaltungshalle Europas. Nebenbei ist er auch eine markante Landmarke und das Zeichen für Victoire, dass sie kurz vorm Erreichen des Aquaparks ist. Sie radelt am Gasometer vorbei und radelt nur noch drei Minuten und schon steht sie vor den Toren des Aquaparks. Schnell schließt sie ihr Aluminiumross an und betritt das Schwimmbad. Sie bezahlt den Eintritt, kleidet sich um und betritt barfuß in einem zitronengelben Bikini, der nur ihre Brust und ihr Becken verdeckt, die Schwimmhalle. Ihre Wertsachen hat sie bereits in einem Spind sicher verstaut und trägt das Armband mit der Spind-Nummer und dem Coin, den sie zum Betreten, Verlassen und Spind mieten im Schwimmbad braucht, an ihrem rechten Handgelenk, ebenso wie eine Schwimmbrille auf ihrer dunkelbraunhaarigen Glocke und ihr Badetuch auf ihrer linken Schulter. Sie sieht sich in der großen Schwimmbadhalle um. Die Schwimmbadhalle ist architektonisch gut gestaltet. In ihrer Mitte befindet sich ein grüner Förderturm, der direkt an die Glaskuppel stößt, welche das Dach bildet und bei schönem Wetter sogar weit geöffnet werden kann. In den Förderturm sind zum einen die Flugrutsche integriert, eine recht kurze Rutsche, die aus 18 m Höhe schnurgerade aufs 25-m-Schwimmbecken zuläuft, aber trotzdem noch 1,5 m Abstand zur Wasseroberfläche lässt, und dem Rutschenden viel Speed mit einem anschließenden freien Fall beim Eintauchenden bietet; und zum anderen schienengebundene Kipploren auf einer sichtbaren Felswand, von denen zwei sich füllen lassen und stets volllaufen, allerdings stets mit Wasser statt mit Kohlen, und sobald sie vollgelaufen sind, kippen sie um und begießen den Badenden mit einer kalten Dusche. Entweder trifft ihn diese Dusche im warm beheizten Becken, das den Namen »Flöz-Erlebnisbecken« trägt oder im durch die Felswand abgetrenntem Kinderbecken, in dessen Mitte ein großes braunes Grubenpferd haust und mit einigen Körben Kohlen beladen ist, jedoch den Kipploren rund um die Uhr die kalte Schulter zeigt. Der Aquapark verfügt auch über einen Außenbereich und über zwei Rutschentürme: dem 13-m-hohen Rutschenturm Nord und dem höheren südlichen Rutschenturm, in dem die sogenannte »Knappenrutsche« zu Hause ist. Sie besteht aus einer in drei Spuren geteilten Rutschbahn, die drei Rutschende gleichzeitig um die Wette im Dunkeln herunterrutschen können. Das 90-m-lange Rohr der Knappenrutsche schlängelt sich wie eine leibhaftig große Anaconda aus einer Höhe, die der Kuppenhöhe entspricht, runter bis zur Fußbodenhöhe des Indoorbereichs und zieht dabei zwei große Kreise, durch die man vom Außenschwimmbecken sehr gut auf den Gasometer Oberhausen blicken kann. Der andere der beiden Rutschentürme, der 13-m-hohe Rutschenturm Nord, besteht aus zwei langen Rutschenröhren, einer großen Grünen und einer kleinen Schwarzen. Die große grüne Rutschröhre trägt den Namen »Tagschacht« und darf nur mit Rutschreifen berutscht werden und gilt mit ihrer Länge von 120 m als längste X-Tube-Rutsche NRWs. Einige Abschnitte der Rutsche sind lichtdurchlässig, weswegen sie auch den Namen »Tagschacht« trägt. Wer durch sie hindurch rutscht, hält sich an den Haken der Reifen fest und lässt dabei den Po durch das Loch im Reifen durchhängen. Eine Rutschpartie ist lustig, weil sich der Reifen während der Fahrt um die eigene Achse dreht. In der schwarzen Röhre, dem »Blindschacht« rutscht man dagegen ohne Reifen, weil sie dafür zu schmal ist. Stattdessen legt man sich in Dreipunkttechnik auf die Rutschbahn und rutscht durch einen langen Tunnel, der zunächst von kleinen Lämpchen erleuchtet wird, die wie Sterne funkeln, und anschließend tief dunkel ist. Victoire liebt alle Rutschen des Allwetterbades. Sie betritt die Schwimmbadhalle und wählt eine freie Liege. Darauf positioniert sie ihr Handtuch. Sie breitet es groß und sichtbar aus. Das Handtuch ist eher schlicht bedruckt, zeigt aber einen kanarischen Strand mit tiefblauem Meer unter einer untergehenden Sommersonne. Victoire reserviert sich damit fein säuberlich die Liege und dann zieht sie sich stante pede ihre Schwimmbrille über ihre Augen und stürzt sich gierig in die Fluten des 25-m-Beckens. Wie ein Delfin taucht sie auf und ab und krault hin und her. Das erfreut sie als begnadete Schwimmerin. Nachdem sie mehrere Bahnen hin und her geschwommen ist, verlässt sie das 25-m-Schwimmbecken und stellt sich an der bergmännischen Wasserrutsche »Knappenrutsche« an, die sie unermüdlich bestimmt zehnmal am Stück rauf und wieder runterrutscht, ehe sie wieder ihre Runden durch das Hauptschwimmbecken zieht. Irgendwann macht die viele Schwimmerei hungrig. Also trocknet sie sich ab, holt ein wenig Geld und ihren schneeweißen Bademantel aus dem Spind und gönnt sich eine große Portion Schwimmbadpommes mit Majo und eine Cola dazu. Schwimmbadpommes, es gibt doch nichts Leckereres, denkt sie sich, als sie so genüsslich die Pommes Fritte für Fritte einzeln verspeist. Am besten schmecken sie im hauseigenen Schwimmbadrestaurant, was einen direkten Blick auf den Kopf des Grubenpferds im angrenzenden Kinderschwimmbecken ermöglicht. Doch auch bei so einer genüsslichen und zufriedenstellenden Schlaraffenfreude schläft Victoires scharfer Verstand nicht. Oh nein, im Gegenteil, er ist so richtig wachsam bis zum Gehtnichtmehr und bei jedem einzelnen genüsslichen Kauen einer Fritte, zu der Victoire die chlorige Schwimmbadluft genüsslich einatmet, hören ihre feinen Ohren das noch so kleinste Geräusch. So entgeht ihnen nicht, wie sich zwei zwielichtige Gestalten zwei Tische weiter unterhalten und das in einem Ton, der Victoire fast an ihren Fritten mit Majo ersticken lässt.
»Pass auf, Ede«, flüstert der eine dem anderen zu. »Den Stoff hat der Weißrote. Wir müssen uns ihn nur hier besorgen und dann verschwinden.«
»Du hast leicht reden, Jackie. Der Stoff ist zwar viel wert, aber noch viel mehr wert sind die blutigen Steine, die der Alte verlangt. Ich weiß nur, dass der Weißrote sie hier irgendwo verbuddelt hat. Also lass uns ihn auspressen, dann das Hallenbad umkrempeln und verduften«, spricht Ede selbstsicher und steht kerzengradlinig auf und will wohl aus dem Bistro verschwinden.
»Spinnst du, Ede? Wir können ihn doch nicht hier und jetzt ausquetschen. Jetzt sind hier zu viele Zeugen. Lass uns bis heute Nacht warten, wenn keiner mehr im Haus ist und dann hier jedes Brett einzeln umdrehen«, rät Jackie ihm.
»Also gut, dann machen wir das so und führen uns derweil auf, wie ganz normale Schwimmbadbesucher. Also zurück in die Fluten!«, ruft Ede und verlässt das Bistro.
Victoire hat genug gehört. Die wortgewandte Unterhaltung der beiden zwielichtigen Gestalten hat sich über Victoires detektivischen Spürsinn ergossen wie Öl ins Feuer. Schnell ergreift sie die Schale mit den Pommes frites und die Cola und folgt den beiden Kerlen auf Schritt und Tritt. Weil sie barfuß im Bademantel unterwegs ist, können die beiden Gestalten ihre Schritte nicht hören. Punkt für Victoire. An einer geeigneten Stelle holt sie die beiden ein und versteckt sich tarnend hinter einer Säule, während sie Ede und Jackie dabei zusieht und zuhört, wie sie ernste Worte mit dem Bademeister wechseln. Unter das verbissene Fluchen der beiden Ganoven Ede und Jackie zieht sich ein zittriger Ton wie der Schokoladenteig unter den Vanilleteig beim Marmorkuchenbacken. Der zittrige Ton stammt vom Bademeister, der ein weißes T-Shirt und eine rote Badehose trägt. Er ist der Weißrote, kombiniert Victoire scharfsinnig, während sie den Schurken beim Streiten zuhört.
»Ich habe doch schon alles euch für euch«, sagt der Bademeister.
Dann überreicht er ihnen mehrere Säckchen mit einem weißen Pulverstaub.
»Mehl ist das sicher nicht«, denkt sich Victoire, als sie das beobachtet.
Ede und Jackie scheinen zufrieden, als sie den weißen Pulverstaub bekommen. Doch während Jackie ihn verpackt, greift Ede den Bademeister handgreiflich an. Er schüttelt ihn und fragt ihn:
»Und wo sind die Steine?«
»Das kann ich euch hier und jetzt nicht verraten, aber heute Abend.«
Daraufhin flüchten Ede und Jackie durch die Umkleiden aus dem Schwimmbad. Victoire folgt ihnen unauffällig. Natürlich durch die Damentoilette und nicht durch die Herrentoilette. Dann sieht sie die beiden durch das Drehkreuz nach draußen verschwinden.
»Es hat keinen Sinn, sie auf dem Fahrrad zu verfolgen«, seufzt sie. »So kann ich ja kaum unter die Leute treten, und selbst wenn, kann ich unmöglich meine Sachen hier zurücklassen. Zeit zum Holen habe ich ja kaum welche.«
Daraufhin dreht sie sich um und geht zurück in die Halle mit den Schwimmbecken. Auf dem Weg dorthin spricht sie laut zu sich:
»Außerdem muss ich ihnen nicht folgen. Ich weiß ja, dass sie wiederkommen werden. Ich frage mich nur, welche blutigen Steine sie bloß meinen.«
Kaum hat Victoire das gesagt, geht sie durch die Damendusche zurück zu ihrer Liege, wo sie sich ihren Bademantel auszieht, ihn auf das Badehandtuch legt und sich wie eine gewöhnliche Schwimmerin wieder in die Fluten des Schwimmbades stürzt. Doch vorher tippt sie noch eine SMS an Jonas mit den Worten:
»Es kann später werden. Ich rieche hier im Schwimmbad einen Fall. Drogen und wahrscheinlich Blutdiamanten. Mache dir um mich keine Sorgen.«
Dann tippt sie auf »Senden«, obgleich sie natürlich weiß, dass sich Jonas dann erst recht Sorgen um seine Mitbewohnerin machen würde und bei kriminellen Handlungen, in die Victoire verstreckt wird, sofort die Polizei informieren würde. Doch Jonas wird es diese Nacht nicht tun, denn er hat sein Handy ausgeschaltet und verbringt die Nacht auf dem Anglerboot seines Kumpels. Währenddessen verstaut Victoire ihr Handy im Bademantel und stürzt sich in die Fluten und schwimmt auf und ab. Bahn für Bahn. Solange bis es Abend wird. Sie gönnt sich noch eine Mantaplatte – Currywurst mit Schwimmbadpommes – und nimmt nach dem sättigenden Abendmahl alle ihre Sachen. Sie duscht sich und zieht sich wieder um. Doch sie hat nicht vor, wie die anderen Badegäste das Schwimmbad zu verlassen. Nein! Victoire bleibt in ihrer Umkleidekabine und lässt sich für die Nacht im Schwimmbad einschließen.
Es ist spät, sehr spät. So spät, dass die Nacht den Abend umarmt und sich die Sonne nun für einige Stunden schlafen legt. Viele Menschen in der Stadt machen es ihr nach, nicht aber Ede und Jackie, die genau um die Zeit spätabends am Hintereingang des Aquaparks eintreffen. Sie klopfen eine Weile, doch es öffnet ihnen niemand. Deswegen greift Ede nach einem Dietrich und knackt das Schloss. Schließlich betreten sie das Schwimmbad‘ und gehen einen langen Gang weiter, bis in die Schwimmhalle. Dort ist aber niemand. Zumindest können sie niemanden entdecken. Trotzdem sind sie nicht allein, sondern füllen den Raum zur Hälfte. Sie müssen eine Weile gehen, bis sie den dritten Menschen im Raum entdecken. Es ist der Bademeister, der den ganzen Tag Dienst gehabt hat. Sie treffen sich bei einigen Liegen am Beckenrand direkt am Förderturm zwischen dem großen 25-m-Schwimmbecken und dem Flöz-Erlebnisbecken. Noch jemand Viertes hält sich im Schwimmbad auf. Es ist der Hausmeister. Er ist von mittlerer Statur und trägt braune Haare und einen langen braunen Bart, der ihm bis zur Brust reicht, sowie einen Blaumann und Arbeitshandschuhe. Er trägt einen Werkzeugkoffer und Putzsachen bei sich und nähert sich vorsichtig und unauffällig den drei Männern. Aus sicherer Entfernung in einer dunklen Ecke hinter der Bademeisteraufsichtsbaracke zwischen den Duschräumen und dem 25-m-Becken versteckt versteht der Hausmeister jedes Wort, was die drei Männer zu besprechen haben. Ede führt das Gespräch an:
»Also, Weißroter, kommen wir zur Sache. Du weißt, warum wir hier sind.«
»Ja, es geht um den Stoff. Wartet, ich hole ihn euch.«
Der Bademeister entfernt sich vom Beckenrand. Er geht auf eine der Wasserrutschen im Rutschenturm Nord zu, unter deren unterem Rutschenende ein doppelter Boden eingebaut ist. Er nimmt einen Schraubendreher und schraubt ihn auf. Dort unten finden sich mindestens sechs prallgefüllte Kissen mit jeweils 500 g weißem Pulver als Füllung.
»Das ist der Stoff, nach dem ihr gefragt habt. Insgesamt drei Kilo allerfeinstes Kokain. Das will doch euer Boss«, erklärt der Bademeister.
»Und ob er das will«, antwortet Ede und nimmt den Stoff an sich.
Der Bademeister verschließt das Versteck wieder und geht mit Ede und Jackie wieder zu den Liegen zurück, wo sie vorher gewesen sind. Ede und Jackie blicken halb zufrieden. Ede ist noch immer ganz grimmig und schaut sich den Bademeister an. Dieser erwidert den Blick mit einem komischen, inflagranten Lächeln.
»Schulde ich euch noch etwas?«, fragt der Bademeister.
»Was ist mit den Steinchen?«, fragt Ede.
»Ach so, die«, spricht der Bademeister und öffnet einen doppelten Boden, den er unter einer Topfpalme am Fußende des Förderturms versteckt hat.
Er schiebt die Pflanze beiseite und öffnet das Versteck und holt zwölf Säckchen blutroter Steine hervor. Dann verschließt er wieder das Versteck und tarnt es unter der Topfpalme. Mit den Säckchen voller Steine in der Hand geht er auf Ede und Jackie zu. Der Hausmeister beobachtet das und hat schon eine Ahnung, wobei es sich bei den blutroten Steinen handeln könnte. Es sind:
»Allerfeinste Blutdiamanten«, erklärt der Bademeister. »Jeder dieser Steine glänzt blutrot. In jedem der Säckchen mindestens fünfzig Steine und jeder dieser Steine hat mindestens zehn Karat.«
»Das freut uns. Nicht wahr, Jackie?«, sagt Ede und grinst gierig.
Ede nimmt die Blutdiamanten an sich und will mit Jackie zusammen gehen. Doch der Bademeister will sie nicht so einfach gehen lassen:
»Ihr denkt, ihr könntet so einfach weggehen, hä? Daraus wird nichts!«, ruft er und zieht eine Pistole hervor. »Wir teilen oder ich verrate den Bullen, wer neuerdings die Sparkasse auf der Marktstraße ausgeraubt hat.«
Jackie bekommt es bei den Worten mit der Angst zu tun. Kurz nachdem er an jenem Tag die Sparkasse mit einer Sporttasche voller Geld verließ, riss er draußen die Sturmhaube von seinem Kopf. Dabei sah er den Bademeister auf dem Saporischschja-Platz. Ein bekannter Ganoven-Kollege von ihm, der ihn sicherlich nicht verpfeift. Doch das droht ihm der Bademeister nun an. Jackie hat keine andere Wahl. Daher erwidert er:
»Ist gut, du bekommst deinen Anteil.«
Kaum hat Jackie das gesagt, rennt er auf den Bademeister zu und schlägt ihn k. o. und wirft ihn in den nächstgelegenen Swimmingpool, um genau zu sein ins 25-m-Becken. Dabei löst sich ein Schuss und trifft eine Lüftungsanlage des Schwimmbades. Jackie reißt dem Bademeister die Pistole aus der Hand und lässt diese weit hinten in den Tiefen der Fluten des Schwimmbeckens verschwinden. Der Bademeister kommt wieder zu sich, taucht auf und will an den Beckenrand schwimmen, um das Becken wieder zu verlassen. Doch Jackie hindert ihn daran. Er schlägt dem Bademeister gegen den Kopf und presst ihn mit aller Kraft unter Wasser. Mehrere Blubberblasen steigen aus dem Mund des Bademeisters auf. Jackie presst ihn weiter unter Wasser. So lange, bis keine Blasen mehr aufsteigen. Ede ist derweil schon zur Herrentoilette gegangen, die zu den Umkleiden führt. Erst als keine Blasen mehr aus dem Mund des Bademeisters aufsteigen, rennt Jackie Ede hinterher.
»Nichts wie weg hier!«, ruft Ede und die beiden Gauner rennen davon.
Der Hausmeister hat alles mit angesehen und rennt auf den Bademeister zu. Er springt ins Wasser, zieht den Bademeister aus der Poolanlage und leistet erste Hilfe, indem er dem Bademeister auf den Bauch presst und so das zu viel geschluckte Wasser aus ihm herausdrückt. Er will mit einer Mund-zu-Mund-Beatmung beginnen, da fühlt er den Puls und muss feststellen, dass jeglicher Puls verschwunden ist. Also beginnt der Hausmeister nicht nur mit der Mund-zu-Mund-Beatmung, sondern auch mit einer Herz-Druck-Massage. Danach prüft er wieder den Puls und stellt fest, dass der Bademeister keinen Puls mehr hat. Hastig lässt der Hausmeister den Bademeister liegen und holt sein Handy unter dem Blaumann hervor. Das Handy befindet sich in einer wasserdichten Hülle und konnte so im Schwimmbecken keinen Schaden nehmen. Der Hausmeister nimmt es, fotografiert die Leiche am Ufer des Pools und wählt den Polizei-Notruf 110. Dabei rennt er, so schnell er kann, durch die Damentoilette zu den Umkleidekabinen.
»Polizeinotruf.«
»Guten Abend, kommen Sie, so schnell Sie können, in den Aquapark! Hier ist ein Mann frisch ermordet worden.«
»Das leite ich weiter. Darf ich erfahren, wer hier anruft?«
Daraufhin legt der Hausmeister auf. Er rennt zu einem Spind und holt einen Rucksack heraus. Er schnallt sich den Rucksack auf den Rücken und sieht sich nach den beiden Schurken um. Diese sind bereits nach draußen gerannt und rennen auf einen mausgrauen VW Golf IV Baujahr 2000 zu. Der Hausmeister rennt ihnen hinterher, rennt zu seinem Fahrrad, öffnet hastig dessen Zahlenschloss und steigt zeitgleich auf das Fahrrad auf, wie die zwei Ganoven ins Auto steigen und Ede den Motor startet und losfährt. Der Hausmeister radelt ihnen hinterher. Er verfolgt sie, so schnell er kann, doch er selbst wird vom Pech verfolgt. Nach nur einem Kilometer und einer durchgehenden grünen Welle fährt der Golf mit den beiden Ganoven auf die Autobahn A42 in Richtung Kamp-Lintfort auf. Der Hausmeister kann noch gerade so eben das Kennzeichen des VW Golfs lesen, ehe der Golf in der Autobahnauffahrt verschwindet und mit ihm die Möglichkeit einer Weiterverfolgung auf dem Fahrrad. DIN-QJ 1743 notiert sich der Hausmeister in sein kleines Notizheftchen und lässt es wieder unter dem Blaumann verschwinden.
Dann steig er von seinem Fahrrad ab. Er nimmt den Rucksack ab und reißt sich erst die Arbeitshandschuhe, dann den Blaumann und schließlich den Bart vom Körper und verstaut alles in dem Rucksack, den er sich anschließend wieder auf den Rücken schnallt. Unter dem Blaumann kommt Victoire hervor. Sie trägt ihr dottergelbes Sommerkleid und die braunen Sandalen. Unter dem Sommerkleid trägt sie versteckt ihren wasserdichten Brustbeutel, in dem sie Handy samt Zubehör, Kleingeld und Notizheft verstaut.
Victoire schwingt sich wieder auf ihr Fahrrad und radelt zurück zum Rhein-Herne-Kanal und radelt diesen und einen Fahrradweg am Emscherufer entlang, bis sie zu Hause ankommt. Sie radelt das Nordufer des Rhein-Herne-Kanals entlang und bemerkt noch das Eintreffen der Streifenwagen am Aquapark. Deren Blaulicht hüllt die dunkle Sommernacht am Ufer des Rhein-Herne-Kanals in eine xenonfarbige Atmosphäre, wie man sie sonst im Sommer nur bei Strandpartys erlebt. Doch zum Feiern ist Victoire jetzt nicht zumute. Wohl aber zum Ermitteln. Doch nicht mit der Polizei, sondern wie für sie typisch, auf eigene Faust. Victoire radelt gedankenvoll durch die Nacht. Sie stellt sich tausend Fragen. Vor allem: Wer waren die drei Männer: Ede, Jackie und der Bademeister? Und was haben sie mit den Drogen und den Blutdiamanten zu tun? Genau diese Fragen bringen Victoires unermüdlichen Denkapparat dazu, es herauszufinden. Jedoch nicht mehr heute Abend, denn Victoires Tag war lang genug und nach diesem ausgedehnten Abend braucht sie jetzt erst einmal eine Mütze Schlaf, zumal sie morgen ja wieder arbeiten muss. Im Supermarkt als Aushilfe, aber vor allem als Detektivin, die sich auf die Suche nach den beiden Männern Ede und Jackie machen wird. Auf die Suche nach den beiden Männer Ede und Jackie und den Antworten auf alle Fragen, die sich um deren Verbrechen im Schwimmbad auftun.
So radelt Victoire gedankenvoll und müde durch die warme Sommernacht, kommt zu Hause in ihrer Wohnung in der Hessenstraße 138 an, zieht ihr Kleid und ihre Sandalen aus, geht barfuß und in Unterwäsche ins Bad, zieht sich dort die Unterwäsche aus, duscht zufrieden, trocknet sich ab, zieht die Unterwäsche wieder an, hängt alle nassen Klamotten zum Trocknen auf und eilt barfuß und in der Unterwäsche in ihr Schlafzimmer, wirft sich dort auf ihre Bettmatratze, schlüpft unter ihre Bettdecke und legt sich schlafen. Schnell schläft sie tief und fest ein. Sie schläft tief und fest und träumt bis zum nächsten Morgen.
Derweil beginnt die Polizei mit ihren Ermittlungen. Während Victoire nach Hause radelte, traf die Polizei am Tatort ein und begann sogleich mit den Ermittlungen. Hauptkommissar Theodor Lössmann trifft am Tatort ein und geht zusammen mit seinem Kollegen Oberkommissar Peter Köhler auf die Leiche des Bademeisters zu. Die Spurensicherer fotografieren den gesamten Tatort ab, während der Polizeiarzt die Leiche begutachtet.
»Können Sie schon etwas sagen, Doc?«, fragt der Hauptkommissar.
»Nun es handelt sich um eine Wasserleiche. Da sie keine äußeren Verletzungen aufweist, ist sie vermutlich ertrunken. Näheres aber erst nach der Obduktion.«
»Gut«, sagt der Hauptkommissar und wendet sich an einen uniformierten Kollegen. »Wer hat denn die Leiche gefunden?«
»Das ist das Seltsame, Herr Kommissar. Es gab einen anonymen Zeugenanruf. Doch ringsherum ist kein Zeuge zu finden.«
»Sehr seltsam«, sagt der Hauptkommissar.
»Auch seltsam ist«, sagt einer der Spurensicherer, »dass die Arbeitsutensilien des Hausmeisters hier in der Halle standen, als wir sie betraten. Dahinten stehen sie: Putzwagen und Werkzeugkoffer. Dabei müssen sie zu so einer Zeit eigentlich in der Arbeitskammer des Hausmeisters liegen.«
»Sehr interessant«, meint der Hauptkommissar Lössmann und sagt zu seinem Kollegen Peter Köhler, »Köhler, überprüfen Sie, welcher Hausmeister gestern Abend Dienst hatte.«
»Sehr wohl, Chef.«
»Dieser Fall ist bestimmt ein merkwürdiges Puzzle«, sagt der Hauptkommissar.
Er behält später im Präsidium Recht, als erfahren muss, dass zu der späten Stunde, als der Notruf einkam, kein Hausmeister Dienst hatte. Diese Information treibt die Ermittlungen nicht wirklich voran, bestätigen aber die These des Kommissars, dass an dem Tod des Bademeisters definitiv etwas faul ist. Daraufhin geht Hauptkommissar Lössmann in die Rechtsmedizin und befragt den Polizeiarzt. Er bestätigt:
»Das Opfer starb tatsächlich durch Ertrinken. In seiner Lunge konnte ich viel Wasser auffinden. Hämatomspuren an der Brust beweisen, dass er unter Wasser gedrückt wurde.«
»Der Bademeister ist tatsächlich ertrunken«, sagt der Hauptkommissar. »Ein Fremdverschulden kann aber definitiv nicht ausgeschlossen werden. Aber das dachte ich mir schon, als ich die Arbeitsutensilien des Hausmeisters am Tatort fand. Wir brauchen ihn als Zeugen. Wahrscheinlich hat er den Notruf abgesetzt.«
Daraufhin verlässt der Hauptkommissar die Rechtsmedizin und geht zurück in sein Büro.
Derweil ist es Tag geworden. Es ist wieder ein heißer, sonniger Sommertag. Wieder trägt Victoire ihr dottergelbes mit Stiefmütterchen übersätes Sommerkleid und dazu die beiden kamelbraunen Römersandalen Typ Riemchensandalen und macht sich mit einem Rucksack auf dem Sattel ihres Fahrrades auf den Weg. Diesmal jedoch nicht zum Schwimmbad, sondern zur Arbeit im Supermarkt. Immerhin ist Montag. Im Rucksack sind ihrer Arbeitssachen verstaut, sowie der Blaumann des Hausmeisters, den sie sich am Vorabend im Schwimmbad ausgeliehen hat. Weil dort das Emblem der für den Aquapark zuständigen Tochter der Stadt Oberhausen abgebildet ist, gibt sie ihn anonym im Fundbüro ab. Nicht natürlich, ohne sich vorher zu verkleiden. So schlüpft sie kurzeitig unter die Maske einer Ostfriesin und betritt im gelben Regenparka und mit einer blauen Ostfriesenmütze, unter die sie mit großer Sorgfalt ihre Glocke von Haaren gestopft hat, das Fundbüro. Mit friesischem Akzent sagt sie zu dem Mann hinter dem Tresen:
»Moin, moin, diesen Blaumann hier habe ich herrenlos im Stadtpark gefunden. Vielleicht vermisst ihn jemand.«
»Das ist nett. Dann brauche ich noch ihren…«
»Nee, dank ok, ik bruuk kien Fundgeld. Tschüs!«, sagt sie und verlässt wieder das Fundbüro.
Draußen geht Victoire zu ihrem Fahrrad, schiebt es eine Weile und nimmt ihre Verkleidung ab und verstaut sie wieder in ihrem Rucksack. Dann steigt sie aufs Fahrrad und fährt weiter zum Supermarkt, wo sie jobbt. Die Begegnung im Fundbüro hat sie bewusst kurz gehalten. Immerhin muss sie als Detektivin unerkannt bleiben und darf daher nirgends Spuren hinterlassen, die zu ihr führen. So verlässt sie unbekannt das Fundbüro und erreicht ganz bekannt den Supermarkt. Im Mitarbeiterraum zieht sie sich kurz um (Sommerkleid und Sandalen tauscht sie gegen Supermarktuniform und geschlossene Turnschuhe mit Socken) und beginnt dann mit ihrer Arbeit im Supermarkt: Regale einräumen, Kunden beraten und an der Kasse kassieren. Nebenbei beobachtet sie alles und jeden. Unauffällig, jedoch mit ihrem typischen Blick: stets aufmerksam, starr und scharfsinnig und der Beachtung einer jeden noch so kleinen Ungereimtheit.
Während ihrer Arbeit im Supermarkt scheint Victoire aufmerksam und interessiert zu sein. Sie mag ihren Nebenjob, da er ihr doch sehr gut für ihre Detektivarbeit nützlich sein kann. Jeden Tag trifft sie die unterschiedlichsten Menschen im Supermarkt und darunter auch mögliche Zeugen und Täter. Außerdem bietet ihr das die Möglichkeit, die Zeitungen zu studieren. So auch, als sie an diesem Montagmorgen die Tageszeitung im Zeitungsständer auslegt. Ihre Augen fokussieren die Schlagzeile: »Dreister Kunstraub in der Ludwiggalerie«. Sofort schrillen bei ihr sämtliche Alarmglocken. Einer der beiden Täter hat den Bademeister ertränkt, nachdem dieser ihm gedroht hatte, er würde den Bullen [sic!] (der Polizei) erzählen, wer die Sparkasse ausgeraubt habe. Victoire wusste sogleich, als sie das hörte, dass der Mann, der den Bademeister ertränkte, die Sparkasse ausgeraubt haben musste. Sonst hätte er ihn sicherlich nicht ertränkt. Victoire wird klar, als sie die Zeitung einen Morgen später liest, dass nicht nur der Bank-, sondern auch der Kunstraub mit der Tat zusammenhängen könnte.
»Den Tätern ging es schließlich um Blutdiamanten«, denkt sie. »So etwas wie Blutdiamanten sind bei Berufsverbrechern eine beliebte Währung für kriminelle Waren. Ich denke mal, da steckt etwas Größeres dahinter. Ihr Wagen war ein VW Golf älteren Baujahres. Der Kofferraum ist groß genug, um dort ein Gemälde zu verstecken. Nach Feierabend weihe ich Jonas ein.«
Kaum hat sie das zu Ende gedacht, legt sie die Zeitung zurück und räumt weiter Regale ein: Duschgel und andere Hygieneartikel, sowie Dosenravioli und andere Lebensmittelkonserven. Während der Arbeit bleibt ihrem klaren und scharfem Blick nichts verborgen. Als sie dann später nach vier von acht Arbeitsstunden eine halbe Stunde Pause machen muss, nutzt sie diese aus, um Jonas eine SMS und eine MMS zu schicken, um ihn in die Ermittlungsarbeiten einzuweihen. Der Text der SMS lautet:
»Hallo, Jonas, ich bin gestern Zeuge eines Mordes im Schwimmbad geworden. Es war ein Streit unter drei Kriminellen um Blutdiamanten. Einer von den Dreien ist Bankräuber. Offensichtlich geht’s Ihnen aber auch um Kunstraub. Die beiden Überlebenden des Streits heißen…«, tippt sie und dann löscht sie das Wort »heißen« und schreibt als neuen Text, »…nannten sich Ede und Jackie.«
Als MMS-Nachricht versendet sie ein Foto von der Schlagzeile »Dreister Kunstraub in der Ludwiggalerie« aus der Tageszeitung. Eigentlich will sie sogleich losermitteln, doch ein Blick auf die Uhr an der Wand verrät ihr, dass ihre Restpausenzeit das nicht zulässt. Stattdessen schreibt sie Jonas eine weitere SMS mit den Worten:
»Wir treffen uns nach Feierabend am Kanalufer. Slinky beim Stadion. LGVN.«
Dann tippt sie auf Senden. Mit LGVN beendet sie oft ihre Kurznachrichten. Dabei stehen die vier Buchstaben als Abkürzung für die Floskel »Liebe Grüße Victoire Noire«. Der Rest der Pause reicht noch aus, um gemütlich einen Kaffee zu trinken. Die Zeit, die sie sonst noch von der Pause hätte, würde auch für eine Zigarette ausreichen, doch Victoire ist Nichtraucherin und verabscheut im Gegensatz zu ihrem großen Londoner Idol Sherlock Holmes den Genuss von Tabak. Als Kind las sie begeistert eine Sherlock-Holmes-Geschichte nach der anderen und spielte gerne die Geschichten nach. Ihre Faszination für Sherlock Holmes wurde noch größer und fester, als sie in der neunten Klasse für einen Schüleraustausch nach London fuhr und dort das berühmte und legendäre Sherlock-Holmes-Museum in der Baker Street 221b besuchte. Ihr Interesse an dem großen Meisterdetektiv und dessen Methoden wurde so mehr und mehr in ihr verfestigt. Nun denkt sie heute wie er und das hat ihr Leben sehr, sehr verändert. Ihr detektivischer Spürsinn ist aufgeweckter denn je und führt Victoire auf Wege, die sie vorher nie gegangen ist, und Geheimnisse offenbaren, die Victoire beeindrucken. Sie will nun jedem Geheimnis auf den Grund gehen und das ist der einzige Motor für ihr Leben. Ein Motor, den sie aber sehr unsichtbar unter der Motorhaube einer Supermarkt-Aushilfe verbirgt, in deren Gestalt sie alles und jeden beobachten kann und so alltägliche Informationen erreicht, aus denen sie scharfe Schlüsse zieht, die ihr dann dabei helfen, den Verbrechern auf die Spur zu kommen. Und dieser spannende Job ist Victoires Berufung: Sie ist sehr gerne und mit Leib und Seele eine Detektivin, die weiß wie man sich am besten getarnt unters Volk mischt. Nun ist die Pause der Detektivin leider vorbei und sie geht weiterhin ihrer Arbeit im Supermarkt nach: Regale einräumen, Kunden beraten und Waren kassieren.
Als sie dann vier Stunden später Feierabend hat, stempelt sie und zieht sich um. Im Sommerkleid und ihren Sandalen radelt sie daraufhin den Rhein-Herne-Kanal entlang und radelt kurzzeitig am Stadion Niederrhein vorbei, der Heimspielstätte des lokalen Fußballvereins Rot-Weiß Oberhausen. Wie viele Oberhausenerinnen und Oberhausener ist sie Fan dieses Fußball-Clubs, gerne samstags bei Heimspielen im Stadion und spielte als Kind sogar mal in der F-Jugend Fußball. Sie war eine Spitzenaußenverteidigerin, wollte dann aber nicht Karriere als Fußballerin machen. Gut so, denn den Beruf als Detektivin findet sie viel spannender. So auch nach diesem Feierabend, als sie mit dem Fahrrad kurz hinter dem Stadion auf ihren Freund und Mitbewohner Jonas trifft, der an der Slinky bereits auf sie wartet. Sein Kumpel hat gegen Mittag dort mit seinem Anglerboot gehalten und ihn samt Fahrrad und Gepäck abgesetzt. Weil beide reichlich Überstunden gearbeitet hatten, konnten sie zu deren Abbau zusätzlich den heutigen Montag freinehmen, an dem Victoire dagegen im Supermarkt normal arbeiten musste. Gegen Mittag fuhren sie dann aus dem verlängerten Wochenende heim und Jonas verließ das Anglerboot samt Fahrrad und Gepäck an der Slinky, um dort auf Victoire zu warten. Slinky ist eigentlich nur das Kurzwort für die »Slinky springs to fame«-Fußgängerbrücke, die bei Kilometer 8,596 die beiden Ufer des Rhein-Herne-Kanals zwischen dem Stadion Niederrhein auf der Nord- und dem Kaisergarten auf der Südseite verbindet. Ihren Namen verdankt sie den kreisrunden Wendeln, die an das Spiel Slinky erinnern, und die Brücke einmal voll umranken. Über die Brücke kann man sehr gut von einem Ufer aufs andere Ufer rüber laufen oder rüber radeln. Am Südufer ist man direkt im Kaisergarten und auch nur noch höchstens 100 m vom Schloss Oberhausen entfernt, während man am Nordufer direkt auf einen alten Baumbestand neben dem Stadion und diversen Sportanlagen trifft. Das ist auch der Grund, warum Victoire wollte, dass sie sich am Nordufer treffen, denn am Südufer hätte Jonas zu nah an dem Objekt gewartet, dass Victoire beschatten und begutachten will. Und das muss eine Detektivin möglichst unerkannt, was ihr weniger gelingen würde, wenn ihr Assistent bereits dort auf sie wartete, denn falls er in der Zwischenzeit von den Kriminellen beobachtet worden wäre, würden diese dann erst recht Verdacht schöpfen.
Victoire und Jonas schwingen sich auf ihre Fahrräder und überqueren die »Slinky springs to fame«-Brücke. Am anderen Ufer angekommen radeln sie am Spielplatz und der Wurstbude mit den beiden Toilettenräumen, auf die ein weißes Schild mit der schwarzen Aufschrift »PIPI+AA!« in Großbuchstaben hinweist, vorbei bis zum Innenhof des Oberhausener Schlosses, welcher sich zwischen Schloss und der Ludwiggalerie befindet. Victoire und Jonas parken ihre Fahrräder und betreten die Galerie. Leise und unauffällig schleichen sie sich am Pförtner vorbei und verschwinden hinter dem Eingang in der Kunstgalerie. Sie gehen durch den Gang und bestaunen alle Bilder. Dann erreichen sie am Ende des Korridors einen abgesperrten Bereich. Victoire blickt drüber und entdeckt hinter der Absperrung eine leere weiße Wand, auf der ein großes schwarzbraungerändertes weißes Rechteck draufliegt. Das Rechteck ist doppelt so lang und doppelt so breit wie ein DIN-A0-Blatt und unter dem großen Rechteck glänzt ein kleines goldenes Messingschild. Victoire braucht nicht lange zu überlegen, dass das riesige Rechteck darauf hinweist, dass dort vorher ein riesiges Bild gehangen haben muss. Victoire nimmt ihr Handy und fotografiert es. Dann nimmt sie zwei Plastiktüten, zieht sie sich über ihre Sandalen und befestigt sie mit Draht an ihren Knöcheln. Dann schleicht sie sich in die Galerie zu dem großen schwarzbraungeränderten Rechteck. Jonas wartet draußen und passt auf, dass niemand kommt und Victoire überrascht. Victoire erreicht das riesige Rechteck und fotografiert das Messingschild unter ihm. Dann schleicht sie wieder zurück zum Eingang und geht auf Jonas zu, der dort auf sie wartet. Victoire zeigt Jonas daraufhin das Foto von dem Messingschild. Glasklar sind darauf der Titel des Bildes und der Name des Malers zu lesen: »De gras groene amfibie vis« des niederländischen Malers Henk de Mijnwerker, der dieses Bild im Sommer des Vorjahres gemalt hat.
»Ein niederländisches Gemälde aus einem deutschen Museum gestohlen. Das ist wirklich merkwürdig«, sagt Victoire. »Ich muss mehr über das Gemälde herausfinden.«
Rasch öffnet sie die Drähte an ihren Knöcheln und zieht sich die Plastiktüten von den Füßen und packt beides wieder ein. Dann nimmt sie Jonas‘ Hand und führt ihn zu einem Notausgang. So sollen sie unbemerkt nach draußen gelangen. Sie sind gerade dabei das Museum zu verlassen, da bemerkt Victoire zwei zwielichtige Gestalten, die durch den Korridor auf die abgesperrte Galerie zugehen. Die beiden zwielichtigen Gestalten tragen zwei Blaumänner und schieben einen Reinigungswagen vor sich. Sie wirken wie Putzmänner, doch Victoires Augen fixieren die Gesichter der beiden Männer. Sie analysiert sie und erkennt sie sofort wieder.
»Das sind Ede und Jackie aus dem Schwimmbad. Die beiden Kerle haben den Bademeister auf dem Gewissen«, flüstert sie Jonas zu. »Dass sie hier sind, bedeutet nichts Gutes.«
Ede läuft voran und Jackie schiebt den Reinigungswagen vor sich her. Sie erreichen die abgesperrte Galerie und Ede schiebt die Absperrung beiseite.
»Der grasgrüne Amphibienfisch von diesem Mijnwerker war ein kleiner Griff daneben, Jackie. Ich habe fest daran geglaubt, dass eine Leihgabe aus dem Amsterdamer Rijksmuseum mit ›grasgrün‹ im Titel ein Schlüssel zum grünen Gras aus Amsterdam ist, aber Pustekuchen. Da haben wir ins Klo gegriffen. Deswegen müssen wir jetzt noch den restlichen Kram aus dem Rijksmuseum hier herausholen.«
»Und warum machen wir es am helligsten Tag und warten nicht bis heute Nacht?«
»Weil wir so lange nicht warten können, Jackie. Du hast schließlich letzte Nacht den Bademeister im Aquapark ersoffen, nachdem wir zuvor hier in der Ludwiggalerie das verstaubte Bild von de Mijnwerker geklaut haben. Jetzt ist uns bestimmt schon die Polizei auf den Fersen. Wenn die Bullen herausfinden, dass der tote Bademeister ein großer Fisch ist, werden Sie uns sicherlich auch suchen. Wir stehen total unter Druck. Darum lass uns den Rest von de Mijnwerker holen.«
»Alle Bilder?«
»Alle Bilder, Jackie. Ich denke mir: Zusammen sind sie goldwert.«
»War dann also Der grasgrüne Amphibienfisch kein Griff ins Klo?«
»Nein, er war kein Griff ins Klo. Aber es war zu wenig, dass wir es gestohlen haben. Also an die Arbeit und pack die anderen Gemälde von de Mijnwerker in den Putzwagen.«
So betreten Ede und Jackie die Galerie und reißen alle Bilder von de Mijnwerker von den Wänden und verstauen sie in ihrem Putzwagen. So wechseln De rode vuurleuw (Der rote Feuerlöwe), De dansende zilveren gans (Die tanzende Silbergans), De blauwe zomerlucht (Der blaue Sommerhimmel) und De paarse orchideeën (Die violetten Orchideen) – allesamt berühmte Gemälde des berühmten niederländischen Malers Henk de Mijnwerker ihren Besitzer. Nachdem die vier Gemälde verstaut sind, bringen Ede und Jackie sie zu ihrem Lieferwagen. In der Galerie lassen sie vorerst noch die vier übrigen Leihgaben des Rijksmuseums aus den Händen Henk de Mijnwerkers in der Galerie zurück, da mehr Gemälde nicht mehr in den Putzwagen passen. Ohne dass es Ede und Jackie bemerkt haben, sind sie von Victoire belauscht worden, die natürlich ihren Dialog auch noch mit dem Handy aufgezeichnet und gleichzeitig in ihrer Cloud hochgeladen hat. Während Ede und Jackie ihren vollen Putzwagen zum Auto bringen und den Inhalt in ihren Lieferwagen umräumen, verfolgt Victoire die beiden Schurken unauffällig. Jonas bleibt oben, denn er soll dort auf ein Zeichen warten, was Victoire mit ihm vereinbart hat. Jackie und Ede räumen die letzten Gemälde in den Lieferwagen und schieben den Putzwagen zurück in Richtung der Galerie, um auch noch die letzten vier Gemälde von de Mijnwerker aus der Galerie zu stehlen: De blauwe bergen in de gouden zonsondergang (Die blauen Berge im goldenen Sonnenuntergang), De blonde bour meisje met de zilveren blik (Das blonde Bauermädchen mit dem Silberblick), Het framboosrozekleurige koraalrif (Das himbeerrosafarbene Korallenriff) und De orkaan in het net van de vissersvrouw op blote voeten (Der Orkan im Netz der barfüßigen Fischerin). Währenddessen fotografiert Victoire das Kennzeichen des Lieferwagens und holt einen Gegenstand aus ihrem Rucksack. Es ist ein GPS-Sender, den sie unter dem Lieferwagen der beiden Gauner fest verbaut. Dann öffnet sie eine App auf ihrem Smartphone und kann so das GPS-Signal des GPS-Senders orten. Zufrieden eilt sie zurück und gibt Jonas das vereinbarte Zeichen. Er achtet daraufhin in der Galerie auf die beiden Schurken, die erneut den Galeriebereich mit de Mijnwerkers Gemälden aufsuchen. Noch bevor Ede und Jackie diesen Bereich erreichen können, schlägt Jonas auf den nächstgelegenen Feuermelder und löst so einen lauten Alarm aus. Wie vom Floh gebissen, springen Ede und Jackie auf, lassen den Putzwagen stehen und rennen hastig zum nächsten Notausgang. Jonas folgt ihnen. Victoire hingegen schickt Jonas noch eine SMS mit den App-Daten und einem Foto des Kfz-Kennzeichens, damit er auf seinem Smartphone ebenfalls das GPS-Signal orten kann, und steigt selbst in den Lieferwagen. Sie öffnet die Flügeltüre zum Ladebereich, steigt ein, schließt die Flügeltüren hinter sich und versteckt sich im Stauraum unter einer Decke.
Keine Sekunde zu früh krabbelt sie darunter, denn in dem Moment, wo sie unter die Decke krabbelt, eilen Ede und Jackie aus der Ludwiggalerie und steigen hastig in den Lieferwagen. Ede auf den Fahrer- und Jackie auf den Beifahrersitz. Ede startet den Motor und der Lieferwagen fährt los. Er dreht, rast auf die unmittelbar anliegende Konrad-Adenauer-Allee zu und steuert direkt die Bundesautobahn 516 an und entfernt sich über die Autobahn schnell weit, weit von der Ludwiggalerie weg. Jonas ruft draußen noch verzweifelt nach Victoire. Dann radelt er ohne Victoires Begleitung alleine dem Lieferwagen hinterher, bis er ihn am Beginn der Autobahn verliert. Der Lieferwagen fährt auf der Autobahn weiter, während Jonas auf dem Fahrradweg den Bogen runter zur Werthfeldstraße fahren muss. Unten angekommen greift er geknickt zu seinem Handy. Mit dem Gedanken »Prima, jetzt sind die Kerle futsch!« schaltet er sein Handy ein. Kaum hat er es entsperrt, muss er feststellen, dass er in den vergangenen fünf Minuten eine SMS erhalten hat. Er öffnet seinen SMS-Ordner und liest die Nachrichten. Sie stammt von Victoire und sie schreibt:
»Hi Jonas, ich sitze in ihrem Lieferwagen. Mit dem Link kannst du uns orten. Folge uns unauffällig. LGVN«
Jonas ist klar, dass sich Victoire heimlich in den Lieferwagen geschlichen hat, damit sie die beiden Gauner abhorchen kann. Victoire liebt solche Alleingänge, da ihr jedes Mittel recht ist, um ihre Informationen zu erhalten oder Beweise zu sichern. Dabei ist es ihr völlig gleichgültig, ob sie dabei ihr Leben riskiert oder nicht. Victoire ist dabei so technikversiert, dass sie stets alles, was sie sammelt, aufzeichnet und gleich in ihrer Cloud hoch lädt. So sind die Beweise stets gesichert und zu Hause abrufbar, selbst, wenn sie das Beweismaterial verlieren sollte. Das ist ihre Ermittlungstaktik. Eine Taktik, die ihr sicherlich eines Tages zum Verhängnis werden wird. Darauf wird sie sicherlich, wenn es soweit sein sollte, verzichten wollen. Jonas jedenfalls möchte auch drauf verzichten, dass Victoire in die Hände von Typen gerät, die sie sicherlich umbringen würden. In eine solche Situation würde Victoire sicherlich geraten, wenn sie heimlich im Lieferwagen zweier Ganoven mitfährt, die offensichtlich der organisierten Kriminalität angehören. Daher tut Jonas das einzig richtige und ruft den Polizeinotruf.
»Ja, hallo, ist da die Polizei? Ja, mein Name ist Jonas Pützmann und ich rufe von der Autobahnausfahrt an der Werthfeldstraße an. Ja, es geht um meine Freundin Victoire. Sie fährt heimlich in einem Lieferwagen mit. Das Unangenehme: Der Lieferwagen wird von Gorillatypen gefahren, die Kunstraube begehen und andere Menschen umbringen.«
»Das ist schrecklich. Können Sie sagen wohin Sie fahren?«, fragt der Polizist am Telefon.
Jonas öffnet den Link in der SMS und öffnet so die App, die ihm den Verlauf des GPS-Signals sendet:
»Sie fahren auf der A3 Richtung Holland.«
Dann liest Jonas das Kfz-Kennzeichnen auf dem Foto. Das Auto der Ganoven hat das Kennzeichen: DIN-QJ 1743. Das teilt er der Polizei am Telefon mit:
»Das Fahrzeug der Ganoven hat das Kennzeichen: DIN-QJ 1743. Es verlässt gerade die A3 an der Ausfahrt Dinslaken-Nord.«
»Das ist verstanden, Herr Pützmann, alle verfügbaren Streifenwagen bekommen Kenntnis. Wenn Ihnen noch etwas einfällt, melden Sie sich. Wiederhören.«
»Wiederhören.«
Jonas legt auf. Er steigt auf sein Fahrrad und radelt nach Hause. Der Polizist am anderen Ende der Leitung schlägt sogleich Alarm und alle Streifenwagen in Dinslaken, die sich in der Nähe befinden, machen sich auf die Suche nach dem gesuchten Fahrzeug. Das erreicht derweil die Halde Lohberg in Dinslaken. Der Lieferwagen fährt dort ein und kommt in einem Ring aus sieben großen Männern, die so riesig wie Berggorillas sind, zum Stehen. Der Größte von ihnen ist kräftig, 2,04 m groß, trägt eine Sonnenbrille und raucht eine Zigarre und erwartet die Ankunft von Ede und Jackie mit großer Ungeduld.
Ede lenkt den Lieferwagen mit den gestohlenen Gemälden im Gepäck auf die Halde Lohberg in Dinslaken. Der Lieferwagen fährt dort ein und kommt in einem Ring aus sieben großen Männern, die so riesig wie Berggorillas sind, zum Stehen. Der Größte von ihnen ist kräftig, 2,04 m groß, trägt eine Sonnenbrille und raucht eine dicke Zigarre und erwartet die Ankunft von Ede und Jackie mit größter Ungeduld.
»Da kommen ja meine Kunstkuriere!«, ruft er, als der Lieferwagen von Ede und Jackie einfährt.
Ede und Jackie steigen aus. Der 2,04-m-große Silberbuckel schaut Ede und Jackie grimmig durch die Sonnenbrille an. Ede erwidert den Blick und geht vorsichtig auf ihn zu.
»Entschuldigung, Boss, dass es länger gedauert hat, aber wir sind aufgehalten worden.«
»Es ist eben nicht so einfach«, wirft Jackie ein, »am Tag eine Kunstgalerie zu plündern.«
»Schweig!«, knurrt der Silberbuckel und stampft auf Ede und Jackie zu.
Er nimmt die Zigarre aus dem Mund und pafft dicke Wolken Ede und Jackie ins Gesicht.
»Ich hoffe für euch, dass ihr mir meine Lieferung gebracht hat. Der Schatz, den wir suchen, ist ein Vermögen wert. Bestes Amsterdamer Gras: Das wurde unter den Gemälden versteckt oder zumindest ein Hinweis darauf. Wehe das Gras ist nicht dabei, was ich hinter den Bildern vermute. Dann mache ich aus euch beiden Hundefutter. Ist das klar?!«, brüllt drohend der Silberbuckel.
Ede und Jackie zittern vor Angst und dann nicken sie. Der Silberbuckel schaut ihnen tief in die Augen und sagt mit einer knurrenden und grimmigen Stimme zu Ede und Jackie:
»Das ist gut.«
Dann zeigt er auf den Lieferwagen.
»Gut, dann zeigt mir, was ihr mitgebracht hat«, befiehlt der Silberbuckel.
Ede und Jackie gehen daraufhin zur Hintertür des Lieferwagens.
Victoire, die als blinde Passagierin mitgereist ist, hat alles mitgehört und aufgenommen. Auch sie beginnt nun zittern und auch ebenso vor Angst. Sie weiß sehr genau, wenn Ede und Jackie sie entdecken würde, dann gerät sie in größte Schwierigkeiten. Rasch krabbelt Victoire wieder unter die Decke und macht sich so klein, wie sie kann. Während sie sich dort versteckt und ihr Herz voller Angst tausendmal höher pocht als sonst, puzzelt sie im Kopf sämtliche Wörter zusammen, die sie eben aufgeschnappt hat. Sie weiß Bescheid, dass es hier um organisierte Kriminalität geht, die hinter einer großen Portion Gras her ist. Bei dem Gras handelt es sich – das ist Victoire mehr als klar – nicht um Gras, das man auf der Wiese in Parks und Gärten findet und dort oft auch mäht, sondern um Gras aus Amsterdam: Um Cannabis und Haschisch, dessen Konsum man auch Kiffen nennt. Es sieht aus wie Rauchen, doch es berauscht anders als Tabak alle Sinne und macht einen wibbelig und zu einem wilden Harlekin oder Clown, der hin und her springt und nur dumm herum lacht. Eine schlimme Droge, die in Deutschland verboten, in den Niederlanden aber sehr legal ist. Und eine nicht unbedeutende Ladung ist, so vermutet Victoire, mit den Bildern aus dem Rijksmuseum von Amsterdam nach Oberhausen geschmuggelt worden ist. Auf diese Menge Gras ist nun diese organisierte Bande scharf und will sie nun an sich reißen. Eine unangenehme Vorstellung. So eine Leihgabe aus dem Rijksmuseum im niederländischen Amsterdam lockt viele Kriminelle an, denn die Kunstwerke sind ein Vermögen wert und damit lässt sich eine große Menge Geld erpressen. Eine große Menge Geld, auf das sicherlich die Drogenbande aus Gorillatypen ebenso scharf ist wie auf das Geld aus dem Drogengeschäft. Victoire versteckt sich unter der Decke. Sie hört das Knarren und Quietschen der Scharniere der Flügeltüren, die sich langsam, aber stetig öffnen. Sonnenlicht fällt in den Lieferwagen. Jackie und Ede steigen ein und laden die vier Bilder aus, die sie aus der Ludwiggalerie gestohlen haben: De rode vuurleuw (Der rote Feuerlöwe), De dansende zilveren gans (Die tanzende Silbergans), De blauwe zomerlucht (Der blaue Sommerhimmel) und De paarse orchideeën (Die violetten Orchideen). Nachdem sie die vier Gemälde ausgeladen haben, begutachtet der Silberbuckel alle Bilder von allen Seiten. Die Bilder sind perfekt gemalt und ziehen jeden, der sie ansieht, in einen gewissen Bann. Deswegen ist auch der Direktor der Ludwiggalerie so stolz darauf, diese Gemälde ausstellen zu dürfen. Dem Silberbuckel und seinen sechs Berggorillas gefallen sie auch, doch wichtig für die Ganoven ist nicht die Schönheit der Bilder, sondern eher, was sich auf deren Rückseite befindet. Sie schauen sich jedes Bild genau an, doch von Gras ist dort keine Spur. Der Silberbuckel will gerade beginnen, die Rückseite des vierten Bildes De paarse orchideeën (Die violetten Orchideen) zu begutachten, als plötzlich Victoire ein für sie angenehmes und die Berggorillas ein für sie unangenehmes Geräusch vernehmen müssen.
Die Verbrecher schrecken vor dem Geräusch auf und erkennen sogleich, um welches Geräusch es sich handelt. Das Geräusch, was sie aufschreckt, sind die Sirenen von mehreren Polizeistreifenwagen, die plötzlich auf der Halde Lohberg auftauchen und die neun Verbrecher Ede, Jackie und die sieben Gorillatypen umzingeln. Die Polizeibeamten steigen mit gezogenen Waffen aus und zielen auf die Verbrecher.
»Hände hoch, hier spricht die Polizei! Nehmen Sie die Hände hoch! Sie sind verhaftet!«
Die Verbrecher leisten keinen Widerstand. Die Polizeibeamten nehmen alle neun Verbrecher fest und führen sie ab. Nachdem alle Verbrecher in die Streifenwagen verfrachtet sind, steigt Victoire Noire aus dem Lieferwagen auf. Sie geht vorsichtig auf die Polizeibeamten zu und spricht vorsichtig zu den Beamten.
»Ich bin Victoire und ich bin keine von den Bösen.«
»Victoire?«, fragt einer der Beamten. »Victoire und wie weiter?«
»Victoire. Einfach Victoire.«
Dann geht sie langsam auf die Polizeibeamten zu. Sie streicht sich durch ihr Haar und dreht sich einmal kurz um und ergänzt »Noire« Victoire Noire geht auf die Beamten zu und öffnet ihren Rucksack, um ihnen ihr Equipment zu zeigen.
»Ich bin Privatdetektivin«, erklärt sie, »und bin diesen Verbrechern hier auf Schritt und Tritt gefolgt. Ich habe den Lieferwagen mit GPS-Sendern verwanzt und so konnte man uns orten.«
»Das ist Ihnen gut gelungen«, spricht einer der Polizeibeamten.
»Ich habe alles aufgezeichnet, was diese Hundskerle besprochen haben. Das möchte ich nun auf dem Oberhausener Polizeipräsidium zur Beweissicherung abgeben. Eins kann ich Ihnen schon einmal sagen: Diese Verbrecher wollen die Bilder nicht des Bilderwertes willen, sondern weil sie dort eine Drogenlieferung hinter vermuten.«
Aufgrund von Victoires Aussage lässt die Polizei den Lieferwagen abschleppen. Die Streifenwagen mit den Verbrechern fahren schon einmal vom Ort des Geschehens davon und liefern die Kerle auf dem Präsidium ab, wo die Verbrecher in die Zellen der U-Haft eingebuchtet werden. Als später der Abschleppwagen kommt und den Lieferwagen von Ede und Jackie abschleppen, wird nicht nur der Lieferwagen zum Oberhausener Polizeipräsidium gefahren, auch Victoire darf im letzten Streifenwagen, der dort die Stellung gehalten hat, zum Oberhausener Polizeipräsidium fahren.
Dort angekommen, liefert sie ihre Aufnahmen als Beweise ab. Gleichzeitig wird sie auf dem Präsidium von ihrem Freund Jonas, aber auch dem leitenden Ermittler, Hauptkommissar Lössmann, erwartet. Jonas rennt auf seine Freundin zu und nimmt sie kräftig in seine Arme:
»Mensch, Victoire, ich habe bei deinem Einsatz Blut und Wasser geschwitzt. Ich bin direkt hier zum Polizeipräsidium geradelt, nachdem ich die Polizei zu ihrem Einsatzort geleitet hatte. Ich hatte Angst, dass die Verbrecher dir etwas antun.«
»Jonas, weißt du, das ist unser Risiko, aber wie du siehst, ist mir nichts passiert. Stattdessen habe ich feste Beweise mitgebracht, die zeigen, welches Spiel hier gespielt wird.«
Da kommt Kriminalhauptkommissar (KHK) Lössmann auf die junge Detektivin und ihren Mitbewohner zu.
»Victoire und Jonas, ich danke euch. Jetzt können wir alles vor Gericht gegen die Verbrecher verwenden. Allerdings bin ich von eurem Alleingang nicht sehr begeistert. Das war ein äußerst gefährlicher Drogenring, der uns ins Netz ging. Die gehen über Leichen. Und nun geht ihr nach Hause.«
Gesagt, getan, wendet KHK Lössmann Victoire Noire und Jonas Pützmann seinen Rücken zu. Victoire steht auf und reicht Jonas ihre Hand. Die beiden gehen in Richtung Tür des Polizeipräsidiums. Auf der Treppe, die zur Tür führt, denkt Victoire nach. Nachdenken ist typisch für sie. Sie gehen gerade die letzte Stufe runter, da sagt Victoire noch zu Jonas:
»Jonas, wo hast du dein Fahrrad?«
»Es steht unten vorm Polizeipräsidium. Wieso?«
»Weil meins noch vor der Galerie steht. Also müssen wir noch einmal dahin. Außerdem haben die Schurken nicht alle Bilder rauben und inspizieren können. Ich möchte mir gerne noch einmal die anderen Bilder von dem Künstler ansehen.«
Gesagt, getan, verlässt Victoire zusammen mit Jonas das Präsidium. Jonas nimmt sein Fahrrad und schiebt es bis zur Ludwiggalerie, während Victoire an seiner Seite läuft. Sie hat kein Fahrrad dabei, denn das steht ja noch immer vor der Ludwiggalerie. Das will sie holen, ebenso wie die Antworten auf die vielen Fragen zu den Bildern, die ihr noch durch den Kopf schießen.
Victoire und Jonas verlassen das Polizeipräsidium. Victoire hat Kriminalhauptkommissar Lössmann ihre Rechercheergebnisse mitgeteilt und er hat sie daraufhin nach Hause geschickt. Er freut sich, den Fall so schnell geklärt haben zu können und freut sich, an einem Nachmittag gleich einen Drogenring zerschlagen zu haben und hofft auf die Beförderung zum Kriminalrat. Victoire freut sich dagegen nicht so sehr wie der Kriminalhauptkommissar, denn ihre Nase juckt ein wenig und ihr sechster Sinn sagt ihr, dass der Fall noch nicht abgeschlossen ist. Durch ihren Kopf schießen noch viele Fragen, insbesondere warum die ganzen Bilder geraubt worden sind. Sollten sie der Schlüssel zu einem geheimen Schatz sein? Das erhoffte Gras ist jedenfalls nicht hinter den Bildern gefunden worden. Allerdings haben Ede und Jackie vier Bilder aus der Ludwiggalerie nicht gestohlen. Befindet sich das gesuchte Gras vielleicht noch hinter diesen vier übrigen Bildern? Victoire entschließt sich noch einmal zur Ludwiggalerie zu gehen. Dahin hätte sie sowieso zurückgemusst, denn sie hat ihr Fahrrad dort liegen gelassen. Das will sie sowieso wieder zurückholen. Jonas hat sein Fahrrad an Polizeipräsidium geparkt, nimmt und schiebt es. Auf dem Fußweg vom Polizeipräsidium zur Ludwiggalerie, der sie wie so oft die Hansastraße und die Duisburger Straße entlangführt, führt sie an einem kleinen Blumengeschäft nahe der Einmündung der Hansastraße in die Duisburger Straße vorbei, das ein Bekannter von ihnen führt. Um genau zu sein: Piet van de Luur, ein stattlicher junger Bursche, Ende zwanzig bis Anfang dreißig, der ursprünglich aus Duiven bei Arnheim nach Oberhausen kam. Seine Kindheit hat Piet van de Luur allerdings auch in Uithoorn bei Amsterdam verbracht, wohin seine Eltern mit ihm als Sechsjährigen zogen und er bis als Neunzehnjähriger lebte, ehe er nach Duiven zog, da Piet seit seiner frühsten Kindheit begnadeter Fußballspieler beim Fußballverein Vitesse Arnheim damals Fuß fasste. Ein Unfall beendete seine Fußballkarriere im Alter von dreiundzwanzig Jahren und Piet beschloss, sich als Tulpenhändler ein neues Standbein aufzubauen. Er war so erfolgreich, dass er entschied, später nach Deutschland zu gehen und im bekannten deutschen Oberhausen, wohin es alle aus der Region Arnheim ins Centro hinzieht, ein Blumengeschäft aufzubauen. Das machte er dann auch und verkauft dort in Oberhausen seit seinem sechsundzwanzigsten Lebensjahr in seinem Blumengeschäft Tulpen aus Amsterdam. Bei einem Tulpenverkauf hat er auch seine künftige Lebensgefährtin Rebecca Brandt, die beste Freundin von Victoire Noire und zugleich eine Cousine zweiten Grades von Jonas, kennengelernt. Sein Blumengeschäft hat er wie gesagt in der Nähe der Straßeneinmündung der Hansastraße in die Duisburger Straße aufgebaut. Genauer gesagt direkt neben der Eisenbahnkurve. Dort kommen auch Victoire und Jonas vorbei und Jonas geht mit ihr in das Geschäft, um ihr einen Strauß Tulpen zu kaufen. Sie freut sich über den Strauß aus roten und gelben Blumen und atmet ihren süßen Duft ein. Wie so oft bekommt sie als beste Freundin von Piets Lebensgefährtin Rebecca einen Rabatt auf die Tulpen. Sie freut sich über die Blumen und bedankt sich bei Piet:
»Danke, Piet. Es ist immer wieder schön, deine Blumen in der Hand zu halten.«
»Bitte schön, liebe Victoire. Du weißt doch: Als de lente komt, dan stuur ik jou tulpen uit Amsterdam. Doch jetzt bitte ich euch zu gehen. Ich wollte nämlich Pause machen und in die Ludwiggalerie gehen.«
»Das trifft sich gut, Piet. Dort wollten wir nämlich auch hin«, erklärt Victoire. »Dann können wir gemeinsam einen Spaziergang machen.«
»Ja, ist gut«, spricht Piet mit einer zittrigen Stimme.
Dann verlässt er zusammen mit Victoire und Jonas zusammen das Blumengeschäft und die drei gehen zusammen die Duisburger Straße entlang in Richtung Schloss Oberhausen spazieren. Dabei verhält sich Piet nervöser als sonst. Sehr zum Verdacht Victoires. Auch findet sie es merkwürdig, dass Piet Pause machen will. Immerhin ist es schon späterer Nachmittag und damit eine Zeit, zu der man eher Feierabend als Pause macht. Das lässt Victoire und ihren Spürsinn nicht ruhen. Auch hat Piet das Geschäft eher schnell zugeschlossen, statt mit größter Sorgfalt, als ob er es sehr eilig hätte. Das macht Piet in Victoires Augen verdächtig, obgleich sie sich das nicht anmerken lässt. Sie gehen ein Stück durch den sommerlichen Baumbestand des Kaisergartens, der bei der Hitze schön abkühlend wirkt, und erreichen die Ludwiggalerie. Alle drei gehen auf den Eingang der Ludwiggalerie zu und kaufen sich Eintrittskarten. Dann gehen sie zielgerichtet auf die Bilderausstellung zu und erreichen schnurstracks die abgesperrte Sperrzone, wo die Bilder des niederländischen Malers Henk de Mijnwerker ausgestellt werden. Seit dem Kunstraub vor wenigen Stunden hängen dort nur noch vier der ursprünglich neun Bilder von Henk de Mijnwerker: De blauwe bergen in de gouden zonsondergang (Die blauen Berge im goldenen Sonnenuntergang), De blonde bour meisje met de zilveren blik (Das blonde Bauermädchen mit dem Silberblick), Het framboosrozekleurige koraalrif (Das himbeerrosafarbene Korallenriff) und De orkaan in het net van de vissersvrouw op blote voeten (Der Orkan im Netz der barfüßigen Fischerin). Die übrigen fünf Bilder (De gras groene amfibie vis [Der grasgrüne Amphibienfisch], De rode vuurleuw [Der rote Feuerlöwe], De dansende zilveren gans [Die tanzende Silbergans], De blauwe zomerlucht [Der blaue Sommerhimmel] und De paarse orchideeën [Die violetten Orchideen]) befinden sich dank Victoires beherzten Einsatzes auf dem Präsidium der Polizei. Van de Luur nimmt die vier Gemälde De blauwe bergen in de gouden zonsondergang (Die blauen Berge im goldenen Sonnenuntergang), De blonde bour meisje met de zilveren blik (Das blonde Bauermädchen mit dem Silberblick), Het framboosrozekleurige koraalrif (Das himbeerrosafarbene Korallenriff) und De orkaan in het net van de vissersvrouw op blote voeten